My Dear Brother 2 von ellenchain (The Humans) ================================================================================ Kapitel 7: Kontrollverlust -------------------------- Ein sanftes Klopfen weckte mich. Mom lugte in das dunkle Zimmer rein und säuselte uns entgegen. »Ich bin dann weg, schönen Tag euch beiden. Macht keinen Unsinn, ja?« »Mh?«, brummte ich. »Wohin gehst du? Heute ist Sonntag...« Kiyoshi neben mir wälzte sich in meiner Armkuhle und versuchte unsere Stimmen auszublenden. »Ich bin doch bei Ariane zum Brunchen eingeladen. Erinnerst du dich?« Nein, natürlich nicht. Ich wusste nicht mal, wer Ariane war. Wahrscheinlich eine Arbeitskollegin. »Ach so«, murmelte ich wieder. »Und iss bitte mal die Brötchen, die ich eingefroren habe. Du hast gestern schon nicht gefrühstückt.« »Ja, Mom...« Geh endlich, dachte ich. »Heute Abend gibt es Steak, ja?« »Perfekt...« Das war es in der Tat. Schön blutig, bitte. Mom winkte noch einmal, obwohl ich nicht reagierte - meine  Augen nur einen Schlitz weit offen hatte und ging schließlich aus dem Zimmer und aus der Wohnung. Die Nacht war für mich der blanke Horror gewesen. Überall ertönten Geräusche, Stimmen, Klappern und andere Dinge, die mich vom Schlaf abhielten. Letztendlich schien ich durch Erschöpfung eingeschlafen zu sein; doch ein erholsamer Schlaf war dies nicht.   Vorsichtig drehte ich mich um und fühlte mich gleich besser, als ich die langen, unordentlichen weißen Haare neben mir vernahm. Erst, als ich mich räkelte und den Arm um Kiyoshi legte, kam in mir die Erkenntnis hoch, dass sie nichts über Kiyoshis Anwesenheit in meinem Bett gesagt hatte. Verwundert, aber doch zugleich erfreut, drückte ich meinen Bruder an mich. Der brummte abermals und schien noch weit weg im Träumeland zu sein.   Da hörte ich Stimmen, doch sie schienen weiter weg zu sein.   Kopfschüttelnd vergrub ich mein Gesicht ins Kissen und versuchte nicht weiter auf die Geräuschkulisse um mich herum zu achten. Furchtbar, dachte ich, es war so laut! War ich denn hier auf einer Baustelle? Einem Jahrmarkt?     »Stimmen? Und Flügelschläge?«, fragte Kiyoshi sichtlich überrascht, als ich ihm erzählte, was seit gestern Nacht in meinem Kopf vorging. »Ja und ... Schritte. Als würden sie näher kommen.« Kiyoshi zog seine Augenbrauen zusammen. Mit noch Jogginghose und T-Shirt saß er auf meinem Bett und lehnte an der Wand voller Band-Poster. Ich saß ratlos auf meinem Schreibtischstuhl und faltete zum vierten Mal ein Blatt Papier. Eine ehemalige Handyrechnung, die noch auf meinem Schreibtisch lag. »Ich schätze mal deine Sinne... werden schärfer. Die Anzeichen deuten zumindest alle darauf hin«, erklärte Kiyoshi und umschlang seine dürren Beine, die auch unter der Jogginghose nicht versteckt wurden. Ein leises Seufzen durchfuhr mich. »Bleibt das etwa so? Ich fühl mich rastlos...« Mein Blick fiel zu Boden und starrte betrübt vor sich hin. »Ich denke nicht. Zwar kann ich mich nicht daran erinnern, wie es bei mir war, als ich frisch verwandelt wurde, aber jetzt ist es jedenfalls nicht so, dass ich Stimmen oder Schritte höre.« »Na wenigstens etwas...« »Vergiss nicht, dass du noch immer offiziell ein Mensch bist.« Mit diesen Worten richtete sich mein Bruder auf und legte sachte die weiße Hand auf meine Brust. »Da ist noch immer ein Herzschlag. Du bist noch nicht vollends erwacht.« »Erwacht? Haha, ich werde wohl eher einschlafen, sterben...« Der Schlafmangel machte sich in mir breit und ließ mich müde in den Tag blicken. Nicht nur rein körperlich müde – sondern auch geistig müde. »Hiro«, mahnte mich Kiyoshi und rückte noch ein Stück näher an mich ran, »du wirst sehen, es wird sich alles zum Guten wenden. So schlimm ist es nicht. Man muss Abstriche machen, aber... bisher läuft es doch ganz gut, oder?« Als ich aufsah und in Kiyoshis eher verzweifeltes Gesicht sah, musste ich amüsiert grinsen. »Das glaubst du doch selber nicht.« Die weiße Hand an meiner Brust glitt verloren gen Boden und kam letztendlich auf dem Bettlaken zum liegen. Ein Seufzen von meinem Gegenüber folgte. »Ich kann das nicht... du warst immer der gut gelaunte, glückliche von uns beiden. Du warst die tragende Kraft... Das musst du beibehalten! Ich weiß sonst nicht, was ich tun soll...« Es glitzerte in den hellen Augen von Kiyoshi. Ehe ich mich versah, wischte er über sein Gesicht und erhob sich vom Bett. »Ich gehe mich duschen...« Sofort stand er auf und schien eilig das Zimmer verlassen zu wollen. Just in dem Moment sprang ich ebenfalls auf, verknitterte das Papier in meiner Hand und schnitt mich in den Finger. »Shit!«, fluchte ich los und warf das Papier weg. Die schlimmsten Wunden waren die Kleinen. »Hast du dich geschnitten?«, fragte Kiyoshi direkt neugierig und kam wieder auf mich zu. Ein leichtes Grinsen durchfuhr mein Gesicht. »Das hättest du wohl gerne?« Ohne Aufforderung hielt ich ihm meinen blutenden Finger an die Lippen. Kiyoshi zeigte mir sofort seine weißen Zähne, wovon einige extrem spitz wirkten. Zögerlich strecke er mir die Zunge entgegen, dessen Spitze achtsam über meinen Finger glitt. Erst, als sie mit etwas Blut benetzt war, verschwand sie wieder in seinem Mund. Meine Augen konzentrierten sich genauestens auf seine Bewegungen. Es war, als konnte ich seine Knochen hören. Seine Muskeln sich bewegen. Aber ganz im Gegensatz zu den Stimmen und den Schritten, empfand ich diese Geräusche als sehr angenehm. Fast erregend. Und während Kiyoshi meinen Finger abschleckte, ich auf faszinierend auf seine Zunge blickte, spürte ich meine Lust aufsteigen. Weniger die Lust auf Sex, sondern viel mehr... »Kiyoshi... ich habe Hunger«, flüsterte ich ihm entgegen und suchte seine Augen. Langsam und durchdacht nahm Kiyoshi seinen Mund von meiner sich bereits schließenden Wunde und sah mich mit großen Augen an. »Hunger? Worauf?« »Ich weiß nicht«, murmelte ich und blickte mich um. »Nach irgendetwas... frischem.« Da musste selbst ich kurz innehalten. Was genau hatte ich da gerade gesagt? Frisch? Kiyoshi hingegen zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen und legte seine sonst so glatte Stirn in Falten. »Etwa was Lebendiges? Hiro, bist du dir sicher?« Ich seufzte sofort auf und schüttelte den Kopf zu Kiyoshis fast schon rügenden Worten. »Ich weiß, das klingt komisch, aber ... jetzt gerade, wo ich dich das Blut lecken sah... Ich will einfach was essen ...« »Dann nimm eine Tablette.« Mit nur einem Handgriff hatte Kiyoshi die silberne Dose in der Hand und holte eine Tablette raus. »Hier, schluck sie. Dann geht's dir besser.« »Nein!«, rief ich empört und schlug Kiyoshi die Tablette aus der Hand. »Das will ich nicht!«   Nur noch wage nahm ich den Blick meines Gegenüber wahr. Kiyoshi legte sofort die Dose weg, kam auf mich zu, redete auf mich ein. Erst, als ich kurz die Augen öffnete, sah ich, dass ich am Boden lag. Mein Kopf war heiß, die Haut kalt. Es hämmerte regelrecht in mir drin; das Herz auf Hochtouren am Schlagen. »Verwandele... ich... mich?«, stotterte ich und tastete blind die Gegend um mich herum ab. Mir war schwarz vor Augen. Die Luft blieb mir abermals weg. Doch die Geräusche um mich herum blieben laut. Unerträglich. Wie Hämmern in meinen Ohren. »Ich... ich weiß nicht«, raunte Kiyoshi, suchte sicherlich nach einer Lösung der Situation, hielt mich in seinen Armen und zögerte wahrscheinlich mich einfach zu beißen. »Beiß mich ...« Doch Kiyoshi blieb eisern, tastete mich am ganzen Körper ab. Ich hörte seine Hände an mir reiben, seine Kleidung sich bewegen und sogar seinen Atem. »Beiß mich doch ...«, flehte ich erneut und ließ schwach meinen Kopf hängen. Verdammt, gestern lief doch alles noch so gut! Von jetzt auf gleich musste sich mein Zustand verschlechtern! Verdammter Scheiß! Doch jegliches Fluchen in meinem Kopf brachte mich nicht zur Ruhe. Letztendlich kippte ich weg, spürte meinen Kopf wegrollen. Kiyoshis Worte hallten noch in meinem Kopf nach: »Bleib bei mir! Verlass mich nicht!«     Als ich wieder zu mir kam, roch ich Blut. So selbstverständlich, wie ich diese Aussetzer mittlerweile versuchte hinzunehmen, so selbstverständlich nahm ich auch den Geruch von Blut um mich herum wahr. »Hiro? Bist du wach?«, fragte mich die bekannte Stimme. Etwas streichelte meine Stirn und richtete ein paar Haare. »Mh«, brummte ich und schlug die Augen auf. Da saß er, in seinem gänzlich perfekten Antlitz und lächelte mich glücklich an. »Was ist ... passiert?« »Du hattest wieder einen Anfall. Bist schließlich umgekippt und hast dich nicht mehr gerührt. Aber dein Herz schlug noch.« »Schlug?« Instinktiv fasste ich mir an die Brust, aus Angst, es hätte damit aufgehört. Doch ich hörte es klopfen. Ja, fast schon rasend. »Ich habe dir etwas von meinem Blut gegeben. Und ... das hier habe ich dir auch besorgt.« Damit holte er einen von Mom's Wäschekörben neben dem Bett hervor und zeigte mir seinen Inhalt. Darin lag ein noch lebendes Kaninchen. Es blutete stark am Nacken und schien nicht mehr lange zu haben. »Ich dachte, es stürbe mir weg... aber ich hab's geschafft, dass es noch lebt!«, verkündete mir Kiyoshi freudestrahlend und hielt mir den blutbefleckten Korb vor die Nase. »Urgh!« Ich musste würgen. Ein fast zerfleischtes Kaninchen befand sich vor mir. Und es roch überall nach Blut! Nicht, dass ich es nicht verführend fand. Nein, ganz im Gegenteil, es roch wundervoll. Doch die Tatsache, dass das ein Kaninchen war, ein lebendes Tier, welches von Kiyoshi zerrissen wurde, nur um als Mahlzeit zu enden... ließ mich würgen. »K-Kiyoshi!«, rief ich seinen Namen und drückte den Korb von mich. »Was denn?« Seine Augen wurden sofort enttäuscht. »Du hast gesagt, du willst was Frisches! Das ist frisch!« »Ja... ich weiß, aber ...« Das hatte ich doch nicht so ernst gemeint! Ich wusste ja nicht, dass er meinem Wunsch sofort nachkommen würde! »Woher hast du das überhaupt?!« »Ich hab hinter dem Haus so ein kleines Parkstück gesehen... da lief das rum.« »Gott, Kiyoshi, hast du das etwas gebissen?« »Ja, wie sollte ich es denn sonst fangen, ohne es zu töten?« Mein Bruder klang schon fast genervt von meinen vorwurfsvollen Fragen. »Das kannst du doch nicht machen! Du kannst doch nicht einfach in einem Park ein Kaninchen anfallen und es ins Genick beißen! Wer weiß, was das Tier für Krankheiten hat!« »Es hat keine.. es riecht doch gut, oder nicht? Wenn ein Tier krank ist... oder ein Mensch... das riecht man.« »Riechen? Mir reicht's schon, wenn ich alles höre, was ich nicht hören will! Da will ich nicht noch riechen können, ob jemand krank ist!« Mein Puls stieg abermals an. Natürlich wollte mein Liebster mir nur helfen und ist... für mich auf Streifzug gegangen. Aber wir waren keine Monster! Keine Tier! Wir waren gesittete... Wesen. »Kiyoshi, ich kann das nicht essen«, brummte ich und sah immer wieder verstohlen auf das sterbende Kaninchen. »Bitte töte es endlich und befreie es von seinen Qualen!« »Du willst nichts trinken? Aber Hiro, du wolltest doch was...« Die Enttäuschung stand wahrlich in seinen Augen geschrieben. »Ich ... Dir kann man es auch nicht Recht machen!« »Es tut mir Leid, Kiyoshi, ich dachte... ich könnte das, aber ich kann's nicht.« Ich strich mir abermals über die Arme und rückte vom Korb ab. Eine hilflose Geste. »Dann trink ich es eben«, pöhnte Kiyoshi und nahm sich das blutverschmierte Stück Fell. »Was? Nein!«, rief ich und griff nach dem Kaninchen. Das fiepste kurz auf, sodass ich es sofort fallen ließ. Mit einem dumpfen Geräusch kam der Körper auf dem Boden auf. »Wieso nicht?«, hakte Kiyoshi nach und stand empört auf, dass ich ihm seine Beute wegnehmen wollte. »Das ist eklig! Kiyoshi, du bist kein Tier!« »Oh doch! Das bin ich. Und das weißt du!« Mit diesen Worten beugte er sich über das Tier, führte es zu seinem Mund und versank abermals seine Zähne in das Fleisch. Ohne mit der Wimper zu zucken, trank er großzügige Schlucke aus dem kleinen Körper. Abermals fiepste es auf. »Hör auf ...«, murmelte ich; die Augen nicht vom Geschehen nehmend. »Lass es doch endlich sterben!« Kiyoshi löste sich zwar, fauchte mich jedoch nur an. »Wenn ich es töte, kann ich es nicht mehr trinken! Kein Totenblut!« »Nimm doch eine Tablette ...«, säuselte ich ihm zu. Der Geruch des warmen Blutes durchströmte meinen Körper. Sicher, ich war neugierig, wie es schmecken könnte. Wie frischen Blut so wäre. Ausgenommen das von Kiyoshi. Vorsichtig griff ich nach dem Kaninchen und streichelte das Fell, während es noch vor Kiyoshis Mund hing. Gierig saugte er weiteres Blut aus. Als er sich löste, deutete er mir mit einem Nicken an, ich solle ihn küssen. Wissend, was er vorhatte, beugte ich mich zu ihm und berührte seine blutenden Lippen. Vorsichtig schob er sie auseinander und ließ das warme Kaninchenblut in meinem Mund fließen. Es war süßlich-herb, metallisch. Aber nicht so wie das von Kiyoshi. Es schmeckte nicht so gut wie seins, aber besser als das Tabletten-Blut. So ein Mittelding: Frisch, aber nicht delikat. Meine Reißzähne wuchsen im Nu und schnappten instinktiv nach der Blutquelle. Dass diese natürlich Kiyoshi und nicht das Kaninchen war, merkte ich erst, als er zusammenzuckte und sich die Lippen hielt. »Aua... wieso beißt du mich?«, fragte Kiyoshi empört. Bekam aber sofort ein Lächeln auf den Lippen, als er meine verwandelte Form sah. »Du siehst so schön aus, wenn du so bist ...« Sanft strich seine Hand über meine Wange und meine blutbenetzten Lippen. »Du übertriffst uns alle ... «, säuselte ich und beugte mich zu Kiyoshi vor, um ihn erneut zu küssen. Doch ehe ich den Kuss intensivieren wollte, löste er sich von mir und schüttelte den Kopf. »Lass uns das hier erst zu Ende bringen.« Er hielt das Kaninchen auf meine Augenhöhe, welches noch letzte Atemzüge tätigte. Schulternzuckend überwältigte ich also auch diese Schwelle und saugte aus den bereits vorhandenen Wunden das warme Blut. Kiyoshi tat es mir gleich und saugte an einer anderen.   Das war wohl das letzte Fünkchen Menschlichkeit, was sich in mir verabschiedete. Da hing ich mit meinem Zwillingsbruder über ein noch lebendes Kaninchen und saugte das Blut aus. Und trank es. Und genoss es. Wir saßen inmitten einer Blutlache, der Wäschekorb verschmiert, der Boden, unsere Kleidung. Wenn Mom das sehen würde.   Shit, Mom!   Ich löste mich von dem Kaninchen und blickte verängstigt zur geschlossenen Zimmertür. »Ist Mom etwa da?« »Wo denkst du hin?«, zischte mir Kiyoshi zu und legte das mittlerweile gestorbene Tier in den Wäschekorb. »Natürlich nicht.« Erleichtert atmete ich aus, spürte jedoch noch mein Herz pulsieren. Ein leichtes Zittern überkam mich. »Wenn sie uns so gesehen hätte ...« »Hätte sie die ganze Schuld auf mich gemünzt. Ist doch klar.« »Haha«, lachte ich verzweifelt los, »Nein, sie hätte sofort verstanden, was Sache ist. Sieh mich doch an! Das würde selbst sie bemerken!« Hektisch ließ ich meine Hände um mein Gesicht kreisen. In der Tat spürte ich die Reißzähne in meinem Mund langsam verschwinden. Die Röte in meinen Augen sicherlich ebenfalls. Kiyoshi schien ganz normal, wie immer ruhig und gelassen, als hätten wir gerade einen Kuchen gebacken. »Sie war ja nicht hier ...« Mit diesen Worten hob er eine Hand und führte sie an meine Brust. Vorsichtig glitt er über mein Shirt, nur um es am Saum hochzuziehen. Ich wusste nicht, woher Kiyoshi diese Ruhe nahm. Mein Blick schweifte abermals durch mein Zimmer und versetzte mich in leichte Panik. Da lag ein totes Kaninchen im Korb. Vom Blut mal ganz abgesehen. »Kiyoshi, das müssen wir erst sauber machen... Mom darf das nicht sehen!« Sofort zog er entrüstet seine Hand weg. »Dir ist es auch echt nie Recht!« »Wie bitte? Sieh dich doch um! Wir sitzen in Blut!« »Na und?« Damit zuckte er mit den Schultern und startete einen zweiten Versuch mich zu verführen. »Ist doch mal... was anderes.« »Was anderes? In der Tat!«, jaulte ich fast schon hysterisch auf und klammerte mich an Kiyoshis Kleidung fest. »Es geht nicht!« Traurige Augen trafen mich. Der Bettelblick folgte. »Magst du es also nicht...?« »Doch...« Ich seufzte. »Ich kann auch inmitten von Leichen mit dir schlafen... Aber nicht, wenn jederzeit Mom wiederkommen könnte!« »Sie wird schon nicht einfach so hier reinplatzen.« Kiyoshis Ton wurde ungeduldig. »Und wie hast du dir vorgestellt, sollen wir das alles hier entsorgen? Ohne, dass sie es mitkriegt? Unser Wohnzimmer ist leider Mittelpunkt unserer Wohnung!« Da schwieg er und rückte von mir ab. Genervt und etwas gereizt packte er den Korb mit dem Kaninchen und stand auf. »Ich bring's ja schon weg!« Zickig warf er seine Haare hinter die Schulter und setzte sich in Bewegung. Wahrscheinlich war ihm das eine Lehre, nicht noch einmal ein Tier mit nach Hause zu bringen. Natürlich war das irgendwo auch furchtbar erotisch gewesen, sich der Lust und Gier hinzugeben und gemeinsam an einem Tier zu nuckeln, während unsere Hände aufeinander lagen. Und natürlich hätte ich gerne mit ihm geschlafen. Aber eben nicht mit diesem Druck im Nacken.   Als ich das Blut mit einer Menge Tücher wegwischte und mich innerlich bei mir selber bedankte, nie einen Teppich gelegt zu haben, musste ich mir immer mehr eingestehen, dass ich mittlerweile kein Mensch mehr war. Auch wenn Kiyoshi mich "offiziell" noch so nennen würde. Mein Körper brauchte das Blut, er verlangte regelrecht danach. Dass es so leicht war über meinen eigenen Schatten zu springen, ließ mich erschaudern. Erst musste ich mich fast übergeben... dann hing ich selber an dem Tier. Ich hing an einem Kaninchen! Ich habe ein Kaninchen getrunken!   Plötzlich schossen Tränen in meine Augen. Scheiße, dachte ich, das war's. Wahrscheinlich handelte es sich nur noch um Stunden, bis ich sterben würde. Die Aussetzer kamen immer öfter. Instinkte wurden wach, die mir vorher fremd waren. Und Kiyoshi schien das alles wie immer zu begrüßen. Oder zumindest mit einem lockeren Schulternzucken entgegenblicken.   Der kam irgendwann mit einem gesäuberten Korb wieder und stellte ihn an die Seite. »So... ist weg.« »Wo hast du es hingebracht?«, fragte ich noch leicht von der Aktion benebelt und warf die Tücher allesamt in eine schwarze Plastiktüte. Ich fühlte mich wie ein Täter, der die Spuren seines frisch ermoderten Opfers wegwischte. »Hab's in den kleinen Fluss im Park geworfen. Hat niemand gesehen.« »Okay ...« Ein zerfleischtes Kaninchen würde auch hoffentlich niemand finden. »Sieht doch wieder gut hier aus«, bemerkte Kiyoshi und strich mir über meinen Rücken. Ein eindeutige Geste. »Ja ... ich bringe noch den Müll weg, dann ist wirklich alles verschwunden.« Als ich mich umdrehte, sah ich in funkelnde Augen, die mich sehnsuchtsvoll anstierten. »Dann komme ich wieder und ... wir gehen duschen?« »Okay«, hauchte mir Kiyoshi noch entgegen, küsste flüchtig meine Lippen und ließ mich das Zimmer verlassen. Auf meinem Weg runter sah ich noch einzelne Bluttropfen auf den Stufen, die ich schnell mit einem Tuch aus der Mülltüte wegwischte. Wirklich, dachte ich, so muss sich ein Mord anfühlen.   Wann ich wohl mal einen Menschen anfallen würde? Wann wohl diese Hemmungen fallen würden? Ob die auch so schnell verschwinden, wie bei einem Kaninchen?   Seufzend und das Tageslicht größtenteils vermeidend warf ich den Sack in die große Tonne im Innenhof, als ich einen großen Vogel auf einer Mauer sitzen saß. Er starrte mich an und bewegte sich nicht. Unangenehm berührt strich ich mir über meine etwas blutigen Klamotten. Der Vogel drehte hier und da seinen Kopf. Badum. Ich hörte sein kleines Herz schlagen. War es überhaupt ein Vogel? Ja, doch, es hatte einen Schnabel und Federn. Aber so groß? War das ein Adler? In dieser Gegend? Je länger ich in die Augen des Vogels stierte, desto kratziger wurde mein Hals. Alles in mir vibrierte, zum Kampf bereit, und ehe ich mich versah, wollte ich auf den Vogel zuspringen; doch er kam mir zuvor und flog ächzend weg. Mit einem Mal wurde mir heiß, sodass ich schnell in den Wohnkomplex hechtete und die Stufen regelrecht hinaufflog. Fünf Stockwerke fühlten sich auf einmal an wie zwei. Aber was war das? Wollte ich wirklich einen Vogel angreifen? Oder wollte mich der Vogel angreifen?   Nach dieser völlig absurden Begebenheit, trat ich in das große Wohnzimmer ein und stierte aus dem Fenster. Die Sonne schien durch die Wolkendecke und verbreitete ein angenehmes Licht. Doch etwas in mir brodelte. War es die Wut über mich selber oder die Wut über alle anderen, die so viel glücklicher als ich schienen; das wusste ich nicht. Mit einer schnellen Handbewegung riss ich die Vorhänge zu, sodass das Wohnzimmer schlagartig dunkler wurde. »Bist du etwa sauer? Alles in Ordnung?«, kam die sinnliche klingende Stimme aus dem hinteren Teil des Wohnzimmers. Die Badtür stand bereits offen und ich roch Duschgel. »Es geht schon ... nur ein bisschen durch den Wind.« Ich war um einen ruhigen Ton bemüht und drehte mich langsam zu Kiyoshi um, der bereits neben mir stand. Splitterfasernackt. Errötet starrte ich auf seinen perfekten Körper. Wann genau passierte es noch mal, dass ich einen Männerkörper als so attraktiv empfand? Aber, so musste ich mir eingestehen, war es nur dieser eine Körper, der mich um den Verstand brachte. Nur dieser eine, der so perfekt und vollendet wirkte. »Warst du etwa schon ohne mich duschen?« Ein sanftes Lächeln umspielte die schmalen, weißen Lippen von Kiyoshi. »Nicht doch. Ich habe uns ein Bad eingelassen.« Da schielte ich ins Badezimmer. Tatsächlich sah ich in der Badewanne weißen Schaum hervorlugen. »Wunderbar ...«   Schnell entledigte ich mich meinen schmutzigen Sachen und warf alles in die Wäschetruhe; Kiyoshis Kleidung folgend. Mom würde schon nichts sagen. So genau würde sie sich dreckige Wäsche nicht ansehen. Doch dann fiel mir der blutige Bezug  von vorletzter Nacht ein. »Vielleicht wasche ich nachher eine Maschine«, seufzte ich, als ich mich neben die Wanne stellte und mit der Hand das warme Wasser verteilte. »Du und waschen?«, kicherte Kiyoshi amüsiert und strich liebevoll über meinen Rücken. »Ja... ich weiß.« Da musste selbst ich lachen. Ich und waschen; dass das noch mal in diesem Leben passieren würde. Aber was tat man nicht alles, um unentdeckt zu bleiben. Für immer ging das auf jeden Fall nicht. Irgendwann würde sie es erfahren. Doch am besten auf einem humanen Weg. Und nicht durch ein blutiges Kissen oder blutige Kleidung. Langsam streckte ich einen Zeh in das warme Wasser, welches sich sofort um meine Haut legte. Vorsichtig setzte ich mich in die große Wanne und ließ mich an den Rand sinken. Entspannt legte ich beide Arme auf die Seiten der Wanne. In dem Moment stieg Kiyoshi zu mir und platzierte sich zwischen meine Beine, um gegen meine Brust zu lehnen. Wir schwiegen für einen Moment. Weiße Hände fuhren über meine Arme und streichelten meine Haut. Er schien über mich zu sinnieren. Oder über sich selber. Oder über die Welt. Sachte strich er über jedes meiner Körperteile, welche er gut oberhalb des Wassers erreichen konnte. Bis er die Stille brach. »Deine Haut... sieht viel besser aus als in den letzten Tagen«, stellte er fest und musterte meine Arme. Neben Kiyoshi wirkten sie noch immer bräunlicher. Doch war der Unterschied schon lange nicht mehr so extrem, wie er  es einmal war. Seufzend nickte ich und stimmte zu. »Ich werde immer blasser ... « »Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen.« Kiyoshis Worte ließen mich meine Lippen aufeinander pressen. Ja, sicher, es ist unaufhaltsam. Doch trotzdem wollte ich nicht jeden Tag daran erinnert werden. Am liebsten sollte es Schlag auf Schlag passieren, mich umbringen und mir ein sofortiges Leben als Vampir ermöglichen. Und eben nicht Stück für Stück, leidend, auf dem Kreuzweg des Verdammten. Als ich meine Hände um Kiyoshis dürren Körper schlang, bemerkte ich erst seine hervorstehenden Rippen. »Heute Abend gibt es Steak«, informierte ich ihn über den Essensplan meiner Mutter und strich weiter über die mit Haut besetzten Knochen. »Da kannst du mitessen.« Doch Kiyoshi schien nicht so von der Idee angetan. Sein Ton jedenfalls klang nicht begeistert. »Steak? Klingt gut, ja.« »Magst du kein Steak?« »Weiß nicht, ich hab noch nie ein ganzes Stück Fleisch gegessen.« »Aber Kaninchen anfallen ...«, seufzte ich sofort und handelte mir einen kneifenden Griff an meinem Unterschenkel ein. »Das ist doch was vollkommen anderes!« Ich ließ das einfach mal so im Raum stehen. In meinen Augen war das genauso brutal, wenn nicht makaberer, als ein einfaches Steak zu essen. »Versuch's mal. Ich fand Steak bisher immer sehr lecker. Mom hat extra so eine Pfanne dafür.« »Aha.« Kiyoshis Interesse flachte ab. Wahrscheinlich hatte er sich etwas mehr erotische Stimmung gewünscht. Sowieso schien er mir in den letzten Tagen die absolut treibende Kraft, was unsere sexuelle Aktivität anging, zu sein. Schließlich drehte er sich zu mir um und winkelte seine Beine an, sodass er sie an meiner Hüfte vorbei entlang schlängeln konnte. »Deine Wunde ist wirklich gut verheilt«, bemerkte mein Bruder und fixierte meine Brust. »Die von Vincent?«, fragte ich rhetorisch und sah an mir selber herunter. »Ja ... Gott sei Dank. Nicht mal eine Narbe.« »Das ist einer der vielen Vorteile ein Vampir zu sein.« Da grinste er mich schelmisch an, als wüsste er, wovon er sprach. »Hattest du also schon öfter von deinen Heilungskräften Gebrauch gemacht?« Als sich meine Augenbraue hob, da Kiyoshi nicht sofort antwortete, bemerkte ich seine unangenehm berührte Ausstrahlung. Er hatte wohl nicht ganz bedacht von mir in diese Richtung gedrängt zu werden. »Vielleicht«, gab er mir knapp zu verstehen, dass das kein Thema war, welches er noch weiter anschneiden wollte. Sicher, ich wusste um seine Depression bescheid. Um seine suizidalen Gedanken. Mit Sicherheit war es auch hier und da ein einschneidender Gedanke gewesen, der ihn weiter trieb. »Solange das nicht mehr zur Debatte steht ...?« Ich bekam keine wörtliche Antwort, sondern nur einen großzügigen Kuss auf meine Lippen. Es stand nicht mehr zu Debatte, aber aus der Welt schien es auch nicht zu sein. Natürlich nicht. Kiyoshis Kuss intensivierte sich schlagartig, sodass er weiter auf meinen Schoss rutschte. Rittlings setzte er sich auf meinen Schritt; eine Erregung berührte hier und da meinen Bauch. Das warme Wasser und die bereits stickige Luft im Bad ließen mich zu Kiyoshis Berührungen entspannen. Seine Hände wanderten meine glatte Haut entlang und massierten hier und da einzelne meiner Muskeln. »So schön«, murmelte Kiyoshi. Dieses dunkle, fast gebrummte, Murmeln ließ mich hellhörig werden. Ich löste mich für einen Moment von Kiyoshi, der sah mich nur verwundert an, wieso ich mich von ihm entfernte. »Stimmt was nicht?« »Ach«, lächelte ich zufrieden und strich über seine leicht erröteten Wangen. »Alles gut... Ich wollte nur sichergehen, dass du auch mich meinst.« Damit zwinkerte ich ihm gespielt zu und gab ihm einen kurzen Kuss auf sein Augenlied. Sie waren weiß. Blau-Lila. Mit einem wunderbaren, lustvollen Glanz. Weder schwarz noch rot. Der hier so erotisch vor sich hinsäuselte war tatsächlich mein Bruder. Und er kicherte über meine Worte etwas beschämt auf und schmiegte sich wieder an mich. Auch ich spürte bei der sanften Berührung mein Glied langsam steif werden. Aber ginge das gut? Hier in der Badewanne? Ach... dachte ich mir ... nach der Kaninchengeschichte wäre ein bisschen warmes Badewasser auf dem Boden noch das geringste Übel. Kiyoshis Zunge wanderte über meine Lippen, meine Wange und schlussendlich meine Brust. Meine Hände glitten dominant zwischen seine Beine, sodass er leise aufstöhnte. »Hiro«, flüsterte er in den still Raum und drückte seinen Rücken durch, als könne er es kaum erwarten. Als hätte er schon den ganzen Tag danach verlangt. »Komm ein Stück zu mir hoch«, befahl ich ihm in sanfter Tonlage und schob ihn an seiner Taille ein paar Zentimeter zu mir hoch. Sein Becken schwebte dabei kurz über der Wasseroberfläche, sodass ich freie Sicht auf sein steifes Glied hatte. Wie eineiig konnte man eigentlich sein? Er sah aus wie mein Klon! »Uh«, raunte er mir ins Ohr, ganz dicht mit seinem Mund an meinem Ohr. Die Spinnenfinger fest um meinen Nacken geschlungen, kniete er noch immer vorgebeugt über meine Beine. Erst, als ich mein Glied in Position gebracht hatte, führte ich ihn mit meinen Händen runter. Meine Eichel flutschte geschmeidig in ihn hinein. »Oh! Hiro!« Kiyoshi stöhnte abermals auf, als ich ihn weiter dehnte. Mir schien, als würde es am liebsten unvorbereitet tun. Dieser anfängliche Schmerz schien ihm sehr zu gefallen. Denn so energisch stöhnte normalerweise nur das Tier in ihm.   Es klackte. Ein heißer Schreck durchfuhr meine Knochen. Das waren definitiv nicht wir, die dieses Geräusch verursachten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)