Einem fernen Tage von Silberfrost ================================================================================ Kapitel 5: Mit jedem Moment (neu) --------------------------------- Minoru tauchte zum wiederholten Mal sein zerschlissenes Hemd ins Wasser. Er rieb den Stoff aneinander, um das Blut herauszuwaschen und zählte stumm bis zehn, um den warmen Atem des Kappas in seinem Nacken auszublenden. Neben ihm im Gras lag eine Forelle, die nach dem Regen die Wasseroberfläche unaufmerksam nach Insekten abgesucht und damit ihr Ende besiegelt hatte. Doch war nicht einmal die Aussicht auf eine Mahlzeit genug, um seine Stimmung zu heben. Als hätte das Erlebnis im Mogami und die unbarmherzig pochende Stichwunde an seiner Seite nicht ausgereicht, um ihm diesen Tag auf lange Sicht zu verleiden, hatte Jaken auch noch darauf bestanden, dass er sich für die erhellende Präsenz des Fürsten angemessen herrichtete – so angemessen, wie es ein nächtlicher Bachlauf bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt nun einmal hergab. Da sie sich in Sichtweite des Fürsten befanden, nahm der Kappa seine neu zugewiesene Aufgabe besonders ernst und Minoru fragte sich schon seit geraumer Zeit, warum die Kröte nicht gleich auf seinem Schoß Platz nahm, wenn er ohnehin an ihm klebte wie eine ausgehungerte Zecke. Bislang begnügte sich Jaken jedoch damit, die neu gewonnene Macht auszuspielen und stupste ihn mit dem Stab an. „Mach schon, Junge. Es ist kalt.“ Zerknirscht raffte sich Minoru vom Schneidersitz auf die Knie hoch und wusch erst Hände und Gesicht, bevor er das Haar kopfüber in den Bach tauchte. Die dunklen Schlieren, die daraufhin von der Strömung davongetragen wurden, ließen erahnen, dass der Dreck der Reise hier ebenso haftete wie an seinem Hemd. Nachdem er von Zuhause ausgerissen war, hatte er zunächst darauf geachtet, die Frisur kurz zu halten. Jedoch nur bis deutlich geworden war, dass die Haarlänge der einen Gestalt keinerlei Einfluss auf das Fell der anderen hatte. Das lag nun Jahre zurück, sodass er sich mit einer Mähne verklebter Strähnen konfrontiert sah, die sich nur mühsam mit den Fingern entwirren ließen. Die Säuberung ziepte und zerrte an seiner von Stabschlägen ohnehin malträtierten Kopfhaut und Minoru war versucht, diese Mähne wieder auf ein Minimum zu kürzen, als Jaken ihn erneut ungeduldig antrieb. Abrupt richtete sich Minoru auf, schwang die Haare über die Schultern zurück und dem Kappa mitten ins Gesicht. „Jähzorniger Rotzbengel – !“ „Bleib' mir vom Leib!“, zischte Minoru, bevor sein Gegenüber in eine erneute Litanei verfallen konnte. Stattdessen traten die Adern unter der grünen Haut der Kröte deutlicher hervor, während er hilfesuchend zu seinem Fürsten sah. Dieser begegnete dem Ersuchen seines Untergebenen mit einem Blick, der Vernichtung verkündete, wenn in diesem Lager nicht augenblicklich Ruhe einkehrte und erstickte damit jeden weiteren Streit im Ansatz. Zurück bei den anderen starrte Minoru wortlos in die Flammen und wagte nicht, aufzusehen. Jaken hatte sein Verhalten abgestraft und ihn gegenüber dem Fürsten am Feuer platziert, wo er in dessen unmittelbaren Blickfeld wünschte, sich zeitnah in Luft aufzulösen. Zu seiner Erleichterung ließ der weder Tadel noch Fragen verlauten und hüllte sich in Desinteresse – ganz im Gegensatz zu Rin. Die Menschenfrau versuchte mehrfach, Minoru ein Gespräch aufzuzwingen, ehe sie die Gesellschaft in Monologen ertränkte, zu deren Aufnahme Minoru ohnehin nicht mehr fähig war. Über seinen Knien ausgebreitet trocknete das Hemd, während er zum wiederholten Mal versuchte, die Beweglichkeit einzelner Finger zu einem geflochtenen Zopf zu koordinieren. Die Gelenke waren nach Jahren der Tatlosigkeit steif geworden; die erneute Nutzung ebenso befremdlich wie das Gefühl von Wärme, von Wind oder Wasser auf bloßer Haut. Vom aufrechten Gang ganz zu schweigen. Es bedurfte zwei weiterer Anläufe, bis die Strähnen gebändigt waren und mit einem Stoffstreifen gesichert auf seinen Rücken fielen. Sein gequetschter Brustkorb, der mittlerweile an diversen Stellen blau-gelb verfärbt war, dankte ihm die Unternehmung nicht eben. Als er schließlich nach der Forelle griff und Anstalten machte, in das rohe Fleisch zu beißen, bemerkte er, wie das fortwährende Plappern neben ihm verstummte und einem Gesichtsausdruck wich, der bedenklich viel mit dem Fisch gemeinsam hatte. Rins Rehaugen nahmen an Umfang zu, ehe Minoru die Forelle wortlos sinken ließ. „Du fängst deine eigenen Fische. In Ordnung. Mit dem Maß an Stolz habe ich gerechnet. Aber das Feuer kannst du ja wohl benutzen. Du wärmst dich schließlich auch daran.“ Minoru schluckte eine Erwiderung hinunter. Das Eis war zu dünn, um darauf hinzuweisen, dass das Feuer der einzige Aspekt dieser Scharade war, der nicht unangenehm ausfiel und er dennoch einen anderen Ruheplatz gewählt hätte – vorzugsweise meilenweit entfernt. Sie mochte nur ein Mensch sein, mit der er eine Auseinandersetzung höchstens aufgrund ihrer Nichtigkeit hätte meiden sollen, doch er war nicht so dumm, den Daiyōkai zu vergessen, der ihre Anwesenheit duldete. Der verfolgte die Szene schweigend, während Minoru missmutig den Fisch auf einem Stock pfählte und ihn zu seinen Artgenossen an die Flammen stellte. Er hatte den Fisch dennoch halb roh verspeist, ehe er sich neben dem Feuer niedergelegt hatte. In dieser Gesellschaft zu schlafen, auch nur zu ruhen, widersprach jedweder Vernunft, doch die zurückliegenden Stunden forderten ihren Tribut. Es war mehr als nur die Müdigkeit, mehr als das befremdliche Körpergefühl. Die Quetschungen an seinem Brustkorb schmerzten bei jeder Bewegung und die Stichwunde der Kappa brannte ungewohnt scharf und brach immer wieder auf, egal wie oft er den Verband neu anlegte. Dass niemand in der Hoffnung auf leichte Beute seinem Blutgeruch ins Lager folgte, war einzig und allein der Anwesenheit des Fürsten geschuldet. Kein gewöhnlicher Dämon war so dumm, für nichts als eine Mahlzeit die Auseinandersetzung mit einem ausgewachsenen Daiyōkai zu riskieren. Das Ausmaß dämonischer Energien war zwar stets einer gewissen Veranlagung unterworfen, doch ein Großteil ihrer gefürchteten Macht entsprang einer Mentalität, die mit 'konfrontativ' sehr wohlwollend umschrieben war. Über die Generationen hatte sich die Vormachtstellung der Daiyōkai gefestigt, was, Minorus Vater zufolge, Fluch und Segen gleichermaßen sein mochte: Zwar war kaum jemand wahnsinnig genug, sich mit ihnen zu messen, doch ihr gesellschaftliches Ansehen hatte dazu geführt, dass selbst das Töten ihrer Kinder für einen gewöhnlichen Dämon ausreichend Prestige einbrachte, um den ein oder anderen Kriegstross hinter sich zu sammeln. Jedenfalls solange bis die Eltern auf den Plan traten – was jedoch nicht allzu häufig der Fall war, weil Nachwuchs, der sich von einem dahergelaufenen Yōkai niederstrecken ließ, nicht einmal den bisherigen Aufwand an Zeit und Ressourcen wert gewesen war, geschweige denn jeden darüber hinausgehenden. Er mochte jede Wette eingehen, dass diese Menschenfrau, die in aller Seelenruhe unter einem in den Boden gerammten Wagasa-Schirm an der Seite des Fürsten schlief, von genau diesem Umstand gleichermaßen profitierte wie sie verlor. In seiner Nähe mochte sie sicher sein, darüber hinaus aber stand ihr die Zielscheibe praktisch auf die Stirn geschrieben. Ihre Unverfrorenheit in seinem Beisein war Aussage genug über die Narrenfreiheit, die sie genoss. Dafür hätte es nicht des Anblicks bedurft, den sie darbot, wenn sie sich wie selbstverständlich an den dichten, weißen Pelz kuschelte, der von seiner Schulter herabfiel. Es war einfach zu skurril, um näher darüber nachzudenken. Und dennoch drängten sich derlei Gedanken auf, kreisten gebetsmühlenartig in die eine oder andere Richtung. Minoru hatte sich auf den Rücken gelegt und lauschte dem erneut niedergehenden Regen, der auf ihrem Bambusschirm trommelte und ihm ins Gesicht fiel. Das Prasseln war angenehm, rhythmisch, fast meditativ und wusch zumindest für einige Minuten den Geist frei. Die Tropfen allein hätten heilsam sein können, doch der Boden schien kälter als er es im Winter gewesen war. Die Kälte zog ihm bis in die Knochen und zum wiederholten Mal biss er die Zähne über einem Schaudern zusammen, das ihn unwillkürlich packte und die Unebenheiten des Bodens wie Nadeln in seinen Körper trieb. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich je so elendig gefühlt hatte. So müde, ohne wirklich schlafen zu können. Als die Müdigkeit schlussendlich doch die Oberhand gewann, war der Mond längst wieder im Sinken begriffen. Die Ruhe währte jedoch nicht lange. Geruch und Aura ließen ihn hochfahren. Kreislauf und Muskeln protestierten unter der abrupten Bewegung und er zog zischend die Luft ein, als sich die Wunde an seiner Seite erneut öffnete und Blut seinen Verband durchtränkte. Das Feuer war heruntergebrannt, doch die Glut reichte aus, um den Schemen zu beleuchten, der sich auf allen Vieren durch die Dunkelheit näher schob. Minorus Muskeln verspannten, als gleich zwei Augenpaare das Restlicht reflektierten und die Schuppen des Untiers zum Vorschein kamen. Er war halb in der Wandlung, begann umgehend zu kalkulieren, ob seine Zähne im Ernstfall durch die Haut am Hals des Dämons drangen und was währenddessen mit dem zweiten Kopf zu tun war, als das Wesen nach kurzem Schnuppern entschied, dass Minoru nicht spannend genug war und hinter den Fürsten trottete. Ungläubig beobachtete Minoru die Echse, die neben der schlafenden Menschenfrau im Gras niedersank wie eine übergroße Katze und ihre zwei Köpfe auf den beschuppten Vorderbeinen bettete. Dann bemerkte er den Fürsten, der das Drachenwesen schlichtweg ignorierte und zu Minorus Entsetzen stattdessen ihn betrachtete. Wie gelähmt hielt er inne. „Aufmerksam“, stellte der Inu no Taishō fest, nachdem Minoru ihm ungebührlich lange in die Augen gestarrt und sich gefragt hatte, ob nun Wegschauen unhöflicher sein mochte als diesem Blick bernsteinfarbener Kälte zu begegnen. „Was macht jemand wie du im Mogami?“ Das Blut rauschte durch seine Adern und für einen Moment überkam Minoru das Gefühl von Taubheit. Er schauderte, während sich seine vor Kälte steifen Finger in alter Gewohnheit zu dem Armband an seinem Handgelenk tasteten und an den roten Steinen herumnestelten. Es war kindische Hoffnung gewesen, dass er ohne jedwede Erklärung davonkam. Kindisch und dumm. Ging es hier lediglich darum, wie er in den Fluss geraten war oder war seine fremdländische Herkunft offensichtlich und erforderte eine Rechtfertigung? „Ich fürchte, ich kann Euch nicht folgen...“ „Wie lange lebst du allein?“ Wen kümmerte es? Warum überhaupt nach Stunden des Schweigens das Wort an ihn wenden? Minoru hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Er hätte den Mund halten sollen! Hoffen, dass er eine halbwegs glaubhafte Lüge spinnen und während der Reise zu seiner vermeintlichen Familie entkommen konnte. Sesshōmaru hatte ihn doch noch während der ersten Unterhaltung beinahe vom Haken gelassen und hätte ihn kaum persönlich eskortiert – ganz gleich wohin. Mit ein paar Kappa als Reisebegleitung wäre er vermutlich noch zurechtgekommen. In jedem Fall wäre die Lage weniger riskant gewesen als jede Antwort, die er nun gab – oder schuldig blieb, denn je länger er schwieg, umso mehr schien sich die Luft zu verdichten. Minoru wusste nur zu gut wie es sich anfühlte, wenn Ungeduld und Wut Form annahmen und den Ausbruch würde er bei diesem Mann vermutlich nicht überleben. „Ein paar Jahre“, erwiderte er schließlich, zupfte an den Steinen und drehte sie um das Lederband, während seine Zähne fortwährend über die Innenseite seiner Wange schabten. Angespannt versuchte er etwas an seinem Gegenüber abzulesen, sich auf die zuschnappende Falle vorzubereiten, doch es gelang ihm nicht. Weder Haltung noch Ton des Fürsten änderten sich ob der Informationen. Selbst seine Aura blieb so regungslos wie die Seide, die über seinen weiterhin entspannten Muskeln lag. Ein Fels hätte kaum weniger preisgeben können. „Jahre“, wiederholte der Inu trocken. „Dennoch scheiterst du an einem Fluss und einem Haufen Kappa. Versteh' mich nicht falsch. Es kümmert mich nicht, wenn Narren ihrer Selbstüberschätzung erliegen. Aber närrische Kinder überleben keine Woche allein. Geschweige denn Jahre.“ „Eine Verkettung unglücklicher Umstände.“ „Beruhend auf einer Fehleinschätzung.“ „Nun... schon. Vermutlich. Auch.“ Schweigsam betrachtete ihn der Daiyōkai, wartete. „Den Mogami unter Zeitdruck überqueren zu wollen war ein Fehler. Alternativlos, aber ein Fehler“, räumte Minoru ein. „Die Strömung wäre machbar gewesen, aber die Schlange hätte ich vorhersehen müssen und die Kappa waren... nicht kalkulierbar.“ „Ebenso wie der Krieg im Norden, von dem du sehr wohl weißt.“ „Ich habe einem Freund versprochen, ihm dorthin zu folgen.“ „Das war dumm.“ „Vielleicht. Aber auch ein dummes Versprechen ist ein Versprechen.“ „Es überhaupt zu geben.“ Minoru biss die Zähne zusammen. Mit dem Druck schoss Gelenkschmerz durch seinen Unterkiefer und abermals fuhr ein unkontrollierbares Schütteln über seinen Körper, das die Kälte bis hinter seine Stirn trieb. „Werdet Ihr mich dennoch gehen lassen? Wie Ihr schon sagtet, kümmert Euch der Tod eines Narren nicht.“ „Das kommt ganz darauf an“, erwiderte der Fürst, der das offenkundige Unwohlsein des Jungen mit einem Stirnrunzeln bedachte. „Worauf?“ „Ob man mir diesen Tod zur Last legen kann.“ Am nächsten Morgen waren die gelegentlichen Schauer, die Minorus Körper durchfuhren, zu einem ständig wiederkehrenden Grauen geworden. Die Kälte hatte sich bis in jedes Gelenk hineingefressen und vernebelte seine Gedanken zu Bruchstücken. Die Frau, die über ihm beugte, war in seiner Wahrnehmung nichts als verlaufende Farbschlieren vor grauem Himmel. „Seine Augen sind ganz glasig.“ Rin zog die Hand von seiner Wange zurück, die er ohne Gegenwehr oder Murren geduldet hatte. Ein schlechtes Zeichen für einen so widerspenstigen Jungen. „Ich denke, er hat Fieber.“ Jaken schnaubte wütend. „Einfältiger Mensch! Dämonen bekommen keine eurer schwachen Krankheiten.“ „Die Beurteilung überlässt du mir.“ Die junge Frau erhob sich und strich halbherzig das Haar hinter ihre Ohren. Auch wenn viele ihr die Erkenntnis absprachen, war sich Rin der Überlegenheit der Dämonen um sie herum durchaus bewusst. Sie fürchtete sie lediglich nicht. Zum einen, weil sie während ihres kurzen Erdendaseins oft genug erlebt hatte, dass Menschen die schlimmeren Monster waren und zum anderen, weil sie wusste, dass keiner der Anwesenden je Hand an sie gelegt hätte. Auch Jakens Zuneigung war sie sich sicher, selbst wenn diese hinter Zurechtweisungen und Gezeter verborgen war. Das war schon immer sein Umgang mit ihr gewesen und Rin nahm gern hin, dass er sie auch heute noch behandelte wie das kleine Mädchen, das sie einst aufgesammelt hatten. Nicht jedoch, wenn es um ihre Arbeit ging. „Ich habe dutzende Junge und Alte mit Fieber behandelt. Sangos Zwillinge über fast zwei Wochen. Du kannst dir gern den Kopf über die Gründe zerbrechen. Aber Fieber hat er.“ Der Kappa schürzte beleidigt die Lippen und ersann zweifelsohne eine Antwort, mit der er sie in die Schranken weisen konnte, doch sie beachtete ihn nicht weiter. „Sess-“ „Rin!“, unterbrach Jaken seine Bemühungen. „Der hohe Herr empfängt gerade sein altes Schwert von dem Schmied! Wirst du ihn wohl nicht dabei stören, du-!“ Er verstummte und zog augenblicklich den Kopf ein, als sich die Luft in Anwesenheit des Fürsten um ihn herum verdichtete und Rin zum Taishō aufsah, der wortlos über ihm aufragte. „Ich kann es nicht erklären, aber der Junge ist krank. Er kocht förmlich und reagiert kaum noch.“ „Das kann alles sein!“, dementierte nun der Kappa. „Eine Vergiftung!“ Der Fürst betrachtete den Jungen ausdruckslos. „Dann wäre er längst tot.“ „Eine Blutvergiftung wäre denkbar“, wandte Rin ein und störte sich nicht an der empörten Schnappatmung des Kappas, weil sie es gewagt hatte, dem Fürsten offen zu widersprechen „Zumindest wenn wir kurz vergessen, was er ist. Offene Wunden, ein Bad in einem überquellenden Fluss – für einen Menschen wäre das fatal. Da hätte ich darauf bestanden, dass man die Wunden säubert, vermutlich sogar ausbrennt. Aber bei ihm?“ „Wenn ich meine bescheidene Meinung dazu äußern darf“, hob eine ältere Stimme an, „dann ist es so sehr jungen Yōkai durchaus möglich, krank zu werden. Unter sehr engen Voraussetzungen, aber möglich.“ Scheinbar uninteressiert saß ein alter Mann auf dem Rücken seiner Kuh, deren drei Augen ebenso übergroß waren wie seine beiden. Die wenigen, altersgrauen Haare des Schmieds waren an seinem Hinterkopf zu einem lichten Zopf zusammengefasst und auch sein Ziegenbart schimmerte bereits in diesem stumpfen Grau. „Tōtōsai“, wandte sich der Fürst unterkühlt an den Greis, der gerade Flusen von seinem abgenutzten Yukata sammelte. „Du nimmst ihn mit.“ „I-ich?“ Die Haut des Alten hatte sich auf der Stelle der Farbe seiner Haare angeglichen, ehe er sich fing. „Oh nein, Sesshōmaru! Das hättest du wohl gern! Was habe ich mit diesem Haufen Elend zu schaffen? Der stirbt mir doch unter den Händen weg und dann ist es meine Schuld, was? Vergiss es!“ Der Fürst hörte ihn nicht. „Rin, du begleitest ihn.“ „Ich werde sehen, was ich machen kann“, erklärte sie mit einem Blick auf Minoru, der sich während des ganzen Trubels kaum gerührt hatte. Sein Atem ging viel zu rasch und über seinen Puls wollte sie lieber nicht nachdenken. „Nein! Nein, auf gar keinen Fall“, protestierte Tōtōsai. „Das ist ja noch schlimmer! Ich werde nicht noch deinen Menschen hüten. Warum glaubt diese Familie ständig, mich mit der Aufsicht über derlei zerbrechliches Gezücht strafen zu müssen? Wenn er stirbt, schlimm genug, wenn sie -“ „Macht Euch keine Gedanken, verehrter Schmied“, unterbrach Rin den Alten, ehe er sich noch an der Andeutung versuchte, ihr Wohlbefinden liege im besonderen Interesse des Fürsten. Das hatten schon ganz andere gewagt und gut ausgegangen war es selten. „Der Junge soll nicht Eure Sorge sein und ich werde Euch keinen Ärger bereiten. Was ich benötige, ist ein sicherer Ort und freie Hand.“ Da jedwede Widerrede des Schmieds ohnehin verschwendeter Atem war, wandte sie sich an den Fürsten. „Ich wünschte, ich könnte mit Euch gehen. Aber diese Lösung ist wohl in vielerlei Hinsicht die bessere. Bitte kehrt bald und unversehrt zurück.“ Der Fürst blieb wortlos, während Jaken sich allmählich an ihre Seite stahl. „D-dann beeil dich, Rin. Wir sollten sofort zu Tōtōsai-sama aufbrechen!“ Der Versuch des Kappas, der Nordfront zu entgehen, war so plump wie vorhersehbar und endete mit einer unsanften Landung im schlammigen Boden, nachdem Sesshōmaru ihn am Kragen in Richtung Bachufer geworfen hatte. „Wir gehen, Jaken. Ruf deine Leute zusammen.“ Tōtōsai verfolgte das Schauspiel mit zusammengezogenen Augenbrauen und betrachtete schließlich Rin mit einem gehörigen Maß an Unglauben. Sie hingegen lächelte freundlich in das faltige Gesicht voller Widerwillen und deutete ein Achselzucken an, das seine Augen nur noch größer werden ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)