Kann man einen Lehrer lieben? von Reene_Michaelis ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Die Sonne ging auf, ein kleiner Lichtstahl schien in mein Zimmer. Ich blinzelte mit meinen Augen und öffnete sie vorsichtig. War es schon früh am Morgen? Ich musste leicht gähnen und drehte mich auf die andere Seite. Ich wollte noch nicht aufstehen, war ich doch viel zu müde dafür. Meine Augen fielen mir wieder zu und ich schlief erneut ein. Glaubte ich jedenfalls oder doch nicht? Es war dunkel und kalt. Langsam brachten mich meine Beine immer weiter voran. Jedenfalls schien es so, denn ich konnte meine Beine selbst nicht spüren. Als ob ich schweben würde, so fühlte es sich an. Ich konnte nichts sehen, nicht den kleinsten Schimmer konnte ich erkennen. Ich hatte Angst, große Angst. Ein Schauer lief über meinen Rücken. Wo war ich denn bloß? Ist denn niemand hier? Langsam wurde ich ungeduldig. Mein ganzer Körper schien sich immer mehr abzukühlen. Ich wollte das nicht, fühlte mich unwohl. Jetzt rief ich: "Hilfe! Hört mich jemand?! Hilfe! Kann mir denn keiner helfen?" Kleine Tränen fingen an meine Wangen herunterzulaufen. Ich fing an zu schluchzen, war verzweifelt. Was passiert mit mir? Warum befand ich mich hier, hier in dieser Finsternis und Eiseskälte? Meine Hände fingen an zu zittern, ich fror, aber zitterte auch aus Angst. Die unerträgliche Kälte schlich sich immer mehr auf meine Haut. Mir war kalt, eiskalt. War denn niemand da, der mich hätte wärmen können? Nein. Ich war allein, einsam. Es fühlte sich schrecklich an, so verlassen. Mit der Zeit wurde ich unruhiger. Verkrampft riss ich immer weiter meine Augen auf, in der Hoffnung in dieser alles verschluckenden Finsternis doch etwas sehen zu können. Auf einmal hörte ich einen Laut. Hörte sich an wie ein Lachen. Schon wieder. Was war das? Was auch immer es war, wollte es mich holen? War ich vielleicht einem hungrigen Wesen ausgesetzt, das vor hatte mich zu verspeisen? Uhh, wenn ich nur daran denke, wird mir ganz schlecht. Nun hörte ich es wieder, es war nun deutlicher zu hören, schien es doch, als würde es immer näher kommen. Erneut fing ich an zu frösteln, diesmal aber weniger wegen der Kälte, sondern viel mehr wegen der Angst. "Hihi hihi", lachte es aus einer Richtung. Es schien von meiner rechten zu kommen. Reflexartig hielt ich mir mit meinen Händen die Ohren zu. Mein Atem verlangsamte sich, wurde ruhiger und leiser. Es kostete mich viel Selbstbeherrschung, aber was sollte ich anderes machen? Nun wurde es windig und langsam duftete es nach Blumen. Blumen? War ich etwa auf einer Wiese? Es duftete herrlich süß. Kein Geräusch war mehr zu hören. Die Temperatur schien nun wärmer geworden zu sein. Ich spürte den herrlichen Wind auf meiner Haut. Es fühlte sich so sicher an, als würde mich irgendjemand oder etwas beschützen. Vorsichtig atmete ich die frische Naturluft ein. Sie war so angenehm. Was war das für ein plötzlicher Wandel? Vor ein paar Sekunden schien es erst doch noch so gruselig, ich war verzweifelt gewesen, doch jetzt wollte ich nur noch hier sein, hier an diesem herrlich, erfrischenden, entspannenden und beruhigenden Ort. Nun lief ich weiter, zwar wusste ich nicht wohin, aber meine Beine bewegten mich immer mehr voran. In diesem Moment hörte ich Motorengeräusche und ein kleines Licht war nun zu sehen. Licht, endlich! Unbedingt wollte ich es erreichen, also ging ich langsam auf es zu und blieb dann wie angewurzelt stehen. Vor meinen Augen befand sich eine Straße, sie war groß und es war viel Verkehr. Ich sah nach rechts, sah mich etwas um. Viele Stimmen waren zu hören. Jetzt sahen mich zwei wundervolle, liebe Augen an. Zärtliche Lippen lächelten mich sanft an. Wer war das? Es war ein Mann, recht groß. Er schien noch recht jung zu sein, vielleicht um die vierundzwanzig Jahre oder so. Besonders gut war ich ja nie im Schätzen, aber meine Fantasie sagte es mir einfach. Vorsichtig betrachtete ich den hübschen, jungen Mann. Langsam war ich der Meinung, dass er aussah wie Herr Shinozuka. Was machte er hier? Wo waren wir hier eigentlich? Ich kenne diese Straße nicht, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, sie jemals gesehen zu haben. Seltsam... . Ein leichter Wind wehte nun durch meine Haare. Wie sie im schwachen Sonnenlicht glänzten, rötlich braun. Die Sonne blendete mich etwas und ich kniff kurz die Augen zu. Als ich sie wieder öffnete, stand ein großer Junge neben mir. Ich sah zu ihm hoch. Er musste mindestens einen Kopf größer sein als ich. Seine schwarzen Augen blickten auf die Straße. Er wollte wahrscheinlich gleich rüber auf die andere Seite. Ich sah mich etwas um und bemerkte jetzt erst, dass ich an einer Ampel stand, viele Menschen standen hinter und neben mir. War ich in einer Großstadt? Von links kam nun eine S- Bahn angefahren. Sie fuhr an mir vorbei. Danach wurde die Ampel grün. Es war nicht die einzige, sondern nach ihr kamen noch zwei weitere Ampeln, die man überqueren musste, um auf die andere Seite zu gelangen. Es war laut. Überall waren Autos, Motorräder und Busse zu hören. Fast schon wie in Trance ging ich weiter die Straße hinüber. Immer wieder blickte ich zu dem jungen Mann, der mich als erstes so angesehen hatte. War er wirklich Herr Shinozuka? War es wirklich mein Japanischlehrer? Ja, kein Zweifel, er musste es sein, er war es. Drüben auf der anderen Straßenseite angekommen, drehte ich mich um und sah zu Herrn Shinozuka. Er war nun auch fast auf dem Bürgersteig, es fehlten nur noch wenige Meter. Die Ampel war noch grün, das heißt, er konnte sich noch etwas Zeit lassen. Ich musterte ihn und sah in seine Augen. Sie waren bronzefarben, so schön wie immer. Nun sah er mich auch wieder an und musste etwas lächeln. Seine Lippen sahen so wundervoll aus, am liebsten hätte ich sie mit den meinigen berührt. Wir beide waren in unsere Gedanken vertieft, sahen uns nur noch an und lächelten. Ich wurde etwas rot. Er scheint mich wirklich zu mögen, es konnte keine Einbildung sein. Durch unsere Träumerei merkten wir nicht, dass sich die Ampel wieder auf rot gestellt hatte. Die Autos fuhren langsam wieder und der Lärm ertönte lauter. Jetzt kam ein Porsche Boxster die Straße langgebrettert, Herr Shinozuka immer noch auf der Straße. Erst jetzt merkte er, dass er weiterlaufen musste. Es ging alles in Sekundenschnelle. Der Porsche kam immer näher gefahren und dann war es passiert. Der Fahrer nahm keine Rücksicht und riss so meinen lieben Japanischlehrer mit. Nein. Das konnte nicht sein, nicht er. Warum ausgerechnet Herr Shinozuka? Ich will ihn nicht verlieren! Hätte der Autofahrer nicht aufpassen können?! Oder war es vielleicht geplant? Sollte es einfach nicht sein, dass mein japanisch Lehrer und ich uns wohlmöglich mochten? Durften wir das nicht, war es uns nicht erlaubt? Hasste uns das Schicksal? Warum? Wieso? Nein. Ich versuchte nun nach Herrn Shinozuka zu schreien, doch es kam kein Ton über meine Lippen. Das Auto schleppte meinen hilflosen Lehrer immer mehr mit, bis es schließlich über ihn hinweg fuhr. Die Autos, die dies nun sahen, hielten nacheinander an. Auf der gesamten Straße bildete sich ein langer Stau. Zum Glück waren die anderen Fahrer rücksichtsvoller. Vielleicht gab es noch Hoffnung. Ich sah zu meinem Lehrer, sah wie reglos er am Boden lag. Vorsichtig ging ich mit kleinen Schritten in seine Richtung. Auf dem Asphalt bildete sich eine dunkle Blutlache um seinen Körper. Es durfte einfach nicht vorbei sein. Er hatte es nicht verdient. Er war doch kein schlechter Lehrer, wenn man ihn jedenfalls etwas mehr kannte. Tränenüberlaufen lief ich immer weiter auf ihn zu. Einige Menschen standen an der Seite der Straße und sahen nur dumm zu, andere hatten sich zu ihm niedergekniet und versuchten ihn mit allen Mitteln zu retten. Mit jedem Schritt, den ich in seine Richtung tat, pochte mein Herz immer ungleichmäßiger und schneller. Ich war sehr nervös, aufgeregt, durcheinander. So richtig konnte ich noch nicht realisieren, was gerade geschehen war. Es durfte nicht wahr sein, es konnte einfach nicht passiert sein. Nicht doch Herr Shinozuka, nicht genau er. Als ich bei ihm war, hockte ich mich neben ihn und sah ihn an. Ich sah in seine glänzenden, bronzefarben und voller Tränen gefüllten Augen. Sie waren erstarrt, so schien es jedenfalls und möglicherweise waren sie das auch wirklich. Warum? Diese Frage schoss mir ständig durch den Kopf. Warum er? Wieso kein anderer, sondern weshalb Herr Shinozuka? Ich konnte nicht fassen, was passiert war. Langsam kam ich zur Erkenntnis, dass er keine Anzeichen des Lebens mehr zeigte, er hatte aufgehört zu atmen. Meine Tränen liefen nur so in Strömen über meine zarten Wangen. Meine Nerven waren am Ende. Ich wollte ihn nur noch lebendig sehen, doch es war vorbei, zu spät, um ihm zu sagen, was ich wirklich für ihn empfand. Vorsichtig wollte ich ihm jetzt sanft über seine Wange streicheln, doch... Meine Augen öffneten sich und ich schreckte hoch. Wo war ich? Vorsichtig sah ich mich um. Ich war in meinem Zimmer. Alles war wie sonst. Es war ruhig, sehr ruhig. Unheimlich. Also war es nur ein Traum? Wahrscheinlich, ist wohl auch viel besser so. Nun sah ich auf die leere Seite meines Bettes neben mir. Sofort schrie ich auf und war vom Bett gesprungen. Auf ihm lag eine Leiche, blutüberströmt. Wer war das? Das Gesicht der Person war mit einem meiner Kissen verdeckt und ich konnte den Menschen nicht identifizieren. Sollte ich es wagen? Sollte ich wirklich das Kissen von dort wegnehmen? Ich kann nicht, es war viel zu furchtbar. Ein toter Mensch? In meinem Zimmer, in meinem Bett, genau hier? Nein, unmöglich. Der Traum war doch schon Horror für mich, aber das hier war real. Ich begann zu zittern vor Angst. Sollte ich das Kissen nun doch von diesem Gesicht wegnehmen? Ich zögerte, lange, doch dann riss ich es weg und erstarrte plötzlich. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich mir dieses wunderschöne Gesicht an, wäre es jedenfalls wunderschön, wenn es nicht so mit Blut beschmutzt wäre. Was ich jetzt sah, werde ich wohl nie vergessen. Dieser Mensch, die sich nicht regende Leiche, war Herr Shinozuka. Sofort sackte ich zusammen. Mir war schwarz vor Augen geworden und ich war bewusstlos. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)