Einem fernen Tage von Silberfrost ================================================================================ Kapitel 55: die wir gemeinsam hatten ------------------------------------ Während im Alter die Qual bestand, eine angemessene Form für die jeweilige Situation zu wählen, war es für die Jüngeren ein Erfolg, die Gestalt eines tatsächlich existierenden Vogels über ein paar Minuten zu erhalten. Ob es sich dabei um eine schnöde Heckenbraunelle handelte oder um einen Falken, war erst einmal irrelevant und häufig gingen die kleineren, einfach gefärbten Singvögel leichter von der Hand. Wenn es zum Fliegen kam, war jedoch alles Geflügel gleich frustrierend: Keiner, der versucht hatte, die neu geformten Körper aus eigener Physik heraus in die Luft zu befördern, hatte dieses Unterfangen ohne das ein oder andere ausgekugelte Gelenk überstanden. Natürlich hätte man sich mit etwas Spitzfindigkeit des Yōkis bedienen können, doch wo blieb da die Herausforderung? Ganz zu schweigen vom Unterhaltungsfaktor für alle anderen. Nichts ging über den Anblick einer Horde übermütiger Füchse, die sich bei einem zum Scheitern verurteilten Manöver aus den Baumkronen warfen wie frisch geschlüpfte Entenküken – und ebenso plump zu Boden fielen. Kōhei machte Saburō persönlich dafür verantwortlich, dass er dieses Spektakel gegen die unliebsame Zweisamkeit eintauschen musste, die der Fürstensohn ihm erneut aufzwang. Der Marschbefehl mochte von Hayato stammen, aber Kōhei hätte seine Truppen begleiten können, statt erneut Saburōs Nähe erdulden zu müssen. Die Krähe, die mehrere hundert Meter entfernt über einem Reisfeld dahinsegelte, hatte sich jedoch vehement geweigert, alleine oder mit dem Heer zu reisen und Kōhei angewiesen, den Befehl an Jirō zu übergeben. Nun wandelten seine erfahrenen Truppen wie auch die Kadetten durch die neutralen Zonen in Richtung Westen, während eine Kurodadrossel und eine Krähe die Vorhut bildeten. Regulär bevorzugte auch Kōhei Rabenvögel. Sie waren weit verbreitet, ausreichend groß, um nicht beiläufig von einem verzweifelt dummen Greifvogel attackiert zu werden und zogen weder in Menschendörfern noch weiten Wäldern Aufmerksamkeit auf sich – auch nicht, wenn sie zu zweit unterwegs waren. Ein Grund mehr, dieses Mal auf die obligatorische Krähe zu verzichten. Die Kurodadrossel mutete mit ihrem schwarzen Kopf, dem rötlichen Bauch und braunen Rücken vielleicht eine Spur zu extravagant für einen Kundschafter an, aber sie war unscheinbar im Vergleich zu manch anderem Vogel, dessen er sich während der Lehrstunden bediente und zeitgleich eine deutliche Abweisung an Saburō. Der hatte sich ungewöhnlich kommentarlos gefügt und blieb seit ihrem Abflug lediglich in Sichtweite. Das war sicherlich auch die klügere Wahl für sie beide. Widerwillig musste Kōhei eingestehen, dass die gemeinsamen Erlebnisse bei Hofe und im Chūgoku-Gebirge Mauern zwischen Saburō und ihm eingerissen hatten, die nicht einmal einen Haarriss hätten aufweisen dürfen: Er war dem Kōtaishi mehrfach ins Wort gefallen, hatte gelöste Antworten gegeben und für einen Moment wahrhaft überlegt, ihm das mitternächtliche Fell zu gerben. Dieser Fuchs trieb ihn nicht nur zur Weißglut, sondern auch zu freien Äußerungen und er war dumm genug, sich hinreißen zu lassen. Taichis Ableben nach seiner kurzen Bekanntschaft mit dem Erben hätte ihm eine Lehre sein sollen. Stattdessen ermutigte er den Fürstensohn zu vertraulichen Gesprächen und verstrickte sich mit jedem Zusammentreffen ein wenig mehr in Saburōs Geflecht aus halbwahren Intentionen, persönlichem Schicksal und Intrigen. Dabei müsste gerade Kōhei es besser wissen. Dutzenden Männern hatte er dabei zugesehen, wie sie auf dem persönlichen Schlachtfeld zwischen Verlangen und Pflicht ihrer zweifelhaften Suche nach dem rechten Weg erlegen waren. Seinem Nächsten Position, Weib oder Erfolg zu neiden, endete für gewöhnlich mit mindestens einer Leiche und wer sich in diesen Zeiten leistete, seine Loyalität mit Moral zu verseuchen, fiel noch schneller. Er hatte sich von alledem lange ferngehalten. Hatte ein Leben geführt, in dem er sich für Erfolg oder Versagen in der Ausführung seiner Befehle rechtfertigen musste, niemals jedoch für eine fragliche Haltung gegenüber den Entscheidungen und Bestrebungen seines Fürsten. Bis Reika gekommen war. Er konnte sich zu genau an den Moment erinnern, als aus der Gefangenen im Nordtrakt eine Frau mit Namen, Charakter und Geschichte geworden war. Als er zum ersten Mal in einem beiläufigen Gedanken entschieden hatte, dass das Vorgehen seines Herrn verwerflich und abstoßend war. Von da an hatte sich die Spirale abwärts gedreht. Seine Loyalität war nicht mehr ungebrochen; die Kluft zwischen Worten und Gefühlen breiter geworden. Er hatte sich hinreißen lassen den Jungen, ihren Jungen, ins Herz zu schließen und ihm Lektionen zu erteilen, die für seine vorgesehene Rolle in diesem politischen Spiel vollkommen unerheblich, ja sogar hinderlich waren. Ein einfacher Spielstein musste nicht wissen, dass Japan aus Inselgruppen innerhalb einer viel größeren Welt bestand, dass oder wie man Illusionen enttarnen konnte. Allein Masukos Präsenz hatte ihn daran gehindert, seiner vorgegaukelten Vaterrolle gänzlich zu verfallen. Als Minoru fortgelaufen war, hatte Kōhei nach ihm gesucht, seine Rückbeschaffung befürwortet und doch gehofft, ihm nicht zu begegnen. Wenn er ehrlich war, wäre es vor vier Jahren ein Leichtes gewesen, das Mädchen und den zweiköpfigen Dämon an seiner Seite zu töten und ihn nach Süden zu schaffen. Dass Minoru jedoch behauptet hatte, unter dem Schutz des Inu no Taishōs zu stehen, hatte ihn unvorbereitet getroffen. Im Rückblick jedoch war es nicht die Angst um die Offenlegung südlicher Intrigen gewesen, die ihm eiskalt über den Rücken gelaufen war, sondern das Unverständnis, wie der Junge darauf gekommen war, ausgerechnet das zu seiner Verteidigung vorzubringen. Ausgeschlossen, dass er die ganze Wahrheit wusste. Er hatte ihm lediglich etwas an den Kopf geworfen und damit ins Schwarze getroffen. Ein Schachzug, der Kōhei ein Lächeln entlockte, das er nicht einmal hätte fühlen dürfen. Und nun war da noch Saburō, der ihn seit ihrer ersten Begegnung immer tiefer in seine Ansichten und Machenschaften verstrickte und damit erneut Fragen aufgeworfen hatte, die sich kein loyaler Soldat erlauben durfte. Was kümmerte es Kōhei, wie der Fürst mit seinen Söhnen und deren Frauen verfuhr? Wen er mit wem verheiratete und warum? Es war schlicht nicht seine Aufgabe, sich über derlei den Kopf zu zerbrechen oder Meinungen zu bilden. Aber es stand ihm ebenso wenig zu, über den Anblick einer toten Frau die Fassung zu verlieren und seinen Fürsten zugunsten eines anderen zu belügen und dennoch hatte er es getan. Hatte außerdem seinen Herrn belogen. Ein Wort von Kōhei und der Fürst hätte Saburō in den halbtrockenen Innereien seiner Frau verbluten lassen. Dass der Silberfuchs noch lebte, war sein Werk. Ebenso wie er damit einen Schritt näher am Abgrund stand. Kōhei wusste, was am Ende lauerte. Dass es eine Frage der Zeit war, bis er am Grund der Spirale aufschlug oder sich im Netz erhängte, das Saburō für ihn sponn wie eine gewaltige, schwarze Spinne. Schaudernd stellte er die Federn auf und warf einen Seitenblick zur Krähe, nur um festzustellen, dass diese bedenklich nah über den Baumkronen dahinsegelte. Kōhei begutachtete die sporadischen Flügelschläge und ließ sich zu ihm zurückfallen. „Wir sollten rasten und erst im Morgengrauen den Biwa-See überfliegen, Kōtaishi. Das Heer liegt weit zurück und wird außerdem bald ein Nachtlager aufschlagen. In Kriegszeiten bin ich ungern zu weit von ihnen entfernt.“ „Wie fürsorglich von Euch“, erwiderte der spitz, wobei er offen ließ, ob er das Zugeständnis seiner Ermüdung durchschaut oder die Sorge um eine hundert Mann starke Armee für unsinnig befunden hatte. Dass Saburō jedoch in der Tat angeschlagen war, wurde spätestens nach der Landung deutlich. Er bemühte sich zwar um Haltung, konnte jedoch weder scharfe Atemzüge noch das Muskelzittern seiner Arme verbergen. In den vergangenen Jahren hatte er an Gewicht und Konstitution eingebüßt und wenn Kōhei genauer darüber nachdachte, war auch seine Zunge längst nicht mehr so scharf wie üblich. Zumindest hatte er bislang auf etwaige Fallstricke verzichtet und stattdessen Provokationen wie auch Themen in aller Offenheit präsentiert. Insgesamt war das in Saburōs Fall eher schlechtes Zeichen als wohltuende Besserung. Nicht dass Kōhei dem Drahtseilakt nachgetrauert hätte, bei welchem auf jede Antwort ein verstecktes Messer folgen konnte, doch wenn der bissige Köter des Nachbarn handzahm wurde, war man mit Vorsicht gut beraten. Kōhei erwischte sich bei dem Gedanken, dass er einen seiner Kadetten in einem solchen Fall ins Gebet genommen hätte. Shippō etwa war in den vergangenen Wochen immer abwesender und unzuverlässiger geworden. Er war den anderen seiner Altersklasse voraus und hatte damit ausreichend Zeit, sich den Kopf über andere Dinge als die Ausbildung zu zerbrechen. Als der Zustand sich verfestigt hatte, hatte Kōhei ihn zur Seite genommen, nur um festzustellen, dass die Gedanken seines Schülers um das Wohlergehen seines Heimatdorfes kreisten. Was hätte er anderes tun sollen, als den Jungen für eine Weile nach Hause zu schicken? Alles Mutmaßen und gute Zureden hätte den Überlegungen entsprochen, die Shippō ohnehin seit langem durch den Kopf spukten und Ungewissheit war dann am besten, wenn man sie begrub. In diesen Zeiten konnte er keinen abgelenkten Schüler an seiner Seite brauchen. Nun da sie einen Marschbefehl erhalten hatten schon gar nicht. Und doch hätte der General den zerstreuten Jungen liebend gern gegen diesen Bastard eingetauscht, der nur allzu genau wusste, dass Kōhei nicht so blind war, seinen Zustand zu übersehen. Im Regelfall hätte Kōheis unausgesprochenes Wissen um die Konstitution des Erben eine Steilvorlage für Sticheleien und Gespräche aller Art dargestellt. Doch da Saburō auch nach Sonnenuntergang noch schwieg und sich wortlos zur Ruhe gelegt hatte, fragte sich Kōhei mittlerweile ernstlich, ob seine unmissverständliche Distanzierung am Nachmittag den Fürstensohn gekränkt haben mochte – nur um den Gedanken sofort wieder zu verwerfen. Saburō war durchaus bewusst, dass Kōhei die Gesellschaft einer toten Ziege der seinen um ein Vielfaches vorgezogen hätte und war bislang nie müde geworden, ihn mit diesem Wissen zu konfrontieren. Er zog sein Amüsement aus solcher Ablehnung und wenn diese ihn jemals gekränkt hatte, dann hatte er es bislang meisterlich versteckt. Was auch immer Saburō dazu bewog, seine Stacheln in Schweigen zu hüllen, bescherte Kōhei eine ruhige Spätsommernacht, in der selbst die Grillen leise zirpten und die Mondspiegelung so regungslos auf dem entfernten Biwa-See lag, als habe man sie auf die Oberfläche gemalt. Er konnte jedoch kaum mehr als eine halbe Stunde eingenickt sein, als ihn ein Krächzen auffahren ließ. Er war schneller auf den Beinen als sein Fuchsfeuer den Waldboden in einem smaragdgrünen Flackern ausleuchten konnte und starrte für den Bruchteil einer Sekunde auf den Fürstensohn, der sich unweit seiner Füße giemend durch Moos und Äste wälzte, die sonst lodernden Augen panisch geweitet, und wie ein Wahnsinniger seinen Hals aufkratzte. Kōhei schwang sich über ihn, packte seine Handgelenke und rettete, was mitternachtschwarze Klauen von Haut und Adern übrig gelassen hatten. Geistesgegenwärtig versuchte er den Kopf zu fixieren, zu sehen, woran Saburō erstickte, während dessen Augen von geplatzten Gefäßen gerötet und die Lippen blau wie Frost geworden waren. Dann lag er schlagartig still und eben jener Frost fuhr durch Kōhei wie eine Welle eisigen Schocks. War ihm der Erbe seines Herren gerade sprichwörtlich unter den Händen gestorben? Unmöglich! Woran um Himmels Willen? Es war keine Sterbensseele in der Nähe, nicht einmal ein Hauch fremden Yōkis. Nichts! Fluchend presste Kōhei den Brustkorb des Silberfuchses nach unten, nur um irritiert festzustellen, dass die Luft sehr wohl ungehindert einen Weg aus den Lungen fand. Verdammter Bastard! Er riss am Kragen des Kimonos, wo das Blut den braunen Stoff schwarz gefärbt hatte und die durchtränkte Seide widerspenstiger war denn je. Schließlich zog er die Klinge seines Messers durch sämtliche Kleidungsschichten hinab bis zum Nabel, zerstückelte den Obi und schlang ihn mit dosiertem Druck um die sickernden Wunden am Hals. Wo Blut floss, war noch Leben und solange es nicht in Stößen sprudelte, hatte dieser Irre nur die oberflächlichen Venen erwischt. Erneut stieß er auf den Oberkörper nieder, mehrfach, zwang Luft in seine Lungen, während diverse Rippenbrüche den Brustkorb bei der Atmung in die falsche Richtung dehnten, und begann von vorne. Er hatte Shippō belächelt, als der ihm diese und andere Techniken beschrieben hatte, die eine Menschenfrau in seinem Dorf im Ernstfall praktizierte, aber er würde selbst Saburōs Leben nicht kampflos ans Jenseits abtreten. Saburōs im Besonderen! Nicht vorzustellen, was man denken würde, wenn der Erbe in seinem Beisein praktisch von allein das Zeitliche gesegnet hatte – nicht vorzustellen und damit für jeden anderen absoluter Humbug! Man würde ihm einen Mord andichten! Nicht weniger. Wonach sonst sollte das hier auch aussehen? „Komm schon, du eingebildeter Mistkerl, atme!“ Minuten zogen sich wie Stunden und je länger nichts geschah, desto energischer wurde Kōhei, bis er Saburō mit Sicherheit zwei weitere Rippen gebrochen hatte und ihn hemmungslos verwünschte. Dann endlich ein Zucken, ein fades Aufflackern, gefolgt von einem Husten und Röcheln, Keuchen und Spucken. Kōhei rutschte augenblicklich von Saburō herunter, der panisch nach Luft schnappte – die Hände erneut zum Hals hochschnellend. „Nein!“, fauchte Kōhei, als gebiete er einem kleinen Jungen, nicht in das glühende Feuer eines Schmiedeofens zu greifen und fing die Hände ab, bevor sie weiteren Schaden anrichteten. Saburō kämpfte kraftlos gegen den Griff, wälzte ächzend auf die Seite, nur um gequält stöhnend zurückzurollen. Seine Brust hob und senkte sich, als versuche er den Verlust des Atems der letzten Minuten schnellstmöglich auszugleichen. Kōhei biss die Zähne zusammen. Es brauchte einen Moment Konzentration, um die Schärfe aus der Stimme zu nehmen und einen weiteren, sich für einen angemessenen Umgang mit dem Fürstensohn zu entscheiden. „Bleibt ruhig. Ihr habt Euch schlimm zugerichtet. Ihr müsst Euch beruhigen, hört Ihr? Außer mir ist niemand hier.“ Behutsam ließ er eine Hand auf Saburōs Schulter ruhen und unterdrückte das Verlangen nach dem Sitz seiner provisorischen Halsbinde zu sehen, aus Sorge, er könne erneut in Panik geraten. Stattdessen gab er der Sittsamkeit Vorrang und wollte Hanjuban und Kimono über den Körper schlagen, nur um bei halber Verrichtung innezuhalten. Die hervortretenden Schlüsselbeine waren bereits unter dem Stoff sichtbar gewesen, doch die vielfachen Blutergüsse, halb verheilten Schnitte und alten Narben wären in jeder anderen Situation verborgen geblieben. Ganz zu schweigen von dem schwarzen Pelz, den Kōhei bislang für einen aufgesetzten Kragen gehalten hatte. Eine modischer Kunstgriff, der dem einst pechschwarzen Auftreten des Erben einen aristokratischen Anstrich verliehen hatte – und der nun bei jedem Atemzug mit flackernder Aura wenige Millimeter über seinem geschundenen Körper wogte. Kōhei verspannte sich sichtlich und legte den Stoff über ihm zusammen so gut es die zerschnittene Kleidung zuließ. Er war ein Narr gewesen, anderes anzunehmen. Das schiere Ausmaß seiner Macht war mit Verwandlung eines Menschenkopfes in Masukos Antlitz samt Yōki offensichtlich gewesen. Kein gewöhnlicher Dämon war in der Lage, eine solche Magie zu weben, geschweige denn anschließend eine mehrtägige Wegstrecke in Form konzentrierter Energie binnen Stunden zurückzulegen. Umso klarer wurde, warum Hayato sich von diesem schwer händelbaren Sprössling derart aus der Reserve locken ließ und ihn mit allen Mitteln unterzuordnen suchte. Kōhei kannte seinen Fürsten gut genug, um sich auszumalen, wo all die halb verheilten Verletzungen ihren Ursprung nahmen. Ihm mochte Hayato Ungehorsam und Verfehlungen ins Gesicht gebrannt und geschlagen haben, aber innerhalb der Familie galt es dieses zu wahren und offensichtlich schloss das ein, dass sichtbare Bereiche seines Sohnes zumindest augenscheinlich unversehrt bleiben mussten, während das Ende körperlicher Erniedrigung sicher nur der Anfang anderer Kontrolle war. Hatte Saburō nicht längst eingestanden, seine Tochter nie zu sehen? Dass Akemi gerade erst wieder erlaubt worden war, ihre Gemächer im Beisein seiner Mutter zu verlassen? Dass sie erneut ein Kind trug? Es bedurfte nicht viel Phantasie, dass der Fürst einiges für einen Daiyōkai in der Erbfolge gegeben hätte. Einen von der Pike aufgezogenen, gehorsamen Enkelsohn bestenfalls, der den eigenwilligen Vater überflüssig machte. Saburōs Glück war bislang gewesen, dass sein erstes Kind, ob nun Daiyōkai oder nicht, ein Mädchen geworden war und Hayato von Frauen im Generellen und von weiblichen Führungspersonen im Besonderen rein gar nichts hielt. Andernfalls hätte er die konstante Bedrohung durch seinen Sohn kaum länger geduldet. Der hatte sich indes beruhigt, atmete tiefer in die Lungen, auch wenn ihm der stechende Schmerz gebrochener Rippen deutlich anzusehen war. „Ich würde Euch anbieten, Euch aufzuhelfen. Aber es ist sicherlich klüger, wenn ihr zunächst liegenbleibt. Kann ich sonst etwas für Euch tun?“ Ein mildes Lächeln zuckte über die ausgetrockeneten Lippen. „Nun doch Mitleid, General?“ „Ihr erweckt gerade wenig anderes“, erwiderte Kōhei trocken, beruhigt, dass Saburō zumindest wieder nach sich selbst klang. „Und ich Narr nahm an, Angst zu wittern.“ Kōhei schnaubte durchdringend und zog sich ein Stück von ihm zurück. „Berechtigterweise. Niemand hätte mir geglaubt, dass nicht ich es war, der Euch im Schlaf erdrosselt hat – was auch immer stattdessen der Grund gewesen sein mag.“ Was war der Grund? „Ich glaube kaum, dass mir das gut bekommen wäre.“ „Im Gegenteil“, Saburō schlug die Augen auf und betrachtete Kōhei nachdenklich. Das Weiße in seinem Blick immer noch blutunterlaufen. „Mein Vater hätte Euch nicht nur augenblicklich verziehen, sondern einige Ehrungen vor die Füße geworfen. Sind wir ehrlich: Er hofft seit Jahren, dass Ihr mich tötet und ihn damit vor übler Nachrede bewahrt, mich aus Angst beseitigt zu haben.“ „Er kennt mich besser als das – und Ihr redet zu viel. Ruht Euch aus.“ „Er kennt Euch gar nicht“, murmelte Saburō, schlug aber gehorsam die Lider nieder. „Sonst hätte er niemals den Fehler gemacht, Euch in meine Nähe zu lassen.“ ☾ Es war zu einfach. Viel zu einfach. Wenn es nur einer Ansammlung von Steinen aus zügig abgekühlter Lava bedurfte, um den auf einem Vulkan siedelnden Schmied zur Kooperation zu bewegen, warum war die Angelegenheit dann nicht längst erledigt worden? Tenseiga mochte keinem irdischen Gegner Schaden zufügen, doch im Kampf gegen untote Drachen war es die wichtigste Waffe, die sie hatten. Vielleicht sogar ihre einzige Chance den Spuk zu beenden. Dennoch war es bereits geborsten gewesen, als Minoru seinen Vater zuletzt im Palast begegnet war. Nicht in demselben Ausmaß wie heute, wo die Klinge einem zerbrochenen Spiegel glich, aber bereits von Scharten durchzogen und mit herausgebrochenen Ecken versehen. Unvermittelt rammte Minoru die Rippe des Skeletthauses tiefer in die Vulkanerde und starrte auf den alten Knochen hinab. Der Fürst war in jener Nacht unerwartet von der Front zurückgekehrt und Minoru hatte sich bereits damals gefragt, was ihn dazu verleitet hatte, in einem nächtlichen Manöver seine Waffen zu pflegen statt mit ihnen Schädel zu spalten, wie er es üblicherweise gehalten hätte. Wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits einen Reise zu Tōtōsai in Erwägung gezogen hatte – das Schwert nur hergerichtet hatte, um den Schmied gütig zu stimmen – dann lag Tenseiga bereits seit über vier Jahren in Trümmern. Was ging hier vor? Dass der Schmied wörtlich nach einer Bezahlung verlangt hatte, hatte alles über den Haufen geworfen, was Minoru über das Brauchtum dieser Zunft wusste. Allerdings war Tōtōsai mit Sicherheit bewusst, dass der Westen auf diese Waffe angewiesen war und so blieb nur abzuwarten, welche Abkommen er über das Obsidian hinaus fordern würde. Minoru biss die Zähne zusammen und sah zu Tōtōsai und Kaito hinüber, die sich vor dem Trümmerhaufen niedergelassen hatten und ein Schwert herumreichten. Kaito hatte auf seinem Vorrecht bestanden, auch wenn ihm erst später bewusst geworden war, dass er damit sein Anliegen in unmittelbarer Nähe seines Vetters vortragen musste. Sein Gesichtsausdruck war unbezahlbar gewesen – unbezahlbar und so unsinnig, dass Minoru demonstrativ mit den Augen gerollt und sich der Aufgabe zugewandt, die Hütte wieder aufzurichten. Der Schmied hortete nicht viel Tant in seinem Lager und so war das größte Problem das Aufstellen der eingestürzten Rippenpfeiler und die Asche, die alles überzog wie klumpender Schnee. „Hitatsura“, stellte Tōtōsai fest, als er das eingearbeitete Muster im Schwert betrachtete. Er drehte die Waffe in der Sonne, bis das Licht über die gebogene Klinge tanzte und die dunkle Hamonlinie betonte, die wie ein aufgewühltes Meer über den Stahl wogte. „Guter Abstand zur Schneide und ein feiner, blauer Schimmer im Mantelstahl. Eine außergewöhnliche Waffe, keine Frage. Wie ist sie in deinen Besitz gekommen?“ „Bei einem Auftrag. Der Atuikakura muss es verschluckt haben.“ Wie alles andere, was vor sein breites Maul getrieben war. Ein kleines Fischerdorf bei Sakata hatte seit Monaten nicht gewagt, Boote aufs Meer zu entsenden, nachdem von allen vorangegangenen lediglich Planken geblieben waren, die die Wellen zurück an Land geworfen hatten. Die Bezahlung war wegen und trotz ihrer Not gut gewesen, was unter anderem auch daran lag, dass Kaito sich nicht darauf verstand, Menschen bis auf das letzte Hemd auszuziehen wie ein gewisser Mönch es tat. Der Kampf auf einem Boot war zum Abgewöhnen gewesen. Glücklicherweise hatte er sich nicht dazu überreden lassen, den alten Fischer mitzunehmen, den ihm das Dorf als Kontrollinstanz und Navigator hatte mitschicken wollen. Als sei diese Nussschale nicht ohnehin schon beengt genug gewesen! Rückblickend hätte es ihm auch einige Schwierigkeiten bereitet, den Fischer unbeschadet wieder abzuliefern und erfahrungsgemäß reagierten Kunden nicht besonders gut auf das Ableben ihrer Angehörigen, obwohl sie nahezu immer das entbehrlichste Mitglied ihrer Gemeinschaft entsandten. Der Dämon hatte sich als gewaltige Seegurke erwiesen, die im Mündungsbereich des Mogami den Bodengrund nach Nahrung durchwühlt und dabei Boote als willkommene Erweiterung ihres Speiseplans aufgenommen hatte. Dass diese Boote dabei mit Fischern beladen gewesen waren, dürfte dieser Art Dämon ausnahmsweise recht egal gewesen sein. Atuikakura fraßen nicht unbedingt Menschen, aber eben altes Holz und die besten Tage der Fischerboote waren längst gezählt gewesen. Nach dem Kampf war er hinabgetaucht, um irgendeinen transportablen Körperteil als Beweis mit an Land zu nehmen und hatte das Schwert sowie einigen anderen Kram in den Eingeweiden gefunden. Keine Suche, an die er gern zurückdachte. „Hast du es geschmiedet?“ Der Alte schabte mit seiner krummen Klaue über die weiße Rochenhaut des Griffes und die wellenförmig gestalteten Zierelemente, die unter der dunkelblauen Seidenumwicklung lagen. Erst dann gab er ein verneinendes Brummen von sich. „Dieses Schwert ist älter als ich. Es wurde in einer Zeit geschaffen, in der Kriege seltener waren als sie es heute sind. Zu einer Zeit als man die rohen Mächte der Natur begreifen wollte. Das ist mitunter gehörig schief gegangen, aber in diesem Fall – ein Großmeisterhandwerk. Durch und durch gelungen. Es könnte ein wenig Pflege vertragen. Eine ausgiebige Reinigung, Nachschleifen, etwas Liebe. Aber für das Alter beachtlich gut erhalten und immer noch scharf.“ Mit dem Handrücken versetzte der Schmied dem Schwert einen geübten Hieb auf die metallische Zwinge, die die Klinge am Griff verankerte. Dann zog er den Stahl aus der Griffhülle und betrachtete die Signatur auf dem Nakago, dem Teil des Schwertes, der für gewöhnlich im Handstück verborgen blieb und oftmals mit Gravuren des Herstellers versehen war. „Ist es brauchbar?“ Der Kopf des Alten fuhr hoch: „Natürlich ist es brauchbar! Hörst du nicht zu?“ Kaito spürte, wie ein Nerv in seiner Wange zuckte. Er biss die Zähne zusammen, atmete zweimal durch, ehe er sich wieder vorlehnte und die Stimme senkte: „Ob es für mich benutzbar ist. Bekomm' doch nicht jedes Wort gleich in den falschen Hals.“ Die Züge des Schmied glätteten sich sichtlich. Der Alte mochte ein grätiger Geselle sein, der seinen verschrobenen Humor zumeist in den ungünstigsten Momenten entdeckte, doch er war ihnen in den vielen Jahren, in denen Kaito seinen Vater in das Ōu-Gebirge begleitet hatte, immer mit Anstand begegnet. Mehr als das. Was Kaito über den Kampf wusste, hatte er von seinem Vater gelernt, aber wenn es um die Herstellung von Waffen, die Pflege oder die Beurteilung ging, hatte er bereits als Kind an Tōtōsais Lippen gehangen und sich die hanebüchsten Geschichten auftischen lassen, für die sein Vater nicht mehr als ein abfälliges Schnauben übrig gehabt hatte. Doch er hatte ihre Gespräche nicht unterbunden und Kaito war sich früher zumindest sicher gewesen, dass sein Interesse Tōtōsai nicht verägerte oder störte. Sonst hätte er ihm sicherlich nicht erlaubt, bei dem ein oder anderen Schmiedevorgang über seine Schulter zu linsen und eine unendliche Flut an Fragen auszuschütten. Umso ärgerlicher, dass er drei Tage damit verbracht hatte, auf den Schmied zu warten, wo er es doch eigentlich eilig hatte, wieder zur Front zu kommen. Doch wenn er neutral betrachtete, konnte niemand Tōtōsai verdenken, dass er in diesen Zeiten den Kopf einzog und sich möglichst rar machte. Wenn die Inu nichts von ihm wollten, dann sicherlich die Panther oder schlimmeres – und wie der Alte immer wieder betonte, war er nicht bereit für jeden zu arbeiten und schon gar nicht alle Wünsche zu erfüllen. Er mochte eigentümlich sein, aber er war beim besten Willen nicht frei von Moral. „Es ist weder besessen noch verflucht, wenn das deine Frage beantwortet“, entgegnete Tōtōsai, bevor er ungläubig eine Braue hob. „Du hast es wirklich nicht ausprobiert?“ „Bin ich lebensmüde?“ Für einen Moment wurde es still. Tōtōsai kratzte etwas Schorf aus dem Nasenwinkel. Er betrachtete Kaito vom Scheitel bis zur Sohle. Dann warf er einen knappen Seitenblick auf die Überreste seiner Behausung in denen Minoru gerade eine weitere Rippe aufstellte und die alte, ledrige Plane zwischen den Knochen aufspannte. „Ist das eine ernstgemeinte Frage?“ Kaito schnaubte. „Bevor ich aus Versehen die Hölle heraufbeschwöre oder ganze Landstriche verwüste, nur weil irgendein Held eine wahnsinnige Waffe geschmiedet hat, lasse ich sie von dir begutachten. Tōkijin, Sō'unga – ich will nicht wissen, wie viele andere solcher Waffen noch im Umlauf sind.“ „Das ist erstaunlich weitsichtig von dir.“ „Ich tue jetzt mal so, als hätte ich den Unterton nicht gehört.“ Tōtōsai schenkte ihm ein schiefes Lächeln, das einer gewissen Anerkennung nicht entbehrte und Kaito fühlte sich mit einem Mal schwerer als es vielleicht nötig gewesen wäre. Er mochte den Schmied und außerhalb der Situation – fernab von der Wut auf Minoru und dem Adrenalin in seinem Blut – tat es ihm aufrichtig leid, dass seine Hütte ihrem Streit zum Opfer gefallen war. „Tōtōsai -“ „Du kannst das Schwert benutzen“, unterbrach der seine Entschuldigung und schrubbte mit dem Stoff seines Kimonos über die Signaturen auf dem Nakago. „Einer Waffe gefährlichen Willen einzuhauchen widersprach derzeit dem Ideal. Man wollte ein an Naturphänomene angelehntes Gesamtkunstwerk erschaffen. Erdbeben, Gewitter, Stürme. Dafür hat man eher auf seltene Naturstoffe zurückgegriffen als auf yōki-bindendes Material – was die Handhabung für heutige Begriffe etwas eigentümlich macht.“ Kaito nahm die ihm dargebotene Klinge entgegen und legte sie achtsam über die Knie, um die Signatur zu entziffern, die Tōtōsai mühevoll von einigem angetrockneten Schlamm befreit hatte, der sich vermutlich zu einem Großteil aus Seegurkeninnereien zusammensetzte. „'Shio'...“, er kratzte mit der Klaue durch die schwer lesbaren Schriftzeichen. „'kiri'?“ Als er wieder aufsah, nickte Tōtōsai nachdenklich und Kaito dämmerte, dass der Schmied wohlmöglich nicht mehr in der Lage war, diese winzigen Zeichen selbst zu entziffern, wenn seine jungen Augen bereits Schwierigkeiten damit hatten. „Das Schwert, das Gezeiten schneidet.“ Sein Gegenüber nickte nun bestimmter. „Ja, ich habe davon gehört. Seine Macht kommt und geht mit der Stärke der Gezeiten. Damit muss man umgehen und planen können. Vielen widersagt das.“ Gezeiten. Mondphasen. Kaito fuhr sich mit einer Hand durch das Gesicht, strich einige Aschereste von seiner Stirn und betrachtete die Waffe eingehend. Ausgerechnet Mondphasen. Wenn Tōtōsais Einschätzungen stimmten – was sie gemeinhin taten –, konnte er sich bei Neumond nicht auf das Schwert verlassen. Ausgerechnet dann, wenn sein Vater auf seine menschliche Natur zurückgeworfen wurde. Er seufzte leise. Was machte er sich eigentlich darüber noch Gedanken? Solange er nicht nach Hause zurückkehrte, war der Neumond irrelevant und sicher war Shiokiri dann immer noch mächtiger als gewöhnlicher Stahl. Er warf einen halbherzigen Blick an den wolkenfreien Himmel, wo der Mond schwer erkennbar im hellen Blau trieb – als hätte ausgerechnet er nicht gewusst, dass vor einigen Tagen zunehmender Halbmond gewesen war. Es ging auf Vollmond zu und mit etwas Training konnte er bis dahin vielleicht den Grundumgang mit der Waffe lernen. Von einem Katana auf ein längeres, stärker gebogenes Tachi umzusteigen war für ihn jedenfalls nicht besonders schwierig. Er hatte mit Tessaiga trainiert, so oft sein Vater es ihm erlaubt hatte. Techniken die Yōki erforderten wie die Windnarbe lagen ihm nicht besonders, aber der Fangzahn war ungleich länger und gebogener als jedes andere Schwert, das ihm bislang untergekommen war. „Ich danke dir. Das war sehr aufschlussreich.“ Der Alte betrachtete ihn eine Weile ausdruckslos, ehe er schließlich nickte und sich Minoru zuwandte. „He da, Inu. Komm her. Bringen wir das hinter uns. Je eher du hier verschwindest, desto besser.“ Minoru trat die Erde um den Knochen fest, den er gerade im Boden versenkt hatte und schlug die veraschten Handflächen aneinander ab. Er war mit dem Aufräumen längst nicht fertig geworden, aber wenn der Schmied meinte, dass dieser Teil der Abmachung erfüllt war, würde er ihm sicherlich nicht widersprechen. Gut möglich, dass der Alte sich wohler dabei fühlte, den Rest selbst zu erledigen, ehe er mehr Zeit als nötig in der Gesellschaft anderer verbrachte. Kaito setzte gerade sein Schwert zusammen, als Minoru sich vor dem Schmied und damit unmittelbar neben ihm niederkniete. Knurrend rutschte der Han'yō ein Stück zur Seite, machte jedoch keine Anstalten, das kommende Gespräch einer trauten Zweisamkeit zu überlassen. Da sein Anliegen erfüllt war, war seine Anwesenheit nur... nun was? Ausgleichende Gerechtigkeit? Minoru verkniff sich ein Seufzen und zog die Schwertscheide aus seinem Obi, in welcher Tenseiga ruhte. Als er die Waffe aus der schmucklosen Hülle löste, hielt Kaito neben ihm inne. „Scheiße. Was hast du denn damit angestellt? Ist das -“ „Tenseiga“, bestätigte Tōtōsai und zog es Minoru so abrupt aus den Händen als könne er der Klinge durch bloße Aufmerksamkeit weiteren Schaden zufügen. „Dieser Hund ist wahrlich erbarmungslos. Aber immerhin hat er sich an meinen Rat gehalten und Tenseiga vor weiterem Schaden bewahrt. Es fehlt nicht mehr fiel und dieses Meisterwerk bricht von allein.“ Minorus spitze Ohren zuckten: „Ihr wisst um den Zustand der Waffe.“ „Natürlich weiß ich es“, brummte Tōtōsai und fuhr eine tiefe Kerbe mit seiner alterskrummen Klaue nach. „Dieser unausstehliche Köter war hier und hat seine üblichen Morddrohungen ausgespuckt, um mich zur Reparatur zu zwingen. Hat die Waffe sogar eine Weile in meine Obhut gegeben, bis es mir zu brenzlich wurde und ich sie mit besten Grüßen seinem sadoanischen Schoßhund überlassen habe. Warum muss ich immer meinen Kopf hinhalten? Soll sich doch diese Ausgeburt an Selbstzerstörung für seinen Herrn umbringen lassen. Darin hat er immerhin schon ausreichend Übung.“ „Vorsicht Schmied“, Minoru bleckte warnend die Zähne. „Ihr vergesst, von wem Ihr sprecht.“ Tōtōsai erwiderte den Blick seiner bernsteinfarbenen Augen mit einem müden Zucken kaum vorhandener Augenbrauen. „Und nun schicken sie mir einen halbwüchsigen Welpen mit dem Temperament einer Schnappschildkröte und erwarten, dass ich für etwas Obsidian Wunder vollbringe, was?“ Noch bevor Minoru Zeit hatte, diesen Vergleich persönlich zu nehmen, lehnte sich Kaito neben ihm bedrohlich langsam zum Schmied vor: „Nur damit ich das richtig verstehe: Tenseiga sieht aus wie ein zerbrochenes Ei und du weigerst dich, es wieder herzurichten, weil dich die Inu nicht ausreichend bezahlen?“ Seine Stimme fiel in ein leises Zischen ab: „Hast du eine Ahnung, was da draußen los ist? Ganze Landstriche sind menschenleer! Ich schlage mich seit Jahren mit wiederkehrend denselben Reptilien und ihren unausstehlichen Gefolge herum, während die Lösung in deiner Gier liegt?!“ „Oh nein! Das lasse ich mir nicht unterstellen!“, fuhr Tōtōsai auf und gestikulierte mit Tenseiga wild vor Kaitos Nase herum. „Ich bin Waffenschmied, ein Meister meines Faches. Ich schmiede keine Suppenlöffel, verdammt noch eins! Die kannst selbst du mit etwas Hitze wieder in Form biegen, aber das hier doch nicht! Los, droht mir, knurrt, beißt! Lieber schmelze ich Tenseiga auf der Stelle ein, als mich weiterhin diesen Diskussionen auszusetzen. Ich habe die Problematik bereits hinreichend dargelegt und werde kein weiteres Wort an zwei Welpen verschwenden, die noch grüner sind als die letzten beiden Banausen!“ Minoru war sofort auf den Beinen, als der Schmied für sein Alter unerwartet schnell aufsprang und auf seinen Hammer zustürmte, der immer noch in der Felswand steckte. Er packte Tōtōsai am Oberarm, zog ihn zu sich herum, und riss den Kopf zur Seite, als ein tödlich heißer Feueratem knapp an seinem Ohr vorbeifuhr. „Ihr werdet es nicht einschmelzen!“, beharrte er ohne den Griff zu lockern. „Ich werde weder drohen noch beißen, aber ich werde nicht zulassen, dass Ihr unsere einzige Hoffnung ins Feuer werft!“ „Nein, es reicht!“ Der Schmied packte Minorus Handgelenk mit einem Griff, der an einen Schraubstock erinnerte und seine Finger binnen Sekunden taub werden ließ. „Tōgas Bestrebungen sind mit ihm gestorben, die Drachen wiedergekehrt. Hoffnung? Es gibt keinen Grund für Hoffnung, Junge, und ich bin zu alt mir das Gegenteil einzureden. Myōga hatte einen neuen Sinn gefunden und ist damit vor seinem Ende ebenso enttäuscht worden, wie so viele andere vor ihm. Ich werde meine verbleibenden Tage nicht mit Hoffen und Bangen zubringen wie er es getan hat. Die Drachen werden Japan zerstören? So sei es.“ Minoru riss seine Hand so abrupt zurück, dass der Schmied ihm hinterherstolperte und verwundert zu ihm aufsah. Ihm war kalt geworden. Als wären nicht nur die Finger seiner Linken blutleer, sondern gleichsam sein ganzer Körper gelähmt. „Was ist mit Myōga?“ „Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Inu.“ Tōtōsai massierte mit Nachdruck seinen Oberarm, beäugte Minoru jedoch misstrauisch. „Warum?“ „Er ist –. Er hat mich begleitet, nachdem wir hier aufgebrochen sind. Bis die Drachen den Westen überfallen haben.“ Mit jedem Wort starrte der Schmied sein Gegenüber fassungsloser an und auch sein Kiefer hing mittlerweile weit genug unten, um die Reihe gelblicher Zähne preiszugeben, die sich noch in seinem altersschwachen Gebiss hielten. „Du bist dieser verwahrloste Bengel, der zu schwach war, ein lächerliches Fieber zu bändigen? Du?!“ „Spannend“, säuselte Kaito und lehnte sich interessiert vor – das Kinn in die Hand gestützt. „Erzähl' mir mehr.“ Minoru schnaubte leise. „Als hättest du nur Glanzstunden in deinem Leben gesammelt.“ „Nein. Aber mein Vater lacht mich dafür nur aus. Deiner auch? Oder ist das eher so ein-“, er räusperte sich, um den Tonfall des Fürsten annähernd perfekt nachzuahmen. „'Mach mir keine Schande oder ich töte dich!'“ „Halt die Fresse, Kaito.“ Unter dem herben Lachen seines Vetters wandte sich Minoru wieder an den Schmied. „Hätte ich nur eine Minute darüber nachgedacht, dass Ihr mich nach den Veränderungen der letzten Jahre nicht erkennt, hätte ich ausreichend Anstand besessen, mich vorzustellen. “ Ganz davon abgesehen, dass selbst ein Wiedererkennen nicht zwangsläufig seine Verbindung zum westlichen Fürstenhaus und damit den Besitz der Waffe erklärt hätte. Aber was half es nun noch, sich den Kopf über Versäumnisse zu zerbrechen? „Ihr erwähntet Myōga. Wo ist er?“ Die faltige Haut des Alten war aschfahl geworden, während er sichtlich nervös von einem Enkel seines alten Freundes zum nächsten blickte und unter der Erkenntnis immer kleiner wurde. Sein Kehlkopf rutschte beim Schlucken elendig langsam seinen Hals entlang. „Der Floh ist tot.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)