Unsterbliche Seelen von Moon-Cat ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Sie schauten sich für einen langen Moment in die Augen, ehe sie diese wieder schlossen. „Kannst du dich noch an unsere erste Begegnung erinnern, Ren?‟, fragte Saskia ihn mit einem sanften Lächeln. Auch auf seinen Lippen zeichnet sich ein Lächeln ab. „Natürlich. Wie könnte ich diesen Tag je vergessen?‟ Mit einem Seufzen legt sie einen Arm um seine Schultern. „Meinst du, wir sollten noch einmal dort hin fahren? Du weißt schon, bevor unser letzter Zug abfährt.‟ Ren konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen und hatte ein verschmitztes Leuchten in den Augen. Mit einem breiten Grinsen antwortet er ihr: „Du meinst wohl, bevor mein letzter Zug abfährt! Haha. Gerne. Warum machen wir uns nicht gleich auf den Weg? Ich sage Annabell Bescheid, damit sie mir beim Packen hilft.‟ „Geht klar, lass dir nicht zu viel Zeit, Opa‟, rief sie ihm lachend hinterher, während er sich mit seinem Rollstuhl in Richtung Küche fortbewegte, wo seine Pflegerin ihm gerade das Essen kochte. Bereits einen Tag später, standen Saskia und Ren auf dem Steg ihrer ersten Begegnung. Sie hatte sich in die Hocke neben seinem Rollstuhl gesetzt und ließ einen Stein über das Wasser hüpfen. Der Blick der beiden war in die Vergangenheit gerichtet, die so lange zurück zu liegen schien, dass es eine Ewigkeit hätte sein können. Kapitel 1: Die erste Begegnung ------------------------------ Die erste Begegnung Versteckt vor aller Welt und nur offen zu jenen, deren Blick noch nicht von Technik und Moderne verklärt war, lag ein kleiner, kristallklarer See. Nur selten fanden sich hier Menschen ein, doch jene, die diesen Ort kannten, hatten sogar einen Steg gebaut, um auf Schlauchbooten auf dem See zu fahren, vielleicht auch um ein bisschen zu fischen. Zu dieser Zeit – es war ein kühler Frühlingstag – war jedoch niemand zu sehen. Nur ein 16-jähriges Mädchen war am Steg und ließ ihre Füße ins Wasser hängen. Sie saß schon eine ganze Weile dort und blickte ins Wasser, als würden sich dort alle Antworten der Welt verstecken. Ab und zu schloss sie die Augen für einige Minuten, um die Ruhe, die diesem Ort innen wohnte, zu genießen. Sie kam nicht oft dazu, ihre eigenen Gedanken zu hören. Ihre Eltern und ihre kleine Schwestern warteten bestimmt schon auf sie – vielleicht kümmerte es sie auch nicht, wo sie gerade war. Ihr war es jedenfalls reichlich egal, ob sie sich Sorgen machten. Eigentlich kam sie aus einer Großstadt, in der es kaum genügend Raum für ihre ganze Familie gab – Zuhause warteten noch mal zwei ältere Brüder auf ihre Rückkehr aus dem Kurzurlaub, den sie sich gönnen wollten. Wenn die 16-Jährige gewusst hätte, dass sie nur mitgehen sollte, damit ihre Eltern einen Babysitter für ihre kleine Schwester Tina hatten, wäre sie Zuhause geblieben. Ständig waren sie allein im Hotelzimmer oder gingen mal ein bisschen spazieren. Doch wenn sie ein paar Minuten unterwegs waren, beschwerte sich ihre Schwester immer: „Saskia, wann gehen wir endlich wieder zurück? Mir tun die Füße weh! Ich will fernsehen! Warum können wir nicht im Hotel bleiben und etwas spielen?‟ So war es auch heute gewesen, als sie durch den Wald gelaufen waren und beide plötzlich auf diesen See gestoßen waren. Saskia war sofort wie gebannt von der schönen Szenerie hier, doch Tina war das wieder zu blöd. Also stritten sie sich und die Jüngste lief davon. Sofort bereute die 16-Jährige ihre Entscheidung und rannte ihr hinterher. Doch sie konnte sie nirgends finden und schließlich kamen ihre Eltern vom Mittagessen zurück. Saskia fiel ein Stein vom Herzen, als sie ihre kleine Schwester am Rockzipfel ihrer Mutter hängen sah. Das lenkte sie allerdings von ihrem Vater ab, der keinen Gedanken an die Art seiner Bestrafung verschwendet hatte. Wutentbrannt hatte er sie geschlagen und angeschrien. Laut schluchzend flehte sie um Gnade und als er kurz von ihr abließ, stand sie hastig auf. Stolpernd rannte sie weg vom Hotel und ihren Eltern, nur um wieder am See heraus zu kommen. Unabsichtlich war sie wieder zu dem Platz gerannt, den sie bisher am schönsten fand. Also hatte sie sich hingesetzt und ihre nackten Füße ins Wasser gestreckt. Nach einer Weile zog sie ein Bein an und legte ihren Kopf auf ihr Knie ab. Während sie so da saß, wurde ihr erst bewusst, wie sehr ihr Körper ihr weh tat. Ihr Vater war zwar schon mal handgreiflich geworden, allerdings war es noch nie so ausgeartet – sie wollte nie wieder zurück. Aber wo sollte sie sonst hin? Ihr blieb nichts anderes übrig, als wieder zurück ins Hotel zu gehen, wo sie womöglich wieder Ärger bekam, da sie weggelaufen war. Was sollte sie bloß tun? Weinend schloss sie die Augen und wünschte sich nichts sehnlicher, als mutiger zu sein. Dann würde sie vielleicht keine Angst mehr vor ihrem Vater haben, sondern stattdessen zur Polizei oder zum Jugendamt gehen und ihnen sagen, dass er sie schlug. Aber vielleicht... Sie öffnete ihre Augen und schaute in den Himmel. Die Sonne ging gerade unter und tauchte den Himmel in wunderschöne Farben. Rosa, Lila, Orange und Rot, auch ein Hauch von Gelb und Blau waren noch zu sehen. Vielleicht konnte sie auch einfach hierbleiben? Sie lauschte in den Wald, wo nur die Blätter im lauen Wind raschelten, hörte das plätschernde Wasser, als sie mit ihrem Fuß vor und zurück schwang. Laut seufzte sie auf, ehe sie wieder in den Himmel blickte. Sie konnte nicht hier bleiben. Entweder würde sie erfrieren oder es gab doch wilde Tiere, die sie auffressen würde. Und wie sollte sie an Essen kommen? Sie hatte bisher nur in einem Gebiet gejagt: dem Supermarkt – da gab es aber auch alles bereits abgepackt und kochfertig. Wehmütig versuchte sie sich auch die letzte Einzelheit des Sees einzuprägen, ehe sie sich wieder von hier aufmachen müsste. Ihre Augen glitten über die Wasseroberfläche und weiteten sich plötzlich. Schwamm da nicht gerade etwas Großes auf sie zu? Hastig versuchte sie aufzustehen, doch ihr taten sämtliche Knochen noch weh und außerdem waren ihre Beine eingeschlafen. Durch die Dämmerung konnte sie nicht genau erkennen, was dieses etwas unter der Wasseroberfläche war, aber es war riesig. Und plötzlich schoss es aus dem Wasser heraus und packte sie am Knöchel. Sie schrie lauthals auf, während sie mit ihren Füßen strampelte. „Schon gut!‟, rief jemand zwischen rein und versuchte, ihre Beine festzuhalten. „Keine Panik, ich fress' dich doch nicht!‟ Mit Tränen in den Augen stoppte Saskia und blickte auf ihre Füße. Mit einem ungläubigen Blick sah sie auf einen Jungen, der mit seinem Oberkörper an ihren Beinen hing, während sein Unterkörper noch immer unter der Wasseroberfläche war. Vorsichtig befreite sie sich von seinem Griff und kroch rückwärts den Steg entlang. Mit wachsamen Augen beobachteten sie einander, während er sich aus dem Wasser hievte und auf das Holz setzte, das nun pitschnass war. Ein schiefes Lächeln zierte nun sein Gesicht und er streckte ihr seine Hand hin. „Hallo, mein Name ist Ren. Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe, aber ich hätte nicht gedacht, dass hier noch jemand ist‟, sagte er freundlich. Sie versuchte ebenfalls zu lächeln, scheiterte aber kläglich. Als sie merkte, dass sie kein Lächeln hin bekam, stellte sie sich einfach vor: „Hi. Mein Name ist Saskia.‟ Sie rückte noch etwas von ihm ab, während sie ihn musterte. „Ich hätte nur nicht gedacht, dass um diese Zeit noch jemand im See schwimmen würde‟, gab sie kleinlaut wieder, während sie beobachtete, wie der Junge aufstand und versuchte, seine Hose etwas auszuwringen. „Nein, nein. Es ist meine Schuld‟, sagte er abwehrend und schüttelte kurzerhand seinen Kopf, um seine Haare etwas vom Wasser zu befreien. „Ich hätte ja nicht hier rüber tauchen müssen.‟ Sie grinste ein Wenig, als sie ihn so ansah. Er war gut gebaut, sah hübsch aus – und seine Haare sahen jetzt aus, als hätte er sich einen struppigen, kleinen Hund auf den Kopf gesetzt. „Warum schwimmst du überhaupt zu dieser Jahreszeit in dem kalten Wasser?‟, fragte sie ihn. „Mir war danach‟, antwortete er, nachdem er einige Sekunden darüber nachgedacht hatte. Perplex sah sie ihn an. „Dir war danach?‟ Ein breites Lächeln zierte sein Gesicht. „Ja, klar. Es ist zwar extrem kalt, aber es hat etwas... wiederbelebendes, befreiendes.‟ Lachend schüttelte sie ihren Kopf. Als sie ihn wieder ansah, konnte sie sehen, dass er auf den See hinaus blickte. „Was machst du hier?‟, wollte er schließlich von ihr wissen. Sie schaute zur Seite und zog ihre Knie wieder an. Sollte sie ihm die Wahrheit erzählen? Was würde er sagen, wenn sie ihm von ihren Vater erzählte? Allerdings war sie auch nicht mehr lange hier, vielleicht noch ein paar Tage und die dürfte sie bestimmt nicht mehr draußen verbringen... Und was konnte es ihr schon schaden? Sie brauchte jemanden, dem sie es erzählen konnte... Seufzend drehte sie sich wieder ihm zu und antwortete flüsternd: „Ich bin von Zuhause ausgerissen. Nun ja, eigentlich sind wir hier nur auf Urlaub... Aber ich bin trotzdem weggelaufen.‟ Sie konnte den verwirrten Ausdruck in seinen Augen sehen und fing an, mehr zu erzählen: „Meine Eltern, meine kleine Schwester und ich sind hierher gekommen, um einfach mal Urlaub zu machen. Allerdings bin ich nur dabei, um den Babysitter für meine Schwester zu spielen. Natürlich hört sie nicht, ich bin ja nicht ihre Mutter und leiden konnte sie mich nie. Und dann ist sie mir heute morgen auch noch weggelaufen. Sie waren stinksauer auf mich. Mein Vater hat mich auf seine übliche Art bestraft... und dann bin ich weggelaufen.‟ Automatisch wanderten Saskias Hände zu ihrem Bauch, der auch in Mitleidenschaft gezogen war. Sie wollte nicht wieder dort hin, wo man sie nur noch mehr schlagen würde. Ihr Vater war so schrecklich geworden... Warum ließ er seine Wut nur an ihr aus? Es war so ungerecht. Erstaunt blickte Ren sie an. Er wusste sofort, dass es keine einfache Strafe gewesen war: Er konnte bereits blaue Flecken erkennen, die sich auf ihren Armen und Beinen zeigten. Außerdem hatte sie so ausgesehen, als würde sie sich jeden Moment in den See stürzen wollen – nur deswegen ist er zu ihr geschwommen: aus Neugier, was sie vorhatte. Er hatte Mitleid mit ihr. Es kümmerte ihn nicht, wie lange es ihr schon so ging, aber kein Kind hatte es verdient, geschlagen zu werden. „Wie wär's, wenn du mit mir kommen würdest?‟, fragte er mit einer ruhigen Stimme. „Meine Eltern hätten bestimmt nichts dagegen, wenn du etwas Zeit bei uns verbringst. Und wenn dein Vater sowieso schon stinksauer auf dich ist, wird er dich hier wegen bestimmt nicht umbringen.‟ Mit großen Augen starrte sie ihn an. „Meinst du das ernst?‟ Er nickte, während er aufstand und ihr die Hand reichte, um ihr auf zu helfen. Nur zu gerne nahm sie seine Hand und ließ sich von ihm führen. Er hatte keine weiteren Klamotten mehr dabei und auch kein Handtuch, was aber einen ganz einfachen Grund hatte: Das Haus, in dem er wohnte, lag nur wenige Meter entfernt versteckt zwischen den Bäumen. Begeistert ging sie darauf zu und spitzte durch ein Fenster neben der Haustür hinein. Lachend beobachtete er sie, wobei er seine Haustürschlüssel heraus kramte. Seine Eltern waren derzeit in der Stadt, um einige Besorgungen zu erledigen und würden daher noch einige Zeit weg sein. Als sie hinein gingen, staunte Saskia noch immer über den simplen und doch sinnvollen Aufbau des Hauses. Ren gab ihr gerade ein Glas mit Wasser und bat sie, sich hinzusetzen. Es dauerte nicht lange, da waren beide so in ihrem Gespräch vertieft, dass sie ganz die Zeit vergasen. Als seine Eltern nach Hause kamen, schreckte Saskia auf und rannte zur Tür. „Es tut mir leid, Ren, aber ich muss los. Du weißt ja, in welchem Hotel ich bin. Komm morgen vorbei, wenn meine Eltern weg sind!‟, sagte sie beim Rausgehen und lächelte ihn an. Sie grüßte noch schnell seine Mutter und seinen Vater, ehe sie die Tür hinter sich zu zog und den Weg zurück zu ihrem Hotel ging. Soviel Spaß hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Sie hatte sich so unbekümmert gefühlt, so frei. Sie hoffte wirklich, dass sie ihn ein weiteres Mal sehen würde, vielleicht auch eine richtige Freundschaft daraus entwickeln könnte. Es dauerte nicht allzu lang, da war sie bereits vor der Zimmertür im Hotel. Noch einmal atmete sie tief durch, ehe sie die Tür öffnete. Ihr Vater hatte bereits auf sie gewartet. Der nächste Tag kam schneller, als Ren es erwartet hatte. Er hatte sich gestern noch mit seinen Eltern über seinen Tag unterhalten. Und nun war er bereits auf den Weg zum Hotel. Er hoffte, sie könnten heute wieder mehr Zeit miteinander verbringen. Er hüpfte wie ein glückliches Kind den Weg entlang und pfiff eine fröhliche Melodie vor sich her. Endlich, nach fast fünf Jahren, hatte er wieder einen Freund gefunden! Wer hätte gedacht, dass das noch mal möglich wäre? Doch seine Stimmung sank augenblicklich, als er die Polizeiautos vor dem Hotel stehen sah. Ein Krankenwagen raste mit Blaulicht und Martinshorn an Ren vorbei auf den Eingang des Hotels zu. Die Sanitäter liefen hinein, ohne auf die Menschen zu achten, die ihnen entgegen kamen. Doch der Junge beobachtete alles genau: Ein großer, wütend aussehender Mann wurde gerade von zwei Polizisten heraus geführt und in ein Auto verfrachtet. Eine hysterische Frau stand neben dran und schrie wütend etwas von einem Missverständnis. Ihr Mann wäre unschuldig, ihre „dumme Tochter‟ hätte sich das alles selbst zuzuschreiben. Das kleine Mädchen, das zwischen ihren Beinen stand, sah vollkommen verschüchtert aus. Ren wurde schlecht bei den Worten. Er kniff seine Augen zusammen und biss die Zähne auf einander. Er wusste es, er konnte es tief in sich spüren. Warum nur? Er öffnete wieder seine Augen und rannte auf das Hotel zu und hinter die Absperrung. Sofort wurde er von einem Polizisten aufgehalten. „Zivilisten sollten hinter der Absperrung bleiben‟, sagte er mit einer strengen Stimme und schob den Jungen wieder zurück. Er sah den Mann vor sich genau an. „Meine Freundin wohnt in diesem Hotel! Ich muss zu ihr!‟, meinte Ren nur, während er wieder versuchte, am Polizisten vorbei zu kommen. Doch dieser bewegte sich kein Stück und hielt den 16-Jährigen fest. „Hör zu, Junge‟, brauste der Beamte schließlich nach einigen Minuten auf. „In diesem Hotel ist wahrscheinlich ein Verbrechen passiert und ich kann dir nicht erlauben, hinein zu gehen, ehe wir nicht mit den Ermittlungen fertig sind. Außerdem sind alle Bewohner des Hotels dort drüben!‟ Mit diesen Worten zeigte er auf eine kleinere Gruppe Menschen, von denen einige mit Polizisten sprachen. „Wenn du also deine Freundin suchst, dann musst du da rüber!‟ „Ich weiß, dass sie nicht da drüben ist, also lassen sie mich vorbei!‟, rief der Junge jetzt verzweifelt und versuchte die Tränen zu verdrängen, die sich in seine Augen schlichen. Sofort verstand der Polizist und drehte seinen Kopf zur Seite, um nach hinten sehen zu können. Gerade in diesem Moment schoben sie die Trage mit dem jungen Mädchen in den Krankenwagen. Er konnte nicht verstehen, wie ihr Vater so etwas tun konnte und warum vorher nie jemand etwas gesagt hatte. Warum hatte sich das Mädchen niemanden anvertraut? Vor ihm hörte er plötzlich ein Schluchzen, weswegen er sich wieder dem Jungen zuwendete. Hastig wischte dieser sich die Tränen aus den Augen und biss die Zähne zusammen. „Wird sie... Wird sie überleben?‟, fragte er schluchzend. Mitfühlend legte der Ältere ihm eine Hand auf die Schulter. Beide blickten dem Krankenwagen hinterher, während er sagte: „Ich weiß es nicht, Kleiner. Das kann ich dir echt nicht sagen.‟ Im Krankenhaus war an diesem Tag eher weniger los. Die meisten Operationen waren erledigt und die Untersuchungen waren eher langweilig, da kaum Patienten da waren. Doch als Saskia herein gefahren wurde, waren alle sofort hell wach und auf den Beinen. Sofort stürmten die nächsten Ärzte heran und ließen sich vom Sanitäter alle Informationen geben. Schließlich machten sie alle notwendigen Untersuchungen, um noch mehr über ihren Zustand zu erfahren. Die Diagnose war ernüchternd: Frakturen, Knochenbrüche, Schädelhirntraum, innere Blutungen, Versagen der Organe... Jede Hilfe kam zu spät... Der Polizist, mit dem Ren sich unterhalten hatte, brachte ihn zur Polizeistation und fragte ihn, was er alles über Saskia wusste und woher er sie kannte. Der Junge war gerne zur Kooperation bereit. Er hoffte, dass es dabei half, Saskias Vater schneller in den Knast zu bringen. Sie hatten nicht viel Zeit miteinander verbracht und vermutlich kannten sie sich nicht wirklich gut, aber er wusste trotzdem, dass es eine tolle Freundschaft geworden wäre. Er hoffte nur so unendlich, dass sie überleben würde; dass sie sich durchbeißen würde und sie zusammen etwas unternehmen könnten. Aber tief in ihm wusste er, dass er sie nie wieder sehen würde. Als er alles gesagt hatte, trat Ren hinaus an die frische Luft und lief los. Es kümmerte ihn nicht, wohin er ging, er wollte einfach nur weg. Er fühlte sich schuldig. Er hätte verhindern können, dass ihr etwas zustieß. Hätte er sie nur nicht aufgehalten und zu ihm nach Hause eingeladen oder sie gebeten bei ihm zu bleiben! Aber nein... Er hatte sie einfach nach Hause gehen lassen und hatte nichts unternommen. Er fühlte sich so dumm. Wieso hatte er nur nichts getan? Irgendwann stoppte er, ließ sich zu Boden fallen und weinte. Es kümmerte ihn nicht, wo er war und wer ihn sehen würde. Er konnte seinen Schmerz und seine Trauer nicht zurück halten. Es war ihm egal, was aus ihm wurde. „Schatz, was ist los?‟, hörte er plötzlich jemanden neben sich fragen. Mit einem besorgten Blick saß seine Mutter neben ihn und streichelte seinen Rücken. Ren konnte seinen Vater direkt neben ihr erkennen. Schniefend versuchte er ihnen zu erklären, was vorgefallen war. Aber er brachte nicht viel heraus. Was sollte es auch bringen? Er war sich sicher, dass Saskia nie wieder mit ihm an den See konnte. Nichts auf dieser Welt konnte sie retten, so dachte er. Nach einer ganzen Weile, stand er schließlich mit seinen Eltern auf und ließ sich nach Hause bringen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er in sein Zimmer. Erschöpft warf er sich auf sein Bett und schloss seine Augen. Er wünschte sich nichts mehr, als die Zeit zurück drehen zu können und Saskia aufzuhalten. Sie hatte so eine Familie nicht verdient... so ein Leben... Er wusste, er würde von ihr Träumen. Immerhin hatte er sie gesehen, wie sie sie weggebracht hatten. Doch jetzt, hier in seinem Geiste, war sie gesund und munter. Lächelnd schaute sie ihn an und hielt ihm eine Hand hin. „Wollen wir einen Spaziergang machen?‟, fragte sie ihn. Nickend hielt er sie fest. Mit langsamen Schritten liefen sie umher. Es war dunkel, doch es fühlte sich nicht schrecklich oder besorgniserregend an. Er fühlte eine gewisse Ruhe in sich. „Du darfst dich nicht schuldig dafür fühlen‟, sagte sie schließlich und grinste ihn an. „Es war meine eigene Schuld. Ich hab meinen Vater die Meinung gesagt und ihn angeschrien. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich bei dir geblieben wäre, zumindest für die eine Nacht. Aber ich hatte Angst, dass er mich dann suchen und bei euch finden würde. Wer weiß, was er dann angestellt hätte?‟ Ren schüttelte mit dem Kopf und blickte zur Seite. „Ich hätte dich aufhalten sollen.‟ „Ich hätte nicht auf dich gehört‟, meinte sie nur schulterzuckend. Mit geschlossenen Augen summte sie ein Lied vor sich her, ehe sie stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. „Du wirst sehen, er wird seine gerechte Strafe bekommen. Es gibt nichts, was die Polizei zu jemand anderen führt. Ein anderer Gast hatte die Polizei wegen des Lärms und der Schreie alarmiert. Ich hatte sogar noch gesehen, wie sie die Tür aufstießen und rein kamen. Auch dich hatte ich noch gesehen, als du bei dem Polizisten standest. Aber ich hatte einfach keine Kraft mehr, Ren. Mein Leben war nie schön... na ja, bis du aufgetaucht bist. Tut mir leid, dass ich dich so verlassen musste. Wir sehen uns bestimmt wieder.‟ Sie gab ihm einen kleinen Kuss und trat wieder ein paar Schritte zurück. „Bis bald.‟ Epilog: -------- Seit jenem Tag waren sie zusammen gewesen. Er wusste, nur er konnte sie sehen. Ihren Geist, der ihn immer begleitete. Egal wo er war, wohin er ging, sie war bei ihm. Eine Zeit lang glaube er, es wäre nur eine Illusion von ihm, weil er sie so sehr vermisste und sich schuldig fühlte. Doch jede Nacht tauchte sie in seinen Träumen auf, redete mit ihm. Das Einzige, das ihn all die Jahre lang schmerzte, war, dass er älter wurde und sie nicht. Sie fand es witzig und machte Scherze. Und sie blieb immer bei ihm. Jetzt, da sie wieder vor dem kleinen See standen, er im Rollstuhl und sie neben ihm – jung wie eh und je – konnte er die Tränen nicht zurückhalten. Seine Betreuerin gab ihm ein Taschentuch, sagte jedoch nichts. Er hatte ihr während der Reise von der Bedeutung dieses Ortes erzählt. Rens Augen schlossen sich langsam und ein Lächeln kam auf seine Lippen. „Warte auf mich, Saskia. Ich bin gleich bei dir‟, flüsterte er. Noch einmal nahm er einen tiefen Atemzug und lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück. Ja, hier konnte er in Frieden sterben. Hier würde seine Seele Ruhe finden. Breit grinsend begrüßte Saskia ihn auf der anderen Seite. „Willkommen im Reich der unbegrenzten Möglichkeiten‟, sagte sie kichernd und nahm seine Hand. Erstaunt stellte er fest, dass sie nicht mehr alt oder runzlig war. Mit großen Augen strahlte er sie an und ließ sich von ihr führen. Ja, hier konnten sie wieder zusammen sein – bis in alle Ewigkeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)