West Coast von Blaubeere20 ================================================================================ Kapitel 1: Flughäfen & Migränen ------------------------------- Ryou's Sicht: “Hast du genug geschlafen?”, sorgte sich meine Mutter, als sie mich gerade mit dem Auto zum Flughafen fuhr. Es war sechs Uhr Morgens, doch die Sonne war noch lange nicht bereit dazu, sich zu erheben; November. Die Straße war komplett benebelt und wirkte düster. Die Welt sah aus, wie eine mysteriöse, neue Entdeckung. Nur Silhouetten, die vor ihren Schatten tanzten und verirrt aussahen. “Ja”, antwortete ich beinahe schwächlich. Ich hatte zwar genug geschlafen, jedoch zog mich die noch anhaltende Dunkelheit runter. Erst in einer Stunde würde etwas Licht zum Vorschein kommen - ich wollte nicht warten. Als mein Magen begann, zu knurren, bemerkte ich, dass ich zwar geschlafen aber nicht gegessen hatte. In der Hektik und Vorfreude war ich gänzlich verloren - Dad. Ich hatte vor, zu meinem Dad an die kalifornische Küste zu ziehen. Für eine Woche, für zwei Wochen, solange, wie ich mich dort wohlfühlte. Mein Vater wohnte mittlerweile schon ein Jahr dort und es gefiel ihm; das Meer, der Sand, die Möwen, die Menschen. Viele meiner Freunde dachten, meine Eltern seien geschieden, dabei waren sie einfach nur weit voneinander entfernt. Meinem Paps gefiel das Großstadtleben nicht, weshalb er es zu seinem Traum machte, an einen ruhigen, eher menschenleeren Ort zu reisen und eventuell auch dort zu bleiben. Mum aber wollte Nichts aufs Spiel setzen, immerhin hatte sie einen gut bezahlten Job, gute Freunde und viele Erinnerungen in dieser Stadt. Sie würde um Nichts in der Welt wegziehen; nichtmal ihr Mann hat sie überreden können. Doch sie stritten sich nicht, sie stritten sehr selten. Sie akzeptierten und respektierten die Entscheidung des anderen und so wurden sie durch etliche Meilen getrennt, doch immer noch durch die Liebe verbunden. Der Grund, weshalb nur ich zu Dad zu Besuch kam, war, dass es sich für uns beide finanziell nicht ausging. Ich hatte erst meinen Abschluss fertig und konnte somit kein Geld verdienen, weshalb Mum für mich sparte. Sie legte jeden Monat, begonnen vor einem Jahr, Geld zur Seite und versprach mir, dass ich meinen Vater bald wieder sehen würde. Aus Liebe meinte ich zu ihr, dass nicht ich, sondern sie hinfliegen solle, doch ihre Worte waren: “Ryou, Schatz… ich kann dich nicht alleine hier lassen und nicht wissen, wann ich wieder komme”. Wir hielten Kontakt mit Dad durch Skype, E-Mails, SMS und Anrufe. Wir waren immer noch die selbe Familie, wie vor einem Jahr. “Wie lange fliegst du nochmal?”, Mum suchte nach einem Parkplatz. “Zehn Stunden und zwölf Minuten”, erinnerte ich mich und fragte mich zum tausendsten Mal seit gestern, was ich den ganzen Flug über machen könnte. Neben wem würde ich sitzen? Wird es kleine Fernseher geben? Kriegen wir Schlafmasken? Was ist mit Essen? Ich hoffte, dass ich während des Fluges schlafe, doch ich hatte schon neun Stunden Schlaf hinter mir. Etwas zu essen vor der Abreise wäre aber nicht schlecht, schoss es mir durch den Kopf. Als das Auto eingeparkt war, stiegen wir aus und ich holte meinen Rucksack und mein Gepäck aus dem Kofferraum. “Ich begleite dich noch zum Schalter”, Mum nahm mir den Koffer ab und wir machten uns auf den Weg ins Innere des Flughafens. Viele, viele Leute füllten die Halle und hatten die verschiedensten Gemüter. Ich holte meine ausgedruckte E-Mail heraus und las die Nummer des Schalters ab, zu dem wir mussten. “119”, las ich laut vor, ehe wir dorthin schlenderten. Die Schlange dort war nicht allzu lang und es ging schnell voran. “Pass auf dich auf, ja?”, Mum hatte Tränen in den Augen. “Du auch auf dich. Ich hab dich lieb”, ich umarmte sie. “Ich hab’ dich auch so lieb, Ryou”, nuschelte sie gegen meine Schulter. Es dauerte, bis wir uns von einander lösten. Wir waren nie länger als drei Tage voneinander getrennt und konnten es uns auch nicht wirklich vorstellen. Es würde einsam für sie werden. Aber sie war eine starke Frau. Ich sah ihr noch zu, wie sie den Weg zurückging und wegen der vielen Menschen aus meinem Blickfeld verschwand. Ich stellte mich bei der Schlange an und schnaufte erstmal, da mein Koffer so schwer war. Oder ich war einfach nur schwach, eines von beiden. Oder vielleicht sogar beides. Die Leute gingen schnell vorwärts und bevor man ungeduldig werden konnte, war man schon an der Reihe. Unaufgefordert zeigte ich meinen Pass her und bekam kurz darauf mein Flugticket. Meinen übergroßen Koffer tat ich auf das Fließband und ich fühlte mich entlastet. Der nächste wurde hergebeten, ich durfte mich schon durch die Sperre zu den Gates begeben, wo ich mich erneut ausweisen musste und somit schließlich zum besten kam - den DutyFree-Shops. Mum hatte mir insgesamt 544.000 Yen¹ angespart, für den Hinflug, den spontanen Rückflug, zum Leben bei meinem Dad und - weil sie mich kannte - fürs Shoppen. Mir blieben noch vierzig Minuten bis zum Abflug, und meine Pupillen weiteten sich bei den ganzen Schnäppchenangeboten, doch zu aller erst musste ich etwas in den Magen kriegen. Fast Food schien gut genug zu sein, immerhin warteten die reduzierten Jeans und Hemden auf mich. Ein Big Mac Menü vom Mc Donald’s war schnell hergezaubert; ich aß, als wäre es ein Wettlauf gegen die Zeit gewesen. Die Personen um mich starrten mich mit großen Augen, kopfschüttelnd, an. Mich scherte es wenig, ich war satt und zufrieden. Was will man mehr, wenn man Hunger hat? Meine Minishoppingtour begann in einer Parfümerie, in der ich mich wie in pastellviolettem Feenstaub fühlte. Die dezenten Gerüche der verschiedenen Düfte bildeten eine Art Wolke, in der man sich für immer verstecken wollte. Unverschämt nahm ich mir sechs von den Papierstreifen, auf denen man die diversen Parfums testen konnte. Eine Mitarbeiterin fragte mich, ob sie mir helfen könne, da es offensichtlich so aussah, als wäre ich hilflos und orientierungslos bei der Entscheidung, dabei ließ ich mich einfach nur emotional verwöhnen. Die Mitarbeiterin wartete, in der Hoffnung, dass sie einen richtigen Moment findet, um mich beraten und zum Kauf verlocken zu können. Die Frau schien die Geduld zu verlassen zu haben, als sie davonschritt und sich dem nächsten Kunden widmete. “Oh mein Gott”, sprach ich zu mir selber, als ich den Duft eines hellblauen Flakons testete, der den Namen Lightblue Wings trug. Ich sog den Geruch unheimlich tief ein und schloss die Augen. “Ein unbeschwerter, aber doch sinnlicher Duft, erst gestern eingetroffen”, drängte mich eine andere Angestellte des Ladens. “Um nur 8.000 Yen² kriegen Sie 50ml inklusive einer 5ml Probe eines anderen Dufts”, ihre Stimme war höher gestellt, um freundlich zu klingen. Ich ignorierte ihre Aussage und schnupperte erneut am besprühten Papierstreifen. Auch diese Arbeiterin fühlte sich Fehl am Platz und bereitete sich vor, um einem anderen zur Last zur Fallen. “Das macht 8.000 Yen”, die Kassiererin klang müde. Ich zahlte und bekam einen großen Zettel, den ich unbedingt aufbewahren sollte, da er als Beweis gilt, dass diese Flüssigkeit nicht von mir zu Hause mitgebracht wurde. Ich steckte diesen zusammen mit dem Flakon in meinen Rucksack und wünschte der erschöpften Kassiererin noch einen angenehmen Tag. Ich schaute auf die Uhr: es sind seit dem Essen zwanzig Minuten vergangen, was für noch weitere zwanzig sprach, bis es losgehen würde. Ich erlaubte mir noch, mich für neue Oberteile umzusehen, bis ich mich am Riemen reißen müsste. Da meine Wenigkeit aber sehr wählerisch ist, verließ ich drei Geschäfte mit leeren Händen. Ein Hoch auf Einzelkinder! Ich schlenderte zu Gate A12 und legte meinen Rucksack, meine Jacke, meinen Gürtel, mein Handy, meinen Pass, mein Flugticket und das Parfum in die graue Kiste, die durch das Fließband der Sicherheitskontrolle geschoben wurde. “Weiterkommen”, sprach mich der Securitymann an, worauf ich mit lockeren Schritten gerade aus ging - es piepte. Der Mann betastete mich von oben bis unten und erlaubte mir, weiterzugehen. Ich fedelte meinen Gürtel ein, zog meine Jacke an, hing mir den Rucksack um, steckte mein Handy ein, tat das Parfum in den Rucksack, nahm meinen Pass mit dem Ticket und fragte mich, wieso das alles so kompliziert war auf Flughäfen. Die meisten Leute spielten etwas auf ihrem Handy, während sie warteten. Ich setzte mich auf einen der Sitzplätze und fragte mich diesmal wirklich, wirklich ernst, was ich die zehn Stunden machen würde. Was werden die anderen Leute tun? Ich war so neugierig auf den Flug und auf die Küste und auf meinen Dad, es war unbeschreiblich. Ich fragte mich, ob ich ihm in die Arme springen würde oder ob er mich zuerst mit seiner Umarmung fast umrempelt. Seine braunen Augen werden mir entgegenfunkeln, während er mir sagt, wie sehr ich ihm gefehlt habe, und er wird nach Mum fragen. Er wird stolz auf mich sein, dass ich meinen Abschluss gemacht habe und er wird bis spät in die Nacht Horrorfilme mit mir gucken. Das Flugzeug hatte sein Boarding und die Fluggäste stellten sich bereits an, um in die Maschine zu gehen. Es gab einen Hauch von Gedränge, bis durchgesagt wurde, dass die Fluggäste in der Business Class zuerst hinein durften. Die meisten entfernten sich ein paar Meter zurück und ließen den Höherrangigen den Vortritt. Diese waren aber schnell gezählt und so durfte auch ich mich anstellen. Ein Kribbeln war in meinem Magen zu spüren, und das waren bestimmt nicht die Pommes. ¹ in etwa 4.000 € ² in etwa 60€ Seto's Sicht: “Ihr bereitet mir alle Kopfschmerzen!”, rief ich meine Mitarbeiter entzürnt an. Diese blickten verängstigt auf den Boden. “Ich sagte doch, dass die neue Ware bis Donnerstag nicht ausgepackt werden darf, oder?! Sagte ich das?! Habe ich das nicht gesagt?!”, ich kochte vor Wut. Ich machte eine schnelle Handgeste, welche die jungen Leute sofort begriffen und sich aus meinem Büro entfernten. Der letzte machte die Türe zu. Seit drei Jahren bin ich hier Filialleiter und es ist mir noch niemand unter die Nase gekommen, der vier Tage hintereinander was richtig machen kann. Die weißen Mäntel wurden zu den grauen sortiert, die Preisschilder wurden umgekehrt reingesteckt, abgelaufene Aktionsbilder befanden sich immer noch am Schaufenster und die Kassierer konnten nicht einmal richtig Kopfrechnen - um einige Beispiele zu nennen. Nur, weil wir alle nahe an der Küste leben, bedeutet das nicht, dass wir während der Arbeit den Kopf ausschalten und ans Meer denken. Wie oft ich das meinen Angestellten schon geprädigt habe; ich massierte mir meine Schläfen. In einem teuren Modegeschäft darf es unter keinen Umständen dazu kommen, dass sich die Mitarbeiter vor dem Kunden zum Affen machen. Das ist die katastrophalste aller Katastrophen, wenn wir Stammkunden verlieren. Das. geht. nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass einer dieser Amateure irgendwann einmal meine Stelle einnehmen wird. Der Grund, weshalb ich in diesem angenehmen, mit Leder überzogenem Bürostuhl saß, und die anderen nicht, war, dass ich es mir durch meine detailgenaue Arbeit verdient habe. Als ich in der Position ‘Verkäufer’ war, habe ich mich um einiges besser angestellt, als diese Pinguine. Meine Hand griff zu den Augentropfen, die neben dem Computer platziert waren. Durch das stundenlange, konzentrierte Arbeiten vorm Bildschirm bildete sich ein Trockengefühl in meinen Augen. Die Tropfen waren bereits in meiner Tagesroutine enthalten, ich arbeitete viel zu viel. Heute war allerdings der letzte Tag vor meinem Urlaub, um achtzehn Uhr würde ich die Filiale verlassen und mit meiner wohlersehnte Pause beginnen. Die Vertretung würde sich um den strukturierten Ablauf der Tage während meiner Abwesenheit kümmern. Es klopfte an der Türe, was für mich schon ein null-acht-fünfzehn Geräusch war. “Herein”, erlaubte ich kühl und beobachtete, wie die Klinke ganz vorsichtig, geräuschlos heruntergedrückt und die Türe langsam geöffnet wurde. Auf diese Art kam niemand meiner Arbeiter herein - keiner denkt so viel mit, dass er mir einen kleinen Gefallen tut, wenn er leise und unbelastend hereinkommt. Keiner, außer Herr Bakura. Genau so still, wie er gekommen war, machte er auch hinter sich zu. “Seto”, lächelte er mich an, seine braunen Augen strahlten. “Herr Bakura”, ich war überrascht, stand auf und reichte ihm einen festen Händedruck, obwohl ihm eher nach einer brüderlichen Umarmung zumute war. Herr Bakura war vor einem Jahr hergezogen, er freundete sich schnell mit den Menschen in der Umgebung an. Er hatte ein schickes, kleines Haus in der Hauptstraße, nicht weit weg von meinem. Abends, wenn ich mit meinen Leuten am Meer saß, spazierte er die Küste entlang und setzte sich immer exakt für fünfzehn Minuten zu uns, ehe er dann wieder weiter streunte. Er war vernünftig und sein Charakter gefiel mir, obwohl ich nicht halb so viel lachte, wie er. Vielleicht mochte ich seine Genauigkeit, was Zeit anbelangte. Er ging nie ohne seine Armbanduhr und Ersatzbatterien aus dem Haus. Ein Perfektionist. “Was führt Sie hier her?”, meine Wut von vorher lockerte sich und ich entwickelte Interesse. Mein Gegenüber lächelte warm, er sah heute glücklicher aus, als sonst. “Mein Sohn kommt heute. Ich möchte ihm etwas Besonderes schenken, vielleicht ein schönes Hemd. Was könntest du mir empfehlen, Seto?”, sein Enthusiasmus brach die bisherigen Rekorde. Gemeinsam verließen wir das Büro und ich führte Herrn Bakura hinauf in den zweiten Stock, wo die Männerhemden vorzufinden waren. Als ich erblickte, dass diese nicht geschlichtet und gefaltet waren, hätte ich gleich wieder losbrüllen können. Doch noch bevor sich meine Wut nach außen spiegelte, lief der Familienvater auf ein bestimmtes Modell zu; das schwarze, engliegende, schlichte, aber dennoch elegante mit den hellgrauen Knöpfen und dem längeren Kragen. Der Hingucker schlechthin. “20.500¹ anstatt von 27.300² für dich”, bot ich ihm an und wartete seine Antwort ab. Er nickte sofort und folgte mir runter zur Kassa. Ich besetzte Kassa 2 und zog Herrn Bakura die 6.800 Yen ab. Das schwarze Hemd packte ich in ein Sackerl³ und legte die Rechnung hinein. “Beehren Sie uns wieder”, forderte ich mit einem leichten Grinsen auf und hörte das unbeschwerte Lachen meines Kunden. Er bedankte sich und ging aus dem Laden. Gleich darauf schloss ich die Kassa und marschierte wieder zurück in mein Büro. Einige Lieferscheine lagen auf meinem Tisch, was bedeutete, dass meine Angestellten gerade Ware auspackten. “Wehe, wenn sie…”, sprach ich zu mir selber und ging noch einmal hinaus, um zu checken. Zwei von ihnen - Tea und Serenity - entfernten bei den ungeöffneten Paketen im Lager die Scheine. Ohne ein Wort zu sagen, stand ich im Türrahmen. Erst, als Tea wegen einem Paket aufblicken musste, erkannte sie, dass ich da war und erschrack. Mein fordernder Blick traf sie sofort. “Zwei Worte: Ungefaltete Hemden”, meine ungeduldwidergebende Stimme verursachte eine Gänsehaut bei der jungen Frau. Eilig rannte sie hinaus und ließ Serenity zurück. Diese entfernte weiterhin die Zettel von den Kartons und sah immer wieder langsam zu mir rauf, um sicherzugehen, dass sie das richtige tat. “Die Papiere bitte nach Datum ordnen”, verlangte ich und verließ mit dieser Aufforderung das Lager. Da ich schon riechen konnte, dass ich bald wieder wegen einer Mahnung aus dem Büro gehen müsste, blieb ich fern davon. Meine Beine gingen in langsamen Schritten voran, während ich die Ware, die Kassen und die Arbeiter beäugte. Es war fünfzehn Uhr, bald würden meine Nerven einen Urlaub bekommen. Die wunderschöne Küste; der Sand unter den Füßen beruhigte mich und das Rauschen des Wassers paralysierte meine Sinne. Die eisige Brise in der Nacht gab mir das Gefühl, lebendig zu sein. Es gibt drei Arten von Menschen, die sich an der Küste herumtrieben: Die Küstler, die vom Stadtzentrum und Touristen. Die letzten beiden sind eher zwischen Vor- und Nachmittag da, um Volleyball zu spielen, sich zu sonnen oder etwas zu essen. Schwimmen sieht man kaum jemanden, da es hier nämlich auf eigene Gefahr ist. Wir leben immerhin am Golf von Kalifornien, der in den Pazifik übergeht; Haie und Seeschlangen sind in diesen Wässern keine Sensation. Die Küstler hingegen, lieben das Nachtleben. Sie feiern von Abend bis in die späten Morgenstunden und kosten ihr Leben in vollen Zügen aus. Und ich, Seto Kaiba, gehöre dazu. Ich denke, wir alle opfern unseren Schlaf, um die atemberaubendste Zeit der Westküste am eigenen Leib zu spüren. Um zwei ins Bett und um sechs Uhr auf - die Leute vom Stadtzentrum begriffen nicht, wie uns der Spaß die Müdigkeit wert sein konnte. Wir waren wie zwei verschiedene Teams, dessen Spielregeln sich bissen. Ein großer Unterschied war, dass unser Team einen Chef hatte: mich. Mein Name war sowohl unter den Küstlern, als auch im Zentrum bekannt und es gab niemanden, der den Namen “Kaiba” nicht schon einmal gehört hatte. Die Zentralleute beschrieben mich als ‘kalt, rücksichtslos und egoistisch’, weil ich ihnen kein anderes Bild von mir zeigte. Doch spät Nachts, bei Zigaretten und Alkohol, habe ich meine Leute im Arm und würde sie am liebsten nie wieder loslassen. Wir, die Küstler, waren alle junge Leute, die wussten, wie man lebt. Während unserer ‘Lagerfeuersitzungen’ - so nannten wir die Zeit, die wir verbrachten - machte sich niemand Stress wegen der Zukunft oder scherte sich darum, was passieren wird; das Leben geht weiter und existiert für jeden von uns nur einmal. Wir waren ungefähr zehn Leute, hielten zusammen und würden nie auf die Idee kommen, jemanden ohne Grund plötzlich nicht mehr zu respektieren. Wir sind ein Team, unzertrennlich, unzerbrechlich und unbesiegbar. Immer, wenn ein neues Gesicht zu sehen war, dauerte es nicht lange, bis wir feststellen konnten, ob es nun ein Stadtzentrummensch war oder nicht. Entweder er feierte mit uns mit oder er setzte sich Grenzen und ging um zweiundzwanzig Uhr schlafen - Stadtzentri. Entweder er fragte nach einer Zigarette oder er sagte, er raucht nicht - Stadtzentri. Entweder er ließ sich seine Füße vom Wasser erfrischen oder er fotografierte bloß die Aussicht - Stadtzentri. Diese Zentrumfutzis sind stolz drauf, die Küste als in ihrem Land zu haben, dabei gehört sie nicht einmal ihnen. Einmal, als ein Pärchen vom Zentrum an der Küste war, meinte der Mann; “So schön ist unser Zuhause!”. Ich erhob mich mit warnendem Blick, ging zu den zweien rüber und erklärte; “Das ist nicht euer Zuhause. Ihr liebt die Küste, aber wir leben sie”. Und es stimmte; unsere Defitinion von “zuhause” war nicht Bett, Dach und Wärme - unsere Definition von “zuhause” war Sand, Wasser und Meerrauschen. Das unterscheidet uns. Wie gesagt, zwei Teams mit anderen Spielregeln. Möglicherweise würden wir heute einen neuen bei uns aufnehmen - den Sohn von Herrn Bakura. Ich fragte mich, ob er auch so ein Perfektionist war, ob er ihm ähnlich sah, ob er seine Stimme hatte oder ob er irgendetwas mit ihm gemeinsam hatte. Man sagt, Söhne haben meistens neunzig Prozent von einem Elternteil, während Töchter gemischt sind. Wer auch immer uns da erwarten wird, es wird mir ein Vergnügen sein. ¹ in etwa 150€ ² in etwa 200€ ³ Österreichisch für “Tüte” Kapitel 2: Sichere Landungen & Feierabende ------------------------------------------ Ryou’s Sicht: Die Flugbegleiterinnen begrüßten uns herzlich, als wir in die Maschine stiegen und unsere Plätze suchten. Es war ein angenehmes Gefühl, endlich im Flugzeug zu sitzen und sich nicht mehr wegen irgendwas hetzen zu müssen. Als ich meinen Sitzplatz gefunden hatte, setzte ich mich und entdeckte, dass Schlafmasken, Kissen und Decken für alle Passagiere vorbereitet waren. Es war hier Mittwoch, sieben Uhr morgens, während es in Kalifornien Dienstag, fünfzehn Uhr war. Ich würde um ein Uhr zwölf landen, und von Dad abgeholt werden. Hoffentlich werde ich mich schnell an die Zeitumstellung gewöhnen können. Die Menschen hatten sich nach zehn Minuten alle auf ihre Plätze begeben. Neben mich setzte sich ein großer, gebräunter Mann und legte seinen Gurt an. Er beäugte mich, blinzelte mich einige Male an. “Du bist auf dem Weg in den Urlaub, nicht auf dem Weg Heim, stimmt’s? Deine Hautfarbe ist ganz blass”, er lächelte und beobachtete mich. “Richtig. Ich fliege zu meinem Dad an die Küste. Ist es dort wirklich so wunderschön, wie man es beschreibt?”, wollte ich wissen und lockerte meinen Sitzgurt, da ich ihn zu fest geschnallt hatte. “Herzlich willkommen, liebe Passagiere!”, ertönte es laut im Flugzeug. “Hier spricht der Kapitän des Fliegers. Ich freue mich, Sie mit an Bord zu haben. Zu aller erst würde ich Sie bitten, meine Flugbegleiterinnen zu beachten, die Ihnen die Notausgänge und das Verhalten in Notsituationen schildern. Ihre Sicherheit ist uns wichtig”, er sprach sehr schnell und man bekam den Eindruck, dass das heute nicht sein erster Flug war. Er wirkte sehr ungeduldig. Die Stewardessen zeigten uns die Notausgänge und welche Dinge unter und über unseren Sitzen verstaut waren. Mit Bewegungen zeigten sie uns, was bei einer Notlandung zu tun war. Sobald die Sauerstoffmasken und die Schwimmwesten kurz erläutert wurden, wurde einigen Leuten anscheinend flau im Magen. Doch ich, ich hatte keine Angst vorm Fliegen. Sobald die Erklärungen zu Ende waren, wurde vom Piloten angekündigt, dass wir abheben werden. Die Maschine kam ins Rollen und erhob sich in den Himmel empor, was ein Kribbeln im Bauch bei den meisten Menschen verursachte. Ich mochte dieses Gefühl. Es war ein bisschen wie Achterbahnfahren. “Wie stellst du dir die Küste denn vor, Junge?”, äußerte mein Sitznachbar neugierig und schnallte sich ab, sobald wir die Höhe erreicht hatten. Ich begann, ihm meine Vorstellungen zu erzählen, und konnte gar nicht mehr aufhören, zu reden. Es fühlte sich fast unhöflich an, einen Fremden so lange irgendetwas zuzureden. Doch er hörte mir die ganze Zeit geduldig zu und nickte währenddessen immer wieder, um mir zu zeigen, dass er gedanklich noch mitkam. Ich erzählte ihm, dass ich mir die Küste immer sehr lebendig vorstellte. Das Wasser tobte manchmal wie wild und die Wellen wollten sich nicht beruhigen. Die Tiefe des Meeres erstreckte sich ins Unendliche und barg zahlreiche Fischarten. Ich berichtete ihm von den Dokumentationen, die ich über die Tiefsee gesehen hatte, weil ich mich wirklich für das Leben unter Wasser interessierte. Meine Fantasien fanden kein Ende, ich steigerte mich wirklich rein und verlor nie den Faden. Der Mann neben mir war amüsiert und wartete darauf, bis ich zu Ende geredet hatte, bevor er mir erzählen wollte, wie es wirklich dort war. “Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?”, riss uns eine Stimme aus unseren Gedanken. “Einen Kaffee für mich”, bat mein Nachbar und klappte den kleinen Tisch auf. “Ein Mineralwasser, bitte”, ich redete immer noch sehr schnell und bin noch nicht runtergekommen. Ich stellte mein Wasser auch auf meinen Tisch und drehte mich zum Mann, als die Stewardess weg war. Er nippte an seinem Kaffee und holte tief Luft; “Die Westküste birgt viele Geheimnisse. Sie ist etwas wahrhaftig Schönes, doch im nächsten Moment wird sie zornig wie nie und beschüttet alles mit ihren Wellen. Unberechenbar und erbarmungslos, dieser verzauberte Ort. Abends, wenn die Sonne untergeht und die Minusgrade ihren Platz gefunden haben, wird alles in ein pink-violett getaucht. Man hat das Gefühl, in einem Märchen zu sein. Die Farben bedecken den ganzen Himmel, bis es gänzlich dunkel wird. Nachts kann es wirklich kalt werden und man sollte sich warm anziehen. Um sich bisschen vor der eisigen Kälte zu schützen, macht man oft Lagerfeuer. Es sind meistens junge Leute, sowie du, die sich dann dort amüsieren. Sie setzen sich Abends zusammen und trinken. Das sind die sogenannten Küstler”, er machte eine Pause. Eine Erinnerung ließ ihn lächeln. “Pasta auch für Sie?”, unterbrach eine Stewardess erneut. Wir nahmen die Speisen entgegen und warteten wieder auf grünes Licht. “Gehören Sie auch zu den Küstlern?”, fragte ich, während ich anfing, meine Pasta zu essen. Der Mann schüttelte den Kopf; “Ich sehe sie oft, wenn ich mit meiner Frau dort spazieren gehe. Die violette Stunde, so nennen wir den Sonnenuntergang, ist für uns jedes Mal aufs Neue atemberaubend”. Ich stellte mir vor, wie es aussehen müsste und verlor mich in dieser wunderbaren Vorstellung. Dad würde sicher mit mir zur violetten Stunde spazieren gehen. Es war für mich interessant, dass es die “Stammgäste” der Küste gab. Küstler wurden sie also genannt… Ich fragte mich, ob ich mich an einem Abend weit genug von ihnen wegsetzen könnte, um zu beobachten, wie sie sich verhalten. Wie sie ihr Leben leben und was ihre Angewohnheiten sind. Sind diese Menschen wirklich andere Dinge gewöhnt, als wir? Dad sagte mal per Skype, dass dieser Ort eine völlig andere Atmosphäre hatte. Der Einheimische setzte fort; “Und die Küstler haben sogar einen Anführer. Er heißt Seto Kaiba. Keiner, der von der Westküste wieder zurückfliegt hat noch nicht von ihm gehört. Er ist ein Draufgänger, unser Seto. Wenn du die Gruppe beim Lagerfeuer beobachtest, sticht er sofort heraus. Er ist dominant und direkt. Wenn dein Hotel nicht im Zentrum ist, wirst du ihm wahrscheinlich öfter über den Weg laufen”. Ich runzelte die Stirn; die haben einen Anführer? Wir beide aßen nun schweigend unsere Pasta und tranken unsere Getränke leer. Vom Fenster aus konnte ich die Städte sehen, so winzig. Während ich die kleinen Gebäude und Straßen beobachtete, hörte ich ein Schnarchen neben mir. “Der Kaffee hat anscheinend nicht gewirkt”, lachte ich leise. Der Flug verging schneller, als ich dachte: ich bin auch eingeschlafen. Der nette Herr schlief bis zur Landung, bevor er von einer Stewardess aufgeweckt wurde. Die Passagiere holten sich alle ihr verstautes Handgepäck und warteten nur darauf, rauszugehen. Ich bedankte mich bei meinem Sitznachbarn für die nette Unterhaltung und schnappte mir meinen Rucksack. Aus dem Flieger draußen hatte ich meinen Koffer schnell beim Fließband gefunden, hatte die Passkontrolle überstanden und machte mich nun auf den Weg zur Empfangshalle. “RYOU! RYOU!”, rief jemand von links, doch es warteten so viele Leute, dass ich mich kaum orientieren konnte. “RYOU!”, ertönte es wieder und meine Augen wässerten, als ich meinen Dad sah. Ich rannte samt Koffer auf ihn zu und ich fiel ihm sofort in die Arme. “DAD! DAD!”, schrie ich ganz aufgeregt und wollte ihn nicht mehr loslassen. “DAD!”, kam es noch einmal von mir. Wir blickten uns freudig an und auch er hatte Tränen in den Augen. Während ich ihm so viel von Mum und Zuhause erzählte, gingen wir aus dem Flughafen, zu seinem Auto. Es war ein Uhr zweiunddreißig und sehr kühl. Wir stiegen ins Fahrzeug und ich konnte nicht aufhören, zu grinsen. Endlich hatte ich dich wieder bei mir, Daddy. “Bist du müde, Ryou?”, fragte er. “Nein, ich habe im Flugzeug geschlafen. Wie geht es dir?”, ich war so aufgeregt. Er fuhr sehr schnell und ich starrte die ganze Zeit aus dem Fenster. Es war zwar dunkel, doch ich wollte die Ortschaft so schnell wie möglich erkunden. Da ich beim Long Beach Airport landete, dauerte die Fahrt zur Küste nur zwanzig Minuten. Bei Dads Geschwindigkeit waren es nur zehn. Es fing an, sehr stark zu regnen, doch das Unwetter verging schnell. Augenblicklich stieg ich aus, als wir ankamen, schnappte mir mein Gepäck aus dem Kofferraum und atmete die Luft ein. “Wenn du willst, kannst du noch einen Abstecher zum Wasser machen. Ich bringe deine Sachen nach Hause und du kommst nach”, Dad zeigte auf das kleine, weiße Haus vor uns. Ich nickte, umarmte ihn und stürmte dann sofort los. Da war nun das Meer, der Sand und die kühle Brise - alles, wovon mir der Mann erzählt hatte. Der Sand war zwar nass wegen dem Regen, doch ich fühlte mich so lebendig. Ich hielt Ausschau nach den Küstlern, doch diese konnte ich nicht entdecken. Die Laternen bei den Häusern hinten waren an, doch keine Menschensseele war anwesend. Nach genauerem Umsehen erkannte ich einen jungen Mann; Zigarette im Mund, seine braunen Haare wehten leicht im Wind, der Blick kühl, wie Eis. Der Wind brachte mich zum Zittern, ich spürte Gänsehaut. Er lehnte gegen sein Motorrad, wirkte entspannt und gereizt zugleich, distanziert. Als die Zigarette nur noch ein Stümmel war, warf er diesen zu Boden und zertrat ihn. Danach blickte er zu mir rüber, gleichgültig. Ich lief rot an, versank in Scham und Panik, als hätte ich etwas getan, was sich eigentlich nicht gehörte. Ich hatte fast das Gefühl, mich dafür entschuldigen zu müssen. Der Junge wirkte so lässig und unnahbar, es faszinierte mich. Er stieg auf sein Motorrad und fuhr damit aus meinem Blickfeld - nicht einmal einen Helm hatte er sich aufgesetzt. Seto’s Sicht: Mein Handy vibrierte, als ich gerade dabei war, die Akten zu sortieren. Eine SMS von Mai; Hey, Seto! Für heute ist Regen angesagt… zumindest ab eins. Wir werden heute wohl früher Schluss machen; eine Verkühlung darf sich niemand von uns leisten! Kuss, Mai. Ein Grinsen schmiegte sich an meine Lippen - Mai wusste immer über das Wetter bescheid. Sie war unser kleiner Wetterfrosch. Es klopfte an der Türe, worauf ich das Handy sofort wegsteckte, bevor ich antworten konnte. “Herein”, erlaubte ich. “H-herr Kaiba, ich habe unabsichtlich einen Lieferschein mit dem Stanleymesser entzweit, als ich ein Päkchen aufschneiden wollte”, Tea klang verängstigt und unruhig - zu recht. Ich schlug meine Hand gegen den Bürotisch und seufzte laut. Die Kunden spähten schaulustig hinein, nicht einmal die Türe hat Tea zu gemacht. Wenn ich in den nächsten Tagen eine Rezension darüber lese, dass der Filialleiter im Laden herumschreit, werde ich mir gründlich überlegen, ob Tea noch weiterhin Teil des Teams bleiben wird. Ich stand auf, schloss die Türe und blickte meine Angestellte sauer an. “Und was soll ich jetzt machen?!”, fragte ich zornig. Ich fuhr mir durch die Haare; “Soll ich das nun zusammenkleben, oder was?! Glaubst du, ich habe Zeit für sowas?!”. Tea wusste nicht, was sie sagen hätte sollen und stand nur nervös da. Ich schickte sie weg und rief hinterher, dass sie das gefälligst sauber kleben solle. Nachdem ich wieder alleine im Büro saß, holte ich mein Handy heraus, um Mai zu antworten; Hey, Kleine! Kein Problem. Wir werden trotzdem Spaß haben. Danke für die Info. Bis später!. Mai war meine beste Freundin und niemand traute sich, ihr auch nur ein Haar zu krümmen. Alle wussten, dass sie es sonst mit mir zu tun kriegen würden. Ich hielt sie jeden Abend ganz dicht bei mir, dass sie sich beschützt und geborgen fühlte. Ich würde nie zulassen, dass ihr unwohl ist oder dass ihr etwas zustößt. Ich war kurz vor dem Ausrasten, als es erneut klopfte. Sofort ging diese auf, ohne, dass ich die Erlaubnis, hereinzukommen, aussprechen konnte. Meine Augen weiteten sich, als meine Vertretung vor mir stand. Augenblicklich erhob ich mich und schüttelte Mister Stone die Hand. Er war früher dran, als er eigentlich hätte sollen. “Sie dürfen gehen, Herr Kaiba. Ich werde übernehmen. Einen angenehmen Urlaub wünsche ich Ihnen!”, mit diesen Worten war ich befreit. “Herzlichen Dank, Mister Stone. Ich wünsche eine angenehme Woche”, ich griff nach meinem Aktenkoffer, verließ das Büro und schritt elegant aus der Filiale. Draußen erwartete mich bereits mein Motorrad, auf welchem ich nach Hause fuhr. Siebzehn Uhr, die Temperatur betrug fünfzehn Grad. Während der Fahrt dachte ich mehrere Male noch an die Unfähigkeit meiner Mitarbeiter, doch das schlug ich mir schnell wieder aus dem Kopf. “Nur noch die Küste und du”, sprach ich zu mir selber und beschleunigte. Der Wind peitschte mir ins Gesicht und meine Haare flatterten. Die Welt drehte sich schneller für mich und das Geräusch vom Motor verschaffte mir Befriedigung. Ich liebte mein Motorrad. Es brauchte nur zehn Minuten, bis ich bei meinem zweistöckigen Haus ankam. Beige gestrichen, jeder kannte es. Ich atmete tief aus und schritt zur Türe, schloss auf und ging hinein. Mit einer Wucht schlug ich die Türe zu; “So macht man das, Tea!” - ich war immer noch mit dem Kopf bei der Arbeit. Ich beschloss, erst einmal ein Bad zu nehmen, um mich zu entspannen. Meinen Mantel zog ich aus, meinen Aktenkoffer stellte ich ab und schlenderte gemütlich ins Bad. Während ich das Wasser einließ, kochte ich mir Spaghetti Bolognese. Durch das ganze Arbeiten kam ich kaum noch zum essen, und auf leeren Magen trank ich nur sehr ungerne. Mai schrieb mir, dass wir uns heute um zwanzig Uhr trafen. “Ich freu’ mich auf dich, Kleine”, schrieb ich ihr und ertappte mich dabei, wie ich lächelte. Ich legte das Handy zur Seite, aß meine Mahlzeit und nahm dann mein Bad. Das warme Wasser erlaubte mir, mich seit langer Zeit wieder einmal zu entspannen. Das Gefühl war mir fast nicht mehr bekannt. Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen; Seto, was wünschst du dir? Es fehlte schon immer etwas. Irgendetwas fehlte und ich suchte danach, jahrelang. Ich kam nicht drauf, was es sein konnte. Mai meinte mal, es wäre die Liebe, dass mir die Liebe fehle. Doch wieso sollte ich mich jemandem öffnen, wenn er die Kraft hat, mich zu zerreißen? Mich von jemandem so abhängig zu machen, wollte ich nie zulassen. Nie glaubte ich daran, dass es die Liebe war, die in meinem Leben fehlte. Die Stille in meinem Haus war mir nie unangenehm und einsam gefühlt habe ich mich nie. Nach dem Bad zog ich mich an und machte mich fertig, es war bereits halb acht. Mit meinem Motorrad fuhr ich an die Küste, stellte es ab und erkannte Mai, die das Lagerfeuer vorbereitete. Sie lief auf mich zu und umarmte mich stürmisch. “Seto!”, sie freute sich wahnsinnig. “Kleines!”, entgegnete ich und wirbelte sie ein bisschen herum. Es vergingen einige Minuten, bis wir alle vollzählig waren; Yugi, Joey, Duke, Tristan, Ishizu, Marik, Mai und ich. Das Feuer loderte bereits und Duke hatte den Alk mitgenommen. Wir alle waren wärmer bekleidet, da ein ordentlicher Wind ging. Die Temperatur betrug minus zwei Grad Celsius. Ich hatte Mai im Arm und streichte über ihren Kopf. Sie nahm sich eine Zigarette aus der Tasche meines Mantels und zündete sie sich an, blies mir den Rauch ins Gesicht. “Böses Mädchen”, zischte ich und blickte ihr lustvoll in die Augen. Sie zwinkerte mir zu und grinste. “Auf uns!”, stieß Duke laut aus und wir erhoben unsere kleinen Jägermeister. “Auf uns!”, wiederholten wir alle und tranken auf Ex. Fast gleichzeitig wurden unsere Fläschchen leergetrunken und in den Sand geworfen. “Wer Nachschub will, kann sich gerne etwas holen. Im Rucksack sind noch mehr”, Duke zündete sich eine Zigarette an. Das Wasser war heute sehr ruhig und unschuldig, obwohl es schon Abend war. Das Feuer wärmte uns und erhellte das Dunkel. Ich beobachtete die einzelnen Funken, wie sie sprangen und zuckten. Mai kuschelte sich fest an mich und machte es sich gemütlich. Auch ich griff mir nun eine Zigarette und zündete sie an. Mit geschlossenen Augen blies ich den Rauch aus und beobachtete den Himmel - die Wolken waren dicht und es bestand kein Zweifel daran, dass es regnen würde. “Wir bekommen vielleicht einen Neuen. Herr Bakura hat heute seinen Sohn vom Flughafen abgeholt”, warf ich in die bereits laufenden Gespräche. Tristan sah mich überrascht an; “Sohn vom Herrn Bakura? Ob der hier her passt?”. Alle lachten laut, bevor sie untereinander weiterredeten. Ich blies den Rauch in Mais Gesicht und bekam einen provozierten Blick. “Na, nerv’ ich dich?”, hackte ich an ihr herum. Sie trank bereits ihr zweites Fläschchen. “Du Mistkerl”, grinste sie und begann, mich zu küssen. Ich warf die Zigarette in den Sand und nahm ihr Gesicht in die Hände. Wir küssten uns innig und ich strich ihr durch die schönen, blonden Haare. Ich löste mich langsam von ihr; “Lass gut sein, Kleines”. Sie war schon etwas angetrunken und ich wollte Nichts tun, das sie später bereut. Alkohol wirkte bei ihr immer sehr schnell und sie wurde dann total geil. Ich starrte ihr in den Ausschnitt und musste mich beherrschen, um nicht doch auf ihr Verhalten einzugehen. “Seto, noch eine Falsche?”, Tristan und Duke schienen ebenfalls schon angeheitert gewesen zu sein. Ich verneinte und deutete mit dem Kopf zu Mai. Die beiden verstanden und gönnten sich noch einmal einen großen Schluck. Ich versuchte immer mein Bestes, um nicht mit Mai zu schlafen. Sie wirkte immer sehr unabhängig, aber wenn man ihr einmal zeigte, dass sie einem mehr als wichtig war, bestand immer die Gefahr, dass sie sich verliebte. Und das wollte ich nicht. Einerseits wollte ich unsere Freundschaft nicht kaputt machen, und andererseits hatte ich keine Lust auf eine Freundin. Bis kurz nach eins amüsierten wir uns. Wir plauderten, lachten, rauchten und tranken. Die meisten ließen es jedoch bei höchstens zwei Flaschen bleiben; immerhin trafen wir uns fast jeden Abend und man besauft sich nunmal nicht jeden verdammten Tag. Außer Duke und Tristan, die sind immer voll. Die Wolken wurden dichter und zur Sicherheit packten wir schon alle unsere Sachen. Plötzlich spürten wir Regentropfen, die sich immer mehr häuften. Nach einer Minute schüttete es, wie aus Kübeln und unser Lagerfeuer erlischte. Alle machten sich - so gut sie konnten - auf den Weg nach Hause. Marik stützte Ishizu, die wohl nicht mehr richtig gehen konnte. Ich bot Mai an, sie nachhause zu fahren, doch sie verneinte. Sie wollte es alleine schaffen - so kannten wir sie. Ich sah kurz dabei zu, wie sie sich von mir entfernte und bemerkte, dass ihre Beine sie noch trugen. Somit erlaubte ich es ihr, alleine nachhause zu fahren. In Windeseile waren alle verschwunden. Ich sammelte die leeren Fläschchen auf und warf sie in den Müll. Eine Zeit lang starrte ich noch das Meer an, das die Regentropfen schluckte. Das Unwetter hielt nur ein paar Minuten aus, bevor es sich wieder vom Acker machte. Schade eigentlich, dass alle abgehauen sind. Lässig zündete ich mir eine Zigarette an und lehnte gegen mein Motorrad. Meine Haare flatterten leicht im Wind. Ich rauchte genüsslich aus und warf den Stümmel auf den Boden, bevor ich ihn zertrat. Meine Augen erkannten eine Silhouette; irgendjemand stand dort. Gezielt blickte ich hinüber, es war aber kein mir bekanntes Gesicht. Es scherte mich nicht länger und ich stieg auf meine Maschine. Auf nach Hause. Kapitel 3: Schwarze Hemden & Kaputte Beziehungen ------------------------------------------------ Ryou’s Sicht: Mein Herz schlug höher, als ich vom Rauschen der Wellen geweckt wurde. Mit einem Lächeln im Gesicht erhob ich mich und blickte sofort aus dem Fenster. Die Aussicht war einfach wunderschön und ich freute mich auf meinen ersten Tag mit Dad. Ich lag am Sofa, während mein Vater auf einer Matratze am Boden schlief. “Dad, kann ich schon frühstücken?”, flüsterte ich ihm zu. Er öffnete die Augen, gähnte einmal un blinzelte mich daraufhin verschlafen an; “Wir müssen einkaufen gehen, Ryou. Ich habe nicht gewusst, was du gerne essen würdest”. Ich nickte, schlüpfte in meine Pantoffeln und ging ins Bad, um mich fertig zu machen. Das Badezimmer war unglaublich sauber und jeder Gegenstand war gerade gerichtet - Perfektionist. Alles fühlte sich so neu an, so auch der Start in den Tag. Gerade war ich mit Zähne putzen fertig, als Dad etwas ins Badezimmer rief; “Ryou, ich habe etwas für dich!”. Überrascht blickte ich in den Spiegel gegenüber von mir. “Für mich?”, hinterfragte ich vorsichtig und machte die übrigen Schritte zum Wohnzimmer. Sogleich wurde mir eine Geschenkbox überreicht, die ich sprachlos annahm. Ich stammelte ein paar Worte, wunderte mich, was wohl drinnen war. “Das wäre überhaupt nicht nötig gewesen”, äußerte ich mit leicht rötlichen Wangen. “Jetzt mach’ schon auf! Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen!”, Dad klapste mir leicht auf die Schulter. Meine Finger zogen an den Enden der blauen Schleife, die sich dadurch löste. Die weiße Geschenkbox machte ich auf und merkte, wie meine Kinnlade fiel. “WIESO?!”, schrie ich durchs große Zimmer und beäugte laut atmend das schwarze Hemd. “DAS MUSS EIN VERMÖGEN GEKOSTET HABEN!”, fügte ich hinzu. Das muss es in der Tat gekostet haben - es war wunderschön verarbeitet, kein Detail wurde ausgelassen. Ich staunte vor mich hin, bis ich beschloss, es anzuprobieren. Ob Dad die richtige Größe ausgewählt hatte? Ich zog mein Shirt aus und schlüpfte in das samtweiche, schwarze Hemd, das etwas enger anlag, als die meisten Hemden. Dennoch passte es wie angegossen und ich konnte meine Freude kaum ausdrücken. Ich fiel meinem Vater um den Hals und drückte ihn ganz fest an mich. Danke. “Für dich ist mir Nichts zu teuer”, gab er zu und klopfte mir auf den Rücken. “Hast du denn gestern noch die Leute von der Küste treffen können?”, er beugte sich etwas zu mir runter und sah mir freudig in die Augen. Ich schüttelte den Kopf und meinte, dass sie vielleicht wegen dem Regen nach Hause gegangen sind. Es war keiner mehr dort - außer dieser Typ mit den braunen Haaren und seinem Motorrad. Sein Blick war kühler, als der Wind, die heiße Zigarette gab einen künstlerischen Kontrast. Gelassen lehnte er am Motorrad und blickte in die Ferne. Gerade wollte ich von diesem Jemand erzählen, da schlug Dad vor; “Wir können heute Abend vorbeischauen. Sie werden sicher da sein”. Ich nickte, ehe er ins Bad ging, um sich ebenfalls fertig zu machen. Entspannt ließ ich mich auf die Couch fallen und starrte aus dem Fenster, die den Ausblick zum Meer präsentierte. Als Dad fertig war, stiegen wir ins Auto und fuhren zum Shoppingcenter im Stadtzentrum. Wir hätten auch die Möglichkeit gehabt, in einen kleinen Supermarkt in der Gegend zu fahren, jedoch wollte Dad für die nächsten drei Tage einkaufen und sich nach einer neuen Jacke umsehen. So fuhren wir zwanzig Minuten, die Umgebung änderte sich drastisch. Es gab nun viel mehr Straßen, Gebäude und Stadtlärm. Die Menschen liefen mit vollen Shoppingtaschen herum oder saßen in einem Restaurant. Vor uns war das große Einkaufszentrum, in welches wir schnurstracks hineingingen. “Whoa!”, stieß ich aus, als ich erkannte, wie groß es war. Drinnen waren zahlreiche Modegeschäfte, Cafes und Parfümerien platziert. Die Halle war bereits mit vielen Lichterketten geschmückt, da sich Weihnachten näherte. Zuerst gingen wir in den Supermarkt, der ganz unten im Erdgeschoß war. Der Einkauf ging ziemlich schnell; Dad packte viel Obst und Gemüse in den Korb, während ich ihn mit viel Fleisch und Süßigkeiten füllte. Bei Mum erntete ich immer mahnende Blicke, bei so viel Schokolade; Dad hingegen ließ alles gut sein, wie es war. An der Kassa war keine lange Schlange und wir versetzten die Ware in unsere robusten Einkaufstaschen, welche Dad dann zum Auto trug, während ich auf ihn wartete. Er kam entlastet zurück und wir begannen, in Modegeschäften herum zu schauen. “Keines dieser Hemden ist annährend so schön, wie meines”, fiel mir auf, als wir uns in der Herrenabteilung eines Geschäftes umsahen. “Ich habe es in einem teuren Geschäft ergattert. Du wirst kein Duplikat davon hier finden”, bestätigte er. Er nahm gezielt eine der Winterjacken, die im Angebot waren und meinte, wir können gehen. Dad zahlte und so machten wir uns auf den Weg zurück ins Auto. Mein Magen knurrte bereits, weshalb wir schneller fuhren, als erlaubt. Mein Vater scheute sich nicht, Gas zu geben. Die vielen Straßen, Gebäude und der Stadtlärm entfernten sich allmählich aus meinem Blickfeld. Bald war nur noch die Küste von Weitem zu sehen. Als wären das zwei Welten ohne Grenze. Zuhause angekommen, bereitete Dad uns Schinkenkäsetoasts zu. Ich saß am Tisch und tippte mit meinen Fingerkuppeln gegen den Tisch. Der Toaster ließ die Scheiben aufspringen, welche Dad schnell auf die beiden Teller gab und mit Bauernschinken und Gouda vollendete. “Frühstück!”, sang er fröhlich und platzierte die beiden Teller aus den Tisch, ehe er sich vor mich setzte und begann, zu essen. Ich hingegen blickte stumm aus dem großen Fenster und drückte meinen Toast in den Händen. “Stimmt was nicht?”, wollte Dad wissen und drehte sich zum Fenster um, um zu sehen, ob ich irgendetwas sah, das mir Sorgen bereitete. “Gestern habe ich jemanden gesehen. Spät Nachts, als du mit meinem Gepäck ins Haus gegangen bist”, verriet ich ihm und die Gänsehaut auf meinem Körper wollte nicht verschwinden. “Wahrscheinlich ein Tourist, der sich verlaufen hat. Die Küstler gehen immer alle zeitgleich nach Hause und warten aufeinander”, sein Toast war nur noch zur Hälfte übrig. Ein Tourist, der sich verlaufen hat? Nach genauerem Umsehen erkannte ich einen jungen Mann; Zigarette im Mund, seine braunen Haare wehten leicht im Wind, der Blick kühl, wie Eis. Der Wind brachte mich zum Zittern, ich spürte Gänsehaut. Er lehnte gegen sein Motorrad, wirkte entspannt und gereizt zugleich, distanziert. Als die Zigarette nur noch ein Stümmel war, warf er diesen zu Boden und zertrat ihn. Danach blickte er zu mir rüber, gleichgültig. Ich lief rot an, versank in Scham und Panik, als hätte ich etwas getan, was sich eigentlich nicht gehörte. Ich hatte fast das Gefühl, mich dafür entschuldigen zu müssen. Der Junge wirkte so lässig und unnahbar, es faszinierte mich. Er stieg auf sein Motorrad und fuhr damit aus meinem Blickfeld - nicht einmal einen Helm hatte er sich aufgesetzt. Ich wusste gar nicht, weshalb ich meinem Vater unbedingt von der Begegnung mit dem unbekannten Braunhaarigen erzählen wollte. Vielleicht, weil ich noch nie jemanden gesehen habe, der so eine eisige Aura ausstrahlte. Oder vielleicht, weil er in dem schwachen Licht der entfernten Laternen so unglaublich ausdrucksvoll aussah. Er sah aus, wie Kunst. “Iss deinen Toast, Ryou”, erinnerte mich mein Vater. Ich aß schnell auf und füllte uns Eistee Pfirsich in zwei Gläser, die ich an den Tisch stellte. Es war sehr still und man hörte nur das Rauschen der Wellen, weil das Fenster offen war. Gestern Nacht hatte ich nicht die Möglichkeit, mir das Innere des Hauses gut anzusehen, weshalb ich nun gespannt um mich herumsah; das Wohnzimmer - beziehungsweise, das Hauptzimmer - war sehr gut beleuchtet durch das große Fenster und wirkte lebendig. Ich fragte mich, ob es mir hier besser gefallen würde, als zuhause. Zuhause hatten wir eine drei Zimmer Wohnung mit zwei Balkonen. “Und, hast du denn einen Freund, mein Sohn?”, Dad nippte an seinem Glas. “N-nein, noch nicht”, informierte ich ihn etwas eingeschüchtert. Er wusste, dass ich schwul war, doch ich redete nur ungerne darüber. Irgendwie gab es mir das Gefühl, ausgegrenzt zu sein. Homosexualität wurde noch nicht überall toleriert und akzeptiert. Ich tippte mit meinen Fingern am eiskalten Glas. “Ich denke, Seto steht auf feminine Männer. Ich sollte ihn dir mal vorstellen. Vielleicht heute Abend?”, sein Glas war nun leer und er stellte es in den Geschirrspüler. Ich zuckte mit den Schultern, und fragte, woher er über die sexuelle Orientierung des Anführers der Gruppe wusste. “Wir sind sehr gut befreundet”, zwinkerte Dad. Die Art und Weise, wie der Typ von gestern gegen sein Motorrad lehnte und seine Zigarette rauchte, hätte ein perfektes Fotomotiv sein können. Dieser Mensch hatte eine Wirkung auf mich, wie kein anderer. Ich habe in meinem Leben noch nie eine Person gesehen, die mich allein mit ihrem Blick so einfrieren konnte. Zwar sah ich keine richtige Handlung, aber dennoch wirkte er so elegant in seinem Sein und seinem Tun. Er hatte lange, schöne Beine und die Haare waren perfekt gestylt. Mich interessierte dieser Seto nicht; ich wollte diesen einen Typen noch einmal sehen. Noch einmal begegnen, nur ihm ihn bewundern zu können. Meine Augen würden die ganze Zeit an ihm kleben, ich würde mich nicht von ihm abwenden können. Noch dazu war er so groß… ich liebe große Typen. Vielleicht läuft er auch manchmal an der Küste herum? Seto’s Sicht: Ohne das nervende Geräusch meines Weckers öffnete ich meine Augen - mein erster freier Tag seit langem. Ich schielte zur Uhr hinüber und erkannte, dass es schon Mittag war. Zu aller erst checkte ich mein Handy und hatte drei entgangene Anrufe von Mai. Der erste war vor einer Stunde. Ich rief zurück. “Seto?”, kam es von der anderen Leitung. Ich brachte ein verschlafenes “Mhm” raus und hörte mir ihr Anliegen an. “Ich muss dir unbedingt etwas zeigen. Kann ich rüberkommen?”, sie klang leicht besorgt. “Natürlich, keine Frage”, kam es selbstverständlich von mir. Sie bedankte sich und legte auf. Ich rieb mir den Sand aus den Augen und stand auf. Sie würde in weniger als fünfzehn Minuten hier sein. In der Zwischenzeit war ich im Bad und begann meine Tagesroutine. Mit nassen Haaren und im Bademantel verließ ich den Raum und ging zurück in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Ich schlüpfte in ein lockeres T-Shirt und eine Jogginghose, als es an der Türe klingelte. Ich schloss auf und sah Mai, die einige Zettel in der rechten Hand hielt. Wir umarmten uns, bevor ich sie reinließ. Wir setzten uns in die Küche; ich aß mein spätes Frühstück und Mai erklärte mir die Diagramme, die sie mitgebracht hatte. “Das Wasser war gestern Abend sehr auffällig ruhig, nicht wahr?”, begann sie. “Das ist mir sehr schnell aufgefallen. Auf dem blauen Diagramm siehst du, dass in der letzten Nacht ein paar Prozente zum durchschnittlichen Meeresspiegel gefehlt haben”, sie hatte nun alle Blätter auf dem Tisch ausgebreitet, während ich meine drei Spiegeleier aß. Ich begutachtete die ausgedruckten Zettel und konnte ihr gut folgen. Jedoch war mir noch nicht bewusst, was sie damit eigentlich sagen wollte. “Und was passiert, wenn das Wasser eine Zeit lang unauffällig ruhig war?”, fragte sie mich und blickte mir direkt in die Augen. “Dann war das Ebbe. Und auf Ebbe folgt Flut”, antwortete ich und verstand, worauf sie nun hinaus wollte. Mai nickte und zeigte mir ein anderes Diagramm. “Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Stunden die Flut kommt, ist sehr hoch. Laut den Berechnungen wird sie sehr stark sein”, sie klang sehr besorgt. In ihrem Gesicht war Angst abzulesen. Ich erklärte ihr gelassen, dass sie sich keine Sorgen machen müsse. Wir Küstler wussten, wie wir uns im Falle einer Flut verhalten sollten. Ebbe und Flut sind an Küsten nichts Fremdes; wir haben uns angepasst und kennen die sichersten Wege, um effektiv davor zu fliehen. Man muss die ersten Anzeichen deuten können, um sich am schnellsten in Sicherheit zu begeben - ansonsten haben die Wellen gewonnen. Wenn man einmal mitgerissen wird, ist es unglaublich kraftraubend, wieder heraus zu gelangen. “Falls die Flut wirklich heute eintreffen sollte, können wir alle bei einem von uns weiterfeiern. Duke hat doch einen Kaminofen, nicht wahr?”, inzwischen hatte ich meinen Teller leergegessen. Es war bei uns üblich, dass wir, wenn eine Flut gerade tobte, bei einem von unserer Gruppe übernachteten und trotzdem noch Spaß hatten. Wir ließen uns von der Macht des Meeres nicht einschüchtern. Ehrlich gesagt witzelten wir sogar während der Flucht, wer als Letzter heil rauskommen würde. Die Erfahrung nahm uns all die Angst vor den majestätischen Wellen. “Treffpunkt ist heute jedenfalls wieder um Acht. Marik bringt heute den Alk mit”, Mai sammelte die Zettel wieder ein und stützte ihr Kinn an ihren Handinnenflächen ab. Sie starrte mich gedankenverloren an. Ich blickte sie direkt an und wartete darauf, bis sie mir erzählte, was in ihrem Kopf rumspukte. Ihre Pupillen wurden größer, ich zog eine Augenbraue hoch. “Und du glaubst wirklich, dass Liebe nicht das ist, was dich vollkommen machen würde?”, sie strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein kurzes Lachen entfuhr mir, als sie dieses Thema ansprach. Sie sprach es sehr oft an. Ich war mir nicht sicher, ob sie auf eine Beziehung zwischen uns beiden hinaus wollte, oder ob sie mich einfach dazu überreden wollte, nicht immer auf meinen Verstand zu hören. Als Filialleiter eines Geschäfts muss man jedoch viel mit dem Kopf arbeiten, und nicht mit dem Bauchgefühl oder gar seinen Bedürfnissen. “Ich bin doch glücklich, so, wie es jetzt ist”, behauptete ich, während mir flau im Magen wurde. Mai nickte skeptisch und wendete ihren Blick nun von mir ab. Sie seufzte und starrte aus dem Fenster. Das Wasser war tatsächlich sehr temperamentvoll. Ich fragte mich, was an Land gespült werden würde, sobald die Flut sich wieder gefangen hatte. Einige Male waren es sehr komische Fischarten, manchmal waren es aber auch Leichen, die sinnlos irgendwo in den Tiefen des Wassers herumtrieben. Bei Flut wird nunmal das, was sich gerade drinnen befindet, herausgespült. Bei dem Gedanken, was da unten alles noch verborgen blieb, wurde mir unangenehm. Die Fische in der Tiefsee sahen aus, wie Dämonen und konnten Menschenfleisch zerbeißen. Ich konnte mich an einen Tag erinnern, wo ein Hai hier gestrandet war. Das normalerweise gefährliche Tier lag im Sand und war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Es erstickte. Die Menschen hatten zu viel Angst, das Tier anzufassen. Was für eine Schande. “Wer sagt eigentlich, dass ich nur auf meinen Verstand höre? Bei unseren Lagerfeuersitzungen habe ich dich im Arm und sage dir, wie viel du mir bedeutest”, protestierte ich selbstsicher. Mai wusste nicht so recht, was sie darauf sagen hätte sollen. Sie blickte mir nachdenklich über die Schulter. Ich stand auf und gab meinen Teller in den Geschirrspüler, bevor Mai sich auch erhob und mich von hinten umarmte. Ihre Brüste drückten gegen meinen Rücken, ich hielt kurz die Luft an. “Du bist wunderschön”, brachte sie leise heraus. Ich drehte mich um und legte meine Arme um sie; “Trotzdem werde ich nicht mit dir schlafen, Kleine”. Sie biss sich auf die Unterlippe und löste sich von mir. In einer unüblichen Hektik nahm sie ihre Zettel vom Tisch, verabschiedete sich halbherzig und verließ mein Haus. Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare. Mit ein paar Gewissensbissen ging ich ins Bad, um mir meine Haare zu föhnen. Während dessen dachte ich darüber nach, ob ich Mai damit weh tue, sie ständig zurückzuweisen. Sie spürte da eindeutig mehr, als nur Freundschaft - unglücklicherweise erwiderte ich dieses Gefühl nicht. Erstens hatte ich keinen Bock auf eine Freundin, und zweitens wollte ich unsere Freundschaft nicht zerstören. Wie würde es denn ausgehen, wenn Mai und ich eine Beziehung beenden würden und uns Abends nicht mehr gemütlich an der Küste amüsieren könnten, sondern eher den Kontakt mieden? Ich wollte daran nicht denken. Seit vier Jahren wohne ich nun hier und sehe Mai als meine beste Freundin. Sie weiß, dass ich Beziehungen nicht mochte, weil sie mir viel zu aufwendig waren. In meinen zwanzig Lebensjahren war ich mit zwei Frauen zusammen, danach hatte ich keine Lust mehr. Es lag eher weniger an den Frauen selber, als an dem ständigen Auf und Ab der Gefühle. Ich hatte keine Lust mehr auf Streit, Missverständnisse und schlechtes Gewissen. Durch die negativen Erfahrungen verblasste das Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit. Es fühlte sich so an, als würde ich nie wieder den Drang danach haben. Meine erste Beziehung hatte ich mit fünfzehn, welche fünf Monate hielt - diese endete, weil ich diesen ständigen Druck, alles perfekt machen zu müssen, nicht aushielt. Bereits ein Jahr danach zog ich hier her und wollte mich unanbhängig machen - von Allem. Als ich mich jedoch mit siebzehn erneut verliebte, merkte ich, dass das gar nicht so einfach war. Es war eine Frau aus dem Stadtzentrum, die mir den Kopf verdrehte. Ich beschloss, mich noch einmal auf einen Menschen einzulassen. Doch schon nach drei Monaten trennten sich unsere Wege; mir gefiel es einfach nicht, mich so stark an jemanden zu binden. Desto mehr Bindung da war, desto mehr schmerzten die Auseinandersetzungen. Öfter ging es mir durch den Kopf, es mit einem Mann zu versuchen. Ich fragte mich, ob es da anders werden würde, doch dann fiel mir immer ein, dass ich meine Zeit nicht mit Beziehungen verschwenden wollte. Beziehungen waren der Grund, weshalb meine Persönlichkeit sich so dermaßen extrem formte. Ich wurde teilweise kalt, ich schluckte Emotionen und ich redete nur halbherzig. So hatte ich den perfekten Grund, um nicht Schuld zu sein, wenn ich Leute verletzte: “Das ist einfach mein Charakter”. Mai bedeutete mir die Welt und leider war ich mir seit ein paar Monaten sicher, dass sie an mir interessiert war. Egal, wie betrunken sie war; sie wollte immer nur mir an die Wäsche. Keinem anderen aus der Gruppe, nur mir. Man könnte sie mit Joey alleine in einem Bett für drei Tage lassen und sie hätten nicht miteinander geschlafen. Denn Joey war kein Seto Kaiba. Mais Anspielungen wurden immer deutlicher, und jede Ablehnung tat ihr mit der Zeit mehr weh. Natürlich tat es mir Leid, aber ich würde ihr nur weh tun. Ich war nunmal nicht gut in Beziehungen und bezweifelte nicht, dass es mein Leben lang so bleiben würde. Die Chance, dass da noch wer kommen würde, der eine perfekte Ergänzung für mein großes Ego wäre, lag gleich bei Null. Außerdem würde ich nicht mehr auf jemanden eingehen wollen, nur, um alles wieder zu verlieren. Liebe belastete mich nur. Kapitel 4: Kalte Blicke & Selbstbeherrschung -------------------------------------------- Ryou’s Sicht: “Ryou, ich wurde gerade von meinem Chef angerufen. Ich muss heute leider für einen kranken Kollegen einspringen, der heute Nachtschicht gehabt hätte. Ich bin mir aber sicher, du wirst an der Küste mit den Leuten gut zurecht kommen. Lass’ dein Handy eingeschalten, ja?”, Dad drückte mich kurz und begann, sich schnell warm anzuziehen. Er schlüpfte in die neue Winterjacke und zog sich gefütterte Schuhe an. Er blickte noch einmal lächelnd zurück, bevor er ging. Ich lächelte zurück. Ich war zwar ein wenig traurig, dass Dad bei meiner ersten Begegnung mit den Küstlern nicht mitging, aber ich hätte ihn nicht aufhalten können. So zog auch ich mich an, sprühte mich mit Parfum ein, steckte mein Handy ein und verließ das Haus. Dad fuhr gerade mit dem Auto weg, als ich draußen war. Eine Weile sah ich ihm hinterher, bevor ich mich auf den Weg zum Wasser machte. Es war zwanzig Uhr. Dad sagte, das wäre die übliche Zeit, in der sich die Küstler versammelten. Meine Hände steckten in meinen Jackentaschen. Ein bisschen fror ich schon, muss ich zugeben. Meine Aufmerksamkeit wurde erregt, als ich lautes Gelächter hörte. Ich stapfte gerade im Sand, als ich ein Lagerfeuer entdeckte - das mussten sie sein. Sie alle schienen aber so eng miteinander befreundet zu sein, dass ich mich völlig Fehl am Platz gefühlt hätte. Nervosität machte sich in mir breit. Ein paar Sekunden starrte ich direkt zu ihnen herüber, das Feuer loderte und einige Taschen lagen am Boden. Fast alle von ihnen rauchten. “Hey, du! Komm her, wir stoßen gerade an!”, rief eine hübsche Blondine. Ein schüchternes Lächeln umspielte meine Lippen, während ich die Hände leicht von links nach rechts winkend, verneinend, vor mich hielt; “Ich trinke keinen Alkohol”. Nach dieser Aussage erhob sich plötzlich ein dunkelhaariger Mann aus der Clique und steuerte direkt auf mich zu, packte mich am Kragen und sah mir drohend in die Augen; “Du bist also der Neue?”. Mein Herz pochte und ich wusste nicht, weshalb er so wütend war. Mochte er keine neuen Gesichter? Sein sinnliches Parfum drang in meine Nase und ich hatte ein komisches Gefühl, gemischt aus Furcht und Verlangen. Aus Angst antwortete ich nicht. Er ließ mich los und musterte mich energisch. Erst da fiel mir auf, dass diese kühlen Augen dieselben waren, die mir letzte Nacht in Erinnerung geblieben waren. “Seto, lass den Kleinen!”, mahnte ein Schwarzhaariger. Ein komisches Gefühl zuckte durch meinen Körper: Seto? Das war der berühmt berüchtigte Seto Kaiba, der Anführer? Es ergab alles Sinn. Seine Ausstrahlung war in der Tat sehr dominant und er stach heraus. Wieso bin ich nicht früher darauf gekommen. Es passte alles zusammen. Die Blondine näherte sich uns und packte mich dann leicht am Arm. Ich schrack auf. “Keine Angst, wir werden dir nicht weh tun”, versprach sie und führte mich zu ihrem Platz. Es roch nach Zigaretten und Alkohol. Die blonde Frau stellte sich als Mai vor, worauf sich alle anderen ebenfalls vorstellten. Sie alle waren freundlich gesinnt, doch Seto sah mich an, wie ein Serienkiller, der nur darauf wartete, mich unter vier Augen zu haben, um mich danach umzubringen. “Ich bin Ryou, Ryou Bakura”, verriet ich, während ich zwischen Ishizu und Yugi saß. Mai hatte mich bei den beiden platziert, weil sie meinte, die zwei wären zum Kennenlernen die besten, um einen guten ersten Eindruck von der Clique zu bekommen. Leider Gottes war der erste Eindruck aber Seto Kaiba, der mich am Kragen hielt. Mai reichte mir eine Dose Cola, ehe sie rief; “Auf uns!”, bevor die Gruppe es wiederholte. “A-auf uns”, sprach ich leise mit. Duke und Tristan tranken die Flaschen am schnellsten leer und griffen zu den nächsten. Duke, Tristan und Joey unterhielten sich darüber, dass die Fläschchen im kleinen Supermarkt viel teurer waren, als die im großen Einkaufszentrum, Ishizu und Marik tauschten sich über neue Möbel in ihrem Haus aus, Seto und Mai kuschelten und Yugi fragte mich, wo ich herkam und ob es mir hier gefiel. Ich erzählte ihm, dass ich aus Domino, einer Stadt aus Japan, kam. Kurz und knapp erläuterte ich, weshalb es mich hier an die Westküste zog. “Rauchst du?”, wollte Yugi wissen. Ich schüttelte den Kopf und er legte die Zigarettenpackung, die er bereits herausgeholt hatte, wieder weg. “Tu dir keinen Zwang an”, sagte ich panisch und fühlte mich so, als hätte er wegen mir auf etwas verzichten müssen. “Kein Stress, Ryou”, er klang sehr gelassen und lächelte mich an. Wir unterhielten uns noch kurz über das Klima hier, bevor ich auf Seto fixiert war. Ich zuckte kurz, als ich bemerkte, dass er mich bereits ansah. Er ließ seine Augen nicht von mir ab. Mai sah etwas verzweifelt aus, während sie am Alkohol nippte. “Seto, nun jag’ ihm doch keine Angst ein!”, witzelte Yugi und klopfte mir leicht auf die Schulter. Seto ließ nur ein gleichgültiges “Hm” raus und wandt seinen Blick nun ab. Es war, als ob eine Last von mir fallen würde. Seine eiskalten, blauen Augen durchbohrten mich regelrecht und stachen wie ein Dolch. Mir wurde etwas unangenehm. “Er wirkt nur wie ein Mistkerl. Aber in Wirklichkeit ist er in Ordnung”, warf Ishizu ein. Ich verzog meinen Mund zu einem unsicheren Lächeln. Gleich darauf kommentierte Mai mit ‘Mistkerl’ und versuchte, Seto zu küssen. Irgendwas in mir zerbrach, als ich das sah. Nicht, dass ich mich verliebt hatte, doch ich hätte Seto so gerne alleine erkundet. Seine Art, so zu sein, wie er war. Dies war mir anscheinend nicht mehr möglich, mit seiner Freundin an seiner Seite. Komischerweise lehnte er ihre Annäherungsversuche die ganze Zeit ab, bis Mai traurig zur nächsten Flasche griff. Anstatt sie zurück zu küssen, hatte er seine kühlen Augen auf mich gerichtet. Es fühlte sich so an, als hätte er mir etwas sagen wollen. Etwas an mir, das ihn so stinksauer machte. Er konnte sich auf nichts Anderes mehr konzentrieren. Es machte mir Angst. Yugi tat mir seine Jacke um meine Schultern; “Ignorier’ ihn. Er wird dir Nichts tun, dafür sorge ich”. Ich atmete erleichtert aus und versuchte, nicht mehr in Setos Richtung zu blicken. Es gab keinen Zweifel, dass sein Blick kälter war, als der Wind, der mir zu schaffen machte. Yugi zog mich näher zu sich und legte den Arm um mich. Er merkte, dass mir kalt war. “Seto, nun hör’ schon auf. Du starrst ihn kühler an, als Alaska kalt ist!”, Joey warf die leere Flasche in den Sand. Alle hatten bereits gemerkt, wie bedrohlich ich angestarrt wurde - irgendwie wusste jedoch niemand so richtig, was in Seto gefahren war. Das Wasser tobte richtig und war nicht zu überhören. Ich fragte mich, ob in den ersten paar Metern schon Fische schwammen, oder ob diese erst in den tieferen Regionen zu finden waren. Das Rauschen hätte einen beruhigenden Effekt gehabt, wenn Seto nicht da gewesen wäre. Ich beobachtete die Funken, die im Feuer hin- und hersprangen und hielt meine nackten Hände nahe daran. Yugi kramte ein Paar Handschuhe aus seiner Tasche, welche er mir sofort übergab. “D-danke”, stammelte ich überrascht und zog diese an. Das half mir sehr viel. Meine Finger waren schon taub und zitterten unkontrolliert. Es war eine kalte Novembernacht. Mai hatte die Annäherungsversuche aufgegeben und lag nun “nur” in Setos Armen. Kurz ertappte ich mich dabei, wie ich mir vorstellte, an ihrer Stelle zu sein. Der Dunkelhaarige hatte diese einzigartige Ausstrahlung, die einen frösten ließ, während man zeitgleich darüber nachdachte, wie er psychologisch aufgebaut war. Gab er sich nur so taff, oder war er es wirklich? Wir alle erschracken, als eine große Welle in sich einbrach. Mai starrte wie paralysiert auf die Stelle, an der die Welle sich aufgebaut hatte. Das Feuer spiegelte sich lodernd in ihren Augen, während sie wie erstarrt war. “Kleine, alles in Ordnung”, versicherte Seto mit emotionlosem Ton und nahm sie wieder in seinen Arm. Sie aber konnte nicht aufhören, in die Richtung des Wassers zu starren. Sie wirkte so, als hätte sie etwas vielversprechendes dort gesehen. Als wäre dort etwas gewesen, das ihr Dinge zuflüsterte. “Bist du mit einem Fahrzeug hier?”, fragte Yugi und drückte mich fester an sich. Ich schüttelte den Kopf. Bevor ich antworten konnte, fiel mir Seto ins Wort; “Nein. Das Haus von Herrn Bakura ist doch nur einen Katzensprung entfernt”. Mir fiel ein, dass Dad gut mit Seto befreundet war, und irgendwie machte es mir in diesem Moment Angst. Die Wärme von Yugi tat gut, und ich schloss die Augen. Sicher war ich mir nicht, wie ich mich unter den Leuten fühlte, doch wenigstens Yugi nahm Rücksicht auf mein Befinden. Es war richtig von Mai, mich zu ihm zu setzen. Wenn sie mich zu Seto gesetzt hätte, wäre die Chance hoch gewesen, dass ich mich wieder vom Acker gemacht hätte. Der Zigarettenrauch, der mich Anfangs störte, war für mich kaum mehr wahrzunehmen. Ich hatte mich in kurzer Zeit daran gewöhnt. Ich erlaubte Yugi, zu rauchen und sagte ihm, es würde mich sicher nicht stören. Dieser nahm daraufhin eine Zigarette in den Mund und zündete sie gelassen an. “Ich wusste, irgendwas an dir hat gefehlt!”, scherzte Marik und blies den Rauch in unsere Richtung. Mai gab einen erschrockenen Laut von sich, als wir hörten, wie mehrere Wellen ineinander sackten. Seto’s Sicht: Ich erklärte Mai gegen siebzehn Uhr am Telefon, dass ich keinen Grund gehabt habe, mich zu entschuldigen. War es denn nicht gerechtfertigt, eine sexuelle Anspielung abzulehnen, wenn man nicht an der Person interessiert war? Das Telefonat dauerte seine Zeit, doch am Ende war alles wieder beim Alten und ich versprach ihr, wir würden beim Lagerfeuer wieder kuscheln. Zwanzig Uhr. Ich zog meinen schwarzen Mantel an, gefolgt von meinen frisch polierten Schuhen. Zwei Zigarettenpackungen steckte ich in meine Tasche. Ein letzter Blick in den Spiegel genügte mir, um sicher zu sein, dass es Zeit war, das Haus zu verlassen. Ich stieg auf mein Motorrad und driftete davon. Die Luft schien heute etwas feuchter zu sein, als sonst. Ich fuhr die übliche Route und war im gewohnten Zeitrahmen auch schon da. Mai war bereits anwesend, auf mich wartend. Ich begrüßte alle und setzte mich dann wie immer auf den Platz neben Mai, der absichtlich frei gelassen wurde. “Du bist aber auch der Einzige, der mit solchen Schuhen Motorrad fährt!”, wandte Marik ein und wir alle stießen freudiges Gelächter aus. Daraufhin verteilte der Blonde den Alk, wir waren bereit zum Anstoßen. Meine Augen sichteten eine Silhouette. Irgendwer spazierte zu dieser Stunde noch nahe des Wassers. Ich tippte Mai auf die Schulter, um sie auf den Fremden aufmerksam zu machen. Sie holte tief Luft; “Hey, du! Komm her, wir stoßen gerade an!”. Wir bekamen eine Antwort; “Ich trinke keinen Alkohol!”. So, so - du trinkst keinen Alkohol? Mit etwas Mühe erhob ich mich von meinem Platz und steuerte direkt auf die Person zu. Als ich näher kam, bemerkte ich, dass es ein schlanker, durchschnittlich großer junger Mann war. Seine zarten Gesichtszüge provozierten mich, sie lösten meinen Beschützerreflex aus. Er sah so zerbrechlich und unschuldig aus, dass ich ihn am liebsten mit nach Hause genommen und für mich beansprucht hätte. Und dann trank er noch dazu keinen Alkohol, der Engel. Es machte mich so sauer, dass er mich so um den Verstand bringen konnte. Mit einem Handgriff packte ich ihn am Kragen; “Du bist also der Neue?”. Ich ging davon aus, da er die selben Haare wie sein Vater hatte. Herr Bakura erzählte immer, wie schmächtig und sensibel sein Sohn war. Ich roch sein Parfum, und musste mich zurückhalten, ihn nicht in irgendeiner Art und Weise sexuell zu belästigen. Er wirkte damit so betörend und reizend, dass ich meine linke Hand zu einer Faust ballen und tief atmen musste, sodass ich ihm Nichts antat. Seine weißen Haare sahen sehr weich aus, zu gerne wäre ich mit meinen Fingern durch seine Mähne gefahren. Er gab mir auf meine Frage keine Antwort, aber ich war mir sicher. Mein Handgriff löste sich und der sackte ein. “Seto, lass den Kleinen!”, mahnte Duke mahnend. Die Gruppe hatte meinen eher unsanften Eingriff bemerkt. Schritte hinter mir verrieten, dass sich nun wer einmischen und den Kleinen beschützen wird. Mai trat hervor und nahm Ryou am Arm, er schrack auf. “Keine Angst, wir werden dir nicht weh tun”, versprach sie, wobei ich mir da nicht so sicher war. Sie führte ihn zu unserem Platz und stellte sich vor. Der Rest begrüßte Ryou ebenfalls herzlich. Der Geruch von Zigaretten und Alkohol hat ihn sicher etwas überfordert. Mit kaltem Blick sah ich zum Weißhaarigen rüber, der gegenüber von mir saß. “Ich bin Ryou, Ryou Bakura”, verriet er, während er zwischen Ishizu und Yugi saß. Mai hatte ihn bei den beiden platziert, weil sie meinte, die zwei wären zum Kennenlernen die besten, um einen guten ersten Eindruck von der Clique zu bekommen. Den ersten Eindruck hatte ich jedoch mutmaßlich verdorben. Mai reichte Ryou eine Dose Cola, ehe sie rief; “Auf uns!”, bevor die Gruppe es wiederholte. “A-auf uns”, sprach der schüchterne Sohn leise mit. Duke und Tristan tranken die Flaschen am schnellsten leer und griffen zu den nächsten. Duke, Tristan und Joey unterhielten sich darüber, dass die Fläschchen im kleinen Supermarkt viel teurer waren, als die im großen Einkaufszentrum, Ishizu und Marik tauschten sich über neue Möbel in ihrem Haus aus, Mai und ich kuschelten und Yugi fragte Ryou, wo er herkam und ob es ihm hier gefiel. “Rauchst du?”, wollte Yugi von ihm wissen und ich lauschte gespannt. Ryou schüttelte den Kopf, worauf Yugi die bereits herausgeholte Zigarettenpackung wieder einstecken musste. “Tu dir keinen Zwang an”, kam es panisch vom Bleichhaarigen. “Kein Stress, Ryou”, wurde er beruhigt. Sie unterhielten sich noch kurz über das Wetter, ehe Ryou einen Blick zu mir wagte. Er zuckte kurz, als er bemerkte, dass ich ihn bereits ansah. Mai bemerkte mein Interesse und nippte am Alkohol. “Seto, nun jag’ ihm doch keine Angst ein!”, witzelte Yugi und klopfte seinem Sitznachbarn auf die Schulter. Ein gleichgültiges “Hm” verließ meinen Mund und ich wandte meine blauen Augen von den braunen ab. Es war ein schönes, dunkles Braun. “Er wirkt nur wie ein Mistkerl. Aber in Wirklichkeit ist er in Ordnung”, warf Ishizu ein. Ryou verzog meinen Mund zu einem unsicheren Lächeln. Gleich darauf kommentierte Mai mit ‘Mistkerl’ und versuchte, mich zu küssen. Genervt hielt ich sie von mir weg, wollte nicht näher darauf eingehen. Die Blonde aber versuchte es immer wieder, während meine Augen gerade aus fixiert waren. Eine geschätzte Minute probierte meine beste Freundin, an meine Lippen zu kommen, bevor sie zur nächsten Flasche griff. Es war unmöglich, dieses zaghafte Wesen vor mir nicht anzustarren. Er lud mich fast dazu ein, ihn zu berühren und seinen Geschmack herauszufinden. Wonach schmeckst du? Nach Honig, Pfirsich und grünem Tee? Ich biss mir auf die Unterlippe. Yugi wollte ihm ein bisschen Sicherheit verschaffen; “Ignorier’ ihn. Er wird dir Nichts tun, dafür sorge ich”. Er tat ihm seine Jacke um die Schultern, da Ryou etwas fror. Als Yugi merke, dass ich immer noch zu ihnen sah, zog er den Kleinen an sich und drückte ihn. “Seto, nun hör’ schon auf. Du starrst kühler, als Alaska kalt ist!”, zischte er. In dem Moment warf Joey seine leere Flasche in den Sand. Es wurde für eine kurze Zeit ruhig und alle fragten sich, was in mich gefahren war. Nur Mai alleine wusste, dass ich ebenfalls an Männern interessiert sein konnte. Zwar war ich mit allen in der Gruppe eng befreundet, doch es fiel nie die Frage, ob irgendwer besondere Vorlieben oder Schwächen hatte. Dies spielte auch keine Rolle, um zusammenzuhalten. Das Wasser tobte richtig und war nicht zu überhören. Das hätten die ersten Anzeichen der Flut sein können - es hätte aber genau so gut der normale Zustand des Wassers zu später Stunde sein können. Das Rauschen hatte einen beruhigenden Effekt auf mich gehabt, wäre da nicht dieses zierliche Honigröllchen gewesen. Er beobachtete das Feuer interessiert und hielt seine nackten Hände nahe daran. Yugi fiel es sofort auf, weshalb er ein Paar Handschuhe aus seiner Tasche kramte und Ryou übergab, welcher sich stammelnd bedankte. Seine schmalen, schönen Finger zitterten unkontrolliert. Lass mich deine Hände halten, sie an mich pressen und dich küssen. Dir meine Zunge in den Hals stecken und dich nie wieder gehen lassen. Mai lag in meinen Armen und hatte die Annäherungsversuche schon lange aufgegeben. Ich war mir tausend Prozent sicher, dass sie eifersüchtig war. Sie wusste, dass feminine Männer eine Schwäche von mir waren und sie wusste, dass ich mich da nur schwer beherrschen konnte. Ich konnte nie sagen, ob mein Interesse an Frauen und Männern ungefähr gleichstark war. Lag vielleicht daran, dass ich sehr wählerisch war. Wir erschracken alle, als eine große Welle in sich einbrach. Mai starrte wie paralysiert an die Stelle, an der die Welle sich aufgebaut hatte. Das Feuer spiegelte sich lodernd in ihren Augen, während sie wie erstarrt war. “Kleine, alles in Ordnung”, versicherte ich ihr mit emotionslosem Ton und nahm sie wieder in den Arm. Sie aber konnte nicht aufhören, in die Richtung des Wassers zu starren. Ihr schossen Theorien durch den Kopf. “Bist du mit einem Fahrzeug hier?”, fragte Yugi und drückte Ryou fester an sich. Er schüttelte den Kopf. Bevor er antworten konnte, fiel ich ihm ins Wort; “Nein. Das Haus von Herrn Bakura ist doch nur einen Katzensprung entfernt”. Ich war gut mit Herrn Bakura befreundet und wusste haargenau, wo sein Haus stand. Ein schickes Häuschen hatte er. Theoretisch wäre es kein Problem gewesen, ihm mal wieder einen Besuch abzustatten... Es machte mich fast etwas neidisch, wie Yugi den süßen Ryou in seinem Arm hatte. Ich stellte mir vor, an seiner Stelle zu sein; den verlockenden Duft des Parfums riechen und mich an den samten Gesichtszügen nicht sattsehen können. Fast schon traurig, dass Mai ihn zu Yugi setzte und nicht zu uns. Hätte meine Hände sicher nicht von ihm lassen können. Ryou änderte seine Meinung und erlaubte Yugi, zu rauchen. Ich hob eine Augenbraue und sah interessiert rüber. Kam er gut mit Veränderung klar oder war er einfach tolerant? Vielleicht hatte er sich aber auch nur an den Zigarettenrauch hier gewöhnt. Bei uns qualmte es förmlich, weil alle Raucher waren.”Ich wusste, irgendwas an dir hat gefehlt!”, scherzte Marik und blies Rauch in Yugis Richtung. Mai gab einen erschrockenen Laut von sich, als wir hörten, wie mehrere Wellen ineinander sackten. Kapitel 5: Flut & Ebbe ---------------------- Ryou’s Sicht: Das Wasser brauste sich auf und schäumte gar über. Die mächtigen Wellen erhoben sich und brachen. Alle ließen ihre Zigaretten und Flaschen augenblicklich fallen und liefen zu ihren Fahrzeugen. Ahnungslos saß ich da und beobachtete das Szenario. “Bringt euch und eure Fahrzeuge in Sicherheit!”, schrie der Dunkelhaarige energisch. Die ganze Gruppe rannte sehr schnell davon, alle stiegen in ihr Auto oder auf ihr Motorrad. Gleich darauf drifteten alle davon, außer Mai. “Seto!”, kreischte Mai von weiter weg. Seto rief ihr laut zu, dass sie sofort den Ort verlassen solle. Sie zögerte zuerst, stieg dann aber doch auf ihre Maschine und fuhr davon. Als sich Seto sicher war, dass alle auf dem Heimweg waren, rannte er ebenfalls weg. Ich wurde panisch und wusste nicht, ob ich auch weg hätte sollen und wohin. Ruckartig blieb Seto stehen und drehte sich zu mir um; “RYOU!”. Er hatte die Augen weit aufgerissen, lief zu mir zurück und zog mich stark hoch. “Ryou, nimm meine Hand und schau’ nicht zurück!”, er war ganz außer Atem und seinen Blick erkannte ich nicht wieder. Als er merkte, dass ich seine Hand nicht nahm, weil ich verwirrt war, nahm er stattdessen meine und zog mich kräftig mit sich. Kaum hatten wir ein paar Schritte gemacht, brach plötzlich eine große Welle über uns ein. Wir wurden nach vorne und nach hinten gespült, das Wasser schien zu tanzen. Wir kamen mit unseren Köpfen nicht an Luft und ich schluckte Wasser. Das Salzwasser brannte in meinen Augen und meine Sicht war verklärt. Alles, was ich zu sehen bekam, war Wasser, obwohl ich atmen musste; doch überall nur Wasser. Es war nicht komplett schwarz um mich, doch dunkel genug, dass man sich verdammt fühlte. Das Meer hatte uns in sich geschlossen und Seto wurde von mir weggerissen. Unsere Hände hatten sich gelöst und ich hatte Angst, zu ertrinken. Es schien in dem Augenblick so, als wäre Sauerstoff ein Gerücht gewesen und hätte nie existiert. Meine Lungen waren überfordert und anstatt von kaltem Wind schluckte ich nur das Meer. Seto versuchte, zu mir zu schwimmen, doch der Trieb des Stromes war stärker. Ich hatte Angst, nie wieder aufzutauchen und zu sterben, ohne meinen Vater drei Tage lang gesehen zu haben. Ich ließ einen kräftigen Schrei aus, der sich nur mit Wasserblasen sichtbar machte. Es zerstückelte mich innerlich, seinen Gesichtsausdruck zu vor mir zu sehen, mit dem Wissen, dass sein einziger Sohn ertrunken ist. Er würde es seelisch nicht überstehen, er wäre für sein Leben lang verwundet. Aus Verzweiflung ließ ich noch einen Schrei aus, doch niemand hörte mich. Unter Wasser hört dich keiner. Du bist der Macht des Meeres ausgeliefert. Es gab keine Aussicht auf ein Ende, es erstreckte sich ins Unendliche. Wir wurden hin und her geschwemmt, ich spürte, wie mein Körper gezerrt wurde. Unfähig schlug ich mit Händen und Füßen um mich, schrie und weinte, falls das überhaupt unter Wasser möglich war. Ich zog die Jacke und die Handschuhe aus, die sofort in eine andere Richtung gespült wurden. Ich konnte die Luft nicht länger anhalten und mir wurde schon schwarz vor Augen, als uns der gewaltige Strom ausspuckte. Hustend ringte ich nach Luft, das Salzwasser stand uns bis zu den Füßen, hätte uns aber jederzeit wieder bis über den Kopf stehen können. In einem Schockzustand derart befand ich mich noch nie, ich spürte das Adrenalin und den Drang, zu überleben. “Seto”, wimmerte ich kleinlaut und suchte mit meinen brennenden Augen nach ihm. Er stand ein paar Meter weiter und rannte - so gut man es in in dem Zustand konnte - zu mir. Erneut griff er fest meine Hand und zog mich mit sich. Ohne Worte liefen wir in Richtung der dicken Äste, die für das Lagerfeuer benutzt wurden. Es waren nur noch zwei da, der Rest wurde mitgerissen. Das war unser Standpunkt vor der ersten Welle, doch wir wurden so weit nach hinten gespült, dass wir aufholen mussten. Plötzlich rutschte Setos Hand aus meiner und ich drehte mich erschrocken um, worauf mich das Meer wieder in seinem Griff hatte. Um uns schwamm Sand, einige der leeren Alkfläschchen, Muscheln, Algen, kleine Steine und winzige Fische. Ich wurde in alle möglichen Richtungen gedreht, es war ein sehr großer Druck in den Ohren und im Brustkorb wahrzunehmen. Seto war vor mir und versuchte vergeblich, an meine Hand zu kommen. Er streckte seine gespannt aus, es hätten nur ein paar Zentimeter gefehlt. Wir schafften es nicht, unsere Hände wieder ineinander zu stecken. Der nächste Hieb des Wassers folgte und Seto wurde von mir getrennt. Nur noch seine Silhouette war in dem blauen Chaos zu erkennen. Obwohl ich wusste, dass es nicht viel ändern würde, schwamm ich. Ich schwamm, doch kam nicht von der Stelle. Alles bewegte sich, zerrte an mir und diese Gewalt wollte mich nicht mehr loslassen. Ich war dem Meer zum Opfer gefallen. Das Salz in meinen Augen brannte fürchterlich und sie waren wahrscheinlich schon total rot. Abgesehen von dem Geräusch des ständig Richtung wechselnden Wassers war es still. So etwas wie Zeit schien es dort nicht zu geben; eine ganz andere Welt. Es war geräuschlos und wie erstarrt. Die Unterwasserwelt faszinierte mich schon immer, doch als Mensch erlebte man mehr Schattenseiten als Vorteile in dem Gebiet. Die Fische schwammen wie gewohnt ihre Route, konnten durch ihre Kiemen atmen und hatten keine Probleme. In diesem Moment, schwöre ich euch, wäre ich am liebsten ein Fisch gewesen. Mein Brustkorb war wie zugeschnürt und durchgestochen. Als hätte man ihn mit einem dicken Knoten versehen und danach einen Dolch reingerammt. Seto war nicht mehr in meinem Blickfeld, ich war in diesem bewegenden Grab auf mich alleine gestellt. Diese Angst ums Überleben war schrecklich. Luft, Luft, Luft - ich brauchte Luft! Doch das gnadenlose Meer zeigte kein Mitleid und ließ mich in seinen Klauen tanzen. Der Raum in meinen Lungen wurde knapp, mein Blickfeld wurde schwarz. Die Vorstellung an meinen Vater wurde jedoch immer schärfer. Er weint, er schreit, er schlägt um sich - genau so, wie ich es in dem Moment tat. Das Meer schwemmte uns wieder an die Oberfläche, ich war aber total desorientiert. Sofort begann ich, zu laufen. Ich sah nicht, wohin ich lief, ob ich wieder in den Rachen des Wassers rannte. Jedoch musste ich stehen bleiben und Luft einatmen. Wie ein Hyperventilierender stand ich an der Stelle und hatte Angst, an Sauerstoffmangel zu sterben. Mein Herz blieb fast stehen, als jemand meine Hand nahm und mich davonzerrte. “Ryou, hüpf’ auf meinen Rücken!”, befahl mir die bekannte Stimme Setos. Dafür, das ihm genau dasselbe passiert war, wie mir, hatte er noch einen kräftigen Ausdruck beim Sprechen. Ich blinzelte einige Male, bis sich meine Welt wieder bunt färbte und mir bekannt vorkam. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden stieg ich auf Setos Rücken und hielt mich an seinen Schultern fest. Er hielt mich an den Beinen und rannte los. Er hatte eine beachtliche Ausdauer. “Es ist alles in Ordnung, es wird alles gut, Kleiner”, versicherte er mir. Er knickte einige Male beim Laufen ein, doch er blieb nicht stehen. Ich dachte, wir hätten nun endgültig keine Chance mehr, als uns zum dritten Mal eine Welle verschlang. Einige Sekunden waren wir in ihrem Bann, bevor sie uns in den Sand rammte. Ich lag auf Setos Rücken, er lag am Grund und konnte nicht atmen, weil er zu viel Gewicht am Rücken hatte. Augenblicklich rollte ich mich von ihm runter und blieb kraftlos liegen. “Wir dürfen nicht aufgeben!”, schrie er energisch und stand mit viel Mühe auf. Seto zerrte mich zu sich hinauf und trug mich auf Händen. Mit letzter Kraft steuerte er zu seinem Motorrad, das am Übergang zwischen Straße und Sand war. Er trug mich in seinen starken Armen und es war so wunderschön, trotz der fürchterlichen Panik, die meinen Körper zu besitzen schien. “Wir sind gleich da”, machte er mich aufmerksam, während seine Beine immer wieder einknickten. Wir hörten, wie sich hinter uns das Wasser wieder aufbrauste und der Adrenalinkick veranlasste Seto dazu, richtig Gas zu geben und nicht auf seine erschöpften Beine zu hören. Wir waren von Kopf bis Fuß durchnässt und der Wind war dadurch noch eisiger. Wir erreichten sein Fahrzeug und er setzte mich ab. Danach stieg er sofort auf die Maschine und startete den Motor. Ich setzte mich hinter ihn und hielt mich gut fest. Erst jetzt merkte ich, dass sein Mantel fehlte. Er hatte ihn wahrscheinlich im Wasser ebenfalls abgeworfen. “Ist dein Vater zuhause?”, fragte er. “Nein, der hat Nachtschicht”, antwortete ich noch in Schock. Dadurch, dass wir schnell unterwegs waren, wurde die Kälte, die wir ohnehin schon spürten, noch schlimmer und gar unerträglich. Zitternd hielt ich mich an Seto fest und konnte nicht glauben, dass wir in Sicherheit waren. Vorsichtig blickte ich zurück und erkannte die überschwemmte Küste. Wellen brachen immer noch ein und beanspruchten das ganze Gebiet für sich. “Dann bring’ ich dich zu mir”, sagte der Fahrer entschlossen und machte eine sehr scharfe Kurve, die mir noch einen extra Schock verschaffte. Die Kälte drang mir bis ins Knochenmark und setzte sich fest. Als Seto anhielt und seine Maschine parkte, standen wir vor einem zweistöckigen Haus. Ich fragte mich, ob ich bei Seto in guten Händen war oder ob er mir mit seinem tödlichen Blick schon zu viel verraten hatte. Seto’s Sicht: Das Wasser brauste sich auf und schäumte gar über. Die mächtigen Wellen erhoben sich und brachen. Wir alle erkannten diese Warnung und ließen unsere Zigaretten und die Flaschen sofort fallen. “Bringt euch und eure Fahrzeuge in Sicherheit!”, schrie ich meinen Freunden energisch zu. Sie alle rannten zu ihren Fahrzeugen, stiegen in ihr Auto oder auf ihr Motorrad. Gleich darauf driteten alle davon, außer Mai. “Seto!”, kreischte sie von weiter weg. Wütend rief ich ihr zu, dass sie gefälligst so schnell wie möglich den Ort verlassen solle. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn einer von meinen Freunden wegen der Flut draufgeht, nur, weil ich sie nicht streng genug weggeschickt hatte. Mai zögerte zuerst, stieg dann aber auf ihre Maschine und fuhr davon. Als ich mir sicher war, dass die wichtigsten Leute in meinem Leben das Weite gesucht hatten, begann auch ich, wegzulaufen. Ruckartig blieb ich jedoch stehen und sah in meiner Erinnerung zwei dunkelbraune, unschuldige Augen. Ruckartig drehte ich mich um und schrie mit weit aufgerissenen Augen seinen Namen; “RYOU!”. Ich zog ihn zu mir herauf. “Ryou, nimm meine Hand und schau’ nicht zurück!”, ich war ganz außer Atem und machte es mir zur Aufgabe, ihn vor der gewaltsamen Macht des Meeres zu retten. Er war kein Küstler, er wusste nicht, wie man in so einer Situation klug handelt und wie man überlebte. Ich musste ihn um jeden Preis beschützen. Er jedoch hatte keine Ahnung, was ich von ihm verlangte und weshalb - er nahm meine Hand nicht. So nahm ich seine und zog ihn kräftig mit mir mit. Kaum hatten wir ein paar Schritte gemacht, brach plötzlich eine große Welle über uns ein. Wir wurden nach vorne und nach hinten gespült, das Wasser schien zu tanzen. Wir kamen mit unseren Köpfen nicht an Luft und Ryou schluckte Wasser. Das Salzwasser brannte in den Augen und meine Sicht war verklärt. Trotzdem sah ich Ryous verzweifelten, panischen, angsterfüllten Blick. Er suchte hier in den Tiefen die Luft. Er fragte sich, wo die Luft zum Atmen geblieben war, er hatte Todesangst. Unsere Umgebung war nicht vollkommen dunkel, aber dunkel genug, um sich davor fürchten zu müssen, welches Tier hinter einem lauert. Das Meer hatte uns in sich geschlossen und ich wurde von Ryou getrennt. Unsere Hände hatten sich gelöst, und ich hatte furchtbare Angst, den Kleinen aus den Augen zu verlieren und ihm keine Sicherheit versprechen zu können. Vergeblich versuchte ich, zu ihm zurück zu schwimmen, doch der Trieb des Stromes war stärker. Ich warf meinen teuren Mantel ab, um mich besser bewegen zu können. Verdammt! Wie sollte ich das seinem Vater erklären? Ich hatte als einzig übrig gebliebener zum Zeitpunkt der Flut die Verantwortung für das Leben von Ryou. Man hörte Blasen, die nur davon kommen konnten, dass jemand aufschrie. Ryou schrie, was das Dümmste war, das man in so einem Moment machen konnte. Dadurch verengte sich der Raum in seinen ohnehin schon fast leeren Lungen noch mehr. ‘Du Idiot’, dachte ich mir, ohne es böse zu meinen. Wenn er es bis zum Auftauchen nicht schaffen würde, die übrige Luft anzuhalten, würde es sehr schlecht für ihn aussehen. Wir Küstler hatten Erfahrung mit Ebbe und Flut und wir kannten die Techniken, die einem halfen, die Luft sofort und langzeitig anzuhalten. Touristen aber hätten ohne einen Küstler keine Überlebenschance. Wir wurden hin- und hergeschwemmt, ich änderte meine Körperspannung, um das Zerrungsgefühl zu mildern. Der Weißhaarige jedoch konnte sich in diesem Punkt ebenfalls nicht helfen und musste die deutlichen Schmerzen zu spüren bekommen. Ich hoffte so sehr, dass er es bis zum nächsten Luftschnappen durchhielt. Augenblicklich spuckte uns der gewaltige Strom aus, ich schnappte nach Luft. Ich sah mich eilig nach Ryou um, worauf ich ein Husten hörte, das mir die Richtung angab. Das Wasser stand uns bis zu den Füßen und konnte jederzeit wieder bis über unsere Köpfe stehen. Ich rannte, so gut ich konnte, zu meinem Schützling, griff fest seine Hand und zog ihn mit mir mit. Ohne Worte liefen wir Richtung der dicken Äste, die für das Lagerfeuer benutzt worden waren. Es waren nur noch zwei da, der Rest wurde mitgerissen. Das war unser Standpunkt vor der ersten Welle, doch wir wurden so weit nach hinten gespült, dass wir aufholen mussten. Wir waren gut in der Geschwindigkeit, doch plötzlich verlor ich Ryous Hand und wurde vom Wasser mitgezogen. Ich reagierte reflexartig und konnte, noch bevor ich ganz unter Wasser war, blitzschnell Luft schnappen. Um uns schwamm Sand, einige der leeren Alkfläschchen, Muscheln, Algen, kleine Steine und winzige Fische. Der Weißhaarige hatte wieder keine Gelegenheit dazu, genug Sauerstoff in den Lungen zu haben, um auf die kleine Weile unter Wasser vorbereitet zu sein. Er hatte diesbezüglich keine Erfahrung und ich fühlte mich so verdammt machtlos, ihm nicht helfen zu können. Ryou war vor mir und versuchte vergeblich, zu schwimmen. Ich war mir sicher, dass ihm bewusst war, dass es in der Situation unmöglich war, die Richtung, in die man geschwemmt wurde, zu kontrollieren. Aber in der Verzweiflung tut man nun mal Dinge, die man sich selber nicht erklären kann. Wir beide wurden hilflos in allen verschiedenen Richtungskombinationen herum gespült. Während Ryou mit Todesangst kämpfte, konzentrierte ich mich mehr darauf, ihn zu retten, als an mein eigenes Leben zu denken. Es war unglaublich still, es passte gar nicht zu der lebensgefährlichen Situation. Abgesehen von dem Geräusch des ständig Richtung wechselnden Wassers war alles ruhig. Die Unterwasserwelt war zwar wunderschön, doch an Küsten, wo das Meer in die Ozeane floss, trieben sich sehr gefährliche Tiere herum. Vorallem bei Flut war es gut möglich, dass solche Lebewesen an die Nähe der Küste gespült wurden. Die Chancen standen gut, dass eine Seeschlange oder ein Hai uns direkt in die Augen blicken würde. Ich stellte mir Ryous hilflosen Blick vor, wenn diese Situation eintreffen würde. Viele Leuten glaubten es nicht, aber es gab Taktiken, wie man einen Hai verschrecken konnte. In diesem Moment würde man einen kräftigen Schrei brauchen; Haie hassen Überraschungen. Durch den plötzlichen Druck würden sie verwirrt wegschwimmen. Mein Herz schmerzte, als ich daran dachte, wie Ryou nach Luft suchte. Er suchte nach Luft. Wie ein kleines Kind, das seine Mutter verloren hatte, und sich mit Tränen in den Augen umsah; aber sie war nicht mehr da. Das Meer schwemmte uns wieder an die Oberfläche und ich wünschte mir so sehr, dass es der Kleine geschafft hatte, die Luft so lange anzuhalten. Einen tiefen Atemzug machte ich, bevor ich wieder nach meinem Ryou Ausschau hielt. Er stand dort, paar Meter weit weg von mir, und hyperventillierte. Es hörte sich so an, als hätte er Wasser in der Lunge gehabt. Scheiße! Sofort lief ich zu ihm rüber und zerrte ihn von der Stelle, an der er war. “Ryou, hüpf’ auf meinen Rücken!”, befahl ich ihm und spürte den irrsinnigen Zeitdruck, den wir hatten. Die nächste Welle war unberechenbar. Die Person hinter mir sprang auf und ich rannte, so schnell ich noch konnte, in die entgegengesetzte Richtung des Meeres. Zum Glück war der schmächtige Junge nicht schwer und verzögerte meine Bewegungen nicht. “Es ist alles in Ordnung, es wird alles gut, Kleiner”, versicherte ich ihm. Ich knickte einige Male beim Laufen ein, doch blieb auf keinen Fall stehen. Was für ein hoffnungzerstörendes Gefühl es wohl für Ryou sein musste, als uns zum dritten Mal eine Welle verschlang. Einige Sekunden waren wir in ihrem Bann, bevor sie uns in den Sand rammte. Ich lag auf dem Bauch und hatte Ryou noch auf meinem Rücken, weshalb ich schwer Luft bekam. Er rollte sich sofort von mir runter und blieb kraftlos liegen. Du musst aufstehen. “Wir dürfen nicht aufgeben!”, schrie ich engergisch und stand mit viel Mühe auf. Ich zerrte den am Boden Liegenden zu mir hinauf und trug ihn auf Händen. Mit letzter Kraft steuerte ich zu meinem Motorrad, das am Übergang zwischen Straße und Sand war. Ich trug ihn sicher in meinen Armen und fand es so wunderschön, trotz der fürchterlichen Angst, die wir beide zu spüren bekamen. “Wir sind gleich da”, machte ich ihn aufmerksam, während meine Beine immer wieder einknickten. Wir hörten, wie sich hinter und das Wasser wieder aufbrauste und der Adrenalinkick veranlasste mich dazu, richtig Gas zu geben und nicht auf meine erschöpften Beine zu hören. Wir waren von Kopf bis Fuß durchnässt und der Wind war dadurch noch eisiger. Wir erreichten mein Fahrzeug und ich setzte Ryou ab. Ich stieg sofort auf meine Maschine und startete den Motor. Ryou setzte sich hinter mich und hielt sich gut fest. Ich war so schwer erleichtert, als wir außerhalb der Gefahrenzone waren. “Ist dein Vater zuhause?”, fragte ich mit stabilem Ton. “Nein, der hat Nachtschicht”, antwortete mein Mitfahrer noch in Schock. Dadurch, dass wir schnell unterwegs waren, wurde die Kälte, die wir ohnehin schon spürten, noch schlimmer und gar unerträglich. Zitternde Hände hielten sich an meinem Bauch fest. Wahrscheinlich konnte er noch nicht glauben, dass wir in Sicherheit waren. Ich merkte, wie sich Ryou hinten umdrehte. Nicht zurück schauen, Kleiner. Ganz schlechte Idee. “Dann bring’ ich dich zu mir”, sagte ich entschlossen, bevor ich eine sehr scharfe Kurve machte. Als ich anhielt und parkte, standen wir unversehrt vor meinem zweistöckigem Haus. Ich fragte mich, ob in dieser Nacht meine Vernunft anhalten würde, oder ob ich dem Drang, ihn zu berühren, nicht widerstehen können würde. Kapitel 6: Hühnersuppen & Nackte Oberkörper ------------------------------------------- Ryou’s Sicht: Es war pure Erlösung, als ich Setos gut beheiztes Haus betrat.Ich zog mir meine nassen Schuhe und Socken aus, worauf mir Seto Hausschuhe aus Kunststoff gab, damit das Wasser sich nicht im Stoff sammelte. Unsere Klamotten tropften pausenlos auf den beigen Teppich. In der unteren Etage befanden sich das Wohnzimmer und die Küche. Oben müssten Schlafzimmer und Bad gewesen sein. Ich denke, es gab nicht viele, die sich so einen Luxus leisten konnten. Wie ich entnehmen konnte, hatten die meisten Bewohner nahe der Küste nur ein einstöckiges Haus mit nur einem Zimmer. Es war alles blitzeblank sauber geputzt, es lag Nichts am falschen Ort und es hatte alles generell einen sehr geordneten Effekt. Ich blinzelte einige Male verwirrt, während ich mich fragte, ob das in den Augen der Küstenbewohner ein Haus oder eine Mini-Villa war. “Zeit zum Umsehen hast du später, jetzt musst du erstmal sauber werden!”, erinnerte mich Seto und führte mich die Stiegen hoch. Er öffnete die Türe zu einem großen Schlafzimmer, in welchem ein Doppelbett stand. “Hier legst du dich rein, nachdem du geduscht hast. Das Bad ist direkt neben uns - such dir einfach ein Handtuch aus dem Kasten aus”, er klang wieder sehr monoton. Ich nickte und ging ins Badezimmer. Es war sehr geräumig und die überwiegende Farbe war weiß. Ein sehr schön verarbeiteter weißer Kasten, der an rechts an der Wand stand, war zu sehen. Ich öffnete diesen und griff zu einem blauen Handtuch. Daraufhin zog ich mich aus, legte meine nassen Klamotten erstmal auf die Waschmaschine und stieg in die Badewanne. Dann erkannte ich, dass vier verschiedene Duschgels, die auf einem weißen Brett, das wahrscheinlich extra hier draufgeklebt wurde, standen. Drei Shampoos fanden ebenfalls ihren Platz. Eigentlich eine sehr gute Idee; man musste sich nicht bücken, um nach den Flaschen zu greifen. Ich stellte das Wasser auf eine eher heiße Temperatur ein und ließ es über mich prasseln. Erlösung, oh mein Gott, Erlösung. Das Wasser rann mir den Körper entlang und fühlte sich so befreiend an. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich willig dazu war, es kurz abzudrehen und meine Haare einzushampoonieren. Welches hätte ich nehmen sollen? Neugierig schnupperte ich an allen dreien, doch jedes von ihnen hatte eine ähnliche Duftnote; nämlich einen sehr dezenten Vanilleduft. Ich nahm das, an dem ich zuletzt gerochen habe und massierte es in mein weißes Haar. Auch die Duschgels öffnete ich chronologisch und schnüffelte daran. Da roch ein besser, als das andere! Seto war anscheinend jemand, der es mochte, gut zu riechen. Verlegen musste ich kurz schmunzeln. Ich entschied mich für das silberne Fläschchen, dessen Inhalt wunderbar nach Zimt und Äpfeln roch, das wahrscheinlich aus einer Weihnachtskollektion stammte. Ich drehte das Wasser wieder auf und spülte mich ab, bevor das ganze Bad nach Apfel und Zimt roch. Das heiße Wasser lief meinen dünnen Körper hinunter und ich zitterte schon lange nicht mehr. In dem Moment, in dem ich Setos Haus betrat, fühlte ich mich geborgen und hatte nicht mehr das Bedürfnis, so weit weg, wie möglich, zu rennen. Ich war nun in einem geschlossenen Komplex und das Wasser war schon sehr weit weg. Das erbarmungslose Wasser, das mich nicht mehr loslassen wollte… ein kurzer Kälteschauer lief mir über den Rücken. Nicht mehr daran denken, Ryou. Alles ist gut. Sauber und erfrischt stieg ich aus der Wanne und trocknete mich mit dem großen, blauen Handtuch ab. “Und was soll ich jetzt anziehen…”, fragte ich mich selber und kam mir etwas dumm vor. “Seto!”, rief ich und hoffte, er würde mich hören. Er antwortete nicht, was mich etwas panisch machte. Ich konnte doch nicht einfach nur mit einem Handtuch bekleidet zu ihm watscheln. Ich legte es zur Seite und hatte den Bademantel, der an einem der Kleiderhacken der Türe hing. Bevor ich danach greifen konnte, klopfte es. “Machst du einen Spalt auf? Ich habe hier frische Klamotten für dich”, Seto stand davor. Ich machte die Türe einige Zentimeter auf und Seto steckte seine Hand durch, die ein graues Shirt, eine weiße Boxershorts und eine weiße Hose hielten. “Danke”, ich nahm mir die Sachen und machte wieder zu. Schnell schlüpfte ich in den Pijama und betrachtete mich im Spiegel; das Shirt ging mir bis zur Mitte der Oberschenkel und die Hose musste ich raufkrempeln. Seto war nunmal sehr groß. Mit den übergroßen Sachen verließ ich das Bad und legte mich, wie vereinbart, in das große Doppelbett. Ich kuschelte mich unter die Decke. Seto war nicht im Zimmer, was mich vermuten ließ, dass er gerade in der Küche etwas isst oder sich einen Tee gönnte. Aber er war doch noch von Kopf bis Fuß durchnässt und roch nach Salzwasser und Algen? Ich habe auf jeden Fall nicht gesehen, dass er nach mir ins Bad gegangen ist. Ich vergrub mein halbes Gesicht unter der Decke und genoss die Wärme. Im Zimmer stand eine kleine Theke mit einem Telefon, ein großer Ganzkörperspiegel, ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch mit einem Laptop drauf und ein Regal mit vielen Mappen und Ordnern. Ich fragte mich, was er wohl arbeitete. So, wie er mit seinem Mantel und seinen polierten Schuhen aussah, wirkte er wie ein Geschäftsmann. Ich hörte, wie Seto die Stufen raufkam. Er hielt ein großes Tablet mit grünem Tee und Hühnersuppe in auf den Händen. Vorsichtig balancierte er die dünne Platte und stellte sie mir auf den Schoß. “Du musst dich unbedingt wieder aufwärmen, bevor du noch eine bestialische Grippe kriegst”, die Worte klangen zwar liebevoll, aber passten mit dem ernsten Ton gar nicht zusammen. “Danke”, mir stieg der Duft der dampfenden Suppe in die Nase. “Ich bin duschen”, gab Seto von sich und verschwand aus dem Raum. Er wollte zuerst sichergehen, dass ich versorgt war, bevor er sich um sich selbst kümmerte… Dadurch, dass er seine herzerwärmende Aktion mit solch kühlen Tönen seiner Stimme mischte, gab dem ganzen eine ganz eigene Wirkung. Er hätte das eigentlich nicht tun müssen - er hätte genau so beim Zeitpunkt der Flut davonlaufen können, nachdem er all seine Freunde gewarnt und weggeschickt hatte. Seto hätte mich meinem Schicksal überlassen können, weil er nicht für mich verantwortlich war. Wieso hat er so viel aufs Spiel gesetzt, um mich aus den Gewässern zu holen? Ich merkte, wie sich der Schock wieder in mir breit machte. Augenblicklich schüttelte ich mich und versuchte, die Gedanken bei Seite zu schieben. Ich begann, meine Hühnersuppe zu essen, die zu meiner Überraschung außergewöhnlich gut schmeckte. So gut, dass es keine Fertigsuppe sein konnte. Das Gemüse war fein geschnitten und das Fleisch war ordentlich zerkleinert. Hatte mir Seto etwa extra eine gekocht? Man hörte, wie im Badezimmer das Wasser floss. Ich fragte mich, ob er immer nach Lust und Laune entschied, welches Shampoo oder Duschgel er benutzen will. Eine Sekunde später fragte ich mich, ob es sein Parfum oder nur die Gerüche seiner Hygieneutensilien waren, die ich roch, als er mich am Kragen packte und ganz nah bei sich hatte. In diesem Moment war ich so sehr von seinem Duft abgelenkt, dass ich gar nicht klar denken konnte. Und diese Augen… Es dauerte lange, bis ich die kleine Schüssel mit Suppe fertig gegessen hatte - ich war sehr empfindlich auf heiße Speisen und Getränke. Als nur noch der Tee übrig blieb, stellte ich diesen auf die kleine Theke neben dem Bett und wartete, bis er abkühlte. Das Tablet ließ ich neben mir liegen. Seto betrat das Zimmer, nur mit einem Handtuch bekleidet und suchte sich aus dem Kleiderschrank einen weiteren Pijama aus. Ich versuchte mir so gut gut, wie möglich, nicht amerken zu lassen, dass sich beim Betrachten seines Körpers so einiges in mir regte. Er schnappte sich drei Kleidungsstücke und ging wieder ins Bad, um sich umzuziehen. “Scheiße”, entfuhr es mir leise, als ich wieder alleine im Zimmer war. Seto hatte einen perfekten Oberkörper; nicht allzu muskulös, sondern genau richtig. Ich rief mir das Bild nochmal ins Gedächtnis und musste schmunzeln. Nicht durchdrehen, Ryou… “Hast du dein Handy noch?”, fragte Seto, der augenblicklich wieder da war. Seine Sachen waren eher locker, aber nicht so übergroß, wie sie bei mir waren. Die nassen Haare ergaben trotzdem noch eine perfekte Frisur, er sah immer noch so gut aus. “Nein, habe ich im Wasser verloren…”, gab ich etwas abgelenkt von mir. Seto griff zum Telefon und wählte die Nummer meines Vaters. Ich wurde etwas nervös. “Herr Bakura, es tut mir Leid, dass ich Sie stören muss, jedoch habe ich gute und schlechte Neuigkeiten für Sie”, sprach Seto in den Hörer. Er erzählte von der Flut, von seinem Einsatz für mich, von der Flucht und letztendlich, dass ich bei ihm untergebracht war und hier übernachten würde. Währenddessen machte mein Dad keinen einzigen Mucks. Erst, als Seto mit Reden fertig war, äußerte sich mein Vater; “Danke. Danke, dass du dich so tapfer für Ryou eingesetzt hast. Ich… danke”. Mir wurde etwas komisch in der Magengrube - es war sicher nicht einfach zu hören, wie das eigene Kind beinahe ertrunken wäre. Als das Gespräch beendet war, verabschiedeten sich beide und Seto legte auf. Er trug das Tablet samt der Schüssel in die Küche. Ein Kribbeln durchzuckte meinen Körper bei dem Gedanken, die Nacht mit diesem gut aussehenden Kerl zu verbringen. Seto’s Sicht: Der Adrenalinschub war noch immer zu spüren, als wir mein beheiztes Haus betraten. Wir beide zogen unsere nassen Schuhe und Socken aus, worauf ich Ryou Hausschuhe aus Kunststoff gab, damit das Wasser sich nicht im Stoff sammelte. Unsere Klamotten tropften pausenlos auf meinen schönen, beigen Teppich. Die Putzfrau würde in nächster Zeit eine Menge Arbeit vor sich haben. Wir gingen vor bis zum Wohnzimmer, dessen Boden schnell nicht mehr so blitzeblank blieb. Ryou sah sich mit großen Augen um. Er beäugte das Wohnzimmer und spickte kurz zur Küche hinüber. Er war ganz fasziniert davon, wie groß mein Haus war. Ich muss zugeben, ich selber kannte keinen, der sich in der Nähe der Küste so einen Luxus gönnen konnte. Es sah so süß aus, wie Ryou begeistert durch den Raum sah, doch seine Gesundheit hatte Priorität. Er musste so schnell, wie nur möglich, wieder auf seine gewohnte Körpertemperatur zurückkommen, da er durch das Wasser und den Wind sehr stark unterkühlt war. “Zeit zum Umsehen hast du später, jetzt musst du erstmal sauber werden!”, erinnerte ich ihn und führte ihn die Stiegen hoch. Ich öffnete die Türe zum Schlafzimmer, in dem mein Doppelbett sofort ins Auge stach. “Hier legst du dich rein, nachdem du geduscht hast. Das Bad ist direkt neben uns - such’ dir einfach ein Handtuch aus dem Kasten aus”, ich klang sehr monoton. Ryou nickte und ging ins Badezimmer. Während er duschte, war ich in der Küche und bereitete die Zutaten für eine Hühnersuppe vor. Ich kochte einen halben Liter Wasser auf, leerte dieses in den großen Topf und gab eine Prise Salz dazu. Ich schnitt das Suppengemüse mit einem scharfen Messer in kleine Stücke und warf dieses ebenfalls ins leicht kochende Wasser. Bereits vorgekochte Hähnchenschenkel holte ich aus der Tiefkühltruhe heraus und wartete, bis sie auftauten. Währenddessen rührte ich die Suppe, zu welcher ich lange Nudeln dazugab. “Ich darf nicht…”, redete ich leise zu mir selber. “Ich darf keinesfalls nett klingen”, ich starrte in die brodelnde Suppe, bevor ich die Herdstufe runtersetzte. Ich durfte Ryou nicht mit fürsorglicher Stimme und einem warmen Lächeln verraten, dass er mich anzog. Es durfte nicht passieren, dass ich Gefühle jeglicher Art vor ihm deutlich machte; ich musste die Finger von ihm lassen, musste mich stets darum bemühen, ernst und eher kühl zu klingen. Die Hühnerkeulen wurden von mir in den Topf geworfen, bevor ein kleiner Suppenwürfel ebenfalls Platz dort fand. Ich setzte mich zum Küchentisch und ließ die Suppe ersteinmal schwach köcheln. Ich hatte Ryou das Leben gerettet, was eine sehr starke, psychische Bindung bei ihm ausgelöst haben musste. Wenn man einem Menschen vor einer verherenden Situation bewahrt, fühlt er vor allem noch in der Schockphase, die unterschiedlich lange dauern kann, zu seinem Retter hingezogen. Das Opfer findet überwiegend nur noch Sicherheit bei seinem Retter und könnte sich nicht mehr vorstellen, ohne ihn zu sein. Ich war mir nicht sicher, ob dieser Effekt bei Ryou schon zugeschlagen hatte, doch es würde passieren. Und ich wusste genau, dass ich nach der ersten Umarmung nicht mehr die Beherrschung gehabt hätte, zu widerstehen. So musste ich von Anfang an alle Gefühle in der Stimme und im Gesichtsausdruck verbergen. Es war der beste Ausweg. Lautlos erhob ich mich und kochte Wasser im Kocher auf, um Ryou einen grünen Tee zuzubereiten. Die Tasse kam auf ein Tablet. Ich hoffte, dass ihn der Tee und die Suppe genug aufwärmen würden. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie sehr er um sein Leben gefürchtet hat. Er hatte so viel Angst, als er unter Wasser war. Er schrie und schrie, doch die Angst ging nicht weg. Er suchte nach Luft, war kurz vor dem Ersticken. Seine braunen Augen ließen Todesangst aufblitzen, sein Hals war angespannt. Der Körper wurde spielend herumgeschwemmt, der Kleine wusste gar nicht, wie ihm geschieht. Die hervorgerufenen Bilder lösten Schmerzen in mir aus. Ich wünschte ihm so sehr, dass das nicht die bleibende Erinnerung seines Urlaubs werden würde. “Seto!”, kam es laut aus dem Badezimmer. Ryou schien mit Duschen fertig gewesen zu sein, doch er hatte nichts Frisches zum Anziehen. Ich stieg die Stufen rauf und suchte ihm aus meinem Kleiderschrank zwei Pijamateile aus. Alles, was ich hatte, war ich ihm viel zu groß, da er ein ganzes Stück kleiner war, als ich. Beim Gedanken, wie süß er darin aussehen würde, musste ich schmunzeln. Ich griff die Sachen und klopfte an die Badezimmertüre. “Machst du einen Spalt auf? Ich habe hier frische Klamotten für dich”, ich wartete, bis er aufmachte. Die Türe ging einige Zentimeter auf und ich steckte meine Hand durch, die ein graues Shirt, eine weiße Boxershorts und eine weiße Hose hielt. “Danke”, kam es von Ryou, bevor er wieder zumachte. Ich ging wieder in die Küche und rührte die Suppe ein paar Mal um. Es war völlig ausgeschlossen, dass Ryou in dieser Nacht von Albträumen verschont geblieben wäre. Der Kleine würde im Schlaf wimmern und sich unruhig wälzen, die Augen zusammenkneifen und um Hilfe rufen. Und dann, wenn er vor Schreck aufwacht, wird er sich an mich klammern und nicht mehr loslassen. Vielleicht sogar nie wieder loslassen. Er wäre auf mich angewiesen… Ich machte den Herd aus und goss die Suppe in eine kleine Schüssel, die ich neben den Tee stellte. Vorsichtig nahm ich das Tablet hoch und ging die Schritte bis zum Schlafzimmer, in dem Ryou hoffentlich im Bett liegen würde. Ich hoffte, dass er es warm und kuschelig hatte. Als ich das Zimmer betrat, stellte ich die dünne Platte behutsam auf Ryous Schoß; “Du musst dich unbedingt wieder aufwärmen, bevor du noch eine bestialische Grippe kriegst”. Mein Blick war keinesfalls einladend. “Danke”, Ryou blickte gerührt auf das Essen. “Ich bin duschen”, verkündete ich und verschwand aus dem Zimmer. Ryou war gut versorgt und nun war es endlich Zeit für mich, auch meinen Körper vom unangenehmen Geruch und Dreck zu befreien. Wir hatten inzwischen schon viel vom Boden nass gemacht, als wir das Haus betraten und herumgingen. Den Küchensessel, auf dem ich saß, konnte ich wegschmeißen. Im Bad sah ich Ryous schmutzige, nasse Wäsche. Es war das schwarze Hemd, das sein Vater für ihn bei mir gekauft hatte. Ein Knopf fehlte bereits und der Stoff war schon ganz ausgeleiert. Es machte den Kleinen bestimmt traurig, das Willkommensgeschenk schon am ersten Tag nach seiner Ankunft zerstört zu sehen. Ich beschloss, ihm ein neues zu schenken. Gleich morgen würde ich wieder meine Filiale betreten. Angeekelt streifte ich meine Kleidung ab und legte diese auf die Waschmaschine. Es kam mir die Frage, ob es sich überhaupt lohnte, die Sachen zu waschen. Ich war kurz davor, sie wegzuschmeißen, aber mit dem Gedanken wollte ich mich nicht herumschlagen. Stattdessen stieg ich in die Wanne und ließ das Wasser über mich prasseln. Es fühlte sich so erfrischend und wohltuend an, dass es eine Ewigkeit dauerte, bis ich zum Shampoo griff. Auf den zweiten Blick erkannte ich, dass eine Falsche offen war; diese musste Ryou benutzt haben. Ich sah zu den Duschgels, wo ebenfalls eines davon nicht zugemacht wurde. Kurz lachte ich auf; “Zimt und Äpfel”. So warm das Wasser auch war, ich beeilte mich mit dem Duschen, um wieder schnell bei Ryou sein zu können. Eilig trocknete ich mich mit einem Handtuch ab, welches ich mir um die Hüften band. Vor dem Spiegel kämmte ich mir die Haare noch zurecht, trug mein Deo auf und verließ das Bad. Es war nicht die beste Idee, halbnackt vor Ryou zu treten, doch ich hatte keine Geduld mehr, mir Kleidung auszusuchen, bevor ich unter die Brause durfte. Ich betrat das Schlafzimmer, schenkte dem Weißhaarigen keinen einzigen Blick. Blickkontakt wäre nun wirklich das Dümmste gewesen. Etwas angespannt schweifte ich mit meinem Blick über meine Schlafklamotten, ehe ich mich entschied und den Raum wieder verließ. Wie mich der Kleine wohl angeschaut hat? Schnell zog ich mich im Bad um und warf hing das Handtuch auf. “Wenn du jetzt da raus gehst und dich zu ihm legst”, begann ich, in den Spiegel zu reden. “Unterlässt du alle Versuche, ihn zu berühren”, beendete ich mit strenger Stimme meinen Satz. So streng ich auch klang, wusste ich, ich würde zu einer hohen Prozentigkeit scheitern. So gelassen, wie möglich, betrat ich das Schlafzimmer wieder; “Hast du dein Handy noch?”. “Nein, habe ich im Wasser verloren…”, gab Ryou etwas abgelenkt von sich. Flink griff ich zum Telefon und wählte die Nummer von Herrn Bakura. Es läutete zweimal, bevor er abhob. “Herr Bakura, es tut mir Leid, dass ich Sie stören muss, jedoch habe ich gute und schlechte Neuigkeiten für Sie”, sprach ich in den Hörer. Ich erzählte ihm von der Flut, von meinem Einsatz für Ryou, von der Flucht und letztendlich, dass sein Sohn sicher bei mir untergebracht war und hier übernachten würde. Währenddessen kam kein einziger Mucks von der anderen Leitung. Erst, als ich fertig war, äußerte sich der Mann; “Danke. Danke, dass du dich so tapfer für Ryou eingesetzt hast. Ich… danke”. Wie musste es sich anfühlen, wenn das eigene Kind fast ertrunken wäre? Als das Gespräch beendet war, verabschiedeten wir uns beide und ich legte auf. Ich trug das Tablet samt der Schüssel in die Küche. Ein Kribbeln durchzuckte meinen Körper bei dem Gedanken, die Nacht mit diesem süßen Honigröllchen zu verbringen. Kapitel 7: Fragen & Fragen -------------------------- Ryou’s Sicht: Zu meiner Überraschung befand ich mich in einem Hotel*, das eines der gehobenen Klasse gewesen sein musste. Alles war sauber, geputzt und ordentlich. Auf den Gängen waren rote Teppiche ausgelegt und streckten sich sehr lange. Es hingen Bilder an den Wänden, auf denen Kriege* zu sehen waren. Soldaten kämpften an der Front. Möglicherweise war das zur Zeit des Hotelbesitzers? Ich suchte nach einer Reinigungskraft oder einer anderen Person, die hier arbeitete, damit sie mir sagen konnte, wo ich hier überhaupt bin und ob irgendwelche Kosten ausstehend waren. Ich konnte mich jedoch nicht erinnern, hier übernachtet zu haben. Andererseits musste es eine Erklärung dafür geben, weshalb ich mich hier befand. Ich fragte mich sogar, ob ich noch in der selben Region war. Würde ich Dad hier auch finden? Oder Seto? Ich schlenderte den endlos langen Flur entlang und bog dann links ab. Das Gebäude war riesig und schien einer sehr reichen Person zu gehören. Die Kriege, die ich auf den ersten Bildern gesehen hatte, wiederholten sich überall und alle Türen waren geschlossen. Desorientiert und unwissend stand ich da, in der Angst, hier nicht mehr ohne Schulden rauszukommen. Vielleicht hätte ich etwas abarbeiten müssen, um den Ort verlassen zu dürfen. Meine Knie begannen leicht, zu schlottern. Es war weit und breit niemand zu sehen, das Hotel wirkte, wie ausgestorben. Ich wollte den Ausgang suchen, doch ich fand nichtmal einen Aufzug oder eine Treppe, die hinunter führte. Oder hinauf - ich wusste nicht, in welchem Stockwerk ich war. “Junge, du musst hier raus!”, erklang es plötzlich panisch von einem Mann, der ungefähr in meinem Alter war. Er wirkte sehr verängstigt. “Es ist Krieg!”, fügte er hinzu und packte mich an der Hand. “Hey!”, schrie ich etwas empört und zog meine Hand zurück. Als er merkte, dass ich nicht mitkommen will, lief er davon, man hörte ihn noch hächeln. Kopfschüttelnd sah ich ihm hinterher. “FEUER!”, ertönte es hinter mir und bevor ich mich versah, steckte ich in einem dicken, starken Netz*. Wie ein gefangenes Tier versuchte ich, mich daraus zu befreien und verhedderte mich immer wieder. Ich stolperte und fiel zu Boden. War hier wirklich Krieg? Herrschte hier eine angespannte Situation? Mein Puls raste und ich bekam nur noch schwer Luft. War nun alles endgültig aus? Würde ich Seto nie wieder sehen? Meine Aufmerksamkeit wurde auf die beiden Männer gelenkt, die plötzlich zu streiten begannen. Der erste war groß und stark und der andere eher schwächlich und introvertiert. “Ich schaffe das alleine!”, wollte der erste klar machen. “A-a-aber vielleicht geht etwas schief und u-u-und”, der zweite war am Stottern und komplett unsicher. Die beiden Männer sahen haargenau gleich aus, es hätten Zwillinge sein können. Der starke wollte überzeugen, dass er auf sich alleine gestellt sein konnte, während der schwächlichere insistierte, zu helfen. Ich wusste nicht, worüber genau sie redeten, aber sie waren jedenfalls der Widerspruch des anderen. Die Versuche, das Netz an einer Stelle aufzureißen, kosteten mich viel Kraft. Irgendwann sackte ich zusammen und gab auf. Die Männer waren immer noch am Streiten und konnten sich nicht einigen. Es wirkte so, als wären sie zwei verschiedene Persönlichkeiten*, die man aus einem Menschen herausgenommen hat. Sie waren charakteristisch so eintönig und stabil, dass man nur an diese Theorie denken konnte, wenn man ihnen zuhörte. Sie sahen aus, wie ein psychologisches Experiment. Augenblicklich erhob sich hinter ihnen eine gewaltige Welle, die mich zu verschlucken drohte. Mit aufgerissenen Augen und stockendem Atem wachte ich in Setos Bett auf. “Der Klang der Wellen hat die Flut in meinen Traum projeziert”, erzählte ich, während ich in Setos Arm lag. “Ich bin ja da”, flüsterte er mir zu und strich über mein weiches Haar. Langsam aber sicher realisierte ich, dass es keinen Grund mehr gab, panisch zu sein und mein Herzschlag regulierte sich. Der Schreck hatte nachgelassen, aber ich wollte nicht aus Setos Armen. Sie gaben mir Komfort und beruhigten meine hektischen Gedanken. Dieser Mann gab mir Sicherheit und Wärme. Er hat mich aus den monströsen Wellen gerettet und sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Für einen beinahe Fremden. Es berührte mich derart stark, jemals für jemanden so wichtig gewesen zu sein. Seto hätte keinerlei Verpflichtung gehabt, sein Leben zu riskieren, nur, um sicherzugehen, dass es mir am Ende gut gehen wird. Er hätte genau so gut mit seinem Motorrad davon fahren können, er musste mir nicht helfen. Doch trotz allen Umständen streckte er immer die Hand nach mir und ließ mich nicht aus den Augen. Er stützte mich, hielt mich fest und barg mich. Der Gedanke, mir das Leben zu retten, war für ihn stärker, als die Angst um sein eigenes. “Danke”, kam es wimmernd von mir. Fragend drehte Seto seinen Kopf zu mir und sah mich an. “Wie unhöflich von mir, dass ich mich erst jetzt bedanke… Seto, du hast mir mein Leben gerettet. Bitte geh’ nie wieder weg”, meine Stimme war dünn und brüchig. Etwas Angst machte sich wieder in mir breit, als ich an das wilde Wasser der Küste dachte. Nicht mehr daran denken, Ryou. Das tut dir nicht gut… Kurz darauf begann ich, zu weinen. Als wäre ich Setos kostbarster Schatz, wischte er mir die Tränen weg und küsste liebevoll meine Stirn. Das Gefühl, bei jemandem in den Armen zu liegen und so liebevoll beachtet zu werden, war für mich ein komplett neues und ich hätte diese Momente gegen nichts Anderes in dieser Welt eingetauscht. Ich fühlte mich so geliebt und so wichtig. Auf keinen Fall wollte ich, dass wir jemals getrennt werden. Wollte für immer und ewig hier bei ihm bleiben und seinen Körper an meinem spüren. Wollte jeden Tag die Möglichkeit dazu haben, ihm in seine wunderschönen blauen Augen zu sehen und das Einzige sein, woran er denkt. Ich fragte mich, weshalb er mir zuerst die kalte Schulter zeigte, bevor die Flut hereinbrach. Ich nahm an, dass das vielleicht einfach seine Charakterzüge waren. Wahrscheinlich wollte er beim ersten Eindruck immer unabhängig und dominant wirken. Das aber waren nur meine Annahmen. “Seto, ich habe eine Frage”, begann ich, während ich meine Hand auf seiner Brust hatte. “Wieso hast du mich beim Kragen gepackt und beim Lagerfeuer so grimmig geguckt? Du hast mir Angst gemacht!”, ich blickte in seine blauen Augen, die schon etwas müde wirkten. Der Mann dachte lange nach und suchte nach Worten. Der Denkprozess hielt eine Weile an, Seto musste sich konzentrieren. Ich konnte schon verstehen, dass es möglicherweise nicht angenehm war, sein Verhalten begründen zu müssen. Jeder hatte immerhin seine eigene Geschichte. “Solltest du nicht schlafen? Du musst dich ausruhen”, versuchte er abzulenken. “Aber Seto…”, kam es traurig von mir. Ich war nicht traurig, weil er nicht geantwortet hat, sondern weil ich ihn nicht mehr ansehen konnte, wenn ich erst einmal eingeschlafen war. Hätte dann nicht mehr seine Schönheit gesehen. Seto verzog augenblicklich das Gesicht, als hätte etwas nicht gestimmt, als wäre etwas falsch verlaufen. Sofort zog er seinen Arm wieder zu sich und rollte sich auf die Seite. Nein, bitte nicht. “Seto, ich hab’ Angst ohne dich”, gab ich zu und war kurz davor, zu weinen. “Ich bin doch da”, sagte er freundlich, doch ich fühlte mich so nackt und die Wärme war verschwunden. Ich spürte keine Wärme ohne ihn. Er war meine Wärme. Ohne ihn könnte ich es nicht mehr durch den Tag schaffen, mir würde etwas fehlen. Immerhin machte er mich nun komplett. Energisch stieß er die Decke von sich weg und stand auf, um das Fenster zuzumachen. Gleich darauf fühlte ich eine starke Hilflosigkeit, weshalb ich vom Bett hüpfte und mich von hinten an Seto klammerte. Dieser sog die Luft zu scharf ein und stotterte; “R-ryou…”. Er bewegte sich keinen Zentimeter. “Ich brauche dich”, nuschelte ich gegen seinen Rücken. Etwas unsaft zerrte er jedoch meine Hände von seinem Bauch und drehte sich anschließend zu mir, bevor er mich unerwartet ins weiche Bett stieß; “Und da bleibst du jetzt!”. “Du bist so doof”, kam es gespielt traurig von mir. Gerade, als er mir antworten wollte, schmiss ich ein Kissen nach ihm. “Du bist so doof!”, wiederholte ich frech und warf noch ein Kissen. Langsam beugte sich Seto dann zu mir hinunter und blickte mir mahnend in die Augen; “Weißt du eigentlich, wie viel diese Polster gekostet haben?”. Ich schmunzelte und sah hinunter. Es tat mir Leid. Mir war klar, dass er viel Geld haben musste, das er gerne für teure Sachen ausgab, wie zum Beispiel die Einrichtung seines Hauses oder seine Kleidung. Vorallem der schöne Mantel wirkte sehr elegant bei ihm, sodass man beim ersten Blick schon den Verdacht hatte, er würde sehr dominant sein. “Versuch’, weiter zu schlafen, Ryou”, er legte sich wieder zu mir ins Bett und erlaubte mir, mich wieder in seinen Arm zu legen. Da war sie wieder: die Sicherheit, die meine Seele umschmeichelte und sich niedersetzte. Mein Herz schlug langsamer, ich wurde entspannter und meine Sorgen lösten sich bald gänzlich auf. Ich dachte nicht mehr daran, ob es noch ein Morgen geben würde. In diesem Moment gab es nur noch Seto und mich. Niemand, der uns diese Ruhe wegnehmen konnte. Keiner sollte es je wagen, mir meinen Seto wegzunehmen. Ich kuschelte mich ganz fest an ihn, bevor ich die richtige Position für mich gefunden hatte. *Traumsymbol Hotel: Das Hotel symbolisiert im Traum eine Übergangssituation. Eine Veränderung ist zu erwarten. Die fremden Menschen, denen der Träumende im Hotel begegnet, zeigen unbewußte Seiten seines Ichs. *Traumsymbol Krieg: Das Traumbewusstsein signalisiert mit Bildern von Krieg eine unbewußte Auseinandersetzung unterschiedlicher Seiten der Persönlichkeit des Träumenden, die untereinander im Widerspruch stehen. Mit Kriegsbildern, wie Soldaten an der Front, informiert das Traumbewusstsein über unbewältigte Erlebnisse aus der Vergangenheit. *Traumsymbol Netz: Das Netz ist als Falle zu verstehen. Es deutet auf eine verfahrene Situation hin, in die der Träumende geraten ist und aus der er nun keinen Ausweg sieht. Seto’s Sicht: Durch die belastende Erschöpfung schlief Ryou schnell ein. Er lag von mir weggedreht auf der Seite, während ich auf dem Rücken lag. Kaum wagte ich es, mich zu ihm zu drehen; ich war immer noch so sauer. Kein Mann hat mich jemals mit seinem Erscheinungsbild so provoziert. Niemand hat jemals so einen starken Beschützerreflex in mir hervorgerufen, wie er. Niemand hat mich jemals so knapp zwischen Beherrschen und nicht beherrschen gestoßen. Niemand außer er. Während dem Flutszenario nannte ich ihn in meinen Gedanken immer wieder “Kleiner” - ich machte mir Sorgen um ihn und wollte mein Leben setzen, dass er überlebt. Als wir bei mir ankamen, war ich damit beschäftigt, sicherzugehen, dass er aufgewärmt wird. Doch in der stillen Zeit, wo ich nur sein Atmen wahrnahm und ich vorübergehend keine Verpflichtungen hatte, tauchten meine eigentlichen Gefühle wieder auf: Die Wut, weil er mich so fertig machte. Ich hatte keinerlei Kontrolle mehr, ich fühlte mich abhängig. Man hätte meine Empfindungen als ein Parfum darstellen können. Das Basisgefühl war also Wut, gemischt mit einem Mittelgefühl von Verlangen, gefolgt von einem Untergefühl von Faszination. Der Duft hätte “Ich hasse dich, aber werde dich jetzt gleich gegen die Wand drücken, du fliederfarbenes Honigröllchen” geheißen. Es wunderte mich, dass sich Ryou nicht an mich gekuschelt hat - immerhin war er noch paralysiert und desorientiert. Er schlief in einem fremden Haus und konnte sich nicht sicher sein, wie ich zu ihm sein würde. Und das nach einer Katastrophe. Ryou musste schrecklich nervös gewesen sein. Ich drehte mich zur Seite und betrachtete den Kleinen, wie er in den übergroßen Sachen schlummerte. Vorsichtig rutschte ich näher zu ihm, drückte meinen Körper an seinen und legte meine linke Hand um seine Hüfte. Dezent spürte ich an meiner Hand, wie Ryou ein- und ausatmete. Ich fragte mich, ob er einen neutralen Traum hatte, da er keinerlei Anzeichen von Angst nach außen zeigte. Seine Körperfunktionen schienen alle rythmisch und gleichmäßig zu verlaufen. Behutsam glitt ich mit meinen Fingern durch das weiße Haar; seidenweich. Ich glitt mit meiner Hand sanft über seinen Rücken, bis hin zu seinem Po. Ich rechnete nicht damit, dass er aufwachte, da er sehr tief zu schlafen schien. Der Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen, Ryou strahlte eine harmonische Aura aus, wenn er so friedlich schlief. Ich merkte, dass mir etwas warm geworden war. Das Fenster war geschlossen, da Ryous Temperatur nicht noch mehr sinken durfte, als ich ihn hier her brachte. Da ich mir jedoch sicher war, dass er es unter der Decke warm genug hatte, stand ich auf und kippte das Fenster leicht. Kühler Wind schlich sich ins Zimmer und man hörte, wie die Wellen noch brachen. Das Wasser legte sich normalerweise spätestens nach vierundzwanzig Stunden. Plötzlich hörte ich ein lautes Keuchen, worauf ich mich umdrehte und Ryous erschrockenen Gesichtsausdruck sah. Er atmete sehr schnell und ich schlüpfte sofort wieder zu ihm unter die Decke. “Alles gut, Kleiner. Alles gut”, versicherte ich mit zarter Stimme. In dieser Situation durfte ich nicht kalt klingen, sonst hätte ich Ryou kein Bisschen das Gefühl von Geborgenheit geben können. Ich nahm ihn in den Arm und drückte ihn an mich. Er vergrub seinen Kopf in meiner Brust und versuchte, sich zu beruhigen. “Der Klang der Wellen hat die Flut in meinen Traum projeziert”, erzählte Ryou, als er seinen Kopf bereits auf meinen Arm gelegt hatte. “Ich bin ja da”, flüsterte ich ihm zu und strich über sein weiches Haar. Langsam aber sicher regulierte sich sein Herzschlag wieder und der Schreck hatte nachgelassen. Er dachte aber nicht daran, sich aus meinem Arm zu befreien. Ich war davon überzeugt, dass seine Abhängigkeit mir gegenüber in diesem Moment begonnen hatte. Ryou verband mich schon mit Sicherheit und Wärme. Ich wettete mein Motorrad dafür, dass er sich den Rest der Nacht nicht mehr von mit weglegen würde. “Danke”, kam es wimmernd von Ryou. Fragend drehte ich meinen Kopf zu ihm und sah ihn an. “Wie unhöflich von mir, dass ich mich erst jetzt bedanke… Seto, du hast mir mein Leben gerettet. Bitte geh’ nie wieder weg”, seine Stimme war dünn und brüchig. Mit meiner Hand wischte ich ihm die Tränen weg und küsste seine Stirn. Nicht weinen, Kleiner. Kurz darauf erstarrte ich vor Schreck - ich öffnete mich gerade zu sehr. Keine Küsse, Seto. Und du sollst ihm auch nicht die Tränen wegwischen. Halte ihn einfach in deinem Arm, wenn das nicht schon zu viel ist. Doch ich wusste, egal, ob ich meine Zärtlichkeiten nun wieder runterschrauben würde oder nicht, es war zu spät. Ryou hatte bereits die Worte “Bitte geh’ nie wieder weg” ausgesprochen und war zu hundert Prozent psychisch an mich gebunden. Wie sollte das enden, wenn er nicht mehr von mir loskommt? Ich versuchte, mir meine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Ryou war nur eine kurze Zeitspanne hier und es würde in einem kompletten Gefühlschaos enden, sobald er wieder zuhause wäre. Verdammt, wie kommt man aus sowas wieder heraus? “Seto, ich habe eine Frage”, riss mich der Bleichhaarige aus meinen stressigen Gedanken. Der Kleine hatte seine Hand auf meiner Brust. “Wieso hast du mich beim Kragen gepackt und beim Lagerfeuer so grimmig geguckt? Du hast mir Angst gemacht”, Ryou blickte zu mir. Ach, so ein Mist! Wie hätte ich ihm denn die Wahrheit erzählen können? Wenn er erstmal herausgefunden hätte, dass er mich so um den Verstand brachte, hätte es keinen Ausweg mehr gegeben. Doch eine traumatisierte Person anzulügen war auch nicht das Wahre… “Solltest du nicht schlafen? Du musst dich ausruhen”, machte ich ihn aufmerksam und wollte ablenken. “Aber Seto…”, kam es traurig von ihm. Das war nun das dritte Mal, dass er meinen Namen nannte, seitdem er wach war. Wenn man jemanden beim Sprechen immer beim Vornamen nannte, obwohl es sowieso klar war, zu wem man spricht, war das das Verlangen, jemanden nur für sich haben zu wollen. Alle Puzzleteile passten. Ich verzog augenblicklich panisch das Gesicht, als ich spürte, wie sich in meiner Hose etwas regte. Nein, bitte nicht - das hat mir noch gefehlt. Sofort zog ich meinen Arm wieder zu mir und rollte mich auf die Seite. “Seto, ich hab’ Angst ohne dich”, gab Ryou zu. “Ich bin doch da”, sagte ich freundlich, während ich ein schlechtes Gewissen bekam. Angst war nun wirklich das Letzte, das er gebraucht hätte. Energisch stieß ich die Decke von mir weg und stand auf, um das Fenster zuzumachen. Gleich darauf hüpfte Ryou aus dem Bett und klammerte sich von hinten an mich. Ich sog die Luft mit einem schnellen Zug ein und errötete leicht an den Wangen. “R-ryou…”, ich bewegte mich keinen Zentimeter. “Ich brauche dich”, nuschelte er in meinen Rücken. Etwas unsanft zerrte ich seine Hände von meinem Bauch und drehte mich anschließend zu ihm, bevor ich ihn ins weiche Bett stieß; “Und da bleibst du jetzt!”. “Du bist doof”, kam es gespielt traurig von ihm. Gerade, als ich ihm sagen wollte, dass er nicht so frech sein solle, flog mir ein Kissen entgegen. “Du bist so doof!”, wiederholte Ryou und schmiss lachend noch ein Kissen. Augenblicklich beugte ich mich zu ihm hinunter und blickte ihm mahnend in die Augen; “Weißt du eigentlich, wie viel diese Polster geostet haben?”. Er schmunzelte und sah hinunter. “Versuch’, weiter zu schlafen, Ryou”, ich legte mich ins Bett und nahm ihn in den Arm. Er kuschelte sich ganz fest an mich, bevor er eine passende Position für sich gefunden hatte. Ein paar Minuten später folgte wieder diese Harmonie, die ihn umgab, wenn er so ruhig vor sich hinatmete. Ich konnte sein weiches Haar an meinem Arm spüren, das etwas kitzelte, wenn er sich im Halbschlaf noch enger an mich kuscheln wollte. Es machte mich nervös und unruhig, zu merken, dass ich Gefühle für den Kleinen entwickelte. Ich hatte das Bedürfnis, ihn zu küssen und ihn die ganze Nacht zu berühren. Ich wollte ihn nur für mich alleine haben und mit niemanden teilen. Ich wollte, dass er nie mehr weg geht, genau so, wie er es nicht bei mir wollte. Wir wollten beide bei einander bleiben und uns haben. Wenn Ryou nicht in meinen Armen gelegen wäre, hätte ich mich die ganze Zeit ratlos herumgewälzt. Es machte mich fertig, mich nicht an ihn binden zu dürfen. Obwohl Gebundenheit der Grund war, weshalb ich Beziehungen satt hatte, gab mir Ryou die Hoffnung darauf, dass es so etwas wie glückliche Beziehungen doch gab. Zwar kannte ich ihn nicht wirklich, aber er löste alles von Wut bis Faszination in mir aus und ich hatte keine Möglichkeit, diese Gefühle zu unterdrücken. Verstecken konnte ich sie, aber nicht unterdrücken. Ich fühlte, was ich fühlte, und es machte mich verrückt. Wenn ich nachgebe und mich einfach fallen lasse, würde ich dann glücklich werden? Wenn ich mich einfach gehen lassen würde, würde ich dann trotzdem in Splittern enden? Würde ich mich danach komplett verschließen, falls das überhaupt möglich war? Oder würde ich eine Chance ergreifen, die mir sonst nie wieder geboten wird? Wäre Ryou die Person, die mein Leben verändern würde? Ach, komm nicht auf dumme Gedanken, Seto. Ryou ist sensibel, er ist ein verlorenes Lämmchen. Und du bist ein Löwe, der sich nicht davor scheut, seine Zähne zu zeigen. Doch beschützen Raubtiere nicht das, was sie lieben? Kapitel 8: Unsicherheit & Hingabe --------------------------------- Ryous Sicht: Durch ein sehr starkes Übelkeitsgefühl wachte ich erneut in dieser Nacht auf. Mein Kopf tat weh, mein Magen machte seltsame Geräusche und ich hatte das Bedürfnis, zu erbrechen. Meine Stirn schwitzte leicht und ich war weit davon entfernt, mich nicht beklagen zu können. Mir war heiß und kalt gleichzeitig, konnte mich nicht entscheiden, mit oder ohne Decke zu liegen. Mir wurde schwindelig, als ich aufstand, um ins Bad zu gehen. Ich musste mich sehr bemühen, gerade zu gehen. Vor dem Badezimmerspiegel betrachtete ich mein bleiches Gesicht und bemerkte, dass man stark sah, dass ich schwitzte. Mit einem Tuch wischte ich mir meine Stirn ab und versuchte, tief durchzuatmen. Alles drehte sich. Ich beugte mich runter zur Kloschüssel und versuchte, zu erbrechen. Nach drei kläglichen Versuchen wurde mir klar, dass das Nichts werden würde. Bei mir war der Würgereflex nicht stark genug. Ratlos war ich nun im Bad und sah mich um, ob es einen Behälter gab, den ich neben das Bett legen könnte. Es schienen nur Handtücher im Kasten zu sein, als ich ihn öffnete. In den kleinen Vitrinen über dem Waschbecken waren nur Pflege- und Hygieneprodukte und auf der Waschmaschine lagen nur die Kleidungsstücke, die Seto und ich vor dem Duschen ausgezogen hatten. Ich betrachtete mein schwarzes Hemd, das schon sehr ausgelaugt war. Es machte mich etwas traurig, doch das war in diesem Moment nicht das Problem. Die Sachen rochen noch nach Algen und dem Salzwasser und sahen sehr mitgenommen aus. Die Oberfläche der Waschmaschine war schon komplett überschwemmt, weil wir die Kleidung nicht auswrangen. Damals blieb uns keine Zeit - wir wollten einfach nur unter die Dusche und die Erinnerungen wegspülen. Da ich im Bad nichts Derartiges, wie einen großen Behälter, fand, ging ich in die Küche und setzte dort meine Suche fort. Unten angekommen, wurde mir wieder schwindelig und ich griff den nächstbesten Halt, was die Lehne eines Sessels war. Mir wurde schwarz vor Augen, knickte etwas ein und schmiss somit den Stuhl um. Ein lautes, dumpfes Geräusch war zu hören. Sofort darauf hörte ich Schritte auf den Treppen. “Ryou, ist dir was passiert?”, Seto war total verschlafen, seine Stimme war aber kräftig und stabil. Mit seiner üblichen, eleganten Körperhaltung schritt er die Treppen hinunter. “Mir ist so schlecht und ich glaube, ich muss mich übergeben. Aber ich finde keinen Behälter…”, ich kniete am Boden und rieb mir die Augen. Der Dunkelhaarige hockte sich zu mir hinunter und begutachtete mich. Er legte seine Hand auf meine Stirn und meinte, dass sie ganz heiß sei. Er half mir auf und trug mich auf Händen zurück ins Schlafzimmer. Ich fühlte mich so kostbar. Seto legte mich ins Bett, deckte mich zu und holte mir dann einen größeren Behälter aus der Küche, den er links von mir am Boden plazierte, bevor er mir vorsichtig ein Thermometer in zwischen die Lippen schob. Einige Sekunden später zog er es raus; “Achtunddreißig Komma Fünf - du hast Fieber, Kleiner”. Er nannte mich ‘Kleiner’... aber Mai war doch seine Kleine, oder nicht? Erst jetzt fiel es mir auf; ich schien nun auf dem selben Level zu sein, wie Mai. Nach nicht einmal zwei Tagen hatte ich es geschafft, ihm dermaßen wichtig zu werden. Fragte sich nur, ob er meine Gefühle erwiderte. Bitte geh’ nicht, Seto. Geh’ nie wieder. Mit geschlossenen Augen lag ich da und konnte mich nur schwer auf meine Umgebung konzentrieren. Seto strich mir sanft durchs Haar und holte mir danach einen nassen Waschlappen, den er mir auf die Stirn legte. Die kühlende Wirkung tat gut. Seto brachte mich letztendlich noch eine große Flasche Wasser, bevor er sich zu mir unter die Decke legte. Meine Wangen glühten förmlich und mein Magen schien sich selbst zu eliminieren. Mir war heiß unter der Decke, aber gleichzeitig war ein leichter Frost zu spüren. Es machte mich wahnsinnig. “Bin ich dein Kleiner?”, fragte ich mit einem Lächeln im Gesicht, meine Augen waren immer noch geschlossen. “Du bist mein Kleiner”, bestätigte er und küsste meine Wange. “Wie soll ich mit Fieber meinen Urlaub genießen?”, hinterfragte ich plötzlich, da mir in den Sinn kam, dass Seto in der Früh wahrscheinlich arbeiten gehen musste. Zwar war mir nicht bekannt, was genau er tat, aber er musste sehr beschäftigt sein. “Dein Vater hat manchmal Schichtdienst. Du bleibst bei mir, bis du wieder gesund bist”, er war zu mir gedreht und streichelte meinen Hals. Seine Worte beruhigten mich. Ich brauchte mich nicht davor fürchten, Nachts alleine im Bett zu liegen, ohne wen, der sich um mich kümmert, während ich krank war. Seto hatte Recht; Dad hatte ein- bis zweimal die Woche Schichtdienst. Die beiden kannten sich anscheinend sehr gut. So gut, dass es Dad Nichts ausmachte, dass ich hier untergebracht war. Sogar im Gegenteil - ich erinnerte mich an seine Worte “Seto steht auf feminine Männer. Ich sollte ihn dir mal vorstellen. Vielleicht heute Abend?”. Ich begann, zu grinsen, als mir auffiel, dass Dad mich mit solch einem attraktiven Mann verkuppeln wollte. “Wieso grinst du denn so?”, fragte Seto. “Beobachtest du mich?”, konterte ich und öffnete die Augen. Blaue Augen waren auf mich gerichtet und blitzten mir entgegen. Sie waren eher ein sehr kaltes blau, das an Kälte und Distanz erinnerte. Hinter dem frostigen Blau verbarg sich eine mysteriöse Seele, die mir noch nicht ganz bekannt war. Das Unbekannte in ihm war das, was er von außen ausstrahlte. Diese Hülle, die ihn so unerreichbar und taff wirken ließ, konnte man nicht übersehen. Oder überfühlen. Ich hatte das Gefühl, dass er erst unnahbar wirken will, bevor er sich wem öffnet. Er will zeigen, dass er unabhängig ist und gut alleine zurecht kommt. Dass er alles auf eigene Faust regeln kann und auf niemanden angewiesen ist. Aber dann, wenn er merkt, er hat dich ganz gern, öffnet sich plötzlich etwas in ihm. Auf einmal hat er dich im Arm, beschützt dich vor dem Ungewissen und möchte nur, dass es dir gut geht. Warum es bei mir so schnell ging, konnte ich nicht ganz erklären. Ich wusste nicht, ob er tatsächlich was fühlte oder ob er es nur aus Zivilcourage getan hat. Dieser Mann war ein Rätsel. Ein Rätsel mit blauen Augen. “Ja, ich beobachte dich. Du bist nämlich wunderschön”, behauptete Seto mit einem verträumten Blick, der mit einem Mal wieder verschwunden war und man sah wieder die dicke Fassade, die das Innere seiner Gefühle nicht mehr so transparent erscheinen ließ. “Du bist auch wunderschön”, schmeichelte ich ihm zurück und errötete an meinen wegen dem Fieber bereits rötlichen Wangen. Ich wich seinem Blick aus und begann, zu schmunzeln. Seto war so verdammt faszinierend. Doch egal, wie schön dieser Moment gerade war - ich machte mir Sorgen. Ich hatte Angst, zu wenig Zeit mit Dad verbringen zu können. Ich wusste nicht, wann ich wieder körperlich gesund werden würde. Die Tage, an denen ich krank sein würde, wären verlorene Urlaubstage. Verschwendete Urlaubstage. Mühsame Urlaubstage. Und mein psychischer Zustand? Selbst, wenn ich mich körperlich auskurieren sollte, könnte ich nicht raus, da ich mit hoher Wahrscheinlichkeit noch dieses Trauma haben würde. Alleine das Rauschen der Wellen machte mir Angst, wie sollte ich dann wieder an die Küste gehen oder erneut die Stadt besuchen? Ich wäre die ganze Zeit zuhause gefangen, wegen der Furcht, draußen zu sterben. Was für ein Happy end konnte ich mir schon erwarten. “Ich hab’ so Angst vor dem Wasser und davor, nicht genügend Zeit mit meinem Vater während meines Aufenthaltes hier zu verbringen”, gestand ich und knitterte die Decke nervös. Meinem Kopf ging es inzwischen etwas besser, doch das Übelkeitsgefühl war noch nicht verschwunden. Ich spürte, wie ich am gesamten Körper schwitzte, was mir recht unangenehm war. “Du brauchst keine Angst haben, mein Kleiner”, Seto küsste meine Stirn und nahm mich in den Arm. Er merkte, dass ich schwitzte, doch es machte ihm Nichts aus. Er drückte mich an sich und ließ lange Zeit nicht los. Ich spürte seinen Herzschlag, seinen Atem und seinen Willen, mir Geborgenheit zu verschaffen. Schwer atmend drückte ich meinen Kopf gegen seine Brust und sog den dezenten Duft von Patchouli ein. Ich spürte, wie seine Bauchmuskeln sich gegen meine Brust pressten und musste innerlich kurz zucken. Er hatte ein Sixpack… Durch die Körperwärme wurde mir augenblicklich noch übler, und ich stieß mich mit einem Ruck sofort weg von Seto. Reflexartig drehte sich mein Körper um und ich übergab mich in den großen Behälter. Noch ein paar Sekunden war ich spuckend über dem Gefäß gebeugt, bis mich der Scham überkam. Kaum traute ich mich, Seto wieder anzusehen. Dieser stand auf und ging aus dem Zimmer. So ein Mist, ich hab’ ihn weggeekelt… Er ließ die Türe offen. Die Atmosphäre in dem Zimmer ohne Seto zerbrach etwas in mir. Plötzlich fühlte ich mich wieder so schutzlos und ausgeliefert, jederzeit angreifbar. Wie ein Lämmchen unter tausend Löwen. “Setz’ dich auf, Kleiner”, hörte ich von Seto, der unerwartet wieder im Zimmer erschien. Er wischte mir die Lippen ab und gab mir ein Glas Wasser, damit ich mir den Mundbereich ausspülen konnte. Das Wasser warf ich in den Behälter aus, den Seto mitnahm, um ihn im Bad auszuwaschen um ihn mir daraufhin wieder hinzustellen. “Du bist meins und ich werde die ganze Nacht wach bleiben, um auf dich aufzupassen, wenn es sein muss”, Seto blickte mir tief in die Augen, die Fassade war verschwunden. Seto’s Sicht: Wo war ich denn nun schon wieder gelandet, verdammt? Ich blickte um mich herum, doch es war Nichts zu sehen, außer diese lange Straße*. Keine Häuser, keine Autos, Nichts. Einige Male drehte ich mich um meine eigene Achse, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht versehen hatte. Es war komplett still und menschenleer, wie ausgestorben, dieser Ort. “Hallo?”, fragte ich in strengem Ton in eine Richtung. Mein Wort hallte nur und schien niemanden erreicht zu haben. “Hallo?”, versuchte ich es erneut, wieder ohne Erfolg. Mir blieb nichts Anderes übrig, als die Strecke zu gehen und auf einen Menschen zu hoffen, der mir sagen konnte, wo ich war und wie ich wieder nach Hause fand. Mein Motorrad war auch nirgendwo zu sehen, obwohl ich längere Strecken nie ohne meine Maschine zurücklege. Misstrauisch und stets angriffsbereit schritt ich den langen Weg entlang. Vielleicht war ich irgendwelchen Idioten direkt in die Falle getappt. Vielleicht hat mir irgendwer K.O. Tropfen verabreicht und mich hierher gebracht, um mich daraufhin auszurauben. Zahlreiche Theorien stauten sich in meinem Kopf, welche ich ein paar Schritte später wiederum aussortierte. Es blieb keine Zeit für Ablenkung. Ich musste so schnell, wie möglich, an eine Informationsquelle kommen. “Na, ganz toll, ich halluziniere”, murrte ich, als sich die Straße vor meinen Augen in zwei Teile spaltete - eine Gabelung* entstand. Wie lange war ich schon hier, sodass mein Gehirn Fehlsignale an meine Augen leitete? Welchen Weg hätte ich denn nehmen sollen? Verunsichert stand ich da, fragte mich, ob einer der Wege mich in noch ein schlimmeres Kaff führen würde. “Schlimmer kann’s doch nicht mehr werden”, ich entschied mich für rechts und setzte meinen gezwungenen Spaziergang fort. “Seto”, ertönte es plötzlich hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um und erblickte einen Vorhang. Der Weg zurück war durch einen Vorhang* gänzlich versperrt und eine Silhouette war dahinter. Sie wiederholte meinen Namen, worauf ich die Stimme zu hundert Prozent wieder erkannte; es war Ryou. “Ryou, was machst du hier und wie bekomme ich dich wieder da raus?”, war meine Frage, während ich zusah, wie er mit seinen Händen an der Barriere herumfuhr, wie ein Pantomime. “Wieso hast du mich hier reingesteckt?”, fragte Ryou traurig und suchte nach einer Möglichkeit, herauszukommen. Ich verstand nicht, was er meinte - immerhin war er da schon drinnen, als ich mich umgedreht hatte. “Du musst mich hier rauslassen”, Ryou klang sehr verzweifelt und enttäuscht von mir. Obwohl ich meine Schuld daran nicht finden konnte, verletzte es mich. Ich ging viele Meter zurück, um Anlauf zu nehmen und rannte gegen den Vorhang. Zu meiner Überraschung prallte ich dagegen und hörte ein dumpfes Geräusch. Meine Augen öffneten sich schlagartig und das Geschehnis stellte sich als komischer Traum heraus. Zu meiner Überraschung lag ich jedoch alleine da - das Geräusch des Aufpralls musste wohl von der Küche gekommen sein. Schnell stand ich auf und machte mich auf den Weg aus dem Zimmer. “Ryou, ist dir was passiert?”, trotz meiner Schläfrigkeit klang meine Stimme kräftig und stabil. Mit meiner üblichen eleganten Körperhaltung schritt ich die Treppe hinunter. Ryou kniete am Boden; “Mir ist so schlecht und ich glaube, ich muss mich übergeben. Aber ich finde keinen Behälter…”. Der Kleine rieb sich die Augen. Vorsichtig hockte ich mich auf seine Höhe und begutachtete Ryou. Ich legte meine Hand auf seine Stirn und bemerkte, dass sie ganz heiß war. Mit meinen starken Armen half ich dem Weißhaarigen, aufzukommen und trug ihn auf Händen zurück ins Schlafzimmer. Liebevoll legte ich ihn ins Bett, deckte ihn zu und holte ihm dann einen größeren Behälter aus der Küche, den ich dann links von Ryou am Boden platzierte, bevor ich ihm dann langsam ein Thermometer, das ich ebenfalls mitbrachte, zwischen die Lippen schob. Einige Sekunden später zog ich es heraus; “Achtunddreißig Komma Fünf - du hast Fieber, Kleiner”. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich ihn nicht mehr nur in Gedanken so nannte, sondern auch so ansprach. Ich wusste nicht, ob das etwas Gutes war. Ich wusste nicht, ob ich mich da gerade in die richtige Person verliebte und ob es überhaupt für mich ratsam war, mich jemals wieder in irgendwen zu verlieben. Doch die Signale wurden gesendet und Ryou hat es bemerkt. Es war zu spät, um sich herauszureden. Mit geschlossenen Augen lag Ryou da und atmete etwas schneller, als gewöhnlich. Ich strich ihm sanft durchs Haar und brachte ihm danach einen nassen Waschlappen, den ich ihm auf die Stirn legte. Daraufhin bekam er noch eine große Flasche Wasser von mir, bevor ich mich zu ihm unter die Decke kuschelte. Er sah echt nicht gut aus und auch die Wangen glühten. Die Sorge in mir wuchs. Er war einfach psychisch so zerbrechlich, es würde eine lange Zeit brauchen, sodass er darüber hinwegkommt. “Bin ich dein Kleiner?”, fragte Ryou mit einem Lächeln im Gesicht, die Augen immer noch geschlossen. Es gab nun keine Rückzieher mehr, Seto. Du hast ihn so genannt und hast ihn auch so im Gedächtnis. “Du bist mein Kleiner”, bestätigte ich und küsste seine Wange. “Wie soll ich mit Fieber meinen Urlaub genießen?”, hinterfragte er plötzlich und änderte somit das Thema. “Dein Vater hat manchmal Schichtdienst. Du bleibst bei mir, bis du wieder gesund bist”, ich war zu ihm gedreht und streichelte ihm den Hals. Mein Verlangen hatte gewonnen. Mich zu verschließen und Gefühle zu unterdrücken brachte nur Schweiß und Kummer und ich merkte, dass sich alles in mir dagegen streubte, dass ich meine Empfindungen verdrängte. Es war mir schon egal, wie das ganze hier enden würde; in diesem Moment wollte ich einfach nur meine unendliche Sehnsucht stillen. Genauer gesagt, wollte ich das schon seit meiner letzten zerbrochenen Beziehung, aber ich ließ niemanden an mich heran. Ich wies alle ab, vorallem Mai. Keiner sollte auf die Idee kommen, in mir ein Verlangen auszulösen, das ich dann nicht mehr kontrollieren kann. Doch Ryou brachte meine Mauern geschickt zum Ruckeln. Ich sah in Ryous schönes Gesicht und bemerkte, dass er lächelte. “Wieso grinst du so?”, meine Stimme klang warm. “Beobachtest du mich?”, konterte er und öffnete die Augen. Das schöne Braun blitzte mir entgegen und ließ mich leicht frösteln. Sie strahlten so viel Ehrlichkeit und Reinheit aus. Ihn umgab diese Hülle aus Unschuld, die man nicht übersehen konnte. Oder überfühlen. Ganz heimlich fragte ich mich, ob sich dahinter eine Seite versteckte, die niemand erwarten konnte, was ich jedoch nicht glaubte. Meiner Beobachtung nach waren sensible Männer nie Arschlöcher. Ich habe mir vorhin eingeredet, dass Ryou überhaupt Nichts für mich wäre, da er so überempfindlich war. Es waren diese sanften Gesichtszüge, der schmale Körper und die helle Stimme. Dies alles zusammen repräsentierte den perfekten Gegensatz von mir. Seine lieblichen braunen Augen waren meinen eiskalten, blauen Augen ergeben. Er wäre von meiner Dominanz viel zu hilflos ausgesetzt. Mein strenger Ton würde ihm so unangenehm sein. Ryous Augen würden täglich wassern, weil ich ganz schön rücksichtslos klingen konnte. Er würde seelisch noch mehr zu Grunde gehen, als ohnehin schon. “Ja, ich beobachte dich. Du bist nämlich wunderschön”, behauptete ich mit einem verträumten Blick, der reflexartig mit einem Mal wieder verschwand und meinen eisigen Blick preisgab. In mir schloss sich automatisch etwas, weil sich zu viel öffnete. Ich wusste nicht, ob ich nun wollte, dass es geschlossen bleibt, oder dass es sich gänzlich öffnete. “Du bist auch wunderschön”, schmeichelte mir Ryou zurück und errötete leicht an seinen wegen dem Fieber bereits roten Wangen. Er sah weg und begann, zu schmunzeln. Er sah so unglaublich süß und begehrenswert aus, und mit einem Mal änderte ich meine Meinung; Ich wollte ihn um jeden Preis. Er war zwar überempfindlich, aber genau deswegen wollte ich ihn doch so sehr. Unsere Persönlichkeiten würden sich auf jeden Fall beißen, aber wenn ich ihn dafür lieben und beschützen durfte, wäre es mir den Aufwand, einfühlsamer zu werden, wert. Ich würde auf Warnsignale in seinen Augen und in der Stimme achten, um sicherzugehen, dass es ihm gut ging. Ich war gerade dabei, mich zu verlieben. Und wenn es wer war, der sensibel war, musste ich mich gefälligst zusammenreißen und Acht auf ihn geben. Ich würde alles daran setzen, seine Sensibilität zu berücksichtigen und ihn nie im Stich zu lassen. “Ich hab’ so Angst vor dem Wasser und davor, nicht genügend Zeit mit meinem Vater während meines Aufenthaltes hier zu verbringen”, gestand er und knitterte die Decke nervös. Ryou wirkte sehr angespannt und besorgt. Mein Kleiner machte sich so viele Gedanken. “Du brauchst keine Angst haben, mein Kleiner”, ich küsste seine Stirn und nahm ihn in den Arm. Er schwitzte wegen dem Fieber, doch es machte mir Nichts aus. Ich drückte ihn an mich und ließ ihn lange Zeit nicht los. Sein Herzschlag ging etwas schneller, sei es wegen der Temperatur oder wegen Verliebtheit. Schwer atmend drückte er seinen Kopf gegen meine Brust und ich sog den dezenten Duft von Äpfeln und Zimt ein. Sein zierlicher Körper war das Schönste überhaupt. Wie er wohl nackt aussah... Mit einem Ruck stieß er mich jedoch weg. Reflexartig drehte er sich um und übergab sich in den großen Behälter. Noch ein paar Sekunden war er spuckend über dem Gefäß gebeugt, bis es vorbei war. Sofort stieg ich vom Bett und ging in die Küche hinunter. Dort nahm ich ein Glas, das ich mit Wasser füllte und ein Feuchttuch. Nach dem Erbrechen musste es Ryou sicher etwas besser gehen. Ich beeilte mich, weil ich wusste, dass Ryou sich schutzlos ohne mich fühlte. “Setz’ dich auf, Kleiner”, sagte ich mit einem bemüht sorgvollem Ton. Ich wischte ihm die Lippen ab und gab ihm das Glas Wasser, damit er sich den Mundbereich ausspülen konnte. Das Wasser warf er in den Behälter aus, worauf ich diesen ins Bad nahm, um ihn auszuwaschen und daraufhin wieder hinstellte. “Du bist meins und ich werde die ganze Nacht wach bleiben, um auf dich aufzupassen, wenn es sein muss”, ich blickte Ryou tief in die Augen. Ich öffnete mich. *Traumsymbol Weg, Straße: Straßen oder Wege erscheinen im Traum als Symbole des Lebenswegs. Kreuzungen und Weggabelungen signalisieren notwendige Entscheidungen. *Traumsymbol Vorhang: Etwas soll verborgen werden. Oft ist dieses Traumbild aber auch Symbol für Vorsicht, Unsicherheit, Täuschung oder Isolisation. Wichtig ist vorallem, was der Vorhang verbirgt. Kapitel 9: Lämmer & Löwen ------------------------- Ryou’s Sicht: Setos Worte ließen mir warm ums Herz werden. Mit einem schwachen Lächeln sah ich in seine blauen Augen, die keineswegs mehr distanziert wirkten. Es verschaffte mir seelischen Komfort, dass sich dieser Mann so rührend um mich kümmerte. Ich war verschwitzt, pflegebedürftig und habe erbrochen. Trotzdem war er bereit dazu, mich weiterhin zu versorgen. Ich war mir sicher, dass er sogar in diesen späten Stunden noch zu einer Apotheke mit Bereitschaftsdienst gelaufen wäre, wenn ich etwas gebraucht hätte. “Es geht mir viel besser”, fiel mir auf, das Übelkeitsgefühl war beinahe gänzlich verflogen. “Aber ich schwitze dein ganzes Shirt voll…”, merkte ich und biss mir auf die Unterlippe. Seto zog mich zu sich und schloss mich in seine Arme. Der sanfte Duft seines parfümierten Duschgels stieg mir in die Nase und betörte mich. Mein Kopf wurde behutsam gestreichelt und getätschelt. “Mach’ dir keine Sorgen. Wir werden dir morgen ein neues Hemd und ein neues Handy besorgen”, versicherte er mir und küsste meine Stirn. Mit welchem Geld? Und mit welchem Mut? Ich war noch längst nicht wieder fit, um nach draußen zu gehen. Schon vor der Türe dieses Hauses schüchterten mich die Wellen ein. Seto würde ganz schön viel Arbeit vor sich haben, wenn ich alle paar Sekunden in Schockstarre übergehen würde. Und wenn Seto auch nur für kurze Zeit von mir getrennt wäre, würde ich die totale Krise kriegen. Eines war also klar; es wird schwer. Wird er damit klar kommen? “Ich weiß nicht, ob ich es hinausschaffe”, befürchtete ich ganz verklemmt. Ich fühlte mich wie eine Last für Seto. Die ganze Zeit müsste er bei mir bleiben und auf mich aufpassen. Er hätte keine fünf Minuten für sich, müsste immer in der Nähe sein und auf mich Acht geben. Verübeln konnte man es mir nicht, aber trotzdem kam ich mir so anstrengend vor. Wie ein kleines krankes Kind, das rund um die Uhr versorgt werden musste. Wenn man mal weg war, wird das Kind nervös und zählt die Sekunden, bis die pflegende Person wieder da ist. Genau so. “Ich bin da. Alles wird gut”, Seto drückte mich sehr fest an sich und sog die Luft scharf ein. Sein Körper war angespannt und er atmete eine Zeit lang nicht aus. Ich nahm ein leichtes Zittern seines Oberkörpers wahr, bevor man ein tiefes Ausatmen bemerkte. Seine starken Arme ließen mich nicht los und er drückte seinen Mund gegen meinen Kopf. So fest, wie er mich hielt, schien es so, als würde er mich nie wieder loslassen wollen, mich für immer in dieser Position behalten wollen. Es verschaffte mir ein Kribbeln im Bauchbereich und ein Lächeln im Gesicht. Es war fast so, als wäre das eine Antwort auf meine Bitte ‘Geh nie wieder’ gewesen, denn diese Geste sprach förmlich “ich lass’ dich nie wieder los” aus. Seto atmete nur sehr schwer, gab mir aber keine Möglichkeit, zu ihm hinaufzusehen. Sein Griff war stark, der Wille, mich so zu behalten, noch stärker. Kein Anzeichen darauf, mich in nächster Zeit wieder aus seinen Armen zu lassen. Wieder zitterte er und wirkte nicht besonders entspannt. Ein paar Mal zuckte er gar und schien sich unwohl zu fühlen. Die Stimmung wurde in eine ganz andere Richtung verzerrt; nun war Seto der, der sehr abhängig und liebesbedürftig wirkte. Er schluckte hörbar bevor er mich noch enger an sich drückte. “Seto, du tust mir weh”, merkte ich an und bekam etwas Angst. “Ryou…”, Seto ließ mich los und klang auf einmal hilfsbedürftig und verletzt. Die Stimme war nicht mehr stabil, sondern dünn. “Ja?”, verwirrt blickte ich ihm in die blauen Augen. Ohne mir die Lage zu erklären, nahm er mein Gesicht in die Hände und legte seine Lippen auf meine. Dies war mein erster Kuss, mein erster körperlicher Kontakt. Und das mit einem unglaublich attrativen Mann. In mir war die Angst, etwas falsch zu machen, doch anscheinend war ich gut im Rennen und unsere Lippen ergänzten sich fabelhaft. Er war ein guter Küsser und erleichterte es mir somit. Ein komisches, warmes Gefühl durchzuckte meinen Körper. Setos weiche Lippen öffneten sich einen Spalt und wir begannen, uns innig zu küssen. Nervös spürte ich, wie mein Puls in die Höhe stieg. Unsere Zungen spielten miteinander und er biss mir ab und zu leicht in die Unterlippe. Seto schien gut darin geübt zu sein, was bedeuten musste, dass er vor mir schon sehr oft geküsst haben musste. Seine Hand streichelte meine Wangen sanft und zart, was mir eine Gänsehaut bereitete. In meiner Hose regte sich etwas unkontrolliert und drückte gegen Setos Wölbung. Er fuhr mit seinen Fingerspitzen meinen Hals entlang, was mich unabsichtlich in den Kuss stöhnen ließ. Er erregte mich wahnsinnig und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren hätte sollen. Ich habe noch nie in irgendeiner Weise mit jemand anderem sexuellen Kontakt gehabt. Und ich denke, Seto wäre da für das erste Mal ein paar Nummern zu groß gewesen. Was er wohl von mir denken würde, wenn ich mit keinerlei Erfahrung, im wahrsten Sinne des Wortes ‘im Dunkeln tappend”, auf ihn eingehen würde? “Wenn du etwas nicht willst”, begann er. “Musst du es mir nur sagen”, er führte das Küssen weiter. Inzwischen raste mein Herz und mein Glied war sehr steif. Wenn ich etwas nicht will, sollte ich es sagen? Die Aussage machte mir etwas Angst, welche ich jedoch nicht zeigte. Leidenschaftlich küssten wir uns weiter, während ich mich fragte, ob nun etwas Unangenehmes an mir ausgeübt werden würde. “Was meinst du?”, fragte ich, nachdem ich ihn leicht von mir stieß und ihn unsicher ansah. Er schien etwas für ihn selbstverständliches zu meinen, da er es zuerst keine Worte fand, um es zu erklären. “Wenn ich zu weit gehe”, sprach er langsam; verwundert darüber, dass ich nicht wusste, was er gemeint hat. “Ist das hier neu für dich?”, immer noch der selbe Blick. Etwas beschämt kaute ich auf meiner Unterlippe herum und blickte weg von diesem wunderschönen Mann. Nun hatte ich die Stimmung komplett ruiniert. Er würde sicher nicht mehr weitermachen wollen - mit so einem Amateur wie mir. Sanft nahm mich Seto in den Arm und flüsterte mir ins Ohr; “Es tut mir schrecklich Leid, dich möglicherweise in einen Schock versetzt zu haben. Ich dachte mir nur, du hättest deine ersten Erfahrungen schon lang hinter dir, so wundervoll, wie du bist”. Geschmeichelt vergrub ich wieder einmal meinen Kopf in seiner Brust und lauschte seinem Herzschlag - er hat mich als wundervoll bezeichnet. Der hier überall bekannte Seto Kaiba hat mich wundervoll genannt. Ich errötete leicht an meinen Wangen und merkte, dass meine Kopfschmerzen verschwunden waren. “Es war mein erster Kuss”, gab ich letztendlich zu und traute mich nicht, Seto anzublicken. “Hat er dir wenigstens gefallen?”, man hörte das Grinsen in seiner Stimme. Ich gab ein leises ‘Mhm’ von mir und musste sofort lächeln. Es hat mir nicht nur gefallen, es hat mich fasziniert und Endorphine freigesetzt. Das wird die Erinnerung meines ersten Kusses bleiben. Ich kann nicht genau sagen, wie ich mir meinen ersten Kuss vorgestellt hatte. Wahrscheinlich etwas peinlicher und tollpatschiger. Aber das hier war perfekt. Es gab eigentlich nicht viele Männer, die mir gefielen. Ich hatte immer ein Idealbild im Kopf, welches Seto großteils widerspiegelte. Er war groß, willensstark, gut aussehend, beruflich erfolgreich und einfach atemberaubend schön. Solche Augen hatte ich noch nie gesehen und es werden sicher die einzigen auf diesem Planeten sein, die so ausdrucksstark sind. Sie fesselten. Solche Augen vergisst man nicht. Vom ersten Augenblick an, als ich Seto an meinem Ankunftstag sah, ging mir sein Erscheinungsbild nicht aus dem Kopf. So unabhängig und gleichzeitig so majestätisch; er hatte immer eine aufrechte Körperhaltung. Seine Ausstrahlung blieb einem im Kopf und verließ diesen Ort nicht mehr so schnell. Setos Stimme war ebenfalls sehr markant und hatte einen Wiederekennungswert. Eigentlich hatte alles an ihm einen Wiedererkennungswert. Seto Kaiba vergisst man nicht. “Mein erster und dein hundertster, richtig?”, spielte ich auf seine Kusskünste an. Er lachte kurz und drehte sich zu mir, sein Mund war zu einem schiefen Lächeln geformt. “Die ersten Männerlippen”, informierte mich Seto und wirkte etwas stolz. Mein Blick glitt zu seinen weichen Lippen, ehe mich das Kribbeln im Bauch wieder besuchte. Anscheinend gleichzeitig näherten wir uns dem jeweils anderen und begannen erneut, uns zu küssen. Dieses Mal war es schneller und gieriger. Beide hatten wir Hunger auf den anderen. Beide hatten wir dasselbe Verlangen - doch ich traute mich nicht, weiter zu gehen. Meine Hände zitterten und versuchten, dort zu bleiben, wo sie waren. In diesem Moment musste ich an Setos nackten Oberkörper denken, den ich gänzlich zu Gesicht bekommen hatte. Seine Bauchmuskeln waren schön geformt und seine Arme waren nicht übertrieben muskulös. Die Schultern hatten die perfekte Breite und der Rücken war makellos. Konnte ich wirklich der Einzige sein, den er wundervoll fand? Hatten schöne Männer nicht immer dutzende Verehrer/innen? Suchten schöne Männer nicht nur immer etwas Spaß? Küsste er mich überhaupt nur zum Vergnügen? “Bin ich der Einzige?”, ich löste mich ohne Vorwarnung von ihm und wir mussten erst einmal wieder durchatmen. “Versprich mir eins”, kam es ernst von ihm. “Zweifel’ nie wieder daran”, er setzte unser Küssen fort. Seto’s Sicht: Es stimmte. Ich hätte für Ryou so Einiges getan, um ihm Sicherheit zu gewähren. Ich wollte meine Gefühle einfach nicht mehr für mich behalten, wollte diese Chance nicht für immer verspielen. Ryou war möglicherweise der Mann, der mein Leben für immer verändert hätte. Ohne mit der Wimper zu zucken hätte ich mich um diese späte Stunde noch angezogen und hätte ihm Medikamente gebracht, wenn es nötig gewesen wäre. “Es geht mir viel besser”, fiel ihm auf. Er wirkte tatsächlich viel frischer. “Aber ich schwitze dein ganzes Short voll…”, merkte er und biss sich auf die Unterlippe. Ich zog den Kleinen zu mir und schloss ihn in meine Arme. Der sanfte Duft des parfürmierten Duschgels stieg mir in die Nase und betörte mich. Behutsam streichelte ich Ryous Kopf und tätschelte ihn. “Mach’ dir keine Sorgen. Wir werden dir morgen ein neues Hemd und ein neues Handy besorgen”, versicherte ich ihm und küsste seine Stirn. Mir war klar, dass es schwer für ihn werden würde, auch nur den ersten Schritt aus diesem Haus zu machen. Es braucht immerhin eine lange Zeitspanne, bis man so ein Erlebnis verarbeitet hatte. Noch dazu war Ryou sehr zerbrechlich und das machte alles nur noch schlimmer. Er war so ein zartes Wesen. So zart und so reizend, dass ich mich zurückhalten musste, ihn nicht anzugreifen. So eine schöne Gestalt. “Ich weiß nicht, ob ich es hinausschaffe”, befürchtete er ganz verklemmt. Er sprach meinen Gedanken aus, hatte womöglich das Gefühl, eine Last für mich zu sein. Bei jeder Kleinigkeit dachte er, er wäre mir zu anstrengend. Dass er mein Shirt vollschwitzte war zum Beispiel kein Problem, jedoch entschuldigte er sich dafür und kam sich überflüssig vor. Wie konnte ich ihm nur klar machen, dass das alles vollkommen in Ordnung war und dass ich gerne für ihn da war? Ryou war in dem Moment alles, was ich je wollte - und alles, was ich je wollte, war Liebe. Ehrliche, pure Liebe. “Ich bin da. Alles wird gut”, ich drückte Ryou sehr fest an mich und sog die Luft scharf ein. Mein Körper war angespannt und ich atmete eine Zeit lang nicht mehr aus. Daraufhin zitterte mein Oberkörper und ich atmete tief aus. Meine starken Arme umklammerten den schmächtigen Mann sehr stark, bevor ich seinen Kopf küsste. Ich gab Ryou keine Möglichkeit dazu, zu mir hinaufzusehen. Mein Griff war stark, der Wille, den Weißhaarigen so zu behalten, noch stärker. Kein Anzeichen darauf, ihn in nächster Zeit wieder loszulassen. Erneut zitterte ich und wirkte sehr hilfsbedürftig. Es war einfach viel zu viel für mich. Das Gefühl von Glück überforderte mich und ich konnte es kaum glauben, so jemand perfekten bei mir zu haben, für mich alleine. Ich hielt schon einige Personen in meinen Armen, doch noch nie fühlte es sich so richtig an. Noch nie wollte ich jemandem meine Liebe so sehr ausschütten, wie bei Ryou. Noch nie verschaffte mir ein Mensch so ein intensives Glücksgefühl. Noch nie wollte ich jemandem so sehr beweisen, dass ich mich ändern kann. Ich hätte weinen können. Am liebsten hätte ich die Zeit angehalten, damit dieser Moment ewig währt. Eine unendlich lange Zeit mit Ryou an meiner Seite. Meine Gefühle erdrückten mein logisches Denken und ließen meinen Verstand dumm da stehen. Ich liebte Ryou. Ich liebte ihn. Ryou. Es war so, als hätte ich ihn nie nah genug an mir haben können. Noch einen Griff fester drückte ich ihn an mich, bevor er etwas von sich gab; “Seto, du tust mir weh”. “Ryou…”, ich ließ ihn los und klang sehr hilfsbedürftig und verletzt. Meine Stimme war nicht mehr stabil, sondern dünn. “Ja?”, verwirrt blickte er mir in die blauen Augen. Ohne ihm die Lage zu erklären, nahm ich sein Gesicht in die Hände und legte meine Lippen auf seine. Es war nicht mein erster Kuss, eher mein hundertster. Jedoch war dieser hier echt. Seine Lippen waren wirklich weich und gepflegt. Meine Lippen öffneten sich einen Spalt und wir begannen, uns innig zu küssen. Kaum konnte ich beschreiben, wie wunderschön ich es fand. In mir spürte ich ein Kribbeln, als unsere Zungen begannen, miteinander zu spielen. Heimlich fragte ich mich, wie viele Zungen er schon abgeschleckt hatte, so schön, wie er war. Meine Hand streichelte seine Wangen sanft und zart, was eine Gänsehaut hinterließ. In Ryous Hose regte sich etwas unkontrolliert und drückte gegen meine Wölbung. Ich konnte den Stöhner gerade noch zurückhalten. Ich fuhr mit meinen Fingerspitzen an seinem Hals entlang, was ihn in den Kuss stöhnen ließ. Ryou erregte mich wahnsinnig und ich wusste nicht, ob es nicht noch zu früh war, um ihm das zu zeigen. Ob es nicht zu früh war, um seinen gesamten Körper zu erkunden. Zu früh, um ihn zu verwöhnen. Allerdings wäre das mein erstes Mal mit einem Mann gewesen; peinlich wäre es ausgegangen, wenn ich - der dominante Seto Kaiba - nur ahnend und gar tollpatschig an die Sache rangegangen wäre. Ich hätte regelrecht “im Dunkeln getappt”. “Wenn du etwas nicht willst”, begann ich. “Musst du es mir nur sagen”, ich führte das Küssen weiter. Mein Herz raste und mein Glied war inzwischen schon steif. In mir tobte das große Verlangen, ihn körperlich auszukosten, jedoch war da trotzdem diese Angst vor dem ersten Versuch. Es war immerhin etwas ganz Anderes und etwas Neues für mich; diese Unsicherheit drang aber nicht in meine Stimme. Ich wirkte so, als würde ich ihn fragen, ob ich mein tausendstes Mal mit ihm haben dürfte. “Was meinst du?”, fragte Ryou unerwartet und stieß sich leicht von mir weg, sah mich unsicher an. Ich fand keine Worte, um es zu erklären und war ein bisschen verwirrt. “Wenn ich zu weit gehe”, sprach ich langsam; verwundert darüber, dass er nicht kapierte, worauf ich hinaus wollte. “Ist das hier neu für dich?”, immer noch der selbe Blick. Ryou kaute beschämt auf seiner Unterlippe herum und blickte weg von mir. Er fühlte sich ertappt. Dann wurde mir klar, dass es sein erstes Kuss war; ich hatte ihm soeben den ersten Kuss geschenkt. Sanft nahm ich den Kleinen in den Arm und flüsterte ihm ins Ohr; “Es tut mir schrecklich Leid, dich möglicherweise in einen Schock versetzt zu haben. Ich dachte nur, du hättest deine ersten Erfahrungen schon lange hinter dir, so wundervoll, wie du bist”. Geschmeichelt vergrub er wieder einmal seinen Kopf in meiner Brust und lauschte meinem Herzschlag. Bitte löse dich nie wieder von mir. Bleib’ da, bei mir. “Es war mein erster Kuss”, gab er letztendlich offen zu und traute sich nicht, mich anzublicken. “Hat er dir wenigstens gefallen?”, man hörte das Grinsen in meiner Stimme. Der Bleichhaarige gab ein leises ‘Mhm’ von sich und musste sofort lächeln. Ich fragte mich, ob es ihm genau so gut gefallen hatte, wie mir. Dies war sein erster Kuss, und den ersten Kuss vergisst man nicht. Er wird mich nie vergessen. Und obwohl er nicht der erste war, den ich geküsst hatte, war ich mir sicher, dass ich diesen Kuss ebenfalls nie vergessen würde, denn er war voller Leidenschaft, Energie und Harmonie. Er war einfach perfekt und zum besten Zeitpunkt. Mir fiel auf, dass Ryou genau so gut ablehnen hätte können; er hätte einfach ‘nein’ sagen können, doch das tat er nicht - unsere Gefühle spiegelten sich wider, egal, wie verschieden wir waren. Er war das Lamm und ich war der Löwe. Schon dutzende Lämmer hatte ich gesehen, doch dieses eine war das Lamm. Das eine, das ich nun für mich alleine hatte und für immer beschützen wollen würde. Alle anderen, die ich bis jetzt gesehen hatte, waren nicht mit diesem einen zu vergleichen. Ich würde mein Lamm unter tausenden wieder erkennen, denn es war das einzige, das ich liebte. “Mein erster und dein hunderster, richtig?”, komplimentierte er meine Kusskünste. Ich lachte kurz und drehte mich zu ihm, mein Mund war zu einem schiefen Lächeln geformt. “Die ersten Männerlippen”, informierte ich Ryou und wirkte etwas stolz. Sein Blick glitt zu meinen Lippen, was mir ein Signal gab. Anscheinend gleichzeitig näherten wir uns dem jeweils anderen und begannen erneut, uns zu küssen. Dieses Mal aber schneller und gieriger. Beide hatten wir Hunger auf den anderen. Beide hatten wir dasselbe Verlangen - doch ich traute mich nicht, weiter zu gehen. Einerseits aus Respekt, andererseits aus Scheu. Ryous Hände zitterten und versuchten, dort zu bleiben, wo sie waren. Ich merkte, wie er ebenfalls mit sich selber kämpfte und das Verlangen verdrängte. Ich konnte nicht sagen, ob ich es nun letztendlich wollte oder nicht. Was hätte Ryou von mir denken sollen, wenn ich bereits nach nicht einmal drei Tagen mit ihm schlief? Ich wollte nicht, dass er mich als arroganten Casanova asbtempelte. Ich hatte genug Respekt, um meine Finger von ihm zu lassen - immerhin wollte ich ihn beschützen und lieben, und nicht nur mit ihm schlafen. “Bin ich der Einzige?”, er löste sich ohne Vorwarnung von mir und wir mussten erst einmal wieder durchatmen. Es ist also passiert - er hatte Angst, nur ein Zeitvertreib für mich zu sein. “Versprich mir eins”, kam es ernst von mir. “Zweifel’ nie wieder daran”, ich setzte unser Küssen fort. Mein Kleiner. Kapitel 10: Liebe & Zigarettenrauch ----------------------------------- Ryou’s Sicht: Ich wälzte mich auf die andere Seite und wollte gerade Seto umklammern, als ich merkte, dass dieser nicht da war. Reflexartig öffnete ich die Augen und sah, dass er nirgendwo mehr in diesem Raum zu finden war. Die Vorhänge waren zur Seite gerissen und das Sonnenlicht schien herein - es war Morgen. Eigentlich wäre ich in Panik geraten, doch das Angstgefühl schien bei Nacht viel stärker zu sein, als am Tag. Ein bisschen unwohl fühlte ich mich schon, doch gestern Nacht war es viel, viel unerträglicher, als Seto nur den Behälter im Badezimmer auswaschen war. Nichts desto Trotz hatte das abgeschwächte Bindungsverlangen keinen Einfluss darauf, dass ich Seto für immer für mich haben wollte. Ich streckte mich kurz, gähnte einmal ausgiebig und schlenderte aus dem Raum, die Treppen hinunter zur Küche. “Seto?”, meine Stimme war noch krächzig. “Ja?”, kam es von der Terasse. Noch in meinem Pijama betrat ich den schicken Balkon und sah, wie Seto genüsslich eine Zigarette rauchte. Er stützte sich mit den Armen an der Absperrung ab und blickte Richtung Meer. Er war bereits fertig angezogen; ein weißes Hemd und eine schwarze, enge Hose, die seine Beine betonte. “Ich bräuchte eine Zahnbürste”, sagte ich, während der Dunkelhaarige immer noch in die Ferne blickte. Es blieb still, er gab keinen Mucks von sich. Ich fragte mich, ob er schlecht gelaunt war oder ob ihm das gestern gar nichts bedeutete. Erst, als er den Zigarettenstummel auf den Boden warf, drehte er sich zu mir und drückte mich fest an sich. “Ryou”, flüsterte er und küsste meinen Kopf. Sein Atem roch nach Rauch, was seinem Erscheinungsbild einen zusätzlichen Schliff verpasste. Ich legte ebenfalls meine Arme um ihn und war so glücklich, dass das ganze Gesagte von gestern nicht verloren gegangen war. “Ryou, wie geht es dir?”, wollte er wissen und ließ mich los. Seine blauen Augen glänzten durch das Sonnenlicht und wirkten, wie Saphire. Man konnte erkennen, dass das strenge, teils kalte Verhalten verschwunden war; er war wahrhaftig daran interessiert, ob sich mein Zustand verbessert hatte und sein Ausdruck war sanft und weich. Nun glaubte ich wirklich daran, dass dieser Mann beim ersten Antreffen von Menschen zeigen wollte, dass er die Oberhand hat, dass er sich von niemandem einschüchtern lässt. Anscheinend war es ihm sehr wichtig, sein Image aufrecht zu erhalten und für andere Leute dunkel, geheimnisvoll und kalt wirken wollte. Das konnte man ihm keinesfalls verübeln, denn genau diese Ausstrahlung zog einen doch so sehr an. Doch wenn er jemanden wirklich mochte, war es so, als würde das Kalte in ihm schmelzen und der warme Kern tritt zum Vorschein. Er war nicht der egoistische Kerl, für den ihn viele, die ihn nur flüchtig kannten, hielten. Er war nicht der herzlose Anführer der Küstler, der niemals Vor- und Nachsicht nahm. Er konnte anders sein - aber nur, wenn er wollte. “Es geht mir fast schon gut”, antwortete ich und lächelte, als er erleichtert ausatmete. “Nimm die gelbe Zahnbürste. Kleidung liegt am Bett. Und im Topf ist Spaghetti für dich”, Seto gab mir einen Kuss auf den Mund, bevor mein nächstes Ziel das Bad war. Ich beeilte mich sehr damit, mich fertig zu machen, denn ich konnte es kaum erwarten, den Tag mit Seto zu beginnen und immer wieder erneut in den Arm genommen zu werden. Nach dem Duschen, Zähne putzen, Anziehen und Haare föhnen setzte ich mich an den Tisch und aß einen Teller Spaghetti. Er hatte ein grün-weiß gestreiftes Shirt und eine dunkelblaue Jeans für mich vorbereitet, die erstaunlicherweise in meiner Größe waren. Seto rauchte eine weitere Zigarette und hatte diesen eigenen Blick, als er währenddessen zum unendlichen Horizont sah. Der Blick war nicht kalt, nicht warm, nicht verträumt, nicht distanziert - man konnte kein treffendes Wort finden, sondern eher die Worte, die ihn nicht beschrieben. Sein Haar wehte leicht im Wind und seine Haltung war trotz des Abstützens elegant. Er wirkte immer elegant. Er hatte immer seine übliche Seto Kaiba-Ausstrahlung. Plötzlich nahm ich wahr, wie Seto begann, zu sprechen. Ich drehte mich in seine Richtung und wollte gerade fragen, was er meinte, als ich sah, dass er ein Handy in der Hand hatte. “Es geht ihm schon fast gut, behauptet er. Ich kann ihn, wenn Sie wollen, heute Abend zurückbringen”, wie es sich anhörte, telefonierte er mit meinem Vater. Kurz erschrack ich, als ich mich fragte, ob ich wirklich wieder zurück zu Dad wollte. Hat dir dieser Typ wirklich so den Kopf verdreht? Er hielt das Handy in der rechten Hand, während die Zigarette Platz in seiner linken hatte. Geschickt rauchte er weiter und hatte kein Problem damit, Hände zu wechseln. Ich fragte mich, ob er sehr ausgeprägt Reflexe hatte - und in dem Moment fragte ich mich ebenfalls, warum er nicht arbeiten war und welchen Beruf er überhaupt ausübte. Oder würde er bald das Haus verlassen? Das Telefonat wurde nach gefühlten drei Minuten beendet, worauf Seto sich zu mir an den Tisch setzte und mich sehr ernst ansah. Ich hörte auf, zu kauen und hielt inne. So ernst sah man jemanden nur an, wenn man eine schlechte Nachricht hatte. “Dein Vater sagt, du kannst noch bleiben, wenn du willst”, sein Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. Update: So ernst sah man jemanden nur an, wenn man eine schlechte Nachricht hatte. Oder wenn man Seto Kaiba war. “Es kommt darauf an. Musst du heute in die Arbeit?”, mittlerweile aß ich entspannt weiter. “Ich hab’ Urlaub”, er stützte sein Kinn an seinen zusammengesteckten Händen ab und begann, ganz frech zu grinsen. “Was für ein netter Zufall, nicht?”, sein Ton erinnerte wieder an die eher distanzierte Seite von ihm, der aber mit dem amüsierten Grinsen ganz anders wirkte. “Hast du ewig Urlaub?”, spielte ich an und blickte mein Gegenüber verträumt an. Dieser stand auf und zog mich leicht an der Hand, sodass ich aufstand. Er legte seine Hände auf meine Schultern; “Ich will dich nie verlieren. Ich geh’ nicht mehr von dir”. Leicht errötete ich an den Wangen, während Setos Gesichtsausdruck sehr steif wirkte. Seine warmen Hände ruhten stabil auf meinen Schultern. Ich zuckte kurz zusammen, als mich Seto fast gewaltsam und sehr schnell an sich zog, oder besser gesagt an sich stieß. Ähnlich wie gestern, behielt er mich in einem sehr starken Griff, aus dem man nur sehr schwer wieder herauskam. Ich wusste nicht genau, wieso und wann ihn immer so etwas überfiel, aber ich kam damit klar. “Heute nur du und ich”, flüsterte er und legte seine Lippen auf meine rechte Schulter. Das Sonnenlicht schien herein und beleuchtete uns von der Seite. Eine leichte, angenehme Brise fand ihren Weg zu uns und verleihte diesem Augenblick einen zarten Touch. Setos Parfum roch äußerst anziehend und provokant, was mich an unsere erste Begegnung erinnerte. Diese Nacht werde ich nie vergessen. So ein Aufeinandertreffen konnte man nicht aus dem Gedächtnis schaffen. “Ich liebe dich”, rutschte es mir raus. Was hatte ich da gerade gesagt? Es war noch viel zu früh für sowas, es klang so falsch und voreilig. Ich kuschelte mich enger an Seto, um mir die Illusion zu geben, sich verstecken zu können. Am liebsten hätte ich meine Aussage zurückgenommen. Es klang doch fast gelogen. Seto löste mich aus seinem starken Griff, kam mir mit dem Gesicht sehr, sehr nahe, sodass ich das funkelnde Blau seiner Augen sehen konnte und flüsterte; “Ich dich auch. Ich liebe dich auch, Ryou”. Etwas Kaltes lief mir den Rücken runter, ich kam mir vor, wie in einem Traum. Diese Konversation wirkte so unreal und so verschwommen, es war alles viel zu perfekt. “Und nun komm, du brauchst neue Sachen”, ein schwaches Lächeln legte sich auf seine Lippen. Gerade, als wir uns Schuhe und Jacke anziehen sollten, blieb ich stehen. “Welche Schuhe soll -”, ich konnte meinen Satz nicht beenden, da mir Seto sofort ein Paar Schuhe unter die Nase hielt, die ich anziehen hätte sollen. “Falls du dich fragst, warum ich plötzlich Sachen habe, die in deiner Größe sind und deinem Stil sehr ähneln; ich war heute Morgen bei deinem Vater”, er klang sehr erfreut bei diesem Satz. Sie schienen sich wirklich sehr nahe zu stehen. ‘Oh mein Gott’, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Hatte Seto meinem Dad irgendwas erzählt? Hatte er ihm von dem Kuscheln, dem Gesagten und den Gefühlen erzählt? Konnte das sein? Andererseits musste ich nicht lange darüber rätseln, ob Dad wusste, dass wir was miteinander hatten; immerhin war er derjenige, der mich mit Seto verkuppeln wollte. Außerdem würde er sich eher für mich freuen, als entsetzt zu sein. Als ich meine Schuhe und meine Jacke an hatte, sperrte Seto die Türe auf und ich roch diesen typischen Geruch des Meerwindes, der einerseits zum Träumen einlud, mich aber andererseits etwas verstörte. Doch ähnlich, wie bei dem Bindungsgefühl, fühlte sich das Rauschen und die Optik des Wassers für mich im Dunkeln viel, viel schlimmer an. Seto sperrte ab und drehte sich zu mir; “Alles okay? Schaffst du es, bis zum Motorrad?”. Sein Fahrzeug stand geschätzte zwanzig Meter von uns entfernt, ich nickte. Plötzlich griff Seto nach meiner Hand. Er nahm meine Hand. Wir hielten Händchen. Ich hielt Händchen mit Seto Kaiba. Seto’s Sicht: “Du hast es gewagt, Seto. Du hast dich erneut auf die Liebe eingelassen und somit auch die Chance, wieder einmal daran kaputt zu gehen”, ich bließ den Rauch mit wenig Druck aus und blickte an die Küste. Ich konnte nicht sagen, ob ich die Entscheidung bereute oder nicht. Fast wäre ich zum Entschluss gekommen, es zu bereuen, da ich diese Angst empfand, wie in vorherigen Beziehungen perfekt sein zu müssen. Doch wie konnte ich es Ryou jemals antun, zu sagen, ich bereue diese schöne Nacht? Mittlerweile stand ich schon seit einer halben Stunde da und rauchte. Es machte mich komplett fertig und zugleich musste ich daran denken, wie mich die Freude überkam, sodass ich Ryou so dermaßen fest an mich presste, dass er kaum noch Luft bekam. In diesem Moment wollte ich ihn einfach nie mehr hergeben und konnte ihn nicht nah genug an mir haben. Konnte es nicht fassen, dass mich wieder wer glücklich machen konnte. Verägert, aber ohne Ausdruck im Gesicht warf ich den Zigarettenstummel auf den Boden und seufzte laut, bevor ich Ryous Stimme in der Küche hörte; “Seto?”. Seine Stimme war noch krächzig, er schien gerade erst aufgestanden zu sein. Und das erste, das er tat, war, mich zu suchen. Er konnte nicht mehr ohne mich; ich konnte wahrscheinlich/leider/zum Glück auch nicht mehr ohne ihn. “Ja?”, antwortete ich und hörte seine Schritte.Ich sah ihn nicht an. Ich wusste nicht einmal, ob ich das schon am nächsten Morgen konnte. “Ich bräuchte eine Zahnbürste”, sagte er mir, während er sich sicherlich fragte, weshalb ich noch immer wegsah. Schweigend rauchte ich meine fünfte Zigarette zu Ende, warf den Stummel auf den Boden und drehte mich um. Ich drückte ihn ganz fest an mich. “Ryou”, flüsterte ich und küsste seinen Kopf. Sein Haar war noch ungewaschen, doch trotzdem seidig glänzend und weich. Auch so halbwach wirkte er unglaublich anziehend. “Ryou, wie geht es dir?”, wollte ich wissen und ließ ihn los, da ich ihn wieder zu fest hielt. Das Sonnenlicht ließ seine braunen Augen stark glänzen und somit noch wundervoller erscheinen lassen, als sie ohnehin schon waren. Nun bereute ich es nicht, mich auf ihn eingelassen zu haben, sondern bereute es, es fast bereut zu haben. So ein reines Wesen konnte man doch unmöglich für etwas beschuldigen oder gar Angst haben, von ihm verletzt zu werden. So zerbrechlich, wie er war, wusste er ganz genau, wie es war, mit Worten verletzt zu werden und könnte sich nicht einmal im Traum ausmalen, wem absichtlich weh zu tun. Er wollte nur Liebe. Und diese wollte ich ihm geben. Wenn er wirklich der war, der mir aufrichtige Liebe schenken konnte, wollte ich nicht länger darüber nachdenken und mich einfach fallen lassen. Wollte jede einzelne weitere Nacht meines Lebens mit ihm eng umschlungen einschlafen und ihm das Gefühl vermitteln, der einzige für mich zu sein. “Es geht mir fast schon gut”, antwortete er und lächelte, als ich erleichtert ausatmete. “Nimm die gelbe Zahnbürste. Kleidung liegt am Bett. Und im Topf ist Spaghetti für dich”, ich gab ihm selbstsicher einen Kuss auf den Mund, bevor er sich das Bad zum Ziel machte. Mittlerweile hatte ich mir eine weitere Zigarette angezündet und fragte mich, wann ich das letzte Mal so viel rauchte. Ich denke, es war nach meiner letzten Trennung. Immer, wenn ich mir viel zu viele Sorgen machte, stand ich am Balkon, mit den Armen gegen die Absperrung gestützt, und hatte ständig eine Zigarette im Mund. Durch den Wind wurde der Rauch von mir weggeweht und kam nicht an meiner Kleidung an. Ich achtete stets darauf, ein gepflegtes Erscheinungsbild zu präsentieren und selbstsicher und dominant aufzutreten. Wenn ich sofort entgegenkommend zu den Menschen wäre, hätte das einen schwächlichen, abhängigen Charakter hinterlassen und das wollte ich eben nicht. Ich wollte zuerst immer zeigen, dass ich das Sagen hatte. Dass ich sehr wohl ohne jemanden konnte und dass meine Freundlichkeit danach Nichts mit Schwäche zu tun hatte. Da ich Herrn Bakura heute Morgen versprochen hatte, ihn wegen Ryous Zustandes anzurufen, nahm ich mein Handy zur Hand und rief ihn an. Bereits nach dem ersten Läuten hob er ab. Ohne mich zu begrüßen, fragte er sofort, wie es seinem Sohn geht und ob alles in Ordnung sei. “Es geht ihm schon fast gut, behauptet er. Ich kann ihn, wenn Sie wollen, heute Abend zurückbringen”, ich klang ernst. Denn ich wollte nicht, dass ich ihn zurückbringe. Und da war es auch schon zu spät für jegliche Missionsabbrüche: Ich hatte mich verliebt. “Ach, Seto! Ryou kann noch bleiben, wenn ihr euch gut versteht. Gib mir heute Abend einfach noch einmal Bescheid!”, Herr Bakura klang wie immer sehr enthusiastisch, obwohl er Nachtschicht hatte. Wir tauschten uns noch kurz darüber aus, zu welcher Zeit wir den jeweils anderen erreichen konnten. Ich bedankte mich für die Erlaubnis und wir verabschiedeten uns. Gleich darauf setzte ich mich zu Ryou an den Tisch und schenkte ihm einen sehr ernsten Blick - die Stimmung von heute Morgen würde nicht so schnell wieder verschwinden. Ryou hörte auf, zu kauen und hielt inne. “Dein Vater sagt, du kannst noch bleiben, wenn du willst”, mein Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. Nach meinem Gefühl, konnte er mir nur zustimmen. Er wollte mich doch ebenfalls nicht mehr hergeben. “Es kommt darauf an. Musst du heute in die Arbeit?”, mittlerweile aß er entspannt weiter. “Ich hab’ Urlaub”, ich stützte mein Kinn an meinen zusammengesteckten Händen ab und begann, frech zu grinsen. “Was für ein netter Zufall, nicht?”, mein Ton war wieder von Distanz angehaucht, obwohl ich Ryou so amüsiert angrinste. “Hast du ewig Urlaub?”, spielte Ryou an und blickte mich verträumt an. Ich wusste es; er konnte nicht widerstehen. Ich stand auf und zog ihn leicht an der Hand, sodass er aufstand. Ich legte meine Hände auf seine Schultern; “Ich will dich nie verlieren. Ich geh’ nicht mehr von dir”. Leicht errötete er an den Wangen, während mein Gesichtsausdruck steif wirkte. Meine Hände ruhten stabil auf seinen Schultern. Er zuckte kurz zusammen, als ich ihn fast gewaltsam und sehr schnell an mich zog, oder besser gesagt an mich stieß. Ähnlich wie gestern, behielt ich ihn in einem sehr starken Griff, aus dem man nur schwer wieder herauskam. Es war wieder dieser ‘Ich kann’s nicht glauben und will dich so nahe, wie nur möglich an mir haben und nicht mehr loslassen’-Moment. Keiner sollte mir meinen Ryou stehlen. “Heute nur du und ich”, flüsterte ich und legte meine Lippen auf seine rechte Schulter. Das Sonnenlicht schien herein und beleuchtete uns von der Seite. Eine leichte, angenehme Brise fand ihren Weg zu uns und verleihte diesem Augenblick einen zarten Touch. Ein sanfter Kokosgeruch stieg mir in die Nase, was mir verriet, welches meiner Duschgels Ryou benutzt hatte. Der Kokosgeruch erinnerte mich immer an Palmen und Urlaub - Ryou war meine Auszeit. “Ich liebe dich”, behauptete er und wirkte gleich danach beschämt. Eng kuschelte er sich mit dem Kopf an mich, als würde er sich verstecken wollen. Anscheinend war er noch nicht wirklich bereit dazu, so etwas zu sagen, immerhin war es sein aller erstes Mal. Das vermutete ich zumindest, da er noch nie wen geküsst hatte. Langsam löste ich ihn aus meinem starken Griff, kam meinem Gegenüber mit dem Gesicht sehr, sehr nahe, dass ich das Funkeln in seinen Augen sehen konnte und flüsterte; “Ich dich auch. Ich liebe dich auch, Ryou”. Sein verwunderter Blick gab mir nur Bestätigung, dass er nun wusste, dass er der einzige für mich war. “Und nun komm, du brauchst neue Sachen”, ein schwaches Lächeln legte sich auf meine Lippen. Gerade, als wir uns Schuhe und Jacke anziehen sollten, blieb er stehen. “Welche Schuhe soll -”, er konnte seinen Satz nicht beenden, da ich ihm sofort ein Paar Schuhe unter die Nase hielt, die er anziehen hätte sollen. “Falls du dich fragst, warum ich plötzlich Sachen habe, die in deiner Größe sind und deinem Stil sehr ähneln; ich war heute Morgen bei deinem Vater”, ich klang sehr erfreut bei diesem Satz. Es war immer sehr nett, Herrn Bakura zu besuchen und etwas mit ihm zu plaudern. Er war ein solch verständnisvoller, gutherziger Mann. Das trägt Ryou wohl auch in sich. Als ich fertig angezogen war, beschloss ich eines: ich würde mich nicht dafür schämen, mit einem Mann zusammen zu sein. Jeder durfte es wissen, ich würde meine Liebe zu ihm nicht leugnen und ihn somit auf diese Art stark verletzen. Ich war stolz darauf, ihn haben zu dürfen. Die Leute würden sich so oder so nicht trauen, auch nur ein Wort in meiner Gegenwart darüber zu verlieren; sie wussten, dass ich nicht harmlos war. Meine kalte Seite hatte sich in ihr Gedächtnis gepflanzt. Meinen ersten Eindruck vergisst man nicht. Ich sperrte ab und drehte mich zu meinem Schützling; “Alles okay? Schaffst du es, bis zum Motorrad?”. Mein Fahrzeug stand geschätzte zwanzig Meter von uns entfernt. Ryou nickte, doch ich war mir nicht ganz sicher, ob er nicht doch Panik kriegen würde. - deshalb nahm ich seine Hand. Ich wollte ihm zeigen, dass ich immer bei ihm bleiben würde, bis seine Angst verschwunden war. Und dann noch länger. Kapitel 11: Linkskurven & Macht ------------------------------- Ryou’s Sicht: Seto hielt mich an der Hand und ließ erst wieder los, als wir die paar Schritte zum Motorrad gegangen sind. Gerade wollte er aufsteigen, als sein Handy läutete. Mit einer schnellen Bewegung zog er das Gerät heraus, drückte währenddessen auf ‘Anruf annehmen’ und hielt es sich zum Schluss ans Ohr. “Ja?”, kam es erwartend von ihm. Man hörte, dass eine weibliche Person am anderen Ende sprach. “Ich werde Ryou fragen und Ihnen Bescheid geben”, seine Stimme klang nun wesentlich freundlicher. Er legte kurz daraufhin auf und so schnell, wie er das Handy herausgeholt hatte, verschwand es auch wieder in seiner Manteltasche. “Heute Abend um acht an der Küste”, kam es mehr aussagend als fragend von ihm. Etwas missverstanden blickte ich zu Seto und wollte ihn daran erinnern, dass das vielleicht nicht einfach für mich werden würde. “Natürlich nur, wenn du möchtest”, fügte er hinzu, worauf ich mit den Schultern zuckte. Ich wusste wirklich nicht, welche Gefühle in mir aufsteigen würden, sobald ich im Dunkeln wieder in der Nähe des Wassers war. Wir beide stiegen auf das Motorrad. Seto überreichte mir den Helm und ich musste schwach lächeln, da er an meinem Ankunftstag ebenfalls keinen trug, als er davonfuhr. Es schien ihm wirklich vollkommen egal zu sein, nicht gut geschützt zu sein. Fast fiel ich von der Maschine, als Seto unerwartet Gas gab und bereits eine scharfe Kurve machte. Der Wind ließ meine Jacke flattern und roch etwas nach Sommerluft. Meine Haare wurden nach hinten geweht und die Welt raste nur so an uns beiden vorbei. “Warnen ist für dich auch ein Fremdwort”, scherzte ich, während ich stets gerade aus sah. Ich genoss die Fahrt und das Gefühl, mich an Seto festhalten zu dürfen. Meine Arme waren um seinen Bauch geklammert und mein Körper war gegen seinen Rücken gepresst. Es würde das erste Mal werden, dass ich in der Stadt mit Seto gesehen werden würde. Wir beide zusammen, vielleicht Hand in Hand. Das erste Mal, dass er mich vielleicht stolz herzeigen würde. Das erste Mal, dass ich vielleicht wen hatte, der mich als Bereicherung sieht. “Beim Fahren nimmst du keine Rücksicht auf die Wunschgeschwindigkeit des Beifahrers, wie ich sehe”, rief ich, um den Lärm der Maschine zu übertönen. “Es ist noch nie etwas passiert - dafür habe ich zu gute Reflexe”, Setos Grinsen war deutlich herauszuhören. Manchmal konnte man gar nicht sagen, ob er ein großes Ego oder einfach nur Selbstbewusstsein hatte. Wenn er das - was immer es auch von den beiden war - nicht hätte, würde er nicht so dominant wirken, wie er es tat. Es passte schon, ich hätte Nichts an ihm ändern wollen. Die Fahrt war schnell und rasant, weshalb wir schon bald das Schrillen einer Sirene hinter uns hörten. “Kaum ist man in der Nähe des Zentrums, wird kontrolliert!”, jammerte er und drehte uns um ganze 180 Grad. Die Drehung schmiss mich fast vom Sattel und versetzte mich in einen total wirren Moment. Wir standen nun auf der linken Spur vor einem Auto, dessen Fahrer uns hysterisch anhupte. Das Polizeiauto fuhr schnurstracks weiter, ehe es Setos Eingriff bemerkte und prompt die Bremse zog. So plötzlich, dass den Polizisten das Auto dahinter direkt hineinfuhr. “Es wird Zeit”, Seto grinste und bevor man ihn fragen konnte, was er sich dabei dachte, drückte er bereits aufs Gas und fokussierte sich wieder auf seine Destination. “Machst du das öfter?”, fragte ich völlig entsetzt und emotional erschöpft. “Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie ich fahren soll”, gab er als Antwort und fuhr weiter, als wäre Nichts passiert. Ich musste mich erst einmal versichern, dass mein Herz noch schlug, bevor ich mich wieder auf die Fahrt konzentrieren konnte. Seto scheute sich nicht, erneut über dem Speedlimit zu fahren. Fest klammerte ich mich an ihn und versuchte mir zu merken, dass man bei Setos Fahrten mit allem Rechnen musste. Besser, dass man sich einen Ganzkörperschutz zulegt. Mit Lichtgeschwindigkeit erreichten wir das Stadtzentrum, in dem viele Bewohner bereits für Weihnachtsgeschenke shoppten. Die meisten liefen mit vollen Taschen und verzierten Verpackungen herum, die Hektik stand ihnen ins Gesicht geschrieben - dabei war es noch nicht einmal Dezember. Seto parkte sein Motorrad und plötzlich brach eine ungeheure Stille herein. Alle Augen waren auf uns gerichtet, die Münder blieben geschlossen. “Steig’ ab”, sagte er mir, nachdem er selber schon auf den Füßen stand. Vorsichtig ging ich von der Maschine runter und stellte mich schüchtern neben Seto, welcher mit einem kühlen Blick in die Augen unserer Mitmenschen starrte. Er musste seine Dominanz zum Vorschein bringen, da er nun mit mir gesehen wurde. Er musste die Leute daran erinnern, wer er war. Dann nahm er mich an die Hand und führte mich mit sich mit. Als wären wir ein höherer Rang, gingen uns die Menschen aus dem Weg und ließen uns Vortritt. Seto grinste frech und zog mich mit sich hinterher. Niemand sagte etwas - niemand traute sich, ein Wort darüber zu verlieren, dass der Küstenanführer einen Mann an der Hand hatte. Dass er sich schwul verhielt. Seto hatte sich wirklich einen Namen hier gemacht. Er durfte es sich leisten, so gesehen zu werden, ohne seinen Ruf zu verlieren. Es war genau so, wie ich es mir gedacht hatte. Seine Anerkennung war schon zu hoch dafür, dass er an Macht verlieren könnte. Wir betraten das Einkaufszentrum, in welchem ich mit meinem Vater war. Die Geschäfte waren alle sehr voll und es herrschte Gedrängel. Ich fragte mich, ob es ein langwieriger Prozess werden würde, neue Klamotten und ein neues Handy zu bekommen. Wenn ich aber auf eines verzichten hätte müssen, wären es die Klamotten gewesen, immerhin musste ich meinen Vater ja noch erreichen können. Seto blieb stehen, drehte sich zu mir und fragte mich mit funkelnden Augen; “Wo magst du zuerst hin, Kleiner?”. Ich musste mich kurz sammeln, da diese liebliche, zarte Reaktion total unerwartet war. Den anderen gegenüber verhielt er sich hochnäsig, mich aber behandelte er vorsichtig. “Ich will dir keine kostenspieligen Umstände machen. Wo dürfen wir hin?”, meine Stimme war etwas lauter, damit er mich gut verstand. In unserem Umkreis starrten die Leute stumm, etwas weiter weg aber war üblicher Einkaufszentrumlärm. Irgendwie hatten die Küstler Recht - die Leute vom Stadtzentrum waren anders als die von der Küste. Sie waren von innen heraus gestresster und nervöser. “Für dich ist mir Nichts zu teuer”, verriet mir der Braunhaarige und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Man hörte einige erschrockene Laute, ehe sich Seto von mir abwandte; “WAS GIBT’S HIER SO BLÖD ZU GLOTZEN?!”. Augenblicklich löste sich die Ansammlung von Schaulustigen auf. Sie hatten solche Angst. Manche schubsten sich sogar, um schneller weg zu kommen. Es war für mich ziemlich faszinierend, wie sich Setos Ausstrahlung durchsetzen konnte. Seine strenge Stimme und der eisige Blick verscheuchte Menschen in Sekundenschnelle. Er hatte Macht. Ich fühlte mich sehr geborgen und gut beschützt, dadurch, dass ich bei jemandem war, der nicht zuließ, dass mich jemand Schaden zufügt. Ich fühlte mich sicher und geliebt. Seto hätte es nie so weit kommen lassen, dass mich jemand auch nur blöd ansprach oder mich leicht rempelte. Alle, die näher als fünf Meter waren, fühlten sich bereits in Gefahr und suchten den kürzesten Weg weg. Ich war in guten Händen. “Ich brauche auf jeden Fall ein neues Handy”, meine Augen sahen tief in seine. “Kein Problem”, er nahm mich wieder an die Hand und führte mich in ein Handygeschäft. Ich hatte keine hohen Ansprüche; ich brauchte nur eine Anruf- und Nachrichtenfunktion. Vom Design her war ich auch nicht wählerisch, weshalb ich mir das Nächstbeste aussuchte. Auf den zweiten Blick erkannte ich, dass dieses Sechsundzwanzigtausend Yen kostete, doch ohne mit der Wimper zu zucken, nahm Seto das Modell und verlangte ein neu eingepacktes Produkt, welches er sofort entgegennahm und an der Kassa bezahlte. Gleich darauf wurde es vom Kassierer in ein Sackerl getan und Seto überreicht. Wir verließen den Laden. Die Abwicklung ging so schnell, dass ich noch einmal ins Sackerl blickte, um zu sehen, ob wir das Modell tatsächlich schon gekauft hatten. Es war ein dunkelgraues Smartphone. “Vierzigtausend Yen Guthaben müssten für deinen Aufenthalt reichen, oder?”, wollte er wissen und reichte mir mein Geschenk. “D-das ist mehr, als genug! Danke!”, ich fiel ihm um den Hals und drückte ihn fest an mich. Ich roch sein Parfum und verfiel für einen Moment in eine Art Trance. Seto roch wieder einmal sehr verfüherisch und anziehend. Ich kuschelte mich in seinen glatten Ledermantel, der glatt und etwas kühler war. Gleich darauf spürte ich, wie mein Kopf gestreichelt wurde, ehe man die Stille um uns herum wieder bemerken konnte. Ja, es ist außergewöhnlich, nicht wahr, ihr Menschen? Es ist außergewöhnlich, den großen Küstenanführer im Einkaufszentrum mit seinem neuen Freund zu sehen. Mit dem Freund, dem ihr kein einziges Haar krümmen dürft. Da stand ich mit dem gutaussehenden Typen von der Küste, der mich Anfangs mit einem mörderischen Blick ansah. Mit dem Mann, der mich vom ersten Augenblick an faszinierte. Der im Laternenlicht wie Kunst aussah und eine unglaubliche Ausstrahlung hatte. Mit demjenigen, der mir von Beginn an den Atem raubte. Und er beschützte mich. Seto’s Sicht: Ich hielt Ryou an der Hand und ließ erst wieder los, als wir die paar Schritte zum Motorrad gegangen sind. Gerade wollte ich aufsteigen, als mein Handy begann, zu klingeln. Mit einer schnellen Bewegung zog ich das Gerät heraus, drückte währenddessen auf ‘Anruf annehmen’ und hielt es mir schließlich ans Ohr. “Ja?”, kam es erwartend von mir. Mai war dran. Sie erzählte mir, dass wir uns heute wieder alle an der Küste treffen würden und dass ich diesmal den Alk besorgen sollte. “Ich werde Ryou fragen und euch Bescheid geben”, antwortete ich mit einer freundlichen Stimme. Kurz darauf legten wir auf und ich steckte das Handy so schnell, wie es gekommen war, wieder zurück in meine Manteltasche. “Heute Abend um acht an der Küste”, kam es mehr aussagend als fragend von mir. Etwas missverstanden blickte Ryou mich an und wirkte nervös. “Natürlich nur, wenn du möchtest”, fügte ich hinzu, worauf Ryou mit den Schultern zuckte. Er war immer noch skeptisch gegenüber der Hoffnung, sich vom Trauma zu erholen. Eines aber war mir klar: Ich würde alles dafür tun, um ihm das bestmögliche Gefühl von Geborgenheit zu geben. Wir beide stiegen auf das Motorrad und ich übergab Ryou den Helm. Mir persönlich war es egal, ob ich nun einen Schutz trug oder nicht, da ich noch nie einen Unfall gebaut hatte. Ryou jedoch konnte ich nicht ohne Helm mitfahren lassen. Gleich die erste Sekunde, nachdem ich Gas gab, machte ich eine scharfe Linkskurve. Der Wind ließ unsere Jacken flattern und es roch etwas nach Sommerluft. Die Welt raste nur so an uns vorbei, in mir stieg ein Gefühl von Euphorie auf. Ich liebte es, schnell mit meiner Maschine unterwegs zu sein und die Umgebung auszublenden. “Warnen ist für dich auch ein Fremdwort”, scherzte Ryou, der sich fest an mich geklammert hatte. Sein zierlicher Körper war gegen meinen Rücken gepresst, er fand Komfort darin. Noch während der Fahrt war mir klar, dass ich Ryous Hand auf jeden Fall halten wollte. In der Öffentlichkeit, vor allen Leuten. Er war mir nicht peinlich, er ruinierte keineswegs meinen hart erarbeiteten Ruf, ganz im Gegenteil; ich war stolz darauf, ihn mein nennen zu dürfen. “Beim Fahren nimmst du keine Rücksicht auf die Wunschgeschwindigkeit des Beifahrers, wie ich sehe”, rief Ryou, um den Lärm der Maschine zu übertönen. “Es ist noch nie etwas passiert - dafür habe ich zu gute Reflexe”, mein Grinsen war deutlich herauszuhören. Mag schon sein, dass es arroganter klang, als ich es eigentlich meinte, doch meiner Meinung nach hätte es niemand abstreiten können. Ich war zwar für mein schnelles Fahren bekannt, aber niemand fühlte sich am Rücksitz unwohl, da alle wussten, dass ich wusste, was ich tue. Um keinen Preis der Welt würde ich meinen Freunden Schaden zufügen. Schon bald hörten wir, wie ich es bei Fahrten ins Zentrum öfters gewohnt war, das Schrillen einer Sirene. “Kaum ist man in der Nähe des Stadtzentrums, wird kontrolliert!”, jammerte ich und drehte uns um 180 Grad. Die Drehung schmiss Ryou beinahe aus dem Sattel, doch auch hier war ich mir zu hundert Prozent sicher, dass er sich fest genug halten würde, um nicht wegzukippen. Wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, hätte ich es nie riskiert. Ryous Wohlergehen hatte Vorrang. Immer. Wir standen nun auf der linken Spur vor einem Auto, das uns hysterisch anupte. Das Polizeiauto fuhr schnurstracks weiter, ehe es meinen Eingriff bemerkte und prompt die Bremse zog. So plötzlich, dass den Polizisten das Auto dahinter direkt hineinfuhr. “Es wird Zeit”, ich grinste und bevor mich mein Schützling fragen konnte, was ich mir dabei dachte, drückte ich bereits aufs Gas und fokussierte mich auf meine Destination. “Machst du das öfter?”, fragte der Kleine völlig entsetzt und emotional erschöpft. “Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie ich fahren soll”, gab ich als Antwort und fuhr weiter, als wäre Nichts passiert. Kurz lachte ich schadenfreudig auf, als ich mir das Bild des kaputten Polizeiautos in Erinnerung rief. Ich scheute mich nicht davor, erneut über dem Speedlimit zu fahren. Ryou kapierte, dass er nun bei jeder Fahrt mit mir damit rechnen musste, dass solche Spontaneingriffe passieren könnten; er drückte sich fester an mich. Es tat gut, ihn so nah an mir zu haben. In innerhalb von einigen Minuten erreichten wir das Stadtzentrum, in dem viele Bewohner bereits für Weihnachtsgeschenke shoppten. Die meisten liefen mit vollen Taschen und verzierten Verpackungen herum, die Hektik stand ihnen ins Gesicht geschrieben - dabei war es noch nicht einmal Dezember. Ich parkte das Motorrad, worauf die gewohnte Stille eintrat. Alle Augen waren auf uns gerichtet, die Münder blieben geschlossen. “Steig’ ab”, sagte ich meinem Freund, nachdem ich selber schon auf den Füßen stand. Vorsichtig ging er von der Maschine runter und stellte sich schüchtern neben mich, während ich mit einem kühlen Blick in die Augen unserer Mitmenschen starrte. Ich musste mein Erscheinungsbild und meinen Rang aufrechterhalten. Nur so konnte ich Ryou vor schlechten Einflüssen beschützen. Ich durfte es mir auf keinen Fall leisten, vor den Stadtzentris weich zu werden; ich musste die Leute daran erinnern, wer ich war. Sofort nahm ich Ryou an die Hand und führte ihn mit mir mit. Wie üblich gingen uns die Menschen aus dem Weg und ließen uns Vortritt. Frech grinste ich und zog Ryou mit mir her. Niemand sagte etwas - niemand traute sich, ein Wort darüber zu verlieren, dass der Küstenanführer einen Mann an der Hand hatte. Dass er sich schwul verhielt. Keiner benutzte seine Stimmbänder auch nur fürs Flüstern - diese Macht hatte ich mir erkämpft. Meine Anerkennung war schon viel zu hoch dafür, dass sich durch die Beziehung mit Ryou was daran ändern würde. Und das war gut so. Wir betraten das Einkaufszentrum, in welchem ich eher selten war. Die Geschäfte waren alle sehr voll und es herrschte Gedrängel. Die Leute waren durch den vorzeitigen Weihnachtsstress schon alle komplett wirre im Kopf geworden. Das war eine der Dinge, die ich an den Stadtzentris nicht leiden konnte: diese Hektik, dieser Stress, der anscheinend biologisch bei denen bedingt war. Als hätten sie zu viele Tassen Kaffee auf einmal getrunken, rannten sie alle ineinander rein. Wie jämmerlich. Ich drehte mich zu Ryou, sah in sein schönes Gesicht und fragte ihn mit funkelnden Augen; “Wo magst du zuerst hin, Kleiner?”. Er musste sich kurz sammeln, da meine liebliche, zarte Reaktion total unerwartet für ihn war - immerhin sah er bei unserer Ankunft den kühlen, gleichgültigen Seto und nun aufeinmal zeigte ich ihm wieder, dass ich sehr wohl ein Herz besaß. Es war verständlich, dass er für einen Moment überfordert war. “Ich will dir keine kostenspieligen Umstände machen. Wo dürfen wir hin?”, seine Stimme war etwas lauter, damit ich ihn gut verstand. In unserem Umkreis starrten die Leute stumm, etwas weiter weg aber war üblicher Einkaufszentrumlärm. Amüsiert und schadenfreudig machte ich mich innerlich über die nervösen Gesichter hier lustig. Ihr macht euch den Stress nur selber, ihr Witzfiguren. “Für dich ist mir Nichts zu teuer”, kam ich wieder auf Ryou zurück und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Man hörte einige erschrockene Laute, ehe ich mich zu ihnen wandte; “WAS GIBT ES HIER SO BLÖD ZU GLOTZEN?!”. Augenblicklich löste sich die Ansammlung von Schaulustigen auf. Sie hatten Angst und schubsten sich, um schneller weg zu kommen. Sie kannten meinen kühlen Ton bereits, doch wenn ich anfing, zu schreien, wussten alle, wie gefährlich das für sie enden hätte können. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals miterlebt zu haben, wie sich jemand traute, zurückzureden. Nach meinen Warnungen herrschte immer Totenstille unter Fremden. An diesem Tag war ich besonders leicht zu reizen, da es schon zu viel gewesen wäre, wenn man Ryou ein einziges seiner schönen Haare gekrümmt hätte. Keiner von diesen Idioten hätte es wagen sollen, meinen Liebling auch nur blöd anzureden oder ihm komische Blicke zuzuwerfen. Ich habe ihm Schutz und Geborgenheit versprochen, die ich ihm auch um jeden Preis geben wollte. Er war bei mir in guten Händen. “Ich brauche auf jeden Fall ein neues Handy”, seine braunen Augen blickten tief in meine. “Kein Problem”, ich nahm ihn wieder an die Hand und führte ihn in ein Handygeschäft, das ich bereits kannte. Es war mit Weihnachtsschmuck dekoriert, sauber und übersichtlich. Die Handymodelle hingen geordnet an der Wand, welche Ryou genau erkundete. Er suchte sich spontan eines aus, schien dann jedoch etwas blass zu geworden zu sein, nachdem er auf den Preis von Sechsundzwanzigtausend Yen blickte. Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm ich das Modell und verlangte ein neu eingepacktes Produkt, welches ich sofort entgegennahm und an der Kassa bezahlte. Gleich darauf wurde es vom Kassierer in ein Sackerl getan und mir überreicht. Wir verließen den Laden. Das alles ging Ryou wahrscheinlich viel zu schnell, weshalb er noch einmal ins Sackerl blickte, um zu sehen, ob sein neues Handy tatsächlich schon gekauft wurde. Es war ein dunkelgraues Smartphone. “Vierzigtausend Yen Guthaben müssten für deinen Aufenthalt reichen, oder?”, wollte ich wissen und reichte ihm sein Geschenk. “D-das ist mehr, als genug! Danke!”, er fiel mir um den Hals und drückte sich fest an mich. Ich roch sein Parfum und verfiel einen Moment in eine Art Trance. Ryou roch wieder einmal sehr verführerisch und anziehend. Er kuschelte sich in meinen glatten Ledermantel, der von der Fahrt etwas kühler geworden war. Sanft streichelte ich über den Kopf des Weißhaarigen, ehe man die Stille um uns herum wieder bemerken konnte. Ja, es ist außergewöhnlich, ihr angespannten Hohlköpfe, nicht wahr? Es ist außergewöhnlich, den großen Küstenanführer im Einkaufszentrum mit seinem neuen Freund zu sehen. Mit dem Freund, dem ihr gefälligst kein einziges Haar krümmen dürft. Da stand ich mit dem engelsgleichen Geschöpf, das mir Anfangs die Faszination und gleichzeitig die Wut in meinen Adern spüren ließ. Der Kleine, der mich von Anfang an anzog. Der schüchterne Sohn eines Kollegen, der mit von Beginn an den Atem raubte. Und ich liebte ihn. Kapitel 12: Gefahren & Herausforderungen ---------------------------------------- Ryou’s Sicht: Er hat es wirklich getan. Er hat mir einfach so ein neues Handy gekauft. Ich traute mich gar nicht, ihn daran zu erinnern, dass ich ein paar neue Klamotten brauchte. Eigentlich war es schon in Ordnung - das hatte keine Eile. Dad würde ohnehin mit mir shoppen gehen. Irgendwann, wenn ich es geschafft hatte, mich für mindestens einen Tag von Seto zu trennen… “Das Hemd, das dir eingegangen ist, kriegst du hier nicht. Das können wir ein anderes Mal besorgen. Willst du sonst noch etwas?”, Seto hielt meine Hand und an uns liefen stumme Passanten vorbei. Ob ich noch etwas wollte? Ich hatte das Gefühl, dass er mir das ganze Einkaufszentrum gekauft hätte, wenn ich es gesagt hätte. Es schien ihm wirklich Nichts zu teuer gewesen zu sein. Das schmeichelte mir. Ich schüttelte den Kopf. Daraufhin zog er leicht an meiner Hand und wir gingen in Richtung Trafik. Gerade wollte Seto hinein, als sein Handy klingelte. Er hob ab, klemmte es sich zwischen Ohr und Schulter und telefonierte mit Mai. Aus seiner Manteltasche holte er seine Geldbörse, drückte mir diese in die Hand und meinte nur ganz flüchtig zu mir; “Drei Packungen Zigaretten - die mit Vanillegeschmack”. Er war ins Gespräch vertieft. Ich konnte mir vorstellen, dass Mai ziemlich emotional gewirkt hat. Vielleicht sogar eifersüchtig. Ich konnte nicht sagen, ob ich Schuldgefühle hatte. Jedenfalls war ich glücklich, an Setos Seite zu sein. Mit Setos Geldbörse ging ich in die Trafik und stellte mich an der Schlange an. Es waren vier Leute vor mir, im kleinen Geschäft war es somit eng. Hinter mir sammelten sich zwei weitere Leute. Als ich dran war, räusperte ich mich, da viel Lärm von draußen kam. “Drei Zigarettenpackungen mit, äh - Vanillegeschmack, bitte”, ich lächelte, war mir aber nicht sicher, ob man beim Zigarettenkaufen überhaupt lächeln sollte. Sah das zu komisch aus? Die Kassiererin fragte nach meinem Ausweis, während der Mann hinter mir begann, zu lachen; “Du willst Zigaretten kaufen? Du siehst aus, wie zehn!”. Ich fühlte mich angegriffen und wusste nicht, wie ich reagieren hätte sollen. Außerdem hatte ich meinen Ausweis bei Dad und Setos Ausweis wäre etwas unseriös gewesen… Der Mann hinter mir drehte mich mit einem Handgriff zu ihm und lachte spöttisch. “Der nächste soll sich anstellen, der Kleine hier darf noch nicht einmal Zigaretten bekommen”, hänselte er mich und zog mich aus der Reihe. Tatsählich ging der nächste zur Kassa und tätigte seine Bestellung. Man nahm mich wirklich nicht ernst. “Kauf’ dir Vanillebonbons im Supermarkt und lauf zu deiner Mami”, er sah mich abwertend an. Es war ein größerer Mann mit kurzen schwarzen Haaren, einem drei Tage Bart und einer braunen Lederjacke. Erinnerte an einen Biker. “Sie können das doch nicht einfach so von sich behaupten!”, erhob ich meine Stimme und klang sehr beleidigt. “Ich darf, was ich will”, redete er zurück und zerrte mich aus dem Geschäft. Dabei fel mir Setos Geldbörse auf den Boden, woraufhin ich Paik bekam. Da war sein ganzes Geld drinen! Sein Ausweis, sein Bargeld, seine Kreditkarte(n) und wahrscheinlich noch vieles mehr… Vergeblich versuchte ich, mich loszubekommen, doch der Griff des Mannes war stäker. “Du kleiner Rotzlöffel -”, begann er, ehe Setos bedrohliche, dominante Stimme ertönte; “Du Schleimbeutelässt meinen Freund jetzt sofort los, oder es knallt”. Seto stand mi verschränkten Arme vor uns und blickte dem Mann gefährlich in die Augen. Sofort wurde ich losgelassen und atmete erst einmal wieder durch. In Windeseile lief ich die paar Schritte zurück und klaubte Setos Gelbörse auf. “D-dein Geld”, reichte ich ihm das Täschchen, worauf er es swortlos entgegennahm und einen Arm um mich legte. Sein Blick wandte sich nicht vom Schwarzhaarigen ab. “Ich mag es gar nicht, wenn man mich daran hindert, meine Zigaretten zu bekommen. Noch weniger mag ich es, wenn man meinem Schützling gegenüber gewalttätig wird”, seine Stimme klang nicht aggressiv, aber äußerst bedrohlich. Sein Gegenüber schauderte. Und bevor er sich versah, spürte er Setos Faust im Gesicht. Seto beließ es bei einem Schlag und forderte ihn auf, ihm nun seine ersehnten Zigaretten zu besorgen. “Es macht dir doch Nichts aus, wenn es auf dich geht, oder?”, grinste er frech und wusste die Antwort bereits. Der Unbekannte blutete aus der Nase und ging noch einmal in die Trafik. Die Menschen um uns herum griffen nicht ein. Wie es aussah, wussten alle, dass Seto Kaiba nur handgrifflich wurde, wenn es wirklich gerecht war. Niemand rief einen Polizisten oder versuchte, Seto zurückzuhalten. Mir war nicht bekannt, wie er sich hier immer verhielt, bevor ich ihn kennenlernte. Ich wusste nicht, wie genau er sich seinen Namen machte; ob er allein durch sein Verhalten so viel Anerkennung erhielt, oder ob er eben auch ab und zu Mal die Fäuste sprechen ließ. Der Mann kehrte mit drei Packungen zurück und reichte sie ganz vorsichtig meinem Freund. “Danke”, kam es emotionslos von Seto, der gleich noch einmal zuschlug. Der Unbekannte fiel sofort auf die Knie und hielt sich die Nase. “Ich hoffe, sie ist gebrochen”, waren die letzten Worte meines Freundes, der mich danach weg von diesem Ort zog. Ich war überfordert und begann, zu weinen. Seto blieb sofort stehen und drehte sich zu mir, beugte sich ein Stück hinunter; “Was kann ich tun, damit es dir besser geht?”. Einige Tränen flossen und ich antwortete nicht. Mir kam Nichts in den Sinn, das mir in diesem Moment geholfen hätte. Seto wischte mir die Tränen weg und küsste meine Stirn. “Es tut mir Leid, es war meine Schuld. Ich hätte dich bei diesen dummen Stadtzentrumleuten nicht alleine lassen dürfen. Vergib mir”, er sah mich mit einem Stich von Reue an. Er suchte nach Vergebung. Er wollte, dass ich ihm verzeihe. Es war ihm wichtig, dass ich es tat - dass ich ihm verzieh und nicht länger traurig darüber sein musste, dass er das zugelassen hat. Eigentlich aber gab ich nicht ihm die Schuld dafür - das hätte jedem passieren können, der jünger aussah, als er wirklich war. “Es ist nicht deine Schuld. Es ist schon in Ordnung”, behauptete ich und bemühte mich, zu lächeln. “Was wollte Mai eigentlich?”, wollte ich wissen. “Sie hat nur gesagt, dass ich heute an der Reihe bin, den Alk zu kaufen”, informierte er mich und küsste meine Wange. Ich war wieder bereit, weiter zu gehen. So betraten wir den Supermarkt und begaben uns in die Weinsektion. Viele verschiedene Flaschen waren zur Auswahl dargestellt. “Trinkst du heute mit?”, fragte Seto, um die Auswahl des Kaufs zu berücksichtigen. Er fragte, ob ich heute mittrinken würde. Er hatte sich meinen Satz bei unserem ersten aktiven Treffen gemerkt: “Ich trinke keinen Alkohol!”. Es brachte mich zurück zum ersten Augenkontakt. Als er mich am Kragen packte und sein Parfum in die Nase sog. Als die Schärfe seiner saphirblauen Augen in meine drang. Als seine starke Stimme in meinen Ohren schrillte. Eine Gänsehaut überkam mich. Normalerweise trank ich keine alkoholischen Getränke. Erstens schmeckten sie mir nicht und zweitens hatte ich Angst, die Kontrolle zu verlieren, wenn ich zu viel getrunken hätte. Ich war nämlich der Meinung, dass ich nicht viel vertragen würde. Doch Seto, Seto schien Alkohol erst in sehr großen Mengen was auszumachen. Er war fast immun. Ich fragte mich, ob die Zigaretten und das Trinken seinen Gesundheitszustand erachtlich schädigen würden. Das würde mich traurig machen. Ich stand da und wusste keine richtige Antwort, konnte mich nicht entscheiden. Sollte ich trinken oder nicht? Gab es überhaupt eine Gefahr, dass mir was passieren würde, wenn Seto dabei war? Ich entschloss mich, ihm zu vertrauen; “Ich trinke mit”. Ich klang selbstsicher, jedoch tummelte sich etwas Ängstlichkeit in mir. Der Braunhaarige griff zwei Flaschen Rotwein und eine kleine Flasche Sekt mit einem niedrigen Prozentsatz - höchstwahrscheinlich für mich. Es war herzerwärmend, wie er extra Acht auf meine Bedürfnisse gab. Er wollte mich nicht überfordern. Ich fragte Seto, ob ich ihm eine Flasche abnehmen sollte, doch er meinte, dass es schon ginge und machte sich auf den Weg zur Kassa. Erst jetzt fiel mir auf, dass um uns keine Menschen standen, als wir in der Weinsektion waren. Ehrlich gesagt war es aber ziemlich plausibel - wer traut sich schon, einem wütenden Seto Kaiba in die Quere zu kommen? Nach dem Zahlen nahm Seto das Sackerl mit den Flaschen und wir verließen das Einkaufszentrum. Es war etwas kälter geworden, der Wind war sehr frisch und lebhaft. Die Flaschen wurden im Fach unterm Sitz verstaut. Der Helm wurde mir gereicht, ich setzte ihn ohne Worte auf und stieg aufs Motorrad. Die Haare des Küstenanführers wehten im Wind, was ihn noch attraktiver aussehen ließ. Als er sich sicher war, dass ich fest und sicher an meinem Platz saß, startete er die Maschine. Anders, als heute Morgen, wollte er sicher gehen, dass ich bereit war, bevor er den Motor startete. Er berücksichtigte noch die Situation von vorhin und wollte nicht, dass ich mit einem unerwarteten Start noch überforderter werde. “Du bist ein toller Freund”, rief ich gegen den Wind. “Ich liebe dich auch, Kleiner!”, Seto drückte aufs Gas und wir wurden schneller. Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und der Geruch von Setos Parfum drang in meine Nase. Bitte bleib’ immer da und beschütze mich. Seto’s Sicht: Ryou war jetzt erst einmal mit dem Wichtigsten versorgt. Wenn wir uns verloren hätten, wäre es schwer gewesen, ihn auf die Schnelle wiederzufinden. Klamotten waren zweitrangig, da er sowieso mit seinem Vater einkaufen gehen würde. Der Gedanke daran, von Ryou getrennt zu sein, verunsicherte mich etwas. “Das Hemd, das dir eingegangen ist, kriegst du hier nicht. Das können wir ein anderes Mal besorgen. Willst du sonst noch etwas?”, ich hielt seine Hand und an uns liefen stumme Passanten vorbei. Ich hätte Ryou gerne ein Eis gekauft oder etwas anderes, das ihm Freude bereitete. Da wir nun sicher sein konnten, dass er immer erreichbar war, mussten wir uns darüber keinen Kopf mehr machen und konnten uns nun zurücklehnen. Ryou schüttelte den Kopf, daraufhin zog ich leicht an seiner Hand und wir gingen in Richtung Trafik. Gerade wollte ich hinein, als mein Handy klingelte. Ich hob ab, klemmte es zwischen Ohr und Schulter und telefonierte mit Mai. Aus meiner Manteltasche holte ich meine Geldbörse, drückte ihm diese in die Hand und meinte ganz flüchtig; “Drei Packungen Zigaretten - die mit Vanillegeschmack”. Ich war ins Gespräch vertieft, Mai fragte mich öfter, ob ich heute verlässlich kommen würde. Sie machte sich Sorgen, weil sie dachte, vielleicht vernachlässige ich meine Freunde nun wegen Ryou. Sie hatte gar Angst, durch ihn ersetzt zu werden. Ich musste sie erst einmal beruhigen. “Mai, jetzt atme einmal tief durch”, riet ich ihr und wartete auf einen langwierigen Atmer - doch er kam nicht. “Nein, ich werde nicht tief durchatmen. Du nennst mich nicht einmal mehr ‘Kleine’!”, sie wollte mir nicht glauben, dass sie mir noch immer wichtig war. Ich konnte ihre Gedanken verstehen, da ich mich in der Zeit, wo ich mich um Ryou gekümmert habe, nicht von alleine bei ihr gemeldet habe. Jedoch war Mai in gesundem Zustand und somit nicht auf meine ständige Anwesenheit angewiesen - Ryou schon. “Ryou ging es wirklich grauenhaft”, gab ich ihr Auskunft. “Und ich war zufrieden damit, dass du keinen Finger gerührt hast, um mir zu schreiben?”, sie wollte es nicht einsehen und sah sich an erster Stelle. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie erfolgreich besänftigen konnte. “Ich will dich wirklich nicht verlieren. Sehen wir uns heute beim Lagerfeuer?”, Mai wirkte nun leiser, aber nicht beruhigter. “Wir sehen uns”, bestätigte ich und meinte, ich müsste Schluss machen. Der Tag war immerhin Ryou gewidmet und ich musste darauf Acht geben, ihn immer im Auge zu behalten. “Ich hab’ dich lieb”, hauchte sie in den Hörer. “Ich dich auch”, ich legte auf. Es ist so fremd geworden, ihr diese drei Worte zu sagen, denn die einzige Person, bei der es sich richtig anfühlte, war Ryou. Es hat sich so einiges verändert, seit ich Ryou begegnet bin. Gerade wollte ich mich etwas vom Grübeln wegen Mai befreien, als ich Ryous Stimme in der Trafik wahrnahm. Ich spickte hinein und sah, wie sich mein Kleiner mit einem Mann in die Haare geraten ist. “Ich darf, was ich will!”, sprach der Größere und zerrte meinen Freund aus dem Geschäft. Unglaubliche Wut kochte in mir, ich ballte die Fäuste. “Du kleiner Rotzlöffel-”, begann er, ehe meine bedrohliche, dominante Stimme ertönte; “Du Schleimbeutel lässt meinen Freund jetzt sofort los, oder es knallt”. Mit verschränkten Armen stand ich da und blickte dem Mann gefährlich in die Augen, jederzeit bereit, ihm eine Lehre für’s Leben zu erteilen. Sofort ließ er Ryou los, der erst einmal wieder durchatmete. In Windeseile lief er die paar Schritte zurück und klaubte meine Geldbörse auf. “D-dein Geld”, reichte er mir das Täschchen, worauf ich es wortlos entgegennahm und einen Arm um ihn legte. Mein Blick wandte sich nicht vom Schwarzhaarigen ab. “Ich mag es gar nicht, wenn man mich daran hindert, meine Zigaretten zu bekommen. Noch weniger mag ich es, wenn man meinem Schützling gegenüber gewalttätig wird”, meine Stimme klang nicht aggressiv, aber äußerst bedrohlich. Mein Gegenüber schauderte. Und bevor er sich versah, spürte er meine Faust im Gesicht. Ich beließ es bei einem Schlag und forderte ihn auf, mir nun meine ersehnten Zigaretten zu besorgen. “Es macht dir doch Nichts aus, wenn es auf dich geht, oder?”, grinste ich frech und wusste die Antwort bereits. Der Mann blutete aus der Nase und ging noch einmal in die Trafik. Die Menschen um uns griffen nicht ein. Alle wussten ganz genau, dass ich nur dann handgrifflich wurde, wenn es wirklich gerecht war. Niemand rief einen Polizisten oder versuchte, mich zurückhalten. Ich kann mich erinnern, dass ich die Leute, als ich hier herzog, immer vorgewarnt hätte, wenn sie frech zu mir waren. Da sie nicht hören wollten, mussten sie fühlen. Einige Vorfälle musste ich dann eben mit Fäusten regeln. Die Menschen haben es danach endlich verstanden - mit Seto Kaiba erlaubt man sich keine Scherze. Der Mann kehrte mit drei Packungen zurück und reichte sie mir ganz vorsichtig. “Danke”, kam es emotionslos von mir, bevor ich noch ein weiteres Mal zuschlug. Der Schwarzhaarige fiel sofort auf die Knie und hielt sich die Nase. “Ich hoffe, sie ist gebrochen”, waren meine letzten Worte, bevor ich Ryou weg von diesem Ort zog. Ryou war überfordert und begann, zu weinen. Ich blieb sofort stehen und drehte mich zu ihm, beugte mich ein Stück hinunter; “Was kann ich tun, damit es dir besser geht?”. Einige Tränen flossen und er antwortete nicht. Vielleicht kam ihm Nichts in den Sinn, das ihm im Moment geholfen hätte. Ich wischte Ryou die Tränen weg und küsste seine Stirn. “Es tut mir Leid, es war meine Schuld. Ich hätte dich bei diesen dummen Stadtzentrumleuten nicht alleine lassen dürfen. Vergib mir”, ich sah ihn mit einen Stich von Reue an. Ich suchte nach Vergebung. Ich wollte, dass er mir verzeiht. Es war mir wichtig, dass er es tat - dass er mir verzieh und nicht länger traurig darüber sein musste, dass ich das zugelassen habe. Wie konnte ich meinen Schützling nur diesen Idioten ausliefern. Und dann hat ihn dieser Schleimbolzen auch noch angegriffen. “Es ist nicht deine Schuld. Es ist schon in Ordnung”, behauptete Ryou und bemühte sich, zu lächeln. “Was wollte Mai eigentlich?”, wollte er wissen. “Sie hat nur gesagt, dass ich heute an der Reihe bin, Alk zu kaufen”, informierte ich ihn und küsste seine Wange. Er war wieder bereit, weiter zu gehen. So betraten wir den Supermarkt und begaben uns in die Weinsektion. Viele verschiedene Flaschen waren zur Auswahl dargestellt. “Trinkst du heute mit?”, fragte ich den Kleinen, um die Auswahl des Kaufs zu berücksichtigen.Ich hatte mir seinen Sazu bei unserem ersten Zusammentreffen sehr wohl gemerkt: “Ich trinke keinen Alkohol!”. Es brachte mich zurück zum ersten Augenkontakt. Als ich ihn am Kragen packte und mir sein Parfum in die Nase stieg. Als die Weichheit seiner braunen Augen in meine drang. Als seine dünne Stimme in meinen Ohren schrillte. Eine Gänsehaut überkam mich. So, wie Ryou aussah, konnte man fast schon erahnen, dass er die Finger von alkoholischen Getränken ließ. Er rauchte nicht und er trank nicht - er war viel zu unschuldig dafür. Wahrscheinlich vertrug er auch nicht besonders viel, der Kleine. Ein Glas und er wäre weg, schätzte ich mal. Ich hingegen konnte sehr viel in mich hineinkippen, auch der Zigarettenkonsum konnte bei mir ruhig mal höher sein. Wir waren so unterschiedlich. Ryou stand wie angewurzelt da und überlegte lange. Ich konnte seine Unsicherheit in seinen Augen ablesen. Er hatte etwas Angst und wusste nicht Recht, ob er ein Risiko eingehen würde, wenn er sich entschied, mitzutrinken. “Ich trinke mit”, sagte er dann letztendlich, sogar in selbstsicherem Ton. So griff ich mir zwei Flaschen Rotwein und eine kleine Flasche Sekt mit niedrigem Prozentsatz - natürlich für Ryou. Immerhin hätte ich es mir nie verziehen, wenn ich ihn überfordert hätte. Ryou fragte, ob er mir eine Flasche abnehmen sollte, worauf ich verneinte. Selbst bei kleinen Dingen lasse ich mir nicht helfen. Wir machten uns auf den Weg zur Kassa, um die im Gegensatz zur Weinsektion viel mehr Menschen waren. Doch wer hätte schon den Mut, einem vor Wut kochenden Seto Kaiba zu begegnen? Nach dem Zahlen nahm ich das Sackerl mit den Flaschen und wir verließen das Einkaufszentrum. Es war etwas kälter geworden, der Wind war sehr frisch und lebhaft. Die Flaschen wurden von mir im Fach unterm Sitz verstaut. Ich reichte Ryou den Helm, der ihn ohne Worte aufsetzte und danach aufs Motorrad stieg. Meine Haare wehten leicht im Wind, was sie leicht zerzaust erscheinen ließ. Als ich mir sicher war, dass sich Ryou fest und sicher an seinem Platz befand, startete ich die Maschine. Anders, als heute morgen, wollte ich sicher gehen, dass Ryou bereit war, bevor ich den Motor startete. Ich berücksichtigte noch die Situation von vorhin und wollte nicht, dass mein Freund mit einem unerwarteten Start noch mehr aus der Fassung gebracht wird. “Du bist ein toller Freund”, rief Ryou gegen den Wind. “Ich liebe dich auch, Kleiner!”, ich drückte aufs Gas und wir wurden schneller. Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen - darauf habe ich gewartet. Meine ganze Mühe und mein ganzes Streben haben sich ausgezahlt. Es war nicht umsonst. Nicht umsonst. Ich liebte ihn. Kapitel 13: Sekt & Wein ----------------------- Ryou's Sicht: Es war kurz vor Acht und Seto kam gerade aus der Dusche. Er hatte ein weißes Handtuch um die Hüften gewickelt, seine nassen Haare hingen ihm teils ins Gesicht und seine blauen Augen wirkten klarer. Ich spürte, wie die Wärme des Badezimmers herausströmte. Seto duschte immer sehr heiß und der ganze Spiegel war danach beschlagen. "Du kannst rein", gewährte er mir Eintritt. Ich sog noch den dezenten Duft von Kokos ein, bevor ich ins Bad ging. Ich schaltete das Glätteisen an und ließ es erstmal warm werden. Ich rubbelte den Spiegel frei und betrachtete meine zerzausten Haare. Nach einer Spritztour mit Seto konnte man einfach nicht mehr gut aussehen. Er fuhr schnell, er machte scharfe Kurven und er bremste ruckartig. Es war aufregender, als eine Achterbahnfahrt. Bald würde es wieder so weit sein - das Treffen an der Küste. Ich fragte mich, wie die Gruppe auf mich reagieren würde - vor allem Mai. Ich fragte mich, ob alle gut nach Hause gekommen waren, nachdem das mit der Flut passierte. Ich fragte mich, ob es wieder passieren könnte. Als das Glätteisen heiß war, ließ ich meine Haare damit wieder etwas ordentlicher aussehen, bevor ich mir das Haarspray griff und meine Frisur fixierte. Konnte ich so gehen? Sah ich gut genug aus oder müsste ich mich heute extra schick machen, da nun alle wussten, dass ich Setos Freund war? Ich beschloss, erst einmal tief ein- und auszuatmen. "Ryou, bist du bald fertig?", kam es vom Braunhaarigen. "Wäre theoretisch schon fertig", antwortete ich und verließ das Bad. Mein Freund war bereits fertig angezogen und suchte sich ein Paar Schuhe aus. Seine Haare waren nur halbtrocken, was ihm einen frechen Touch verleihte. Den Wein hatte er vorbereitet. Etwas hektisch zog ich mir Jacke und Schuhe an, um mit Setos Geschwindigkeit mitzukommen. Letzten Endes standen wir beide dick eingepackt da und nickten uns gegenseitig zu - wir konnten los. Seto machte die Türe auf und gewährte mir Vortritt. Kalter Wind blies uns ins Gesicht, der Abend entfaltete seinen Charakter. Als wäre es bereits mein Motorrad, stieg ich automatisch drauf und wartete, bis Seto den Motor startete. Erpackte die Weinflaschen in das Fach und sprang gekonnt auf; "Setz' dir den Helm auf". Ein schwaches Lächeln zierte mein Gesicht; "Aber Hauptsache, du fährst ohne". Das war seine Art und die war auch gut so. Er startete die Maschine und die Kälte arbeitete sich in meine Knochen. Ich zitterte, litt aber nicht stark unter der Temperatur, da ich wusste, dass wir in einigen Minuten ankommen würden. In meinem Magen war ein Kribbeln zu spüren - bald würde es wieder so weit sein. Das Lagerfeuer, das Wasser und der Alkohol. Wobei das Wasser mir etwas Angst einflöste. Der Himmel war voller Sterne und der Mond war sichelförmig. Es war ein sehr klarer Nachthimmel, es hätte eine Szene eines Filmes sein können. Es waren einige Leute unterwegs, gingen aber nur spazieren und hatten keine Absicht, sich dem Wasser zu nähern. "Da wären wir", Seto bremste und parkte sein Motorrad. Vorsichtig setzte ich den Helm ab und stieg herab. Das Lagerfeuer war schon von Weitem zu sehen. "Na dann statten wir denen einen Besuch ab", Seto grinste und nahm alle Flaschen. Beide Hände hatte er nun voll und somit keine mehr für mich frei. Trotzdem ging er sehr nahe neben mir und streifte meinen Körper ab und zu mit seinem. "HEEYYYY!", schrie Joey und schien sich mehr über den Alkohol zu freuen, als über seinen Kollegen. Beide näherten wir uns der Gruppe, die bereits vollzählig war. Alle saßen gemütlich um das Lagerfeuer und schenkten uns freudige Blicke - alle, außer Mai. Diese saß mit Abstand zwischen Yami und Marik, die Hände verschränkt, der Blick ablehnend. Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Wie sollte ich mit ihr umgehen? Ich stoppte meine Schritte sofort, was Seto augenblicklich bemerkte. Er drehte sich um; "Hab' keine Angst. Ich werde mich um alles kümmern. Hab' keine Angst". Etwas skeptisch ging ich weiter, bis wir freundlich empfangen wurden. Alle waren gut gelaunt und bereit, Alkohol in sich zu kippen. Die Ishtars wärmten einander, Joey und Tristan blödelten herum, Yami redete mit Duke und Mai - Mai hätte keine ablehnendere Miene machen können. Sie war die Einzige, die mir mein Glück mit Seto nicht gönnen konnte. Die anderen waren wie beim ersten Treffen, Nichts war anders. Keine urteilenden Blicke, sie schienen sich sogar für uns zu freuen. Yami zeigte mir sogar einen Daumen nach oben und zwinkerte mir zu. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. "Alk für alle!", Seto teilte aus. Mir gab er den Sekt und schenkte mir ein warmes Lächeln. "Man sollte klein anfangen, Ryou. Richtig!", Marik scherzte und Ishizu schüttelte lachend den Kopf, bevor sie ihren Bruder mit dem Ellbogen in die Rippen stieß. Die zwei waren ein interessanter Kontrast. "Mai, Alk?", Seto sah sie prüfend an. "Nein, danke", sie sprach übertrieben langsam und deutlich. Die zwei sahen sich gefährlich in die Augen und schienen ganze Bände damit gesprochen zu haben. Die Spannung legte sich, als sie wegsah und uns keine Achtung mehr schenkte. Sie tat so, als würde sie die Sterne beobachten und interessant finden; dabei sah man ihr genau an, dass sie sehr von ihren Gedanken abgelenkt war. Ihre Lippen waren zusammengepresst und ihre Augen wanderten wild herum. Auch schien sie heute nicht so freizügig angezogen zu sein, wie sonst immer. Sie hatte wohl das Interesse dran verloren, Seto zu gefallen. "Auf uns!", rief Ishizu, ehe wir es ihr alle nachriefen. Wir öffneten alle die Flaschen und schon wurden die ersten Zigaretten angezündet - darunter fiel auch Seto. Er nahm mich in den Arm und rauchte. "Wenn es euch nicht stört", warf er ein. Man hörte das Klicken der Feuerzeuge. "Setzte ich mich mit Ryou weiter ans Wasser", alle nickten und niemand sprach dagegen. Mein Freund führte mich einige Meter weiter weg, wir kamen dem Meer näher. Wir setzten uns in den Sand und blickten übers unendlich scheinende Wasser. "Hast du Angst?", Seto streichelte meine Hand. "Mit dir nicht", ich lehnte mich gegen seine Schulter und machte einen Schluck aus meiner Flasche - das Zeug schmeckte mir aber leider überhaupt nicht, so stellte ich es beiseite. Ein Lchen war zu hören; "Willst du mal von meinem kosten?". Ich war mir nicht sicher, doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich immer beschützt werden würde. Mutig nahm ich die Flasche und machte ein paar Schlücke daraus. Komischerweise musste ich zugeben, dass der Wein gar nicht so schlecht schmeckte. Verlegen trank ich noch mehr. "Übertreib' nicht", der Braunhaarige grinste und nahm mir das Getränk weg. Kurz darauf kippte er es sich in den Mund. "Wer übertreibt hier?", lachte ich und entriss ihm die Flasche. Wir beide grinsten uns an und hörten dem Rauschen der Wellen zu. Es fühlte sich so richtig an, bei ihm zu sein und ihn mein nennen zu dürfen. Es fühlte sich so an, als könnte mir Nichts und Niemand weh tun. Als wäre ich wirklich, wirklich in guten Händen. Wer konnte sich denn jemals trauen, Seto Kaiba herauszufordern? Wie automatisch trank ich weiter und merkte erst wenig später, dass Schwindel einsetzte. Ich hielt kurz inne. "Oh, da verträgt aber wer wenig", veräppelte mich Seto und sah mich bemitleidend an. "Warte nur, bis es bei dir einsetzt!", erinnerte ich ihn schadenfroh. Ich hatte immer Angst davor, alkoholisches zu konsumieren. Ich hatte Angst davor, die Kontrolle zu verlieren und irgendeinen Blödsinn anzustellen. Davor, in der Früh aufzuwachen und zu erfahren, was in der Nacht davor Tragisches passiert ist. Aber in diesem Moment war alles perfekt. Mit jedem Schluck mehr drehte sich meine Welt um ein Stück schneller und alles war plötzlich so lustig. Dieses Gefühl gefiel mir, es war interessant für mich. Das Rauschen der Wellen und die Stimmen der anderen schienen so weit weg, als wäre es von einer anderen Dimension und mein Gleichgewichtssinn nahm stark ab. Ich war zwar an Setos Schulter gelehnt, aber ich konnte nicht gerade sitzen. "Ist es schon so weit?", ertönte es wenig überrascht vom Küstenanführer, der mich näher zu sich zog. Er hatte viel mehr getrunken, als ich und es zeigte allmählich auch bei ihm schon die Wirkung. Zwar nicht so stark, wie bei mir, aber doch. Oder er konnte es besser verstecken. Ab und zu musste auch er sich daran erinnern, wie man gerade saß und wie man Wörter mit mehreren Konsonanten deutlich aussprach, sodass man sie verstand. Ehrlich gesagt, fand ich Seto so immer noch attraktiv. Angetrunken und verwirrt - doch ich fand ihn trotzdem so wunderschön und einzigartig. Er versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, ihm fiel jedoch das Feuerzeug aus der Hand. "So ein Pech", meine Aussprache war schon total undeutlich. "Klappe", er grinste und grub danach. Ich wollte danach greifen, kippte dann aber auf die Seite. "Du Idiot", Seto half mir wieder auf. Die Welt drehte sich schneller, schwenkte hin und her und ich konnte meine Gedanken wie Echos hören. Die Flasche war bereits leer und lag im Sand. Und irgendwann habe ich die Sektflasche umgestoßen, man roch die Flüssigkeit sehr stark. Es war alles chaotisch und verschwommen, aber es war immer noch perfekt. Seto war immer noch perfekt. Seto's Sicht: Es war kurz vor Acht und ich kam gerade frisch aus der Dusche. Ich hatte ein weißes Handtuch um die Hüften gewickelt, meine nassen Haare hingen mir teils ins Gesicht und ich fühlte mich wohl. Ich liebte es, heiß zu duschen, sodass der gesamte Spiegel sich beschlug und der Dampf im gesamten Zimmer in der Luft lag. "Du kannst rein", sagte ich zu Ryou, der sich noch die Haare glätten musste. Ich ging ins Zimmer und zog mich an. Ryou wollte gut aussehen für das heutige Treffen. Er wollte einen guten Eindruck machen, als Freund vom Küstenanführer. Der Kleine war vielleicht sogar nervös. Nicht nur wegen des Meeres, sondern auch wegen der Gruppe. Wie sie auf ihn reagieren würden, wie sie ihn empfangen würden. Das war vorallem bei Mai die große Frage. Bei den anderen hatte ich aber ein gutes Gefühl. Sie respektierten mich und meine Entscheidungen, auch wenn ich manchmal Mist baute. Ich war ihr Anführer und sorgte mich um jeden einzelnen der Gruppe. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Ryou war mein Freund und das war nun mal so. Einen kurzen Moment fragte ich mich, ob alle gut nach Hause gekommen sind. Ob sie die Flut gut überstanden hatten. Einen Augenblick später aber verspottete ich mich fast für diese Frage - immerhin waren sie alle Küstler und wussten, wie man dem Wasser entkommt. Außerdem bin ich sicher gegangen, dass alle bereits weg waren, bevor mich die Wellen in ihren Bann ziehen wollten. "Ryou, bist du bald fertig?", kam es von mir. "Wäre theoretisch schon fertig", antwortete er mir und verließ das Bad. Ich war bereits komplett angezogen und suchte mir ein Paar Schuhe aus. Meine Haare waren nur halbtrocken, was mich jedoch nicht störte. Den Wein hatte ich vorbereitet. Was wäre eine Lagerfeuersitzung ohne Wein? Etwas hektisch zog sich mein Freund die Jacke und die Schuhe an, um mit meiner Geschwindigkeit mitzukommen. Letzten Endes standen wir beide dick eingepackt da und nickten uns gegenseitig zu - wir konnten los. Ich machte die Türe auf und gewährte Ryou Vortritt. Kalter Wind blies uns ins Gesicht, der Abend entfaltete seinen Charakter. Als wäre es bereits Ryous Motorrad, stieg er automatisch drauf und wartete, bis ich den Motor startete. Ich packte die Weinflasche in das Fach und sprang gekonnt auf; "Setz' dir den Helm auf". Ein schwaches Lächeln zierte sein Gesicht; "Aber Hauptsache, du fährst ohne". Er hatte Recht. Das war nun mal meine Art. Ich startete die Maschine und die Kälte machte sich spürbarer. Man konnte wahrnehmen, dass Ryou zitterte. Damit ihm die Kälte nicht all zu sehr zu schaffen machte, beschleunigte ich. Bald würde es wieder so weit sein. Das Lagerfeuer, das Wasser und der Alkohol. Und, nicht zu vergessen, das Meer. Der Himmel war voller Sterne und der Mond war sichelfärmig. Es war ein sehr klarer Nachthimmel, es hätte eine Szene eines Filmes sein können. Es waren wenig Leute unterwegs, sie spazierten den Weg entlang und hatten keine Absicht, sich dem Wasser zu nähern. Wir waren angekommen; "Da wären wir". Ich bremste und parkte meine Maschine. Vorsichtig setzte Ryou den Helm ab und stieg vom Motorrad. Das Lagerfeuer war schon von Weitem zu sehen. "Na dann statten wir denen einen Besuch ab", ich grinste und nahm alle Flaschen. Beide Hände hatte ich nun voll und somit keine mehr für Ryou frei. Trotzdem ging ich sehr nahe neben ihm und streifte meinen Körper ab und zu an seinem. "HEEYYYY!", schrie Joey und schien sich mehr über den Alkohol zu freuen, als über mich. Beide näherten wir uns der Gruppe, die bereits vollzählig war. Alle saßen gemütlich um das Lagerfeuer und schenkten uns freudige Blicke - alle, außer Mai. Diese saß mit Abstand zwischen Yami und Marik, die Hände verschränkt, der Blick ablehnend. Das hatte ich schon erwartet- Ich lachte kurz herablassend. Ryou stoppte seine Schritte sofort, was ich augenblicklich bemerkte. Ich drehte mich zu ihm um; "Hab' keine Angst. Ich werde mich um alles kümmern. Hab' keine Angst". Etwas skeptisch ging er weiter, bis wir freundlich empfangen wurden. Alle waren gut gelaunt und bereit, Alkohol in sich zu kippen. Die Ishtars wärmten einander, Joey und Tristan blödelten herum, Yami redete mit Duke und Mai - Mai hätte keine ablehnendere Miene machen können. Sie war die Einzige, die mir mein Glück mit Ryou nicht gönnte. Die anderen waren alle wie beim ersten Treffen; Nichts war anders. Keine urteilenden Blicke, sie freuten sich gar für uns. Yami zeigte uns sogar einen Daumen nach oben und zwinkterte uns zu. Mein Kleiner war etwas überfordert. "Alle für alle!", ich teilte aus. Ryou gab ich den Sekt und schenkte ihm ein warmes Lächeln. "Man sollte klein anfangen, Ryou. Richtig!", Marik scherzte und Ishizu schüttelte lachend den Kopf, bevor sie ihren Bruder mit dem Ellbogen in die Rippen stieß. Die zwei waren ein interessanter Kontrast. "Mai, Alk?", ich sah sie prüfend an. "Nein, danke", sie sprach übertrieben langsam und deutlich. Wir sahen uns gefährlich in die Augen und schienen ganze Bände damit gesprochen zu haben. Die Spannung legte sich, als sie wegsah und mir keine Achtung mehr schenkte. Die beleidigte Leberwurst tat so, als würde sie die Sterne beobachten und interessant finden, dabei sah man ihr genau an, dass sie sehr von ihren Gedanken abgelenkt war. Ihre Lippen waren zusammengepressr und ihre Augen wanderten wild herum. Auch schien sie heute nicht so freizügig angezogen zu sein, wie sonst immer. Madame hatte wohl das Interesse verloren, mir zu gefallen. "Auf uns!", rief Ishizu, ehe wir es alle nachriefen. Wir öffneten alle die Flaschen und schon wurden die ersten Zigaretten angezündet - darunter auch ich. Ich nahm Ryou in den Arm und rauchte. "Wenn es euch nicht stört", warf ich ein. Man hörte das Klicken der Feuerzeuge. "Setze ich mich mit Ryou weiter ans Wasser", alle nickten und niemand sprach dagegen. Ich führte meinen Freund einige Meter weiter weg, wir kamen dem Wasser näher. Wir setzten uns in den Sand und blickten übers unendlich scheinende Wasser. "Hast du Angst?", ich streichele Ryous Hand. "Mit dir nicht", er lehnte sich gegen meine Schulter und machte einen Schluck aus seiner Flasche - das war auch der einzige Schluck den er machte, er stellte das Getränk beiseite. Ich lachte; "Willst du von meinem kosten?". Er sah zuerst unsicher aus, doch dann griff er mutig zur Flasche und trank etwas daraus. Nach einer kurzen Pause kippte er noch mehr vom Wein in sich hinein. Schien ihm zu schmecken. Bei seinem zerbrechlichen Körper würde es nicht lange dauern, bis er lallen würde. "Übertreib' nicht", warnte ich ihn und nahm ihm grinsend das Getränk weg. Kurz darauf kippte ich es mir in den Mund. "Wer übertreibt hier?", lachte er und entriss mir die Flasche. Wir beide grinsten uns an und hörten dem Rauschen der Wellen zu. Es fühlte sich so richtig an, mit ihm hier zusammen zu sitzen und den Himmel zu betrachten. Er war meins und ich wollte ihn für immer beschützen. Niemand sollte ihm weh tun oder ihn mir wegnehmen. Doch seien wir mal ehrlich; wer traute sich schon, mich herauszufordern? Ryou trank wie automatisch weiter und es zeigten sich bei ihm erste Anzeichen des Alkoholkonsums. Er konnte seinen Kopf nicht mehr gerade halten. "Oh, da verträgt aber wer wenig", veräppelte ich ihn und sah bemitleidend zu ihm rüber. "Warte nur, bis es bei dir einsetzt", erinnerte er mich schadenfroh. Bei mir dauerte es aber immer länger, bis ich die Kontrolle komplett verlor. Bis ich mich an nächsten Morgen an Nichts mehr erinnerte. Jedoch war das schon sehr lange her, da ich immer auf Mai aufpasste. Ich wollte keinen Blödsinn mit ihr anstellen. Das war also eine Nacht seit Langem, in der ich wieder mehr trinken konnte. Mit jedem Schluck mehr geriet Ryous Gleichgewicht ein Stück weiter außer Kontrolle und alles war für ihn plötzlich amüsant. Es gefiel ihm, das Zeug zu trinken und wie sich die Welt dann schneller drehte. Ich erinnerte mich an das erste Mal, an dem ich mich betrank. Ich war fünfzehn. Es war noch in der Stadt. Meine erste Freundin saß neben mir und trank Whiskey. Doch das hier war anders; das hier war echter. Das hier war lebendiger. Das hier war geborgener. Ryou vermittelte mir das Gefühl, endlich alles richtig gemacht zu haben. Das war die erste Beziehung, in der ich mir nicht so dämlich vorkam. Niemand, der zu viel von mir erwartete. Viel später, aber doch, setzte der Wein auch bei mir ein. Ich habe viel mehr getrunken, als Ryou. Ich hatte schon lange nicht mehr gespürt, wie sich alles drehte und wie laut man seine eigenen Gedanken hörte. Es fiel mir schon schwer, Worte deutlich auszusprechen und nicht bei jedem Mist zu lachen. Mit Mühe versuchte ich, mir eine Zigarette anzuzünden, doch mir fiel das Feuerzeug aus der Hand. "So ein Pech", Ryous Aussprache war eine Katastrophe. "Klappe", ich grinste und grub nach dem Gegenstand. Ryou wollte danach greifen, kippte dann aber zur Seite. "Du Idiot", ich half ihm wieder auf. Die Welt war so verzerrt, schenkte hin und her und ich konnte mein Denken wie Echos hören. Die Flasche war bereits leer und lag im Sand. Und irgendwann hat Ryou die Sektflasche umgestoßen, man roch die Flüssigkeit sehr stark. Es war alles chaotisch und verschwommen, aber es war immer noch perfekt. Ryou war immer noch perfekt. Kapitel 14: Männerkörper & Berührungen -------------------------------------- Ryou's Sicht: Der Wein floss durch meine Adern, ich konnte schon lange nicht mehr richtig sprechen. Meine Körperteile bewegten sich teils unkontrolliert und ich drohte immer wieder, in den Sand zu fallen. Es war schon recht kalt aber ich fühlte mich so taub und abgestumpft, der Wind beeinflusste mich keineswegs. Wir hatten sogar unsere Jacken ausgezogen, da unsere Sinne so verwirrt waren. Er nahm mein Gesicht in die Hände und blickte mir tief in die Augen. Das Saphirblau glänzte selbst zu dieser dunklen Stunde. Er verwickelte mich in einen langsamen, leidenschaftlichen Kuss und fuhr mit seinen Händen immer weiter runter. Auf mir bildete sich eine Gänsehaut, ich spürte, dass er mehr vorhatte, als nur Küssen. Seine Fingerspitzen strichen über meine Arme, meine Hüften, meine Oberschenkel und letztendlich zwischen meine Beine. Ich zuckte. "Keine Angst", Seto kippte leicht nach links, fing sich aber wieder. Meine Sicht war eingeschränkt, meine Augenlider fühlten sich schwer an. Ich wusste nicht, ob uns jemand beobachtete oder ob wir ungestört weiter machen konnten. Die Gruppe saß zwar etwas weiter weg, aber ich konnte nicht einschätzen, ob sie uns noch genau sahen oder nicht. Ich drehte meinen schweren Kopf nach hinten, wollte die Lage checken, wurde aber von Seto daran gehindert. "Mach' dir keine Sorgen, Kleiner. Die trauen sich eh nicht, was zu sagen", behauptete er und begann wieder, mich zu küssen. Seto schmeckte nach Rotwein, doch das war völlig in Ordnung. Er hätte auch nach Pilzen schmecken können und es hätte mich nicht gestört. Ich genoss es immer, ihn zu spüren und ihn zu küssen, ganz gleich, was die Umstände waren. Der Geruch seiner Haut war für mich bereits etwas Vertrautes und seine Stimme klang wie Heimat. Das Wasser brauste sich auf und ließ uns kalte Luft spüren. Ein paar kleine Wellen brachen immer wieder am Ufer und bespritzten unsere Zehen, wir aber dachten nicht einmal daran, uns weiter weg zu setzen. Ehrlich gesagt dachten wir fast gar nicht. Alles war lustig. Alles außer der Partner, denn der war heiß. "Ich bin hier nämlich der Chef", Seto lachte und fiel fast zurück, hielt sich aber an mir fest. Er schwankte hin und her, konnte sich dann aber wieder auf mich konzentrieren. Seine Lider waren halb geschlossen und das Grinsen konnte er gar nicht mehr abstellen. Nichts desto Trotz wusste er immer noch, was er wollte: mich. Und dieses Ziel verlor er nicht aus den Augen. Seine Hand war in meinem Schritt, ich presste die Lippen zusammen. Er knetete mein Glied und brachte mich zum Stöhnen. Ich spürte, dass sich in meiner Hose etwas regte. Der Braunhaarige ging mit viel Zärtlichkeit an die Sache, obwohl er nicht mehr in der richtigen Verfassung zum klaren Denken war. Meine Zufriedenheit hatte aber höchste Priorität. Das machte mich glücklich. Er hätte genau so gut nur an sein sexuelles Verlangen und an sein Bedürfnis nach Befriedigung denken können, doch er schloss meine Gefühle mit ein. "Trau dich, Kleiner", grinste mein Freund, während er mir die Hose öffnete. "Oder willst du mir etwa sagen, dass du mir widerstehen kannst?", er sah mich an und hatte bereits in meine Hose gegriffen. "Es fällt mir schwer", gab ich zu und war aufgeregt. Ohne auf meine Antwort einzugehen, drückte er meinen Oberkörper leicht hinunter, bis ich den Sand in meinen Haaren spüren konnte. Dann legte er sich auf mich drauf und ließ mich wieder das schöne Blau sehen. Ich fühlte, dass Setos Glied auch steif war. Es drückte gegen meins. Meinen schweren Kopf drehte ich zur Seite und versuchte wieder, die anderen zu erkennen. Einerseits dachte ich mir, dass sie Nichts von dem mitkriegen würden, was ich und Seto taten, da sie a) betrunken waren, b) es dunkel war und c) wir noch dazu weiter weg waren. Andererseits dachte ich mir, dass man sowas nicht übersehen konnte. Ich meine, zwei Menschen, die eng umschlungen ihre Körper aneinander pressen... Es fühlte sich fremd an. Als ich mit Seto in einem Bett schlief fühlte es sich auch so neu und ungewohnt an, aber das hier war noch um Einiges fremder. Er lag auf mir und drückte seine Erregung gegen meine, das war nun mein erster sexueller Kontakt nach meinem ersten Kuss - beides mit der selben Person. Und es fühlte sich richtig an. Zwar kam es mir fremd vor, sowohl der erste Kuss als auch der Kontakt, jedoch fühlte es sich gleichzeitig an, wie Heimat. Es war Vertrautheit. Seto verschaffte mir immer diese Geborgenheit, die sich anfühlte wie Wärme, die einen umarmte. Wie Watte, die einem Komfort verschaffte, auch, wenn man stolperte und hinfiel. Watte, die einen vergessen ließ, was Kälte und Einsamkeit war. "Wenn uns wer sieht...", warf ich ein. Meine Gefühle waren ein Gemisch aus Angst vor dem nächsten Schritt und die Sicherheit, in guten Händen zu sein und alles vergessen zu können. Ich konnte mich nicht entscheiden. Doch als ich mich wieder auf seine Augen konzentrierte, wusste ich, was in diesem Moment wichtig war: wir. Vorsichtig versuchte ich, Setos Shirt hochzuschieben. Um es mir zu erleichtern, stützte er sich mit den Händen ab und lag nicht mehr komplett auf mir drauf. Mit einer Bewegung zog ich ihm das Kleidungsstück über den Kopf und warf es neben uns. Ich sah seine starken Arme, seine Brust und seinen Bauch im Mondlicht. Nun hatte ich freie Erlaubnis, seinen Körper zu betrachten, ohne, dass es in peinlicher Stille enden hätte können. Ich strich mit meinen Händen an seinen Brustmuskeln entlang, unser Blickkontakt schwand dabei nicht. Er sah mich an, als wäre ich das einzig Schöne in dieser Welt gewesen. Als hätte er nur mich haben wollen, obwohl er alle anderen haben hätte können. Es wärmte mir das Herz, so eine Wichtigkeit für jemanden erlangt zu haben. Solch ein Szenario spielte sich nicht einmal in meinen idealisiertesten Träumen ab. Und ehrlichgesagt fühlte es sich fast auch so an, wie einer. Es schien mir so unmöglich, dass es wen auf dieser Welt gab, der aus so einem perfekten Zusammenspiel aus Kälte und Wärme war. Es war für mich immer nur eine Gedankenspielerei, jemanden zu finden, der mir vom ersten Augenblick an den Atem rauben würde. Es schien mir so fern. So fremd. Seto setzte sich auf und zog mich zu sich hinauf. Etwas tollpatschig befreite auch er mich aus meinem Shirt. Zwei Männer oben ohne in einer frischen Novembernacht am Meer. Doch anstatt dass sich der Alkohol langsam wieder abbaute, schien er sich zu vervielfachen - wir zogen dem jeweils anderen auch noch die Hose aus. Setos Hose war ziemlich eng, weshalb ich auch etwas länger dafür brauchte. Und betrunken ging es noch viel schwerer, aber im Endeffekt saßen wir beide nur in Boxershorts im Sand und liebkosten einander. Unsere Lippen waren zwar schon rissig, aber uns hat es nicht gestört. Ich entschied mich dazu, mich zu trauen und griff in Setos Boxer. Meine Wangen liefen etwas rötlich an, als ich seinen großen Penis in meiner Hand spürte. "Er ist so groß...", flüsterte ich, rief es in Wahrheit aber laut aus. Die Jungs in meiner Schule redeten immer darüber, wie geil es doch war, eine Vagina zu berühren. Glitschig und weich, innen warm. Ich versuchte immer, es mir vorzustellen, glitt dabei aber immer wieder in die Fantasie, das Glied eines Mannes zu berühren, und zwar wirklich nur berühren. Ich kam nicht wirklich auf die Idee, mir Sex vorzustellen. Ich fühlte mich so, als ob es niemanden gab, der zu mir passen würde. Ich dachte mir immer, dass ich einen sensiblen Mann brauchte, damit er mich verstehen konnte. Einen einfühlsamen Mann, der all meine Emotionen nachvollziehen konnte. Und dann endete ich mit dem am kältesten scheinenden Typen der ganzen Stadt. Unerwartet stand der Braunhaarige aufeinmal auf. "Ich komme gleich wieder", versprach er und zog sich wieder an, drohte dabei immer wieder, in den Sand zu kippen. Ich sah ihm dabei zu, wie er seine Kleidung über seinen Körper streifte und musste schmunzeln. Seine Muskeln waren wunderschön und hätten nicht perfekter sein können. Am liebsten hätte ich in seine Armmuskeln reingedrückt. Als seine Haut wieder vollständig bedeckt war, machte er sich auf den Weg zu den anderen. Trotz des Alkoholspiegels schaffte er es halbwegs, so aufrecht und elegant zu gehen, wie immer. Hier und da ein paar Anzeichen auf seinen Zustand, aber es war wirklich nicht schlecht. Ich konnte ihn nicht mehr erkennen, meine Welt war noch immer sehr schwummrig. Ohne Seto war es plötzlich wieder kalt, plötzlich hatte der Wind wieder eine Auswirkung auf mich. Ich blieb aber so entblößt, wie mich mein Freund zugerichtet hatte, da er ja versprach, wieder zu kommen, um da weiter zu machen, wo wir aufgehört hatten. Die Minuten - oder besser gesagt, die gefühlten Stunden - vergingen und ich war immer noch alleine. Langsam wurde ich skeptisch und mein Körper zitterte unkontrolliert. Ich beschloss, mich wieder anzuziehen. Vorsichtig taumelte ich wieder zur Gruppe und fragte, wo Seto abgeblieben sei, da ich ihn nicht sah. Mai nahm meine Hand und führte mich etwas weiter weg. Sie blickte mir ernst in die Augen; "Ryou. Verstehst du mich noch? Verstehst du, was ich sage?". Ich nickte. Ich wollte schon fast sagen, dass ich nicht betrunken war und merkte, dass es stimmte, was man immer sagte: Wenn man einen Betrunkenen fragt, ob er betrunken ist, sagt er immer nein. "Seto ist nach Hause gefahren, er hat sich nicht mehr dazu verpflichtet gefühlt, sich um dich zu kümmern, da es dir schon besser geht. Er meinte, seine Arbeit ist getan", die Blondine hielt immer noch meine Hand, während meine Welt in Teile zerbrach. Setos Sicht: Der Wein floss durch meine Adern und ich wusste nicht, wann ich mich das letzte Mal so schwerelos fühlte. Ich kippte immer wieder auf die Seite und mein Grinsen wollte nicht aufhören. Die frische Luft machte mir schon lange nicht mehr zu schaffen, wir hatten unsere Jacken ausgezogen. Sie lagen unschuldig im Sand und dienten uns nicht mehr als Wärmequelle. Ich nahm Ryous Gesicht in die Hände und blickte ihm tief in die Augen. Das Haselnussbraun glänzte mir entgegen und ließ mir warm ums Herz werden. Ich verwickelte ihn in einen leidenschaftlichen Kuss und fuhr mit meinen Händen immer weiter nach unten. Es bildete sich eine Gänsehaut auf Ryou und er konnte erahnen, dass ich nicht vorhatte, es nur bei einem Kuss zu belassen. Meine Fingerspitzen strichen über seine Arme, seine Hüften, seine Oberschenkel und letztendlich zwischen seine Beine. Er zuckte. "Keine Angst", ich kippte leicht nach links, ich fing mich aber wieder. Meine Sicht war eingeschränkt, meine Augenlider fielen immer wieder fast zu. Ich aber scheute mich nicht davor, das zu versuchen, das ich wollte. Ryou hingegen schien etwas unsicher, ob wir wirklich ungestört sein konnten; er drehte seinen Kopf nach hinten, wollte die Lage checken, wurde aber von mir gehindert. "Mach' dir keine Sorgen, Kleiner. Die trauen sich eh nicht, was zu sagen", behauptete ich und begann wieder, ihn zu küssen. Mich scherte es nicht, ob und wer uns zuschaute. Ich wollte einfach nur meinen Ryou auskosten. Er schmeckte nach Zuckerwatte gemischt mit ein Bisschen Unschuld. Ich war fest davon überzeugt, dass er auch nach unserem ersten Mal immer noch nach Unschuld schmecken würde. Ryou strahlte einfach diese Unbeschwertheit und Zierlichkeit aus, dass es unmöglich war, ihm überhaupt zu glauben,dass er mit jemandem geschlafen hat, wenn man ihn nicht kannte. Das Wasser brauste sich auf und ließ uns kalte Luft spüren. Ein paar kleine Wellen brachen immer wieder am Ufer und bespritzten unsere Zehen, wir aber dachten nicht einmal daran, uns weiter weg zu setzen. Ehrlich gesagt dachten wir fast gar nicht. Alles war lustig. Alles außer der Partner, denn der war heiß. "Ich bin hier nämlich Chef", ich lachte und fiel fast zurück, hielt mich aber an Ryou fest. Ich schwankte hin und her, konnte mich dann aber wieder auf meinen Freund konzentrieren. Meine Lider waren halb geschlossen und das Grinsen konnte ich noch immer nicht abstellen. Nichts desto Trotz wusste ich immer noch, was ich wollte: ihn. Und dieses Ziel verlor ich nicht aus den Augen. Meine Hand war in Ryous Schritt, er presste die Lippen zusammen. Ich knetete sein Glied und brachte ihn zum Stöhnen. Ich spürte, dass sich in seiner Hose etwas regte. Ich ging mit viel Zärtlichkeit an die Sache, obwohl ich nicht mehr in der richtigen Verfassung zum klaren Denken war. Seine Zufriedenheit aber hatte höchste Priorität. Und er schien das zu merken, es machte ihn glücklich. Ich hätte genau so gut nur an mein Bedürfnis nach Befriedigung denken können, doch ich schloss seine Gefühle mit ein. "Trau dich, Kleiner", grinste ich, während ich ihm die Hose öffnete. "Oder willst du mir etwa sagen, dass du mir widerstehen kannst?", ich sah ihn an und hatte bereits in seine Hose gegriffen. "Es fällt mir schwer", gab er zu und war aufgeregt. Ohne auf seine Antwort einzugehen, drückte ich seinen Oberkörper leicht hinunter, bis er den Sand in seinen Haaren spüren konnte. Dann legte ich mich auf ihn drauf und ließ ihn in meine blauen Augen sehen. Er konnte fühlen, dass mein Glied steif war. Es drückte gegen seins. Seinen schweren Kopf drehte er zur Seite und versuchte wieder, die anderen zu erkennen. Denen waren wir aber sowieso egal, da sie betrunken waren und nicht mehr viel mitkriegten. Außerdem war es dunkel und wir waren weit weg. Noch dazu konnten sie mir Nichts verbieten. Der Kleine machte sich wieder einmal zu viele Sorgen, das sah ihm ähnlich. Inzwischen konnte ich schon sagen, was Ryou ähnlich sah und was nicht. In der Nacht, in der er in meinem Bett schlief, ist eine Menge in uns passiert. Es fühlte sich zwar fremd an, so eine zerbrechliche Person bei mir zu haben, aber andererseits war es etwas Vertrautes, etwas Bekanntes. Ich hätte nie gedacht, dass das genaue Gegenteil von mir zu mir passen würde. Besser gesagt wusste ich nie, wer überhaupt zu mir passen würde oder ob überhaupt eine Art von Mensch zu mir passte. Ich fühlte mich manchmal zu außergewöhnlich, um mit wem anderen in einer Beziehung klar zu kommen. "Wenn uns wer sieht...", warf Ryou ein. Ich konnte spüren, dass er es mit der Angst zu tun hatte. Angst vor dem nächsten Schritt, er wusste nicht, was danach passiert und was ich mir ausgedacht hatte. Doch als er sich wieder auf meine Augen konzentrierte, wusste er, was in diesem Moment wirklich wichtig war: wir. Vorsichtig versuchte er, mein Shirt hochzuschieben. Um es ihm zu erleichtern, stützte ich ihm mit den Händen ab und lag nicht mehr komplett auf ihm drauf. Mit einer Bewegung zog er mit das Kleidungsstück über den Kopf und warf es neben uns. Er begutachtete meine starken Arme, meine Brust und meinen Bauch. Nun hatte er freie Erlaubnis, meinen Körper zu betrachten, ohne, dass es in peinlicher Stille enden hätte können. Er strich mit seinen Händen an meinen Brustmuskeln entlang, unser Blickkontakt schwand dabei nicht. Ich sah ihn an, als wäre er das einzig Schöne in dieser Welt gewesen. Als hätte ich nur ihn haben wollen, obwohl ich alle anderen hätte haben können. Es wärmte ihm das Herz, so eine Wichtigkeit für jemanden erlangt zu haben. Ich selbst hätte mir nie ausmalen können, mit so einem wunderbaren Menschen zusammen zu sein. Ich traf schon viele Leute, die "anders" waren und die sich durch ihre Besonderheiten auszeichneten, doch ich fand nie dieses etwas. Dieses etwas, das den Nervenkitzel in mir weckte. Dieses etwas, das mir den Kampf gegen mich selbst ansagte. Es gab nie diese eine Sache in einem Menschen, die mich dazu herausforderte, die andere Seite in mir zu schleifen. Ich setzte mich auf und zog Ryou zu mir hinauf. Etwas tollpatschig befreite auch ich ihn aus seinem Shirt. Zwei Männer oben ohne in einer frischen Novembernacht am Meer. Doch anstatt dass sich der Alkohol langsam wieder abbaute, schien er sich zu vervielfachen - wir zogen dem jeweils anderen auch noch die Hose aus. Ryous Hose war etwas enger, weshalb ich mich etwas damit spielen musste. Und betrunken ging es noch viel schwerer, aber im Endeffekt saßen wir beide nur in Boxershorts im Sand und liebkosten einander. Unsere Lippen waren zwar schon rissig, aber und hat es in keinster Weise gestört. Mein Freund entschied sich dazu, sich zu trauen und griff in meine Boxer. Seine Wangen liefen etwas rötlich an, als er meinen großen Penis in der Hand hatte. "Er ist so groß...", wollte er flüstern, rief es in Wahrheit aber laut aus. Es war sein erstes Mal, so etwas zu tun und bei mir war es das erste Mal mit einem Mann. Eigentlich hätte ich auch aufgeregt sein sollen, aber es war mir einfach egal. Ich scherte mich nicht drum, ob ich nun sexuellen Kontakt mit einem Mann oder einer Frau hatte. Ich verstand auch nie, warum Menschen so einen großen Wirbel darum machten, welches Geschlecht man bevorzugte. Es regte mich schon immer auf, dass alle so negativ eingestellt waren, wenn es um homo- oder bisexuelle Leute ging. Vor ein paar Jahren war ich fest davon überzeugt, mit einer Frau in einer glücklichen Beziehung sein zu werden. Und dann endete ich mit einem Sensibelchen, das mir den Kopf verdreht hatte. Plötzlich und viel zu spät wurde mir in meinem Zustand bewusst, dass Sex mit einem Typen anders funktioniert, als mit einer Frau. In meinem Kopf leuchtete ein Wort bunt auf: Gleitgel. Ich stand auf und versprach Ryou, nicht lange weg zu sein; "Ich komme gleich wieder". Ich zog mich an und konnte sehen, wie Ryou beobachtete, wie ich mir meine Kleidung über meinen Körper streifte. Als meine Haut wieder vollständig bedeckt war, machte ich mich auf den Weg zu den anderen. Trotz des Alkoholspiegels schaffte ich es halbwegs, aufrecht und elegant zu gehen. Hier und da ein paar Anzeichen auf meinen Zustand, aber es war wirklich nicht schlecht. Ich kam wieder bei meinen Leuten an, doch bevor ich alle fragen konnte, wie es ihnen so geht, nahm mich Mai bei der Hand und zog mich ein Stück weiter weg. "Seto", stieß sie etwas verzweifelt aus. "Hm?", grinste ich und knickte kurz mit den Beinen ein. Die Blondine sah mich etwas bemitleidend an, sah dann aber mehr sauer aus, als traurig. "Du weißt aber schon, dass Ryou nur an dich gebunden ist, weil du ihn gerettet hast?". Ich erschrack und hielt inne. Ich war betrunken, aber diese Nachricht tat mir genau so weh, als hätte ich nie einen Tropfen getrunken. "Du willst tatsächlich mit wem schlafen, der nach den Ferien wieder wegfährt und dich vergisst?", sie klang nun wirklich wütend. Ich konnte ihr keine Antwort geben. "Irgendwann setzt er die rosarote Brille ab und dann bist du Schnee von gestern!", Mai scherzte nicht und ihr war es ernst. Mir wurde ganz kalt, der Wind war auf einmal wie eine Flut aus Frost. Meine Gliedmaßen wurden taub und mein Atem wurde unregelmäßig. Meine ganze Welt zerfiel und ich konnte nicht sagen, ob ich traurig oder wütend war. Ich blickte zurück und sah, dass sich Ryou auf den Weg hier her machte. Eilig rannte ich zu meinem Motorrad und gab Gas. Ich wollte einfach weg von hier. Kapitel 15: Herzschmerz & Unfälle --------------------------------- Ryou's Sicht: Meine Finger zitterten, meine drehende Welt wurde auch noch schwarz dazu. Ein stechender Schmerz in meiner Brust war zu spüren und mein Magen verkrampfte sich. "Wie konnte ich nur so dumm sein?!", schrie ich aus und erkannte erst in diesem Moment meine Naivität. Ich konnte mir selbser nicht glauben, so dumm gewesen zu sein. Ich beugte mich hinunter, hielt mir den Bauch und mir war nach Brechen zumute. Meine Augen begannen zu tränen. Augenblicklich erhob sich Ishizu und stürmte auf mich zu. "Bring ihn Heim", sagte Mai besorgt und klopfte mir auf die Schulter. Die beiden kamen mir so fern vor und ich fühlte mich so, als wäre ich alleine in einer abgeschotteten Welt. Ich fühlte mich so, als wäre keiner da, weil mir niemand helfen konnte. Sie konnten mir nur zuhören und Mitleid empfinden, aber wirklich helfen konnten sie nicht. Und ich übergab mich - aber nicht wegen dem Alkohol. "Marik, wir müssen Ryou nach Hause fahren!", informierte sie ihren Bruder, der sich aufrichtete und die Autoschlüssel herauskramte. Die beiden führten mich zu ihrem Wagen und ich hörte, wie plötzlich alle still wurden. Fragen, ob ich etwas getrunken hätte und die Vermutung, dass ich mit Seto gestritten hatte wurden ausgesprochen. Die Stimmen waren wieder Kilometer weit weg für mich. Ich lehnte alles, das nicht meine Gedanken waren, ab, obwohl ich sie am liebsten abgeschalten hätte. Marik stützte mich, da ich nicht mehr gerade gehen konnte. Der Körperkontakt mit wem anderen als Seto war so anders und so unangenehm. Es war fast wie Betrug. Doch das hatte sowieso keinen Wert mehr, weil da nie etwas zwischen uns gelaufen ist. Noch einmal und noch einmal fragte ich mich selbst, wieso ich so dumm war und das Wesentliche übersehen habe. Wieso ich - als sensibler Mensch - nicht wittern konnte, dass all die Gesten nur aus Höflichkeit waren. Wie konnte ich so blind sein und meine Einsamkeit an eine höhere Stelle setzen, als mein Gespür für Menschen. Wie konnte ich das nur zulassen. Marik setzte sich neben mich auf den Rücksitz, Ishizu fuhr. "Ist er in der Lage, seine Adresse zu nennen?", wollte die Ägypterin von ihrem Bruder wissen, welcher mich ansah und nicht so recht wusste, ob ich überhaupt noch klar denken konnte. "Seto ist abgehauen. Vielleicht haben sich die zwei gestritten. Ryou scheint das nicht verdauen zu können. Vorallem nicht mit diesem Alkoholspiegel", der Blonde sah mich besorgt an. Wenig wussten die beiden. Mai wollte es sicher nicht vor allen sagen, sie wollte mir das Drama ersparen. Dafür hätte ich ihr danken sollen. Ich fragte mich, ob Seto es irgendwem erzählen werden würde. Ich dachte, dass ich ihn kenne, aber mir wurde bewusst, dass ich es nicht einmal einen Bruchteil tat. Die Sorgen sammelten sich an, als ich daran dachte, dass mich die ganze Gruppe möglicherweise verwaisen würde. Ich war wahrscheinlich nur das temporäre kleine Kaninchen, von dem alle wussten, dass es bald weg vom Fenster sein würde. Vielleicht wussten sie es alle. "Wie konnte ich so blind sein?!", ärgerte ich mich weiter und ballte die Fäuste. "Es war sicher etwas mit Seto", bestätigte Marik und streichelte mir beruhigend über die Schulter. "Greif' mich nicht an!", fauchte ich und wollte von niemandem berührt werden. Ich wollte nicht berührt werden, ich wollte nicht angesprochen werden und ich wollte nicht beachtet werden. Ich wollte einfach alleine sein und meine Gefühle loswerden. "Ryou ist doch der Sohn von Herrn Bakura", fiel Ishizu ein und sie wusste dann schon, wie sie fahren musste. Sie drückte stärker aufs Gas und wir näherten uns meinem Haus immer mehr - aber ich wollte nicht nach Hause. Ich wollte im Meer ertrinken. Ich wollte einfach von der Bildfläche verschwinden, wollte nicht mehr atmen und wollte nicht mehr existieren. "Steigst du mit ihm aus?", Ishizu blieb vor meinem Haus stehen und sah mittels Rückspiegel zu mir. Sie musterte mich und sah ganz danach aus, als ob sie mehr helfen hätte wollen, als sie es durch das nach Hause fahren sowieso schon getan hatte. "Natürlich", antwortete Marik und machte die Türe auf. Er stieg zuerst aus. Mühsam schob ich mich bis zur Kante des Sitzes und drehte mich um 45 Grad. Meine beiden Füße berührten den Boden, waren aber nicht fest drauf. Ich wollte nicht aussteigen. Einige Sekunden blieb ich sitzen. "Na komm", Marik nahm meine Hand und zog leicht an ihr, worauf ich nach vorne kippte und am liebsten mit dem Gesicht in den Dreck gefallen und die ganze Nacht in dieser Position geblieben wäre, nur, um noch nicht heim gehen zu müssen. Ich wollte nicht, dass mich mein Vater so sieht. Betrunken und emotional am Ende. Ich wollte ihm nicht erklären, was passiert war. Es war mir einfach so peinlich. Dad wusste, dass Seto mein Typ war. Er wusste, dass ich mich schnell verliebte. Er wusste, dass ich ihm gegenüber sehr anhänglich war. Er wusste, dass ich bei ihm geschlafen habe. Er wusste, dass wir uns sehr nah gekommen sind. Er wusste alles, und doch war ihm das Wichtigste nicht bewusst: Es war vorbei. Ich konnte und wollte mich nicht gegen die Freundlichkeit der Ishtars wehren, also stieg ich aus. Ich stand auf schwachen Beinen und mein Kopf schien so, als wäre er nicht richtig an meinem Hals befestigt worden. Mit unsicheren Schritten ging ich mit Marik mit, der immer darauf achtete, dass ich einen Fuß langsam vor den anderen setzte. Er stützte mich wieder. Und dieser Körperkontakt hat mich wieder zur Weißglut gebracht. Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen, es machte mich so wütend, angegriffen zu werden. Diese Berührungen konnten mir gestohlen bleiben. Und die Tatsache, dass ich all das zurückhalten musste, machte alles nur noch schlimmer. "Ich will nicht nach Hause", wimmerte ich und riss mich von Marik los. "Wir haben es gleich geschafft, Ryou", sprach Marik noch mit viel Geduld und drückte seinen Arm gegen mich, sodass wir vorankamen. Ich war kurz davor, ihn wegzustoßen. Als wir bei der Türe ankamen, klopfte Marik stark dagegen. Ich wusste gar nicht, wie spät es schon war und fragte mich, ob mein Vater schon schlief. Nach kurzer Zeit wurde uns aufgemacht und mein Vater blickte zuerst erfreut, bemerkte dann aber meinen kritischen Zustand. "Er hatte ein bisschen zu viel", informierte ihn Marik und übergab mich meinem Dad. Auch diese Berührung konnte ich nicht ausstehen. Mein Dad bedankte sich herzlichst bei Marik, welcher dann wieder zu seiner Schwester ins Auto stieg. "Ryou, hast du zu viel getrunken?", Dad blickte mir in die Augen und bekam keine Antwort von mir. Mein hin- und hertaumeln war aber schon Antwort genug und somit trug er mich aufs Sofa. Er deckte mich zu und stellte mir eine große Flasche Wasser auf den kleinen Tisch. Die Übelkeit wurde stärker aber ich war mir nicht sicher, was ich brauchte, damit es besser wurde. Entweder Setos Nähe, die sowieso nie echt war oder einmal Kotzen. Wobei ich da keinen Unterschied mehr sah. "Wieso hat dich Seto nicht nach Hause gebracht?", wollte mein Vater wissen und setzte sich an die Lehne der Couch. Er sah mich erwartend an doch ich schloss die Augen, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Ich wollte es ihm nicht erzählen, mein erster Herzensbruch war mir einfach viel zu peinlich. Außerdem wollte ich nicht zugeben, dass es keine normale Trennung war sondern schlicht und einfach ein Missverständnis. Das machte mich wahnsinnig. Ein einfaches "Vielleicht passen wir doch nicht zusammen" wäre da viel unkomplizierter gewesen. Das hätte ich mir noch einfach einreden lassen. Dann aber wurde mir schon alles egal, ich wollte mich nicht erklären, ich wollte mich nicht dafür entschuldigen, zu viel getrunken zu haben und ich wollte mich nicht für irgendetwas rechtfertigen. Mir kamen die Tränen und ich ließ es einfach raus. Wollte nicht mehr alles schlucken und dann nie verdauen. Ich begann zu weinen und mein Vater schien schon zu verstehen, was der mögliche Grund dafür sein hätte können, dass mich Marik und nicht Seto nach Hause gebracht hat. Er schien es mit einem Mal verstanden zu haben und kniete sich vor das Sofa. "Ach, Ryou...", er strich mir durch die Haare, stand auf und zog mich zu ihm. Er drückte mich fest an sich und sagte kein einziges urteilendes Wort. Er wusste, dass ich es nicht mochte, wenn man mit mir redete, wenn ich weinte. Ich sülzte sein gesamtes Shirt voll, meine Tränen stoppten nicht und ich war mir nicht sicher, ob ich mich nicht doch zu fest an ihn klammerte. Ich wollte eigentlich niemanden angreifen aber gleichzeitig brauchte ich wen, der mich hielt. Es war alles so verwirrend und ich konnte nun endlich all die Herzensbrüche in den Filmen nachvollziehen. Das Heulen, die Verwirrtheit, die Sehnsucht und den Hass. Ich fühlte mich selber wie in so einem Film. Ich hatte das Bedürfnis, Setos Haus abzufackeln und zur selber Zeit wollte ich von ihm 'wunderschön' genannt werden. Ich wollte ihn im Meer ertränken und zur selben Zeit wollte ich mit ihm irgendwohin weit weg fliegen. Dann war noch die Frage, weshalb ich überhaupt sauer auf ihn war, da er es nie böse meinte und sich nur um mich kümmern wollte. Andererseits konnte man jemandem das Gefühl von Geborgenheit auch anders vermitteln, als ihn anzulügen, dass man ihn romantisch liebt. Und wieder andererseits hasste ich nicht nur ihn, sondern viel mehr mich. Dafür, dass ich nicht merkte, dass es von Anfang an nicht klappen hätte können. Setos Sicht: Voll Energie geladen sprang ich auf meine Maschine, startete sie gewaltsam und driftete davon. Es war dunkel und ich sah nicht viel, fuhr aber trotzdem mit einer gefährlichen Geschwindigkeit. Ich redete mir ein, dass meine Augen durch den heftigen Gegenwind tränten, aber ich wusste natürlich den wirklichen Grund, ich wollte mir nur nicht so unmännlich und verweichlicht vorkommen. Es demütigte mich. Ich habe davor lange nicht mehr geweint. Schon gar nicht wegen so einem Missverständnis. Wie konnte ich nur so dämlich sein? Ich hätte früh erkennen müssen, dass es ihm nie um mich ging. Eigentlich habe ich sowieso gewusst, dass er anhänglich werden wird, aber meine Gefühle haben mein klares Denken vertuscht... Es ärgerte mich halb tot. Einmal im Leben dachte ich, dass ich eine richtige ehrliche Beziehung eingegangen wäre. Und dann stellte sich heraus, dass es wieder ein Fehler war. Ich hörte auf, an das große Glück zu glauben. Es reichte mir. Ich hätte schreien können. All die Schmetterlinge im Bauch, all die reizenden Blicke, all die Berührungen waren nie echt. Es war alles einfach nur durch die Abhängigkeit von Ryou gesteuert. Ein psychologischer Effekt, eine Illusion, eine Lüge. Es ging nicht um mich, nicht um mich, nicht um mich. Es hätte genau so gut jemand anderer sein können, es wäre ihm scheißegal gewesen. Ich war nur das Modell, das durch jede andere Person ersetzt hätte werden können. Meine Hände griffen die Lenker fester. Tränen wurden mit dem Wind davongetragen, meine Sicht war etwas verklärt. In meinem Kopf tobte alles und mein Magen verkrampfte sich. Ich war nie empfindlich, ich war nie sensibel - ich hatte eine dicke Haut. Doch in diesem Moment schien plötzlich gar nichts mehr zu funktionieren und mein Körper verhielt sich wie ein überlasteter Computer, der gerade abstürzte. Mein Kopf war schwer, meine Augen waren nass, mein Brustkorb war verengt, meine Hände waren zu fest an die Lenker geklammert, mein Magen wollte sich entleeren und mein Herz schlug viel zu schnell. Ich fühlte das erste Mal seit Langem wieder einmal Angst beim Fahren. Normalerweise machte ich mir nie Sorgen, während ich fuhr - ich scheute mich nie, aufs Gas zu drücken. Doch in diesem Zustand und im Dunkeln war es sehr einfach, von der Spur zu kommen und Mist zu bauen. Ich hatte einfach so Angst, zu sterben, obwohl mir das andererseits am liebsten gewesen wäre. Alles wäre mir lieber gewesen als wegen eines Missverständnisses so zu leiden und wie der letzte Idiot dazustehen. Ich habe immer darauf geachtet, möglichst elegant und den anderen überlegen zu wirken. Seto Kaiba war intelligent und wusste, wie er seine Stärken nutzte - bis so ein dummer, kleiner Typ kam und alles ruinierte. Er ruinierte meine Wahrnehmung, meine Hoffnungen und meinen Ruf. Ich konnte mich so nicht mehr bei meinen Freunden blicken lassen, das ging nicht. Ich habe mich mit diesem Sensibelchen in der Stadt gezeigt, alle haben uns gesehen, ich habe ihn in Schutz genommen und dann ist alles geplatzt, wie eine Seifenblase, wie ein Luftballon. Mit einem Mal und vorbei war es. Er war auf mich angewiesen, er brauchte meine Hilfe, als ihn die Wellen verschlangen. Er musste gerettet werden, doch wieso von mir? Wieso sagte ich allen, dass sie gefälligst gehen sollten und ich übernehme? Wieso bin ich nicht auch weggefahren, da es wahrscheinlich eh jemand anderer auch tun hätte können? Irgendwer hätte Ryou gerettet, wenn ich der erste gewesen wäre, der sich aus dem Staub gemacht hätte. Ich war mir sicher. Vielleicht Ishizu, vielleicht Joey, vielleicht Marik. Irgendjemand, und es wäre nie so gekommen, dass ich mit nassen Augen die Straße entlang fahren musste. Ich hätte mich aber wahrscheinlich auch in ihn verliebt, wenn ihn wer anderer bei sich geborgen hätte. Ich bezweifelte sehr stark, dass ich aufgehört hätte, an ihn zu denken, nur, weil er nicht bei mir war. Schon die erste Begegnung trieb mich in den Wahnsinn. Der Augenblick, als ich sein Parfum in die Nase sog und in seine braunen Augen sah. Der Zeitpunkt, an dem ich das Verlangen hatte, ihn einfach zu mir nach Hause zu nehmen. Das alles brannte sich in meinen Verstand. Sein Haar, seine Augen, seine Stupsnase, seine Lippen, seine blasse Haut, sein Körper und seine Stimme. Es war so, als hätte ich Ryous Erscheinungsbild nun als Idealbild in meinem Kopf gespeichert. Wie automatisch griff ich mir mit den Händen an den Kopf, wollte diese Bilder loswerden und vergaß dabei auf die Straße. Ich wollte meine Hände wieder auf die Lenker tun, verlor dann aber Kontrolle über meine Maschine. Im Moment, wo ich von meinem Motorrad fiel, verspürte ich eine ungeheure Furcht. Mir war nicht bewusst, wie es sich anfühlte, Kontrolle über mein Motorrad zu verlieren. Ich beherrschte jede Kurve und jeden Trick. Es kam mir nie in den Sinn, einmal nicht mehr zu wissen, was mit mir geschieht, während ich fahre. Bevor ich am harten Asphalt aufkam, waren meine Hände zwar nicht mehr auf den Lenkern, meine Beine jedoch noch an der richtigen Stelle. Somit fiel das gesamte Gewicht meines Motorrades auf mich drauf, ich lag hilflos am Grund. Es fühlte sich an, als wäre ein ganzer Berg auf mich gefallen. Ich schrie schmerzerfüllt auf und versuchte mich zu bewegen. Am schlimmsten erging es meinem Magen, er fühlte sich gar zerquetscht an. Ein schreckliches Gefühl, am liebsten wäre ich einfach in Ohnmacht gefallen, um gar nichts mehr zu spüren - weder den emotionalen Schmerz, noch den körperlichen. Ein zweites Mal schrie ich auf, als ich versuchte, das Motorrad beiseite zu schieben. Ich war zu schwach, alles tat mir weh. Ich fühlte mich minderwertig und verweichlicht. Es gleichte einer Niederlage; im Dunkeln, in der Kälte, alleine lag ich am Grund und hatte keine Möglichkeit, aufzustehen. Mein Körper hat versagt und ich war komplett am Ende. Ich schrie erneut, diesmal aus Wut. Die Sterne am Himmel schienen viel näher als sonst, das Mondlicht strahlte mich an. Unter so einem Himmel musste ich kapitulieren. Es war vorbei, alles sprach dafür, dass ich nicht mehr der war, den alle kannten. Ich habe verloren. Ich habe meinen Stolz, meinen Ruf und meine Hoffnung verloren. Alles nur wegen einem zu attraktiven Typen, der mir den Kopf verdreht hatte. Ich lag von Anfang an richtig, ich wusste von Anfang an, dass ich nicht zu ihm passte. Wie konnte ich nur glauben, dass sich Gegensätze anzogen. Wie konnte ich nur daran denken, sogar eines Tages mit ihm zusammenzuziehen. Wie konnte ich nur so verblödet sein, wie ging das nur... Erneut probierte ich, die Maschine von mir wegzudrücken. Ich unterdrückte meine Schreie, ich wollte nicht zeigen, dass ich verwundbar war. Mit zusammengepressten Zähnen und Lippen versuchte ich vergeblich, mich zu befreien. Ich spürte mein linkes Bein nicht mehr, es wurde taub. Mein Magen und meine Brust erlitten schweren Druck. Schweiß rann mir von der Stirn, meine Augen tränten, meine Luftröhre war verengt. Es fühlte sich so an, als würde mich jemand würgen. Ich kämpfte mit der Angst, zu sterben. Und als ich der Tatsache ins Auge sah, dass die Chance, dass niemand mehr um diese Uhrzeit hier vorbeifahren wird, sehr hoch war, ergab ich mich. Ich gab die Versuche, mich zu befreien, auf und blieb einfach unter dem Sternenhimmel liegen. Ein verdammt lausiger, peinlicher Tod. Ich ärgerte mich. Ich erschrack, als ich ein Fahrzeug hörte. Ich wollte meinen Kopf drehen, schaffte es aber nicht - das Gewicht meiner Maschine zwang mich, in einer bestimmten Position zu bleiben. Das Fahrzeug aus der Ferne näherte sich immer mehr und das Brummen wurde lauter. Beim genaueren Hinhören, was mir durch die Schmerzen schwerfiel, bemerkte ich, dass es ein Motorrad war. War es jemand von meinen Leuten? Ich habe gar nicht mehr im Überblick gehabt, wer mit welchem Fahrzeug gekommen war, weil ich einfach so schnell wie möglich weg wollte. Das Motorrad war schon unglaublich nahe, ich hörte den Motor viel lauter, als sonst und ebenso die Vibrationen am Boden. Das Fahrzeug stoppte einige Zentimeter vor meinem Körper, ich schloss die Augen. Ich dachte, ich würde überfahren werden. Ich wäre bereit dazu gewesen. Der Fahrer nahm den Helm ab und ich erkannte blonde Locken. Die Frau kniete sich zu mir nieder, bevor ich erkannte, dass es Mai war. Ich versank innerlich in Scham, blickte geärgert weg. Ich wollte nicht, dass sie mich so sah. Sie erschrack und versuchte sofort, das Gewicht, das auf mir ruhte, wegzuschieben. Mit aller Kraft packte sie das Motorrad und schaffte es, es von mir wegzuziehen. Eigentlich keine große Kunst für denjenigen, der nicht unter dem Ding war. "Du hast Wunden", erkannte sie und zog mich an den Händen hoch. Ich stöhnte vor Schmerz auf, versiegelte meine Lippen dann aber wieder. Keine Schwäche zeigen. Keine Schwäche zeigen. Keine schwäche zeigen. Verdammter Mist, der Schmerz war einfach zu groß. Ich kniff die Augen zusammen. Ich fühlte mich wie eine Flunder, total zerquetscht. Es kam mir vor, als wäre mein Magen so flach wie Papier. All meine Organe taten weh, meine Luftröhre war wie nonexistent. Das Gefühl, zu ersticken, wollte nicht schwinden. Das Schlucken tat weh und in meinem Kopf war nicht genug Blut, mir war schwindelig. Ich konnte nicht richtig stehen, mir war übel. "Ich bringe dich nach Hause, Seto", sagte Mai und setzte ihren Helm wieder auf. Sie trug mich auf Händen und setzte mich auf ihr Motorrad. Ich musste mich bemühen, nicht auf die Seite zu kippen. Ich hätte jeden Augenblick ohnmächtig werden können, mein Körper funktionierte wirklich nicht mehr richtig. Mir war zu kotzen zumute, die ganzen Gefühle und das Gewicht lösten in mir einen ungeheuren Brechreiz aus. "Wie lange bist du da gelegen?", fragte Mai und startete den Motor. "Halt' dich fest", sagte sie kurz danach. Ich konnte ihr nicht antworten, weil es sich für mich sicher länger angefühlt hat, als es tatsächlich war. Es waren gefühlte Jahrhunderte. In jeder Sekunde verstärkte sich der Schmerz und die Angst, zu sterben. Ich blickte noch traurig nach hinten im Wissen, dass mein Motorrad morgen wahrscheinlich schon nicht mehr da sein würde. Als ich wieder gerade aus sah, fragte ich mich, warum Mai so gelassen darauf reagierte, mich verwundet unter meiner Maschine vorzufinden... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)