Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Prolog: Die Geburt eines Löwen ------------------------------ Ein Ruck ging durch die Maschine und der Druck auf seine Ohren wurde immer stärker, sodass er kaum noch etwas hören konnte. Er hatte sich ganz klein zusammengekauert und war mucksmäuschenstill. Obwohl die Motoren des Fliegers ohnehin einen gewissen Geräuschpegel hatten, wollte er es nicht riskieren, gehört zu werden. Noch waren sie nicht in Sicherheit. Noch waren sie nicht am Ziel ihrer Reise. Der kleine Junge mit den zerzausten schwarzen Haaren, der zerfetzten und blutverschmierten Kleidung war wachsam. Er war es immer und sein Wille war trotz der Schmerzen und des Fiebers ungebrochen. Jetzt, wo er seinem Ziel so nah war, durfte er nicht aufgeben. Natürlich wusste er dass das, was er da tat, ein Himmelfahrtskommando war und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte sich heimlich in einen Flieger geschlichen und sich versteckt, um abzuhauen. Er wollte fort von hier und raus aus diesem Land, welches eh keine Zukunft für ihn bereithielt. Weg von diesem Krieg, der schon seit Jahren wütete und kein Ende fand. Weg von den Straßen, auf denen es schon zu oft Angriffe gab und wo er schon zu oft Leichen liegen sah. Zu oft hatte er die Menschen in Angst gesehen und den Alarm ausrufen hören. Seine Flucht war für ihn der einzige Weg, dieser Hölle zu entkommen und er würde sich diese Chance nicht nehmen lassen, von niemandem. Und wenn er sich mit aller Gewalt seine Chance auf eine Zukunft und ein besseres Leben erzwingen musste. Dabei ging es ja nicht nur um seine Zukunft. Fest im Arm hielt er ein kleines Mädchen, das höchstens drei Jahre alt war und am ganzen Leib zitterte vor Angst. Die ganze Zeit hatte er sie im Arm gehalten, damit sie ruhig blieb und sie beide nicht noch verriet. Das kleine Mädchen trug nichts als ein zerschlissenes und dreckiges weißes Kleid und ihr langes blondes Haar war zu einem einfachen Zopf gebunden. Sie war sehr blass und dünn. Nicht einmal Schuhe hatte sie an. Die meiste Zeit hatte sie brav geschwiegen und keinen Ton von sich gegeben. Und bis jetzt hatte niemand sie bemerkt. Gut so. So etwas konnte er eh als Letztes gebrauchen. Immerhin war die Gefahr groß, dass sie entdeckt werden könnten und der Flieger daraufhin wieder zurückkehrte und sie dann wieder auf der Straße landeten. Doch selbst für diesen Fall hatte er vorgesorgt. Auch wenn er selbst noch ein Kind war, sein Wille, in ein besseres Land zu kommen, war so stark, dass er über sich hinausgewachsen war und sich für jeden Fall vorbereitet hatte. Auch wenn es vielleicht etwas gefährlich und leichtsinnig erscheinen mochte, mit einer geladenen Pistole herumzulaufen. Aber da in ihrem Land eh ständig Krieg herrschte, war es nicht schwer, an Pistolen oder Maschinengewehre zu kommen, wenn man wusste, wo man nachfragen musste. Naja… nachgefragt hatte er nicht unbedingt. Er hatte sie einem der Zahal gestohlen, als seine kleine Schwester nach Essen gefragt hatte. So lief es meistens ab, wenn sie sich irgendwie durchschlagen wollten. Entweder bettelten sie, oder sie stahlen einfach. Das war der einzige Weg für sie, um auf der Straße zu überleben. Ins Waisenhaus konnten und wollten sie eh nicht. Er war dort schon mit sieben Jahren weggelaufen, als sich herausgestellt hatte, dass diese Waisenhäuser nur dazu da waren, um Arbeitskräfte auszubilden, nur um sie dann wieder schnellstmöglich loszuwerden. Er wollte nicht so enden und hinterher noch als Arbeitssklave herhalten müssen. Vor allem weil die Heimleiter die Kinder oft schlugen. Da lebte er lieber auf der Straße. Doch selbst da war das Leben hart und so war es seine einzige Hoffnung, in ein Land zu fliehen, in welchem die Lebensbedingungen deutlich besser waren. Und zu diesem Zweck war er in ein Flugzeug gestiegen, von dem er wusste, dass es ein Privatflieger war. Diese wurden nicht so streng kontrolliert wie die normalen und so war es leichter, sich an Bord zu schmuggeln. Wochenlang war alles geplant worden und nun hatte er es geschafft. Jetzt galt es nur, nicht erwischt zu werden, bevor sie lang genug in der Luft gewesen waren. Plötzlich aber zupfte seine kleine Schwester an seinem Ärmel und sah ihn mit ihren großen himmelblauen Augen gegangen. „Ich hab Durst“, flüsterte sie und schaute ihn mit einem bettelnden Blick an. Er sah sich um, doch er wollte lieber kein Risiko eingehen. „Halt noch etwas durch, ja? Wir müssen warten.“ „Aber ich hab jetzt Durst!“ Sofort hielt er ihr den Mund zu, denn da hörte er plötzlich Schritte, die näher kamen. Sein Herz begann schneller zu schlagen und kalter Schweiß brach auf seiner Stirn aus. Er hörte, wie jemand etwas sagte, was er mit etwas Mühe als Englisch identifizieren konnte. Nun, Englisch verstand er zum Glück, zumindest teilweise, aber mit dem Sprechen hatte er es hingegen weniger. Ob der Flieger etwa in die USA flog? Das traf sich ja noch besser. Dann hatten sie vielleicht tatsächlich eine Zukunft. Plötzlich kamen die Schritte näher und dann stand auch schon ein groß gewachsener glatzköpfiger Mann mit Sonnenbrille vor ihm. Er trug einen Anzug und sah furchterregend aus. „Was zum Teufel…“ Der Junge reagierte sofort und zog seine Pistole, entsicherte sie und richtete sie direkt auf das Gesicht des Mannes. Schnell stand er auf und stellte sich schützend vor seine kleine Schwester und machte sich bereit, sofort zu schießen. Auch wenn er niemanden töten wollte, so wollte er noch weniger wieder nach Hause zurückkehren müssen. Und jetzt konnte er sowieso nicht mehr zurück. Seine Pistole und seine Willenskraft, die ihn seine Schmerzen und sein Fieber vergessen ließ, waren seine einzigen Waffen, die ihm noch blieben. Stimmen von weiter hinten ertönten und der Junge hörte, wie der Mann nach einem gewissen „Boss“ rief. Der Junge wusste, dass der Mann Verstärkung holen wollte und rief deshalb in einem sehr gebrochenen Englisch „Du still oder du sterben! Ich will Amerika.“ Der Mann hob die Hände, doch es war schon zu spät. Es kamen noch zwei weitere Anzugtypen mit Sonnenbrillen und sie sprachen so durcheinander, dass der Junge kein Wort verstehen konnte. Er hörte immer wieder das Wort „Boss“ und wusste nicht, was das bedeutete. Da er rein gar nichts verstehen konnte, was die Männer sagten, feuerte er einen Schuss vor ihre Füße ab und rief „Ruhe! Nicht reden. Ihr mich bringen nach Amerika oder ich töte euch!“ Das kleine Mädchen, das durch den abgefeuerten Schuss aufgeschreckt wurde, schrie kurz auf und begann zu weinen vor Angst. Doch davon ließ er sich jetzt auch nicht ablenken. Die drei Männer würden ihn sofort überwältigen, wenn er jetzt die Pistole herunternahm und dann war es endgültig vorbei. Doch dann hörte er plötzlich eine weitere Stimme. Offenbar war noch ein vierter Mann an Bord. „Was ist hier los und wer hat da geschossen?“ Ein ziemlich reich aussehender Mann mit Kinnbart und Brille kam zum Vorschein. Er hatte sein schwarzes Haar akkurat zurückgekämmt und wirkte wie ein sehr wichtiger Geschäftsmann. Sofort stellten sich die Männer schützend vor ihn und nannten ihn Boss, während sie mit ihm sprachen. Ob das sein Name war? Der kleine Junge von der Straße ließ sich nicht beirren und hielt die Pistole weiterhin auf die Männer gerichtet. Zwar hatte ihn die Wucht des Rückstoßes fast aus dem Gleichgewicht gebracht und seine Hand tat weh, aber er ließ sich nicht beirren. Wild entschlossen stand er da und wirkte wie ein kampfbereiter Löwe, auch wenn er noch ein Kind war. Der Mann, der von den anderen „Boss“ genannt wurde, wirkte im Gegensatz zu den anderen Männern nicht so hektisch, sondern lächelte etwas amüsiert über den Anblick der beiden Kinder. „Na so was“, bemerkte er und lachte. „Ein blinder Passagier. Sag mal Junge, wie bist du hier reingekommen und was willst du mit der Knarre?“ „Wir gehen nach Amerika“, antwortete der Junge im gebrochenen Englisch. „Du mich hinfliegen, ja? Sonst ich schießen!“ „Boss, das ist gefährlich!“ rief einer der drei Männer und wollte ihn wegbringen, doch der „Boss“ blieb gelassen und trat näher. Er schien gar keine Angst zu haben, dabei hielt der Junge ihm eine geladene Pistole vor die Nase. Was war das nur für einer? Hinter ihm weinte seine kleine Schwester immer noch und kauerte sich ängstlich zusammen. Doch jetzt konnte der Junge von der Straße nichts für sie tun. Die Situation war zu gefährlich und er durfte sich bloß nicht ablenken lassen. Alles hing davon ab, dass er sich mit aller Gewalt durchsetzte und sie beide sicher nach Amerika brachte. Aber dann sagte der Mann plötzlich klar verständlich in seiner Heimatsprache „Du gefällst mir, Junge. Du scheinst mir ein richtiger Kämpfer zu sein und hast nicht mal einen Funken Angst in deinem Blick. Und du hast es geschafft, dich in mein Flugzeug zu schleichen zusammen mit der Kleinen, das war sicher nicht leicht. Sag mal, wie alt bist du denn?“ Es irritierte den Jungen ein wenig, dass der Mann tatsächlich israelisch sprach. Normalerweise beherrschten die Ausländer immer nur die Weltsprache Englisch und selbst dieses war teilweise sehr dürftig. Ein klein wenig entspannte sich der Junge als er sah, dass der „Boss“ ruhig blieb und offenbar vernünftig mit ihm sprechen wollte und sogar extra für ihn auf israelisch sprach. Darum antwortete er ihm auch ehrlich „Ich bin zehn.“ „Und das kleine Mädchen hinter dir?“ „Meine Schwester. Sie ist drei.“ „Habt ihr keine Eltern?“ Der Junge schüttelte den Kopf und antwortete, dass sie beide Waisenkinder waren und er seine Eltern durch eine Bombenexplosion verloren habe und es keine anderen Verwandten gab und er deshalb auf der Straße lebte. Der „Boss“ nickte und erkundigte sich „Und du wolltest mit deiner Schwester nach Amerika?“ „Ja“, antwortete der Junge. „Wir wollen nicht mehr im Krieg leben! Und darum wirst du mich nach Amerika bringen.“ Wieder richtete der Junge die Pistole auf den Mann und zielte direkt auf seinen Kopf. Er wusste, dass das ausreichte, um einen Menschen zu töten. Doch der „Boss“ ließ sich nicht sonderlich beirren und rückte seine Brille zurecht. Ein freundliches Lächeln spielte sich auf seine Lippen und irgendwie wirkte er ganz nett, auch wenn sich der Junge von der Straße nicht sicher war, wie er ihn wirklich einschätzen sollte. Dann aber sagte der Mann „Ich mag dich wirklich, Junge. Du kennst keine Angst und du kämpfst wie ein Löwe. Weißt du, ich habe meinen einzigen Sohn kurz nach seiner Geburt verloren und habe sonst keine anderen Kinder. Wenn er noch leben würde, dann wünschte ich, er wäre genauso ein tapferer Kämpfer wie du. Wie wäre es, wenn ich dich bei mir aufnehme, zusammen mit deiner kleinen Schwester? Dann kannst du bei mir in Amerika bleiben und ich hätte Kinder, für dich ich dann doch sorgen könnte.“ Die Männer, die den „Boss“ offenbar beschützen wollten, verstanden kein einziges Wort von dem, was gesprochen worden war und fragten deshalb nach, was denn los war. Daraufhin wurde ihnen auf Englisch erklärt, dass er die Kinder nach Amerika mitnehmen würde, doch sonderlich begeistert reagierten die Männer nicht und einer meinte auch „Boss, das ist verrückt. Der Bengel wollte uns töten! Er hat eine geladene Pistole!“ „Er wollte sich und seine Schwester schützen, du Trottel“, erklärte der „Boss“ daraufhin in einem strengen und herrischen Ton, der nichts von dem freundlichen Mann von eben hatte. „Und wenn ihr Hornochsen unfähig seid, es mit einem zehnjährigen Straßenjungen und einem dreijährigen Mädchen aufzunehmen, ist das allein eure Schuld. Der Kleine da hat wesentlich mehr Grips und Mumm als ihr alle zusammen und darum sage ich auch, er kommt mit uns. Wenn er erst mal alt genug ist, kann noch etwas Großes aus ihm werden. Dessen bin ich mir sicher.“ Und damit gaben sich die drei Leibwächter geschlagen und wurden weggeschickt, sodass nur der „Boss“ blieb. Langsam ließ der Junge die Pistole sinken, als er merkte, dass die Gefahr wohl vorbei war. Aber dennoch blieb er misstrauisch. Dann aber merkte er, wie ihm schwindelig wurde. Ihm war heiß zumute und er verlor das Gleichgewicht. Das Fieber rächte sich jetzt an ihm. Sofort fing ihn der Mann auf und rief einem seiner Leibwächter zu „Hol mal einer ein Glas Wasser. Der Junge hat Fieber!“ Behutsam nahm der Mann ihn auf den Arm und trug ihn zu einer Couch, auf welche er ihn legte. Ängstlich folgte das kleine Mädchen ihm. Wenig später kamen die Leibwächter wieder zurück und der Junge bekam noch einen kühlen Lappen auf die Stirn. „Du erstaunst mich wirklich, Kleiner“, sagte der Mann und lächelte wieder. „Obwohl du krank bist, hast du so etwas Gefährliches gemacht und dich an Bord eines Flugzeuges geschlichen und ohne zu zögern einen Mafiaboss bedroht, nur weil du dich und deine Schwester schützen wolltest. Du bist wirklich sehr tapfer. Mein Name ist übrigens Stephen Mason. Und darf ich deinen Namen erfahren?“ Der Junge rieb sich benommen die Augen und ihm war, als würde ihm sämtliche Kraft entzogen werden. Er war müde und erschöpft, was sicherlich vom Fieber her kam. Und obwohl er immer noch die Pistole festhielt und er Angst hatte, zurück nach Israel zu müssen, wirkten die Worte des Mannes so angenehm beruhigend und freundlich auf ihn wie ein Vater es vielleicht tun würde. Und darum antwortete er auch ohne weiteres: „Ich bin Araphel.“ „Und deine kleine Schwester?“ Damit deutete Stephen Mason auf das kleine Mädchen, das sich langsam wieder beruhigte, nachdem sie gemerkt hatte, dass die Gefahr vorbei war. „Das ist Ahava“, antwortete der Junge und wies seine Schwester mit einer winkenden Handbewegung, zu ihm zu kommen. Zögernd kam sie näher und blieb schüchtern zusammengekauert bei ihm. Mit einem freundlichen Lächeln streckte Stephen eine Hand aus und streichelte ihr den Kopf. „Ihr braucht keine Angst mehr zu haben“, sagte er schließlich. „Ich werde gut für euch sorgen, ihr beiden. Es wird euch gut gehen in Amerika.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)