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Christmas in a Lion‘s Den

FF-Adventskalender Tag 2
von

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The Snake


 

Lucius‘ Parfum hing in der Luft, lange, nachdem er sich von ihr verabschiedet hatte. Es war ein maskuliner Duft, holzig und ledrig, aber Narcissa hätte seine Komponenten nicht näher bestimmen können. Das Parfum hatte sie umfangen, kaum, dass Lucius sich zu ihr gebeugt hatte, um ihr eine Strähne hinters Ohr zu streichen. Insgeheim fragte sie sich, ob er gar nicht mitbekommen hatte, dass sie, unter der Herznote von Jasmin und Maiglöckchen, immer noch nach der Vertrauensschülerangelegenheit der letzten Nacht roch. Vielleicht hatte er es aber auch gar nicht bemerken können. Ihr war noch immer ein wenig schwindelig.

Natürlich, es überraschte Narcissa nicht, dass sich Lucius für teure Düfte zu interessieren begann, das taten die meisten reinblütigen Jungen in ihrem Alter. Sie wünschte sich nur, er würde die gleiche Sorgfalt, die er für die Auswahl des Duftwässerchens verwendete, auch für die Dosierung aufbringen.

Sie räusperte sich.

In ihrem Augenwinkel flackerte etwas Rot-Gold-Matschiges. Narcissa erkannte nicht, worum es sich genau handelte, doch die Bewegung war Warnung genug.

Sie duckte sich reflexartig.

Ein Arm, umhüllt von einem schwarzen Winterumhang und dem Odeur von vergammeltem Kürbis, fegte über ihren Kopf hinweg. Leider hatte ihr Angreifer zwei Arme. Der zweite erwischte sie und zog sie gekonnt in einen Schwitzkasten. Weicher, warmer Wollstoff in warmen roten und goldenen Farbtönen klatschte ihr ins Gesicht. Narcissa japste empört auf, dann zappelte sie.

„Frank Longbottom!“, fauchte sie. „Lass mich auf der Stelle los!“

Der Gryffindor lachte.

„Sag Frank Desmond Longbottom zu mir!“

„Ich sage gleich Vermiculus zu dir!“

Frank lachte, ließ sie aber tatsächlich los, allerdings erst, nachdem er ihre Frisur gehörig durcheinander gebracht hatte.

Automatisch glitt ihr Griff in eine ihrer Umhangtaschen. Ihre Finger tasten über ihren Zauberstab und daran vorbei, bis sie kühles Metall unter ihren Fingerspitzen spürte. Mit routinierten Bewegungen zog sie den Taschenspiegel hervor und klappte ihn auf. Probeweise zupfte sie an einer Strähne. Einen kritischen Blick später seufzte sie schwer. Unrettbar.

Narcissa warf ihm einen finsteren Blick zu.

„Du bist unmöglich“, murrte sie. „Warum gebe ich mich überhaupt mit einem Gryffindor ab?“

Zugegeben, eigentlich war es ihr klar. Sie hatte an Frank einen Narren gefressen, seit sich ihr Klassenkamerad nicht, wie jeder normale Schüler, an seinen eigenen Haustisch gesetzt hatte, sondern mitten zwischen sie und … wusste sie nicht mehr. Ihre Erinnerung bestand nur aus klein, blass und fettig. Und aus Frank. Eigentlich vor allem aus Frank und aus ihrer Bewunderung dafür, dass er es ohne einen einzigen Fluch im Rücken durch das Frühstück und aus der großen Halle geschafft hatte.

„Weil du ihn lustig findest“, sprach ein anderer Junge aus, was sie dachte. Rufus. Narcissa erkannte ihn an der Stimme, aber sie hätte auch gewusst, dass er hinter ihnen stand, hätte er geschwiegen. Rufus war selten weit entfernt, wenn Frank in der Nähe war. Außerdem hatte er diese typische Vertrauensschüleraura, die sie schon bei Isobel Nott in ihrem ersten Schuljahr gruselig gefunden hatte. Nott hatte immer plötzlich hinter einem gestanden, wenn man auch nur überlegte, ob das, was man gerade tat, gegen die Regeln war. Und selbst, wenn Narcissa sich sicher war, dass sie nichts verbrochen hatte, hatte ihr Blick gereicht, um ihr ein schlechtes Gewissen zu machen. Rufus konnte das auch.

Nicht, dass Narcissa sich jetzt hätte schuldig fühlen wollen. Das war Franks Aufgabe. Leider war der gegen jede Vertrauensschüleraura immun.

Sie klappte den Taschenspiegel wieder zu.

„Was macht ihr um diese Zeit überhaupt hier? Ich dachte, ihr wolltet ausschlafen.“

„Frank wollte ausschlafen“, verbesserte Rufus sie. Er trat in ihr Blickfeld – vermutlich nur, damit sie sich schuldig fühlte, weil sie sich nicht zu ihm umgedreht hatte. Sie ignorierte das.

„Gut, Frank wollte ausschlafen.“ Sie neigte den Kopf, sodass sie Frank mit einem anklagenden Blick strafen konnte. „Frank, warum schläfst du nicht aus?“

Frank zuckte zur Antwort mit den Achseln. „Ich dachte, wir sollten uns verabschieden.“

Verabschieden? Narcissa verdrehte die Augen.

„Du tust ja beinahe so, als würde ich Gefahr laufen, nie wieder zu kommen.“

Die Chancen dafür standen wirklich schlecht. Zu Hause warteten nur das dröge Familienessen mit Tantchen Walburga, ihren Eltern und Tinkerbell. Das und – urgh.

„Na ja, danach sah es aus, oder?“, entgegnete er.

Urgh in der Tat.

Gegen ihren Willen fühlte Narcissa sich ertappt. Verdammt. So sehr Narcissa Aufmerksamkeit an sich auch genoss, unbemerkt beobachtet zu werden, gehörte nicht dazu. Wie viel hatten die beiden Gryffindors gesehen, bevor Frank sie angefallen hatte? Lucius‘ Verabschiedung? Mit Pech mehr.

„Sollen wir schon mal den Hochzeitswalzer üben?“, fragte Frank und klang dabei beinahe so süß wie sie es selbst gerne tat, wenn sie richtig ätzen wollte. Egal, wie viel die beiden Jungen gesehen hatten, es war eindeutig zu viel gewesen.

„Eher den Trauermarsch.“

Franks Bewegung in ihrem Augenwinkel kam in etwa so unerwartet, wie sein Lachen. Es war ein warmes, angenehmes Lachen, das sie unter seinem Umhang spüren konnte, als er sie in eine neue Umarmung zog. Sie konnte nur hoffen, dass er die Kette unter ihrem Umhang nicht genauso spüren konnte.

„Dabei wärt ihr so ein hübsches Paar! Du – die jüngste Tochter der Blacks, charmant, hübsch, intelligent und … Rufus, was ist Malfoy?“

Narcissa spähte an Franks Arm vorbei zu Rufus. Sie spürte, wie Franks Kinn über ihren Scheitel strich, als er das Gleiche tat..

Einen Moment lang tauschten die drei Blicke.

„Ein Pfau.“

„Genau! Du … und der Pfau, Cissy! Ist das nicht romantisch? Fast so, wie in die Schöne und das Biest!“

Narcissa wand sich aus Franks Griff. „Ist das ein Muggelmärchen, Frank?“

„Ja, und? Es ist so romantisch.“

„Lucius Malfoy ist in etwa so romantisch, wie ein explodierter Knuddelmuff.“

Für den Moment auf allen Respekt, den sie anderen reinblütigen Magiern normalerweise entgegenbrachte. Ohnehin hatte ihr Respekt für Lucius in der letzten halben Stunde gelitten – unter Parfumwolken, Geschenken, die sie nie hatte haben wollen, und ordentlich manikürten Fingernägeln, unter denen ein undefinierbarer, grüner Farbton geklebt hatte.

Frank zuckte mit den Achseln. „Nun, dann ist er zumindest flauschig.“

„Wenn du das glaubst, solltest du einmal einen Knuddelmuff in die Luft jagen“, warf Rufus ein. Er schüttelte den Kopf. „Aber Kopf hoch. Wie wahrscheinlich ist es, dass er sich morgen noch an dich erinnert?“

„Meine Eltern haben ihn und seine Eltern zum Weihnachtsessen eingeladen.“

Da, jetzt hatte sie es gesagt.

Der Satz hing zwischen ihnen, wie ein rosafarbener Elefant. Vielleicht hätte sie sich weniger Sorgen gemacht, hätte Malfoy nicht begonnen, sich für sie und ihre Mitschülerinnen zu interessieren. Das letztes Jahr war möglicherweise noch ein schlechter Scherz gewesen, eine Mischung aus jugendlicher Idiotie und dem Bedürfnis mit seinen Quidditch-Kumpeln die Besenlängen zu vergleichen. Aber jetzt? Mittlerweile musste er verstanden haben, dass er den Erben, den sein Vater von ihm erwartete, nicht durch Zellteilung erhalten würde. Nicht mal durch magische.

Das Schweigen der Jungen war Antwort genug. Narcissa warf beiden einen skeptischen Blick zu. Rufus blickte drein, als suche er nach einem Grund, für den er Malfoy Punkte abziehen konnte, und neben ihr sah Frank sie an, als habe sie ihm gerade eröffnet, Lady Sapphire, ihre Katze, sei von einem Flubberwurm gefressen worden.

„Wie wahrscheinlich ist es, dass Tinkerbell ihn frisst?“

Sie wandte sich aus Franks Griff und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine blonde Strähne fiel ihr dabei ins Gesicht. Narcissa pustete sie fort und sah ihn finster an.

„Tinkerbell ist Daddys Mops, Frank.“

„Er ist Daddys größenwahnsinniger Mops?“

Realistisch betrachtet, hatte Tinkerbell keine große Chance. Selbst als Pfau wäre Malfoy größer und schwerer als der Schoßhund ihres Vaters und das überdimensionale, malfoysche Ego blieb sicher auch einem Mops im Halse stecken, der sich für Godric Gryffindor hielt. Dennoch – die Vorstellung von Tinkerbell auf dem heimatlichen Canapé, mit blutverschmierten Leftzen und einem letzten, abgerissenen Finger vor den Pfoten, auf dem noch der klobige Siegelring steckte, war zu gut, um sie sich nicht für einen Augenblick vor ihr inneres Auge zu rufen. Zwischen silbernen Christbaumkugeln und Mince Pies rülpste Tinkerbell zufrieden.

Narcissa kicherte leise.

„Tinkerbell frisst nur Kaninchenleber.“

„Bestimmt macht er für dich eine Ausnahme. Mag er Brandy Butter?“

„Ich empfehle Cranberries“, warf Rufus dazwischen.

Narcissa schüttelte, immer noch kichernd, den Kopf, dann riss sie sich zusammen.

„Nein und nein, aber das muss er nicht.“

„Willst du ihn etwa selbst fressen?“ Noch während er sprach, bedachte Frank sie mit einem kritischen Blick. Vermutlich überlegte er, ob Malfoy mitsamt seinem Ego in sie passte.

Angewidert verzog Narcissa das Gesicht. „Nein. Ich geh nicht hin.“

„Wie, du gehst nicht hin?“

„Nun, also-“

Sie kam nicht dazu, ihren Freunden von ihrem Plan zu erzählen, der in ihr gärte, seit Malfoy ihr ein liebliches „Bis Boxing-Day!“ ins Ohr gesäuselt hatte. In ihrem Augenwinkel sah sie gerade noch, wie eine Schülerin ein paar Meter weiter durch das Eingangsportal ins Freie trat. Narcissa erkannte ihr Gesicht nicht, aber sie erkannte den hinter ihr her schwebenden Koffer. Er war nicht groß, aber aus edlem, schwarzen Leder, beinahe eine Kopie des Gepäcks, das neben ihr im Schnee stand. Die einzigen Unterschiede waren die Beschläge, die auf dem fremden Koffer nicht N.A.B. sondern A.S.B. lauteten. Das und ein großer, die Farbe wechselnder Aufkleber der Nothing but Wands, den Narcissa sicher nicht auf ihren persönlichen Gegenständen geduldet hätte – und das nicht nur, weil er eine Standpauke von der Länge eines Quidditchspiels für sie bedeutet hätte.

Noch während ihre Schwester hinter Rufus' Rücken außer Sicht verschwand, verschwand auch Narcissa – aus pragmatischen Gründen hinter Frank. Der war zwar kaum größer, als Rufus, aber er trug den aufgeplusterten Umhang.

„Ähm ... Cissy?“

Sie war sich der Blicke, die ihre Freunde ihr zuwarfen, durchaus bewusst. Narcissa rührte sich dennoch keinen Milimeter.

„Nicht bewegen, beide!“, zischte sie und schielte an Franks Arm vorbei auf den Hof.

Frank schnaubte amüsiert, hielt aber still. Vor ihr verschränkte Rufus die Arme vor der Brust und bedachte sie mit einem dieser vorwurfsvollen Blicke, die von allen Vertrauensschülern im fünften Jahr nur er wirklich gut beherrschte. Sie hätte ihm ein O dafür gegeben, hätten nicht gerade ihre Weihnachtsferien davon abgehangen, dass sie die Klappe hielt.

Einen Augenblick später trat Andromeda auf Rufus' anderer Seite wieder in ihr Blickfeld, den Koffer noch immer hinter sich. Der Aufkleber strahlte gerade in neonrosa - das tat er immer, wenn Narcissa in seiner Nähe war. Sie hasste ihn dafür, aber ihre Schwester hatte glücklicherweise keinen Blick für solche Details.

„Jetzt etwas drehen, Franky-Boy“, murmelte sie, und zog, als er sich in die falsche Richtung bewegen wollte, an seinem Ärmel. Keinen Augenblick zu früh verschwand sie erneut hinter seinem Rücken. Sie sah gerade noch, wie ihre Schwester stehen blieb, dann blockierte sein – eilig mit geschickten Slytherinfingern zurecht gezupfter – Schal die Sicht.

Erneut stieg ihr der Geruch von gammligen Kürbis in die Nase. Dennoch nahm sie einen tiefen Atemzug und hielt die Luft an.

Irgendwann wurde das Schweigen drückend und noch ein paar Atemzüge, die sie nicht nahm, später, vorwurfsvoll. Außerdem ging ihr die Luft aus.

„Sie ist weg“, informierte Frank sie schließlich. Er klang, als amüsiere er sich gerade ausgezeichnet.

Narcissa klang eher wie ein sterbender Kniesel, als sie schließlich Luft holte. Bevor sie sich hinter ihrem feixenden Schutzwall hervor traute, warf sie einen letzten, skeptischen Blick an seinem Arm vorbei. Tatsächlich konnte sie Andromeda noch sehen. Ihre Schwester hatte ihnen den Rücken zugewandt und schritt zielstrebig den Weg entlang, der sie und ihren Koffer nach Hogsmeade und zum Bahnhof bringen würde. Gerade verschwand sie hinter ein paar Fünftklässlerinnen aus Hufflepuff außer Sicht. Das Letzte, was Narcissa von ihrer Schwester sah, war der ätzende Aufkleber, der gerade von pink zu orange und blau wechselte.

Neben ihr wurde das Schweigen aufdringlich.

Widerwillig ließ Narcissa Franks Umhang los und stellte sich wieder zwischen die beiden Jungen. Andere Mitschüler hätten sie jetzt vermutlich nach dem Grund für ihre – zugegeben recht peinliche – Aktion gefragt, aber nicht Rufus. Er sah sie einfach nur an. Seine Augenbrauen waren beinahe eine durchgängige Linie und hinter seinen dicken Brillengläsern funkelten seine Augen wie verfluchte, gelbe Edelsteine. Automatisch stellten sich ihre Nackenhaare auf. Sie konnte die Smaragde im Punkteglas ihres Hauses beinahe schon mit einem leisen Plopp! verschwinden hören. Letztendlich biss sich die Furcht, die sie bereits seit Isobel Nott kannte, die Zähne an Narcissa aus.

Trotzig und mit einer guten Portion Black-Starrsinn starrte sie zurück und verschränkte ihrerseits die Arme vor der Brust.

„Was?“, fragte sie. „Denkst du, du bist hier der Einzige, der sich bei der Wahl zwischen den Holyhead Harpies und den Chudley Canons für einen großen Krug Butterbier entscheidet?“

Rufus rührte sich keinen Millimeter.

„Ich dachte, du magst Quidditch.“

„Nein, ich mag den Fankalender von Puddlemere United.“

Narcissa konnte förmlich sehen, wie hinter seiner Stirn die Erkenntnis einrastete, dass sie nicht den familienfreundlichen Mit den Jungs von Puddlemere durchs ganze Jahr! meinte, von dem sein Onkel vor einer Woche drei Dutzend mit persönlicher Widmung an das Lehrerkollegium geschickt hatte. Einen Augenblick später ließ er die Arme sinken.

„Na schön“, murrte er, „was hast du vor?“
 

The First Lion


 

„Dad hat mir sicher dieses Kleid mit den schwarzen Pailletten auf dem Dekolletee gekauft“, sagte Narcissa in die Stille während sie die Große Halle und einen immer noch frühstückenden Frank hinter sich ließen. „Es ist cremefarben mit einem schlanken, schwarzen Bund um die Taille. Der Rock fällt glatt und schimmert im Kerzenlicht. Ich habe ihm extra Bilder aus dem Katalog in meinen letzten Briefen beigelegt. Sonst schnallt er das immer nicht. Als ich das in meinem zweiten Jahr vergessen habe, hat er mir diesen furchtbaren, waldgrünen Umhang geschenkt. Ich sah in dem Teil aus wie ein Tannenbaum und ich musste ihn den ganzen Weihnachtsabend über tragen.“

Rufus kam sich unglaublich blöde vor.

In seiner Umhangtasche wartete der Brief, den er an seine Mutter schicken wollte, darauf, an ein Eulenbein gebunden zu werden. Er hatte ihr versprochen, ihr zu schreiben, schon als er ihr gestanden hatte, dass er über die Ferien in Hogwarts bleiben wollte, um für seine OWL zu lernen. Natürlich, seine Mutter wusste, dass das nur die halbe Wahrheit war.

„Andromeda hat mir die Ohrringe bestellt, die wir in den Sommerferien bei Gleamings in der Winkelgasse gesehen haben. Ich hab die Quittung in die Finger gekriegt.“

Es war nicht fair seine Mutter auf der großen Feier, auf die Onkel Brutus und sein mindestens genauso verrückter Vater mit Pech die halbe Quidditchliga einluden, allein zu lassen. Sie war geknickt gewesen, das hatte er ihr angesehen, als sie sich auf dem Bahnsteig von ihm verabschiedet hatte.

„Meine Mutter hat vermutlich wieder alles durchgeplant“, fuhr Narcissa fort. Gedankenverloren drehte sie eine ihrer blonden Strähnen auf ihren Zeigefinger. Mittlerweile hatten sie die große Treppe erreicht. „Das Geschenk. Das Geschenkpapier. Die Schleife um das Paket. Der Zeitpunkt, zu dem sie mir das Geschenk überreichen will.“

Er liebte seine Mutter. Irgendwie liebte Rufus sogar seinen Vater und das, obwohl er ihm beinahe alle Knochen gebrochen hatte, als er ihn mit vier Jahren auf seinen ersten, eigenen Sauberwisch gesetzt hatte. Aber noch so ein Fest wie die letzten vierzehn hielt er nicht aus.

„Von Onkel Orion und Tante Walburga habe ich mir einen neuen Teppich gewünscht. Letztes Jahr Silvester hat mir Regulus auf meinen alten gereihert und nicht einmal der Hauself hat die Flecken rausbekommen. Er sagt, Sirius habe ihm einen komischen Trank in den Kürbissaft gekippt, aber ich wette mit dir, das war Elfenwein.“

Nein, wenn er schon nicht anwesend war, verdiente seine Mutter wenigstens diesen Brief. Es war ein dicker Brief. Er enthielt einen langen Bericht über seine Zeit als Vertrauensschüler und über den Unterricht. Er hatte ihr von Frank geschrieben und von der Zweitklässlerin, die ihn vor einer Woche auf malaiisch nach dem Weg gefragt hatte. Angesichts des Briefs, den Narcissa in der letzten halben Stunde am Slytherintisch aufgesetzt hatte, ohne ihren Toast auch nur anzurühren, wirkten die zehn Seiten in seiner Umhangtasche irgendwie lächerlich.

„Bella schenkt mir sicher einfach irgendwas. Das tut sie immer. Vermutlich ist es schwarzmagisch. Entweder das, oder es glitzert. Hey, vielleicht ist es schwarzmagisch und glitzert, gleichzeitig!“

Rufus schluckte. Er ahnte, auf welchen Punkt dieses Gespräch zusteuerte und er wünschte sich längst, Frank hätte seinen zweiten Gang Rührei stehen lassen und ihn begleitet.

„Tinkerbell schenkt mir höchstens ein Häufchen unter Lestranges bestem Drachenlederschuh.“

„Ich dachte“, warf Rufus ein, während er über eine Trickstufe hinweg stieg, „du magst Lestrange nicht sonderlich?“

Rufus kannte Rodolphus Lestrange nur aus Erzählungen. Er hatte Hogwarts abgeschlossen, noch bevor Rufus eingeschult worden war, aber vermutlich war das kein Verlust. Nach allem, was er wusste, war Lestrange Schulsprecher von Slytherin gewesen und arbeitete mittlerweile für das Wizengamot. Einmal war er mit einem Bericht über die Kriminalität von Muggelgeborenen im Propheten gewesen, aber Rufus gab da nicht viel drauf. Dass er vor ein paar Wochen Narcissas ältere Schwester geheiratet hatte, wusste er nur, weil Narcissa ihm Tagelang mit ihrer Kleiderplanung in den Ohren gelegen hatte.

Neben ihm schnalzte Narcissa mit der Zunge.

„Natürlich mag ich Lestrange nicht sonderlich. Bella und er haben die romantische Anziehung einer toten Katze.“

Gerne hätte Rufus behauptet, dass ihn das verwunderte, oder zumindest, dass Lestrange dafür verantwortlich zu machen war, wenn diese Ehe scheiterte, aber nach allem, was er in den letzten Jahren von Narcissas Schwester mitbekommen hatte, brachte er das nicht über sich.

Sie erreichten den letzten Absatz und bogen in den Gang ein, der sie zum Westturm bringen würde.

„Aber das ist nicht der Punkt.“

„Ich weiß“, antwortete er. Er vermied es, sie anzusehen. Rufus wusste, dass sie abwechselnd die Fäuste ballte und dann wieder eines der Portraits an den Wänden anstarrte, als habe es ein Dreijähriger mit den Überresten seines Goldfischs gemalt. Das hatte sie bereits auf der Treppe getan.

„Ich habe mich auf Weihnachten gefreut.“

Nein, du hast dich auf die Geschenke gefreut, dachte Rufus, hütete sich aber davor, es auszusprechen. Über das langweilige Weihnachtsfest, das ihr jedes Jahr mit den übrigen Blacks feiert, regst du dich auf, seit es dir zu langweilig geworden ist, dich über die Hochzeit deiner Schwester zu beschweren.

„Ich weiß“, sagte er stattdessen. „Sieh es so – stattdessen feierst du jetzt eben mit uns.“

Narcissa kicherte, aber es wirkte zu schrill, als dass sie wirklich belustigt hätte sein können.

„Mit euch und Lady Sapphire“, antwortete sie. „Und vielleicht mit Stevey Laughalot, wenn er bis dahin nicht an seinem Besen festgefroren ist. Es wird bestimmt toll. Ihr feiert in eurem Gemeinschaftsraum und stopft Süßigkeiten aus dem Honigtopf in euch rein, und ich feiere in meinem Gemeinschaftsraum und höre mir die hundert besten Fouls der Slytherinhausmannschaft an.“

Unwillkürlich sah Rufus fort.

„Wir können uns gerne in der Großen Halle treffen“, bot er an, schalt sich aber im nächsten Moment einen Narren. Natürlich konnten sie sich außerhalb der Gemeinschaftsräume treffen. Aber letztendlich, das wusste Rufus auch, lief es darauf hinaus, dass sie die Abende mit ihren verbliebenen Hauskameraden verbrachten. Für Rufus war das nicht so wild, immerhin war Frank in seinem Haus, aber für Narcissa? Sein Weihnachtsfest allein mit einer Katze und einem Quidditchidioten zu verbringen, war auch für Rufus keine sonderlich anziehende Aussicht.

Aber er würde Narcissa kaum in den Gemeinschaftsraum von Gryffindor schmuggeln können. Das gehörte sich nicht, erst recht nicht für einen Vertrauensschüler.

Missmutig blickte er zu den Portraits, die sie passierten. Trotz Narcissas finsterer Blicke interessierte sich kaum eines der Bilder für sie. Eine Hexe zauberte Mistelzweige von einer Ecke ihres Bilderrahmens zur anderen und warf ihnen nur über ihre Schulter einen skeptischen Blick zu. Im Bild daneben schlief eine Gruppe Zauberer ihren letzten Rausch aus. Ein leerer Weinkelch rollte zwischen ihnen umher, wann immer einer Schlafenden ihn versehentlich anstieß.

Nur ein junger Mann, ein paar Bilderrahmen weiter, erwiderte seinen Blick. Dunkle Haare umrahmten sein Gesicht und als sie näher kamen, erkannte Rufus eine ganze Armee von Sommersprossen. Der Mann trug eine Tunika, die Rufus mit den mäßigen Geschichtskenntnissen, die Professor Binns in seinem Unterricht zu vermitteln vermochte, als frühmittelalterliche Muggelkleidung einordnete. In seinen Händen hielt er einen Bogen, aber an seinem Gürtel hing neben einem Köcher auch ein Zauberstab. Der Mann im Portrait hob fragend die Augenbrauen. Kurz sah er so aus, als wollte er etwas sagen, doch dann grinste er nur anzüglich.

Entnervt wandte Rufus den Blick ab.

Ein paar Portraits, die Rufus sich nicht ansah, später, erreichten sie die Eulerei. Rufus wollte die Tür öffnen, doch Narcissa schob sich an ihm vorbei. Die Hand auf der Klinke, hielt sie inne. Rufus spürte, dass sie ihn ansah. Dieses Mal erwiderte er den Blick.

„Sie werden mich nicht dafür enterben“, sagte sie, doch sie klang nicht so sicher, wie sie es sollte.

„Dafür, dass du Weihnachten schwänzt?“ Rufus schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Aber sie werden enttäuscht sein.“

„Mein Vater wird toben“, warf er ein. „Er wirft wieder eine seiner Feiern.“

„Er erwartet, dass du dich mit den richtigen Leuten anfreundest, oder?“

„Er erwartet, dass ich einen Vertrag bei den Montrose Magpies unterschreibe.“

Er spürte, wie sie ihn musterte – die dicken Brillengläser, die Pickel, gegen die sie sicher dreitausend Weghexzauber kannte, die Nase, die seit dem letzten Quaffel ein wenig schief war.

„Bevor du bei den Magpies unterschreibst, wirst du Auror, Rufus.“

Er wollte ihr bereits zustimmen – bevor Rufus bei den Magpies unterschrieb, würde er auch einen Job im Fahrenden Ritter nehmen – stockte dann aber doch.

Er und Auror?

Auror?

Einen Moment lang starrte er sie an. Wie kam sie bitte auf den Gedanken? Sicher, er brachte die soliden Noten, die für den Job nötig waren, aber ansonsten hatte er kaum die notwendigen Qualifikationen. Sie würden ihn allein schon wegen seiner schlechten Augen nicht zulassen. Dass er in der vierten Klasse mal einem Fünftklässler alle Haare vom Kopf gehext hatte, würde wohl kaum als Ausgleich reichen.

Er schüttelte den Kopf.

„Davor nehmen sie Frank.“

Frank. Vielleicht war das tatsächlich etwas für seinen Freund. Eher zumindest als für Rufus. Einen Augenblick lang stellte er sich Frank vor, wie er in einer Aurorenuniform durch dunkle Gassen jagte und Schwarzmagier verhexte. Rufus hätte es beinahe glauben können – hätte er sich nicht an den heutigen Morgen erinnert und an all die Morgen davor. Es war nicht der erste gewesen, an dem Frank, auf der Jagd nach seinem Wecker, erst ein Loch in seinen Baldachin geflucht und sich dann zur Krönung auch noch heillos in seinem Bettlaken verknotet hatte, aber einer der spektakulärsten.

Erneut trafen sich ihre Blicke, dann lachten sie beide.

Narcissa verstummte, plötzlich. Sie zog die Augenbrauen hoch, ihr Blick war eher irritiert als fragend.

„Die Tür ist abgeschlossen.“

Immer noch halb lachend stockte auch Rufus.

„Das kann nicht sein.“

Bereitwillig hob Narcissa die Hand von der Klinke und trat einen Schritt zurück. Eine auffordernde Handbewegung später verschränkte sie die Arme vor der Brust und wartete.

Unter ihrem skeptischen Blick griff Rufus seinerseits nach der Klinke und drückte sie hinunter – nur um festzustellen, dass er sie nicht hinunterdrücken konnte. Er rüttelte an ihr.

Nichts geschah.

„Das kann nicht sein“, murrte er erneut, dieses Mal mehr zu sich selbst als zu Narcissa. „Wer schließt bitte die Eulerei ab? Wer hat überhaupt einen Schlüssel?“

Automatisch ging er die Reihe der infrage kommenden Personen durch, Professor Dumbledore, die Hauslehrer, Mr Filch. Professor Kesselbrand, wenn es hoch kam. Vielleicht die anderen Lehrer, aber eigentlich konnte er sich keinen Reim darauf machen, was beispielsweise Professor Spavin mit dem Zutrittsrecht zur Eulerei wollte. Soweit er wusste, hatte sie nicht einmal eine eigene Eule, nur ne Allergie.

Und Schüler waren noch unwahrscheinlicher.

Er knurrte.

Wenn das ein Streich war, dann war es kein guter. Rufus zog den Zauberstab.

„Alohomora!“, befahl er, doch nichts geschah. Nicht beim ersten Versuch. Nicht beim Zweiten. Den Dritten verkniff er sich, nicht nur, weil Narcissa die Nasenflügel aufblähte.

 

Fünf Minuten später wusste Rufus, dass sich diese Tür nicht bewegen würde. Nicht mit den drei dutzend Öffnungszaubern, die er während seiner Schulzeit gelernt hatte, nicht einmal mit dem für fest verschlossene Einmachgläser und erst recht nicht mit gutem Willen. Finster starrte er die Tür an, doch sie blieb unbeeindruckt. Seine nächste Aktion war, angesichts der Tatsache, dass er immer noch Rufus Kann-die-Regeln-auch-rückwärts Scrimmy war, ungewöhnlich, aber zumindest sehr gryffindorig. Er verlagerte sein Gewicht auf ein Bein und holte mit dem anderen aus.

Einen Augenblick später stieß er einige Worte aus, für die er anderen Schülern Sätze aufgegeben hätte. Seine Augen tränten.

Hinter ihm lachte es. Tief, schadenfroh und eindeutig nicht Narcissa – was kein Wunder war, denn die war klug genug, das Kichern hinter ihrer Hand zu verstecken. Rufus warf einen Blick über seine Schulter. Der Mann mit dem Bogen hatte den Rahmen gewechselt. Er hatte sich ein Bild mit der Unterschrift Vergil Rosier IV. ausgesucht, von dem aus er eine perfekte Aussicht auf ihre Bemühungen hatte, und fläzte auf Vergils verlassenem Ohrensessel.

Rufus verdrehte die Augen.

Neben ihm ließ auch Narcissa den Zauberstab sinken.

„Das“, zischte sie, „ist nicht witzig.“

Kurz sah er ihren Blick zu dem Portrait hinter ihnen flackern, mit diesem Funkeln, das bei ihr normalerweise entweder einen fiesen Fluch oder einen Überfall mit ihrer verhexten Puderquaste bedeutete. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust.

Hinter sich hörte er den Zauberer etwas rufen, das er ihm nicht sonderlich englisch vorkam, aber verdächtig wie ein Sprengzauber klang. Rufus blendete ihn aus. In den Schulregeln gab es keine vorgeschriebene Strafe für Schüler, die die Tür zur Eulerei sprengten, aber Rufus hatte keinen Bedarf, zum Präzedenzfall zu werden.

„Vielleicht ist es besser so“, sagte Narcissa neben ihm, den Blick stur auf das Schloss vor sich gerichtet. „Wenn meine Mutter die Eule heute Abend nicht mehr bekommt, kann sie mich heute Abend auch nicht erwürgen.“

Rufus blickte ebenfalls auf das Schloss. Auch wenn er es in den letzten Minuten bereits drei Mal getan hatte, beugte er sich auf Schlüssellochhöhe und spähte hindurch. Nichts. Von der anderen Seite steckte kein Schlüssel und auch sonst nichts, was das Schloss blockieren konnte. Eigentlich sah er durch das Loch nur einen Haufen Eulenmist.

„Sondern erst morgen früh?“, fragte er beiläufig.

Narcissa schnaubte.

„Nicht hilfreich, Scrimmy. Nicht. Hilfreich.“

Er erwiderte ihren Blick mit einem finsteren Starren, doch sie entschuldigte sich nicht für den verhassten Spitznamen.

Stattdessen schob sie ihn zur Seite, um ihrerseits das Schloss zu betrachten. Auch das hatte sie bereits drei Mal getan, aber er ließ sie gewähren. Wenn sich die Tür nicht bald öffnen ließ, das wusste er, würden sie einen Lehrer holen müssen. Vor seinem inneren Auge sah er sich bereits in Professor McGonagalls Büro, wie er seiner Hauslehrerin erklärte, dass eine Tür sie ausgesperrt hatte, und ehrlich – er konnte darauf verzichten.

„Alohomora!“, murrte sie neben ihm. Die Zauberstabbewegung war akkurat - aber die Tür war stur. „Portaberto! Sesam öffne dich!“

Die Tür wackelte in ihrer Verankerung, doch die Unzerbrechbarkeitszauber, die auf ihr lagen, taten ihren Job.

Diesmal war es Narcissa, die mit einem ihrer auf Hochglanz polierten Stiefel gegen die Tür trat.

„Verdammter Drachendreck!“, zischte sie. „Nichts funktioniert. Diese verfluchte Tür sitzt so fest wie – oh.“

„Wie ... oh?“

„Oh, diese kleine Pestbeule! Dieses Mal ist er fällig!“

Vorsichtshalber trat er einen Schritt zur Seite. Er kannte den Tonfall, er kannte die Puderquaste, die ihm normalerweise folgte und er kannte das Gefühl, an blauem Glitzerpuder zu ersticken. Rufus räusperte sich.

„Narcissa?“

„Wenn ich ihn erwische, werde ich ihn kopfüber an den Uhrenturm hängen! Und dann werde ich-“

„An den großen oder an den kleinen Zeiger?“

Sie stockte und wandte sich endlich von der Tür ab Von der und vom Zetern. Immerhin antwortete sie nicht, wie Frank es zweifelsohne getan hätte, mit „Hä?“, aber das Wort stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben.

„Erhell mich, Cissy. Wer ist die Pestbeule und was hat sie getan?“

„Mein Cousin“, spie sie förmlich aus. Rufus schloss die Augen. Er hasste ihren Cousin. „Die Tür ist nicht verschlossen.“

„Nicht?“

„Nein. Es gibt drei Dinge, die in der Familie Black seit Generationen vererbt werden. Das gute Aussehen. Das Temperament. Und“, sie hob den Zauberstab, „das Talent für Klebeflüche.“

Narcissa hexte.

Das Schloss wackelte. Ein schmatzendes Geräusch drang aus dem Schlüsselloch. Es klang ein wenig, als sei er in eine Schüssel voller Flubberwürmer getreten. Dann knirschte etwas.

Als Narcissa die Hand erneut auf die Klinke legte, gab sie nach, als sei sie schon die ganze Zeit offen gewesen. Das Schloss klickte, dann glitt die Tür nach innen auf und gab den Blick auf ein steinernes Regal mit einem Dutzend Sitzstangen frei. Schneeflocken flogen durch die offenen Fenster und fast bis zur Tür. Auf dem Boden mischten sie sich mit Eulendreck und Federn.

Es fehlte nur ein kleines, winziges Detail zu ihrem Glück – die Eulen. Kein einziges Tier hockte auf den Stangen. Dafür lagen Röhren in den Regalen, lang und bunt, auf dem einen Ende steckte eine Spitze, in dem anderen ein langer Holzstab, mit denen man sie in den Boden oder in eine Halterung schieben konnte.

Einen Moment lang starrte Rufus nur. Dann öffnete er den Mund, doch kein Ton kam heraus. Er schloss ihn wieder.

„Rufus?“, fragte Narcissa ihn. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Irgendwo in dem Gemisch von Kot und Mäuseskeletten zischte es. „Gibt es Silvester eigentlich ein Feuerwerk?“

„Nein“, antwortete er. Sein Mund fühlte sich seltsam trocken an. In einem der Regale, die er nicht sehen konnte, begann es ebenfalls zu zischen. Es klang beinahe, wie eine Schlange. „Ich glaube, das fällt dieses Jahr aus.“

Neben ihm sprang Narcissa zur Seite. Er ließ sich einfach fallen. Dann explodierte der erste Böller.

 

Weitere Explosionen folgten. Raketen zischten und zerbarsten in goldenem und silbernem Feuerwerk. Eulenscheiße wirbelte durch die Tür und der Schädel von etwas, das eine Fledermaus gewesen sein mochte, kullerte hinterher. Ein Feuerwerkskörper schaffte es aus der Tür. Er erwischte Rufus fast, schlug dann einen Haken und brannte sich mit blauen Funken in das Portrait von Vergil Rosier. Ob der Mann mit dem Bogen sich hatte in Sicherheit bringen können, interessierte Rufus nicht – er war zu beschäftigt damit, von der Tür wegzurobben und sich die Hände auf die Ohren zu drücken.

Die Raketen, die der ersten folgten, zählte er nicht. Zu viel war der Lärm, das Licht, das Beben des Bodens.

 

Irgendwann war es vorbei. Nachdem der letzte Böller verstummte, legte sich Stille auf die Eulerei. Man hätte ein Gespenst schweben hören können.

Vorsichtig nahm Rufus eine Hand von seinem Ohr und lauschte, doch alles blieb still. Er warf einen Blick hinter sich, den Flur hinab. Dort, wo er vor kurzem noch gestanden hatte, hatte sich etwas in den Boden gebrannt. Ein paar grüne Funken glommen dort noch immer. Vergils Portrait hatte es von der Mauer gerissen. Überall waren Brandflecke.

Narcissa lag auf der ihm gegenüberliegenden Seite der Tür flach auf dem Bauch, die Hände über dem Kopf. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab und eine Ladung Kot hatte den Saum ihres Umhangs erwischt.

„Ich bring ihn um“, wimmerte sie.

Er musste nicht fragen, wen sie meinte, und er war anderer Meinung.

„Nicht, wenn ich ihn zuerst erwische.“

„Du wirst ihn aber nicht zuerst erwischen. Das werde ich tun“, murrte Narcissa weiter. „Und dann werde ich ihn erwürgen. Ihn von seinen eigenen Pickeln fressen lassen. Vierteilen werde ich ihn!“

Sie brach ab. Rufus hörte sie schlucken, laut und verzweifelt klang es fast, als würde sie ersticken.

„Sieh es so – wenn deine Mutter den Brief heute Abend noch nicht erhält, wird sie dich heute Abend noch nicht vierteilen.“

„Nein, erst morgen früh.“

Rufus hörte sie schniefen. Einen Augenblick lang starrte er Vergil Rosiers Bilderrahmen an. Das Bild lag mit dem Gesicht auf dem Boden, doch das Feuerwerk hatte sich durch die Leinwand gebrannt.

„Weißt du“, sagte er, „es gibt da diese uralte Schulregel. Sie schreibt vor, dass Schüler unverheiratet sein müssen, um Hogwarts besuchen zu dürfen.“

„Rabastan hat mir davon erzählt, ja“, flüsterte sie.

„Na also. Mach dir keine zu großen Sorgen, ja?“

Es dauerte einen langen Augenblick, bevor Narcissa antwortete.

„Würde ich ja gern.“ Sie klang bitter. „Aber weißt du, meine Eltern haben keinen Hogwartsabschluss.“
 

The Second Lion


 

An sich war der Auftrag simpel.

Er erforderte weder herausragendes Denkvermögen, noch besonderes, magisches Talent. Er wäre einfach gewesen, hätten die meisten Vertrauensschüler zu dem Zeitpunkt, an dem Professor McGonagall ihn in ihr Büro zitiert hatte, nicht bereits im Hogwarts-Express gesessen. Eigentlich hätte der Auftrag auch unter den gegebenen Umständen einfach bleiben sollen. An ‚Finde den Erstklässler, halte ihn für die Sache mit der Eulerei unbemerkt eine Runde vom Astronomieturm und übergib ihn anschließend einem Lehrer deiner Wahl!‘ war nicht sonderlich viel falsch zu machen.

Leider, und das hatte Rabastan in den letzten dreieinhalb Monaten auf die harte Tour gelernt, entwickelte sich ein Auftrag wie dieser genau dann zu einer Sisyphusarbeit, wenn der Suchtrupp von Schulsprecher Oliver Bagnold geleitet wurde. Dass der verschwundene Erstklässler ausgerechnet Sirius Black war, potenzierte das Elend nur noch.

Sirius Black.

Ausgerechnet. Und das kurz vor Weihnachten.

Unwirsch griff er nach einem Wandteppich und zog ihn beiseite. Als ihm nichts Ohren flog, spähte er in den Geheimgang dahinter. Nichts.

Natürlich nicht. Bagnold mochte so viel der Meinung „Wir finden den Kurzen schon, wenn wir nur systematisch vorgehen!“ sein, wie er wollte, Rabastan wusste es besser. Auch Bagnold, da war er sich sicher, würde es einsehen, spätestens dann, wenn Black versuchte, ihn mitsamt der Kloschüssel, auf der er saß, in die Luft zu jagen.

Unschuldiger, kleiner Erstklässler.

Pah. Den Nächsten, der behauptete, der Junge hätte vor dem ersten September nie einen Zauberstab in der Hand gehabt, würde er eine Stunde mit dem lieben Kleinen in einem abgeschlossenen Klassenzimmer vergessen.

Nur um auf Nummer sicher zu gehen, trat Rabastan hinter den Wandteppich und leuchtete mit dem Zauberstab den Gang hinab. Schatten ragten aus den Wänden, dort, wo die Steine besonders unordentlich gemauert waren. Sie flackerten im Licht seines Lumos, doch keiner von ihnen hatte Ähnlichkeiten mit Sirius Black.

Zum Glück, vielleicht.

Mit einem sachten Rauschen klatschte der Teppich zurück gegen das Mauerwerk, als er aus dem Geheimgang trat. Beim nächsten einkreuzenden Flur blieb Rabastan stehen. Er lauschte, doch alles blieben still. Keine Stimmen, keine Schritte, nicht einmal das entfernte Singen einer Rüstung, die zur Zeit Stille Nacht anstimmten, wenn man zu nah an ihnen vorbei ging. Vermutlich war längst niemand mehr auf den Korridoren unterwegs. Mit Pech nicht einmal Black.

In Gedanken ging Rabastan ein drittes Mal die Liste an Flüchen durch, die ihn seit dem Gespräch mit Professor McGonagall in den Fingern kribbelten. Einen für Black, der vermutlich längst in seinem Bett lag und sich über sie scheckig lachte. Einen für Selwyn, der jetzt vermutlich im Slytherin-Gemeinschaftsraum hockte und das Metall nicht wert war, aus dem man sein Vertrauensschülerabzeichen gehext hatte. Und einen für Bagnold oder besser: Einen für jeden seiner dummen Sprüche aus dem Vertrauensschüler-Handbuch.

Rabastan stockte.

Hatte eigentlich jemand unter dem Bett der kleinen Beulenpest nachgesehen? Bagnold – nein, der war in Ravenclaw. Black – nein, sie war eine Slytherin. Selwy- nein. Scrimgeour. Scrimgeour war ein Gryffindor. Er war intelligent und gründlich genug, um unter dem Bett und unter Blacks dreckiger Unterhose nachzusehen. Scrimgeour musste ...

Bang!

Rabastan erstarrte.

Dem Geräusch von zerberstender Keramik, die gegen Mauerwerk prallte, folgte der Explosion. Dann ein spitzer Schrei. Das Sprudeln von Wasser.

Eine Erinnerung zerrte an seinem Bewusstsein.

Bang!

Über, unter, hinter ihm – Rabastan wirbelte herum, doch der Flur links von ihm blieb so still, wie der rechts von ihm. Der Boden unter seinen Füßen bebte oder er bildete es sich zumindest ein. Wasser. Wo war hier-

BANG! BANG! BANG!

Die Erinnerung hörte auf, an sein Bewusstsein zu klopfen. Sie trat die mentale Tür ein. Für einen Augenblick war er wieder auf der Jungentoilette im siebten Stock. Eine Klobrille flog an seinem inneren Auge vorbei.

Rabastan schüttelte den Kopf, fluchte, dann wirbelte er herum und folgte dem Lärm, den Weg entlang, den er gekommen war. Den Wandteppich riss er beinahe aus seiner Halterung. Sein Lumos beleuchtete den Geheimgang nur dürftig, doch der Boden war eben und die Treppe, die folgte, schwach von etwas beleuchtet, das ihn vielleicht fressen konnte. Er hastete die ersten Stufen hinab, die letzten sprang er. Im nächsten Wandteppich hätte er sich beinahe verheddert.

Plötzlich rannte er mitten ins Desaster. Die Tür zum Mädchenklo hatte es aus den Angeln gerissen. Wasser sprudelte durch die offene Tür und klatschte unter seinen Schuhen. Ein lautes Gurgeln folgte leisem Platschen, dann spie der Türrahmen mehr Wasser aus. Viel mehr Wasser.

Reflexartig blieb Rabastan stehen. Einen Augenblick später stand er knöcheltief in einer Brühe, die er nicht näher bezeichnen wollte. Binnen Sekunden weichten seine Schuhe durch. In seinen Gedanken lächelte die Erinnerung, grinste, wie ein Kappa und warf mit Porzellanscherben nach ihm. Gänsehaut kroch ihm die Arme hoch. Er hielt die Luft an.

Im Waschraum gurgelte es erneut.

Ignorier das, Rabastan, dachte er, doch das Plätschern von mehr Wasser machte es schwierig. Das ist keine Gefahr, nur ein dummer Streich. Ein dummer Streich, für den du Sirius Black zur Rechenschaft ziehen wirst. Also sei ein Gryffindor, geh da rein und stopf ihn mit dem Kopf in die Toilette, die er gerade gesprengt hat.

Er nahm einen tiefen Atemzug.

„BLACK!“

Ein leises Wimmern war die Antwort. Es wollte nicht zu recht zu dem passen, was Rabastan erwartete. Black wimmerte nicht. Vor allem nicht wie ein Mädchen.

„Black?“

Platschen antworte ihm, laut wie im Gryffindorgemeinschaftsbad, wenn die Erstklässler duschten, dazwischen das Klirren von Porzellan und lautes Juchzen und Quietschen und dann –

„IHHH!“

Nein, entschied Rabastan, das war nicht Black. Zumindest nicht Sirius Black. Vorsichtig trat er einen Schritt auf die offene Tür zu. Wasser spritzte unter seinem Schuh und schwappte zwischen seinen Zehen. Beides war schwer zu ignorieren.

Er tat einen weiteren, nassen Schritt, dann noch einen.

Der Geruch nach dem Innenleben geplatzter Abflussrohre wurde schlimmer.

Die Erstklässlerboote auf dem See. Die Abflüsse in der Küche. Und jetzt das Mädchenklo im zweiten Stock. Warum konnte während seines Vertrauensschülerdienstes nicht einmal etwas in die Luft gehen, das nichts mit Wasser zu tun hatte?

Rabastan erreichte die Tür. Er warf einen vorsichtigen Blick durch den Türrahmen. Zur Belohnung schwappte eine neue Woge eisiger Brühe über und durch seine Schuhe und machte die Versuchung, umzudrehen, noch größer. Dem Schwall folgte Jaulen. Den Zauberstab erhoben trat er in den Raum.

„Ist da jemand?“, rief er.

„Ist da jemand?“, gackerte eine Stimme im Inneren. „Iiist daaa jeeemaaand?“

Lachen folgte der Frage.

Rabastan schloss die Augen und atmete tief durch. Die Liste an Verwünschungen, die er in Gedanken ausstieß, verließ den jugendfreien Sektor. Peeves.

„Verschwinde!“, hörte er eine leisere Stimme, doch sie ging im Gackern des Poltergeists unter.

„Ist hier jeeemaaand? Eine Heuuulesuuuse ist hier! Heuly-Blacky ist hier! Und wer ist dahaaa?“

Heuly-

Ein Flackern war die einzige Warnung. Rabastan, duckte sich. Ein Klumpen, den Rabastan nicht genauer identifizieren wollte, segelte über seinen Kopf hinweg.

„Lestrange ist da! Lestrange in firing range!“

Er musste nicht sehen, was ihn erwartete. Rabastan hob den Zauberstab. Keine Sekunde zu früh riss er den Stab durch die Luft, dann knallte alles gegen seinen Schutzschild. Die Reste einer Kloschüssel, benutztes Klopapier und ein Wasserhahn.

„Zieh Leine, Peeves!“, knurrte er zwischen weiteren Porzellanscherben und einem Federmäppchen, „Ich hole den Blutigen Baron!“

Der Poltergeist lachte nur gackernd. Kichernd holte er aus.

Eine Kröte klatschte gegen den Schild. Mit geöffnetem Mund und verdrehten Augen blieb sie einen Augenblick kleben, bevor sie beleidigt quakend daran herab rutschte. Platschend landete sie im Wasser. Rabastan zog die Augenbrauen zusammen und starrte ihr nach – ein Fehler.

Er sah Peeves noch auf sich zu rauschen, dann barst sein Schild unter Geisterhänden und ein ganzer Schwall Ekelbrühe ergoss sich über ihm. Mit Wucht. Ächzend ging Rabastan in die Knie, schlug mit den Fäusten auf den Fliesen auf und schnappte nach Luft. Er atmete Wasser. Die Flüssigkeit brannte in seinem Rachen, ließ ihn husten und japsen.

„Black und Lestrange sitzen auf dem Mädchenklo und knutschen rum! Heuly-Blacky und Knasti-Basti knuuutschen auf dem Määädchenklooo!“

Peeves Stimme wurde leiser, bis Rabastan ihn zwischen den Hustenkrämpfen nicht mehr hören konnte.

„Alles in Ordnung?“

Leise Schritte plätscherten im Wasser. Den Arm, der sich in sein Blickfeld streckte, ergriff er, ohne nachzudenken. Husten klammerte er sich in den nassen Stoff, wie der Zweitklässler, der er einst gewesen war. Irgendwann wurde das Husten zum Keuchen. Langsam wurde die bekannten Furcht, die ihm auch immer dann im Nacken saß, wenn er seine Freunde zum See begleitete, beherrschbar. Er wusste, dass er in knöchelhohem Wasser nicht ertrinken würde, doch seine Instinkte davon zu überzeugen, war eine andere Sache.

Irgendwann hatte er sich genug unter Kontrolle, um aufzusehen. Sein Blick fiel auf silbergraue, mit Wasser vollgesogene Wollstulpen und glitt die typische Kombination aus Winterrock, Pullunder und Umhang hinauf. Schwarz mit grünem Saum. Slytherin. Rabastan sah Flecken, die er nicht genauer benennen wollte, und dann durchgeweichte, blonde Haare, die ein Gesicht umrahmten, das hätte hübsch sein können, wäre das Make-Up nicht vollkommen verlaufen. Narcissa Black sah auf ihn hinab, die Augen schwarze Flecken von Lidschatten und Wimperntusche, die Stirn gerunzelt und die Lippen zu einem dünnen, beinahe weißen Strich zusammengezogen.

Er sah zurück auf den Boden, bevor sich ihre Blicke treffen konnten.

„Rabastan?“

„Das war nicht sonderlich gryffindorig, fürchte ich.“

Sonderlich gryffindorig fühlte er sich in der Tat nicht. Seine Stimme krächzte in seiner Kehle. Dort, wo seine Schuluniform ins Wasser eintauchte, waberte sie träge um seine Beine, dort, wo sie es nicht tat, klebte sie an ihm wie eine zweite, eisige Haut. Nur die Kröte schien wie in ihrem Element. Mit einer Eleganz, die wohl nur grün und gelb leuchtende Amphibien aufbringen konnten, schwamm sie zwischen ihnen hindurch. Rabastan warf ihr einen finsteren Blick zu.

„Ich habe gehört, Katzen mögen kein Wasser.“

Narcissa kicherte leise, verstummte aber nach einem kurzem Moment.

Zwischen ihnen quakte die Kröte anklagend, aber vielleicht bildete er sich den Tonfall auch nur ein. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht auf seine Knie. Mit einer unwirschen Bewegung, die ihm ein weiteres Quaken einbrachte, gab Rabastan ihr einen Schubs Richtung Abfluss. In der Vertiefung, durch die die Brühe nur langsam abfloss, drehte sie sich einmal im Kreis, dann begann sie zu paddeln.

Er schüttelte den Kopf.

„Das mögen die meisten wirklich nicht“, krächzte er.

„Es hat trotzdem funktioniert“, erwiderte Narcissa. „Kannst du aufstehen?“

Vielleicht nicht, wollte er antworten, verkniff es sich aber. Das Wasser war immer noch eisig und jetzt, wo er sich nicht länger die Lunge aus dem Leib hustete, spürte Rabastan wieder, wie sich die Kälte langsam in ihn fraß. Die Kälte und wer wusste schon, was Peeves noch alles aus dem Abflussrohr gelassen hatte.

Langsam löste er seine Finger aus Narcissas Ärmel. Erst jetzt spürte er, wie verkrampft sein Griff gewesen war. Jede Berührung schmerzte, vermutlich nicht nur ihm. Er verzichtete darauf, aufzusehen und zu prüfen, ob sie sich den Unterarm rieb oder ob sie kontrollierte, ob sich bereits blaue Flecken bildeten.

Kommentarlos half Narcissa ihm auf. Tatsächlich war Aufstehen schwerer, als Rabastan gehofft hatte. Seine Knie waren steif vor Kälte und seine Waden kribbelten. Der Anblick des Chaos half nicht.

Das komplette Bad stand unter Wasser, aus dem Nebenraum mit den Kabinen lief immer noch neues nach. Im Licht der magischen Beleuchtung wirkte die Brühe gelb, braun und grün, unter den Lampen selbst schimmerte sie beinahe wie ein Regenbogen. Sie wirkte nicht überall klar und auf dem Boden, dort, wo die Überschwemmung langsam abebbte, hinterließ sie eine Schicht von undefinierbarem Dreck. Dazwischen schwammen all die Dinge, die man auf einem Schulklo erwartete, inklusive eines Fangzähnigen Frisbees. Der Wasserhahn, den Peeves nach ihm geworfen hatte, lag unbeachtet neben der Tür, überzogen von einer dünnen rotbraunen Schicht Schlick. Über dem Abflussgitter zog die Kröte noch immer ihre Bahnen, der magische Sog des Rohres darunter zu stark, um dagegen anzupaddeln.

„Ich hab Lärm vom Klo gehört“, sagte Narcissa in die Stille, die sonst nur vom dem Plätschern eines geborstenes Rohres in einer der Kabinen unterbrochen wurde. „Ich dachte, es sei Sirius.“

„Es war nicht Sirius.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein. Es war Myrte.“

„Sie hat sich auf dich gestürzt, kaum, dass sie dich bemerkt hat, oder?“

„Oh ja“, Narcissa schnalzte mit der Zunge. „Und sie war bester Laune. Faselte irgendwas von – ich habe ihr nicht zugehört.“

„Natürlich nicht.“

„Natürlich nicht“, sie schnaubte, „es war Myrte, nicht die Graue Dame.“

Die Graue Dame hätte mit Sicherheit auch nicht mit ihr gesprochen, aber den Gedanken behielt Rabastan für sich. Ihm war klar, dass er in puncto weiblicher Geister kaum mitreden konnte, immerhin wohnte die auffälligste, aufdringlichste und penetranteste Geisterdame in einem Mädchenklo und damit an keinen Ort, den Rabastan normalerweise frequentierte.

Abgesehen von heute.

„Jedenfalls – ich habe sie ignoriert und stattdessen die Kabinen kontrolliert. Ich meine – mein reizender Cousin ist immer dort, wo man ihn am wenigsten erwartet. Und das Klo der Maulenden Myrte ist schon sehr unerwartet.“

„Ich glaube, die normalen Toiletten wären bei ihm fast unerwarteter. Soweit ich weiß, machen die meisten Mädchen lieber einen Umweg in die Toiletten auf den anderen Stockwerken.“

Narcissa verzog das Gesicht.

„Ja, ich weiß. Er war ja auch nicht da.“

„Und Peeves?“

„Hat gehört, dass Myrte ein Opfer hat.“

Rabastan seufzte. Dieser verfluchte Poltergeist. Vermutlich konnten sie noch dankbar sein, dass er sich nicht mit Black verbrüdert hatte.

„Quasti hat ihn gepudert, aber ...“

Narcissa verstummte. Sie griff in eine Tasche ihres Umhangs und zog einen Gegenstand hervor, der genauso durchgeweicht war, wie Rabastan sich fühlte. Es war eine handtellergroße Puderquaste aus hellem, rosafarbenem Plüsch, dessen exakten Farbnamen er bei Rodolphus' Hochzeit bereits einmal gehört hatte, aber selbst dann nicht hätte benennen können, hätte sein Leben davon abgehangen. Sie war ziemlich lädiert.

Automatisch trat Rabastan einen Schritt zurück.

Quasti knurrte.

„Ich ... ähm“, sagte er, ohne die Puderquaste aus den Augen zu lassen, „wir sollten uns um den Rohrbruch kümmern. Bevor uns noch irgendetwas um die Ohren fliegt.“

„Sicher, dass du hier bleiben willst?“, fragte Narcissa.

„Nein“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Aber jemand muss es tun.“

Narcissa schüttelte den Kopf. Zwar glaubte er , ein leises „Gryffindors!“ gehört zu haben, doch immerhin hatte sie offenbar seinen Blick bemerkt. Jedenfalls verstaute sie ihre Puderquaste wieder in ihrem Umhang. Rabastan hörte Quasti noch zum Protest knurren, doch offenbar fehlte ihr die magische Energie, um mehr als ein paar silbrige Puderpartikel abzugeben, die zwischen ihnen durch die Luft schwebten. Er wedelte sie fort, dann fischte er seinen Zauberstab aus dem Wasser.

 

Es war nicht ein Rohrbruch, es waren sieben. Glücklicherweise hatte Peeves mehr Elan in das quantitative Ausmaß seiner Zerstörungswut gesteckt, als in das qualitative und so reichten ein paar Kurzzeit-Gefrierzauber und Reparo aus, um die geborstenen Rohre vorerst zu verschließen. Ohne weiteren Nachfluss erledigte das magische Abflussystem im Waschraum den Rest. Binnen weniger Minuten und einer Reihe von Evanescos war der Boden zwar nicht trocken, aber zumindest wieder betretbar.

Nur für Myrtes Toilettenschüssel kam jede Hilfe zu spät.

„Reparo!“, hörte er Narcissa hinter sich ein drittes Mal sagen, doch es klang nicht sonderlich überzeugt, weder von den Erfolgschancen, noch von der Aufgabe selbst. Leises Klicken ertönte, als sich Porzellanscherben zusammensetzten. Einen Moment lang folgte Stille, während der Rabastan der Scherbe, die vor seinen Füßen liegen geblieben war, einen skeptischen Blick zu warf.

Die Scherbe wackelte kraftlos.

Dann folgte das unvermeidliche Krachen, als die Scherben wieder auseinander barsten. Narcissa fasste das Ergebnis mit einem Wort zusammen, das sie so sicher nicht in ihrem Elternhaus gelernt hatte.

Rabastan gab der Scherbe vor sich einen gut gezielten Tritt. Sie schlitterte über die Fliesen und stieß gegen eines der gemauerten Waschbecken, wo sie liegen blieb.

„Gib es auf.“

Rabastan hörte ein leises Knurren, doch er vermied den Blick über seine Schulter. Manchmal glaubte er, Narcissas Puderquasten spürten Angst. Kopfschüttelnd hob er seinen Zauberstab, richtete ihn auf seinen Umhang und murmelte einen Trocknungszauber. Augenblicklich trat heiße Luft trat aus der Spitze seines Zauberstabs. Seine Haut unter dem Stoff kribbelte, als die Wärme langsam in ihn zurückkehrte.

„Es war deine Idee“, antworte Narcissa ihm mit einem Tonfall, der dem Quastis erschreckend ähnlich war. „Du sagtest, wir sollten das Chaos beseitigen.“

„Ich sagte, wir sollten den Rohrbruch beseitigen“, korrigierte er sie und wiederholte den Zauber auf seiner Hose und den Schuhen. „Bevor das ganze Schloss schwimmt.“

„So schnell schwimmt das Schloss schon nicht.“

„Aber die Kerker.“

Statt einer Antwort hörte er, wie Narcissa nun selbst Trocknungszauber sprach, einen für ihre Haare, einen für jedes ihrer Kleidungsstücke und einen, der nur Quasti gelten konnte. Selbst die gemurmelten Zauberformeln klangen vorwurfsvoll. Unwillkürlich lief Rabastan ein kalter Schauer über den nun wieder trockenen Rücken.

Er ließ den Zauberstab sinken. Eher zufällig fiel sein Blick auf die Kröte von vorhin. Mittlerweile lag auch sie wieder auf dem Trockenen. Einen Augenblick lang beobachtete er sie dabei, wie sie sich über die Fliesen schleppte, dann trat er kurzentschlossen auf sie zu. Mit dem fachmännischem Griff eines jungen Mannes, der als Kind sämtliches Getier, das er rund um Lestrange Manor hatte auftun können, nach Hause geschleppt hatte, griff er nach dem Tier und hob es hoch.

„Du bist immer noch sauer“, stellte er fest, während er die Kröte beäugte. Dafür, dass sie vermutlich von einem Erstklässler ausgesetzt worden war, war sie ein überraschend hübsches Tier. Die grünen Streifen leuchteten förmlich auf der gelben Grundfärbung, als er sie ins Licht hielt.

Hinter ihm schnaubte Narcissa.

„Du nicht?“

Rabastan verzog das Gesicht, als habe sie ihm angeboten, eine Schnupperstunde Wahrsagen zu belegen. Sauer war vielleicht das falsche Wort, aber begeistert war er dennoch nicht.

„Es ist ihre Entscheidung“, antwortete er, aber vermutlich hörte auch Narcissa die Lüge in seinen Worten.

„Oh ja“, grollte sie. „Und was für eine.“

Eigentlich, das wusste Rabastan, hätte er Rodolphus verteidigen müssen, doch er brachte es nicht über sich. Allein die Erinnerung an den Tag während der Osterferien, an dem sein Bruder ihm eröffnet hatte, dass er beabsichtige, Bellatrix Black zu heiraten, hinterließ einen faden Nachgeschmack in seinem Mund.

„Er hat sie doch nur wegen ihrem Namen geheiratet“, fuhr Narcissa fort. Irgendetwas klirrte, vermutlich eine weitere Porzellanscherbe. „Dabei passt er absolut nicht zu ihr. Er tut immer so höflich und freundlich, aber ich weiß ganz genau, wie er mich immer ansieht. Für ihn bin ich nicht mehr wert, als die Mitgift, die meine Familie mir mitgibt. Und Bella ist für ihn auch nicht mehr.“

„Du tust ihm Unrecht“, sagte er jetzt doch. Der fade Geschmack verschwand nicht von seiner Zunge.

„Er will Großvater Arcturus' Platz im Gamot, das ist alles.“

„Er will irgendeinen Platz im Gamot, und den bekommt er auch ohne eine Ehe. Er ist ein Lestrange.“

„Und alle Lestranges drehen krumme Dinger, ich weiß.“

Rabastan öffnete den Mund, doch kein Ton kam heraus. Sein Blick glitt zu seinem Unterarm, wo sein Umhang das dunkle Mal verbarg. Er wusste, er hätte es leugnen können, doch es erschien ihm falsch.

Die Kröte in seiner Hand quakte. Selbst sie klang anklagend. Kurzentschlossen ließ er die Hand sinken und stopfte die Kröte in seine Umhangtasche.

Hinter ihm ertönte das leise Klackern von Narcissas Absätzen auf den Fliesen.

„Tut mir Leid.“ Ihr Tonfall klang versöhnlicher. „Weißt du, ich würde mich zur Zeit nur sehr über ein krummes Ding freuen.“

„Willst du ihn so dringend loswerden?“, fragte er tonlos.

„Nein, nicht ihn“, antwortete sie. „Einen Pfau.“
 



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von: Calafinwe
2015-12-23T22:08:53+00:00 23.12.2015 23:08
*hereinschneit*
 
Wieder ein tolles Kapitel, wie auch schon das letzte. Deine Fanfic macht mir zwei Dinge besonders schmerzlich bewusst:
a) Ich müsste die Bücher dringend mal wieder lesen.
b) Ich weis viel zu wenig über die Nebencharaktere.
 
Ich finde es gut, wie du die Spannung in dem Kapitel aufgebaut hast, so dass man erst mal nur erahnen konnte, wer eigentlich für das Unheil im Mädchenklo verantwortlich ist. Natürlich hat man sofort die Verbindung zu Myrte. Auf Peeves bin ich aber jetzt nicht unbedingt gekommen. Es ist schon ein Unterschied, wenn man die Bücher nur auf englisch kennt.
 
 
LG
Cala~
Antwort von: Arcturus
23.12.2015 23:14
Hey,

danke für's Hereinschneien. :)

Ich weiß nicht, ob es so viel mit der Sprache zu tun hat - zumindest den letzten Teil kenne ich nur auf englisch und die meisten Informationen les ich im englischen HP-Wiki nach, weil das deutsche einfach murks ist. Beim Schreiben hilft mir, dass ich die Charas zumindest teilweise selbst in RPGs spiele. Ich glaube, dadurch kommt aber auch viel Eigeninterpretation rein, grade bei Charakteren, die man nur aus anderen Zeiten oder eben gar nicht kennt, wie es bei den Charas bislang der Fall ist.

lG
NIX
Von:  Ixtli
2015-12-13T13:02:13+00:00 13.12.2015 14:02
Wenn ich die Bücher gelesen hätte, wäre die Geschichte für mich sicher doppelt so lustig gewesen, aber ganz ehrlich, es hat mich nicht sonderlich gestört, dass ich sie nicht kenne. Du schreibst so bildlich, dass man auch mit spärlichen Informationen über HP direkt in das Geschehen reinfindet - und bis zum Schluss nicht mehr aufhören kann.
So ging es mir jedenfalls. Und das hier ist die erste HP Geschichte, die ich tatsächlich zu Ende gelesen habe. Der Hype fand damals zu meiner Freischaltzeit hier statt und das war wohl der Grund, weshalb ich das Fandom mied.

Aber zurück zur Geschichte. Soweit ich weiß, ist das hier die Generation vor Harry und Co, richtig? Du hast sie tatsächlich für mich zum Leben erweckt. Dialoge, Handeln, alles passt zusammen. Es ist Weihnachtlich, aber nicht kitschig. Wenn ich mir vorstelle, dass das hier eigentlich nur der Auftakt zum Weihnachtswahnsinn ist, der zuhause weitergeht, bin ich auf die Fortsetzung gespannt.
Und die Bücher lese ich denn jetzt auch endlich mal. Die Geschichte hat mich neugierig gemacht.
Antwort von: Arcturus
18.12.2015 14:05
Hey,

danke für deinen Kommentar.

Und ja, Narcissa ist in der Eltern-Generation. Viel erfährt man daher über ihre Schulzeit und Jugend nicht - ein Freibrief für jeden engagierten FF-Schreiber. :3

lG
NIX
Von: _Delacroix_
2015-12-04T12:50:51+00:00 04.12.2015 13:50
Rufus!^^
Ich mag das Trio, aber das weißt du ja auch ohne das ich es erwähne. 
Wie dem auch sei, ich freu mich auf den nächsten Teil.
Antwort von: Arcturus
18.12.2015 14:01
Ich weiß, dass du das Trio magst. Wir sind ja auch beide Schuld dran. |D
Von: abgemeldet
2015-12-04T11:40:18+00:00 04.12.2015 12:40
Wenn ich nicht gerade so beschäftigt wäre über diese Feuerwerksaktion zu lachen, würden mir Rufus und Cissy ja Leid tun!
*räusper*
Ich fand den Angang schon sehr interessant vom Aufbau her. Dieser Wechsel zwischen Cissys Monolog und Rufus' Gedanken hat wirklich was für sich. Allgemein gefällt mir der EInblick in seine Gedanken, die so viel über ihn und seine Beziehung zur Familie und seinen Freunden verraten.
Ich bin auf jeden Fall unheimlich neugierig, wie diese Geschichte weitergehen wird, die Charaktere sind mir unheimlich sympathisch, so wie du sie darstellst =D Kann's kaum erwarten!
Antwort von: Arcturus
18.12.2015 14:03
Ach, Rufus und Cissy sind Kummer gewöhnt. xD

Vielen Dank jedenfalls für deinen Kommentar. Freut mich zu hören, dass die Szene am Anfang so gut rüber kommt. :)

lG
NIX
Von:  Shizana
2015-12-03T17:42:49+00:00 03.12.2015 18:42
Ich kann zu HP zwar, nach wie vor, nichts sagen, aber die FF habe ich dennoch gern gelesen. Es ist etwas schwer, ein geeignetes Bild vor Augen zu haben, wenn man die Charaktere nicht kennt. Dennoch waren die einzelnen Szenen so gut beschrieben, dass selbst ich schmunzeln musste. Ich liebe Düfte, aber aufdringliche Parfums sind echt ätzend … Davon rieche ich auf Arbeit so viele an nur einem Tag.

Irgendwie kann ich mit dem Thema immer noch nichts anfangen. Es wird schon seine Richtigkeit haben. :)
Antwort von: Arcturus
03.12.2015 22:14
Hey,

danke für deinen Kommentar. Stimmt, Aussehensbeschreibungen sind jetzt vielleicht n bisschen arg mau. Ich fürchte, ich bin kein sonderlich visueller Mensch. ^^;
Von: abgemeldet
2015-12-02T19:32:12+00:00 02.12.2015 20:32
Ich muss ja sagen, dass ich auf dieses Türchen besonders neugierig war - die Themenvorgabe empfand ich ja als ein wenig eigenwillig, um es vorsichtig auszudrücken xD
Ein sehr schöner Auftakt auf jeden Fall! Ich finde die Kombination Cissy, Frank und Rufus ja sehr spannend, darauf wäre ich auch noch nicht gekommen. Allgemein finde ich deine Beschreibungen toll - sei das ihre Abneigung gegen Lucius, die richtig greifbar wirkt oder die Art und Weise wie die Freunde mit einander umgehen. Das sind einfach schöne Szenen, die man gerne liest.
Bin daher schon sehr neugierig wie es weiter geht und was sich Narzissa überlegt hat, um dem Familientreffen zu entkommen!
Antwort von: Arcturus
02.12.2015 21:47
Hey,

danke für den Kommentar. :D
Ein böser Schelm plant bereits die Vereitelung, fürchte ich.
Von: Calafinwe
2015-12-02T17:08:40+00:00 02.12.2015 18:08
*hereinrollt*
Bin eben von der Uni gekommen und hab gleich mal geschaut, was sich hinter dem heutigen Fandom-Türchen versteckt :) Und siehe da, es ist HP. Hab das Kapitel gleich mal gelesen und bin gespannt, wie es weitergeht.
 
Bei der Beschreibung von Lucius' Parfum am Anfang mit dem ledrig hatte ich ja die Assoziation von einem alten Lederstiefel, der seit Jahren in der Sonne liegt. Gibt es solche Parfums wirklich? ^-^
 
 
Aber Narcissa ist voll süß beschrieben, wie sie sich hinter ihren Freunden versteckt. Bin wirklich schon auf die Fortsetzung gespannt :D
 
 
LG
Calafinwe
Antwort von: Arcturus
02.12.2015 21:46
Hey,

danke für deinen Kommentar. :)

Die Duftnote ledrig gibt es übrigens tatsächlich - zumindest hat das meine Reise in die Untiefen von Douglas ergeben. Vergammelte Lederstiefel sind aber nicht gemeint ... wobei. :D


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