Matchball von Schangia (One Shot Sammlung) ================================================================================ Kapitel 3: If I Had You (Kuroo/Bokuto) -------------------------------------- Bokuto und Kuroo kannten sich seit mehr als zehn Jahren, und obwohl er nicht mehr wusste, an welchem Tag genau er in sein Leben getreten war, konnte Bokuto sich umso besser an die Umstände erinnern. Es war ein warmer Tag Anfang Mai gewesen, und an solchen Tagen – sofern es am Wochenende war – verließ er das Haus früh am Morgen und kam erst dann zurück, wenn die Sonne sich schon längst schlafen gelegt hatte. Er hatte das Glück, dass sein Haus nur acht Minuten Fußweg von einem Fluss entfernt lag – fünf Minuten, wenn er rannte, und Bokuto rannte immer –, also verbrachte er einen Großteil der warmen freien Tage dort. Obwohl er so gut wie immer mit anderen Kindern in seinem Alter spielte, gab es niemanden, mit dem er gut befreundet war, aber es reichte ihm, dass sie zusammen Piraten oder Abenteurer sein konnten. Auch, wenn er schnell vergaß, ob Ken-chan jetzt der Junge mit der Brille oder der Zahnlücke war. Noch mehr als die Spiele mit anderen Kindern mochte Bokuto die seltenen Tage, an denen er fast allein war und nach Herzenslust toben und schreien konnte, ohne von seinen Spielkameraden schräg angeguckt zu werden. Es war an so einem Tag gewesen, dass er Kuroo das erste Mal getroffen hatte. Kuroo, den hageren Jungen mit windzerzausten schwarzen Haaren und einem so verschmitzten Grinsen, dass andere Kinder sich sofort eingeschüchtert fühlten. Er war sogar noch früher am Fluss als Bokuto und hockte am Ufer, den aufmerksamen Blick auf das klare Wasser gerichtet. Als er Bokuto bemerkt hatte, hatte er aufgesehen, ein schelmisches Blitzen in den Augen und ein selbstbewusstes Grinsen auf den Lippen. Bokuto hatte ihn sofort gemocht. Er dachte gerne an diese Zeit zurück. Damals, als er zum ersten Mal in seinem Leben Freundschaft mit jemandem geschlossen hatte. Damals, als Bokuto noch ein bisschen pummelig gewesen war für einen Jungen, der den ganzen Tag durch die Gegend rannte. Damals, als Kuroo noch kleiner gewesen war als er und sich mit jedem angelegt hatte, obwohl seine Arme kaum dicker waren als Streichhölzer und seine Schläge ungefähr so weh taten wie die von der dreijährigen Tochter der Freundin seiner Mutter, wenn man ihr das Lieblingsspielzeug wegnahm. Damals, bevor Kuroos Familie weggezogen war und er nur noch gelegentlich mit ihm sprechen konnte, aber dafür über alles mögliche. Wie unverschämt teuer Süßigkeiten waren, welche Position beim Volleyball die coolste war, warum Mädchen ab einem bestimmten Altern anfingen, merkwürdig zu kichern, und wie es sich anfühlte, wenn man sich verliebte. Bokuto hatte sich den Moment, in dem er realisierte, dass er verliebt war, seitdem immer ganz besonders ausgemalt. Er hatte immer gewollt, dass ihm langsam und schleichend klar wird, wie viel ein anderer Mensch ihm bedeutete. Er wollte subtile, süße Dinge, flüchtige Berührungen, die sein Herz dazu anspornten, einen Marathon in seiner Brust zu schlagen. Und wenn es dann soweit war, wenn er es endlich realisierte, dann wollte er Rosenblüten überall, rot und intensiv und duftend. Gut, die Rosenblüten waren erst vor geraumer Zeit dazugekommen, nachdem Bokuto angefangen hatte, Shoujo-Manga zu lesen. Deswegen war er sich auch eigentlich bewusst, wie unrealistisch dieser Wunsch war, aber das hielt ihn nicht davon ab, es sich dennoch auszumalen. Dass dieser Moment jedoch eintrat, als er gerade auf dem Bett in seinem Zimmer lag und die Mix-CD hörte, die derzeit in ihrem Team herumgereicht wurde, war furchtbar desillusionierend für ihn. Zumal er kaum etwas von dem englischen Text verstand, den dieser ominöse Adam Lambert sang. Irgendwie fühlte es sich jedoch so an, als würde der werte Herr von Dingen singen, die er gut nachvollziehen konnte, also beschloss er, nach dem Songtext – und wenn möglich nach einer Übersetzung – zu suchen. Doch als er nach seinem Handy griff, bemerkte er, dass Kuroo ihm vor einigen Minuten eine Nachricht bei Line geschickt hatte, und mit einem Mal machte alles Sinn. Bokuto starrte die Nachricht bestimmt eine ganze Minute lang an (es war einer der vielen Katzen-Sticker, die Kuroo über die Jahre hinweg bei Line angesammelt hatte), ehe er leise zu sich selbst murmelte. »Scheiße, ich glaub ich bin verliebt.« Er fand sich, zu seinem eigenen Erstaunen, schnell mit der Situation ab, wenngleich er immer noch ein wenig geknickt war, dass man ihn seiner idealistischen Rose beraubt hatte. Die Unterlippe zu einem leichten Schmollen vorgeschoben begann er, nach dem Songtext zu suchen. Als er ihn gefunden hatte und zum ersten Mal aufmerksam las, musste er lachen, weil es so gut zu passen schien. Lächelnd kopierte er eine kurze Passage und schickte sie Kuroo. Dessen Sticker ignorierte er; es war ohnehin nur eine jahrelange Floskel, die Kuroo benutzte, um ein Gespräch zu initiieren. ›But if I had you, that would be the only thing I'd ever need Yeah if I had you, then money, fame and fortune never could compete If I had you, life would be a party, it'd be ecstasy‹ Sekunden verstrichen in denen sein Lächeln sich allmählich zu einem Gesichtsausdruck wandelte, der von purem Horror sprach. Wie kam er eigentlich auf die bescheuerte Idee, Kuroo so etwas zu schicken? Würde er es ernst nehmen oder als Scherz abstempeln? Würde er überhaupt darauf antworten? Und warum machte er sich so viele Gedanken darüber, jetzt, wo er realisiert hatte, dass er verliebt war? Bokuto zuckte zusammen, als das Handy in seiner Hand vibrierte, verzog aber umgehend genervt das Gesicht, als er Kuroos Nachricht las. ›verstehst du überhaupt, was das heißt?‹ Immer noch ein wenig missmutig tippte er seine Antwort, lächelte aber wieder, nachdem er sie abgeschickt hatte. ›o(`◇´)○‹ ›wow, eine wütende eule, wie bedrohlich‹ Er wusste, dass Kuroo in diesem Moment grinste, vermutlich auf seinem Bett sitzend, und gespannt auf das wartete, das für gewöhnlich passierte, wenn einer den anderen antextete. ›Treffen?‹, tippte Bokuto, zufrieden damit, dass Kuroo nur einen Herzschlag brauchte, um ihm zu antworten. ›yo, komm vorbei‹ Erst, als Bokuto sich bereits auf dem Weg zu Kuroo befand, bemerkte er, dass ihm der andere gefehlt hatte. Mit einem Mal wurde ihm klar, wie sehr er sein Lächeln vermisste, das streng genommen mehr Grinsen als alles andere war, oder das Blitzen in seinen Augen, wenn er einen von Bokutos Spikes blocken konnte. Das warme Gefühl in seiner Magengegend, wenn Kuroo ihm eine Hand auf die Schulter legte, oder wie er sich nonchalant an ihn lehnte, wenn sie im Zug nebeneinander saßen. Der Gedanke an all diese kleinen Dinge ließ sein Herz schneller schlagen und ihn seine Schritte noch einmal beschleunigen. Mittlerweile kannte er den Weg zu Kuroos Haus in und auswendig, und da seine Mutter ihn selbstverständlich nicht vergessen hatte, konnte er praktisch ein- und ausgehen, wie es ihm beliebte. Sie grüßte ihn kurz aus der Küche, als er eintrat und sofort auf die Stufen zusteuerte, die ein Stockwerk höher und somit zu Kuroos Zimmer führten. Bokuto nahm zwei Stufen auf einmal und öffnete die Zimmertür, ohne anzuklopfen. Kuroo grüßte ihn mit einem selbstsicheren Grinsen und zeigte lässig auf seinen Laptop, aus dessen Lautsprechern leise das Lied von Adam Lambert klang, dessen Text Bokuto ihm zuvor geschickt hatte. »Netter Song«, merkte er an und deutete mit dem Kopf auf den Platz neben sich auf seinem Bett. »Ich bin mir trotzdem ziemlich sicher, dass du den Text nicht verstanden hast.« Bereitwillig ließ Bokuto sich neben ihn aufs Bett fallen, sodass er flach auf dem Rücken lag und die Zimmerdecke anstarrte. »Jetzt tu nicht so, als ob dein Englisch so viel besser wäre als meins«, maulte er gespielt beleidigt. Nur knapp konnte er ein glückliches Glucksen unterdrücken, als Kuroo wie selbstverständlich den Kopf auf seinen Bauch legte und ebenfalls die Decke betrachtete. Geduldig wartete er auf eine Antwort, doch sein Freund machte es sich nur ein wenig bequemer und begann nach einigen Augenblicken, prüfend auf Bokutos Bauch herumzudrücken. »Du hast mehr Bauchmuskeln bekommen«, stellte er trocken fest, sodass Bokuto zunächst nicht wusste, ob das als Anschuldigung oder Kompliment gemeint war. »Echt?« Seine Stimme zitterte leicht, was zu einem Großteil daran lag, dass Kuroo sich nun auf seine Ellbogen gestützt und Bokutos Shirt hochgeschoben hatte, um die Muskeln des anderen genauer zu mustern. »Jepp. Siehst du?« Sein Finger glitt federleicht über Bokutos Haut, fuhr jede Erhebung nach. Das Lied war bereits zu Ende, und wenn Kuroo gehört hatte, wie er scharf die Luft einsog, zeigte er es zumindest nicht. Dafür war Bokuto aber seinerseits auch zu sehr mit seinen Hormonen beschäftigt, als dass er hätte bemerken können, wie sein Freund ihn aufmerksam auf dem Augenwinkel beobachtete. Als Bokuto nicht antwortete, sondern nur peinlich berührt den Blick abwandte – eine Reaktion, die er noch nie hervorgerufen hatte und die deshalb umso interessanter war –, fuhr Kuroo scheinbar ungerührt fort. »Wenn du noch attraktiver wirst, bist du der Erste von uns, der einen Freundin finden wird.« Endlich reagierte Bokuto. »W-was?!« »Ich sagte, wenn du noch attraktiver wirs—« »Das hab ich schon verstanden!«, unterbrach Bokuto ihn mit viel zu hoher Stimmer, die Kuroo zum Grinsen brachte. Es war nicht das erste Mal, dass Kuroo mit ihm flirtete. Sie beide taten das manchmal, aus welchen Gründen auch immer, und früher hatten sie sich nicht viel dabei gedacht. Mittlerweile war die Grenze zwischen scherzhaft gemeinten Flirtversuchen und Ernst jedoch so sehr verschwommen, dass Bokuto mit jedem Wort merkte, wie sein Gesicht immer wärmer wurde. So gerne er solche Komplimente auch hörte – vor allem von Kuroo –, so fand er es doch angebracht, die Grenzen wieder etwas klarer abzustecken. Das Letzte, was er wollte, war ihre Freundschaft zu gefährden, nur weil er Dinge sah, die nicht sein konnten. »Wenn du mir weiterhin so schmeichelst, könnte das hier in eine ganz andere Richtung gehen«, warnte er, den Blick weiterhin auf alles gerichtet, das keine schwarzen Haare und viel zu aufmerksame Augen hatte. Auf der einen Seite versuchte er so, sein rotes Gesicht weniger auffällig zu machen, aber auf der anderen Seite wusste Bokuto auch nicht, ob er diese Worte überhaupt über die Lippen hätte bringen können, wenn er dabei in das viel zu attraktive Gesicht seines Freundes geblickt hätte. »Oho~?« Kuroos Stimme war tief, fast wie ein Schnurren, und klang nicht ansatzweise so überrascht, wie es in dieser Situation angebracht gewesen wäre. Bokuto lief ein wohliger Schauer über den Rücken; etwas, wofür er sich gerne selbst geohrfeigt hätte. »Und wenn ich das will?« Bokuto ruckte seinen Kopf so heftig in Kuroos Richtung, dass es schmerzte, und starrte ihn fassungslos an. Erst jetzt fiel ihm das Grinsen auf, das der andere ihm schamlos präsentierte. »Hast du etwa—« »Darauf abgezielt, dich zu verführen? Möglich.« Im ersten Moment blinzelte Bokuto nur verwirrt, brauchte eine Weile, bis er die ganze Situation greifen konnte. Schließlich brach er in schallendes Gelächter aus. Scheiße, schoss es ihm durch den Kopf, und in diesen Dreckssack hab ich mich verliebt. Kuroo wartete geduldig darauf, dass er sich wieder beruhigte, und vertrieb sich die Zeit derweil damit, unsichtbare Muster auf Bokutos nackten Bauch zu zeichnen. »Hör auf zu lachen, sonst klingt es so, als würdest du mich auslachen«, beschwerte Kuroo sich halbherzig. Am Klang seiner Stimme – und an dem nun zufriedenen Grinsen auf seinem Gesicht – erkannte Bokuto leicht, dass er nicht wirklich beleidigt war. Dennoch versuchte er, sich zügig zu beruhigen. »Ich freue mich einfach, lass mich«, erklärte er, während er sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel wischte und ebenfalls grinste. Kuroo ließ seine Hand auf Bokutos Bauch ruhen. »Natürlich tust du das. Wer würde das auch nicht?« »Selbstverliebter Blödmann.« Bokuto lächelte und legte seine eigene Hand auf Kuroos. Als dessen Lächeln noch ein wenig breiter wurde, ahnte Bokuto, was er sagen würde – er hatte schließlich genug Shoujo-Manga gelesen. »Aber dein selbstverliebter Blödmann«, verkündete Kuroo mit einer Selbstverständlichkeit, die Bokuto unsagbar glücklich machte. Als er ihre Finger miteinander verschlang, kam Bokuto zu dem Schluss, dass er auch ohne Rosenblüten leben konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)