My Dear Brother 2 von ellenchain (The Humans) ================================================================================ Kapitel 14: Kein Entrinnen -------------------------- Vogelzwitschern Flügelschläge. »Nein!«, hauchte ich sofort und saß senkrecht im Bett. Ein Blick aus dem zugezogenen Fenster zeigte mir, dass es helllichter Tag war. Mein Atem war abgehackt, meine Hände zitterten und meine Augen suchten nach einer schwarzen Gestalt. Paranoid drehte ich mich auf dem Sofa in jede Richtung. Doch es war nichts. Weder Flügelschläge noch Vögel im generellen. Hier und da raschelten die Bäume im Wind, doch nichts dergleichen wies auf die Anwesenheit eines Hunters hin. Kein Jäger. Die Gejagten waren alleine. Als ich mich umblickte, schliefen noch alle. Kiyoshi neben mir eingerollt, seine Haare ganz wüst und verfilzt auf seinen Schultern. Einige Wunden waren noch deutlich zu sehen, schienen jedoch abzuheilen. Alexander lag auf dem Rücken und hatte den Kopf von uns zu Jiro weggedreht. Auch er schien noch tief und fest zu schlafen. Und Jiro? Der schnarchte sogar ganz leise. Er lebte. Gott, er lebte. Noch immer lag es mir im Mark, dass ich ein Mörder hätte gewesen sein können. Der Mörder meines besten Freundes. Leise schlich ich mich aus dem Bett, suchte meine Sachen zusammen. Mein Bein stach ein wenig, als würde die Wunde noch nicht komplett geheilt sein. Als ich die Jogginghose ein Stück runter zog, sah ich, dass sie aufgeplatzt war. Eine leichte Kruste verhinderte ein ausbluten, trotzdem schien mir ein unnötiges Bewegen nicht vorteilhaft. Trotzdem ... ich brauchte etwas zur Beruhigung. Die Geräusche um mich herum machten mich verrückt. Seit zwei Tagen nun konnte ich kaum ein Auge zu machen. Jetzt war ich auch noch verletzt. Nichts, absolut nichts ließ mich zur Ruhe kommen. Ich humpelte ins Bad, sah in den Spiegel. Kratzer, blaue Flecken und einige andere Schwellungen zierten Gesicht und Hals. So konnte ich unmöglich unter die Augen von Mom treten. Ich überlegte, ob ich noch eine Blutkonserve trinken sollte, doch stand mir der Magen bereits gedreht im Körper. Mir war schlecht – von was? Von wahrscheinlich allem. »Was machst du?«, fragte eine heisere Stimme hinter mir. Eisblaue Augen starrten mich an. »Konnte nicht mehr schlafen ... wollte ... ein bisschen rausgehen, oder so«, murmelte ich und deutete auf die Welt außerhalb des Fensters. Alexander hob nur eine Augenbraue. »Bei helllichtem Tag? Die Sonne scheint ... das würde ich dir nicht raten. Es sei denn, du hast jetzt schon keine Lust mehr zu leben, dann nur zu.« Da schmunzelte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hab sicher noch irgendwo zwei Leichensäcke rumliegen.« »Wieso zwei?«, fragte ich perplex, schaltete dann aber sofort, als Alexander ins Wohnzimmer auf meinen schlafenden Bruder sah. Natürlich... »Alexander?«, seufzte ich höflich seinen Namen und sah ihm eindringlich in die Augen. Als er mich abwarten ansah, räusperte ich mich und sah verstohlen auf den Boden. »Du hast nicht zufällig ... Zigaretten hier? Oder Alkohol? Oder irgendetwas ... was mich kurz entspannen lässt?« Mit einem verzweifelten Lächeln versuchte ich Alexander von meiner miserablen Lage zu überzeugen. Die zitternden Hände und die Augenringe bis zum Mundwinkel sagten im Grunde schon genug. »Kippen«, gab er knapp wieder und deutete mir mit einer Kopfbewegung an, dass ich ihm folgen sollte. Ohne weiter zu fragen, humpelte ich ihm hinterher. Sein Weg führte hinter die Kochnische in eine Art Abstellkammer. Dort kramte er eine Schachtel Zigaretten raus, dessen Marke ich absolut nicht kannte. Wahrscheinlich irgendein besonderer Tabak, den man nur durch Connections bekam. »Gehen wir ins Dachgeschoss«, flüsterte er und stolzierte an mir vorbei. Dachgeschoss?, fuhr es mir in den Kopf, als ich mich umblickte und weder eine Treppe noch einen anderen Weg nach oben zu kommen sah. Doch ehe ich mich weiter wundern konnte, zog Alexander mit einer Hand eine Holztreppe kurz vor der Haustür runter. Interessant, dachte ich. Ein gutes Versteck. In der Tat kamen mir schon einzelne vertraute Gerüche entgegen. Kalter Rauch und eine leichte Note von Alkohol. Alexander trieb es hier wohl auf seine Weise exzessiv mit den schönen Dingen des Lebens: heimlich und unentdeckt. Es dauerte einen Moment, bis ich die Kraft fand, die komplette Treppe hochzuklettern, schaffte es aber letztendlich mit einiger Überwindung auf den hölzernen Dielenboden. »Sei leise. Der Holzboden knackt«, gab mir Alexander zu verstehen und hockte sich an ein Schrägfenster, welches er mit einer schnellen Handbewegung öffnete, um sich nicht zu verbrennen. Auf dem Dachboden standen nur alte Möbel und ein kleiner Schrank. Wahrscheinlich deponierte er hier auch seinen Alkohol. Als ich mich neben Alexander an die Wand anlehnte, mit zittrigen Händen nach der Kippe griff, die er mir reichte, streckte ich beide Beine aus und rieb neben meiner Wunde. Es juckte und tat einfach nur weh. Meine Haut war bleich, verwundet und furchtbar sensibel. »Du bist ein ganz schönes Häufchen Elend«, bemerkte mein Nachbar und reichte mir Feuer, nachdem er sich ebenfalls eine Zigarette angezündet hatte. »Sind es die Wunden oder deine Verwandlung?« »Keine Ahnung«, seufzte ich, als ich den ersten Zug des Sargnagels tätigte. »Wahrscheinlich beides.« Unsere Stimmen hörten sich in meinen Ohren so weit weg an, als wären sie aufgenommen worden und schlussendlich auf einem alten Kassettenrekorder abgespielt worden. »Ich hab noch nie einen Noneternal von nahem gesehen ... geschweige denn seine Verwandlung miterlebt.« Alexanders Blick blieb interessiert auf mir haften. Ich musste nur wehleidig grinsen. »Und? Bin ich ein gutes Wissenschaftsobjekt?« »Das werden wir sehen, wenn du erst mal verwandelt bist«, gab er schmunzelnd zurück und drehte seinen Kopf wieder weg. Wir starrten beide auf die gegenüberliegende Wand, welche schräg nach oben verlief und mit einer Holztäfelung verkleidet war. »Schön ist es hier ... Gehst du öfter hier hoch?«, fragte ich unverblühmt, um mein Zittern zu ignorieren. Auch die Zigarette schien nicht wirklich zu helfen. »Kann man so sagen.« »Eltern sehen wohl nicht so gerne, dass du rauchst?« Da lachte Alexander leise auf. Doch anstatt mir zu antworten, kicherte er einfach weiter, schüttelte verzweifelt den Kopf und kratzte sich im Nacken. »Meine Eltern sehen mich im generellen nicht gerne.« Das kam unerwartet. »Gar nicht? ... Bist du alleine hier?« »Ja. Das Haus hier gehört meiner Tante. Sie ist ein Mensch.« Das ließ mich aufhorchen. Ein Mensch? Tante? Also irgendeine Schwester der Eltern war ein Menschen? Doch jetzt erinnerte ich mich, dass Kiyoshi da mal was erwähnte. Dass Alexander zwar reich, doch sein Status innerhalb des Vampirclans nicht sehr hoch war. Geld alleine brachte ihm wohl nicht viel, wenn es letztendlich auf den Stand ankäme. Wahrscheinlich war er wie ich: verwandelt. »Deine Eltern sind aber Vampire?«, hakte ich nach, den Moment ausnutzend, dass Alexander mal etwas über sich erzählte, ohne gleich arrogant zu werden. »Ja, schon.« »Leben die im Norden?« »Wo sonst?«, gab er schnippig zurück und zog stark an der Zigarette. Als er abaschen wollte, schob er einen kleinen Aschenbecher in die Mitte von uns zwei. Tatsächlich war der mit einigen Zigarettenstummeln gefüllt. »Meine Tante lässt mich hier manchmal herkommen, wenn es ein bisschen Stress da oben gibt. Und den gibt es ja zurzeit.« »Wegen Vincent, hm?« »Ja. Und jetzt haben wir ihn hier. Direkt auf unseren Fersen. Toll gemacht, ihr zwei.« Ich lachte leise. »Ich weiß ... es gab tausend andere Wege, ihm zu entkommen. Und wir wählten den Dümmsten.« »Allerdings!«, zischte er mir zu. »Jetzt seid vor allen Dingen nicht nur ihr in der Sache drin, sondern auch Jiro und ich! Weiß immer noch nicht, was mich geritten hat, euch zu helfen!« Seine Stimme wurde immer lauter. Tatsächlich kaufte ich ihm ab, dass er das aus reinem Affekt getan hatte, anstatt darüber nachzudenken. »Danke noch mal«, murmelte ich versöhnend. »Dass du Jiro aus dem Wasser gezogen hast. Ich dachte wirklich, er wäre tot.« Das Thema wollte er wohl noch weniger hören und rauchte einfach still weiter. Nur seine Mundwinkel zeigten mir, dass ihm genau diese Tatsache missfiel. »Soll ich Jiro nichts sagen?«, bot ich lächelnd an. »Dass du sein Retter bist?« Alexanders Kopf senkte sich. »Ja. Wäre mir lieb.« »Klar. Ich sag's Kiyoshi, dass er auch schweigen soll.« »Gut.« Da trat wieder Stille zwischen uns ein. Mein Bein schmerzte nur noch ein bisschen, das Zittern verringerte sich auf ein Minimum. Gott sei Dank, dachte ich. Wenigstens das ließ mich in Ruhe. Die Geräusche blieben jedoch. Das Pochen in meinem Kopf. Mein ganzer Körper fühlte sich schwach. »Hiro?«, hörte ich die zaghafte Stimme aus dem Wohnzimmer. »Hiro, wo bist du?« Kiyoshi klang traurig und schien wie ein kleiner Hund nach mir zu suchen. »Hier oben«, rief ich wohl etwas zu laut, denn sofort danach hörte ich Jiros Stimme. »Fuck!«, war alles, was er rief. Das zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Er fluchte. Wahrscheinlich, weil ihm alles wehtat. Doch es tat gut, seine Stimme zu hören, ihn lebendig zu vernehmen. Man hörte kleine Schritte auf der Treppe zum Dachgeschoss, als ich einen weißen, verstrubbelten Haarschopf sah, der sehnsüchtig nach mir suchte. »Hiro!«, rief er erst freudestrahlend, öffnete aber sofort rügend seinen Mund. »Du rauchst!« »Haha, ja ... sorry ...« Ein reumütiges Lächeln besänftigte jedoch sofort die Miene meines Bruders, sodass er auf allen Vieren zu Alexander und mir kam. Liebevoll setzte er sich an meine Seite und streichelte meinen Arm. »Geht's dir besser?« »Ein bisschen ja ...«, murmelte ich noch, bis Jiro genervt von unten rief. »Scheiße, seid ihr jetzt alle da oben? Wo sind wir? Und raucht ihr etwa? Ich will auch eine Kippe!« »Dieser Mann ist viel zu fordernd«, raunte Alexander genervt und verschränkte die Arme, die Zigarette dabei über seinen Arm haltend. »Das ist eben Jiro ...«, kicherte ich und sah bereits die schwarzen Haare aus dem Treppenloch lugen. »Aha, wusste ich's doch!« Mit leicht abgehackten Bewegungen ächzte er auf den Dielenboden und kam ebenfalls auf allen Vieren auf uns zu. Leise ließ er sich auf seinen Hintern fallen und saß uns dreien gegenüber. »Wer hat Zigaretten?« Schweigend warf Alexander die Kippen in Jiros Schoß und behielt die genervte Mimik bei. »Danke«, murmelte Jiro und nahm sich einen Glimmstängel aus der silbernen Verpackung. Mit dem danebenliegendem Feuerzeug zündete er sie sich an. »Kriegste auch wieder«, versicherte er, dass er niemals schnorren würde. »Kann ich drauf verzichten«, schnauzte Alexander zurück und rauchte schlussendlich auf. Kiyoshi und ich beobachteten das Schauspiel recht amüsiert. Hier und da klaute mir mein Bruder die Zigarette und rauchte sie schließlich auf. Da hatte ich ja was angerichtete ... Ich wollte ihn doch nicht zum Raucher machen! »Was ist gestern passiert, man?«, fragte Jiro ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen und blickte in unseren blassen, ermüdeten Gesichter. »Der Typ war ja voll krass drauf! Hatte der ne Knarre mit? Ja, oder?« »Äh ... «, begann ich, da Jiros Blick in meinen Augen haften blieb, als wäre ich derjenige, der die Pflicht hatte, ihn aufzuklären. »Ja, doch. Der war ... von einer ... Gangsterclique und ... « »Man, erzähl ihm doch keinen Scheiß«, fuhr Alexander mich von der Seite an. »Wir spielen hier aber nicht mit offenen Karten!«, plärrte nun auch Kiyoshi dazwischen und sah Alexander böswillig an. »Jiro sollte so schnell es geht aus der Nummer gebracht werden!« »Ach, und wie soll das gehen? Vincent wird ihn wieder erkennen und ihn zur Rede stellen. Und glaube mir, wenn er nicht weiß, wo ihr seid, wird er so schnell nichts mehr sagen können!« Ein quietschender Ton entfuhr Jiro. »Wie bitte? Der Typ würde mich umlegen?« »Mit Sicherheit«, knurrte Alexander und zog sich noch eine Zigarette aus der Schachtel, als sei das alles zu viel für ihn. Da hob sich Jiros Blick und sah mich wieder auffordernd an. »Weißt du ... «, begann ich, nicht wissend, wohin ich diesen Satz bringen sollte. »Die Sache ist ein bisschen verkehrt und -« »"Verkehrt"? Bringst du ihm gerade die Sache mit Kiyoshi bei oder die wirklich wichtigen Dinge?«, kam mir Alexander dazwischen. Seine direkte und gleichzeitig genervte Art brachte mich aus dem Konzept. »Hey, das mit Kiyoshi ist noch mal eine ganz andere Baustelle, okay? Nenn das nicht verkehrt!« »Das ist es aber ganz schön.« Und damit nickte Alexander, als würde er sich selber zustimmen. »Was ist denn mit Kiyoshi?«, fragte Jiro mit einem leicht verzweifelten Unterton; sah dabei in die Richtung meines Bruders. Doch der winkte ab, als wäre das jetzt gerade nicht Thema. »Jiro, wie soll ich es dir sagen ... wir ... haben da ein kleines Problem mit einem Mann, der ... als Hauptberuf jagt und-« »Der jagt euch?« Jiro klang auf einmal ungläubig. »Mit Waffen und allem? Öffentlich?« »Kann man so sagen, ja«, murmelte ich und zuckte dabei mit den Schultern. »Aber er jagt... im Moment so gut wie jeden und deswegen bist du auch in Gefahr, weil du mit uns in Verbindung gebracht wirst.« »Oh man, Hiro, sag's jetzt ...«, bettelte Alexander schon fast um die Wahrheit, als ginge es hier um das Geständnis schwul zu sein. Und nicht darum, dass meine Zeit gekommen war. Ewig zu leben. So wie die anderen Anwesenden hier. »Was denn?«, rief Jiro hysterisch und schleuderte fast die Zigarette in die Luft. »Wir sind ...« »... Vampire.«, vollendete Kiyoshi meinen Satz und spitzte die Lippen zu einer geraden Linie, um die Ernsthaftigkeit in seinem Satz zu unterstreichen. Alexander raunte sofort genervt auf, so als wäre er erleichtert, dass es endlich einer gesagt hätte und drückte seine zweite hastig gerauchte Zigarette im vollen Aschenbecher aus. Doch Jiro blieb still. Er wechselte den Augenkontakt mit jedem von uns und hob schlussendlich eine Augenbraue. »Vampire?«, fragte er nach, als hätte er nicht ganz richtig verstanden. »Blutsauger... so was ja?« Ich nickte vorsichtig und war mir auf einmal auch nicht mehr so sicher, ob man uns wirklich so nennen könnte. Doch wie sonst? Das war nun mal ... der offizielle Begriff für das, was wir waren. »Das is'n Witz, oder?« Jiros Mundwinkel zuckten und hoben sich zu einem amüsierten Lächeln. »Mensch, Hiro, ich weiß, dass du gerne einer wärst und ... du hast das auch echt immer glaubhaft gespielt, aber ... findest du nicht, dass es jetzt mal reicht? Also... ich mein ... ihr alle? ... Vampire? Seid ihr so ne Sekte? Oder Religion? Trinkt ihr auch so Blut und so?« Jiros Lachen war ein unsicheres, aber doch belustigtes Lachen, als wären wir alle nicht ganz dicht, von uns zu behaupten, wir seien Vampire. »Oh man«, seufzte Alexander und verschränkte seine Arme, überschlug seine Beine und schüttelte den Kopf. »Und ich dachte die ganze Zeit, er spielt diese Dummheit nur. Dabei ist die echt.« »He!«, rief Jiro sofort angegriffen. »Was hast du gesagt?« »Okay!«, ging ich dazwischen, um weitere Prügeleien zu vermeiden. »Alles gut!« Kiyoshi hingegen raunte ebenfalls genervt auf und begab sich auf die dürren Beine. »Ich geh mich frisch machen.« Damit klopfte er Jiro noch einmal auf die Schulter und kletterte die schmale Treppe ins Wohnzimmer zurück. »Gute Idee«, begann auch Alexander und schob den Aschenbecher beiseite, sodass er ebenfalls den Weg zur Treppe gehen konnte, um Jiro und mich alleine zu lassen. Mein Blick haftete noch auf den Abgang nach unten, der mir verwehrt blieb, solange Jiro noch auf eine Bestätigung meines Witzes hören wollte. »Also? Das ist ein Witz, oder Hiro?«, hakte er nach und hob beide Augenbrauen an. »Jiro ... es ist vielleicht besser, wenn es ein Witz bleibt, ja«, lächelte ich sanft. »Es ist aber keiner!«, brüllte Alexander von unten und schien das Schlafquartier aufzuräumen. Nicht weiter auf seine Antwort achtend, grinste ich in das Gesicht meines besten Freundes. »Es reicht ... wenn du weißt, dass es im Moment gefährlich ist in meiner Nähe zu sein.« »Haha«, begann Jiro unsicher zu lachen, »Das klingt wie aus einer dieser Filme ... « »Ich mein's ernst, Jiro.« »Ja, ja. Ich pass auf ... Hat mich ja gestern schon... einige Gehirnzellen gekostet...« Damit fasste er sich an die Stirn, wo noch eine kleine Schramme zu sehen war. »Bin ich in diesen See gefallen? Ich kann mich nicht erinnern.« »Ja, bist du. Aber wir konnten dich noch rechtzeitig rausziehen.« »Puh«, grinste er; wahrscheinlich überspielend, dass er selber ein wenig Angst hatte. »Gerade noch mal mit dem Leben davon gekommen.« »Allerdings!«, rief ich aufgebracht. »Deswegen bleibst du die nächste Zeit besser zu Hause!« »Zu Hause? ... okay? ... Weil es so gefährlich bei euch Vampiren ist?« Eine affektierte Handbewegung ließ mich wissen, dass er die ganze Story noch immer nicht glaubte. Klar, hätte ich ihm einfach meine Zähne und roten Augen zeigen können, doch wollte ich ihm bei Gewissheit keine Angst machen. Er sollte auch weiterhin mein bester Freund bleiben. »Ja, genau. Sieh's als Spiel an.« »Na, von mir aus«, sagte er salopp und zuckte mit den Schultern. »Und was ist jetzt mit Kiyoshi?« Ich winkte sofort ab. »Das ist nicht so wichtig ...« »Doch, ist es!«, hörte ich meinen Bruder von unten rufen. »Kann ich auch mal alleine mit Jiro reden? Bitte?«, schnauzte ich die beiden im unteren Stockwerk an. Mein bester Freund lachte nur amüsiert. Wie immer gut drauf. Keine Situation der Welt könnte ihm das Lachen nehmen. Nicht einmal eine Nahtoderfahrung. »Schon okay. Ich werde es schon noch erfahren«, damit zwinkerte er mir zu und erhob sich, um den Rücktritt ins Wohnzimmer anzutreten. Ich nickte, dankend, dass er nicht weiter bohrte, und erhob mich ächzend. »Scheiße, man, alles okay?« Sofort spürte ich zwei stützende Hände, die mir beim Aufstehen halfen. »Schon okay ... danke. Ist nur mein Bein.« »Was ist passiert? Mit deinem Bein?« Jiros Sorge schien grenzenlos zu sein, während er mich wie eine Mutter musterte. Klar, er hatte von alldem nichts mitbekommen. »Ach ... wurde angeschossen, ist aber schon am verheilen.« »Fuck!«, schrie er los und hielt sich die Hände an den Kopf, als ich schon die Treppe runterstieg, an dessen Ende bereits Kiyoshi mit offenen Armen wartete, um mich zu stützen. »Angeschossen? Holy – Du musst zum Arzt, man!« Jiro kam gar nicht mehr aus dem Fluchen und Jammern raus, kletterte nebenher runter und wusste nicht, wo er mich anfassen sollte, um mir zu helfen. Immer wieder winkte ich ab und setzte mich schlussendlich ermüdet auf das eingezogene Sofa. »Du siehst schwach aus«, flüsterte Kiyoshi, während Jiro sich im Hintergrund noch aufregte. »Ich fühle mich auch schwach.« Mein Blick ging zu Boden. Alles schmerzte, sowohl mein Innerstes, als auch mein Äußerstes. »Eure Kleidung ist noch dreckig ... und teilweise zerstört. Soll ich sie reinigen lassen?«, fragte Alexander, der sich mittlerweile mit einer Blutkonserve hinter uns gestellt hatte und sie genüsslich trank. »Das wäre nett, ja ... Aber wir können die auch noch mal anziehen. Zu lange sollten wir hier nicht verweilen.« »Zurück könnt ihr aber vorerst auch nicht. Der Ort bei eurer Mutter wird sicherlich streng bewacht sein.« »Fuck, was trinkst du da?«, murmelte Jiro entgeistert, als er die Blutpackung in Alexanders Händen sah. Doch der verdrehte wie immer genervt die Augen und holte stumm sein Handy, als gäbe es keine Notwendigkeit dem dummen Menschen zu antworten. »Hier. Ruft doch eure Mutter an. Sie soll euch Wechselsachen einpacken und sie an einen sicheren Ort bringen. Vielleicht ein Bahnhofsschloss?« Ich nahm zögerlich das Handy an. »Nein, das ist viel zu auffällig. Mom soll ja auch keine dummen Fragen stellen. Sie will ich da als letztes mit reinziehen.« »Soll sie die Sachen doch hierher bringen«, schlug Kiyoshi vor. »Nein«, unterbrach Alexander. »Wenn Vincent ihr folgt, wird es unser kleines Versteck finden. Es wird sicherlich nicht lange ein Versteck bleiben, aber solange es eins ist, sollten wir es wahren. Es sollte ein Ort sein, welcher von uns gut erreichbar ist, aber nicht von Vincent.« »Mein zu Hause«, murmelte Jiro. »Soll deine Mom die Sachen doch zu meiner Mom bringen und ... die bringt mir die Sachen hierher. Ich mein, unsere Mütter kennen sich doch. Ist zumindest nicht weit hergeholt, dass sie sie mal besuchen geht.« »Das ist eine gute Idee!«, nickte ich zustimmend. »Dann fragt sie auch nicht! Ich sag einfach, dass wir noch unterwegs seien... aber später zu dir gingen und ... da bräuchte ich Wechselsachen. Sie macht das schon.« »Von mir aus. Aber deine Mutter«, und damit zeigte Alexander auf Jiro, »soll hier nicht direkt halten. Sondern an der Kreuzung. Ich lass die Sachen von meiner Tante holen.« »Deine Tante wohnt hier?«, wiederholte Jiro mit einer Frage und sah verwirrt zu Alexander. »Nicht deine Eltern?« Ich bekam das Gespräch nicht mehr vollends mit, da ich bereits die Nummer meiner Mutter gewählt hatte. Kiyoshi neben mir drängte sich dicht an mich, um das Telefonat mit zu verfolgen. »Hallo?«, ertönte ihre Stimme. »Mom? Hi, ich bin's!« »Hiro!«, erklang ihre mahnende Stimme. »Hast du etwa gestern wieder zu viel getrunken?« »Nein, nein!«, hustete ich ins Mikrofon. »Der Freund wohnt nur direkt am See und ... es hat sich einfach angeboten...« »So, so! Hat Kiyoshi sich auch benommen?« Bei der Frage verdrehte mein Bruder die Augen, als wäre es eine total unnötige Frage. »Klar, niemand ... hat Schaden genommen«, murmelte ich. Jedenfalls nicht wegen Kiyoshi. »Du Mom«, begann ich sofort und räusperte mich erneut. »Kannst du mir und Kiyoshi vielleicht ein paar Wechselklamotten bringen?« »Wieso? Kommt sie euch doch abholen. Ich bin nicht dein Fahrboten, junger Herr.« »Na klar, nee, so meinte ich das auch nicht!« Argh, wieso musste sie jetzt die strenge Mutter raushängen lassen? »Wir sind noch bei dem Kumpel und gestern hat's voll geregnet. Unsere Sachen sind extrem dreckig und ... ein bisschen kaputt. Und wir wollen ja nicht nackt rumlaufen, haha ...« »Ich hol euch gerne irgendwo ab -« »Nein!«, rief ich hier sofort ins Wort. »Wir ... äh- wollen danach noch zu Jiro. Deswegen reicht es, wenn du sie einfach zu Jiro bringst!« »Hiro, was redest du da? Ich soll euch Wechselklamotten zu Jiro bringen? Was ist denn passiert?« Ah, sie roch die Lüge. Wie immer. »Nichts, Mom ... Ich bitte dich einfach ... die Sachen zu Jiro zu bringen. Mehr nicht ... wir kommen erst mal nicht nach Hause. Deswegen ...« »Wie, ihr kommt nicht nach Hause? Hiro, was drehst du da wieder? Drogen? Ich glaube so langsam wirklich, dass du Drogen nimmst! Ich untersuch deine Arme, junger Herr, da kannst du Gift nehmen!« Aha, sie unterstellte dem eigenen Sohn lieber ein Fixer als in Gefahr zu sein. »Kannst du gerne tun. Nur bringst du die Sachen zu Jiro? Bitte?« Sie seufzte sofort genervt. Schwieg und schien sich vom Sofa zu erheben. In dem Moment hörte ich eine Tür knarren. »Du kannst froh sein, dass ich noch frei habe! Was soll ich euch denn bringen?« Ein erleichtertes Seufzen entfuhr mir. Eine so haarige Situation verlangte wirklich haarige Lügen. Verdammt, es war wirklich das erste Mal, dass ich meine Mom lieber nicht angelogen hätte. Aber es blieb mir keine andere Wahl! Ich bestellte einige Klamotten, darunter auch Wechselunterwäsche und Schuhe. Verwundert über die doch gewaltige Anzahl der Kleidung, fragte sie, ob ich verreisen wollen würde. Ob ich mit Kiyoshi durchbrennen wollte. »Sicher nicht, Mom.« »Sei ehrlich, Schatz. Du weißt, Mama und Papa sind für alles offen. Auch, wenn euch diese Beziehung so wichtig ist. Glaube mir, ich habe nur gute Worte für euch eingelegt!« »Danke Mom«, seufzte ich liebevoll ins Telefon. »Das weiß ich sehr zu schätzen. Und wir beide wissen, dass ihr die besten Eltern der Welt seid.« Da hörte ich leises Kichern neben mir. Kiyoshi schmunzelte, als wäre das nicht ganz so wahr, was ich gesagt hätte. Schwieg aber weiterhin. »Ach, Hiro ... Was ist denn nur los mit dir? Seitdem du bei deinem Vater warst ... bist du ...« Sie verstummte. Anscheinend suchte sie nach Worten und fand keine. »Alles wird wieder gut, Mom. Ich hab nur ein paar Dinge... die mir gerade noch Schwierigkeiten machen. Aber nichts großes! Du hilfst mir sehr, wenn du uns die Klamotten bringst!« »Schwierigkeiten? Hat es mit den Vampiren zu tun?«, rief sie sofort hysterisch. »Nein, Mom, alles gut! Ich muss jetzt Schluss machen! Bis dann!« Damit legte ich fast panisch auf. Mit Herzklopfen starrte ich auf das Handy, welches noch kurz das Display der gewählten Nummer zeigte. »Oh, Fuck ... zu viel gesagt.« »Sie wird es nicht checken«, beruhigte mich Kiyoshi und küsste mich auf die Wange. »Sie bringt uns Sachen, das ist alles, was wir im Moment brauchen.« »Weiß nicht ... vielleicht noch mehr Kippen«, grinste ich erschöpft und fuhr mir mit den Fingern über die zittrigen Lider. »Gute Idee. Die kann meine Mom mitbringen«, fuhr Jiro dazwischen, der die ganze Zeit neben uns auf dem anderen Sofa saß und an seiner Jogginghose spielte. »Die ruf ich jetzt an ...« Damit hielt er die Hand zum Handy. Zögerlich reichte ich es weiter. »Wo ist Alexander?«, fragte ich und durchsuchte das kleine Zimmer. »Der ist eben raus. Zu seiner Tante. Wahrscheinlich den Deal klar machen.« Jiro wählte schnell die Nummer von seinem Haus und wartete auf ein Abnehmen. »Ist dein Handy auch kaputt?«, fragte Kiyoshi leise, als er Jiro mit Alexanders Handy sah. Der nickte nur und deutete aufs Bad, wo auch seine Sachen in der Badewanne lagen. »Zu nass geworden.« Als jemand ans Telefon ging, unterhielt sich Jiro mit dieser Person, als wäre er geschäftlich unterwegs. Doch das war Jiros Art zu telefonieren. Nur mit mir alberte er mal am Hörer rum. Kiyoshi lehnte sich auf meine Brust und schloss für einen Moment die Augen. Auch meine Lider wurden schwer. So genoss ich seine Nähe und die kurze Ruhe. Die Gewissheit für einen Moment in Sicherheit zu sein. Auch wenn das vielleicht kein langer Zustand sein würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)