Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Kapitel 18: Sergejs Bitte ------------------------- „Solange man sich nicht gerächt hat, bleibt immer eine Bitterkeit im Herzen zurück.“ Heinrich Heine, deutscher Dichter Als Sam wieder zu Sinnen kam, war es schon helllichter Tag und er konnte sich nicht so wirklich daran erinnern, was nach seinem Geständnis gestern Nacht passiert war. Irgendwie war ihm da schwarz vor Augen geworden und wahrscheinlich war er zusammengeklappt und daraufhin eingeschlafen. Nun, der gestrige Tag war auch ziemlich ereignisreich und aufreibend gewesen, wenn man bedachte, was passiert war. Aber es ärgerte ihn trotzdem, dass er ausgerechnet kurz nach seinem Geständnis das Bewusstsein verlieren musste. Schlechter hätte das Timing wirklich nicht sein können. Naja, es half alles nichts. Als er sich langsam aufsetzte, spürte er plötzlich etwas Haariges und hörte ein leises Schnurren. Und als er zur Seite blickte, weiteten sich seine Augen vor Überraschung, als er seinen über alles geliebten Hauskater sah. „Sokrates!“ rief er und kraulte ihm zärtlich den Hals, woraufhin der knapp sechs Jahre alte Kater ein zufriedenes Schnurren von sich gab. Das gab es ja nicht. Sokrates war tatsächlich hier? Aber wie konnte das sein? Hatte er ihn von alleine gefunden, oder hatte jemand ihn hergebracht? Auch sonst entdeckte Sam einige Umzugskartons, in denen, wie sich herausstellte, seine Klamotten und ein paar persönliche Sachen von ihm waren. Jemand musste seine Wohnung ausgeräumt haben. Nun, es war ja klar gewesen, dass er wohl oder übel hier bleiben musste. Die Yanjingshe hatte es auf sein Leben abgesehen, darum konnte er auch nicht in sein altes Leben zurück. Hatte Araphel das Ganze organisiert? Nun, es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Nachdem er ins Bad gegangen und eine ausgiebige Dusche genommen hatte, konnte er endlich mal wieder frische Klamotten anziehen, was für ihn wirklich eine Wohltat war. Aber als „Geisel“ hatte man nun mal nicht so viel Luxus. Und nun hatte man tatsächlich seine Klamotten hierher gebracht, was ihm damit auch wirklich das Gefühl gab, als wäre er hier nicht mehr bloß gefangen, sondern als würde er aus freien Stücken hier wohnen. Sokrates, der ihn offenbar ziemlich vermisst hatte (immerhin war Sam knapp drei Wochen nicht mehr zuhause gewesen), kuschelte sich die meiste Zeit schnurrend an ihn und schien offenbar nicht wirklich böse zu sein, dass sein Besitzer so lange verschwunden gewesen war. Aber Sokrates gehörte auch nicht zu der Sorte Hauskatzen, die schnell beleidigt war, wenn ihr Besitzer über einen längeren Zeitraum weg war. Er war ein sehr anhänglicher, fauler Stubentiger, der seine Streicheleinheiten eben genoss. Als er sich auf den Weg zur Küche machte, da sein Magen ganz schön knurrte und er eine Stärkung gut gebrauchen konnte, begegnete er Christine, die gerade einen Karton schleppte. „Tagchen Sam!“ grüßte die Rothaarige gut gelaunt und stellte den Karton ab. „Alles fit bei dir, oder hat dich Araphel gestern ein wenig zu hart rangenommen?“ „Es geht. Äh sag mal, hast du die Kartons in mein Zimmer gestellt und Sokrates hergeholt?“ „Jep, zusammen mit ein paar anderen. Araphel meinte, dass du ab jetzt hier fest wohnen wirst und ein paar Sachen brauchst. Hier drin sind noch ein paar Bücher, DVDs und Fotos. Wenn du nach Araphel suchst, der ist gerade mit dem Patriarchen im Gespräch, da darf keiner stören. Der Doc hat sich schon um deinen Kater gekümmert.“ Damit ging Christine mit dem Karton in Richtung seines Zimmers und versprach, später noch mal vorbei zu kommen, Sam hingegen ging in die Küche und fand dort Morphius vor, der gerade am Tisch saß, rauchte und ein Foto anstarrte. Er wirkte ein wenig in Gedanken versunken und bemerkte den Detektiv erst nicht. Erst als sich dieser hinsetzte, hob er den Blick. „Tag, Morph. Was hast du da für ein Foto?“ Sam beugte sich zu ihm herüber und sah, dass es ein kleines Mädchen war mit schwarzem Haar und einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Sie schien nicht älter als zwei oder drei Jahre alt zu sein. „Das ist meine Tochter Kaguya“, erklärte der Informant mit einem stolzen Lächeln. „Sie wird morgen drei Jahre alt.“ „Sie sieht wirklich bezaubernd aus“, bemerkte Sam und war überrascht, denn er hätte Morphius nicht direkt als Vater gesehen. Aber offenbar konnte man sich auch irren. Da es schon Mittagszeit war, aßen sie zusammen und kurz darauf kamen auch Christine, Dr. Heian, Asha und eine sehr zierliche junge Frau mit einem herzlichen Lächeln dazu, die sich als Yin vorstellte und zum Werkstattteam dazugehörte. Es wurde viel geredet und gelacht und Christine gab eine ihrer Geschichten zum Besten, die wie immer nur ihrer Fantasie entsprangen und sie neckte Dr. Heian ein wenig, der zu den Ernsten in der Gruppe gehörte, die nicht allzu viel lachte. Nicht selten stimmte Morphius gleich mit ein, ihn zu ärgern. Es war ungewohnt, mit so vielen verschiedenen Menschen zusammen zu sitzen, noch dazu wo sie doch eigentlich wissen mussten, wer er war. Doch es kamen keine Anfeindungen, kein Misstrauen und keine Feindseligkeit. Nein, es schien so, als hätten sie ihn als einen der ihren akzeptiert, nachdem er ins Visier der Yanjingshe geraten war und nun bei Araphel lebte. Dann schließlich aber stellte Yin, die Sam vorher noch nicht gesehen hatte, eine Frage an ihn. „Sag mal Sam, stimmt es wirklich, dass du dich mit Shen angelegt hast?“ „Hat sich das so schnell herumgesprochen?“ fragte er überrascht und die Chinesin nickte, woraufhin sie erklärte „Shen ist der Todfeind von uns allen und alle haben Angst vor ihm. Und dann heißt es plötzlich, dass jemand es gewagt hat, ihn anzugreifen.“ „Ich hab ihn nicht so direkt angegriffen“, erklärte der Detektiv, der durch diesen zweifelhaften Ruhm ein wenig verlegen wurde. „Ich hab einen Aschenbecher nach ihm geworfen, als er Araphel provoziert hat.“ „Wow, dann bist du wohl entweder verdammt mutig, oder ganz schön verrückt.“ Wahrscheinlich ist es beides, dachte sich Sam und wieder tauchte diese Szene vor seinem geistigen Auge auf, wie Shen Araphel gegen die Wand gedrückt und ihn angefasst hatte. Es war eine reine Kurzschlussreaktion gewesen, weil er diesen Anblick nicht ertragen konnte. Und er bereute diese Entscheidung auch nicht, insbesondere nicht nach dem, was er erfahren hatte. Und doch… das Einzige, was er bereute war, dass seinetwegen Lawrence hatte sterben müssen. Etwas niedergeschlagen ließ er die Gabel sinken und fragte sich, ob sein Bruder vielleicht noch am Leben wäre, wenn er ihn nicht aufgesucht hätte. „Oi Sam, was ist los?“ Der Angesprochene hob den Blick und sah zu Morphius, der gerade dabei war, sich ordentlich Chiliflocken über sein Essen zu kippen, da er es offenbar ziemlich scharf mochte. „Es ist wegen meinem Bruder“, erklärte Sam. „Das, was er getan hat, war einfach nur verachtenswert, das sehe ich genauso wie Araphel. Aber… wenn ich nicht zu ihm gegangen wäre und ihn zur Rede gestellt hätte, dann wäre er vielleicht noch am Leben. Ich fühle mich halt dafür verantwortlich, dass er erschossen wurde.“ „Er stand ohnehin auf der Abschussliste der Triade, das hatte mit dir nichts zu tun“, erklärte der Informant und aß weiter. „Soweit ich gehört habe, soll er wohl ein paar Mitglieder der Triade abgezockt haben, um seine Spielschulden zu bezahlen.“ „Ich dachte, die Yanjingshe hätte das längst getan.“ „Ja, das war aber mit den Schulden von vor vier Jahren. Glaubst du echt, er hat danach aufgehört? Nee, er hat erst Ahava „zurückkaufen“ wollen, indem er das Geld an die Triade zurückzahlt, nachdem er wohl eingesehen hat, dass das wohl nicht die beste Entscheidung war. Aber anstatt, dass er bei einer Bank einen Kredit aufnimmt so wie ein vernünftiger Mensch, hat er gleich die nächste Pokerrunde aufgesucht, um schnelles Geld zu machen. Mit dem traurigen Ergebnis, dass er am Ende doppelt so viele Schulden hatte wie zuvor. Nur dieses Mal nicht bei Araphel, sondern bei Shen. Eine Zeit lang hat die Schlange noch gewartet, weil Polizisten eben auch Vorteile mit sich bringen, wenn man sie in der Hand hat. Aber offenbar war dein Bruder denen nicht mehr von Nutzen und in dem Fall ist er auf der Abschussliste gelandet.“ Fassungslos schüttelte Sam den Kopf und konnte nicht glauben, dass sein Bruder wirklich noch mit dem Glücksspiel weitergemacht hatte nach dem, was passiert war. Als hätte es nicht schon gereicht, dass er seine Verlobte an die Yanjingshe verkauft hatte, um sich selbst aus dem Schlamassel zu retten. Jetzt erfuhr er auch noch, dass selbst das nicht gereicht hatte, um ihn zur Vernunft zu bringen. Etwas niedergeschlagen ließ er den Kopf sinken und schwieg, bis dann Christine aufmunternd eine Hand auf seine Schulter legte. „Mach dir mal keine Sorgen, hier bist du sicher und hier passiert dir schon nichts. Und wir sind eigentlich eine ganz lustige Truppe, oder nicht?“ „Jep“, stimmte Asha zu. „Insbesondere mit Christine wird es nicht langweilig. Pass bloß auf, dass sie dich nicht auch noch zu unserer Runde einlädt. Wenn am nächsten Tag nichts zu tun ist, veranstaltet sie ein Trinkspiel oder irgendwas anderes, um Party zu machen.“ „Hey, ich lass mir den Spaß sicher nicht verbieten“, rief die Rothaarige und lachte. „Aber erst mal überlegen wir uns ein hübsches Geschenk für Morphs kleine Prinzessin.“ „Ach ich beneide dich wirklich“, seufzte Yin und lächelte glückselig vor sich hin. „Ich wünschte, ich hätte auch so eine süße Kleine.“ Nach dem Mittagessen kehrten die meisten wieder an ihre Arbeit zurück. Christine und Asha wollten den Fury reparieren, der bei der rasanten Flucht erhebliche Schäden davongetragen hatte und Yin wollte die Limousine überprüfen, die offenbar ein Problem mit dem Vergaser hatte. Sam hingegen ging wieder zu seinem Zimmer, um die Kartons auszupacken. Doch dazu kam er nicht, denn als er gerade um die Ecke bog, stieß er fast mit jemandem zusammen. Es war ein Mann mit einer sehr charismatischen Ausstrahlung, der einen teuren Anzug trug und schon im fortgeschrittenen Alter war. Vermutlich um die 50 Jahre. „Entschuldigen Sie“, rief Sam und trat beiseite. „Ich habe Sie nicht bemerkt.“ „Schon gut, es ist ja nichts passiert.“ Sam bemerkte plötzlich Araphel, der hinter dem Mann auftauchte. Überrascht runzelte er die Stirn und schaltete einen Moment später, wen er da eigentlich vor sich hatte: der Patriarch höchstpersönlich, Sergej Camorra. Oh Mann, dachte sich der Detektiv. Irgendwie hab ich aber auch ein verdammtes Talent darin, ausgerechnet den gefährlichsten Mafiosi über den Weg zu laufen. Das Oberhaupt der Camorrafamilie musterte ihn aufmerksam und fragte „Sie sind also Sam Leens, der Sohn von Detective Henry Leens? Das trifft sich sehr gut. Araphel, würdest du mir deinen Gast kurz ausleihen?“ Der jüngere Mafiaboss zögerte und verschränkte die Arme, wobei er Sergej mit einem Blick ansah, als wolle er ihm nicht über den Weg trauen. Aber dann sagte er sehr zu Sams Überraschung „Mach ruhig, wenn es nicht zu lange dauert.“ Das verunsicherte den Detektiv ein wenig. Hatte Araphel ihm nicht gesagt, er solle sich von gefährlichen Individuen fernhalten? Wieso ließ er dann zu, dass er mit diesem Sergej Camorra alleine war? Aber andererseits… irgendwie kam es ihm so vor, als würde Sergej sehr vertraut mit Araphel reden, so als würden sie einander gut kennen. Als er zu Araphel sah, nickte dieser, als wolle er sagen, dass es in Ordnung war und so ging Sam mit dem Bostoner Patriarchen mit. Sie gingen in ein Zimmer, welches ähnlich dem war, in welchem er schon Shen begegnet war. Nachdem sich Sergej gesetzt hatte, nahm auch er Platz und fragte zögernd „Was genau wollen Sie von mir, Mr. Camorra?“ „Nun, ich wollte den Mann kennen lernen, der genug Mut besessen hat, um Shen Yuanxian anzugreifen.“ Offenbar weiß es schon die halbe Welt, dachte sich Sam und wusste nicht, ob er sich geschmeichelt fühlen sollte oder nicht. Wie um alles in der Welt hatte sich das alles nur so schnell herumsprechen können? „Jedenfalls“, fuhr Sergej fort „habe ich gehört, dass du Araphel in Schutz genommen hast und auch über seine Vergangenheit in Kenntnis gesetzt worden bist.“ „Woher wissen Sie das?“ „Ich bin ein sehr enger Freund der Familie Mason“, erklärte der Patriarch. „Nach dem Tod von Stephen Mason habe ich ein wachsames Auge auf Araphel und helfe ihm des Öfteren. Außerdem ist Shen unser beider eingeschworener Feind. Er ist nicht nur eine Gefahr für die Menschen in dieser Stadt, sondern vor allem auch für die Bostoner Unterwelt und es ist kein Geheimnis, dass er es auf mein Leben abgesehen hat. Und leider werde ich nicht mehr allzu lange gegen ihn bestehen können, so gerne ich auch wollte.“ „Wieso?“ „Weil ich bald sterben werde.“ Selbst als er diese Worte sagte, verlor Sergej nicht einen einzigen Funken seines Charismas und selbst sein Lächeln schwand nicht. Überrascht sah Sam ihn an und fragte „Wie bitte?“ „Mein Arzt hat bei mir Lungenkrebs festgestellt und seiner Diagnose nach habe ich nur noch knapp acht Monate zu leben. Mit einer Chemotherapie könnte ich es vielleicht noch ein ganzes Jahr schaffen, aber das kommt für mich nicht infrage. Wenn schon, dann will ich lieber eines würdevollen Todes sterben. Und eben weil mir nicht allzu viel Zeit bleibt, will ich wenigstens sicher gehen, dass Araphel in guten Händen ist. Immerhin ist er schon fast wie ein Sohn für mich.“ „Warum fragen Sie ausgerechnet mich und nicht einen von den anderen?“ „Weil sie einen besonderen Einfluss auf Araphel haben“, erklärte Sergej. „Seit dem Tod seiner Schwester ist er sehr schwierig geworden und vertraut niemandem mehr. Ich hatte zwischendurch schon ernste Sorge, dass er sich völlig in seinem Verlangen nach Rache verliert und keinen anderen Lebensinhalt mehr sieht. Und noch mehr Sorgen mache ich mir für die Zeit, nachdem er seine Rache bekommen hat, verstehen Sie? Araphel steckt seine gesamte Energie in seinen Rachefeldzug gegen die Triade und in den Schutz ihrer Opfer, die er gerettet hat. Sein ganzes Leben hat er der Rache gewidmet, nachdem sich Ahava das Leben nahm. Seine Schwester war sein wichtigster Lebensinhalt gewesen, das war schon immer so. Und was soll aus ihm werden, wenn er erst mal seine Rache vollendet hat und am Ziel angelangt ist? Dann hat er nichts mehr. Kein Ziel, keinen Antrieb… Die Leere wird ihn wieder einholen und er wird sich in ihr verlieren. Keiner kann ihm die Familie ersetzen, die ihm genommen wurde und es ist ein unfassbarer Kraftakt, danach einen Neuanfang zu machen, wenn man nichts hat. Ich weiß es selbst, immerhin habe ich selbst meinen Bruder verloren, nachdem sich dieser seit dem Tod unserer Eltern um mich gekümmert hat. Ich habe zwei Ehefrauen verloren und meine jetzige Verlobte werde ich dann wohl bald für immer zurücklassen müssen, genauso wie meine Kinder. Aber damit kann ich leben. Ich habe dafür Sorge getragen, dass sie gut versorgt sind, wenn ich nicht mehr da bin. Und bis es soweit ist, wenn ich sterbe, werde ich Araphel beistehen, so gut ich kann. Aber es wird nicht genügen. Seine Gefolgsleute können ihm nicht das geben, was er wirklich braucht. Das ist nämlich jemand, der mit ihm fühlt, der ihm Halt gibt und der ihm das Gefühl gibt, dass er nicht ganz so alleine ist. Das können nur Sie. Wissen Sie, ich habe schon immer ein sehr gutes Gespür für den wahren Charakter anderer Menschen gehabt und ich glaube, Sie sind der Einzige, der Araphel ein neues Licht in seiner Finsternis geben kann. Er braucht Sie, um nach der Vollendung seiner Rache ein neues Ziel für sich selbst zu finden.“ Ein neues Ziel… ein Licht in der Finsternis… Diese Worte stimmten Sam schon sehr nachdenklich. Natürlich war es auch sein Wunsch, dass Araphel nicht an dieser schrecklichen Sache, die Shen ihm und seiner Schwester angetan hatte, zugrunde ging. Er wollte ihn nicht unglücklich oder wütend sehen. Aber würde er das wirklich schaffen können? Nach allem, was er erfahren hatte, glaubte er nicht so wirklich daran. „Ich weiß nicht, ob ich wirklich der Richtige wäre“, sagte er schließlich. „Mein Bruder war dafür verantwortlich, dass Ahava in die Fänge der Yanjingshe geraten ist und er hasst mich dafür. Er hat mich deshalb auch töten wollen. Ich als der Bruder jener Person, die für Ahavas Tod mitverantwortlich ist, kann ihn nicht glücklich machen.“ „Ich glaube, dass diese Sorge unbegründet ist“, meinte Sergej und nahm sich aus seinem kleinen Metallkistchen eine Zigarre heraus und zündete sie sich an. „Araphel sieht Sie gar nicht mehr als Feind in dem Sinne an, dass Sie der Bruder von Lawrence sind. Er sieht Sie als Sam Leens an und er will Sie beschützen, weil Sie dieselbe aufrichtige und gutherzige Art wie Ahava haben. Sie tragen das gleiche Licht in sich wie sie und dieses Licht ist es auch, das Araphel selbst in den dunkelsten Zeiten nicht aufgeben lässt. Denken Sie daran: ein Löwe ist nur so lange so stark, wie er ein Rudel hat, für das er kämpfen kann. Das ist seine Motivation. Araphel hat die Familie und die befreiten Sexsklaven, die er zusammen mit Ahava damals gerettet hat sowie der Arzt und der Informant, sind inzwischen seine richtige Familie geworden. Aber er hält sie auf Abstand, weil er genau weiß, dass sie seinetwegen in Gefahr geraten. Denn Shen wird nicht zulassen, dass das Licht in Araphels Herz zurückkehrt. Er will ihn zu sich in die absolute Finsternis hinabziehen und darum wird er jeden vernichten, der ihm wichtig ist. Aber Sie waren kein Feind der Triade, als Araphel Sie zu sich geholt hat. Sie haben sich freiwillig zu einem solchen gemacht, weil Sie den Mut oder vielleicht auch den Wahnsinn aufgebracht haben, Araphel zu beschützen und ihm zu zeigen, dass er nicht alleine kämpft. Sie haben sich Shen in den Weg gestellt und ich denke, dass das Araphel die Augen geöffnet hat. Vielleicht kann er es nicht in Worten ausdrücken, weil er nicht weiß wie, oder weil er nicht schwach erscheinen will. Aber Sie sind für ihn eine sehr wichtige Person in seinem Leben geworden und darum wird er Sie genauso beschützen wie die anderen und für Sie kämpfen, wenn er es mit der Triade aufnimmt. Das liegt eben in seiner Natur. Sie müssen keine Kämpfe gegen Shen bestreiten oder sich die Hände schmutzig machen. Ich glaube, das würde Araphel genauso wenig wollen, weil er alles daran setzen wird, dass das Licht in Ihrem Herzen nicht getrübt wird. Nein, Sie sollen ihm einfach in den Momenten beistehen, in denen es ihm an Kraft fehlt und wo er jemanden braucht, der ihm Halt gibt, wenn er ins Wanken gerät. Ich weiß, dass Sie niemals einem Mafioso helfen werden, das sind Ihre festen Prinzipien und die respektiere ich. Deshalb will ich Sie nicht als Patriarch bitten, sich um den Bostoner Löwen zu kümmern. Nein, ich bitte Sie als besorgter Familienfreund, sich um meinen Schützling zu kümmern. Würden Sie mir diesen Gefallen erweisen?“ Sergejs lange Worte hatten Sam sehr zum Nachdenken gebracht und er sah wieder das Bild von Araphel vor sich, wenn er erschöpft und bedrückt gewirkt hatte, sah seinen von unzähligen Narben entstellten Rücken. Er dachte daran, wie viel er durchgemacht hatte und trotzdem noch weiterkämpfte, obwohl er selber innerlich litt. Er war ein Löwe und kämpfte selbst dann noch weiter, wenn man ihm die Achillessehnen durchtrennt hatte und er nicht mehr laufen konnte. Vielleicht war es ja irgendwie Schicksal, dass es so gekommen war wie jetzt. Dass Sam Leens in diese Falle gelockt und bei seiner Flucht von einem Auto angefahren worden war, damit er ähnliches durchmachte wie Araphel und ihn somit am besten verstehen konnte. Vielleicht war es Fügung gewesen, dass es so gekommen war wie jetzt, dass er nun mit der Aufgabe betraut wurde, Araphel beizustehen, damit er weiterhin die Kraft aufbringen konnte, Shen die Stirn zu bieten. „Tut mir leid, Mr. Camorra, aber es ist nicht meine Art, einfach nur untätig da zu sitzen und Araphel den Kopf zu tätscheln und ihn alles alleine machen zu lassen und mich auf ihn zu verlassen“, erklärte der Detektiv schließlich. „Ich werde Shen auf meine Weise bekämpfen. Ich werde die Korruption innerhalb der Polizei bekämpfen und dafür sorgen, dass diese Vendetta endlich ein Ende findet und Shen seine gerechte Strafe erhält. Damit ist nicht nur Araphel, sondern allen besser geholfen. Ich werde für Araphel da sein, aber ich werde meine Zeit hier sicher nicht bloß damit verbringen, ihm den Kopf zu tätscheln und ihm mein Bedauern ausdrücken für das, was passiert ist.“ Er rechnete erst damit, dass Sergej entweder verärgert oder spöttisch darauf reagieren würde. Doch stattdessen schmunzelte der Mafiaboss und rückte seine Brille zurecht. Er sah zufrieden aus. „Sie kommen wirklich nach Ihrem Vater“, meinte der 51-jährige schließlich und erhob sich. „Dann verlasse ich mich darauf, dass Sie sich dennoch gut um meinen Schützling kümmern werden. Und seien Sie bitte so gut und erzählen ihm nichts von der Diagnose. Er braucht es noch nicht zu wissen und ich hätte gerne selbst den Zeitpunkt bestimmt, an dem er es erfährt.“ Damit verabschiedete Sergej sich mit einem kräftigen Händedruck und ließ Sam allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)