Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Kapitel 33: Araphels Abschied ----------------------------- „Wer auf Rache sinnt, der reißt seine eigenen Wunden auf. Sie würden heilen, wenn er es nicht täte.“ Sir Francis von Verulam Bacon, Philosoph Der Wind war eisig und der Himmel war stark bewölkt. Es war totenstill auf dem Friedhof und Araphel stand am Grab seiner Schwester und hatte ein Grablicht angezündet und einen Strauß weißer Lilien hingelegt. Obwohl er erst vor wenigen Tagen ihr Grab besucht hatte, nachdem er Christine, Yin und Asha zu Grabe getragen hatte, so hatte er dennoch den Wunsch verspürt, sie wieder zu besuchen und ein wenig mit ihr zu reden. Es tat ihm auch ganz gut, nachdem er nun auch Morphius und Dr. Heian aus der Villa geworfen hatte, nachdem sie in den Zeugenschutz aufgenommen worden waren. Nach und nach fügte sich alles so, wie es kommen sollte. Sam war in Sicherheit und die anderen auch. Nun galt es nur noch, die letzten Schritte einzuleiten und zu tun, was getan werden musste. Dann würde alles ein Ende finden. Die Triade würde Geschichte sein, die Vendetta würde endlich vorbei sein und Sam, Morphius und Dr. Heian würden wieder ihr normales Leben führen können. Er hatte alles sehr intensiv durchdacht und es als das Beste angesehen, eine schwere Entscheidung zu treffen. Zuerst war es ihm nicht leicht gefallen, aber nachdem er sehr lange und intensiv darüber nachgedacht hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass es das Beste für alle Beteiligten war. Jede andere Entscheidung hätte nur Unglück nach sich gezogen und nun, da sich das FBI eingeschaltet hatte, musste er nur noch auf den richtigen Moment warten. Und wenn es soweit war, würde die letzte und endgültige Konfrontation folgen. Dieses Mal würde es enden und kein Weg würde drum herum führen. „Hallo Schwesterherz“, grüßte er sie und betrachtete ihren Grabstein. Vorsichtig strich er mit seiner Hand darüber und entfernte ein paar Blätter, die darauf lagen. „Du darfst dich freuen: es wird bald alles vorbei sein. Dann wird dieser Bastard für das bezahlen, was er dir und den anderen angetan hat. Ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass er in der Hölle schmoren wird. Aber weißt du, trotzdem beschäftigen mich immer noch gewisse Dinge. Dinge, die dich betreffen und die ich dich immer wieder frage, auch wenn ich weiß, dass du mir keine Antwort geben kannst. Warum hast du nicht mit mir geredet und dir helfen lassen? Wir hätten vielleicht einen Weg gefunden, damit es dir besser geht. Ich hätte dir doch helfen können. Aber… du wolltest ja meine Hilfe nicht. Hast du mich gehasst, weil ich dir das alles nicht ersparen konnte? Warst du enttäuscht von mir, weil ich mein Versprechen nicht halten konnte, dass ich niemals zulassen werde, dass dir etwas passiert? Nun, Fakt ist, dass ich leider nicht mal annähernd so stark bin, wie ich es mir wünsche. Ich habe weder dich beschützen können, noch konnte ich Christine, Yin und Asha retten. Ich bin gänzlich unfähig, überhaupt jemanden zu beschützen. Und es tut mir wirklich leid. Wenn ich wenigstens stärker gewesen wäre, dann hätte ich euch alle retten können. Aber ich möchte, dass du weißt, dass du mir alles bedeutet hast. Du warst immer der wichtigste Mensch in meinem Leben gewesen und alles, was ich wollte war, dass du glücklich bist. Aber letzten Endes bist du nur wegen mir in diese ganze Sache hineingezogen worden. Ich hoffe, dass du mir das irgendwann verzeihen kannst. Und ich hoffe, dass du mir verzeihen wirst, wenn ich dir sage, dass es heute das letzte Mal ist, dass ich dich besuchen komme. Nicht, dass ich keine Lust mehr hätte, dich zu besuchen. Das ist es nicht. Aber… es wird mir leider nicht mehr in Zukunft möglich sein, dich zu besuchen.“ Tief atmete Araphel durch und spürte, wie ihn die Emotionen zu überwältigen drohten und es kostete ihn unsägliche Mühe, dagegen anzukämpfen. „Weißt du… es stimmt, was Shen gesagt hat. Ich kann niemanden beschützen. Ich kann nur zerstören. Egal was ich auch tue, ich kann nicht verhindern, dass die Menschen sterben, die mir etwas bedeuten. Erst Dad, dann du, dann Christine, Asha und Yin, dann Sergej… ich bin müde, Ahava. Ich kann das alles nicht mehr. Ich fühle mich müde und erschöpft. Obwohl ich erst 31 Jahre alt bin, fühle ich mich, als hätte ich das Leben schon längst hinter mir und ich komme mir vor, als wäre ich schon ein alter Mann. Und da verstehe ich auch Sergejs Verhalten. Das Leben in der Mafia zehrt einen aus, vor allem diese Geschichte mit Shen. Ich habe keine Kraft mehr, um diesen Terror noch weitere vier Jahre auszuhalten. Ich kann nicht noch jemanden in meiner Nähe sterben sehen. Besonders nicht Sam. Wenn ihm etwas passiert, könnte ich mir das niemals verzeihen. Und… ich glaube auch nicht, dass ich das durchstehen könnte, nachdem ich euch schon alle verloren habe. Wirklich jeder, der in mein Leben tritt, stirbt. Ich bin das alles so leid. Glaubst du, dass es eine Strafe dafür ist, weil ich auch andere Wege gehe, um zu überleben? Meinst du, wir hätten ein ganz anderes Leben führen können, wenn wir in ein anderes Flugzeug gestiegen wären? Hätten wir es dann besser gehabt, oder wären wir nur im nächsten Waisenhaus gelandet, oder hätten in Israel auf der Straße leben müssen? Ich wünschte, ich wäre tatsächlich so stark, wie alle von mir behaupten. Aber ich bin es nicht. Ich bin schwach und ich zweifle auch an mir, dass ich es wirklich schaffen kann. Aber wenn es jetzt nicht endet, wann dann? Es hat schon zu viele Opfer gegeben und es wird erst aufhören, wenn Shen endlich tot ist. Alle wissen, dass er zu gefährlich ist, um am Leben zu bleiben. Seine Macht hier in Boston ist zu groß und die Yanjingshe in Shanghai hat über viertausend Mitglieder. Das ist mehr, als Charles Manson in seiner Sekte hatte. Und ich glaube, das FBI weiß es auch und sie haben auch längst erkannt, dass es kaum einen Weg gibt, Shen auf normalem Weg zu stoppen. Er hat zu große Macht und einen zu starken Einfluss und solange er lebt, ist niemand in dieser Stadt sicher. Zwar habe ich jetzt die Camorra-Familie als Unterstützung, aber zusammengerechnet sind wir trotzdem nicht mal ansatzweise so zahlreich wie die Yanjingshe. Wenn wir es beenden wollen, dann jetzt, ansonsten hört es nie auf und diese abartigen Warenhäuser werden weiterhin bleiben. Ich muss das tun, verstehst du? Shen hat es von Anfang an geplant, dass es auf uns beide hinausläuft, weil er mich ausgewählt hat. Vielleicht, weil er irgendwelche perversen Vergnügen aus seinem Spiel zieht, oder er denkt, dass ein Lehrer von seinem Schüler niedergestreckt werden sollte. Zuzutrauen ist diesem Psychopathen eh alles.“ Mit einem leisen „ach ja“ und einem anschließenden Seufzer steckte Araphel die Hände in die Jackentaschen und betrachtete den bewölkten Himmel. Etwas Melancholisches und Müdes lag in seinem Blick. Wer ihn gesehen hätte, der hätte ihn tatsächlich für einen alten Mann im Körper eines 30-jährigen gehalten. „Meinst du, Sam wird mich hassen?“ fragte er nach einer längeren Pause. „Verübeln würde ich es ihm nicht. Aber es ist das Beste, auch für ihn. Einen besseren Weg gibt es leider nicht, diesen Mafiakrieg zu beenden und zu verhindern, dass es einen internationalen Konflikt gibt und es noch eine Vendetta nach sich zieht. Sonst hört es nie auf und ich bin es leid. Ich bin diese ständigen Fehden leid, die Geschäfte, die Auftragsmorde, die Erpressungen und das ganze Tamtam. Du weißt, ich wollte nie Mafioso werden, aber es war die Voraussetzung, wenn wir adoptiert werden wollten. Du hast mir nie Vorwürfe gemacht und obwohl du die Mafia gehasst hast, bist du immer bei mir geblieben und warst für mich da. Aber ich war wohl nie für dich da, genauso wenig wie ich für die anderen da war. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht dafür gemacht. Na wenigstens ist das Einzige, was ich tun kann, diesen Bastard endlich umzubringen. Das ist zumindest ein kleiner Trost.“ Eine kalte Brise wehte und einen Moment lang schwieg Araphel. Er schloss die Augen und stellte sich vor, dass Ahava jetzt in diesem Moment vor ihm stand. Es waren keine Spuren ihres Martyriums zu sehen und sie hatte wieder dieses lebhafte Leuchten in den Augen. Sie wirkte wieder so, wie sie früher immer gewesen war. Unschuldig vom Gemüt, fröhlich und treu. Mit einem teils warmherzigen aber auch teils traurigen Lächeln umarmte sie ihn, so wie sie es immer getan hatte, wenn sie ihn aufmuntern wollte. „Du schaffst das schon“, hörte er sie in seinem Geiste sagen. „Ich glaube an dich, Bruderherz. Bis jetzt hast du nie aufgegeben. Mach dir nur keine Sorgen um mich, ich komme schon zurecht.“ Und diese Vorstellung war so stark, dass er für einen Moment tatsächlich das Gefühl hatte, ihre Umarmung zu spüren. Doch als er die Augen wieder öffnete, wusste er, dass es nur eine Illusion gewesen war. Schließlich besuchte er ein Grab, welches noch frisch war und wo viele Blumen lagen. Der Name auf dem Grabstein lautete „Christine Cunningham“. Bevor er ging, wollte er auch sie besuchen, auch wenn es ihm schwer fiel. Zu deutlich waren noch diese Bilder, als sie kreidebleich und mit schmerzverzerrtem Gesicht blutend auf der Rückbank lag und immer schwächer wurde. Und er musste an den Anblick denken, als sie tot da lag, nachdem sie ihrem hohen Blutverlust erlag. Vor allem aber schmerzte ihn, dass sie sich im Streit getrennt hatten und er es nicht ungeschehen machen konnte, dass er sie geschlagen hatte. „Christine…“, sprach er schließlich und zündete auch ihr ein Grablicht an. „Es tut mir leid, dass ich dir so viel Kummer bereitet habe. Die ganze Zeit habe ich dich wie einen Ersatz für Ahava behandelt und dich nur unglücklich gemacht. Dabei wolltest du selber nur eine Familie und Freunde haben. Die ganze Zeit habe ich dich verletzt, obwohl ich dir nichts Böses wollte… ist das der Grund, warum du mir diese Dinge gesagt hast? Weil du wolltest, dass es mir genauso wehtut? Oder wolltest du mich bloß aus dieser Scheinwelt herausholen, dass ich durch dich auch meine Schwester retten kann? Ich wünschte, ich wäre schon viel früher zur Vernunft gekommen und es hätte nicht erst deinen Tod gebraucht, damit mir klar wird, was ich falsch gemacht habe. Bitte glaub mir, dass ich dir niemals etwas Schlimmes wollte oder dich nur als Ersatz gesehen habe. Das stimmt nicht. Vielleicht hat es oft den Anschein gemacht, weil ich es in diesem Moment einfach nicht anders zeigen konnte. Selbst nachdem du mir gesagt hast, du hättest Ahava erschossen, war ich zwar wütend gewesen, aber… ich habe dich einfach nicht hassen können. Und warum? Weil du für mich auch eine Familie warst. Für mich warst du genauso eine Schwester und ich neige wohl halt dazu, ein besonders wachsames Auge auf Schwestern zu haben. Ich wollte bei dir nicht die gleichen Fehler machen wie mit Ahava und nicht zulassen, dass du meinetwegen in Gefahr gerätst. Aber letzten Endes warst du nicht wie sie. Du hast nicht diese ruhige und sensible Art besessen wie sie und dein Licht, welches du dir bewahrt hast, war eine Selbstlüge, weil du nicht mit der Wahrheit leben konntest. Alles, was ich wollte war, dieses Versäumnis von damals ungeschehen machen und nicht zuzulassen, dass du genauso sterben musst wie meine Schwester. Doch selbst das habe ich nicht geschafft, weil ich einfach nicht in der Lage bin, jemanden vernünftig zu beschützen. Alles, was ich kann, ist zerstören. Ich kann niemanden beschützen oder retten, stattdessen werden alle ins Unglück gezerrt, die in meiner Nähe sind. Ob das von Shen geplant war, sei mal dahingestellt. Aber wenigstens sind Sam und die anderen in Sicherheit. Das FBI wird sich gut um sie kümmern und ich werde tun, was getan werden muss. Nicht, dass ich extra hergekommen bin, weil ich mich bei dir ausheulen will oder so. Nein, ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich selbst nach deiner Lüge nicht hassen kann und du für immer ein Teil meiner Familie sein wirst. Glaubst du etwa, ich könnte dir tatsächlich zutrauen, dass du meine Schwester tötest? Im ersten Moment vielleicht, aber inzwischen weiß ich, dass du das nur gesagt hast, weil du nicht wolltest, dass ich mich weiterhin mit dieser Geschichte von vor vier Jahren quäle und immer noch versuche, Ahava zu retten. Darum hast du mich auch immer auf Abstand gehalten, nicht wahr? All die Jahre dachte ich, ich müsse für dich da sein und dich beschützen, aber letzten Endes war es genau anders herum. Du hast auf mich aufgepasst, mich vor meinem Schmerz zu beschützen versucht und mir den Kopf gerade gerückt, wenn es von Nöten war. Du hast Sam beschützt, weil du wusstest, wie viel er mir bedeutet und du nicht wolltest, dass ich denselben Schmerz erleide wie bei Ahavas Tod. Bis zuletzt hast du alles getan, um das zu beschützen, was mir lieb und teuer war. Dafür möchte ich dir aufrichtig danken. Christine, ich möchte dir danken, dass du bis zuletzt als große Schwester für mich da warst und vier Jahre lang auf mich aufgepasst und mir das gerettet hast, was ich so sehr liebe. Und bitte verzeih mir, dass ich dir kein besserer Bruder sein konnte. Aber ich verspreche dir, dass es bald vorbei sein wird. Pass du nur gut auf die anderen auf, ich für meinen Teil werde diese Fehde ein für alle Male beenden und nicht zulassen, dass noch jemand aus unserer Familie stirbt. Sei mir bitte nicht allzu böse, wenn ich dich in Zukunft nicht mehr besuchen kann. Ich wollte wenigstens, dass du weißt, wie ich wirklich denke und fühle und die Dinge ein für alle Male klarstellen. Und mach dir keine Sorgen um mich, ich komme schon zurecht. Ich bin schon immer zurechtgekommen.“ Und nachdem er auch Yin, Asha und Sergej einen letzten Besuch abgestattet und lange zu ihnen gesprochen hatte, begannen die ersten Tropfen vom Himmel zu fallen. Hieraufhin kehrte der Mafiaboss zu seinem Wagen zurück und fuhr nach Hause. Und binnen weniger Sekunden brach ein gewaltiger Regenguss herein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)