My Dear Brother 2 von ellenchain (The Humans) ================================================================================ Kapitel 18: Tagestour --------------------- »Hiro? Hey ... können wir weiter?«, fragte die liebliche, dunkle und raue Stimme neben meinem Ohr. Langsam drehte ich mich und landete in den Armen meines Bruders. Der streichelte sanft mein Haar und meine Wange, bis ich meine Augen aufschlug und ihn verschwommen wahrnahm. »Mh? Ja ... ja, wir können weiter«, murmelte ich vor mich hin und erhob mich langsam aus den bequemen Federn. Doch so bequem ich auch geschlafen hatte, so zerknautscht fühlte ich mich. Die Knochen, die Muskeln, so gut wie alles tat einfach nur erbärmlich weh. »Ich denke, die Luft ist rein«, brummte Alexander und sah sich um. Die Tür stand bereits offen, Jiro stand ebenfalls Am Eingang zum Aufbruch bereit. »Oh, ihr seid ja alle schon fertig«, stellte ich fest und versuchte mich selber wachzurütteln. Kiyoshi lag noch neben mir, sah mich verliebt an und nickte langsam. »Wir haben dich so lange schlafen lassen, wie es ging. Aber jetzt bricht der Tag an und wir sollten weiterreisen. Sonst wittert Vincent uns noch.« »Klar!« Mit einem Hops landete ich auf meinen Boots, richtete die Klamotten und sah kurz in den Spiegel. Rasierer, Duschgel und Co nahm ich schnell mit und hoffte einfach, dass ich sie nicht allzu lange brauchen werde.   Alexander checkte bei der Rezeption aus, während wir am Auto warteten. Das Frühstück: eine Zigarette für jeden. Mit blanken Nerven saßen wir im Mercedes und sahen uns um. Das Schicksal spielte ausnahmsweise mal für uns und bescherte uns einen recht trüben Tag mit vielen Wolken. Nur hin und wieder schaute mal die Sonne durch. »Fahren wir also bis an den Strand?«, fragte ich schließlich in die Runde, die still schweigend die Fahrt auf sich nahm. »Ich denke, ja. Da schauen wir mal weiter«, murmelte Alexander und fuhr den Wagen verantwortungsbewusst im Tempolimit. Jiro saß wieder neben ihm und hantierte am Handschuhfach rum und durchkramte die Sachen des Vorbesitzer, des alten Mannes. Doch zu seiner Enttäuschung fand er nur Papiere, Handschuhe und ein paar Taschentücher. »Nicht mal was Brauchbares ...«, murmelte er und schloss das Handschuhfach deprimiert über die magere Ausbeute. »Können wir kurz Rast machen? Ich habe etwas Hunger und ... Jiro sicher auch, oder?«, fragte mein Bruder und deutete auf das Schild eines Rastplatzes. Zwar schien Alexander recht wenig von seiner Idee überzeugt zu sein, fuhr trotzdem die nächste Abfahrt raus und hielt am großen Rastparkplatz der Raststätte. Kiyoshi bedankte sich schnell, stieg aus dem Wagen und reckte sich, nahm direkt einer der Blutpackungen und kappte die Öffnung, um daran zu trinken. Als ich ebenfalls ausstieg, um mich zu ihm zu stellen, flüsterte er mir direkt die Wahrheit ins Gesicht. »Ich kann einfach nicht so lange sitzen ... das macht mich rasend«, gestand Kiyoshi und kratzte sich an der Wange, während er immer wieder zu unserem Auto sah, indem Alexander und Jiro noch drin sitzen blieben. Verwundert blickte ich ebenfalls in deren Richtung, nickte aber verständnisvoll. »Du hast ja Recht. Ich tausche auch gleich wieder mit Alexander, dann kann er sich etwas ausruhen.« »Ich glaube, wir müssen eh auch gleich wieder was tanken.« Vorsichtig nahm ich Kiyoshi in den Arm und ließ seinen letzten Satz einfach stehen. Seine dünne Statue erschien mir an diesem Tag besonders dürr zu sein. Ich verkniff mir einen Kommentar über seinen Körper und drückte ihn einfach an mich, strich behutsam über seinen Rücken, während er den Kopf auf meine Schulter lehnte. Nach wenigen Minuten hielt er mir den Schlauch hin, sodass ich auch ein wenig davon trinken konnte.   »Danke«, murmelte Jiro. Alexander saß noch immer angespannt am Steuer. »Wofür?« »Dass du angehalten hast. Dass du überhaupt fährst. Dass du uns hilfst.« Jiros Blick fiel auf seinen Schoß, wo er die letzten paar Münzen seines Geldes in der Hand hielt und zwischen den Fingern drehte. »Wird der Punk jetzt sentimental?«, schnauzte Alexander schon fast wieder unbegründet los. »Sag doch einmal meinen Namen, man. Ich nenn dich doch auch nicht immer Schnösel oder Bonze«, raunte Jiro zurück und sah ihn genervt an. Doch sein Sitznachbar zuckte nur mit den Schultern und sah weiterhin aus der Frontschreibe. »Punk passt besser. Du bist dreckig, dumm und hast eine Aussprache, wie die eines Obdachlosen.« Für ein paar Sekunden starrte Jiro einfach nur in Alexanders Richtung, der seinen Blick nicht erwiderte. Es war der Blick eines gekränkten Mannes, der etwas gegen die Ohren geschmettert bekam, was nicht ansatzweise stimmte und trotzdem von großer Bedeutung schien. »Du bist einfach nur verletzend. Ich weiß nicht, was du damit erreichen willst ...«, murmelte Jiro enttäuscht, nahm sein Geld fester in die Hand und stieg letztendlich aus dem Auto aus. Ein lautes Türzuschlagen läutete seinen Abgang ein.   »Jiro?«, rief ich ihm noch hinterher, doch mehr als eine Handbewegung zum Rasthofshop bekam ich nicht. In dem Moment stieg auch Alexander aus, zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich mit dem Rücken zu uns an das Auto. »He«, ging ich auf ihn zu und nahm Kiyoshi bei der Hand. Sofort reichte ich ihm den Rest der Packung. Dankend nahm er sie an und trank das letzte Blut aus. »Habt ihr euch schon wieder gestritten?«, fragte ich sichtlich unbeeindruckt über die Tatsache, dass Jiro wutentbrannt das Auto verlassen hatte. Alexander zuckte nur mit den Schultern, warf die letzte Blutpackung in einen nahen Mülleimer und kam wieder zum Auto zurück, rauchte noch immer mit tiefen Zügen. »Vielleicht.« »Sei doch mal netter zu ihm ... Bitte. Er hat dir doch nichts getan.« Kiyoshi sah ihn mit großen Augen an. »Zu mir bist du doch auch nett. Und ich dachte immer, mich kannst du am wenigsten leiden.« »Keine Ahnung, er zieht das an. Ich kann da nichts gegen machen«, verteidigte sich Alexander mit einer recht bescheidenden Ausrede. Als die Sonne aus der Wolkendecke brach und uns quälte, sperrten wir das Auto ab und setzten uns auf einen Bordstein, der von Bäumen umringt war. Doch selbst im Schatten wurde es etwas unangenehm. Da erspähte ich in der Ferne ein Münztelefon. »Hat einer von euch noch ein bisschen Kleingeld?«, fragte ich aufgebracht und fing an, mein Portemonnaie durchzukramen. »Mutierst du jetzt auch schon zum Penner?«, murrte mich Alexander an, der seinen Stummel der Zigarette auf dem Boden vor ihm mit dem Schuh zerdrückte. Mit einem etwas gereizten Blick sah ich in seine arroganten Augen. »Genau solche Kommentare meinen wir ... unterlasse das.« Kiyoshi kramte ebenfalls in seiner Geldbörse und gab mir einige kleine Münzen, sofort wissend, wieso ich sie brauchte. »Willst du Mutter anrufen?« »Ja ... ich glaube, die SMS hat sie verstört ...« »Kann man nicht wissen, das Handy war vor ihrer Antwort schon tot«, hörte man Alexander brummen, der noch einmal auf sein schwarzes Display starrte. »Willst du auch zu Hause anrufen?«, fragte ich höflich, als ich aufstand. Ich für meinen Teil hatte keinen Grund böse auf ihn zu sein oder ihn mit abfälligen Kommentaren zu überschütten. »Nein«, war alles was aus ihm herauskam. Ein demütiger Blick nach unten zeigte mir deutlich, dass er keinen Sinn sah, zu Hause anzurufen. Oder bei seiner Tante. Als würde ihn eh niemand vermissen. Gerade, als ich gehen wollte, kam dann auch Jiro aus dem Shop wieder und hielt eine ganze Tüte mit Dingen gefüllt in der Hand. Aus seiner Jackentasche holte er dann noch Kaugummi und eine Tablettendose. »Was hast du alles gekauft?«, fragte ich mit hochgezogener Augenbraue, als ich seine Plastiktüte musterte. Jiro zog die Schultern hoch und zog sich ein belegtes Baguette raus. »Hauptsächlich Wasserflaschen ... Keine Lust mehr das Wasser aus den Wasserhähnen an Rasthöfen und Motels zu trinken.« Ich nickte sofort und lächelte schwach. Wie schnell man vergaß ... dass man einen Menschen dabei hatte ... der Wasser und Nahrung brauchte. »Ich gehe Mom anrufen. Willst du deine auch anrufen?« Jiro verneinte sofort; unterschwellig etwas enttäuscht. »Es reicht, wenn deine Mom es meiner sagt. Sie war schon so unbeeindruckt, als ich das letzte Mal mit ihr telefoniert hatte ... Ist wahrscheinlich viel zu sehr mit sich selber und ihrem gebrochenem Bein beschäftigt.« »Verstehe«, murmelte ich und sah zu meinem Bruder, ob der wenigstens mit mir mitkommen wollen würde. Schnell nickte er mir zu, hakte sich in meinen Arm und ging schlendernd zum Münztelefon. Jiro und Alexander blieben auf dem Bordstein sitzen.   »Hier«, sagte der gepiercte Mann und hielt dem anderen schwarzhaarigen die Tablettendose hin. »Ich weiß nicht, ob es bei euch wirkt ... aber hab es mal auf Verdacht mitgenommen.« »Bei uns? Du sagst es so abfällig... Glaubst du es etwa immer noch nicht?«, fragte Alexander leicht gereizt und drehte die Dose in seinen kalten Händen. »Ibuprofen? Schmerztabletten?« »Ihr habt alle große Wunden. Und wenn ihr so in der Sonne rumlauft ... verbrennt ihr. Die Schmerzen jedenfalls scheinen ja echt zu sein«, murmelte Jiro und verzog ungläubig das Gesicht, als wäre er sich immer noch nicht über die Vampirgeschichte sicher. »Verstehe. Na ja. Sie wirken ... wenn auch nicht so gut, wie bei euch.« Mit diesen Worten öffnete Alexander die Dose, schmiss sich eine Tablette und spülte sie mit etwas Wasser runter. »He ... wer hat gesagt, du darfst mein Wasser trinken?«, raunte Jiro seinen Nachbar an, der die Flasche wieder zurück in die Tüte stellte und ihm nur einen gereizten Blick schenkte. »Die Hälfte davon ist doch eh geklaut«, gab der salopp zurück und lehnt sich ein wenig zurück. Ein hinterlistiges Lächeln streifte seine Lippen. »Hey! Nur die Kaugummis und die Tabletten!«, verteidigte sich Jiro, musste dann aber auch lachen und schmiss sich, nachdem er das Baguette aufgegessen hatte, einen Kaugummi rein. »Wusste ich's doch ... du Punk.« Alexander verdrehte die Augen und steckte sich noch eine Zigarette an. Jiro tat es ihm gleich und zog aus der Tüte noch eine volle Schachtel, steckte sie sich in die Hosentasche. Nachdem er auch einen großen Schluck Wasser getrunken hatte, lehnte er sich ebenfalls zurück und betrachtete mit Alexander schweigend den wolkenbenetzten Himmel, während sie genüsslich ihre Zigarette rauchten. So schnell wie sie stritten – so schnell fanden sie auch ihren Frieden wieder.   »Mom? Hey, Mom!«, begrüßte ich die Dame, die sich an der anderen Leitung meldete. »Hiro!«, kam ihre rügende Stimme. »Wo bist du? Hast du sie noch alle? Einfach so in den Urlaub zu fahren? Mit Nichts?« Ein verzweifeltes Lachen kam über meine Lippen. »Ja, weißt du ... das war alles sehr spontan und ...« »Und ohne Handy! Du hast doch gar nichts dabei!« Ihr Stimme wurde wieder acht Oktaven höher. Sie quietschte so hoch, dass ich kaum ihre Worte verstehen konnte. »Ja, ist ein bisschen blöd gelaufen, aber -« Doch wie immer, wenn sie hysterisch wurde, ließ sie mich nicht ausreden. »Was ist passiert? Sucht dich die Polizei? Hat Kiyoshi jemanden umgebracht? Oder sind es doch Drogen?« »Mom! Lass mich mal ausreden!« »Es kommen doch sowieso nur Lügen! Euer Vater hat gestern angerufen und wollte ebenso wissen, wo ihr seid und ich konnte es ihm nicht sagen! Wir machen uns beide Sorgen! Du sagst mir jetzt sofort, wo ihr seid!« »Am Strand!«, schrie ich genervt in das Mikrofon. Einzelne Passanten sahen überrascht über meine lauten Worte in unsere Richtung. Kiyoshi hingegen blieb ruhig und lehnte an der Telefonsäule; seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein seinen Nägeln, die ein wenig unter den Strapazen gelitten hatten. Trotzdem war ich mir sicher, dass er jedes Wort von Mom verstand. »Am Strand? Wirklich? Was macht ihr da?« »Urlaub?«, raunte ich genervt, stemmte meine Hand in die Hüfte. »Jedenfalls ... sind wir noch auf dem Weg dorthin. Aber ich schätze mal morgen oder so ... haben wir den Strand erreicht.« »Und wo genau am Strand?« »Mom, keine Ahnung... wir sind doch noch nicht da ... « Manchmal nervte sie. Gerade jetzt, in dieser angespannten Situation, konnte ich mich nicht auf ihre Stimme konzentrieren. Und schon drei Mal nicht ihr adäquate Lügen-Antworten aufzutischen. »Oh bitte, Hiro ... was ist passiert? Ich mache mir Sorgen um meinen Schatz!« »Alles ist gut, Mom ... Wir ... machen nur mal Urlaub.« »Mit Nichts? Womit reist ihr eigentlich? Und wer ist wir?« Ein weiteres Seufzen entfuhr meinen Lippen. Wieso wollte sie alles so genau wissen? Wieso konnte sie nicht so chillig drauf sein wie Jiros Mom? »Jiro und Alexander ... der Freund, bei dem wir auch geschlafen haben.« »Woher kennt ihr den?« »Ist ein Freund von ... äh ... Jiro.« Ich verschwieg lieber, dass es eigentlich ein Bekannter von Kiyoshi war. Sie wäre bei der Info doch direkt wieder an die Decke gegangen. Denn Kiyoshi hätte nie und nimmer menschliche Freunde gehabt... »Und womit reist ihr?«, wollte sie harsch wissen, als entdecke sie bereits bald meine Lüge und war kurz davor sie aufzudecken. »Mit einem Auto! Okay? Lass mir... doch die Freiheit mal zu verreisen!« »Du kannst reisen, wohin du willst, aber doch nicht so spontan mit nichts, außer ein paar Wechselklamotten, die ich seltsamerweise zu Jiros Mutter bringen sollte – und so wie ich herausgefunden habe, sollte die die Sachen wieder irgendwohin schaffen!« Da biss ich mir auf die Lippe. Mom stellte also Nachforschungen an, soso. Das gefiel mir absolut nicht. Würde sie uns auf die Spur kommen und wohlmöglich noch nachreisen ... wäre sie gefundenes Fressen für Vincent gewesen. Das musste ich auf jeden Fall verhindern. »Ich geb dir noch mal Kiyoshi, dann muss ich Schluss machen. Wir haben nicht mehr so viel Kleingeld.« Sie plärrte noch irgendetwas ins Telefon, welches ich bereits vom Ohr nahm und mit Augenverdrehen zu Kiyoshi reichte. Der nahm es recht amüsiert an und hielt es sich an die Ohrmuschel. »Mutter? Hi, ich bin's.« Und dann ging das Ja und Nein Spiel wieder los. Kiyoshi schien immer so kurz angebunden zu sein, wenn er telefonierte. Jedenfalls erzählte er nicht viel, Mutter schien nur viel zu fragen. Ich ging aber mal davon aus, dass er ihr alles "wahrheitsgemäß" erzählte. Sprich: sie genauso anflunkerte, wie ich. Als das Gespräch beendet war und Kiyoshi seufzend das Telefon aus der Hand legte, sah er mich mit großen Augen an. »Was machen wir jetzt?« »Zurück zu den beiden und ... weiterfahren. Vielleicht schaffen wir es auf ein Kreuzfahrtschiff ... da wird uns Vincent nicht folgen können.« »Kreuzfahrtschiff? Oh ...« Kiyoshis Blick trübte sich sofort. Erst jetzt schien er zu merken, dass sich unsere Reise auf etwas länger ausbreiten würde. »Komm ... wir schaffen das. Wir haben uns, reicht doch«, scherzte ich und drückte ihm einen sinnlichen Kuss auf die Lippen. Genüsslich schlang er die Arme um meinen Nacken und presste seinen Körper an mich heran. Ein Seufzen entfuhr ihm, als ich ebenfalls meine Arme um seine Taille legte und ihn liebevoll streichelte. »Ja«, hauchte er schließlich gegen meine Lippen. »Das reicht vollkommen.«   Beim Rückmarsch blieb ich noch kurz am Shop stehen und las die Schlagzeilen der Tageszeitung. Sie schrieben noch einmal über den Vorfall am See, dass es wohl doch Verletzte gab, man einige Jugendliche gefunden, aber noch nicht verhört hätte. Ich konnte nur hoffen, dass es sich hierbei nicht um unsere Freunde handelte, die man in Gewahrsam hielt. Alexander und Jiro saßen noch ausgelassen auf dem Bordstein und blickten beide in den Himmel. »Wir könnten weiter«, schlug ich vor und deutete auf den Wagen. »Ich fahre jetzt weiter.« Ein stummes Nicken folgte, Alexander hob sich und nahm die Plastiktüte an sich. »Es waren auch keine großen Vögel am Himmel«, bemerkte Jiro, stand auch auf und nahm dankend die Tüte wieder an sich. »Perfekt.«   Doch die Autofahrt sollte nicht lange gehen. Die Tanknadel ging wieder einmal schneller runter als gedacht. »Man, diese Karre hier frisst mehr Benzin als Jiro Kaugummis!«, fluchte ich und haute mit der Faust auf die Tankanzeige. »Wir sollten uns sowieso bald ein neues Auto suchen«, bemerkte Kiyoshi. »Sie werden den Wagen als vermisst gemeldet haben. Die Polizei wird uns noch anhalten, wenn wir nicht aufpassen.« Ein wirklich guter Einwand, den mein Bruder da brachte. Alle andere stimmten sofort zu, doch wo sollte man sich ein neues Auto klauen? Weit und breit war nichts außer Feld und Rasthöfe. Und auf Rasthöfen empfand ich es als besonders gemein, ein Auto zu klauen. Gut, wir würden ihnen ja die Rostlaube da lassen, trotzdem würde es zu sehr Aufmerksamkeit erregen. Die Leute riefen sehr wahrscheinlich sofort die Polizei, würden den Wagen als gestohlen melden und schon hätten wir die Bullen auf den Fersen. Der Benz musste noch ein Weilchen ausharren, so viel war klar. Also hielt ich am nächsten Rasthof und tankte den Wagen voll. Abermals ging Alexander schweigend bezahlen und stieg wieder zu uns. Wie viel Geld er noch auf der Karte hatte, wollte er uns nicht sagen. Es sei genug. Die Sonne ging langsam unter. Zu unserem Vorteil, doch waren wir nicht gewillt die Nacht durchzufahren. Wir mussten uns wieder einen Schlafplatz suchen. Doch nicht nur die Suche nach einem anständigen Hotel nervte, sondern auch das Gequietsche des Autos. Schließlich auch noch Nahrungsmangel, denn wir hatten nur noch eine Blutpackung. Die Vorletzte hatten wir zum Abendessen getrunken. Alles stand auf Spannung. Und wir wussten immer noch nicht wohin die Reise gehen sollte. Schließlich kamen wir an einem weiteren Motel vorbei, welches jedoch ausgebucht war. Wir näherten uns dem Strand, weswegen eine freie Unterkunft gerade zur Ferienzeit so kurzfristig schier unmöglich schien. Selbst nach mehreren Kilometern fanden wir kein freies Zimmer, sodass es darauf hinauslief, dass wir auf einen Campingplatz fuhren, die Gebühr zahlten und niedergeschlagen das Auto für die Nacht herrichteten. »Der Standard sinkt von Tag zu Tag«, raunte Alexander und vermisste wahrscheinlich sein weiches Bett mit der teuren Bettwäsche. Dass wir uns irgendwann mal in öffentlichen Toiletten waschen mussten, konnte wohl niemand erahnen. »Für heute dann eben mal ... weniger Luxus«, seufzte ich und schlug eine Notfalldecke auf, die wir als gemeinsame Decke nutzen konnten. »Für heute? Für wohl was länger«, murrte auch Jiro los und sah unzufrieden zum Auto, dessen Rücksitze wir umgeklappt hatten, sodass wir den Kofferraum als Schlafraum nutzen konnten. »Wie sollen da vier Männer reinpassen?« »Drei«, spaßte ich sofort, lachte und knuffte Kiyoshi in die Seite, der den Notfallkoffer des Autos inspizierte. Ein glückliches Grinsen wurde mir zurückgeschenkt. Er wusste genau, was ich meinte. »Na, wenigstens habt ihr beiden Spaß.« Niedergeschlagen schlurfte Alexander ums Auto und setzte sich auf die Motorhaube. Dann schwieg er, als wäre er geistig nicht mehr anwesend gewesen. Ein leises Seufzen entfuhr mir. Was konnten wir schon tun? Besser so ... als in Vincents Fingern. »Ich geh schon mal Zähneputzen«, verkündete Kiyoshi und nahm seine Zahnbürste aus seinem Blazer. Ich reichte ihm das kleine Tübchen Zahnpasta, was ich im Motel gezogen hatte. Lange würde es nicht mehr reichen. »Mach das«, fügte ich noch hinzu und küsste Kiyoshi auf die Stirn, der sich dann winkend verabschiedete. Jiro hingegen seufzte sofort und nahm seine Zahnbürste ebenfalls in die Hand. »Dann gehe ich auch ... sind wir schneller durch ... mit dem Reinigen.« »Alles klar«, murmelte ich etwas enttäuscht über die Tatsache, dass Jiro auch wegging. Als ich mich umdrehte und Alexander auf der Autohaube sitzen saß, seufzte ich leise auf. Der sah nicht unbedingt so aus, als wolle er mit mir reden. Die letzten Gespräche kamen auch gezwungener rüber als gedacht.   Nachdem alle Zähneputzen und einigermaßen hergerichtet waren, verbrachten wir noch einige Minuten vor dem Auto, unterhielten uns über dies und das, doch die Anspannung wollte nicht von uns gehen. Schließlich gähnte Jiro auf und rieb sich die Augen. »Wenn wir schon nicht saufen ... gehe ich schlafen, ja?« Ein fragender Blick streifte die Runde. Alexander nickte und deutete mit seinem Kinn an, dass er ruhig ins Auto gehen sollte. »Ja, geh ruhig. Wir tauschen wieder mit der Wache«, schlug ich vor und hob beide Augenbrauen. »Soll ich wieder anfangen? Und Kiyoshi löst mich ab?« »Nee, ich geh diesmal zuerst«, surrte mein Bruder und strich mir liebevoll über den Arm. »Du hast letzte Nacht schon so lang gemacht.« »Ich pass auch gerne auf. Dann könnt ihr beiden schlafen gehen«, schaltete sich Alexander endlich mit einer Stimme dazwischen und rupfte ein wenig Gras von vor seinen Füßen aus. »Nee, dich brauchen wir als Fahrer.« »Dann also ich?« »Ich gehe gerne.« »Nee, also-« »Scheiß doch auf die Wache!«, plapperte Jiro dazwischen und hob beide Arme. »Wenn der Vogel hier ist, war es bisher immer zu spät! Und wenn einer Vincent sieht, ist es eigentlich auch schon zu spät!« »Was redest du da? Wenigstens haben wir dann noch Zeit zu fliehen! So ermordet er uns im Schlaf«, konterte Kiyoshi und schob die Augenbrauen nachdenklich zusammen. Auch Alexander schien von Jiros Vorschlag weniger begeistert zu sein und sah ihn eindringlich an. »Er hat nicht ganz unrecht«, seufzte ich und legte den Kopf schief. »Eigentlich wäre es von Vorteil, wir würden tagsüber schlafen und abends reisen, aber ... Vincent wird auch schlafen müssen. Und das tut er mit Sicherheit nachts. Also ... wieso wir nicht auch?« Mit diesen Worten stand ich auf, zuckte mit den Schultern und deutete auf den Wagen. »Gehen wir alle schlafen. Ich glaube, es wird sowieso eine unruhige Nacht werden, haha«, lachte ich nervös und dachte an den winzigen Raum, in den sich jetzt vier Männer quetschen durften. Alexander blieb eisern. »Wir passen da eh nicht alle rein. Dann kann auch einer Wache schieben.« »Mach doch, was du willst!«, schnauzte Jiro sofort den Schwarzhaarigen an, winkte ab, und ging zum Wagen, wo er die Tür aufriss und sich in die Ladefläche legte. Dicht gedrängt an die andere Seite, sodass jeder von uns noch Platz hatte, dazu zu kriechen. Jiros Verhalten ließ selbst mich stutzen. So gereizt hatte ich ihn noch nie erlebt; aber es war ihm gegönnt, so dachte ich. Diese Situation verlangte einfach Grenzwege. »Komm schon, Alexander. Dann sind wir morgen alle ausgeruht und ... können früh weiterfahren.« Kiyoshi wartete nicht auf Alexanders Reaktion und ging ebenfalls Richtung Auto, kletterte hinein und gesellte sich zu Jiro, der sich kurz umdrehte und nickte. Wie immer nahm Kiyoshi die haarige Situation schweigend hin, dachte ich und seufzte ein wenig über die Enthaltsamkeit meines Bruders, was eine Meinung anging. »Vincent wird uns so schnell nicht auf diesem Campingplatz finden. Wahrscheinlich geht er eher davon aus, dass wir uns irgendwo in der Wildnis vergraben haben.« Meine Argumente schienen zu Beginn wenig Anklang bei Alexander zu finden, lösten dann doch eine Reaktion aus und ließen ihn laut Seufzen. »Na schön... Aber zwing mich nicht, mich an den Punk ranzukuscheln.« »An wen du dich rankuschelst, soll dir überlassen sein«, gab ich grinsend zurück und verdrehte leicht die Augen. Kiyoshi rückte noch etwas näher an Jiro ran, sodass ich mich mittig zu ihm legen konnte. Alexander kroch dann ebenfalls ins Auto, schloss die Tür und kurbelte ein Stück das Fenster runter. »Vielleicht hörst du ja dann den Vogel«, brummte er mir zu und legte sich mit angewinkelten Beinen neben mich hin. Ja, bequem war was anderes, aber besser als nichts, dachte ich mir und kuschelte mich an meinen Bruder ran, der bereits halb auf meiner Brust lag. Der neue Tag würde besser aussehen. Vielleicht hatte Vincent ja wirklich die Spur verloren? Vielleicht hätten wir Ruhe? Und könnten nach wenigen Tagen wieder zurückkehren? Jedenfalls wünschten wir uns das alle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)