Erwachen von BloodyRubin (Nichts ist, wie es scheint) ================================================================================ Kapitel 11: Der große Fehler ---------------------------- Als Kenjiro erwachte, war ihm immer noch etwas schwindelig. Nachdenklich lag er auf seinem Bett und starrte an die Decke. Er war enttäuscht. Dass es ihm nicht gelungen war, das luzide Träumen einzusetzen, lastete schwerer auf ihm als das, was er während des Schlafes gesehen hatte. Es war, als hätte sich auch seine letzte Hoffnung zerstört. Trotzdem hatte er seinen Entschluss nicht aufgegeben. Langsam stand er auf und ging in das Badezimmer. Aus dem Spiegel blickte ihm ein völlig übermüdeter Kenjiro entgegen. Wenn es so weiterging, konnte er sich bald nicht mehr draußen blicken lassen. Der Braunhaarige schüttelte den Gedanken ab und trat unter die Dusche. Das heiße Wasser weckte seine Lebensgeister zumindest so weit, dass er sich entschied, heute wieder zur Schule zu gehen. Er trat aus der Dusche und griff nach seiner Zahnbürste. Und dann sah er etwas, was ihn dazu brachte, überrascht aufzuschreien. Neben dem Zahnputzbecher lag eine einzelne, silbern leuchtende Feder. „Kenjiro? Geht es dir gut?“ hörte er seine Mutter rufen. Offenbar hatte sie seinen Schrei gehört. „Ja...entschuldige.“ erwiderte er, ohne seine Augen von dem Ding vor ihm abzuwenden. Wieder wurde ihm schwindelig und er stütze sich an das Waschbecken. Das war doch überhaupt nicht möglich. Hatte er jetzt schon Halluzinationen? Warum sah er die Feder, obwohl er wach war? Behutsam streckte er die Hand danach aus, doch seine Finger glitten durch die Feder hindurch. Anscheinend konnte er sie nur sehen, aber nicht berühren. Langsam zog er sich in sein Zimmer zurück und nahm sich frische Kleidung aus seinem Schrank. Dann ging er nach unten, wo er von seiner Mutter erwartet wurde, die ihn sorgenvoll anblickte. „Warum hast du eben denn so geschrien?“ „Ich...habe mich gestoßen.“ log Kenjiro hastig. „Tatsächlich? Mir kam es eher so vor, als hätte dich etwas erschreckt.“ „Wirklich, es geht schon wieder. Musst du nicht zur Arbeit?“ „Doch, ich bin auch gleich weg. Ich wollte dir nur sagen, dass ich einen Anruf von der Schule bekommen habe. Es gab einen Wasserrohrbruch und deshalb bleibt die Schule erst einmal geschlossen.“ „Oh...danke, dass du mir Bescheid gegeben hast.“ „Gerne doch. Du, ich muss dich noch etwas fragen. Würdest du nachher kurz zum Supermarkt gehen und dort ein paar Sachen einkaufen? Ich muss heute länger arbeiten. Die Einkaufsliste und das Geld liegen auf dem Tisch in der Küche. Das Restgeld darfst du behalten..“ „Ja, natürlich.“ sagte der Braunhaarige und seine Mutter umarmte ihn fest, ehe sie ihn kurz auf die Stirn küsste. „Danke, mein Schatz. Bis nachher dann.“ „Ja, bis später.“ Als seine Mutter gegangen war, machte er sich in den Weg in die Küche. Tatsächlich lagen dort eine Einkaufliste und Geld. Kenjiro überflog die Liste und stutzte. Wenn seine Rechnung nicht falsch war, hatte seine Mutter ihm viel zu viel Geld hingelegt. Falls er alles besorgte, was sie aufgeschrieben hatte, würde er 5.946,84 Yen zurückbekommen. Dann fiel ihm noch etwas ins Auge. Am Kühlschrank hingen ein Flyer und eine Notiz. Der Flyer zeigte ein erleuchtetes Riesenrad, unter dem von einem Stadtfest berichtet wurde. Auf der Notiz stand mit leicht geschwungener Schrift: `Viel Spaß, mein Liebling. Bitte sei spätestens um halb zwölf zurück.´ „Danke, Mama.“ flüsterte er in den leeren Raum und lächelte. Dann packte er seine Sachen zusammen und ging nach draußen. Draußen war es sonnig und warm, was seine Laune noch weiter steigerte. Nachdem er die Einkäufe erledigt hatte, verbrachte er noch etwas Zeit damit, ein PC-Spiel zu Ende zu spielen, ehe er in die Stadt fuhr, wo bereits reger Betrieb herrschte. Plötzlich legten sich zwei Arme um ihn und er spürte warmen Atem an seiner Wange. „Hallo, Streber.“ Der Braunhaarige grinste und lehnte den Kopf zurück, so dass seine Wange über die des anderen strich. „Hallo, Pummelchen. Hast du mich so sehr vermisst?“ „Konnte an nichts anderes denken.“ antwortete Izuya und löste sich von Kenjiro. „Seid ihr bald fertig mit Rumturteln?“ erkundigte sich Sayuri und trat an sie heran, Taku und Ryo im Schlepptau. „Mensch, Sayuri. Du hast echt ein Talent dafür, den Moment zu ruinieren.“ meinte Izuya und tat so, als ob er schmollte. Hätte er dabei nicht so stark das Lachen unterdrückt, wäre seine Vorstellung sicher glaubwürdiger ausgefallen. „Wollt ihr auch zum Fest?“ „Ja.“ sagte Taku und schüttelte Kenjiro die Hand. „Ryo liebt diese Feste. Ich soll ein wenig auf ihn aufpassen.“ „Ich brauche keinen Babysitter. Ich bin schließlich schon zehn.“ „Das stimmt zwar, aber noch bist du für so ein Fest zu jung. Mutter würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich aus den Augen verliere und dir dann etwas zustößt.“ Unwillkürlich musste Kenjiro an seinen letzten Traum denken. Sofort schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken zu verdrängen. Glücklicherweise bemerkte niemand etwas. „Also, wollen wir irgendwo was trinken? Ich gebe einen aus.“ drang Izuyas Stimme zu ihm durch. Die anderen stimmten zu und sie traten an einen der Verkaufsstände. Nachdem alle ihre Getränke hatten, hob Izuya seine Flasche. „Auf die schadhaften Rohre der Schule, die uns weitere Zeit für vergnüglichere Dinge geschenkt haben.“ „Hört, hört.“ erwiderten der Braunhaarige und Sayuri. Taku lächelte nur leicht, doch auch er hob seine Flasche und sie prosteten sich zu, ehe sie tranken. „Also, was habt ihr vor?“ wollte Sayuri wissen. „Ich will ins Riesenrad.“ kam es sofort von Ryo. „Na schön. Aber mach keinen Blödsinn, Zwerg.“ „Nenn´ mich nicht immer Zwerg!“ rief Ryo und trommelte mit seinen Fäusten gegen Izuyas Bauch, der anfing zu lachen. Zusammen reihten sie sich in die Schlange vor dem Riesenrad ein und bekamen eine Kabine für sich. Als alle sich hingesetzt hatten, sah Kenjiro sie wieder. Auf dem freien Platz zwischen ihnen lag die silberne Feder. Der Braunhaarige hielt überrascht die Luft an. Was war denn nur los mit ihm? Er war inzwischen davon ausgegangen, dass er sich die Feder am Morgen nur eingebildet hatte. Aber da war sie und schimmerte ihm entgegen. „Alles in Ordnung?“ fragte Sayuri und sah ihn besorgt an. „Was? Ja, es geht mir gut.“ Für den Rest den Tages tat Kenjiro so, als ob er die silberne Feder gar nicht bemerken würde. Das erwies sich als schwierig, da er sie ständig vor Augen hatte. Bei dem Maskenverkäufer im Regal, beim Koikarpfen angeln am Grund des Beckens... Immer wieder tauchte dieses elende Ding vor ihm auf, schien ihn regelrecht zu jagen. „Was für schöne Kimonos.“ riss ihn Sayuris Stimme aus seinen Gedanken und er konzentrierte sich wieder auf das Geschehen. Das Mädchen hatte einen tiefgrünen Kimono mit rotem Blumenmuster in der Hand und musterte ihn bewundernd. „Ich nehme ihn.“ sagte sie entschlossen und drückte dem Verkäufer das Geld in die Hand. Auch die anderen holten sich Kimonos und gingen dann zu den Toiletten, wo sie sich umzogen. Izuyas Kimono war schwarz mit goldenem Drachenmuster. Taku hatte ein graues Festgewand mit blauen Koikarpfen. Sein Bruder hatte sich für blau mit grauen Karpfen entschieden. Kenjiro selber trug einen blutroten Kimono, auf dem – wie nicht anders zu erwarten – eine große, silberne Feder zu sehen war. Den restlichen Tag verbrachte er damit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Für das herrliche Feuerwerk, das am Abend gezündet wurde, hatte er nur wenig Aufmerksamkeit übrig. Ihm war, als hätte er etwas übersehen. Etwas sehr Wichtiges. Zum Beispiel hatte er es immer noch nicht über sich gebracht, jemandem von Shin zu erzählen. Shin, der so seltsam und geheimnisvoll war und bei dem er nicht wusste, ob er ihm vertrauen konnte. Er konnte sich noch gut an sein erstes Gespräch mit dem Schwarzhaarigen erinnern. Als er von Izuya geträumt hatte und Shin... Die Erkenntnis traf ihn völlig unerwartet. Natürlich...wie hatte er nur so dumm sein können? Warum war ihm dieses Detail nicht aufgefallen? Sich einen Volldeppen schimpfend, drehte sich Kenjiro um und rannte los. „Kenjiro? Wo willst du hin? Kenjiro!“ hörte er Sayuri rufen, doch er achtete nicht darauf. Er lief einfach weiter. Selbst als seine Lungen brannten und sein ganzer Körper schmerzte, gönnte er sich keine Pause. Erst als er vor seiner Haustür stand, stoppte er mit wummerndem Herzen und heftig keuchend. Er betrat die Wohnung und ging leise in sein Zimmer, um seine Eltern nicht aufzuwecken. Dann warf er sich vollständig angezogen auf sein Bett und wartete, bis seine Atmung sich normalisiert und die Erschöpfung ihn in den Schlaf getrieben hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)