Einem fernen Tage von Silberfrost ================================================================================ Kapitel 12: Was in der Kälte zurückbleibt ----------------------------------------- Der Marsch in die Tiefen des Gebirges nahm den ganzen Mittag in Anspruch und erst während die Sonne langsam an einer Bergkuppe entlang strich und das Land mit einem schwachen, orangefarbenen Teppich überzog, stieß auch Kōga wieder zu ihnen. Minoru, der während des gesamten Weges kein Wort verloren hatte, sah einen Moment lang auf. Sein Geruch war dem seines Sohnes erstaunlich ähnlich, aber im Gegensatz zu diesem schien er keinerlei Interesse an einer animalischen Form zu haben. Wobei, wenn er sich das genau überlegte, war Takeru damit zu Anfang auch sehr unbeholfen gewesen. Vermutlich hatte er sie nur angenommen, um mit dem Hund besser ins Gespräch zu kommen und war dann dabei geblieben. Das hätte er doch mal als Entschuldigung für seine lausigen Jagdversuche anbringen können, statt es auf Eis und Schnee zu schieben. Die konnten auch nichts dafür, dass sie kalt waren. „Sind sie fort?“, wollte Nobu wissen. Der schwarzhaarige Anführer des nördlichen Stammes nickte ernst. „Mit eingeklemmten Schwanz geflohen. Wir haben sie über die Grenzen getrieben und es schien nicht, als seien sie daran interessiert, in der nächsten Zeit zurückzukommen. Begraben ist die Angelegenheit damit aber sicher nicht. Nicht nachdem wir – nachdem Ihr diese Furie ins Jenseits geschickt habt.“ „Ich nahm an, das Leben deines Sohnes sei dir dieses unbedeutende Risiko wert. Hast du nicht Hakkaku gesandt, damit ich mich ihrer annehme, Kōga?“ Nobu klang gereizt, aber Kōga verschränkte lediglich die Arme vor der Brust und brummte einen Moment leise. Takerus Vater war ein großgewachsener Mann mit schwarzem Haar und blauen Augen. Seine Rüstung bestand nur aus einem unverzierten Dō, ansonsten trug er lediglich braune Felle, die der Farbe seines Schwanzes entsprachen. Minoru war froh, dass er sich mit einem solchen Pelz nicht herumschlagen musste. Diese Überbleibsel anderer dämonischer Formen waren, wenn er sich so umsah, weit verbreitet und auch sein Vater konnte seine Fuchsform durch die drei Schwänze nie ganz verbergen. Vermutlich sah er darin auch keinen Gewinn. Einer der wenigen Wölfe, ohne ein solch animalisches Anhängsel – wenn man von seinem Pelzgewand absah – war Nobu. Minoru wollte sich den Kopf nicht darüber zerbrechen, aber der Wolf schien sich im Allgemeinen von den anderen abzuheben. Auch sein Gefolge war deutlich größer als Kōgas Wölfe und von keiner einheitlichen Farbe, wie es sonst üblich war. Von schwarz, dunkelgrau über weiß und mit verschiedenen Abzeichen war alles darunter. Auch Kōga schien kein größeres Interesse daran zu haben, mit diesem Mann zu streiten. „Sie ist unabänderlich tot und ich sehe Nichts, das wir uns vorwerfen müssten. Sie sind ohne vorhergehende Provokation oder folgende Begründung eingefallen. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Das sollten auch die Panther wissen.“ Nobu gab nur ein Knurren von sich, das allerdings nach einer Zustimmung klang. „Wir unterhalten uns später darüber“, sagte er eine Weile später ruhig und Minoru wurde klar, dass es da ganz offensichtlich mehr zu besprechen gab, als sie offenlegen wollten. Das Gelände wurde unwegsamer, die Wege, die sich zwischen den Berghängen empor schlängelten, schmaler. A-Un hatte bereits Schwierigkeiten, die Schritte so zu setzen, dass er weder in die Schlucht hinabfiel, in der ein reißender Gebirgsfluss rauschte, noch mit der anderen Seite an der steinernen Wand entlang schrappte. Rin, die schon seit Stunden kein Wort mehr verloren hatte, krallte sich an den Sattel, als hielte er ihre Welt zusammen. Beide ihrer Beine baumelten frei über der Schlucht, aber das schien ihr deutlich weniger auszumachen, als der wolfbelastete Gruppenanteil. Sesshōmaru ging vor seinem Reityōkai, während Minoru, der sich während der ganzen Wanderung zwischen den beiden Gruppen gehalten hatte, nichts anderes übrig geblieben war, als wiederum vor dem Fürsten zu laufen. Als ob das Gehen ohne dieses dumpfe Gefühl von Bedrohung nicht schon anstrengend genug gewesen wäre! Seine Schulter war dabei gar nicht das Problem. Die brannte zwar höllisch und pochte zeitgleich dumpf vor sich hin, aber solange Minoru sie einigermaßen ruhig hielt, war es aushaltbar. Viel schlimmer war diese getrübte Wahrnehmung und der unsichere Stand. Der Reis bei Tōtōsai schien Wochen her, dabei war es erst am Vortag gewesen. Das mochte aber auch daran liegen, dass er die letzte, anständige Mahlzeit noch mit Takeru gemeinsam eingenommen hatte und das lag nun wirklich eine ganze Weile zurück. In solchen Momenten bemerkte selbst er, dass er etwas mehr auf sich achten sollte, gerade weil er bei seiner Nahrungsaufnahme noch einen gewissen Einfluss hatte, der sich ihm in vielen anderen Situationen in nahezu lächerlichem Ausmaß entzog. Je länger sie liefen, desto mehr Wölfe schlossen sich ihnen an und fügten sich in die lange Prozession ein. Ihre Stimmen hallten von den Steilwänden in einem einzigen, lauten Echo wider. Minoru bemühte sich, das möglichst auszublenden, um sich auf den unwegsamen Boden zu konzentrieren, den er barfuß bestritt. Langsam war er jedoch wirklich am Ende und atmete innerlich auf, als der Weg endlich wieder breiter wurde und er zumindest nicht mehr fürchten musste, einen einzigen Wimpernschlag später in den kalten Fluten unterhalb zu schwimmen. Als er von hinten an der Hüfte gepackt wurde und den Boden unter den Füßen verlor, wollte er sich augenblicklich zur Wehr setzen, bevor er erschrocken erstarrte. „Ruhe“, verlangte der Taishō ernst, als er ihn neben Rin auf A-Uns Rücken platzierte. Minoru starrte ihm perplex in die Augen, was, wie er durchaus wusste, fernab jeder Höflichkeit war. Aber das ging so gegen alles, was er erwartet hatte, dass er zu keiner anderen Reaktion fähig war. Der Fürst setzte seinen Weg fort, als sei nichts gewesen. „Danke, Minoru“, meinte Rin neben ihm leise und er wandte sich ihr zu ihrer eigenen Überraschung zu, nachdem er einige Sekunden wie gebannt ins Leere gestarrt hatte. „Ich bin so froh gewesen, dass wir angekommen waren.. es war mein Fehler... ich hätte vermutlich nie vorschlagen sollen, dass wir hier her gehen. Ist es sehr schlimm? Deine Schulter?“ Er atmete durch und schüttelte ein wenig den Kopf. Eigentlich war es schlimm genug, aber er lebte und das würde verheilen. Wie alles. Körper verheilten meist gut, im Gegensatz zu vielen anderen Dingen. „Du warst eben... ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll – “, setzte sie an. „Ich auch nicht“, gab er schlicht zurück und wandte sich wieder ab. Das war mehr Aussage, als sie sich erhofft und mehr ehrliche Aufmerksamkeit als er ihr in den letzten Tagen geschenkt hatte und sie musste sich wohl damit zufrieden geben. Minoru hingegen starrte vor sich hin und gab sich endgültig geschlagen. Er hatte keine Kraft mehr sich dieser Umwelt zu verwehren und auch keine Nerven dafür übrig, um sich damit zu befassen, wie er aus dieser Lage heil wieder heraus kam. War es so schwer, Herr über sein Leben zu sein? Wurde man letztlich doch nur durch das Einwirken Anderer herumgeworfen, als befinde man sich auf einem einsamen Boot, fernab der Küste, dem nichts anderes übrig blieb, als sich dem stürmischen Wellengang ein ums andere Mal zu beugen? Nicht alle hatten die Freude über seine Wiederkunft so offenherzig gezeigt wie seine Eltern. Als Takeru mit seiner Mutter Zuhause angekommen war, hatten einige verbliebene Rudelmitglieder ihm vernichtende Blicke zugeworfen. Diese waren verhältnismäßig schnell wieder verschwunden, als seine Mutter ihm versöhnlich einen Arm um die Schultern gelegt und ihn ohne weitere Erläuterungen an ihnen vorbei in die Tiefen des Berges geführt hatte. Bis er jedoch das Ansehen zurückerlangte, das er vor seinen Eskapaden allein aufgrund seiner Geburt innegehalten hatte, würde lange Zeit vergehen – und es würde mit Sicherheit einiges an Geduld kosten. Yōkai neigten nicht dazu, schnell zu vergessen oder gar zu vergeben und das Rudel stellte dabei keine Ausnahme dar. Die Einzigen, die sich ohne Zurückhaltung um ihn herum gebalgt und sich vor Freude beinahe überschlagen hatten, als begrüßten sie einen lang verschollenen Bruder, waren die gewöhnlichen Wölfe gewesen. Takeru war beruhigt, dass zumindest sie ihm nichts nachtrugen, auch wenn er wusste, dass er dies durchaus verdient hatte. Umso geschockter war er gewesen, als er die Gesichter der Dosanko gesehen hatte, die sich in den tieferen Höhlenabschnitte lagerten. Nobu hatte nicht nur seine Krieger, sondern auch einen nicht unbeachtlichen Teil seines Hofstaates über die Meerenge gebracht. Vorwiegend Frauen und Junge, deren hasserfüllte Blicke ihn auch dann noch fixierten, als seine Mutter es mit einem leisen Knurren zu unterbinden gesucht hatte. „Sie würden es vorziehen, mich in Stücken zu sehen“, meinte er schließlich halblaut, als sie auf dem Nachtlager angekommen waren, dass er mit seiner Familie teilte. Die Felle waren weich und einladend wie immer, aber er wagte beinahe nicht, sich auf ihnen niederzulassen, bis Ayame ihn neben sich zog und leise seufzte. „Du hast sie beleidigt, als du gegangen bist“, erklärte sie ruhig. „Du musst versuchen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen, zumal dir Nobu-sama zu allem Überfluss nun auch noch dein Leben gerettet hat. Es wird nicht einfach werden, aber je mehr du dich jetzt einschüchtern lässt, desto aussichtsloser wird die Situation. Die Dosanko sind ein nahezu bedauernswert stolzes Rudel, aber im Allgemeinen sind sie gerecht. Die Sache zu bereinigen ist nicht unmöglich. Nobu-sama hat diese Allianz noch nicht aufgegeben, sonst wäre er uns nicht so schnell zu Hilfe gekommen.“ Takeru seufzte lang und ließ die Schultern hängen. Sein schwarzes, rückenlanges Haar war über die Monate ein wenig verfilzt und auch seine kastanienbraunen Felle hatten unter der Witterung gelitten. Es tat so gut endlich Zuhause zu sein, auch wenn die Aussicht auf jahrelange Wiedergutmachung einen äußerst bitteren Beigeschmack hatte. Nobu mochte gerecht sein, aber welcher Vater nahm die offene Ablehnung gegenüber seiner einzigen Tochter gleichgültig hin? „Sie ist hier, oder?“, fragte er kleinlaut und seine Mutter verzog das Gesicht, dann nickte sie. „Hasst sie mich auch?“ „Weißt du, wenn jemand wegliefe, weil er mir versprochen wurde, wäre ich sehr verletzt“, meinte Ayame ernst und ihr Sohn ließ den Kopf beschämt sinken. Er hatte insgeheim gehofft, sie beziehe sein Handeln nicht auf ihre Person, aber welche Frau tat das schon? „Ihr seid jung. Selbst wenn sie dich nun hasst, wird sich das bestimmt geben. Ich war auch nicht glücklich, als dein Vater mich hat abblitzen lassen.“ Takeru riss ungläubig den Kopf hoch. „Er hat was?!“ „Er hat mir versprochen, dass er mich heiraten würde. Damals war ich noch sehr jung. Als ich dies dann später eingefordert habe, hatte er es schlicht vergessen und als er sich erinnern konnte, hat er auch nicht gerade vor Freude gejauchzt.“ Er fühlte sich wie aus allen Wolken gerissen. Gerade seine Eltern, die sich noch so neckisch angehen konnten und stets wieder vertrugen, sollten ein Problem bei der Eheschließung gehabt haben? Davon ab, dass er sich die beiden kaum unverheiratet vorstellen konnte, passte das gar nicht in das Bild, dass er von ihnen hatte. Er starrte seine Mutter vor Verwunderung an, die ein wenig beschämt heruntersah und mit Zeigefinger einige stets verstreichende Kreise in das Fell vor sich malte. „Wir hätten offener zur dir sein und dir solche Dinge gleich erzählen sollen. Keiner von uns hatte damit gerechnet, dass du nach diesem Streit einfach so verschwindest.“ Sie biss sich ein wenig auf die Unterlippe und schluckte. „Vielleicht war das auch alles ein einziger, großer Fehler. Wir waren davon überzeugt, es sei sicherer für dich... sicherer für uns alle. Aber letztlich hat dich das beinahe umgebracht. Hättest du sie erst kennen gelernt... hättest du die Wahl gehabt... .“ „Kaa-san...“ Sie sah erstaunt auf. Er klang niedergeschlagen, längst nicht mehr so wütend über dieses Thema wie er es noch vor einigen Monaten gewesen war, als sich Ginta verquatscht und die Verlobung ungewollt publik gemacht hatte. Aber so gern sie Ginta damals auch dafür im Fluss ertränkt hätte, so genau wusste sie mittlerweile, dass nur Kōga und sie dafür die Verantwortung trugen. Sie hätten Nobus Anfrage damals höflich auf die lange Bank schieben und sich sicher darauf einigen können, Takeru eine Weile zu ihm zu schicken. Eine Zeit der Ausbildung bei den Dosanko war erstrebenswert und vielleicht hätte sich die ganze Situation in Wohlgefallen aufgelöst, wenn er die Chance gehabt hätte, Yumiko von sich aus kennen zu lernen. Alles wäre besser gewesen als das hier. Dennoch schien seine Wut in den letzten Monaten schier verpufft zu sein. Ja, sie erkannte ihn kaum wieder, so sorgenvoll wie er sie ansah. Ayame lächelte ein wenig gequält und blickte so aufmunternd, wie es ihr in dem Moment möglich war. „Es wird alles wieder gut“, versprach sie ihm. „Versprich nur nicht, was du nicht halten kannst.“ Er stockte. „Aber ich muss doch – .“ Sie unterbrach seine Äußerung mit einem strengen, vielsagenden Blick und sah dann wieder weg, als sei das Thema für sie beendet. Takeru zuckte einen Moment zurück. Wollte sie andeuten, dass er noch die Wahl hatte? Zur Zeit gingen ohnehin alle davon aus, dass er Yumiko nicht heiraten wollte, seine Eltern aber für ihr Wort einstanden. Würde er damit nicht die Glaubwürdigkeit seiner Eltern in den Dreck ziehen oder legte seine Mutter es gerade darauf an? Er verstand nicht, was sie damit sagen wollte, aber er traute sich auch nicht, genauer nachzufragen. Stattdessen atmete er einen kurzen Moment lang durch und griff etwas auf, das beinahe genauso sehr an ihm nagte: „Aber er hat dich noch freiwillig geheiratet?“ „Erst als Naraku endlich aus der Welt gebannt und sein Rudel gerächt war, hat er eingewilligt“, erklärte sie leise. „Heute sagt er selbst, dass das die richtige Entscheidung gewesen ist. Er ist glücklich mit den Dingen, wie sie sind. Mit dem Rudel, mit mir und vor allem mit dir. So ganz wohl hat er sich damals bei der Hochzeit noch nicht gefühlt, aber er ist kein Mann, der sein Wort bricht – solange es in seiner Macht steht.“ Sie lächelte wieder, als sie an ihren Mann dachte, der, neben der Tatsache, dass er zunächst diese Menschenfrau hatte heiraten wollen, vermutlich gefürchtet hatte, unter femininer Kontrolle zu stehen. Aber sie war in der Lage, ihn subtil dahin zu bewegen, wo sie ihn haben wollte, ohne ihn groß spüren zu lassen, dass er oftmals eher tat, was sie wollte, als das, was er beabsichtigt hatte. Seine Ängste waren also nicht ganz unbegründet gewesen, aber das neue Familienleben stand dem Rudelführer nicht schlecht zu Gesicht und hatte ihn durchaus ein wenig auf den Boden geholt. Wenn sie so darüber nachdachte, hätte das einigen anderen auch gut getan. Aber wo sie gerade bei Beeinflussung war... „Du sagtest, ein Hund hat dich veranlasst nach Hause zu kommen?“, fragte sie neugierig und Takeru sah auf. Sie kannte ihren Sohn gut genug um zu wissen, dass er nicht viel weniger Sturheit besaß als ihr Ehemann und sich selten einen Rat wirklich zu Herzen nahm. Umso erstaunlicher, dass er es freiwillig zugab, wenn auch in einer, zugegeben, prekären Situation. „Wir haben den Winter zusammen verbracht“, begann Takeru. Die Einzelheiten und wie er von diesem sonst so kampfesscheuen Hund Prügel bezogen hatte, wollte er seiner Mutter lieber nicht darlegen. „Ich wollte schon viel eher nach Hause, aber als dann die Kämpfe ausbrachen und wir davon hörten.. ich kam mir vor wie der letzte Verräter. Hunderte Kilometer weit entfernt in Sicherheit, während alle die ich kenne, in diesen Bergen an Boden verlieren... . Er wusste, dass ich unbedingt hierher wollte, aber befürchtete, ihr könntet mich abweisen. Ich glaube, deswegen ist er mitgekommen.“ „Weil du Angst hattest?“, erkundigte sie sich sanft. „Damit ich nicht allein bin, wenn ihr mich wirklich fort jagt“, meinte Takeru zögerlich. „Es ist schwer, ihn einzuschätzen. Vielleicht hat er es auch nicht für mich getan, sondern weil er selbst einfach nur nicht allein sein will. Ich weiß es nicht genau. Wir haben uns einige Tagesmärsche entfernt getrennt, damit ich schneller voran komme, aber ich schätze, dass das eine ziemlich miese Idee gewesen ist. Er hat mir versprochen, nachzukommen und das hat er offensichtlich getan.“ Ayame lehnte sich zu ihm hinüber und griff fest nach seinen Händen. „Versprich mir, dass du nie wieder Angst haben wirst, nach Hause zu kommen. Dafür wird es keinen Grund geben.. . Du solltest dich jetzt eine Weile ausruhen. Ich bin sicher, dass die anderen bald zurück sein werden.“ „Ihr kämpft doch schon seit Wochen...“, warf ihr Sohn ein. „Wie kannst du dir so sicher sein?“ „Weil du wieder Zuhause bist und wir uns nun nicht mehr zurück halten müssen“, erklärte sie leichthin. „Außerdem weiß jeder, wie nahe sich die Panther-Devas stehen. Dass Karan tot ist, wird sie eine Weile außer Gefecht setzen.“ Oder sie Rot sehen lassen, dachte Takeru ernst. Karan war nur eine von vier Geschwistern gewesen und die Panther-Devas, wie sie ihn ihrer Gesamtheit hießen, galten seit dem Tod ihres Generals Tadahisa als die stärksten Krieger ihres Clan. Neben ihr und Shunran hatte er aber niemanden sonst gesehen, der sich von den üblichen Soldaten abhob. Ayame ließ sie ihn für eine Weile allein, auch wenn sie sich bewusst nicht weit von ihm entfernte. Er fiel nach einer Weile in einen leichten Schlaf und erwachte sofort, als die Rufe des heimkehrenden Rudels an den Wänden der Höhle gebrochen wurden. Als sie schließlich im Halbdunkeln vor dem großen, rund ausgeschlagenen Höhleneingang ankamen, begrüßten sich die Ōkami überschwänglich untereinander. Minoru ließ sich von A-Un gleiten, der auch daraufhin weiter unbeirrt Sesshōmaru nachlief, und hatte kaum den Boden berührt, als ein bekannter Geruch abermals seine Aufmerksamkeit erregte. Er hob den Blick, als ein schwarzhaariger Junge, der mindestens einen Kopf größer war als er selbst, ihn aufmerksam betrachtete. Über seiner Brust trug er zwei überkreuzte Lederriemen, die über seine Schultern verliefen und mittig von einem beträchtlich großen Zahn zusammen gehalten wurden. Ein brauner Pelz, der am oben liegenden Riemen befestigt war, verlief mit diesem über seine rechte Schulter, seinen Rücken hinab und endete kurz bevor er auf seiner Brust wieder sichtbar geworden wäre. Auch der Pelz an der Hüfte wurde mit einem solchen Band gehalten, an dem ein Katana mit dunkelrotem Griff und nebelgrauer Scheide hing. Ein Lächeln huschte über Takerus Lippen und Minoru erstarrte zur Salzsäule, als er geradewegs auf ihn zukam und ihn ohne zu Zögern in die Arme schloss. Er biss die Zähne zusammen und verkrampfte ein wenig. „Ich bin so erleichtert! Du bist gekommen.“ „Und du zerstörst meine Schulter, du Esel“, gab Minoru zurück und schob ihn mit der Linken ein wenig von sich. Er erschauderte am ganzen Körper, kam aber nicht umhin, innerlich ein wenig aufzuatmen. Takeru schien den Weg ohne größere Verletzungen überstanden zu haben – ganz im Gegensatz zu ihm. Der junge Wolf nahm etwas Abstand und sah besorgt auf ihn herab. „Siehst du schlimm aus...“, sagte er ernst und musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Du bist so kahl sicher auch keine Schönheit“, gab Minoru kühl zurück, aber ein dreckiges Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. Er hatte Takeru bisher noch nie in dieser Form gesehen und nicht erwartet, dass dieser beinahe einen Kopf größer war. Sicher, er war ein paar kaum nennenswerte Jahre älter, aber machte das tatsächlich so viel aus? Takeru blinzelte einen Moment und begriff erst dann, was Minoru meinte. „Ich wollte gar nicht sagen, dass du allgemein schlecht aussiehst!“, protestierte er. „Du bist ganz hager und blass! Sonst verwunderst du mich ein wenig... ich hatte einen plumperen.. na ja, Bauern erwartet.“ Minoru zog eine Braue hoch und hatte ihm im nächsten Moment die Faust über den Kopf gezogen. „Ahh! Bist du bescheuert?!“ „Wenn ich schon Kopf und Kragen für dich riskiere, könntest du zumindest so tun, als wolltest du mir Honig ums Maul schmieren, Wolf!“, Minoru rieb sich die Hand und sah ihn brummend an. „Manchmal denke ich, du bist noch unverschämter als ich es je sein könnte.“ „Unverschämter?? Du schlägst mich vor allem Leuten!“ „Denk ja nicht, ich fasse dich jetzt mit Samthandschuhen an, nur weil alle hier ihren kleinen Prinzen preisen.“ Minoru meinte das zwar nicht halb so ernst, wie er es sagte und das wusste Takeru nur zu gut, aber einige Wölfe hatten ihnen dennoch aufmerksam den Kopf zugewandt und die Ohren aufgestellt. Takeru wedelte ein wenig mit der Hand und sie zogen augenblicklich von dannen. Aus den Augenwinkeln beobachtete der Ōkami den Reityōkai, der sich mit dem Fürsten und Rin an die Seite des regen Treibens verzogen hatte. Sein Blick streifte ebenso den Taishō wie seine menschliche Begleitung. Als er sich wieder an Minoru wandte, standen ihm die Fragen ins Gesicht geschrieben: „Ich will nicht wissen, warum er hier ist, oder?“ „Sie wollen sich beraten. Mehr weiß ich auch nicht“, antwortete Minoru und bemerkte, dass Rin ihn unverhohlen anstarrte. „Du hast die Grenze überquert..“ „Natürlich habe ich die Grenze überquert. Habe ich etwa schon zu stark zugeschlagen? Um in den Norden zu kommen, muss man ein, zwei Grenzen überqueren.“ „Du verstehst mich nicht.. das könnte mehr Ärger geben, als du ahnst, ich – .“ „Takeru, stell uns doch deinen Freund vor.“ Er wurde eine Sekunde lang steif, bevor er sich zu seiner Mutter umwandte und sich sichtlich entspannte. „Natürlich. Minoru, das ist meine Mutter Ayame.“ Die Ōkami war zierlich und hatte die grünen Augen ihres Sohnes. Ihr zu zwei Zöpfen hochgebundenes Haar war von einem erstaunlich leuchtenden Rotbraun und der Pelzüberwurf, den sie mit einer Kette aus grünen, zahnförmigen Perlen vor dem Hals verschlossen hielt, fiel ihr weiß-grau über den Rücken herab. Wie die Männer trug sie Dō und Katana. Eine Frau mit Waffe? Seine Mutter hätte den entsetzten Gesichtsausdruck tagelang nicht aus der Mimik verbannen können. „Ayame-sama“, sagte er begrüßend und machte eine leichte, aber sehr anständige Verbeugung, die in etwa den Ausdruck in Takerus Gesicht zauberte, den er gerade noch seiner Mutter zugeschrieben hatte. „Es freut mich sehr, Minoru. Aber, bitte, 'Ayame' reicht völlig aus. Ich bin dir sehr dankbar, dass du meinen Sohn ermutigt hast, nach Hause zu kommen – und wenn ich das bisher richtig verstanden habe, warst du auch sonst nicht untätig. Fühl dich bitte wie Zuhause und scheu dich nicht, zu fragen, wenn dir etwas fehlt.“ „Vielen Dank“, gab er ruhig zurück und während sie noch lächelte, wandte sie sich an Takeru. „Dein Vater will sich noch mit Nobu-sama und dem Inu no Taishō zusammensetzen. Ich bin mir sicher, dass er danach zu dir kommt. Bis dahin kannst du Minoru alles zeigen, wenn du möchtest. Aber bleibt in Rufweite!“ Die letzte Anweisung kam so bissig, dass Minoru sich sicher war, dass diese sonst so freundlich scheinende Frau auch ganz andere Saiten aufziehen konnte. Sie warf ihm noch einen heiteren Blick zu, dann war sie auch schon wieder fort, um sich um andere Dinge zu kümmern. Bei so vielen Mitgliedern in diesem Rudel war das sicher keine leichte Aufgabe. „Möchtest du wirklich noch etwas sehen?“, fragte Takeru vorsichtig. „Eine Sache höchstens“, gab Minoru erschöpft zurück und Takeru lächelte. „Das dachte ich mir“, meinte er und ging voran, um ihm zum Lager seiner Familie zu führen. Dort war es immerhin verhältnismäßig leise, auch wenn Takeru schon ahnte, dass dieses bunte Treiben des Rudels Minoru nur allzu bald gegen den Strich gehen würde. Insgeheim war er froh, dass diese ominöse Besprechung noch im Raum stand. Er konnte sich zwar nichts Schöneres vorstellen, als sich nun endlich auch mit seinem Vater auszusprechen und wieder neben seinen Eltern auf den Fellen zu schlafen – ohne Sorgen, was der Morgen bringt –, aber er war sehr dankbar dafür, dass er nun zumindest Nobu nicht über den Weg laufen konnte, denn der war, ebenso wie Sesshōmaru, schon mit Kōga von der Bildfläche verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)