D steht für Dankbarkeit von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 1: Dankbarkeit ---------------------- Sarada weinte. Panisch schreckte Sakura aus dem Schlaf hoch, sprang aus dem Bett und hechtete zu der Wiege herüber, die in ihrem Schlafzimmer an der Wand stand. Sie schaltete die Lampe an, die die Form eines Mondes hatte und nahm ihre kleine Tochter in Augenschein. Drei Monate war das Mädchen alt. Drei Monate waren vergangen, seit ihre Mutter keine Nacht mehr annähernd durchgeschlafen hatte. Sakuras rechte Hand fuhr zu einer Ecke des weiß gestrichenen Holzrahmens, aus dem die Wiege gemacht war. Sie war versucht, daran zu rütteln und sie ein wenig in Schwung zubringen, doch sie zog ihre Finger zurück. Zu oft hatte sie versucht, Sarada mit dem sanften Schaukeln zu beruhigen. Es hatte nie etwas gebracht, also warum sollte sie ihre Zeit mit einem vergeblichen Versuch verschwenden? Von ihrer Müdigkeit übermannt, nahm sie ihr Baby hoch. Sie legte es an ihre linke Schulter, schob eine Hand unter seinen Po und sicherte mit der anderen seinen Kopf, den es noch nicht selbst halten konnte. Im Anschluss begann sie, langsam im Raum hin und her zu gehen. Obwohl sie wusste, wo jede Kleinigkeit im Zimmer stand, setzte sie behutsam einen Schritt nach dem anderen, spürte bewusst den Teppich unter ihren Füßen. Ihr linker kleiner Finger und der Ringfinger, an dem sie am Tage ihren Ehering trug, kreisten liebevoll über den Rücken des zarten Wesens, das sich allmählich beruhigte. Das aufgebrachte Weinen war in leises Wimmern übergegangen und verstummte schließlich, bis sie nur noch den ruhigen Atem ihrer Tochter vernahm. Sakura wartete noch einige Minuten, bis sie sicher war, dass ihr Kind eingeschlafen war, dann legte sie es zurück in seine Wiege. Im Schein der Leuchte betrachtete sie Sarada und spürte, wie die Anspannung von ihr abfiel. Ein Gefühl der Zufriedenheit breitete sich in ihr aus und erwärmte sie von innen. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Selbst wenn das Mädchen sie seit Wochen nicht schlafen ließ, so liebte sie es dennoch über alles und war für jede Sekunde dankbar, die sie mit ihr verbringen durfte. Sie schaltete die Lampe aus, schlich zurück zum Bett und kroch unter die Decke, in dem Wissen, dass sie ihre Tochter in spätestens einer Stunde wieder durch den Raum tragen würde. Sie schloss die Augen und startete den Versuch, auf der Stelle einzuschlafen, als sie in der Stille der Nacht das Aufschließen der Haustür hörte. Ihr Herz machte einen Hüpfer. Wenn es zu dieser frühen Stunde kein Einbrecher war, mit dem sie trotz ihrer Müdigkeit mit Leichtigkeit fertig werden würde, konnte es nur einer sein. Sakura stand auf und streifte ihren Morgenmantel über. Sie warf einen kurzen Blick auf ihr Kind, um sicherzugehen, dass es noch schlief und trat leise aus dem Zimmer. Sie bahnte sich einen Weg durch das Dunkel zur Treppe und blickte ins Erdgeschoss hinunter. Durch die halb angelehnte Küchentür fiel ein Spalt Licht auf den Flur. Abermals spürte sie ihr Herzklopfen, dann eilte sie mit gedämpften Schritten die Stufen hinunter. Bedacht lugte sie in die Küche hinein. Als sie sah, wer dort an der Kaffeemaschine stand, ließ sie jede Vorsicht fallen. Sasuke schaffte es gerade noch, seine randvoll gefüllte Tasse mit Kaffee in Sicherheit zu bringen, bevor sie sich ihm um den Hals warf. Im ersten Augenblick schnürte ihm die Umarmung seiner Frau die Luft ab, dann entspannte sich ihr Griff. »Endlich bist du wieder da«, flüsterte sie glücklich. Er erwiderte nichts, sondern legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. Einen Moment verharrten sie so, bis sie sich von ihm löste. Sie blickte zur Uhr herüber und fragte: »Es ist zwar erst halb sechs, aber soll ich dir das Frühstück machen?« Er musterte sie und schüttelte den Kopf. »Leg dich schlafen. Du siehst erschöpft aus.« Diesmal antwortete Sakura mit einem Kopfschütteln. »Ach, nicht der Rede wert«, sie winkte ab, »Was möchtest du essen?« Er nahm sich eine Schale aus dem Schrank und ein Paar Essstäbchen aus der Schublade, öffnete den Reiskocher und nahm sich den Rest, der vom Vortag übriggeblieben war. Daraufhin setzte er sich an den Tisch und begann zu essen. Sie öffnete den Mund, um auf ein frisches Frühstück zu beharren und schloss ihn wieder. Auch wenn er viel unterwegs war, kannte sie ihn gut. Selbst wenn sie ihm etwas zubereiten würde, würde er es aus Protest nicht anrühren. Sie seufzte und ließ sich auf dem Stuhl nieder, der ihm gegenüber stand. Sie wartete, bis er ein paar Bissen zu sich genommen hatte und fragte: »Wie war deine Mission?« Sein rechtes Auge, das nicht von seinen Haaren verdeckt war, musterte sie einen Augenblick lang ausdruckslos, bevor es sich wieder auf die Schale richtete. Sie kannte diesen Blick gut. Früher hätte er sie damit eingeschüchtert, doch jetzt dachte sie sich nichts mehr dabei. »Die Grenzen zu den kleinen Ländern im Norden sind sicher«, erklärte er knapp. »Bedeutet das, dass du …«, setzte sie hoffnungsvoll an, ahnte jedoch, dass er noch nicht zu Ende gesprochen hatte und verstummte. »In einer Woche breche ich nach Westen auf«, fuhr Sasuke fort. Er legte die Stäbchen quer über den Rand der Schale und blickte Sakura erneut an. Diesmal lag etwas Entschuldigendes in seiner Miene. Obwohl sie sich am liebsten enttäuscht von ihm angewandt hätte, hielt sie stand und schenkte ihm ein Lächeln. Es war das stillschweigende Abkommen, nicht mehr darüber zu reden, das sie sich vor Jahren gegeben hatten. »Wie geht es Sarada?«, wechselte er das Thema. »Gut«, antwortete sie. »Sie lacht jetzt viel. Und sie ist in den drei Wochen, in denen du weg warst, ordentlich gewachsen. Ich musste die kleinsten Sachen schon aussortieren.« »Und sie raubt dir immer noch den Schlaf«, bemerkte er. Sakura wusste nicht, warum sie das tat, doch sie schüttelte den Kopf. Wie wollte sie ihrem Mann mit ihrer fahlen und wächsernen Haut und den dunklen Augenringen bitte weismachen, dass sie gut schlief? Ein Unterfangen, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Sasukus Augenbraue, die sie sehen konnte, hob sich. »Dann legst du seit neuestem so merkwürdige Schminke auf?« Sein ungewohnt ironisches Kontra brachte sie zum Lachen. »Natürlich«, sagte sie und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, »das ist momentan der letzte Schrei.« Er schmunzelte ebenfalls, warf allerdings ein: »Du solltest dich trotzdem hinlegen.« »Und was ist mit dir?« Sie musterte ihn aufmerksam. »Du musst nach der langen Reise erschöpft sein.« »Erschöpft?« Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Nein.« Ihr wurde bewusst, dass sie ihn mit dieser Annahme nahezu beleidigt hatte und lächelte entschuldigend. Im Anschluss wollte sie aufstehen, um sein Geschirr in die Spüle zu räumen, doch er kam ihr zuvor. Er wandte sich wieder zu ihr um und da sie keine Anstalten machte aufzustehen, sagte er mit Nachdruck: »Geh schlafen.« Sakuras Blick fuhr zur Uhr. Es war fast sechs und die Nacht war für sie ohnehin gelaufen. »Sarada verlangt bald ihre Morgenflasche«, entgegnete sie. »Das Hinlegen lohnt sich für mich nicht mehr.« Sasuke schwieg einen Moment lang, bis er sagte: »Die Flasche kann ich ihr genauso gut geben.« Sie horchte auf. Hatte er das tatsächlich gesagt? »Aber –« Sie unterbrach sich, da sie nicht wusste, wie sie den Satz beenden sollte und fuhr fort: »Warum ruhst du sich nicht erst aus? Du hast die ganze Nacht nicht geschlafen.« »Ich bin nicht müde«, legte er fest. »Im Gegensatz zu dir.« Sie hätte ihm widersprochen, wenn es nicht eine offensichtliche Lüge gewesen wäre. Es war nicht so, dass sie es ihrem Mann nicht zutraute, doch ihr Mutterinstinkt sträubte sich dagegen, ihm ihre Tochter für mehrere Stunden zu überlassen. Vor allem: Wie sollte er ihr mit nur einem Arm die Flasche geben? Und wie sollte er ihr die Windel wechseln? Und was, wenn Sarada unruhig wurde und herumzappelte und er sie nicht halten konnte? »Ist sie oben?«, unterbrach Sasuke ihren Gedankengang. Sakura nickte perplex. »Dann leg dich ins Gästezimmer.« Er legte seine Hand auf ihre Schulter und komplimentierte sie den Flur entlang. Sie ließ sich wortlos von ihm führen, bis sie ihre Fassung wiedererlangte, als er die Tür öffnete. »Aber was ist, wenn –« »Ich komme zurecht«, unterbrach er sie. »Und wenn nicht, wecke ich dich sofort.« Sie wusste nicht, ob sie ihm seinen letzten Satz glauben sollte. Es würde an seinem Stolz kratzen, wenn er sie zu Hilfe holen musste, aber sie konnte nicht anders, als ihm zu vertrauen. Tief atmete sie aus. »In Ordnung«, gab sie nach, »aber lass mich nicht länger als zwei Stunden liegen, einverstanden?« »Einverstanden.« Sie wollte sich von ihm abwenden und die Tür hinter sich zuziehen, als sie einwarf: »Die Milch steht im Kühlschrank und muss ungefähr bis auf Körpertemperatur aufgewärmt werden. Und falls Sarada schnell wieder Hunger bekommt …« »‌Ich weiß«, sagte er amüsiert. »Ich tue das schließlich nicht zum ersten Mal.« Bevor sie etwas erwidern konnte, schloss er die Tür. Sakura starrte kurz ungläubig auf die Stelle, an der er gestanden hatte, dann legte sie sich auf die rechte Seite des Gästebettes. Durch das Fenster schien schon das Licht der sich ankündigenden Morgendämmerung, in dem sie im Halbdunkel des Raumes die Deckenlampe betrachtete. Sie horchte in die Stille des Hauses hinein und versuchte, das kleinste Geräusch auszumachen, das ihr einen Grund gab, nach ihrer Tochter zu sehen. Es blieb ruhig. Sie drehte sich auf die Seite und schloss schweren Herzens die Augen – und schlief vor Erschöpfung sofort ein. --- Eine sanfte Brise, die ihr Gesicht streichelte, geleitete sie aus dem Schlaf. Sie hielt die Lider geschlossen, genoss den warmen Wind, der durch das geöffnete Fenster in das Zimmer drang und ihr das Gefühl des nahenden Sommers vermittelte. Sie fühlte sich großartig, denn sie hatte lange nicht mehr so wunderbar geschlafen – Moment! Abrupt saß sie mit aufgerissenen Augen aufrecht im Bett. Ihr Kopf fuhr um und sie blickte nach draußen. Am hellblauen Himmel war keine Wolke zu sehen – genauso wenig wie die Sonne, die um diese Tageszeit den Raum mit ihren Strahlen hell erleuchten sollte. Panisch huschte ihr Blick zur Wanduhr und blieb fassungslos darauf haften. Es war fast Mittag und das bedeutete, dass sie sechs Stunden geschlafen hatte. Sakura sprang auf und stürzte aus dem Gästezimmer. Sie stürmte den Flur entlang, stolperte ins Wohnzimmer und blinzelte entgeistert über das sich ihr bietende Szenario. Sarada lag auf ihrer Spielmatte und schlug vergnügt nach den Plüschtieren, die vom Bogen herunterhingen. Jedes Mal, wenn sie eines traf und ein Glöckchen läutete, kicherte sie vergnügt und zufrieden vor sich hin. Sakura fiel bei dem Anblick eine Last vom Herzen. Sie hatte sich ganz umsonst Sorgen gemacht. Erleichtert atmete sie aus und schaute sich nach ihrem Mann um. Er war nicht zu sehen, doch aus der angrenzenden Küche klang das Geräusch von Wasser, das auf das Metall der Spüle traf. Sie schlich sich zum Durchgang und lugte hinein. Sasuke spülte die letzte Flasche aus und stellte sie zu den anderen zum Trocknen auf ein sauberes Geschirrtuch. Ein Schmunzeln schlich sich bei diesem Anblick auf ihre Lippen. Dann holte sie tief Luft, stemmte die Hände in die Hüften und sagte ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme: »Du solltest mich doch wecken!« Er fuhr langsam zu ihr um. »Und ich habe dir gesagt, dass ich zurechtkomme.« Sie seufzte, ließ die Arme wieder hängen und warf einen Blick zurück auf Sarada. »Und wie ich sehe, hast du dich großartig geschlagen.« Er quittierte ihr Zugeständnis mit einem Schmunzeln und fragte: »Wie hast du geschlafen?« »Wundervoll«, sagte sie und streckte sich demonstrativ. »So ausgeruht habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt.« Sie trat an ihn heran, schenkte ihm ein Lächeln und flüsterte: »Danke, dass du das für mich getan hast.« Er schüttelte den Kopf, zog sie zu sich heran und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann tastete er nach ihrer Hand und drückte sie sanft. Dankbar erwiderte sie seine Geste. ~ Ende ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)