Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Kapitel 38: Trauer ------------------ „Rächt euch nicht selber, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein, ich werde vergelten, spricht der Herr.“ Bibel, Römer 12.19 Es hatte eine Weile gedauert, bis Sam und Morphius den Aufenthaltsort von Araphel herausgefunden hatten. Wie sich herausgestellt hatte, war er unter einem falschen Namen ins Paradise Hotel abgestiegen und als sie dort eingetroffen waren, hatte der Mafiaboss schon längst wieder das Hotel verlassen. Durch Sams Geschick konnten sie sich dennoch Zutritt zu seinem Zimmer verschaffen und nachdem sie trotz intensiver Suche nichts gefunden hatten, wo Araphel hingegangen sein könnte, hatte Morphius dann doch den Einfall gehabt, Roy den Chauffeur anzurufen und ihn zu fragen. Der Informant schaffte es, durch ein wenig Redegewandtheit herauszufinden, dass Araphel in der Bridge Street war. Mehr wüsste der Chauffeur nicht, da er ihn schon am Anfang der Straße abgesetzt hatte und danach wieder zurückfahren musste. Nun, damit stand für Sam alles fest: die alte Fabrik. Das war der ideale Treffpunkt, wenn man eine letzte Konfrontation durchführen wollte und die Polizei dabei möglichst wenig mitbekommen sollte. Also waren sie zur Bridge Street gefahren. Inzwischen war es schon dunkel geworden und die Uhr zeigte auch schon, dass es bereits nach 21 Uhr war. Morphius saß auf dem Beifahrersitz und stand kurz davor, sich noch eine Zigarette anzuzünden. Doch dann murmelte er ein kurzes „Ach scheiß drauf“, kurbelte das Fenster herunter und warf die Zigarette mitsamt der Schachtel hinaus auf die Straße. Sam sah dies aus den Augenwinkeln und erkundigte sich „Ist dir die Lust zum Rauchen vergangen?“ „Wird Zeit, dass ich mal aufhöre. Ich meine… Yu-chan wird mir den Kopf abreißen, wenn ich in der Nähe unserer kleinen Prinzessin qualme. Irgendwie ist es schon ein komisches Gefühl zu wissen, dass alles bald vorbei ist. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an und es schien kein Ende nehmen zu wollen. Und dann soll alles so plötzlich einen Abbruch finden, weil Araphel beschließt, zusammen mit Shen zu sterben. Das sieht ihm wirklich ähnlich…“ „Hoffentlich können wir ihn zur Vernunft bringen“, murmelte Sam und bog auf die Colton Street ein. „Aber so wie ich ihn inzwischen kenne, ist er ein absoluter Sturkopf, der sich rein gar nichts sagen lassen wird.“ „Ja und die Frage ist, was wir dann tun sollen.“ „Lieber erschieße ich Shen selber. Dann gibt es keinen Mafiakrieg in Boston und ich könnte nach Kanada oder Mexiko auswandern, wo die Triade mich nicht findet. Ist zwar auch nicht das, was ich mir unter Gerechtigkeit vorstelle, aber es bringt nichts, diesen Psychopathen wieder verhaften zu wollen. Solange keine neuen Beweise geliefert werden können, darf Shen nicht noch mal für dieselben Verbrechen angeklagt werden. Und solange er auf freien Fuß ist, ist niemand von uns sicher.“ Morphius betrachtete Sam mit seinem Blick, der stets etwas von dem eines mürrischen Katers hatte und dachte nach. Ihm war nicht entgangen, wie sich Sam verändert hatte. Zu Anfang, als er ihn kennen gelernt hatte, war Sam ein idealistischer und fast schon naiver Trottel gewesen, doch nun erkannte dieser so langsam, wie vertrackt die Situation in Wirklichkeit war. Und er hatte vor allem gemerkt, wie stark die Verbindung zwischen ihm und Araphel war. Dabei stellte er sich auch besonders die Frage, ob Araphel diese drastische Entscheidung deshalb getroffen hatte, weil seine Sorge so groß war, Sam zu verlieren. Oder steckte vielleicht etwas anderes dahinter? Welche Gedanken hatte sich Araphel gemacht und wie viel wusste Victor Camorra davon? Morphius war nicht blöd. Der Patriarch hatte sich ja wohl kaum zum Spaß umbringen lassen. Nein, er hatte darauf abgezielt, dass sein Sohn Araphel aktiv im Kampf gegen die Triade unterstützte. Und nun war nun die Preisfrage, ob Sergej wohl weitere Pläne gehabt hatte. Die Ermordung der Unterbosse zum gleichen Zeitpunkt war ein Schachzug gewesen, den es zuletzt bei Stephen Mason gegeben hatte. Sie wurde von manchen auch das Corleone-Manöver genannt und von alleine wären wahrscheinlich weder Araphel noch Victor darauf gekommen. Nein, es sah eher danach aus, als hätte der Patriarch diese Idee gehabt. Nur der Zeitpunkt der Durchführung war Victor und Araphel überlassen worden. Und gemäß dem Fall, dass es so war, dann fragte er sich, ob Sergej wohl auch mit einkalkuliert hatte, wie es enden würde. Nämlich dass Araphel sterben würde. Ob er das wirklich zugelassen hätte? Das wäre nur schwer vorstellbar, vor allem weil Morphius von dem Versprechen wusste, dass Sergej sich um Araphel kümmern würde. Als sie schließlich die Fabrikhalle in der Bridge Street erreichten, sah Sam schon von der anderen Straßenseite, dass es in der Fabrik brannte. Schwarzer Rauch quoll aus den Fenstern und verdeckte den sternbedeckten Himmel. „Morph, es brennt!“ rief er und stieg aus dem Wagen. Er rannte los, so schnell ihn seine Beine trugen und wurde von einer entsetzlichen Angst ergriffen, wobei ihm tausend Gedanken durch den Kopf schossen. Was, wenn Araphel noch da drin war? Warum brannte es überhaupt in der Fabrik? Was war passiert und war da noch jemand drin? „Araphel!“ rief er und eilte in Richtung Haupteingang. Dort sah er einen jungen Mann im Anzug, den er schon mal gesehen hatte. Es war Victor Camorra. Sam rannte zu ihm hin, Morphius folgte ihm. Als Victor die beiden sah, wirkte er überrascht und er fragte auch „Was macht ihr denn hier?“, doch Sam ließ die Frage unbeantwortet, sondern wollte wissen „Wo ist Araphel und warum brennt es in der Fabrik? Was ist passiert?“ „Ihr solltet besser gehen. Das ist zu gefährlich.“ „IST ARAPHEL DA DRIN, VERDAMMT NOCH MAL?!“ Victor seufzte und gab ein „ja“ zur Antwort. Er wollte noch etwas erklären, doch Sam wollte nichts mehr hören und lief zum Haupteingang. Als er die Tür aufriss, schlug ihm eine infernalische Hitze entgegen und er musste zurückweichen, als ihm auch schon Flammen entgegenschlugen. Es brannte bereits überall. Überall war Feuer und Sam sah mit Entsetzen, wie schlimm es bereits war. Doch seine Angst um Araphel war so groß, dass er trotzdem in den Flammenherd hineingelaufen wäre, wenn Morphius ihn nicht festgehalten hätte. „Bist du verrückt?“ rief der Informant. „Du kannst da nicht reingehen, das ist zu gefährlich.“ „Aber Araphel ist noch da drin.“ Sam wehrte sich nach Leibeskräften und schaffte es, sich loszureißen und rannte los. Er legte seine Jacke schützend über den Kopf, um sein Haar zu schützen und lief geduckt, um nicht zu viel von dem Rauch einzuatmen. Überall hörte er es lodern und knistern. Es war, als würde die Hölle auf Erden toben. Eine mörderische Hitze herrschte in der Fabrikhalle. „Araphel!“ schrie er durch den Lärm der Flammen. Er lief weiter, doch die Hitze war unerträglich. Selbst die Luft, die er einatmete, brannte in seinen Lungen. Überall breitete sich das Feuer aus und etwas weiter weg sah er jemanden liegen. Es war Shen, der blutüberströmt und regungslos auf dem Boden lag, während die Flammen an seinen Kleidern zu zehren begann. Offenbar war er schon tot, oder durch den hohen Blutverlust ohnmächtig geworden. Doch wo war Araphel? Sam rief weiter nach ihm und tatsächlich konnte er etwas weiter weg noch jemanden liegen sehen. Allerdings musste er seine Augen anstrengen, denn durch den vielen Rauch war es kaum möglich, überhaupt noch irgendetwas zu sehen. Außerdem tränten seine Augen durch die Hitze und den vielen Qualm, durch den er auch noch einen heftigen Hustenanfall bekam. Das Gesicht konnte er nicht erkennen, nur eine groß gewachsene männliche Person mit schwarzem Haar, die einen Anzug trug. Sie lag auf den Bauch und schien bewusstlos zu sein. Araphel, schoss es Sam durch den Kopf. Das musste Araphel sein. Sofort wollte er zu ihm hin, da gab es eine Explosion und ein Feuerball schoss in Sams Richtung. Jemand packte ihn und riss ihn rechtzeitig zurück, bevor das Feuer ihn erwischen konnte. Es war Morphius. „Sam, wir müssen raus!“ rief er und versuchte ihn mit sich zu zerren, doch der Detektiv rührte sich nicht von der Stelle. „Das geht nicht“, versuchte er zu erklären. „Araphel liegt dort. Wir müssen…“ „Sam… da ist überall Feuer. Wir können nicht zu ihm.“ Es stimmte leider. Überall war Feuer und es breitete sich immer weiter aus. Doch Sam wollte Araphel nicht zurücklassen, nicht nachdem er in fast greifbarer Nähe war. Doch letzten Endes schaffte er es nicht, sich gegen Morphius durchzusetzen. Überall zersprangen die Fenster und alte Tonnen und Kanister explodierten unter der infernalischen Hitze. Wenn sie nicht sofort von hier verschwanden, würden sie hier ebenfalls sterben. Schweren Herzens folgte Sam dem Informanten und gemeinsam eilten sie wieder nach draußen. Es gelang ihnen im letzten Moment, die Fabrik zu verlassen, bevor der Ausgang endgültig durch die Flammen versperrt wurde. Kalte Nachtluft wehte ihnen entgegen und kühlte ihre Haut. Sam wankte die letzten Schritte noch, dann geriet er ins Stolpern und musste von Morphius gestützt werden. Er rang nach Luft, hustete mehrmals und musste seinen Inhalator zur Hilfe nehmen, doch sonderlich Linderung brachte es nicht. Er hatte so viel Rauch eingeatmet, dass er sich wahrscheinlich eine Rauchvergiftung zugezogen hatte. „Sam“, keuchte Morphius, dem es kaum besser ging. „Jetzt mach nicht schlapp, okay. Komm schon…“ Doch der Detektiv spürte, wie sich seine Brust zusammenschnürte. Schwindel, Benommenheit, Schmerz und Verzweiflung überkamen ihn und er spürte nur, wie Tränen seine Wangen hinunterliefen. Er war zu spät gekommen. Er hatte es nicht geschafft, Araphel zu retten. Die Feuerwehr traf kurze Zeit später ein und versuchte dem Brand entgegenzuwirken. Doch das Feuer war bereits zu groß und so beschlossen sie, wenigstens dafür zu sorgen, dass das Feuer nicht auf Nachbargebäude übergreifen konnte. So brannte die alte Fabrik bis auf die Grundmauern nieder und der Brand rief die Polizei und auch viele Schaulustige herbei. Ein Notarztwagen traf ein und Sam und Morphius wurden mit einer Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht. Da diese aber nicht allzu gravierend war, konnten sie am nächsten Tag wieder entlassen werden. Agent James und ihr Partner Agent Kazan kamen ins Krankenhaus, um zu erfahren, was das alles sollte und wieso sie abgehauen waren. Sam, der noch unter Schock stand und nicht aufhören konnte zu weinen, war außer Stande, ihnen eine vernünftige Antwort zu geben. Erst Morphius erzählte, was sie herausgefunden hatten und was sie vorgehabt hatten. Während Agent James immer noch ein wenig wütend zu sein schien, zeigte Agent Kazan deutlich mehr Mitgefühl, vor allem Sam gegenüber, der sich schwere Vorwürfe machte. Er war es auch, der schließlich erzählte, dass die Feuerwehr zwei Leichen aus der Fabrikhalle geborgen hatte. Allerdings seien die Leichen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und es war fraglich, ob eine Autopsie mehr Informationen über die Identität der Opfer liefern konnte. Doch Sam schüttelte nur traurig den Kopf und sagte „Es waren Shen und Araphel. Ich habe es gesehen.“ „Dann wären also alle drei großen Bosse tot“, stellte Agent Kazan etwas nüchtern fest und wandte sich an seine Partnerin. „Ich frage mich, ob dies auch dann das Ende der Triade ist.“ Wenige Tage später, als die Autopsie an den Leichen durchgeführt worden war, erfuhr Sam die genauen Details von Agent Kazan. Die beiden Leichen waren so verbrannt, dass sich weder DNA-Proben, noch Fingerabdrücke nehmen ließen. Lediglich an der Körperstatur ließ sich erkennen, dass es zwei männliche Leichen waren. Gebissabdrücke ergaben schließlich die genauen Ergebnisse, nämlich dass es sich bei den Toten tatsächlich um Araphel Mason und Shen Yuanxian handelte. Man fand zudem heraus, dass auf Shen mehrmals geschossen worden war. Auch in Araphels Kopf fand man ein Loch, was den Verdacht erweckte, dass er sich erschossen hatte, nachdem er das Feuer gelegt hatte. Auch die Waffe wurde sichergestellt, mit der geschossen worden war. Kaum, dass die Information draußen war, wurde es schlagartig ruhig in der Bostoner Unterwelt. Die Yanjingshe, die sowohl ihren Boss als auch sämtliche Unterbosse verloren hatte, stand ohne feste Hierarchie dar und war regelrecht hilflos. Ein Zustand, den das FBI für sich nutzte, um gegen die Mitglieder zu ermitteln. Die Mason-Familie zerfiel direkt nach der Verkündung von Araphels Tod und verlor ihre Macht in der Bostoner Unterwelt. Eine Zeit der Veränderung war angebrochen und das merkte jeder in der Stadt. Die Mason-Villa stand leer, wurde schließlich ausgeräumt und verkauft, da es niemanden mehr gab, der Anspruch auf einen Besitz erwirken konnte. Die verbrannten Überreste von Shen und Araphel wurden bestattet, ihre Tode von den Clans betrauert und bei Araphels Beerdigung fanden die letzten Überlebenden noch mal zusammen. Alle waren tief betroffen über den Verlust von Araphel. Am schlimmsten aber ging es Sam, der, als der Sarg in das Grab hineingelassen wurde, einen emotionalen Zusammenbruch erlitt und von Morphius und Dr. Heian beruhigt werden musste. Für ihn brach eine ganze Welt zusammen. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass Araphel tot war. Wäre er nur wenige Minuten früher gekommen, dann hätte er ihn retten können. Und da tröstete ihn auch die Tatsache nicht, dass Araphels Tod kurz und schmerzlos gewesen war und er keinen qualvollen Flammentod erleiden musste. Was spielte es für eine Rolle, wenn das grausame Schicksal ihm jenen Menschen genommen hatte, den er so sehr liebte? Nichts würde es ungeschehen machen und da tröstete ihn auch nicht die Tatsache, dass Araphel durch eine Kugel und nicht durch das Feuer gestorben war. Nachdem er noch ein paar Tage in der Mason-Villa gewohnt hatte, war er in sein eigenes Apartment zurückgekehrt, welches schon so lange nicht mehr betreten worden war. Seine stets unaufgeräumte und enge Junggesellenbude. Seine Familie kam ihn besuchen und wollte natürlich wissen, wo er denn gewesen war und wieso er sich so lange nicht mehr gemeldet hatte. Doch er wollte nicht darüber sprechen. Stattdessen schloss er sich die meiste Zeit zuhause ein, lag im Bett und trauerte. Selbst sein Kater Sokrates konnte ihn nicht auf andere Gedanken bringen. Es schien, als hätte ihn jegliche Hoffnung und jeder Lebenswille gänzlich verlassen und er brachte es nicht einmal fertig, sich um den Haushalt zu kümmern, einzukaufen oder etwas zu essen. Er wollte nichts zu sich nehmen. Alles war ihm gleichgültig geworden. Araphel war tot und er hatte es nicht mal geschafft, ihn zu retten. Wahrscheinlich wäre Sam noch endgültig vor die Hunde gegangen, hätten sich Morphius und Dr. Heian nicht um ihn gekümmert. Sie machten sich große Sorgen um ihn und versuchten, ihm irgendwie beizustehen, ihn zu trösten und irgendwie wieder aufzubauen. Als sie ihn vorfanden, befand sich Sam bereits in einem besorgniserregenden Zustand. Er hatte in den wenigen Tagen stark abgebaut, war ungepflegt und seine Wohnung ein unaussprechliches Chaos. Dr. Heian hatte daraus die Konsequenz gezogen, sich seines Patienten anzunehmen und setzte sich mit Strenge und Unnachgiebigkeit gegen Sams schwere Depression durch. Und er unterband auch den Konsum von Alkohol, der ebenfalls stark angestiegen war. Um ihn besser im Auge zu haben, hatte er beschlossen, dass sie Sam erst mal in ihrer Wohnung einzuquartieren, die sie übergangsweise bezogen hatten. So schlief der Detektiv bei den beiden auf der Couch, doch die meiste Zeit verbrachte er nur damit, einfach nur untätig da zu liegen und sich seiner Trauer hinzugeben. „Wäre ich doch nur fünf Minuten eher da gewesen, ich hätte ihn vielleicht retten können“, sprach er zum gefühlten tausendsten Male. „Wieso nur habe ich ihn nicht retten können? Ich war doch fast bei ihm.“ „Er war schon tot gewesen, als du in die Halle kamst“, erklärte Morphius. „Du hast doch gehört, was Agent Kazan gesagt hat. Er hat sich in den Kopf geschossen und ist gestorben.“ Doch Sam wollte das nicht so wirklich glauben. Es hatte für ihn so ausgesehen, als wäre Araphel bewusstlos gewesen. „Aber ich habe kein Blut gesehen“, wandte er ein. „Die müssen sich geirrt haben!“ „Es war alles voller Feuer und Rauch, man hat da eh kaum etwas erkennen können. Hey, Araphel hätte nicht gewollt, dass du dich so gehen lässt. Du lebst noch und er hat all das auf sich genommen, weil er dich und uns beschützen wollte.“ Doch Sam war wie taub für diese Worte. Immer und immer wieder redete er sich ein, dass er Araphel hätte retten können, wenn er nur ein bisschen früher in der Fabrik gewesen wäre. Da sich keine Besserung einstellen wollte, zog Dr. Heian die Reißleine und verschrieb ihm ein Antidepressivum und Sam nahm es erst, nachdem der Arzt ihm mehr als deutlich klar gemacht hatte, dass er ihm das Mittel ansonsten gewaltsam verabreichen würde. Und tatsächlich stellte sich eine kleine Besserung ein, als Sam das Mittel nahm. Am Abend saß Sam gemeinsam mit Dr. Heian in der Küche, während Morphius unterwegs war, um neue Informationen zu sammeln. Während Sam am Tisch saß und einen Tee trank, nachdem er sein Antidepressivum genommen hatte, stand der Arzt am Herd und bereitete das Essen zu. Mit einem schwermütigen Blick starrte Sam auf den bewölkten Himmel und dachte nach. Schließlich fragte er „Wie geht es eigentlich mit euch beiden weiter?“ „Tja, wir werden wohl von hier wegziehen“, gestand Dr. Heian. „Makoto und ich sind der Meinung, dass es besser ist, wenn wir Boston zusammen mit unserer Tochter verlassen. Hier sind zu viele schlimme Dinge passiert und es hängen zu viele schlechte Erinnerungen an diesem Ort. Wahrscheinlich werden wir nach San Francisco ziehen und dort einen Neuanfang machen.“ Einen Neuanfang… Vielleicht sollte er das auch tun. Man sagte ja, dass die Arbeit helfe, Trauer zu verarbeiten, aber wenn er ehrlich war, bezweifelte er, dass er momentan die Kraft aufbringen konnte, wieder seiner Arbeit als Detektiv nachzugehen. Er verband zu viele Erinnerungen an Araphel damit. Zwar hatte er ihm mal gesagt gehabt, dass er nach Shen auch ihn zur Strecke bringen würde, aber er hatte niemals gewollt, dass es darauf hinauslaufen würde, dass beide tot waren. Und wieder stellte sich diese quälende Frage, wie viel Schuld er wohl an Araphels Tod trug. Es erschien ihm einfach so unwirklich. Araphel war ein Kämpfer, er war der Bostoner Löwe! Wieso also sollte er sich denn einfach eine Kugel durch den Schädel jagen? Das passte doch nicht zu ihm. Aber vielleicht wollte er sich das ja auch einfach nur einreden, weil er nicht akzeptieren wollte, dass Araphel für immer fort war. Und selbst wenn er sich keine Kugel durch den Schädel gejagt hatte und stattdessen an der Rauchvergiftung gestorben oder lebendig verbrannt wäre, was hätte es an der Tatsache geändert, dass er tot war? Araphel war fort und nichts und niemand würde ihn je wieder zurückbringen. Das war eine bittere Tatsache, die Sam schweren Herzens akzeptieren musste. „Ich habe ihn geliebt“, sprach er mit trostloser Stimme. „Ja“, bestätigte Dr. Heian ruhig. „Und er hat dich auch sehr geliebt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)