Einem fernen Tage von Silberfrost ================================================================================ Kapitel 54: Dass die Zeit ------------------------- „Du verstehst dich doch mit Tōtōsai, nicht wahr?“ „Warum klingt das so nach einer Falle, wenn Ihr es sagt?“ Unwohl versuchte Minoru zu ergründen, warum die Sprache nun ausgerechnet auf den greisen Schmied kam, konnte sich jedoch beim besten Willen keinen Reim darauf machen. Ryouichi blieb ernst. „Er hat dir Kleidung gegeben.“ „Er hatte sicher ausreichend selbstsüchtige Gründe, das zu tun“, entgegnete Minoru glatt. „Aber kommt zum Punkt.“ „Ich denke, ich habe eine Aufgabe für dich. Der Schmied hat einige unbedeutende Gründe angeführt, dem Fürsten nicht gänzlich wohlgesonnen zu sein.“ „Ich nehme an, der Alte lässt sich nicht allzu gern bedrohen.“ Ein schmales Lächeln huschte über Ryouichis Gesicht. „Wir wissen beide, wie überzeugend dein Vater sein kann.“ „Und Ihr meint, ich könnte einen anderen Eindruck vermitteln – um was zu tun?“ „Um Tenseiga von ihm begutachten zu lassen.“ „Er verweigert es, die Waffe, die uns den Hals retten könnte, zu reparieren? Seine eigene Handarbeit?“ „Nun...“, Ryouichi stockte kurz. „Ja.“ Ungläubig hob Minoru eine Braue und musterte den Generalleutnant. Er hatte ihn für einen recht passablen Lügner gehalten. Diese Darbietung war jedoch bestenfalls mittelmäßig. Ebenso gut hätte man behaupten können, Yūsei kümmere sich nicht um den Verbleib seiner edelsten Stoffe, obwohl er Ryouichi bis heute Seitenhiebe für die vernichteten Gewänder versetzte. Dass er sich keine Mühe mit seiner faden Geschichte gab, war entweder dem geschuldet, dass Ryouichi ihn für selten dämlich hielt oder er schlicht annahm, dass Minoru seiner Anweisung trotz aller Widersprüche nachkommen würde. Womit er Unrecht hatte. Doch wenn das ein billiger Versuch werden sollte, ihn aus dem Kriegsgeschehen herauszuhalten, würde der Chūyō es bereuen. Bisweilen war Minoru aber gewillt, bei diesem Unfug mitzuspielen. „Nun. Dann werde ich wohl gehen.“ Verblüfft sah ihn sein Gegenüber an, während Minoru scheinbar gelangweilt eine Kerbe im Holz des Tisches mit seiner Kralle nachfuhr. „Ich erspare Euch die Frage, was an dieser Geschichte eher gelogen ist – dass er sich weigert, die Waffe Instand zu setzen oder dass er sie nie angesehen hat, nachdem sie geborsten war. Es würde wohl zu nichts führen und wenn Ihr mich schickt, werdet Ihr wohl einen Grund haben. Solltet Ihr allerdings nur darauf abzielen mich von meinem Vater und der Front fernzuhalten, finde ich einen Weg, es Euch zu vergelten.“ „Das wird nicht nötig sein. Du wolltest eine sinnvolle Aufgabe und ich gebe dir eine. Ich würde mir nicht anmaßen, dich derart hinters Licht zu führen. Wenn das Resultat wäre, dass du deinem engsten Beraterstab nicht mehr vertraust, würde ich wohl kaum etwas mit deinem kurzzeitigen Schutz gewinnen.“ Er hatte die wohlwollende Stimme einer Katze und den durchdringenden Blick einer Natter. „Wobei ich dir wiederum nicht abkaufe, dass du tatsächlich in den Kampf ziehen willst. Du warst immer zum Angriff bereit, wenn es erforderlich war, aber dass du aktiv einer Schlacht entgegenfieberst, wäre mir neu.“ „Ihr müsst mich missverstanden haben. Es ist kein Fiebern sondern Notwendigkeit. Sagt mir einen Moment, in dem das Bestreben aller nötiger gewesen ist als jetzt. Ich kann nicht untätig erscheinen. Das habe ich bereits erläutert.“ Ryouichi erhob sich und zog eines seiner Schwerter samt Scheide aus dem Obi hervor. Mit zusammengezogenen Brauen nahm Minoru die ihm dargebotene Waffe entgegen und ließ die Handfläche über das Hüllmaterial fahren. Die Scheide war wie üblich aus Magnolienholz gefertigt und mit grünlich-schwarzem Lack überzogen, der an vielen Stellen kleinere Kratzer und Scharten aufwies. Es war keine Zierscheide, die man zur Aufbewahrung der Waffen nutzte, sondern eine zweckdienliche für den Alltagsgebrauch. Geschickt zog Minoru das Katana ein Stück weit hervor und ließ seinen Blick über die zerklüftete Oberfläche der Klinge wandern. Die Kratzer, die er schon vor langer Zeit in den Räumlichkeiten seines Vaters bemerkt hatte, waren noch tiefer in den Stahl getrieben und verliehen der Waffe das Aussehen eines gesplitterten Spiegels, in dem er sich unzählige Male selbst entgegenblickte. Seine Finger fuhren über die Schneide, die trotz der vielen Schäden im Kerzenschein scharf schimmerte. Erst behutsam, dann mit Nachdruck, glaubte er ein fades Sirren an den Fingerkuppen zu spüren. Eine Wunde hinterließ die Waffe jedoch nicht. „Ihr habt es...“, er sah zu Ryouichi auf. „Warum?“ „Dein Vater hat es mir überlassen. Er sieht keinen Gewinn darin, unnützen Ballast zu tragen.“ Er hatte ihm die Waffe nicht nur überlassen – sie hatten die Schwertscheiden getauscht. Damit niemandem auffiel, dass der Westen seine wichtigste Waffe in diesem Krieg verloren hatte. Unnützen Ballast ablegen oder den Feind mit einem anderen Schwert täuschen waren zweierlei Dinge. Sie brauchten Tenseiga. Und auch wenn das immer noch nicht erklärte, warum der Schmied sich so dagegen stemmte, dieses Schwert herzurichten, war es wenigstens einen Versuch wert, ihn dazu zu bewegen. Minoru war mit einem Satz auf den Beinen. „Wenn Ihr erlaubt, breche ich gleich auf.“ Ryouichi erhob sich deutlich langsamer und streckte die Hand erneut nach der Waffe aus. Widerwillig gab Minoru sie ihm zurück und befürchtete schon, dass er ihn auf unabsehbare Zeit noch im Lager behalten wollte, als Ryouichi näher an ihn herantrat und ihm die Waffe in den Obi schob. Starr sah Minoru ihm in die Augen, die ihn aufmerksam taxierten und bei seinem Anblick dieses Mal von einem zaghaften Lächeln erfasst wurden. „Achte gut auf Tenseiga und fürchte dich nicht vor ihm. Sō'unga, Tōkijin, Bakusaiga – Schwerter können dich vernichten, wenn du es zulässt. Tenseiga ist anders. Es wird nicht versuchen, dich zu unterwerfen. Aber sei vorsichtig: Unsere Feinde wissen, was es kann und sie werden seinen Träger nicht leben lassen. Wenn du bei Tōtōsai Erfolg hast, sehen wir uns an der Front. Bring die Waffe zu deinem Vater und bleib dicht bei ihm. Wenn nicht, geh nach Echizen und bring Osamu dazu, auch die verbleibenden Truppen zu entsenden.“ Er sah an Minoru vorbei zu Ichirou, der sich allmählich auf die Beine hievte und verschlafen zu den beiden aufsah. „Oh. Und lass den da hier. Ich schicke ihn mit dem Tross nach Echizen. Kanae kann sich um ihn kümmern. Ein Vulkan ist kaum ein geeigneter Ort für einen Hund und du willst ihn sicher nicht auf dem Schlachtfeld haben.“ „Ja“, stimmte Minoru zu, ehe der Akita Protest anmelden konnte. „Ich wäre dankbar, wenn sie das tun könnte.“ „Gut. Ich packe dir noch einige Dinge ein, die du besser mitnehmen solltest. Geh doch schon mal hinaus. A-Un wartet.“ „A-Un?“, Minoru zog die Brauen zusammen. „Wann habt Ihr-?“ „Ich habe ihn kommen lassen, bevor ich meiner Schwester dargelegt habe, was ich davon halte, meine Kleine in Gefahr zu bringen, nur weil sie nicht begreifen will, dass man nicht jede zerbrochene Vase kitten kann.“ Versöhnlich schlug er Minoru auf die Schulter. „Ich wusste, du würdest umgehend aufbrechen wollen.“ Minoru starrte dem Generalleutnant fassungslos nach, während der scheinheilig in einer Zeltecke nach einem Beutel kramte. Hatte er eben nicht noch behauptet, dass er sich nicht benutzen lassen wolle? Das funktionierte ja wirklich hervorragend. A-Un glitt geräuschlos über die Berghänge, während unter ihnen die Wälder einem grünen Meer gleich dahinflossen. Zugegeben, diese Reisemöglichkeit war schnell und sicher, aber Minoru kam dennoch nicht umhin, den Sattel zu umklammern. Wer hier oben die Aussicht genießen konnte, war wahrlich mit einem starken Magen gesegnet. Die Satteltaschen, die Ryouichi beladen hatten, hingen unangetastet neben ihm und gaben gelegentlich ein metallisches Klirren von sich. Obsidian. Kleinere Klingen und Rohgestein. Welcher Teil der Geschichte um Tenseigas bestehend schlechten Zustand auch immer die Lüge sein mochte – an der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Schmieds war offensichtlich ein Funken Wahrheit. Man bezahlte für gewöhnlich nicht für die Dienste eines Handwerksmeisters. Zumindest nicht auf einer so menschlichen Ebene wie dem Güteraustausch. Ein Schmied, Schneider oder auch andere Professionen, die nicht im unmittelbaren Dienst des jeweiligen Fürsten standen wie Yūsei es tat, stellten Bedingungen und Forderungen an ihr Gegenüber. Verbindlichkeiten, die man eingehen musste, wenn man etwas verlangte und die teils weit über die Beschaffung der Arbeitsmaterialien hinausgingen. Es war ein gefährlicher Handel, der einem schnell den Hals kosten konnte, wenn der Großmeister es nicht gut mit einem meinte. Immerhin führten diese gerissenen Dämonen mehr Verhandlungen als sie letztlich wirklich Handwerksstücke produzierten und das lag unter anderem daran, dass sie nur zu genau wussten, in welche finstere Grube sie ihre unliebsamen Kunden entsenden mussten, damit die auch ja nie wieder herauskrochen, um ihre neue Waffe einzufordern. Ob die Verhandlungen bezüglich Tenseiga schon begonnen hatten und Verbindlichkeiten bestanden, darauf war Ryouichi nicht eingegangen. Er hatte jedoch unmissverständlich klargemacht, dass das Obsidian für den Schmied bestimmt war und eine Aufmerksamkeit seinerseits darstellte, sofern der das Schwert nach bestem Gewissen reparierte – und nur dann. Das war kein Handel im engeren Sinne, sondern... Bestechung? Seit einer guten Stunde hatten sie die Waldgrenze hinter sich gelassen. Die Sonne drehte gerade vollends nach Süden, als auch die Erde unter ihnen begann die dunklen Schuppen des Longmas angenehm aufzuwärmen. Mit etwas Überwindung ließ Minoru die Hand über einen der Hälse gleiten und erntete dafür ein zufriedenes Schnauben beider Köpfe. Als das drachenähnliche Wesen dann auch noch wohlig schauderte, fand die Hand schnell den Weg zurück an den Sattel. Die Vulkanlandschaft des Ōu-Gebirges war in heißen Mittagsstunden noch beeindruckender als bei seinem letzten Besuch. Eine dicke Ascheschicht überzog den rissigen Boden, aus dem der Druck in zischenden Rauchschwaden entwich und Schwefelgeruch in die Luft schleuderte. Es war unwirtliches, weitläufiges Ödland, in dem sich bis auf gelegentliche Magmaströme nichts bewegte. Der Longma fand den Weg von allein und landete schließlich vor einem in den Berg ragenden Dämonenskelett, in dem der Schmied sein Lager eingerichtet hatte. Minoru glitt aus dem Sattel und lehnte sich umgehend an A-Uns Rücken. Der Boden unter ihm waberte wie eine dieser knartschbunten Luftburgen, die die Higurashis zu Kindergeburtstagen aufbauen ließen. A-Un drehte die Köpfe herum und schnaubte ihm amüsiert die Haare aus dem Gesicht, wobei der Großteil des Luftstoßes in seinem Zaumzeug verpuffte. „Sehr witzig“, beklagte sich Minoru halbherzig, klopfte ihm dann aber doch an die Schulter und richtete sich auf. Nicht einmal fünf Jahren waren seit seinem letzten Besuch vergangen und doch fühlte es sich an, als habe sich all das in einem anderen Leben ereignet. Der zahnbewehrte Skeletteingang, ja selbst das davor liegende dreiäugige Rind wirkte kleiner als er sie in Erinnerung hatte. Dem Yōkai hing ein Büschel verkohltes Gras aus dem offen stehenden Maul, während er Minoru und A-Un ansah als habe ihn soeben der Blitz getroffen. Im Innenraum der Behausung herrschte Dunkelheit. Das zentral gelegene Feuer war erloschen, stieß aber noch fauchend Rauch aus, wo Wasser eben erst auf Kohle getroffen war. Einzig die Esse brannte hinter einer Steinplatte und schickte spärliches Licht durch die Zuluftschlitze. Der eigentümliche Geruch nach kalter Asche hatte sich ausgebreitet und übertünchte alles. „Tōtōsai-sama?“ Minoru trat näher an das Feuer, ehe ihn ein verächtliches Schnauben innehalten ließ. „Deinen höfischen Scheiß kannst du dir sparen. Er verschwindet, sobald Kundschaft aufkreuzt.“ Minoru stockte. Die sich ausbreitende Aura war der seines Großvaters so ähnlich, dass es ihm ein Schaudern durch den Körper jagte. Viel schwächer, ja, aber im Kern gleich. Erst im nächsten Moment mischte sich etwas unter diese Ausstrahlung, das man wertneutral als 'unsauber' bezeichnet hätte. Mensch. „Kaito...“ „Drei Tage habe ich auf den alten Sack gewartet. Drei Tage! Und nun kommst du und verjagst ihn wieder. Konntest du nicht wann anders von den Toten auferstehen?“ Mit einer nachdrücklichen Handbewegung strich Kaito das Wasser aus seinem schwarzen Haar. Er war also zurück. Im ersten Moment hatte er dem Wind nicht glauben wollen. Bei all dem Schwefel auf diesem gottverlassenen Vulkan konnte man selbst dem Geruchssinn nur bedingt trauen. Der Schmied verfügte jedoch über einen sechsten Sinn, wenn es darum ging, Kundschaft aus dem Weg zu gehen. Für die Geschwindigkeit, mit der sich der Alte aus dem Staub gemacht hatte, mochte man ihm applaudieren. Senil war er dennoch: Kaito in der Hektik halb mit dem Wassereimer zu übergießen, obwohl seine Laune nach drei Tagen des Wartens ohnehin schon auf dem Tiefpunkt war, war sicherlich kein empfehlenswerter Schachzug für einen greisen Yōkai, der an seinem Leben hing. Anders herum hatte Tōtōsais Panikreaktion ihn beruhigt: Hätte seine Nase ihn in die Irre geführt, hätte er sich vermutlich Sorgen machen sollen, warum er ausgerechnet Minorus Geruch phantasierte. Der Inu sah unerwartet unversehrt aus. Erwachsen. Von dem hageren Jungen, der hinter seinem Alter mehrere Jahre zurückstand, war nichts mehr zu erkennen. Wenn er in Gefangenschaft gewesen war, dann wohl in der luxuriösesten, die man sich ausmalen konnte. Im Vergleich zu dieser makellos weißen Spinnenseide und den neuen Rüstungsstücken wirkte Kaito wie ein ramponierter Landstreicher. Der Dō aus schwarzem Leder, den sein Vetter mit einem dunkelroten Obi um seinen Oberkörper gezurrt hatte, roch noch nach Gerberölen und auch der Schutz an seiner rechten Schulter hatte nicht einen einzigen Kampf gesehen. Kaito tat einen Schluck aus seinem ledernen Trinkbeutel und bewegte den Rest der Flüssigkeit abwägend über die Zunge. Minoru hätte jede Möglichkeit gehabt, in diesem Aufzug arrogant und herrschaftlich zu wirken – wenn er nur nicht dreingeschaut hätte wie ein zu lange geprügelter Welpe. Nur zu gern hätte Kaito ihn für diese Nacht vor vier Jahren das Spatzenhirn aus seinem Schädel geschüttelt oder sein unverschämt sauberes Auftreten mitten im Krieg ein wenig der Situation angepasst, doch nicht einmal das gönnte dieser dämliche Köter ihm! Bei der winselnden Visage mochte man nicht einmal dosiert nachtreten. „Meine Fresse, starr mich nicht an wie eine verdammte Erscheinung. Was willst du?“ „Es ist eine Erleichterung, dich zu sehen.“ Kaito verschluckte sich an seinem eigenen Speichel. Würgend und hustend schmeckte er bereits seine letzte Mahlzeit ein zweites Mal in seinem Hals, während er sich kraftvoll auf die Brust schlug, um wieder zu Atem zu kommen. Ein kehliges Röcheln, einige Atemzüge und einen verständnislosen Blick später sah er zu seinem Vetter auf. „Hab' ich was verpasst? Seit wann sind wir zwei Freunde?“ „Sind wir?“ Ein schiefes Lächeln setzte sich in Kaitos Mundwinkel fest. Allein der Gedanke! Minoru mochte bei ihrer ersten Begegnung nicht den Eindruck hinterlassen haben, den er von einem Dämon seiner Abstammung erwartet hatte. Doch je älter er wurde, desto augenfälliger war auch, was unter der Haut lauerte. Seine Aura, die früher aufgewühlt um ihn getanzt war wie ein prasselndes Feuer, hatte sich auf die abstrahlende Hitze glühender Kohlen konzentriert und wogte bei jedem Atemzug mit einem ruhigen Flackern. Er war weit davon entfernt, sie vollends zu kontrollieren, aber bereits jetzt an einem Punkt, der Kaito immer verwehrt bleiben würde. Freunde. Von wegen. Minoru nahm den Ausdruck in Kaitos Miene mit Widerwillen wahr. Er begriff, dass er einen Fehler gemacht hatte. Einen dummen, emotionalen Fehler. Die Eindrücke ihres letzten Zusammentreffens hatten ihn geblendet. Kaitos Hilfsbereitschaft, die Unsicherheit über seinen Verbleib und die Schuldgefühle. Hinzu kamen Keikos Fragen über ihren Enkel, die Minoru möglichst neutral oder positiv beantwortet hatte. Er hatte sich verleiten lassen, die Verachtung zu vergessen, die Kaito ihm seit ihrer ersten Begegnung entgegengebracht hatte. Das Gefühl vergessen, mit jedem Wort und jeder Tat ein Urteil zu bestätigen, dass der Han'yō längst über alle und jeden gefällt hatte. Es war nicht unmöglich, dass auch ein winziger Teil seines Vetters gehofft hatte, Minoru möge die Freundschaft einfach bestätigen. Doch für derlei hatte er keinen Sinn. Wenn Kaito lieber an vorgefertigten Meinungen festhielt, würde Minoru sich sicherlich als letzter in den Staub werfen und um Wohlwollen bitten – was jedoch nicht hieß, dass er das hier nun eskalieren lassen musste. „Wir haben eine gemeinsame Historie prekärer Situationen“, sagte er schließlich und lehnte sich an eine besonders breite Rippe des Hauses. „Ich zähle nicht, wer wem wie oft das Leben gerettet hat. Das ist unerheblich. Doch der Drache – meine Erinnerungen sind lückenhaft. Entsetzlich lückenhaft. Aber ich weiß, dass ich ohne deinen Einsatz in jener Nacht mehrmals gestorben wäre. Und bis vor einigen Stunden wusste ich nicht, ob du dieses Unterfangen überlebt hast oder nicht.“ „Was für dich keinen Unterschied gemacht hätte.“ „Rational sollte ich sagen, dass dein Handeln allein deine Entscheidung war und dein potentieller Tod damit nicht in meiner Verantwortung gelegen hätte“, Minoru kratze unruhig mit einer Klaue über die Rippe hinter sich. „Irrational jedoch-“ „Rational-“, fiel Kaito ihm ins Wort, „könntest du mich nicht einmal töten, wenn du es versuchst, Goldjunge. Ich bin rauheren Umgang gewöhnt als deine sicheren Mauern und Papas schützende Hand. Mit verwöhnten Palastbengeln wie dir wische ich den Boden.“ Palastbengel. Minoru brauchte einen Moment, um die Ohrfeige zu verarbeiten und seine Wut zu zügeln, die die Asche am Boden aufwirbelte und einen weiteren, das Grollen in seiner Kehle herunterzuwürgen und gleichgültig zu klingen. „Vielleicht. Ich habe kein Interesse, das herauszufinden.“ „Weil du Angst hast, dass ein nicht mal halbblütiger Junge dir das weichgespülte Welpenfell über die Ohren zieht?“ Die Hitze fegte die Kohlen staubtrocken. „Weil ich dankbar für deine Hilfe bin, du engstirniger Idiot – und froh, dass du lebst! Himmel noch eins, hör auf ständig so zu tun, als würde alle Welt dich verachten, nur weil du in Selbstmitleid versinkst!“ „Selbstmitleid?!“ Sobald Kaito auf die Beine sprang, fuhr sein Yōki unheilvoll an den alten Knochen entlang, die die Hütte zusammenhielten. „Du arrogantes Biest hast leicht reden, was? Vier Jahre lang haben die Soldaten Papas Liebling gesucht, während ein verdammter Krieg tobt! Kaum bist du wieder da, wirst du eingekleidet wie eine Puppe und hast nicht einmal einen Finger krumm gemacht, um dir die Rüstung zu verdienen, in die sie dich stecken! Dabei hättest du alle Mittel, die es braucht. Ich weiß nicht, ob es Feigheit oder Faulheit ist, aber bei der Vergabe von Potential weit vorn zu stehen und nachher als verwöhntes Muttersöhnchen herumzutänzeln, das ohne Papas Schutz nicht eine einzelne Nacht überlebt, ist eine verdammte Schande!“ Das Skelett erzitterte. Die Kohlen der Feuerstelle begannen zu glühen und spuckten Funken auf den ohnehin heißen Boden. Mit einem Satz war Minoru über sie hinweg und starrte Kaito in die Augen. Schluss mit Schuldgefühlen. Schluss mit Ignoranz. Mit Zurücknehmen und Ruhe. Früher hatte er sich einiges gefallen lassen. Weil er keinen erneuten Ärger mit seinem Vater provozieren wollte, weil Honoka oder Rin die Streitigkeiten geschlichtet oder unterbunden hatten. Aber hier war niemand außer ihnen. Niemand, der sie davon abhalten konnte, sich in Stücke zu reißen. Kaitos Hand fuhr sogleich an seinen Obi, wo sie ins Leere griff. Dass er keine Waffe trug, bedeutete längst nicht, dass er unbewaffnet war, aber es kürzte seinen Vorteil eindeutig. Minoru mochte den Umgang mit dem Katana nun ansatzweise beherrschen, aber dass er damit zu Kaitos Kampferfahrung aufgeschlossen hatte, war unwahrscheinlich. Ohne Schwert jedoch standen die Dinge anders. Kaito verspannte sich. Er war alles andere als dumm und sicherlich in der Lage, sich daran zu erinnern, dass Minoru ihm einst freiwillig sein Schwert überlassen und offen zugegeben hatte, damit nichts anfangen zu können – und was der Umkehrschluss bedeuten mochte. Der Blick des Han'yōs huschte zu den alten, abgenutzten Waffen, die der Schmied in seiner Behausung verteilt hatte wie andere Leute Dekoartikel und schließlich wieder zu Minoru und dem Schwert in dessen Obi. Sein Ausdruck wurde hämisch: „Feigling. Ich hoffe, einen unbewaffneten Han'yō anzugreifen schmeichelt deinem Ego.“ „Ruhst du dich gern auf deiner Existenz aus?“ Kaito schnaubte verächtlich. „Es mag deine Vorstellungskraft übersteigen, aber nicht jeder will so sein wie du.“ „Nicht jeder. Du schon.“ Die Wucht mit der sie auf auf dem Boden aufschlugen, ließ Staub und Asche aus der Decke rieseln. Knurrend und fletschend rollten sie umeinander, die Klauen in den Armen des anderen versenkt, über und über mit Asche bedeckt. Wie erwartet war Kaito breiter gebaut, schwerer und wusste das einzusetzen. Er hatte Minoru alsbald unter sich gebracht. Der zog gerade noch rechtzeitig den Kopf zur Seite, ehe ein Schlag mit geballter Faust zumindest sein Jochbein zertrümmert hätte und stattdessen den Boden neben seinem Ohr bersten ließ. Schwefeldampf schoss aus dem Riss hervor und Kaito unmittelbar ins Gesicht. Fluchend zuckte er weit genug zurück, um Minoru ausreichend Freiraum zu geben. Der wollte ihn mit einem Tritt in die Magengrube rücklings von sich werfen, wurde jedoch mitgerissen, als Kaito seine Klauen erneut in seinem Arm versenkte. Fluchend landeten sie neben der Feuerstelle, rollten durch die Glut und warfen umstehende Waffenregale um wie Papierwände. Klappernd krachte ein ganzes Sammelsurium aus leeren Holzscheiden, alten Schwertern und Speerschäften zusammen und begrub sie unter sich. Kaito ließ sich davon nicht beirren, holte zu einem weiteren Schlag aus und schrie auf, als Minoru ihm in den Unterarm biss. Der nutzte die Gelegenheit, fing Kaitos Linke ein und donnerte schließlich beide Hände des Gegners über dessen Kopf auf eine der Schwertscheiden. „Das war dein Problem von Anfang an, nicht wahr?“, knurrte Minoru wütend und packte mit der übrigen Hand Kaitos Kehle. „Das ich bin, was du nicht sein kannst. Deswegen dieser ganze Terror – das ganze Gehabe über Voll-, Halb-, Vierteldämonen, Menschenblut und all den Mist! Dein Selbstmitleid geht mir auf die Nerven! Armer Kaito. Armer harmloser, handzahmer Halbdämon unter all den ängstlichen Menschen.“ Kaito bleckte die Zähne. Das Gold in seinen Augen nahm einen einen tieferen Glanz an. Hätte die Natur es ihm ermöglicht, er wäre just in diesem Moment ausgeklinkt und hätte jedweden klaren Gedanken über Bord geworfen, um seinen Gegner zu töten. Doch es blieb bei dunklerem Gold, kein Rotstich. Nur das offenkundige Eingeständnis, dass das hier kein harmloses Spiel war – und die Worte vernichtend. „Wem willst du etwas vormachen? Sie sehen, was du bist. Jeder tut das. Du würdest niemals die Menschen wählen. Wenn es eine Wahl gäbe, würdest du für keine Gemeinschaft der Welt deine Eigenständigkeit aufgeben und Schwäche und Hilflosigkeit wählen! Du bist mehr Dämon als dein Vater es je sein wird, ganz gleich was prozentuale Blutanteile sagen! Aber wer würde sich mit uns einlassen? Wir sind schließlich herablassende, egozentrische Kreaturen ohne Herz und Zusammenhalt, nicht wahr? Sag, ist es das, was du dir jeden Abend erzählst, damit es nicht so wehtut, irgendwo zwischen den Welten allein zu sein? Oder sind das Vorurteile, die sie dir eingeimpft haben, damit du ein braver Junge bist?“ „Verrate ich dir“, hauchte sein Gegenüber leise. Es war blanker Hohn, wie diese alte Aura erneut unter Kaitos geschundener Haut pulsierte. „Wenn du mir sagst, wie allein du wirklich bist.“ Die verbleibenden Regale und Vorräte krachten zusammen, als ein Beben das gesamte Haus ergriff. Es war ein kurzes Glimmen der Gebetsperlen an Kaitos Hals, das von drohendem Unheil kündete, ein Grollen in Minorus Kehle – das, und Kaitos Augen, die plötzlich an Minoru vorbei zur Raumdecke huschten, ehe das Skelett über ihnen zusammenbrach. Hustend und das weiße Haar grau von der Asche stieß Minoru einen Knochen zur Seite. Neben ihm ragte eine Rippe aus dem Boden. An ihr eine zerrissene Stoffbahn, die einst das Dach überspannt hatte und nun lustlos im Wind zappelte. A-Un hatte einen Kopf gehoben und betrachtete die Szene gleichmütig, während Mo-Mos ohnehin schon gewaltige Augen aus seinem Kopf zu fallen drohten. Das Beben hatte den Boden weiter reißen lassen. Der Schwefeldampf hing dicht in der Luft und brannte in den Augen. Dennoch war da der metallische Geruch von Blut – vielleicht war es aber auch nur zerborstenes Eisen. Nachlässig wischte Minoru mit dem Ärmel durch sein Gesicht. Einige Meter neben ihm brauchte es zwei Rippen und eine Menge Schutt, bis Kaito sich aufsetzte und ein Stück Kohle aus seinem Haar fischte. Er schnippte es Minoru an den Kopf. Inmitten der sich lichtenden Aschewolke stand ein vom Alter gebeugter Mann mit zitternder Unterlippe und geschwollener Halsschlagader, unfähig den Grad der Verwüstung zu erfassen, den sie angerichtet hatten. Minoru sah ausdruckslos zu ihm hinüber: „Er ist wieder da.“ „Das sehe ich selbst.“ „Das hat keine drei Tage gedauert.“ „Pff. Auf die Idee hätte ich auch kommen können.“ „Bist du aber nicht.“ Der Alte fuhr zu den beiden herum, als habe er eine Horde fetter Ratten in seinen Reisvorräten ertappt. Der gräuliche Ton seiner faltigen Haut war einem glühenden Rot gewichen – bebende Wut, die in heißen Schwaden aus seinen Nasenlöchern entfuhr wie der Schwefel aus dem Boden. „Ihr! Seid ihr vollkommen übergeschnappt?! Was denkt ihr verlausten Bengel eigentlich wer ihr seid?“ Er mochte alt sein, schmächtig und fast haarlos, aber die Wucht, mit der er seinen Schmiedehammer über ihre Häupter hinwegfahren ließ, war tödlich. Zeitgleich zogen sie die Köpfe unter dem Geschoss weg, das sich hinter ihnen in den massiven Berg grub. Während Minoru sich langsam erhob, war der Han'yō mit einem Satz auf den Beinen. „Bist du lebensmüde, Schmied?!“ Asche hatte sich in einem Haar mit Wasser und Blut vermischt, klebte die schwarzen Strähnen einzeln an den blauen Suikan und verlieh ihm einen wilden Ausdruck – nicht, dass die drohend erhobene Faust oder das Knacken angespannter Klauen missverständlich gewesen wären. Doch Tōtōsai kochte wortwörtlich vor Wut und ließ die Warnungen an sich vorüberziehen wie heiße Luft, während er zur Antwort einen Schwertgriff nach Kaito warf. „Lebensmüde?! Ich bin nur einer Sache müde und das ist diese Dynastie des Wahnsinns, die er aufgestellt hat! Verflucht sei dieser Hund! Ich hätte den Köter fortjagen sollen, als er seinem Welpenspeck noch nicht entwachsen war! Aber konnte ich ahnen, dass er mich über Generationen mit seiner undankbaren Brut verfolgen würden? Konnte ich? Nein!“ Er blähte die Wangen auf und erschnaubte einen kleinen Flächenbrand zu seinen Füßen. Hatte Kaito dem Alten eben noch für seine Fähigkeit gratulieren wollen, Kunden weiträumig aus dem Weg zu gehen, konnte Minoru dem Schmied nun einen gewissen Mut nicht absprechen. Ausgeschlossen, dass er ihre Auseinandersetzung mit einer harmlose Balgerei verwechselt hatte und umso bemerkenswerter, dass er wahnsinnig genug war, sich nun zwischen die Fronten zu stellen und eine dritte zu eröffnen. Wie gewagt von ihm! Bei Kaitos überschäumendem Temperament und Tōtōsais gerechtfertigtem Zorn war es nur eine Frage von Minuten, ehe aus Geschrei und bewusst zu hoch geworfenen Schmiedehammern Ernst wurde. Nichts, was die derzeitige Situation erlaubte. Minoru brauchte den Schmied und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, dass Kaitos Provokationen ihn hingerissen hatten, ihren Streit ausgerechnet an diesem Ort auszutragen. Als auf eine erneute Schmähung des Schmieds Kaitos Aura hochfuhr, beschloss er, es Tōtōsai gleichzutun und ihre Aufmerksamkeit voneinander zu lösen. „Hättet Ihr den Taishō einst abgewiesen, hätte Euer Ruf einigen sehr spektakulären Waffen entbehrt.“ Er fegte mit einer möglichst belanglosen Geste etwas Dreck von seinem Kimono und gab vor, die Miene des Alten nicht zu bemerken, dem die Wut entgleiste und in einen zutiefst sauertöpfischen Ausdruck abrutschte. Ehe er jedoch eine grätige Erwiderung über die Lippen brachte, die Kaito endgültig dazu brachte, alle Vernunft über Bord zu werfen, hob auch Minoru den Blick. „Allerdings ist Euer Zorn nur zu verständlich. Wir haben Euer Heim in ein Trümmerfeld verwandelt. Ich kann Euch versichern, dass das nicht gegen Euch gerichtet gewesen ist. Die Situation ist uns lediglich etwas... aus dem Ruder gelaufen. Selbstverständlich werden wir das Chaos beseitigen.“ „Selbstver... ständlich.“ Der Schmied wiederholte die Einschätzung, langsam, als müsse er prüfen, ob der Geschmack der Worte seine Zunge verätzen würde. Es war schwer zu sagen, welcher der beiden Minoru mit größerem Unverständnis anstarrte – die Sprache fand Kaito jedenfalls schneller wieder: „Bist du bescheuert?!“ „Vorausgesetzt natürlich, Tōtōsai erklärt sich bereit, unseren Gesuchen nachzukommen. Keiner von uns ist zum Plaudern hier.“ „Du glaubst doch nicht, dass ich diese Bruchbude wieder-“ Vollidiot! Minoru spürte, wie sein Puls wider besseren Wissens hochfuhr: „Wir haben Anliegen, die nur er erfüllen kann! Wenn wir die in diesem Leben noch erledigt wissen wollen, sollten wir verflixt nochmal etwas Reue zeigen und sein Lager wieder herrichten!“ „Willst du ihm danach vielleicht noch den Rücken kratzen?!“ „Schluss!“, Tōtōsai raufte das, was von seinem grauen Haarschopf übrig geblieben war und fluchte, als er die Überreste seines Heims bereits im nächsten Handgemenge in alle Winde verstreut sah. „Euch hält man ja im Kopf nicht aus! Du da – Haltung! Dieses unterwürfige Geplänkel ist ja widerlich! Und du, Inuyashas Bengel-“ „Mein Name ist Kaito.“ „Was glaubst du, würde deine Mutter sagen?“ Kaitos Stimme wurde gefährlich leise. „Drohst du mir etwa mit meiner Mutter, alter Mann?“ „Pah! Dir mit deinem Vater zu drohen wäre schließlich auch verschwendeter Atem“, gnarzte Tōtōsai, sah jedoch in Anbetracht der Lage davon ab, Kaito genauer darüber ins Bild zu setzen, welche Unzulänglichkeiten er dessen Vater zuschrieb. Der Han'yō schnaubte verächtlich: „Glaubst du, ich wüsste nicht, worauf das hier hinausläuft? Wir räumen auf und du kannst dich nicht mehr an deinen Teil der Abmachung erinnern. Ganz zufällig.“ „Und ihr? Für wie senil haltet ihr mich, Schadensbegrenzung als Bezahlung anbieten zu wollen?“, der Schmied spuckte aus. „Ich bin nicht die Wohlfahrt! Schon gar nicht für zwei halbgare Rotznasen wie euch.“ Minoru erwischte sich dabei, wie er angestrengt seine Schläfe massierte. „Niemand hat gesagt, dass Ihr für Eure Arbeit keinen Lohn erhaltet.“ „Ach nein?“, klang es aus beiden Richtungen in Tonfällen, die nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können. „Nein.“ Unmöglich, dass Ryouichi dieses Theater hatte kommen sehen. Aber wenn man bedachte, wie schnell der Schmied bei seiner Ankunft verschwunden war, dämmerte Minoru allmählich, warum der Generalleutnant Vorsorge getroffen hatte. So weiträumig wie Tōtōsai Aufträgen aus dem Weg ging, gierte er jedenfalls nicht nach Arbeit. Nun, Minoru hatte nicht die letzten Jahre in der Neuzeit verbracht ohne das ein oder andere über Warenaustausch gelernt zu haben. Er wandte sich um, um A-Un herbeizurufen, als der ihn bereits mit der Nase anstieß. Tōtōsai bemerkte die Anwesenheit des beschuppten Dämons mit schwer übersehbarem Misstrauen. Sein Blick fuhr über Minoru, blieb an der unauffälligen Schwertscheide in seinem Obi hängen – und sprang schlagartig wieder zu seinem Gesicht hinauf. Die pochende Halsschlagader des Alten glättete sich allmählich, während er erneut die schmucklose Schwertscheide studierte – bis Minoru etwas aus den Satteltaschen nahm. Kaum hatte der die pechschwarze Speerspitze ins Licht der Mittagssonne gebracht, stand Tōtōsai neben ihm. Ungerührt lehnte sich Minoru ein Stück zurück, um seinen persönlichen Freiraum wiederzuerlangen und musste abgeneigt feststellen, dass der Schmied jeder seiner Bewegungen folgte wie eine Katze einer Lichtreflexion. „Faszinierend“, murmelte der Alte abwesend. Unter seiner ledrigen Haut traten die Adern seiner Hände besonders deutlich hervor, doch Minoru zog die Obsidianspitze vor seiner Nase weg, ehe seine Finger sich um das Objekt der Begierde schließen konnten. „Eine Aufmerksamkeit des Generalleutnants“, sagte Minoru schließlich im gedämpften Ton. „Er hat mich angewiesen, Euch den Inhalt der Taschen zu übergeben – sobald Ihr unseren Anliegen nachkommt. Aber bis dahin-“ Minoru ließ die Speerspitze zurück in die Satteltasche fallen und war ehrlich überrascht, dass der Schmied ihr nicht umgehend nachsprang. Dessen Blick klärte sich jedoch unerwartet schnell. Er fuhr mit der Spitze seiner Zunge über die trocken gewordenen Lippen und entblößte eine Reihe vergilbter, spitzer Zähne. „Abgemacht.“ „He, Alter! Vergisst du da nicht jemanden?“ Tōtōsai hatte den Anstand, zunächst um einige Zentimeter zu schrumpfen, als Kaito sich knurrend hinter ihm aufbaute. Dann aber begann er desinteressiert mit einem Fingernagel in seinem Ohr herumzupuhlen: „Komm später wieder, Junge. Ich habe Kundschaft.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)