Those were the days, my friend von Lenokie ================================================================================ Kapitel 1: Die heiße Sonne von Palermo (Challenge: Explosionen) --------------------------------------------------------------- Das Morgenlicht schnitt durch die Jalousien und fiel auf das ungemachte Bett. Die Einrichtung war minimalistisch, um nicht zu sagen schäbig, doch die einfallenden Lichtstreifen verliehen dem Zimmer etwas Originalität. Schaute man nicht so genau hin, konnte es sogar für Stil durchgehen. Crawford mochte das Quartier nicht, doch es hätte keinen Sinn ergeben, für einen kurzen Aufenthalt in Palermo eine schicke Villa zu buchen. Auch wenn sein Team ihn mit drei Stimmen gegen eine überzeugen wollte, brachte ihr Protest nichts: Ein weiteres Indiz für das Versagen der Demokratie als Leitprinzip der Gesellschaft. Aus dem Nebenzimmer hörte man das dumpfe Geräusch von einem heruntergefallenen Gegenstand, entweder ein umgekippter Stuhl oder ein erboster Farfarello – so mutmaßte Crawford träge während er sein Hemd zuknöpfte. Das Team war noch etwas frisch und es würde einige Zeit brauchen, bis sie sich aneinander gewöhnt haben. Kein Grund zu Sorge. Was ihn an diesem frühen Morgen weit mehr beschäftigte, war die Pressekonferenz des Bürgermeisters. Es sollte ein neues Projekt vorgestellt werden, eine gewagte, humanistische Aktion, an der so manch ein ertragreiches Mafiageschäft zu Grunde gehen könnte. Die Mafiaclans waren ohnehin eine heikle Angelegenheit. Natürlich musste Rosenkreuz sich da einmischen und die Sache in Ordnung bringen, denn es tat einer Gesellschaft nicht gut, wenn eine nicht-autorisierte Regierung zur Stande kam. Giftgrün – ein vorzügliches Rosenkreuz Vernichtungsteam, hatte die beiden Familien erfolgreich geköpft und jetzt galt es eine neue, kontrollierte Ordnung zu verbreiten. Der Bürgermeister Orlando schien sehr empfänglich für die Ideen der Rosenkreuzführung zu sein... Crawford drehte sich vor dem großen Schrankspiegel und betrachtete sich von der Seite. Sah man das Schulterholster unter dem Sakko? Eine verschwommene Version der künftigen Ereignisse flüsterte ihm zu, dass er die Waffe brauchen würde. Auch sein Verstand kam zu der gleichen Schlussfolgerung – selbst bei einer kopflosen Hydra dauerten die letzten Zuckungen einige Zeit an. Gewiss, was seinem Team nach der famosen Vernichtungsarbeit von Giftgrün blieb, war eine leichte Fingerübung. Dennoch ein schöner Auftrag, vor allem für ihren ersten Einsatz. Allemal besser als der öde Reykjavik-Aufenthalt, bei welchem sich der andere Liebling der Akademie bestimmt die Ohren und andere wichtige Körperteile abfror. Gerade das Wetter war hier angenehmer. Das in Streifen geschnittene Sonnenlicht war bereits früh am Morgen heiß und hell und brannte sich in die ausgeblichene Bettwäsche. Wie eine Säure hinterließ es nach einigen Tagen blasse, raue Spuren, die sich durch den grauen Stofftuch zogen. Crawford dagegen schenkte die Sonne einen angenehmen Teint und der deutsche Telepath weigerte sich hartnäckig ohne Sonnencreme aus dem Zimmer gehen. Die weiße Haut des Irren schälte sich ebenfalls in Streifen, blass und rot und ausgebrannt. Überall, wo er auch hin ging, hinterließ er Hautfetzen von sich, aber um seine gerötete Nase herum zeigten sich kleine, runde Sommersprossen. Das vierte Mitglied war begeistert von dem Wetter – ein junges, französisches Ding, das alle möglichen Gegenstände in die Luft hob um ihr den nötigen Schatten zu spenden. Margot schimpfte über den Iren und wetteiferte mit Schuldig um die größte Sonnenbrille und den schicksten Hut. Ihre auffällige, große Ohrringe klirrten leicht aber beständig und brachten Crawford um den Verstand. Das morgendliche Ritual des Anziehens war beinahe komplett - das fliederfarbene Hemd harmonierte gut mit dem heutigen Wetter. Ein frisch gebügeltes weißes Sakko und die gut geölte Beretta würden das Bild eines erfolgreichen Bodyguards zu vervollständigen. Lässig streifte Crawford sich eine dunkelblaue Krawatte um – das letzte fehlende Detail. Die Finger banden geübt den doppelten Windsor und aus dem Nebenzimmer hörte man irgendwas Keramisches zerbrechen. Leichtes Kribbeln flammte in Crawfords Fingerspitzen auf, doch zu spät, die Dunkelheit sammelte sich bereits an der Präferiere des Sehens und schloss mit einem Mal ihren Kreis. Grieselige Schwärze umhüllte den Orakel. Die Sonne stand hoch im Zenit. Es brannte und ein klebriger Schweißfilm sammelte sich auf seiner Stirn. Crawford nutzte die kurze Redepause des Bürgermeisters und wischte die Stirn verstohlen mit einem Taschentuch. Die Wetterprognose war seit Tagen die gleiche – trocken und heiß, heiß und trocken. Die Menschen jubelten auf dem Platz vor der großen Rednertribüne. „Langweilst du dich?“ Ein schräger Seitenblick zum Telepathen. Aus dessen verspiegelten Sonnenbrillen starrte Crawford sein eigens, verschwitztes Gesicht entgegen. Crawford war ein praktisch verlangter Mann und nutzte die Gelegenheit um seine Krawatte zu richten. „Ich kann nicht anderes. Die Dame in Grün schwärmt von dir und denkt so einen Schweinekrams… oh la la! Diese Fantasie muss ich mir merken!“ „Sprichst du von der Ehefrau des Wirtschaftsministers?“ „Absolut. Die Dame hat's echt nötig. Und das in ihrem Alter! Sie malt sich gerade aus...“ „Behalt’s für dich.“ „Sorry, Boss, aber bei der Hitze ist es echt schwer, sich nur auf den öden Verstand der beiden Mafiajungs zu konzentrieren. Die stehen immer noch am Rande der Versammlung und warten auf etwas. Sind nervös. Verständlich, hm? Gerade ziehen sie sich etwas zurück. Okay, das ist interessant, sie…“ Eine lautlose Explosionswelle blühte auf, wuchs, wurde immer schöner und größer und fegte anschließend alles Lebendige vom Platz. Die Lungen füllten sich mit Staub und unerträglich heißer Luft. Sie rissen und schrien. Palmen, Tische und Menschen werden gleichermaßen in eine schwarze Wolke gehüllt; der Knall kam einige Millisekunden später, doch in Crawfords Ohren schallte er immer noch nach, als er in den Schrankspiegel schaute. Die Krawatte hing lahm um seinen Hals und sein Verstand schrie nach Luft, die er nicht kriegen konnte. Im Nebenzimmer lachte das französische Mädchen hell auf und Crawford setzte sich an den Rand des ungemachten Bettes. Er fiel vielmehr und blieb doch sitzen, während die Nachwirkung der Vision langsam aus seinem Körper strömten. Wie hatte die Mafia es geschafft, unbemerkt eine Bombe in die Veranstaltung reinzuschmuggeln? Crawford bemühte sich, die Vision mit einem Willensakt herbeizuführen, auch wenn alle theoretischen Grundlagen, die er gelernt hatte, dieser fruchtlosen Bemühung widersprachen. Die Welt blieb gleich, es zeigten sich keine Bilder, die nicht dazugehörten, nur das heiße, leere Zimmer um ihn herum, gefüllt mit bleicher Bettwäsche und einem großen Kleiderschrank mit einem mannshohen Spiegel. Das Licht fiel immer noch in Streifen und bemühte sich die Einrichtung ansprechend zu gestalten. Crawford gab es auf, eine weitere Vision herbeirufen zu wollen und bemühte sich nun seinerseits die Krawatte zu binden, doch seine Finger waren nass und der Knoten wollte sich nicht recht zusammenfügen; eines der Enden rutsche ständig aus der Schleife heraus. Frustriert warf Crawford das dumme Accessoire auf das Bett und griff stattdessen nach einer schönen, grauen Krawatte. Schimmernd und mit kaum sichtbaren Streifen fühlte sie sich wie Schlangenhaut an, kühl und weich. Kaum hatte er das breite Ende durch die Schleife gezogen, war die ersehnte Vision da und füllte seinen Verstand mit Schwärze und Licht. Das weiße Lamborghini Diablo fuhr schnell und knurrend um die Kurve. Es raste die Küste entlang und zu seiner Linken strahle das Blau des Meeres in glühender Hitze auf und blendete die Insassen im Auto. Schuldig lachte auf und steuerte den Rennwagen sanft in die Kurve, „Ne, oder? Hast du ihn wirklich an der Wand verschmiert?“, Margot stimmte in das Lachen an, unschuldig und hell. „Wie plattgewalzt.“ Die Sonne war einige Winkel weiter gewandert und verströmte nun großzügig die Glut des frühen Nachmittags, die Rede des Bürgermeisters war ein Erfolg gewesen und die missglückten Bombenleger waren rechtzeitig unschädlich gemacht worden. Crawford erlaubte sich etwas Entspannung und eine Priese Stolz auf die getane Arbeit. Schuldigs rotes Haar wehte im Fahrtwind und lenkte ab, und Farfarello schaute mit großen Augen dem Küstenverlauf zu und lächelte jedesmal sanft, wenn die Wellen sich an den Steinen das weiße Genick brachen. Nur aus den Augenwinkeln merkte Crawford, wie ein großes Laster sich ihnen auf hoher Geschwindigkeit näherte. Blitzschnell zückte er seine Pistole, zielte auf die Reifen, druckte ab, noch mal und noch mal. Schuldig fluchte, riss das Steuerrad um und Margot versuchte zähneknirschend das Laster von ihnen weg zu schieben, doch zu spät, die kinetische Energie des riesigen LKWs war zu groß und das weiße Lamborghini flog in einem weitem Bogen aus der Kurve, gefolgt von dem Laster, das ohne Kennzeichen fuhr. Ein kleiner Explosionspilz stieg in der nachmittäglichen Hitze auf und verglühte. Schuldig behauptete von sich, er sei stets ein zuvorkommender, höflicher Untergebener. Gerade sah er zum letzten Mal auf seine Armbanduhr und klopfte laut an der abgeschlossenen Schlafzimmertür, „Hey, Boss, bist du da drin eingepennt oder was?“, als keine Antwort kam, nahm er sich die Freiheit heraus und streckte seine neugierige Nase ins Zimmer. Crawford lag auf dem Bett und atmete schwer, die Stirn kraus vor Sorgen und schweißnass, und ein gutes Dutzend unterschiedlicher Spezies an Krawatten und Halstüchern lagen verstreut um ihn herum. „Sieht ein bisschen wie ein dämonisches Ritual aus. Mit Krawatten als Opfergaben. Womit haben die armen Schlucker dein Missfallen verdient? Falsche Größe?“, Schuldig hob eine seidene Krawatte auf, die an der Türklinke hing – ein schönes Exemplar, mit diagonalen Streifen verziert und in sattem Burgunder gehalten. Schuldig wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie teuer das Ding war. „Sie scheinen die Visionen zu triggern.“, hauchte Crawford beinahe atemlos, immer noch bemüht eine Zukunftsversion zu finden, in der keine Körperteile durch die Luft flogen. Oder zumindest nicht die seinen. In seinen Ohren schallte immer noch ein lang gezogenes, krächzendes Echo der Explosion wieder und er wollte nichts sehnlicher als den Rest des Tages in einem dunklen, kalten und vorzugsweise schalldichten Raum zu verbringen. Reykjavik war sehr schön um diese Jahreszeit. „Du meinst die Zukunft hängt davon ab, welche Krawatte du trägst?“, Schuldig war ein Skeptiker und misstraute jeder Aussage, die nicht von ihm selbst stammte. Und so groß konnte doch nicht mal Crawfords Ego sein, nicht wahr? Er duckte sich, um dem lustlos geworfenen, weißen Panamahut auszuweichen. Für eine bessere Zielsicherheit war Crawford viel zu konzentriert auf seiner jetzigen Aufgabe. „Nein, du Blödmann. Aber es hilft eine Kleinigkeit zu verändern, um einen neuen Zukunftsstrang herbeizulocken. Eine neue Version der Zukunft. Aktualisierst mit dem neuen Wissen, wenn du es so willst...“ „Ah. Und dabei sind dir die Krawatten ausgegangen? Kein guter Tag für uns, also?“ „Nein, nicht wirklich. Es sei denn du wolltest schon immer mal in die Luft gesprengt werden. Lust auf Fliegen?“ Ohne weitere Kommentare verschwand Schuldig aus dem Zimmer. Als er wiederkam, setzte er sich neben Crawford aufs Bett und zog seinen mürrischen Chef zu sich heran. Crawford widersetzte sich nicht und beäugte nur argwöhnisch, wie der Telepath ihm eine seiner eigenen Krawatten umband. Schuldigs Bewegungen waren stockend und langsam und der erste Knoten geriet etwas schief, denn es erforderte einiges Umdenken, wenn man versuchen wollte den gleichen Bewegungsablauf, den man von sich selbst kannte, auf jemand anderen anzuwenden. Crawford zeigte keinerlei Anstalten ihm zu helfen und beobachtete die zögernden Fingerbewegungen nur aus den halb geschlossenen, aufmerksamen Augen. „Grün passt nicht gerade zu diesem lila Hemd von dir, aber was soll's ich hab' grad keine andere zur Hand. Und ich bezweifle stark, dass Farfarello oder Margot eine gute Alternative wissen. Es sei denn, du willst es mit Ohrringen versuchen? Ich würd's nur an deiner Stelle meiden Farf zu bitten, dir ein paar Ohrlöcher zu stechen. Er hat gestern Abend schon wieder irgendein Paar Ohren angeschleppt. Und eine Zunge. Meinst du, er will uns damit ein irisches Ragout kochen?“ Endlich saß die Krawatte. Der Stoff war etwas dünner als Crawford es gewohnt war und der Lieblingspapagei von dem Bürgermeister würde vor Neid erblassen, wenn er diese gewagte Farbkombination sah, aber es war einen Versucht wert. Crawford lehnte sich zurück und starrte auf die Decke. Minuten vergingen, die Uhr tickte, der Telepath langweilte sich, pustete sich die widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht und zählte die Lichtstreifen auf der Bettdecke, bis sein Chef sich mit einem Rück erhob und die Lethargie wie eine Staubschicht abstreifte. „Sag Farfarello, seiner Sammlung fehlen noch die Ohren von Mister Salvatore Lo Piccolo. Und Margot soll den Bürgermeister anrufen und ihm, so liebenswert wie sie nur kann, mitteilen, dass wir uns um einige Minuten verspäten werden – davor müssen wir noch jemanden einen Besuch abstatten. Und die Krawatte behalte ich erstmal.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)