West Coast von Blaubeere20 ================================================================================ Kapitel 1: Flughäfen & Migränen ------------------------------- Ryou's Sicht: “Hast du genug geschlafen?”, sorgte sich meine Mutter, als sie mich gerade mit dem Auto zum Flughafen fuhr. Es war sechs Uhr Morgens, doch die Sonne war noch lange nicht bereit dazu, sich zu erheben; November. Die Straße war komplett benebelt und wirkte düster. Die Welt sah aus, wie eine mysteriöse, neue Entdeckung. Nur Silhouetten, die vor ihren Schatten tanzten und verirrt aussahen. “Ja”, antwortete ich beinahe schwächlich. Ich hatte zwar genug geschlafen, jedoch zog mich die noch anhaltende Dunkelheit runter. Erst in einer Stunde würde etwas Licht zum Vorschein kommen - ich wollte nicht warten. Als mein Magen begann, zu knurren, bemerkte ich, dass ich zwar geschlafen aber nicht gegessen hatte. In der Hektik und Vorfreude war ich gänzlich verloren - Dad. Ich hatte vor, zu meinem Dad an die kalifornische Küste zu ziehen. Für eine Woche, für zwei Wochen, solange, wie ich mich dort wohlfühlte. Mein Vater wohnte mittlerweile schon ein Jahr dort und es gefiel ihm; das Meer, der Sand, die Möwen, die Menschen. Viele meiner Freunde dachten, meine Eltern seien geschieden, dabei waren sie einfach nur weit voneinander entfernt. Meinem Paps gefiel das Großstadtleben nicht, weshalb er es zu seinem Traum machte, an einen ruhigen, eher menschenleeren Ort zu reisen und eventuell auch dort zu bleiben. Mum aber wollte Nichts aufs Spiel setzen, immerhin hatte sie einen gut bezahlten Job, gute Freunde und viele Erinnerungen in dieser Stadt. Sie würde um Nichts in der Welt wegziehen; nichtmal ihr Mann hat sie überreden können. Doch sie stritten sich nicht, sie stritten sehr selten. Sie akzeptierten und respektierten die Entscheidung des anderen und so wurden sie durch etliche Meilen getrennt, doch immer noch durch die Liebe verbunden. Der Grund, weshalb nur ich zu Dad zu Besuch kam, war, dass es sich für uns beide finanziell nicht ausging. Ich hatte erst meinen Abschluss fertig und konnte somit kein Geld verdienen, weshalb Mum für mich sparte. Sie legte jeden Monat, begonnen vor einem Jahr, Geld zur Seite und versprach mir, dass ich meinen Vater bald wieder sehen würde. Aus Liebe meinte ich zu ihr, dass nicht ich, sondern sie hinfliegen solle, doch ihre Worte waren: “Ryou, Schatz… ich kann dich nicht alleine hier lassen und nicht wissen, wann ich wieder komme”. Wir hielten Kontakt mit Dad durch Skype, E-Mails, SMS und Anrufe. Wir waren immer noch die selbe Familie, wie vor einem Jahr. “Wie lange fliegst du nochmal?”, Mum suchte nach einem Parkplatz. “Zehn Stunden und zwölf Minuten”, erinnerte ich mich und fragte mich zum tausendsten Mal seit gestern, was ich den ganzen Flug über machen könnte. Neben wem würde ich sitzen? Wird es kleine Fernseher geben? Kriegen wir Schlafmasken? Was ist mit Essen? Ich hoffte, dass ich während des Fluges schlafe, doch ich hatte schon neun Stunden Schlaf hinter mir. Etwas zu essen vor der Abreise wäre aber nicht schlecht, schoss es mir durch den Kopf. Als das Auto eingeparkt war, stiegen wir aus und ich holte meinen Rucksack und mein Gepäck aus dem Kofferraum. “Ich begleite dich noch zum Schalter”, Mum nahm mir den Koffer ab und wir machten uns auf den Weg ins Innere des Flughafens. Viele, viele Leute füllten die Halle und hatten die verschiedensten Gemüter. Ich holte meine ausgedruckte E-Mail heraus und las die Nummer des Schalters ab, zu dem wir mussten. “119”, las ich laut vor, ehe wir dorthin schlenderten. Die Schlange dort war nicht allzu lang und es ging schnell voran. “Pass auf dich auf, ja?”, Mum hatte Tränen in den Augen. “Du auch auf dich. Ich hab dich lieb”, ich umarmte sie. “Ich hab’ dich auch so lieb, Ryou”, nuschelte sie gegen meine Schulter. Es dauerte, bis wir uns von einander lösten. Wir waren nie länger als drei Tage voneinander getrennt und konnten es uns auch nicht wirklich vorstellen. Es würde einsam für sie werden. Aber sie war eine starke Frau. Ich sah ihr noch zu, wie sie den Weg zurückging und wegen der vielen Menschen aus meinem Blickfeld verschwand. Ich stellte mich bei der Schlange an und schnaufte erstmal, da mein Koffer so schwer war. Oder ich war einfach nur schwach, eines von beiden. Oder vielleicht sogar beides. Die Leute gingen schnell vorwärts und bevor man ungeduldig werden konnte, war man schon an der Reihe. Unaufgefordert zeigte ich meinen Pass her und bekam kurz darauf mein Flugticket. Meinen übergroßen Koffer tat ich auf das Fließband und ich fühlte mich entlastet. Der nächste wurde hergebeten, ich durfte mich schon durch die Sperre zu den Gates begeben, wo ich mich erneut ausweisen musste und somit schließlich zum besten kam - den DutyFree-Shops. Mum hatte mir insgesamt 544.000 Yen¹ angespart, für den Hinflug, den spontanen Rückflug, zum Leben bei meinem Dad und - weil sie mich kannte - fürs Shoppen. Mir blieben noch vierzig Minuten bis zum Abflug, und meine Pupillen weiteten sich bei den ganzen Schnäppchenangeboten, doch zu aller erst musste ich etwas in den Magen kriegen. Fast Food schien gut genug zu sein, immerhin warteten die reduzierten Jeans und Hemden auf mich. Ein Big Mac Menü vom Mc Donald’s war schnell hergezaubert; ich aß, als wäre es ein Wettlauf gegen die Zeit gewesen. Die Personen um mich starrten mich mit großen Augen, kopfschüttelnd, an. Mich scherte es wenig, ich war satt und zufrieden. Was will man mehr, wenn man Hunger hat? Meine Minishoppingtour begann in einer Parfümerie, in der ich mich wie in pastellviolettem Feenstaub fühlte. Die dezenten Gerüche der verschiedenen Düfte bildeten eine Art Wolke, in der man sich für immer verstecken wollte. Unverschämt nahm ich mir sechs von den Papierstreifen, auf denen man die diversen Parfums testen konnte. Eine Mitarbeiterin fragte mich, ob sie mir helfen könne, da es offensichtlich so aussah, als wäre ich hilflos und orientierungslos bei der Entscheidung, dabei ließ ich mich einfach nur emotional verwöhnen. Die Mitarbeiterin wartete, in der Hoffnung, dass sie einen richtigen Moment findet, um mich beraten und zum Kauf verlocken zu können. Die Frau schien die Geduld zu verlassen zu haben, als sie davonschritt und sich dem nächsten Kunden widmete. “Oh mein Gott”, sprach ich zu mir selber, als ich den Duft eines hellblauen Flakons testete, der den Namen Lightblue Wings trug. Ich sog den Geruch unheimlich tief ein und schloss die Augen. “Ein unbeschwerter, aber doch sinnlicher Duft, erst gestern eingetroffen”, drängte mich eine andere Angestellte des Ladens. “Um nur 8.000 Yen² kriegen Sie 50ml inklusive einer 5ml Probe eines anderen Dufts”, ihre Stimme war höher gestellt, um freundlich zu klingen. Ich ignorierte ihre Aussage und schnupperte erneut am besprühten Papierstreifen. Auch diese Arbeiterin fühlte sich Fehl am Platz und bereitete sich vor, um einem anderen zur Last zur Fallen. “Das macht 8.000 Yen”, die Kassiererin klang müde. Ich zahlte und bekam einen großen Zettel, den ich unbedingt aufbewahren sollte, da er als Beweis gilt, dass diese Flüssigkeit nicht von mir zu Hause mitgebracht wurde. Ich steckte diesen zusammen mit dem Flakon in meinen Rucksack und wünschte der erschöpften Kassiererin noch einen angenehmen Tag. Ich schaute auf die Uhr: es sind seit dem Essen zwanzig Minuten vergangen, was für noch weitere zwanzig sprach, bis es losgehen würde. Ich erlaubte mir noch, mich für neue Oberteile umzusehen, bis ich mich am Riemen reißen müsste. Da meine Wenigkeit aber sehr wählerisch ist, verließ ich drei Geschäfte mit leeren Händen. Ein Hoch auf Einzelkinder! Ich schlenderte zu Gate A12 und legte meinen Rucksack, meine Jacke, meinen Gürtel, mein Handy, meinen Pass, mein Flugticket und das Parfum in die graue Kiste, die durch das Fließband der Sicherheitskontrolle geschoben wurde. “Weiterkommen”, sprach mich der Securitymann an, worauf ich mit lockeren Schritten gerade aus ging - es piepte. Der Mann betastete mich von oben bis unten und erlaubte mir, weiterzugehen. Ich fedelte meinen Gürtel ein, zog meine Jacke an, hing mir den Rucksack um, steckte mein Handy ein, tat das Parfum in den Rucksack, nahm meinen Pass mit dem Ticket und fragte mich, wieso das alles so kompliziert war auf Flughäfen. Die meisten Leute spielten etwas auf ihrem Handy, während sie warteten. Ich setzte mich auf einen der Sitzplätze und fragte mich diesmal wirklich, wirklich ernst, was ich die zehn Stunden machen würde. Was werden die anderen Leute tun? Ich war so neugierig auf den Flug und auf die Küste und auf meinen Dad, es war unbeschreiblich. Ich fragte mich, ob ich ihm in die Arme springen würde oder ob er mich zuerst mit seiner Umarmung fast umrempelt. Seine braunen Augen werden mir entgegenfunkeln, während er mir sagt, wie sehr ich ihm gefehlt habe, und er wird nach Mum fragen. Er wird stolz auf mich sein, dass ich meinen Abschluss gemacht habe und er wird bis spät in die Nacht Horrorfilme mit mir gucken. Das Flugzeug hatte sein Boarding und die Fluggäste stellten sich bereits an, um in die Maschine zu gehen. Es gab einen Hauch von Gedränge, bis durchgesagt wurde, dass die Fluggäste in der Business Class zuerst hinein durften. Die meisten entfernten sich ein paar Meter zurück und ließen den Höherrangigen den Vortritt. Diese waren aber schnell gezählt und so durfte auch ich mich anstellen. Ein Kribbeln war in meinem Magen zu spüren, und das waren bestimmt nicht die Pommes. ¹ in etwa 4.000 € ² in etwa 60€ Seto's Sicht: “Ihr bereitet mir alle Kopfschmerzen!”, rief ich meine Mitarbeiter entzürnt an. Diese blickten verängstigt auf den Boden. “Ich sagte doch, dass die neue Ware bis Donnerstag nicht ausgepackt werden darf, oder?! Sagte ich das?! Habe ich das nicht gesagt?!”, ich kochte vor Wut. Ich machte eine schnelle Handgeste, welche die jungen Leute sofort begriffen und sich aus meinem Büro entfernten. Der letzte machte die Türe zu. Seit drei Jahren bin ich hier Filialleiter und es ist mir noch niemand unter die Nase gekommen, der vier Tage hintereinander was richtig machen kann. Die weißen Mäntel wurden zu den grauen sortiert, die Preisschilder wurden umgekehrt reingesteckt, abgelaufene Aktionsbilder befanden sich immer noch am Schaufenster und die Kassierer konnten nicht einmal richtig Kopfrechnen - um einige Beispiele zu nennen. Nur, weil wir alle nahe an der Küste leben, bedeutet das nicht, dass wir während der Arbeit den Kopf ausschalten und ans Meer denken. Wie oft ich das meinen Angestellten schon geprädigt habe; ich massierte mir meine Schläfen. In einem teuren Modegeschäft darf es unter keinen Umständen dazu kommen, dass sich die Mitarbeiter vor dem Kunden zum Affen machen. Das ist die katastrophalste aller Katastrophen, wenn wir Stammkunden verlieren. Das. geht. nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass einer dieser Amateure irgendwann einmal meine Stelle einnehmen wird. Der Grund, weshalb ich in diesem angenehmen, mit Leder überzogenem Bürostuhl saß, und die anderen nicht, war, dass ich es mir durch meine detailgenaue Arbeit verdient habe. Als ich in der Position ‘Verkäufer’ war, habe ich mich um einiges besser angestellt, als diese Pinguine. Meine Hand griff zu den Augentropfen, die neben dem Computer platziert waren. Durch das stundenlange, konzentrierte Arbeiten vorm Bildschirm bildete sich ein Trockengefühl in meinen Augen. Die Tropfen waren bereits in meiner Tagesroutine enthalten, ich arbeitete viel zu viel. Heute war allerdings der letzte Tag vor meinem Urlaub, um achtzehn Uhr würde ich die Filiale verlassen und mit meiner wohlersehnte Pause beginnen. Die Vertretung würde sich um den strukturierten Ablauf der Tage während meiner Abwesenheit kümmern. Es klopfte an der Türe, was für mich schon ein null-acht-fünfzehn Geräusch war. “Herein”, erlaubte ich kühl und beobachtete, wie die Klinke ganz vorsichtig, geräuschlos heruntergedrückt und die Türe langsam geöffnet wurde. Auf diese Art kam niemand meiner Arbeiter herein - keiner denkt so viel mit, dass er mir einen kleinen Gefallen tut, wenn er leise und unbelastend hereinkommt. Keiner, außer Herr Bakura. Genau so still, wie er gekommen war, machte er auch hinter sich zu. “Seto”, lächelte er mich an, seine braunen Augen strahlten. “Herr Bakura”, ich war überrascht, stand auf und reichte ihm einen festen Händedruck, obwohl ihm eher nach einer brüderlichen Umarmung zumute war. Herr Bakura war vor einem Jahr hergezogen, er freundete sich schnell mit den Menschen in der Umgebung an. Er hatte ein schickes, kleines Haus in der Hauptstraße, nicht weit weg von meinem. Abends, wenn ich mit meinen Leuten am Meer saß, spazierte er die Küste entlang und setzte sich immer exakt für fünfzehn Minuten zu uns, ehe er dann wieder weiter streunte. Er war vernünftig und sein Charakter gefiel mir, obwohl ich nicht halb so viel lachte, wie er. Vielleicht mochte ich seine Genauigkeit, was Zeit anbelangte. Er ging nie ohne seine Armbanduhr und Ersatzbatterien aus dem Haus. Ein Perfektionist. “Was führt Sie hier her?”, meine Wut von vorher lockerte sich und ich entwickelte Interesse. Mein Gegenüber lächelte warm, er sah heute glücklicher aus, als sonst. “Mein Sohn kommt heute. Ich möchte ihm etwas Besonderes schenken, vielleicht ein schönes Hemd. Was könntest du mir empfehlen, Seto?”, sein Enthusiasmus brach die bisherigen Rekorde. Gemeinsam verließen wir das Büro und ich führte Herrn Bakura hinauf in den zweiten Stock, wo die Männerhemden vorzufinden waren. Als ich erblickte, dass diese nicht geschlichtet und gefaltet waren, hätte ich gleich wieder losbrüllen können. Doch noch bevor sich meine Wut nach außen spiegelte, lief der Familienvater auf ein bestimmtes Modell zu; das schwarze, engliegende, schlichte, aber dennoch elegante mit den hellgrauen Knöpfen und dem längeren Kragen. Der Hingucker schlechthin. “20.500¹ anstatt von 27.300² für dich”, bot ich ihm an und wartete seine Antwort ab. Er nickte sofort und folgte mir runter zur Kassa. Ich besetzte Kassa 2 und zog Herrn Bakura die 6.800 Yen ab. Das schwarze Hemd packte ich in ein Sackerl³ und legte die Rechnung hinein. “Beehren Sie uns wieder”, forderte ich mit einem leichten Grinsen auf und hörte das unbeschwerte Lachen meines Kunden. Er bedankte sich und ging aus dem Laden. Gleich darauf schloss ich die Kassa und marschierte wieder zurück in mein Büro. Einige Lieferscheine lagen auf meinem Tisch, was bedeutete, dass meine Angestellten gerade Ware auspackten. “Wehe, wenn sie…”, sprach ich zu mir selber und ging noch einmal hinaus, um zu checken. Zwei von ihnen - Tea und Serenity - entfernten bei den ungeöffneten Paketen im Lager die Scheine. Ohne ein Wort zu sagen, stand ich im Türrahmen. Erst, als Tea wegen einem Paket aufblicken musste, erkannte sie, dass ich da war und erschrack. Mein fordernder Blick traf sie sofort. “Zwei Worte: Ungefaltete Hemden”, meine ungeduldwidergebende Stimme verursachte eine Gänsehaut bei der jungen Frau. Eilig rannte sie hinaus und ließ Serenity zurück. Diese entfernte weiterhin die Zettel von den Kartons und sah immer wieder langsam zu mir rauf, um sicherzugehen, dass sie das richtige tat. “Die Papiere bitte nach Datum ordnen”, verlangte ich und verließ mit dieser Aufforderung das Lager. Da ich schon riechen konnte, dass ich bald wieder wegen einer Mahnung aus dem Büro gehen müsste, blieb ich fern davon. Meine Beine gingen in langsamen Schritten voran, während ich die Ware, die Kassen und die Arbeiter beäugte. Es war fünfzehn Uhr, bald würden meine Nerven einen Urlaub bekommen. Die wunderschöne Küste; der Sand unter den Füßen beruhigte mich und das Rauschen des Wassers paralysierte meine Sinne. Die eisige Brise in der Nacht gab mir das Gefühl, lebendig zu sein. Es gibt drei Arten von Menschen, die sich an der Küste herumtrieben: Die Küstler, die vom Stadtzentrum und Touristen. Die letzten beiden sind eher zwischen Vor- und Nachmittag da, um Volleyball zu spielen, sich zu sonnen oder etwas zu essen. Schwimmen sieht man kaum jemanden, da es hier nämlich auf eigene Gefahr ist. Wir leben immerhin am Golf von Kalifornien, der in den Pazifik übergeht; Haie und Seeschlangen sind in diesen Wässern keine Sensation. Die Küstler hingegen, lieben das Nachtleben. Sie feiern von Abend bis in die späten Morgenstunden und kosten ihr Leben in vollen Zügen aus. Und ich, Seto Kaiba, gehöre dazu. Ich denke, wir alle opfern unseren Schlaf, um die atemberaubendste Zeit der Westküste am eigenen Leib zu spüren. Um zwei ins Bett und um sechs Uhr auf - die Leute vom Stadtzentrum begriffen nicht, wie uns der Spaß die Müdigkeit wert sein konnte. Wir waren wie zwei verschiedene Teams, dessen Spielregeln sich bissen. Ein großer Unterschied war, dass unser Team einen Chef hatte: mich. Mein Name war sowohl unter den Küstlern, als auch im Zentrum bekannt und es gab niemanden, der den Namen “Kaiba” nicht schon einmal gehört hatte. Die Zentralleute beschrieben mich als ‘kalt, rücksichtslos und egoistisch’, weil ich ihnen kein anderes Bild von mir zeigte. Doch spät Nachts, bei Zigaretten und Alkohol, habe ich meine Leute im Arm und würde sie am liebsten nie wieder loslassen. Wir, die Küstler, waren alle junge Leute, die wussten, wie man lebt. Während unserer ‘Lagerfeuersitzungen’ - so nannten wir die Zeit, die wir verbrachten - machte sich niemand Stress wegen der Zukunft oder scherte sich darum, was passieren wird; das Leben geht weiter und existiert für jeden von uns nur einmal. Wir waren ungefähr zehn Leute, hielten zusammen und würden nie auf die Idee kommen, jemanden ohne Grund plötzlich nicht mehr zu respektieren. Wir sind ein Team, unzertrennlich, unzerbrechlich und unbesiegbar. Immer, wenn ein neues Gesicht zu sehen war, dauerte es nicht lange, bis wir feststellen konnten, ob es nun ein Stadtzentrummensch war oder nicht. Entweder er feierte mit uns mit oder er setzte sich Grenzen und ging um zweiundzwanzig Uhr schlafen - Stadtzentri. Entweder er fragte nach einer Zigarette oder er sagte, er raucht nicht - Stadtzentri. Entweder er ließ sich seine Füße vom Wasser erfrischen oder er fotografierte bloß die Aussicht - Stadtzentri. Diese Zentrumfutzis sind stolz drauf, die Küste als in ihrem Land zu haben, dabei gehört sie nicht einmal ihnen. Einmal, als ein Pärchen vom Zentrum an der Küste war, meinte der Mann; “So schön ist unser Zuhause!”. Ich erhob mich mit warnendem Blick, ging zu den zweien rüber und erklärte; “Das ist nicht euer Zuhause. Ihr liebt die Küste, aber wir leben sie”. Und es stimmte; unsere Defitinion von “zuhause” war nicht Bett, Dach und Wärme - unsere Definition von “zuhause” war Sand, Wasser und Meerrauschen. Das unterscheidet uns. Wie gesagt, zwei Teams mit anderen Spielregeln. Möglicherweise würden wir heute einen neuen bei uns aufnehmen - den Sohn von Herrn Bakura. Ich fragte mich, ob er auch so ein Perfektionist war, ob er ihm ähnlich sah, ob er seine Stimme hatte oder ob er irgendetwas mit ihm gemeinsam hatte. Man sagt, Söhne haben meistens neunzig Prozent von einem Elternteil, während Töchter gemischt sind. Wer auch immer uns da erwarten wird, es wird mir ein Vergnügen sein. ¹ in etwa 150€ ² in etwa 200€ ³ Österreichisch für “Tüte” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)