Erwachen von BloodyRubin (Nichts ist, wie es scheint) ================================================================================ Kapitel 13: Scherbenhaufen -------------------------- Mit einem Gefühl, als hätte jemand seinen Kopf mehrfach gegen die Wand geschlagen, öffnete Kenjiro die Augen. Er war wieder in seinem Zimmer und durch das offene Fenster drangen bereits die ersten Sonnenstrahlen. Während er unter der Dusche stand, beschloss er, Izuya zu besuchen. Selbst wenn alles, was Shin gesagt hatte, aus Lügen bestand, er musste einfach auf Nummer sicher gehen. Also zog er sich um, frühstückte kurz und machte sich dann auf den Weg. Izuyas Mutter öffnete ihm die Tür, als er klingelte. Sie wirkte überrascht, ihn bereits so früh zu sehen. „Na so was. Hallo, Kenjiro. Was machst du so früh hier?“ „Tut mir leid, wenn ich störe. Ist Izuya da?“ „Ja, sicher. Es könnte aber sein, dass er noch schläft. Komm rein. Du weißt ja, wo sein Zimmer ist. Ich muss jetzt auch los. Viel Spaß euch beiden.“ „Danke.“ Er ließ die Ärztin durch und ging dann die Treppe hoch zu seinem besten Freund. Tatsächlich lag der noch im Bett und schnarchte friedlich. Leise setzte der Braunhaarige sich zu dem anderen und beobachtete, wie sich seine Brust langsam hob und senkte. Behutsam zog Kenjiro die Decke etwas hinunter, bis Izuyas halber Oberkörper frei lag. Das wurde mit einem leisen Murren belohnt und Izuya drehte sich, so dass er nun auf dem Rücken lag. Genau darauf hatte Kenjiro gewartet. Was hatte Shin noch gesagt? `Kalte Hände...leere Augen...tote Herzen...´ Der Braunhaarige atmete tief durch und legte dann eine Hand auf die Brust seines besten Freundes. Angespannt wartete er. Nichts. Kenjiro stutzte. Sicher hatte er nur einen Fehler gemacht. Er versuchte es wieder, diesmal an Izuyas Hals. Immer noch nichts. „Nein...“ flüsterte er verzweifelt. „da muss doch ein Puls sein...bitte...“ Er beugte sich hinab und legte sein Ohr an Izuyas Brust. Es war kein Herzschlag zu hören. Kühle Hände, die sich auf seine Wangen legten, ließen ihn zusammenzucken. „Guten Morgen, Streber. Du weißt wirklich, wie ich am liebsten geweckt werde.“ Kenjiro versuchte, ruhig zu bleiben. Da war es...das zweite Zeichen... „Ich muss mit dir reden.“ sagte er nur. „So ernst heute? Gefällt dir unser morgendliches Kuscheln etwa nicht?“ Izuya löste die Umarmung und setzte sich auf. Dann schwang er die Beine aus dem Bett und sah den Braunhaarigen belustigt an. „Also, was kann ich für dich tun?“ „Ich will, dass du mir ein paar Fragen beantwortest.“ „Das schien Izuya zu verwundern, aber er nickte. „Wie ist dein Name?“ „Das ist ein Witz, oder? Wie lange kennen wir uns jetzt schon? Wir sind zusammen in den Kindergarten gegangen.“ „Wie ist dein Name?“ wiederholte Kenjiro ernst. „Izuya Harabashi. Was soll das denn?“ „Wann hast du Geburtstag?“ „Am 13. Juni.“ „Welche Beziehung hast du zu deinem Vater?“ Izuya verkrampfte sich. „Kenjiro...wir hatten uns darauf geeinigt, meinen Vater nie wieder zu erwähnen...“ „Beantworte meine Frage!“ „Mein Vater ist gegangen, als ich vier war. Er ist wieder verheiratet und hat eine Tochter, die ich nicht kenne. Manchmal schreibt er mir. Ich habe jeden Brief zerrissen und in den Müll geworfen. Meine Mutter weint immer noch, wenn sie an ihn erinnert wird. Sie hat nach der Scheidung ihren Mädchennamen wieder angenommen. Reicht das?“ „Noch nicht ganz. Eine Sache fehlt noch.“ Wieder beugte sich der Braunhaarige vor und blickte seinem besten Freund tief in die Augen. Es war kein Glanz darin. Izuyas Augen waren leer, ohne Emotion. „Erklärst du mir endlich, was in dich gefahren ist?“ Kenjiro sagte nichts. Als ihm klar geworden war, dass Shin nicht gelogen hatte, war etwas in seinem Inneren zerbrochen. „Du...du bist nicht der richtige Izuya, oder?“ „Was?“ „Du bist nur eine Einbildung, habe ich Recht?“ „Hast du getrunken? Du wirst doch wohl noch deinen besten Freund erkennen.“ „Genau das ist das Problem. Du bist nicht mein bester Freund. Du bist ein Abbild von ihm. Deswegen hast du auch keinen Herzschlag, nicht wahr?“ Izuya erstarrte. „Deswegen habe ich meinen Kopf auf deine Brust gelegt. Um mir sicher zu sein. Also hat Shin Recht gehabt.“ „Wer ist Shin?“ „Jemand, der mir gesagt hat, dass mein Leben nur eine Illusion ist.“ „Das ist doch Wahnsinn. Warum sollte irgendwer so etwas tun?“ Kenjiro dachte an den Kuss und merkte, wie er rot wurde. „Weil er mich liebt und mich beschützen will.“ „Warte, er tut was?“ Izuya spannte sich an und ein Gemisch aus Unglauben und Neugierde trat in seine Züge. „Wie hast du es geschafft, dass sich ein Kerl in dich verguckt?“ „Woher soll ich das wissen? Es ist nun einmal passiert.“ „Das hätte ich wirklich nicht erwartet. Und, was ist mit dir? Fühlst du dasselbe für diesen...Shin?“ Kenjiro überlegte. Obwohl er wusste, dass vor ihm nicht der richtige Izuya saß, schien es ihm ein Bedürfnis zu sein, sich seine Gedanken von der Seele zu reden. „Ich weiß es nicht. Er hat mich mit seinem Liebesgeständnis ziemlich überrumpelt. Er ist hübsch, auf seine Art. Aber gleich zu sagen, ich würde ihn lieben...das ist schon etwas viel.“ „Hast du gerade echt einen Jungen hübsch genannt? Scheint so, als hätte es dich offenbar auch erwischt.“ „Das ist doch Blödsinn. Mich hat gar nichts erwischt.“ Sein bester Freund grinste. „Klar doch. Wenn du das sagst.“ „Ich wünschte, du wärst wirklich Izuya. Es fühlt sich seltsam an, mit einem Trugbild über mein Gefühlsleben zu reden.“ „Willst du meine Meinung hören? Ich glaube, du wolltest dich unbedingt mit jemandem unterhalten. Da ich dein bester Freund bin, ist es wohl natürlich, dass du mich ausgesucht hast. Du wolltest vor dir selbst rechtfertigen, dass du anfängst, dich in Shin zu verlieben.“ „Ich verliebe mich nicht in ihn.“ „Doch, tust du.“ Kenjiro war kurz sprachlos. Hatte Izuya Recht? Er konnte es nicht sagen. Alles in seinem Kopf wirbelte durcheinander. „Das ist bescheuert. Ich meine, ich sitze hier und rede mit einer Halluzination. Jetzt ist es amtlich: ich verliere den Verstand. Erst meine Träume, dann die Sache mit Shin und nun das.“ „Ja, du verlierst wirklich den Verstand. Eigentlich hatte ich gehofft, dass du damit aufhörst, mich als Halluzination zu bezeichnen.“ Izuya wirkte ernster, als Kenjiro ihn je erlebt hatte. „Warum bist du hier?“ „Keine Ahnung. Vielleicht, um mir sicher zu sein, dass wirklich etwas mit mir nicht stimmt. Vielleicht, weil ich gehofft habe, dass Shin doch lügt.“ Während er das sagte, wurde dem Braunhaarigen klar, dass es keinen Sinn machte, länger zu bleiben. Sein bester Freund würde an seiner Geschichte festhalten, weil Kenjiro selbst es so wollte. Was immer ihm passiert war, sein Unterbewusstsein weigerte sich, daran erinnert zu werden. Vielleicht konnte er Shin dazu bringen, ihm mehr zu erzählen. Kenjiro stand auf und ein seltsames Gefühl von Schwermut überkam ihn, als ihm klar wurde, dass es wohl das letzte Mal sein würde, dass er Izuya als richtige Person anerkannte. „Ich muss gehen. Wir werden uns wohl nicht mehr wiedersehen. Ich danke dir, Izuya.“ Dieser senkte den Kopf und als er antwortete, klang seine Stimme merkwürdig hohl. „Wofür?“ „Du und die anderen haben mich davor bewahrt, dass mein Geist vernichtet wird.“ Langsam trat Kenjiro an seinen besten Freund heran, kniete sich vor ihm hin und griff nach Izuyas Händen. „Ich werde dich immer in Erinnerung behalten. Nicht dein verzweifeltes, gebrochenes Ich, sondern dieses Ich. Den großherzigen, unbekümmerten und wunderbaren Izuya, der immer für mich da war und der jeden Blödsinn sofort mitgemacht hat. Mach´s gut, Pummelchen.“ Endlich sah Izuya wieder auf. Obwohl dicke Tränen aus seinen Augen quollen, lächelte er. „Mach´s gut, Streber. Und sag Shin, dass ich ihm viel Glück wünsche, was euch beide angeht. Ich werde die anderen von dir grüßen.“ Leicht beugte Kenjiro sich vor und küsste seinen besten Freund erst auf beide Wangen und dann auf die Stirn. „Ich werde dich vermissen.“ Izuya lächelte noch stärker, während er gleichzeitig in einen heftigen Weinkrampf verfiel. „Ich...ich werde dich...auch vermissen...Alles Gute...“ Der Braunhaarige erhob sich und ging in Richtung Tür. Kurz warf er einen Blick zurück. Izuya schluchzte ungehemmt vor sich hin. Wie er da auf dem Bett saß, nur mit einer Decke bekleidet, machte er einen herzerweichenden Eindruck. Leise ging Kenjiro auf den Flur, schloss die Tür und trat aus der Wohnungstür, hinter der ihn die altbekannte Finsternis bereits erwartete. Es wurde Zeit, zur Wirklichkeit zurückzukehren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)