Einem fernen Tage von Silberfrost ================================================================================ Kapitel 63: wo Pflicht ---------------------- Mehrere Feuer fraßen sich durch den Wald. Sie labten sich am Dickicht wie ausgehungerte Hunde an einer Leiche und sandten Rauchschwaden gen Himmel, wo immer die Flammen auf sattes Grün trafen. In all dem Chaos war der Falke, der gradlinig über die Dämonen hinweg schoss, nichts weiter als ein weiterer Vogel, der den Waldbränden entflog. Das beklemmende Gefühl, das Kōhei den Hals zusammenschnürte, hatte jedoch nichts mit den Flammen zu tun. Zwanzig! Wie konnte man einen Zwanzigjährigen in diese Hölle schicken und dann nicht einmal anwesend sein, um sich zu versichern, dass sein Kopf auf den Schultern blieb? Einen Landeserben noch dazu, der allein aufgrund seiner Geburt das beliebteste Ziel gewesen wäre, selbst wenn er nicht zuvor einer Katze persönlichen Grund für Vergeltung gegeben hätte. Verflucht! Wenn Sesshōmaru sich tatsächlich wegen eines Menschen ins Verderben warf, während sein Sohn an der Front herumirrte, machte sich Shisuna hoffentlich einen äußerst amüsanten Morgen mit diesem vermaledeiten Köter! Shunran hatte keine Einzelheiten über Minorus Gefangennahme ausgeführt und Kōhei hatte wohlweislich auch nicht danach gefragt. Die Nachricht auf dem Ahornblatt, die von Beschäftigung und Illusion östlich ihrer Lagerstelle kündete, reichte ohnehin. Doch auch wenn Shunran nicht wissen konnte, dass er am Hof notgedrungen gelernt hatte, über Kopf und spiegelverkehrt zu lesen, war ihm ihr Umgang mit so sensiblen Informationen eine Spur zu lässig gewesen. Kōhei flog knapp über die Baumkronen und verharrte im Rüttelflug. Sein Blick huschte über die Waldfläche, dann tauchte er wieder in das Geäst. Er bemerkte den entgegenkommenden Vogel zu spät. Der Zusammenstoß riss ihn aus dem Flug und ließ einen Schreck durch seinen Körper fahren, der nur davon gemildert wurde, dass der Wust aus Federn um ihn herum schwarz und die Aura lodernd bernsteinfarben war. Die Last des größeren Raben schleuderte ihn zu Boden und noch ehe er den Sturz hätte abfedern können, hatte Saburō sie beide zurückverwandelt und ihn rücklings an eine Felswand geworfen. Sein Hinterkopf prallte gegen den Fels und Schiefer blätterte in seinen Kragen, als die Hand des Erben sich grob auf seinen Mund legte. Der Geruch von Lehm mischte sich mit der Hitze, die von Saburō ausging. Doch selbst die Energie, die Kōhei frontal entgegen schlug, war nichts im Vergleich zu der fremden Aura, die sich lodernd durch seine Eingeweide fraß und unter seiner Haut schwelte. Eisern griffen Klauen um seinen Kiefer und pressten ihn an die Wand, um das Keuchen zu ersticken, das in Schreie abrutschte. Dann riss Saburō ihm mit ärmelbedeckter Hand die Fuchskoralle vom Handgelenk und ließ die Armbänder zu Boden fallen. Augenblicklich flammte Kōheis Yōki auf und fegte über Saburōs Aura hinweg wie eine smaragdene Welle; ein Gegenfeuer, dass das Brennen tilgte und nichts als ein seichtes Prasseln zurückließ. Seit seiner Ausbildungszeit hatte niemand mehr gewagt, so tief in seine Aura vorzudringen, dass es seine Verwandlungen negierte und niemals hatte es sich so angefühlt! Saburōs Hand hielt ihn unablässig am Schiefer. Kōhei versuchte sich zu befreien, erstarrte jedoch, als er in dessen Miene eine Wut erkannte, die er seit seinem Ausbruch in der Herberge nicht mehr gesehen hatte. Mit zwei Fingern donnerte der Erbe ein Lindenblatt an den Fels neben Kōhei. Yōki schoss durch die Blattadern und ließ das Gewebe herbstrot glühen. Rauschend bahnte sich die Energie ihren Weg und strahlte dieselbe Hitze ab, die noch in Kōheis Fingerspitzen summte. Der bestehende Sichtschutz flimmerte kurz, als sich ein Geräuschwall in die Magie wob. Dann erst gab Saburō ihn frei. „Was-?“ „Still.“ Der Ton allein ließ Kōhei verstummen. Auch wenn man bei Hofe weiterhin darüber stritt, mit welcher Hinterlist er die Haltung gefestigter Männer brach, war seine Wut alles andere als subtil. Und so sehr Saburōs provokanter Charakter auch für zugeschnürte Kehlen sorgte, glaubte Kōhei allmählich, dass es ihm lieber war, den Tanz auf Messers Schneide zu wagen, als in Momenten wie diesen über Glasscherben zu gehen. Bis zu dem Punkt konnte man sich wenigstens nach Kräften einreden, lediglich Quell seiner Erheiterung zu sein. Ziel seines Unmuts hingegen… Seine Bernsteinaugen hielten Kōhei fixiert und zuckten auch dann nicht, als Schiefer auf sie herab rieselte und Stimmen über ihnen erklangen. „Sie sind da vorn abgestürzt.“ „Vielleicht hat er uns bemerkt und den Angriff nur vorgetäuscht.“ „Wenn er uns bemerkt hat, kann er überall und alles sein. Jedes verfluchte Grasbüschel.“ Zehn Meter über ihnen lagen zwei Pantherdämonen bäuchlings am Rand der Felswand und spähten in die Luft. Sie warteten auf ein Flirren, falsche Schatten, einen Bruch im Lichtfall - irgendetwas, das eine Illusion preisgeben könnte. Vergebens. „Und was machen wir jetzt?“ „Ich beichte den Fehlschlag und du sagst den anderen, sie sollen auf die Köter aufpassen.“ „Scheiß Füchse“, brummte der andere. Es folgte ein unangenehm nasales Geräusch. Dann ein Spucken. „Ich hab’ die schon immer gehasst. Eingebildete Kakerlaken.“ Kōhei wurde aschfahl, als die Spucke des Soldaten durch die Barriere fiel und Saburō direkt auf die Schulter klatschte. Die Miene des Silberfuchses blieb unverändert, als er den Blick langsam nach oben richtete, doch Kōhei konnte erkennen, wie ein rötlicher Schimmer den Bernstein durchsetzte und schluckte, als die Hitze um ihn herum fiebrig wurde. Einen Moment passierte gar nichts. Dann plötzlich brach über ihnen erst Verwirrung, dann Entsetzen aus und schließlich ein Kampf, der mit Kreischen und Fauchen einherging, als hätte man zwei räudige Kater in ein Sack geworfen und ordentlich geschüttelt. Erneut prasselten Schiefersplitter auf sie nieder, gefolgt von zwei völlig zerfetzten Panthersoldaten, deren rot leuchtende Augen in dem Moment die Farbe verloren, als ihre Körper auf dem Boden aufschlugen. Kōhei starrte sie an und wagte nicht, den Blick zurück zu Saburō zu wenden. Hatte er gerade wirklich-? „Erklär’ mir das“, sagte der mit einer Ruhe, unter der ein Sturm brodelte. „Erklär’ mir, warum ich dir ein halbes Dutzend Verfolger von den Fersen nehmen muss, während du kopflos durch den Wald fliegst.“ „Kōtaishi-“ „Oh nein. Komm mir nicht so.“ Eine schwarze Klaue bohrte sich in Kōheis Brust; gerade so tief, dass sie den Stoff nicht durchdrang. „Über Titel sind wir hinaus. Das Spiel beherrsche ich ohnehin besser als du. Wie wäre es zur Abwechselung mal mit der Wahrheit? Verantwortung. Verdammter Einsicht!“ „Ich übernehme-“ „Was zur Hölle machst du hier? Allein, ohne auch nur den leisesten Gedanken an Verfolger, geistesabwesend, planlos? Tot rettest du den Jungen auch nicht!“ Kōhei erstarrte. „Du hast das Gespräch belauscht.“ „Natürlich! Dachtest du, ich ließe dich mit Shunran allein? Sobald sie erfährt, dass ihr neues Spiegelbild dein Verdienst ist, wird sie aufhören, dir schöne Augen zu machen und sich stattdessen bemühen, deine auszukratzen.“ „Shunran will nichts von mir“, erwiderte Kōhei. Der Einwand war belanglos und vermutlich auch falsch. Er hätte Saburō wütender machen sollen, als er ohnehin schon war, doch der schnaubte nur. „Wenn du kleine, talentierte Fuchskatzen ‘nichts’ nennen willst, bitte sehr - es ist dein unerfülltes Liebesleben. Aber dass du blindlings ins Verderben läufst? Ohne auch nur daran zu denken, mich einzubeziehen? Und das, obwohl du ganz genau weißt, dass ich Frieden mit dem Westen will! Verflucht, ich würde deinem teuren Jungen nicht einmal etwas anhaben, wenn er für mich vollkommen irrelevant wäre!“ „Das machst du mir zum Vorwurf?“ „Bedauerlicherweise kann ich nur eine gewisse Anzahl von Worten pro Zeiteinheit an deinen Kopf werfen, aber ja, unter anderem das.“ Kōheis Angst geriet Angesichts dieses Irrsinns ins Stolpern. „Wir haben zweihundert Mann im Feld, Shisunas Intrigen im Nacken und gerade eine vage Hoffnung in Sicht, dass die Drachen uns nicht wie Schlachtvieh behandeln. Und was ist meine glorreiche Eingebung? Nach einem Welpen zu suchen, der vermutlich lieber ersticken würde, als meine Hilfe anzunehmen. Und du beschwerst dich, dass ich dich nicht eingeladen habe?“ „Ja.“ „Das ist - bescheuert! Der Fehler war, dass ich überhaupt darauf reagiert habe! Wenn wir auch nur den Bruchteil dessen glauben, was Shunran über die Drachen gesagt hat, ist es unverantwortlich-!“ „Kōhei, halt. Du denkst nicht klar.“ „Du kennst die Befehle! Die Panther sind hier und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Drachen auf den Plan treten und ich einen Angriff befehlen muss. Der Fürst weiß, dass die Drachen kontrolliert werden, sonst hätte er nicht Diplomatie um jeden Preis befohlen - und daran sollte ich mich auch halten, wenn ich meine Männer lebend hier herausbekommen will!“ „Es macht keinen Unterschied, ob die Drachen nur Waffe oder die Verantwortlichen sind!“ „Aber-“ „Keinen!“ Kōheis Rücken schrammte über die Wand. Er hatte die Klauen in die Wand geschlagen und war zusammengefahren wie ein gescholtenes Kind. Seit er von Akaya erfahren hatte, hatte Kōhei Saburō nicht mehr so wütend erlebt. Nein. Das hier war schlimmer. In der Herberge hatte die volle Länge des Raumes zwischen ihnen gelegen. Nun war da nichts als eine dünne Schicht aus Luft, schwer von der Aura einer Bestie, die eine ursprüngliche, instinktive Angst in Kōhei weckte. Es war das eine, zu wissen, was er war, und etwas ganz anderes, die rohen Ausmaße dieser Macht am eigenen Leib zu erfahren, wenn er sie an einem Punkt konzentrierte und sie nicht hunderte Kilometer entfernt für eine Scharade nutzte. Und dann waren da noch diese Augen… Saburōs griff nach ihm. Für einen Moment war Kōhei überzeugt, dass man ihn wiederholt gegen den Felsen schlagen würde. Stattdessen legten sich die Hände auf seine Schultern. „Kōhei.“ Widerstrebend wartete Kōhei, bis sich sein Blick geklärt hatte, dann sah er zu Saburō auf. In dessen Miene zeichnete sich Sorge. „Ich gebe zu, die Vorstellung kontrollierter Echsen ist auf einlullende Weise verlockend. Aber ich mag meine Drachen lieber tot als an der Kette und wir sind uns wohl einig, dass die in den Händen der Panther bestenfalls Bindfadenstärke hat. Heute sind wir Verbündete, morgen bestenfalls Diener.“ Er hatte recht. Aus lange Sicht änderte es nichts. Für den Moment jedoch… „Außerdem“, hob Saburō erneut an, „wenn das wirklich deine Einschätzung ist, dann verrate mir, warum ich dich eben aus dem Himmel reißen musste?“ „Weil-“, er hielt inne, versuchte Worte zu finden, die nicht so sehr nach Versagen und Unzurechnungsfähigkeit klangen, wenn sie ihm über die Lippen kamen. Doch sie schnürten ihm schon den Hals zu, als sie nichts als Gedankenfetzen in seinem Verstand waren. Saburō nahm ihm die Antwort ab. „Weil der Inu no Taishō nicht hier ist, um deinen Jungen zu beschützen. Weil du dich verantwortlich fühlst. Deswegen.“ „Hier sind dutzende Inu, die auf ihn Acht geben.“ „Das ist mir bewusst. Die Frage ist: Reicht dir diese Armee, um deinen Sohn zu beschützen?“ „Er ist nicht-“ „Nein. Aber das macht keinen Unterschied, oder?“ „Es sollte“, entgegnete er leise. „Ich habe kein Recht… ich als allerletzter.“ „Kein Recht? Kein Recht auf was? Meine Tochter hat kaum mit mir gesprochen. ‘Kōtaishi’- eine kleine Verbeugung. Nichts mehr. Ich war niemand für sie. Du hattest elf Jahre mit Minoru. Wenn ich mich fühle, als hätte man mir das Herz herausgerissen, steht dir das allemal zu.“ Zu einem früheren Zeitpunkt hätte Kōhei ihm vorgeworfen, die Leiche eines toten Mädchens gegen ihn zu verwenden. Aber das war vorher gewesen. Vor einer Reise, bei der jeder Tag einen neuen Tiefschlag gebracht hatte, der dem Erben merklich an den Nerven zerrte. Bis zum äußersten… Nein, Saburō instrumentalisierte kein Elend. Er verbarg es einfach nicht. Es war die schlichte Wahrheit - und die erwartete er auch von anderen. „Wenn er stirbt… obwohl ich von der Gefahr wusste und wusste, dass sein Vater nicht hier ist… ich habe ihn schon so oft im Stich gelassen. Du machst dir kein Bild davon, was diese Frau alles getan hat. Wie sie mit einem wehrlosen Kind umgesprungen ist… und ich habe nur zugesehen. Sicher, ich habe mit dem Fürsten gesprochen, aber sie wusste angeblich, wie man jemanden wie ihn handhaben muss. Ich sollte mich raushalten… einen Scheiß wusste sie.“ Er atmete tief in die Brust und kämpfte sämtliche Gefühle herunter, die mit den Erinnerungen kamen und schüttelte den Kopf. „Aber so sehr du das auch nachempfinden kannst… meine Pflichten liegen woanders.“ „Du denkst nicht klar“, wiederholte Saburō. „Das Heer-“ „Das Heer sitzt sicher in diversen Bäumen und wird keinen Finger krümmen, wenn du es nicht befiehlst. Du kannst sie abziehen, wenn es dir beliebt. Sie quer durch den Norden marschieren lassen und auf Hokkaido stationieren. Niemand würde dich in Frage stellen.“ „Ich will nicht behaupten, dass ich niemals die Grenzen meiner Befehle ausgelotet und uminterpretiert habe, wenn es die Schlacht erfordert hat. Aber ihnen direkt entgegen handeln? Unmöglich.“ „Das Heer, Minoru, mein Vater, ich - du reibst dich zwischen Verpflichtungen und Gefühl auf und klammerst dich aus Verzweiflung heute an Hoffnungen, die dir morgen alles nehmen. Irgendwann wirst du dich entscheiden müssen. Und mit irgendwann meine ich bald.“ „Und am besten für etwas, das dir in die Hände spielt.“ Ein Bündnis mit dem Westen, die südlichen Truppen unter seinem Kommando. Zum ersten Mal ahnte Kōhei, dass Saburō ihn seit geraumer Zeit für beide Ziele ins Auge gefasst hatte. „Wie wäre es ausnahmsweise mal mit etwas, mit dem du leben kannst? Einer Entscheidung, die dich nicht über Jahre hinweg heimsucht.“ Milde lag in seiner Stimme, aber es wäre wohl nicht Saburō gewesen, wenn er eine Provokation unangetastet liegen gelassen hätte, statt sie gegen ihn zu richten. „Du wirst es nie allen recht machen. Einen Tod müssen wir sterben.“ „Der Tod kümmert mich nicht.“ „Das ist mir bewusst. Ich bemängele es jeden zweiten Tag, seitdem wir reisen.“ „Ich erwarte nicht, dass du es verstehst.“ „Du erwartest nicht… “, Saburōs Stimme stockte, wurde leiser, „dass ausgerechnet ich dich verstehe? Obwohl du wie alle anderen fürchtest, ich wüsste alles über jeden?“ Die Hände auf Kōheis Schultern verloren an Druck, als auch der letzte Funken Wut aus Saburōs Haltung wich. „Glaubst du, mir wäre das Ausmaß nicht bewusst? Dass ich einfach annehme, du hättest Angst vor ihm, weil Furcht alles ist, was er in seiner Nähe duldet?“ Er legte die Linke an Kōheis Wange. Der riss den Kopf zurück, stieß jedoch erneut gegen den Fels und biss die Zähne zusammen, als Saburōs Aura in seine Haut sickerte und die Illusion löste, die über die Jahrhunderte derart in Fleisch und Blut übergegangen war, dass Kōhei nicht einmal einen Gedanken an ihren Erhalt verschwendete. Er wusste nicht einmal mehr, wie sein Gesicht ohne die Täuschung aussah, aber das Gefühl, das Saburos Hand auf der verheilten Brandnarbe hinterließ, erinnerte ihn daran, dass sie noch da war. Immer noch. „Ich verstehe, warum du meine Nähe schlecht erträgst. Weshalb du mir nicht in die Augen sehen kannst und auch nur der Gedanke an Verrat zu viel verlangt ist… Ich hoffe, deine Abneigung nie durch Taten gefüttert zu haben. Ich bin nicht mein Vater.“ Er zog die Hand allmählich zurück und nahm zum ersten Mal seit Minuten Abstand von Kōhei. Nur einen Schritt, aber der war ausreichend, um dem sommerlichen Waldbrand in der Nähe kühl erscheinen zu lassen. „Aber mir ist auch klar, dass das eine magere Aussicht ist. Ich kenne dein Risiko und meine Chancen. Hinter mir steht der letzte Rest einer zerschlagenen Rebellion. Kaum mehr als achtzig Mann. Jungen und Großmütter eingerechnet. Außer Hoffnung habe ich wenig zu bieten.“ Kōhei fühlte sich wie leergefegt. Er hatte das Gefühl, der Situation mehr Reaktion schuldig zu sein, eine Erwiderung aufbringen zu müssen oder zumindest irgendetwas zu tun, außer dazustehen und Saburō wortlos anzustarren wie ein erschrockenes Reh. Aber da war nichts. Abgesehen davon, dass ihm unsagbar übel wurde. Als er sich nicht regte, nahm Saburō erneut den Faden auf: „Du kannst dir das Wohlwollen des Fürsten für die verbleibende Zeit des Südens vermutlich erhalten, wenn du ungeachtet aller Zweifel und Opfer tust, was er verlangt. Aber dann sollten wir uns an dieser Stelle trennen und du dich Heer und Befehlen zuwenden. Was Minoru anbelangt, werde ich mich seiner annehmen, wenn es das ist, was du willst.“ Kōhei blinzelte. „Wie bitte?“ Dass Saburō ihm die Sorge um Minoru abnehmen wollte, kam nicht nur unerwartet, es war auch dumm von ihm. „Jeder Schulterschluss mit dem Westen wird nur durch ihn möglich. Ich kann es mir nicht erlauben, dass er stirbt. Außerdem will ich nicht, dass er das Zünglein an der Waage ist, das dich von meinem Vater löst. Wenn du dich für meinen Weg entscheidest, dann weil du es willst. Weil du mir vertraust und es für das Richtige hältst. Nicht, weil du deinen Jungen retten wolltest. Egal, wie du dich entscheidest: Du hast nichts von mir zu befürchten.“ „Wenn deine Chancen so schlecht sind, sollte man meinen, dass du dir diesen Luxus nicht erlauben kannst.“ „Das sehe ich anders. Deine Loyalität ist mitnichten eine unnötige Annehmlichkeit. Hätte ich dich in meine Dienste zwingen wollen, hätte ich längst Wege gefunden. Aber das ist nicht meine Art. Ich umgebe mich nicht gern mit Leuten, denen ich nur mit vorgehaltener Klinge trauen kann.“ Nur mit Mühe konnte Kōhei verhindern, dass seine Miene entgleiste - vermutlich half, dass Unverständnis und Entsetzen keinen gemeinsamen Nenner fanden. „Dein Idealismus ist ein schöner Traum… ich fürchte nur, dass es das Erwachen umso grausamer macht.“ „Nur wenn wir verlieren“, er besaß die Dreistigkeit, dabei zu lächeln, „und auch dann nicht viel grausamer, als es deine Tage heute sind.“ „Wenn ich nicht wüsste, dass du alles andere als harmlos und weltfremd bist, würde ich annehmen, diese Gedanken stammen von einem kleinen, naiven Jungen.“ Saburōs Lächeln wurde wärmer und als Kōhei sich fragte, woher diese plötzliche Entspannung rührte, begriff er, dass der Silberfuchs den neuerlichen Wandel im Gesprächsverlauf viel schneller gedeutet hatte, als Kōhei die eigene Annäherung bewusst geworden war. Schweigen und Konter wäre Ablehnung gewesen, doch darüber zu diskutieren, ob er sich seinen Idealismus leisten konnte? Kōhei hätte die Grenzen klarer und früher ziehen müssen, um ihn abzuweisen. Nein. Er hätte sie vorher und klarer ziehen können und es nicht getan. Gelegenheiten hatte es ausreichend gegeben. „Soll ich mich um Minoru kümmern?“, fragte Saburō. Es war nicht einmal eindringlich. Bloß eine Frage. Ganz, als sei es nie um etwas anderes gegangen, und als hänge an der Antwort nichts mehr als die nackte Frage selbst. Aus Saburōs Mund klang Verrat so belanglos wie ein Morgengruß. „Nein. Das mache ich selbst.“ „Dann sollten wir aufbrechen. Shunran wird nicht ewig auf die Rückkehr ihrer Kundschafter warten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)