Einsame Gitarrenklänge von phean ================================================================================ Kapitel 20: &20 --------------- „Das Meer ruft“, murmelte ich, während ich dem Herrn vor mir weiter in die Augen blickte. „Das Meer, es schlägt hohe Wellen.“ „Kari?“, eine Hand legte sich auf meine Schulter. Erschrocken zuckte ich zusammen und sah hinter mich - Chin. „Alles in Ordnung? Du bist in letzter Zeit so abwesend. Und du redest die ganze Zeit vom Meer, Willst du ans Meer?“ Ich schluckte, meine Augen weiteten sich etwas, „nein!“, spuckte ich es aus, „nicht an dieses Meer.“ „Was ist das für ein Meer“, er griff nach der Lehne meines Drehstuhls und drehte mich zu sich, sodass wir uns gegenüber saßen. Ich legte den Kopf leicht schräg und musterte Chins Gesicht. Es war so schön geformt und erinnerte mich an das von Yamato. „Es ist schwarz“, meinte ich gedankenverloren, „dunkel. Es birgt keine Farbe und keine Freude. Alles an ihm ist kalt. Es tilgt alles Schöne“, murmelte ich. „Du solltest dich vielleicht ausruhen. Magst du nicht einmal deine Familie besuchen? Kari?“ Er beugte sich zu mir. Ich hingegen schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht nach Hause. Dort war niemand der auf mich wartete. Niemand der mich sehen wollte. Ich merkte wie sich etwas in mir staute und dann spürte ich die große Träne, die ausgebrochen war – wie sie langsam ihren Weg über meine Wange suchte. „Soll ich deine Eltern anrufen?“, hörte ich und wurde wieder aus meinen Gedanken gerissen. „Nein, tu das nicht, bitte“, flehte ich ihn an und er zweifelte. Wahrscheinlich auch an meinem momentanen Zustand, ob ich wirklich so zurechnungsfähig war. „Bitte such sie nicht. Ich will nicht, dass sie wissen, wo ich arbeite.“ Kurz sah ich ihm noch in die Augen, dann konnte ich den Blick nicht mehr aufrecht halten und ich schloss meine Augen etwas. Sie wollten mich nicht sehen und für meine Eltern wollte ich keine Enttäuschung sein. „Na gut“, meinte Chin schließlich, „aber versprich mir, dass du dir die nötige Ruhe gönnst. Ich weiß, was die Arbeit hier mit den Menschen macht, es ist nicht leicht, die Menschen zu sehen, zu ertragen und dann noch der Gleiche zu bleiben.“ Er hatte recht, ich arbeitete erst seit zwei Jahren hier in der Psychiatrie und spürte schon, wie sich der Drang nach dem Meer verstärkt hatte. Aber hier konnte ich mich auch am besten vor allem verstecken. Hier sah niemand und störte es auch niemanden, dass ich nicht normal war. Dass das Meer an mir nagte und mich von innen auffraß – es war egal. Chin blieb noch eine Weile sitzen, bis er schließlich seufzend aufstand – er war nicht viel älter als ich und kam mir wie ein großer Bruder vor, „komm, mach für heute Schluss“, er lächelte sanft, dabei zog sich die Haut an seinen Augenwinkeln zu kleinen Fältchen. Ich nickte und legte meine Hand in seine, welche er mir entgegen gestreckt hatte. Mit geschlossenen Augen saß ich auf dem Bett. Meine Beine angewinkelt und die Hände auf die Ohren gepresst. Kaum dass ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, fing das Meer an zu rauschen. Es ging nicht weg, egal wie laut ich die Musik drehte. Es wurde mit ihr lauter. Es war, als würde ich oben auf einer Klippe stehen und direkt unter mir war das kühle Nass. Wie lange ich schon nicht mehr im Meer war. Gemeinsam mit Rika geschwommen bin, danach mit ihr am Strand Volleyball gespielt hatte und einfach Spaß hatte. Mit meinen Freunden und am Leben. Das alles hatte ich zerstört, wegen dieses einen dummen Fehlers, den ich begangen hatte, weil ich zu viel getrunken hatte. Tränen drückten sich durch meine geschlossenen Augenlider. Manche liefen über meine kühle, blasse Haut. Ich war in den letzten Monaten bleich geworden, meine Haut hatte ihre Wärme und Farbe verloren. Unter meinen Augen hatten sich tiefe, dunkle Augenringe gebildet und meine Wangen waren etwas eingefallen. Ich hatte abgenommen, obwohl ich aß. Abends war ich schwächer als ich zuvor nach einem Spiel oder dem Training war. Die Kraft schwand. So wie ich auch das Gefühl hatte, dass mich mein Verstand verließ. Das Meer konnte hier nicht sein. ES KONNTE NICHT HIER SEIN! Es hatte mich so lange in Frieden gelassen, wieso sollte es jetzt, nach all den Jahren wieder zurückkommen? Das ergab keinen Sinn und trotzdem hörte ich es. „Bitte hör auf“, murmelte ich und presste meine Lippen aufeinander. „Geh weg“, schluchzend vergrub ich mein Gesicht weiter. Aus den Lautsprechern drang meine Lieblingsplaylist. Alles Lieder, die mich vergessen ließen, es aber nicht schafften, das Meer von mir weg zu halten. Ein Schrei entfuhr mir und ich packte das Kissen hinter mir. Ohne darüber nachzudenken schleuderte ich es durch den Raum. Es klirrte. Aus tränenverschleierten Augen sah ich, wie die Vase zum Rand der Kommode rollte und schließlich auf das Laminat fiel. Sie zerbarst und die Scherben verteilen sich. Das Kissen blieb oben auf dem Möbelstück liegen, auf dem es zuvor noch ordentlich ausgesehen hatte. Wieder brannte sich das Rauschen in meinen Kopf. Ich konnte es nicht ignorieren. Mein Blick veränderte sich. Es war, als könnte ich es nicht lenken, als wäre ich lediglich Zuschauerin. Ich stand auf und lief um das Bett herum. Das Knacken unter meinen Füßen verriet mir, dass ich die Scherben zertrat. Als ich meinen Fuß hob, spürte ich einen kühlen Zug. Er musste bluten. Unbeirrt blieb ich erst neben meinem Schreibtisch stehen. Ich sah meinen Block an und dann den Stift. Langsam griff ich danach und zitternd führte ich ihn über das Blatt. Dann trat ich an die frische Luft. Meine Hände legte ich auf das Geländer und betrachtete den Horizont. Ich hatte eine weite Sicht, auch wenn ich nur im dritten Stock war. Langsam verschwanden die Häuser aus meiner Sicht und vermischten sich, ehe sie zu einem weiten Meer wurden, das nicht zu enden schien. Seufzend schloss ich die Augen. Ich schüttelte meinen Kopf und meine Hände legten sich wieder auf meine Ohren. „Hör auf, hör auf, hör auf … GEH WEG“, schrie ich und meine Hände lagen wieder auf dem kühlen Metall. Ich hatte mich etwas nach vorn gebeugt und betrachtete das Wasser vor mir mit großen Augen. „Es wird nicht weg gehen“, hörte ich hinter mir eine weibliche Stimme. „Es wird erst gehen, wenn auch du gehst“, sagte mir jemand sehr bekanntes. Mit geweiteten Augen drehte ich mich um, eine Hand immer noch an dem Geländer. „Sora … Tai …“, flüsterte ich, dabei legte sich ein schräges Lächeln auf meine Lippen, meine Stimme zitterte. „Was macht ihr hier?“ „Sicher nicht wegen dem hier“, die Orangehaarige deutete verächtlich auf den Block. Ich schluckte und tat einen Schritt auf sie zu, „wie …?“ „Wie wir dich gefunden haben?“, wollte mein Bruder wissen, „das war nun wirklich nicht besonders schwer.“ Beide sahen mich ernst an. Den Blick kalt von oben auf mich gerichtet. Ihre Hände vor der Brust verschränkt. „Und wieso seid ihr dann hier?“, meine Beine zitterten und ich brachte kaum mehr ein Wort heraus. Beide traten einen Schritt auf mich zu. Ich stolperte einen nach hinten. „Sicher nicht um dich in den Arm zu nehmen“, keifte Tai. „Wohl eher um dich nie mehr sehen zu müssen.“ Beide hoben ihre Hände und streckten sie nach mir aus. Schreiend sah ich zum Balkon hoch, wie sie sich lachend über das Geländer beugten und auf mich herab sahen. Mit verschwommenem Blick fühlte ich den Sand unter mir. Benommen verschwammen die Konturen und er verschwand. Bis ich merkte, dass ich auf Beton lag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)