Kleine Augenblicke von Goetterspeise (Eine Geschichte über Aufzüge) ================================================================================ Kapitel 12: Eine Geschichte über Klischees ------------------------------------------ 11. Oktober Seit der Sache im Aufzug, fühlt es sich irgendwie anders – vertrauter – an, wenn ich mich mit Sasuke unterhalte. Wobei unterhalten das falsche Wort ist. Er hört hauptsächlich zu, aber immerhin wirkt er nicht mehr so abweisend, wie noch vor einigen Wochen und ich habe das Gefühl, dass sich langsam aber sicher eine Freundschaft entwickelt – was mir für den Anfang auf jeden Fall reicht (hoffe ich). Zumindest möchte ich unsere frisch geknüpfte 'Verbundenheit' nicht dadurch zerstören, indem ich zu aktiv handle. Deshalb finde ich es auch wirklich schön, dass er mich gefragt hat, ob er mich zu Narutos Feier mitnehmen soll. Die Location befindet sich ein wenig außerhalb und ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ziemlich schlecht zu erreichen, weshalb ich dieses nette Angebot nur zu gerne angenommen habe. Weniger nett ist allerdings die Tatsache, dass er mich gerade etwas griesgrämig aus dem alten Fabrikgebäude, das in eine Disco umgebaut wurde, führt, um mich wieder nachhause zu fahren. Dabei waren wir gerade einmal drei Stunden da ... oder so. Ich würde ihm ja gern erklären, wie unokay ich das von ihm finde, aber meine Zuge fühlt sich an wie ein Waschlappen und ich muss mich so sehr auf den Weg vor mir konzentrieren, dass mir einfach keine passenden Worte einfallen wollen. Etwas mühselig setzte ich einen Fuß vor den anderen und versuche, den wackeligen Untergrund zu ignorieren. Kleine Erdbeben sind in Japan schließlich ganz normal. Komisch ist nur, dass Sasuke anscheinend absolut kein Problem mit dem Gleichgewicht zu haben scheint, dafür aber den Griff um meine Hüfte verstärkt, um mir bei meinem zu helfen. Angeber. Allerdings ein verdammt heißer. Und gut riechender, wie ich nun feststellen darf. Ich weiß nicht, ob er ein After-Shave benutzt oder das sein eigener Geruch ist, aber ich fühle mich von diesem herben Duft gerade verdammt angezogen. Die ganze Situation wird auch nicht dadurch entschärft, dass er mich eng an sich gedrückt hält und ich seine Wärme durch unsere Klamotten hindurch spüren kann. Verdammter Mist. Allerdings kann ich es zum Glück (oder leider) nicht lange genießen, da wir plötzlich vor seinem Auto stehen und er mich loslässt, um die Tür zu öffnen. Missmutig steige ich ein und überlege nach wie vor fieberhaft, was ich ihm wegen dieser unnetten Behandlung an den Kopf schmeißen kann. Mir will nur verflixt noch mal nichts einfallen, weshalb ich mich damit begnügen muss, missmutig aus dem Fenster zu starren, während wir in Richtung Stadt zurückfahren und ihn eisern anzuschweigen. Dann weiß er mal, wie es anderen immer geht, wenn er sich so verhält. »Trinkst du immer so viel?«, fragt Sasuke vollkommen unvermittelt und mein Kopf wendet sich ruckartig in seine Richtung. Eine ganz schlechte Bewegung, wie ich feststellen darf, denn sofort dreht sich alles in meinem Kopf. »Ich hab doch nur ein paar Gläser Punsch getrunken«, erkläre ich ihm trotzig, nachdem der Schwindel wieder verschwunden ist und verschränke meine Arme vor meiner Brust. Er wirft mir, mit erhobenen Augenbrauen, einen kurzen Blick zu, konzentriert sich dann aber sofort wieder auf die Straße vor sich und sagt: "Du weißt schon, dass da Unmengen an Schnaps drinnen waren, oder?" So ein Blödsinn. Ich hätte es ja wohl gemerkt, wenn der Punsch mit Alkohol vermengt gewesen wäre. Spätestens dann, wenn ich ... »Bin ich etwa betrunken?«, spreche ich meinen Gedanken unbewusst laut aus. »Ja«, erwidert Sasuke und ich kann richtig heraushören, dass er ein Grinsen unterdrückt. Von dieser Erkenntnis getroffen wie ein Blitzschlag, lehne ich mich im Sitz zurück und schließe die Augen. Das Drehen in meinem Kopf nimmt wieder zu und ich muss deswegen kurz aufstöhnen. Jetzt kann ich Sasuke nicht einmal böse sein, weil er mich einfach von dieser Party weggebracht hat. Wer weiß, wie viel Alkohol ich mir noch in die Birne gekippt hätte, wenn er nicht gewesen wäre. Ich öffne meine Augen wieder ein Stück und schiele zu ihm rüber, um einzuschätzen, wieso er das überhaupt getan hat. Es müsste ihn doch überhaupt nicht interessieren, ob ich mich volllaufen lasse oder nicht. Oder? Ein leises Kichern entweicht mir, wodurch ich erneut seine Aufmerksamkeit auf mich ziehe. »Sorry. Mir ging gerade nur die Frage durch den Kopf, warum du darauf aufpasst, ob ich zu viel trinke«, erkläre ich, wie ich finde, mit einer sehr deutlichen Aussprache, obwohl der Waschlappen, der sich Zunge schimpft, schwer in meinem Mund liegt. »Hinata hat mich darum gebeten, dich heimzufahren«, erwidert er ungerührt. Mein charmantes Kichern erstirbt augenblicklich und ich spüre wie eine tiefe Enttäuschung sich in meinem Magen breit macht. Entweder das oder aber ich muss mich gleich übergeben. Aus Angst, es mir sofort wieder mit ihm zu ruinieren, konzentriere ich mich die restliche Fahrt darauf, abzuschätzen, ob mein Mageninhalt rebellieren will oder nicht. In Sasukes Wagen zu kotzen wäre nämlich sicher keine positive Entwicklung in unserer Beziehung. Beziehung, wie das Wort schon klingt … Ich frage mich ja, ob er schon mal eine Freundin hatte. Wie es wohl wäre, seine Freundin zu sein? Ob er mich dann immer noch so unterkühlt behandeln würde? Vielleicht … vielleicht aber auch nicht. Was wohl seine Art im Bett ist? Stille Wasser sind schließlich tief. Eventuell ist er ja ein richtig leidenschaftlicher … Halt, stopp! Ich muss mich auf meinen Würgereiz konzentrieren. Wenn mein Kopf sich nur nicht anfühlen würde wie ein Karussel und ich ständig daran denken müsste, wie es wohl wäre, Sasuke als Partner zu haben. Diese Vorstellung übt einfach einen viel zu großen Reiz auf mich aus. Und die Tatsache, dass er mir Gentleman-like die Tür aufhält, nachdem wir endlich auf dem Parkplatz vor unserem Wohngebäude angekommen sind, macht es nicht gerade leichter für mich. Ich sehe alles etwas unklar, als Sasuke mir aus dem Auto hilft und bin sehr dankbar dafür, dass er sich erneut freiwillig als Stützpfeiler anbietet. Wenn er jetzt noch die Schuhe mit mir tauschen würde, wäre das grandios, obwohl ich bezweifle, dass ihm meine passen werden. Ein leises Kichern entweicht mir bei dem Gedanken daran, wie er wohl mit roten Pumps an den Füßen aussehen würde, was mir gleichzeitig einen Seitenblick von ihm beschert. Allerdings sagt er nichts und so gehen wir langsam (und vor allem vorsichtig) zur Eingangstür und betreten das Haus. Der Aufzug wartet bereits auf uns und so müssen wir nur noch einsteigen und uns nach oben fahren lassen. Was er auch tut. Und mir wird schlecht. »Gehts?«, fragt Sasuke und ich bin mir sowas von sicher, dass ich eine Spur von Sorge in seiner Stimme höre. Zumindest wünsche ich mir das. Glaube ich. »Alles gut«, antworte ich leise und lehne mich gegen die Wand. Vielleicht hätte ich doch die Treppe nehmen oder einfach gleich unten in der Lobby schlafen sollen. Das Anfahren des Aufzugs ist auf jeden Fall kein sonderlich schönes Erlebnis – wieso ist mir das nicht schon früher aufgefallen? Ach ja, weil ich normalerweise keine drei, sechs oder zehn Gläser Punsch intus habe. Hoffentlich ist diese Horrorfahrt bald vorbei. Ich will gar nicht wissen, wie Sasuke reagiert, wenn ich ihm plötzlich vor die Füße kotze. Vor allem, weil ich es bis hierher wunderbar vermeiden konnte. Ich atme ein paar Mal tief durch und starre an die Decke des Aufzugs in ungeduldiger Erwartung, dass er endlich stehen bleibt. Wie lange kann so eine Fahrt denn bitte dauern? Ach ja, fällt mir wieder ein, als ich an die Herzattacke des alten Mannes denke, sehr lange. Mit einem Rums bleibt der Aufzug plötzlich stehen und ich atme bereits erleichtert aus, bereit mich von der Wand zu lösen, sobald die Türen sich öffnen. Doch es geschieht nichts. »Scheiße«, zischt Sasuke neben mir und ich brauche ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass es wirklich er war, der für einen Augenblick seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle hatte. »Was?«, frage ich irritiert, weil mein Gehirn nicht dazu in der Lage ist, die momentane Situation vernünftig zu verarbeiten. »Der Aufzug ist stecken geblieben«, erwidert Sasuke – nun wieder in seiner typisch monotonen Art. »Oh«, sage ich überrascht und schaue ihn mit großen Augen an. Sasuke geht nicht darauf ein, sondern drückt auf den roten Notfallknopf. Es tutet ein paar Mal, bis eine Stimme ran geht und Sasuke kurz unsere missliche Lage erklärt und die Adresse durchgibt. Es geht so schnell, dass in mir ein fast enttäuschtes Gefühl erwacht. Eigentlich habe ich wohl damit gerechnet, ein paar Stunden allein mit ihm hier zu verbringen, aber daraus wird wohl nichts. Traurig darüber lasse ich mich an der Wand nach unten gleiten und schließe kurz die Augen – den Schwindel versuche ich zu ignorieren. »Wird wohl eine Stunde dauern, bis jemand kommt«, sagt Sasuke an mich gerichtet und ich öffne meine Augen wieder. Er hat sich neben mich gesetzt und schaut mit einer ausdruckslosen Miene nach vorne. Ich nicke ihm zu und bin mir seiner Präsenz direkt neben mir plötzlich mehr als nur bewusst. Nur ein paar Zentimeter nach links und meine Schulter würde die seine berühren. Es wäre so einfach, ich könnte mich an ihn lehnen und behaupten, ich sei müde. »Ich mag Aufzüge«, sage ich stattdessen, um mich von einer dummen Idee abzuhalten. Natürlich erhalte ich keine Antwort darauf, aber das stört mich nicht weiter, schließlich kann ich auch einen Monolog über diese seltsame Leidenschaft halten. »Ich weiß, dass kaum jemand darüber nachdenkt, aber ich mag einfach die Dinge, die in Aufzügen passieren. Du lernt deine Nachbarn kennen, weil du mit ihnen warten musst. Erfährst, wer aufgeschlossen ist und mit wem es eine ganz ungemütliche Fahrt wird«, fahre ich mit einem Grinsen fort. Ich werfe Sasuke einen Blick von der Seite zu und frage mich, was er bei diesen Worten wohl denken mag, aber seine Miene zeigt noch immer keine Gefühlsregung. Um ehrlich zu sein, würden wir hier jetzt wahrscheinlich nicht einmal sitzen, wenn ich damals nicht auf die dumme Idee gekommen wäre, meine Schuhe im Aufzug zu binden. »Ich meine, Naruto bin ich ja auch hier über den Weg gerollt und hätte Hinata keine Panik vor Aufzügen«, die sie übrigens immer noch hat und wohl nie wieder einen betreten wird, aber immerhin sind sie dank dieser Schreckensfahrt nun ein Paar, »würden die zwei wohl immer noch umeinander herumtanzen.« »Zum Glück«, antwortet Sasuke mir überraschenderweise mit einem Seufzen und richtet seinen Blick nun endlich auf mich. Ein Schauer überläuft meinen Rücken als ich in seine dunklen Augen blicke und ich frage mich unwillkürlich, was sich dahinter wohl verbergen mag. Gedanken lesen wäre jetzt eine wundervolle Fähigkeit. »Das ging seit der Schulzeit schon so«, erklärt er mir und ich höre einen genervten Unterton aus seiner Stimme heraus. Wahrscheinlich hat Naruto sich regelmäßig bei ihm ausgeheult und gefragt, was er machen soll. Ein Kichern bahnt sich einen Weg nach oben, bleibt mir aber im Halse stecken, als sich eine Frage in den Vordergrund drängt. ‚Was hat Sasuke ihm dann wohl gesagt?‘ Ich habe mir bisher kaum Gedanken über seine Vergangenheit mir Frauen gemacht, aber Tatsache ist, dass er gut aussieht und sicher allein deswegen schon einen gewissen Erfolg haben dürfte. Auf der anderen Seite hat er eine unglaublich distanzierte Art, die zwar irgendwie faszinierend ist, aber wohl schwer zu knacken. »Und bei dir so?«, rutscht es mir deshalb heraus und ich verfluche mich – nun fast wieder nüchtern – für den Alkohol, den ich getrunken habe. Dass mir das nicht aufgefallen ist, wurmt mich immer noch. »Hn?« »Wie es bei dir so mit Frauen aussieht?«, erläutere ich ihm meine Frage und als seine Augenbrauen ein Stück nach oben wandern, beiße ich mir auf die Unterlippe, weil mir erst jetzt klar wird, dass ich mich super aus der Affäre hätte ziehen können. Mein Kopf ist eindeutig Matsch. Anstatt mir zu antworten, mustert er mich einige Augenblicke aufmerksam und mir wird sein Blick langsam aber sicher furchtbar unangenehm, weshalb ich nach einem guten Vorwand suche, von ihm wegzurutschen. Mir fällt nur keiner ein, also wende ich meinen Kopf einfach von ihm ab und starre auf die Holzverkleidung des Aufzugs. Wir schweigen eine Weile und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich froh oder unglücklich darüber bin, dass er nichts dazu gesagt hat. Auf eine befriedigende Antwort komme ich allerdings nicht. »Glaubst du Naruto hat sich über den Topf und das Kochbuch gefreut?«, frage ich gedankenverloren in die Stille hinein und wage es – verwegen wie ich bin – wieder zu ihm zu schauen. »Auf jeden Fall«, antwortet Sasuke mit einem sarkastischen Unterton und wirft mir einen Blick zu, der mir die Frage stellt, ob ich wirklich damit gerechnet habe. »Schau mich nicht so an«, erwidere ich kleinlaut und füge hinzu, »du hast mir schließlich auch keine gute Idee gegeben.« »Hn.« Und erneut verfallen wir ins Schweigen. Es fühlt sich furchtbar an, so nah neben ihm zu sitzen und ihn nicht einmal berühren zu können. Dabei hätte ich im Moment überhaupt kein Problem damit, wenn ich mich an seine Schulter lehnen könnte, um ein wenig die Augen zu schließen. Oder einfach, weil ich so gern seinen Duft einatme. Diese Vorstellung ist so hartnäckig, dass ich mir in den nächsten Minuten nur ausmalen kann, wie er wohl reagieren würde. Von ignorieren bis angeekelt aufspringen, ist jede Möglichkeit vertreten und ich bin froh, nüchtern genug zu sein, um mich selbst davon abhalten zu können. »Hallo? Wir sind gleich da«, ertönt es plötzlich aus dem Lautsprecher und ich schrecke hoch. Irritiert blicke ich in Sasukes Augen und stelle fest, dass ich irgendwann zwischen unserem letzten Gespräch und jetzt, meinen Kopf auf seiner Schulter abgelegt habe. Ein Kichern entweicht mir und ich schaue ihn entschuldigend an. »Sorry«, nuschle ich und kann erneut bin ich unfähig, mich von seinem intensiven Blick loszureißen. »Schon gut«, antwortet Sasuke mit rauer Stimme und eine angenehme Gänsehaut überzieht meinen Körper. Er hat mich nicht weggescheucht, als ich meinen Kopf auf seine Schulter gelegt habe. Das ist ein gutes Zeichen, oder? Immerhin schätze ich ihn als einen Menschen ein, der selbst in solch einer Situation ein Problem damit hat, ungewollte menschliche Nähe zu akzeptieren. Vielleicht bedeutet das auch, dass er selbst eher der passive Typ ist und man ihm zeigen muss, was man will? Und wenn er mich nicht einfach weggedrückt hat, kann das doch bedeuten, er findet mich annehmbar, oder? Also möglicherweise nur als gute Bekannte oder Freundin. Aber … es könnte auch anders sein. Und immerhin hat er auch seinen Blick noch nicht von mir abgewendet. Was ist, wenn er nur darauf wartet, dass ich diejenige bin, die den ersten Schritt macht? Ganz sicher sogar! Ich lehne mich zu ihm vor, versuche in meinem Kopf einen Grund zu finden, der mir verdeutlicht, wie dumm dieses Vorhaben ist, aber da ist nichts. Nur die Vorstellung seiner Lippen, die auf meinen liegen und die Frage, ob wir zu ihm oder mir gehen werden. Keine Zweifel, keine Angst mehr. Also tue ich es einfach. Es ist ein Versuch, ein schüchterner Kuss, nichts im Vergleich zu dem, was Naruto und Hinata hier vor einigen Tagen geteilt haben. Aber trotzdem prickeln meine Lippen, als ich langsam wieder von ihm zurückweiche – in der Hoffnung, dass er mich zu sich zieht und besinnungslos küsst. Das typische Klischee eben, wenn man mit der Person in einem Aufzug feststeckt, zu der man sich hingezogen fühlt und die Gefühle nicht länger zurückhalten kann. Doch das geschieht nicht. Sasuke starrt mich einfach nur an und durch den fassungslosen Ausdruck in seinen Augen, kann ich erkennen, dass ich gerade einen riesigen Fehler begangen habe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)