Kurze Freundschaft von Valenfield ================================================================================ Kapitel 1: Spekulatius ---------------------- „Was ist Weihnachten?“ Mit einem ernsten, aber höflichen Lächeln blickte der blonde Junge seiner Freundin in die Augen, welche sich aufgrund der Frage ein bisschen weiteten, als habe sie sich verhört. „Du weißt nicht, was...“ Sofort hielt sie inne und schüttelte den Kopf, als wolle sie sich selbst belehren. Er hätte ja schließlich nicht gefragt, wenn er es wüsste, oder? Kurz legte sie nachdenklich den Kopf schief, bevor sich ein Lächeln auf ihren Lippen bildete und sie kurz nickte. Warum sollte sie es erklären, wenn sie es viel einfacher zeigen konnte? Schließlich war es nicht mehr lang bis zum ersten Weihnachtsfest, das sie hier zu viert verbrachten. Sie erinnerte sich zwar nicht, wann sie hierhergekommen war, denn damals war sie noch ein kleines Kind gewesen, sie wusste aber noch, wie ihr erstes Weihnachtsfest verlaufen war, welches sie damals zu dritt gefeiert hatten. Der Gedanke ließ sie kurz schmunzeln und die Augen schließen. Es war schon so lange her, und vieles hatte sich verändert, doch mit jedem Jahr war es schöner geworden, und sie glaubte, dass sich das dieses mal nicht ändern würde. „Aqua? Alles in Ordnung?“ Aus ihren Gedanken gerissen blickte sie auf und nickte beschwichtigend. Sie wusste, dass viele dieser Dinge für Ventus noch nicht einfach waren und er nicht damit umgehen konnte, auch wenn er sich große Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen. „Komm mit.“ Sie stand auf und reichte ihm die Hand, um ihm aus dem gemütlichen Gras heraufzuhelfen. Es war ein Wunder, dass die Sonne schien, und sie hatten den Tag genießen wollen, solange er anhielt. Terra war sicher irgendwo in der Nähe mit seinem Training beschäftigt, schließlich tat er selten etwas anderes. Sie gingen zurück ins Schloss und zielstrebig in die geräumige Küche. Für gewöhnlich hielt Aqua sich hier primär alleine auf, denn es machte ihr unheimlich Spaß, andere zu umsorgen und für sie zu kochen oder backen. Nachdenklich legte sie den Kopf schief und überlegte, in welchem Schrank das war, was sie brauchte. Schlussendlich lugte sie einfach hinter alle Türen, bis sie fündig wurde: Eine große Kiste mit Backutensilien, die sie jedoch nur einmal im Jahr brauchte. Darin befanden sich Ausstechförmchen, ein Nudelholz, gemusterte Backbleche und ein dickes Backbuch. Auch wenn Aqua diejenige war, die sich mit der Küche und auch Kochen am ehesten anfreunden konnte, wusste sie, dass sie Ventus zumindest zum Backen überreden konnte – auch wenn es meist in einer Sauerei endete, wenn sie es nicht allein machte. „Oh, cool! Ich will das hier machen! ...Was ist das?“ Mit leuchtenden Augen zeigte der Junge auf die gemusterte Backform, welche Aqua schon lange nicht mehr benutzt hatte. Das lag nicht daran, dass sie ihr nicht gefiel, sondern dass keiner außer ihr das zu mögen schien, was sie damit machte. Dabei war die Geschichte dahinter wirklich toll. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen beantwortete sie zwar nicht die Frage, blätterte aber im Buch nach dem richtigen Rezept und wies Ventus an, mehrere Dinge zusammenzusuchen, während sie das Gleiche tat. Wie bereits erwartet artete das Backen in ein optisches Desaster aus. Auf der Arbeitsplatte lag eine feine Mehlschicht, die entstanden war, als Ventus die Packung hatte fallen lassen. Überall lagen Ausstechformen und Teigreste. Aber Aqua war mehr als zufrieden und ignorierte all diese Dinge, als sie mit einem Schmunzeln die funkelnden Augen ihres jungen Freundes sah, als dieser gebannt in den Ofen starrte. Auch wenn sich sein Zustand im Laufe der Monate drastisch gebessert hatte, war er teilweise immer noch sehr labil, und sie war einfach glücklich, wenn sie ihn glücklich sehen durfte. Still begann sie, die Utensilien zusammenzusammeln und abzuwaschen. Je früher sie es machte, desto weniger schwierig würde es sein, die Reste von allem abzubekommen, und den Abend wollte sie ohnehin nicht mit so etwas Lästigem verbringen. Hin und wieder warf sie einen Blick zu Ventus, der zwar immer noch lächelnd in den Ofen sah, aber aus irgendeinem Grund mit den Gedanken ganz woanders zu sein schien. Als sei ihm etwas Bedrückendes eingefallen. „Alles in Ordnung?“, fragte sie in deshalb vorsichtig, ging vor ihm in die Hocke und legte eine Hand auf seine Schulter. Offenbar aus seinen Gedanken gerissen zuckte Ventus zusammen und nickte dann, sagte aber nichts dazu. Sie beschloss, es für den Moment dabei zu belassen und half ihm auf die Beine, damit sie die Kekse aus dem Ofen nehmen konnte. Sie rochen nach Gewürzen, ein toller Geruch, den sie lange nicht mehr in der Nase gehabt hatte. Um jedoch fair zu sein, waren auch ein paar ungewürzte Plätzchen dabei, denn sie wusste, dass Terra über die Gemusterten nur wieder das Gesicht verziehen würde. „Lass uns das hier reinräumen und rüberbringen, okay?“ Gemeinsam luden sie die noch warmen Plätzchen in Schüsseln, um sie in den Speisesaal zu tragen. Bald würde es auch Zeit sein, das Abendessen vorzubereiten, aber noch hatten sie ein wenig Zeit, ein bisschen über Weihnachten zu reden. Aqua wusste, dass Ventus wissbegierig war und weiterfragen würde, wenn er keine Antworten bekam. Also setzten sie sich zusammen an den großen Tisch und probierten die würzigen, gemusterten Plätzchen, die immer noch warm waren und großartig schmeckten, während Aqua erklärte, was Weihnachten war, es als Fest der Liebe und Freundschaft titulierte, aber auch, dass es irgendwo in einer weit entfernten Welt jemanden namens 'Weihnachtsmann' geben sollte, der einem Geschenke brachte, wenn man das Jahr über artig gewesen war. Nun schien Ventus angestrengt zu überlegen, ob er sich wirklich gut genug benommen hatte, um ein Geschenk zu verdienen. Er biss auf einem der Plätzchen herum und hob nachdenklich eine Augenbraue. Zwar verstand er viele der Dinge, die um ihn herum passierten, noch nicht ganz, und auch dieses Weihnachtsfest war ihm nicht ganz geheuer, aber es hatte mit leckerem Essen zu tun, also war er vorerst zufrieden, als Aqua ihn mit seinen Gedanken allein ließ. Um Punkt 18 Uhr – er hatte sich kein Stück weit wegbewegt – trafen sie sich wieder im Speisesaal, dieses Mal jedoch zu viert. Terra klopfte Ventus motivierend auf die Schulter, als er eintrat – etwas, was er so gut wie immer tat, wenn sie aufeinandertrafen. Und tatsächlich empfand der Blonde diese Geste als sehr warm und familiär. „Ich weiß jetzt, was Weihnachten ist!“, verkündete er stolz mit einem breiten Grinsen Richtung Aqua, die kichernd nickte, woraufhin alle in ihr Lachen einstimmten. Es gab keinen besonderen Grund, zu lachen, aber es gab auch keinen, es nicht zu tun. Das glaubten sie zumindest. Etwa eine Stunde später jedoch, als Ventus nach dem Essen nur noch stumm den Gesprächen seiner Freunde und des Meisters zuhörte, die sich über ihr Training unterhielten, an dem er bisher nur spärlich teilnehmen durfte, kroch ein ungutes Gefühl in ihm hoch. Im ersten Moment hätte er es als Einsamkeit beschrieben, aber das ergab keinen Sinn, schließlich waren sie alle zusammen hier und hatten eine gute Zeit miteinander. Dennoch entschuldigte er sich frühzeitig ins Bett, nicht jedoch, ohne zwei Hände voll Plätzchen mitzunehmen. Sie schmeckten wirklich gut und ihm gefielen die Motive, die sie darstellten, auch wenn er sich absolut keinen Reim auf sie machen konnte. Als er in seinem Zimmer ankam, verstärkte sich irgendwie das eigenartige Gefühl, das ihn bereits im Speisesaal heimgesucht hatte. Es war ihm weitestgehend unbekannt, allerdings hatte er auch Probleme, sich Dinge allzu lang zu merken. Ein weiterer Grund, warum er von allen hier in Watte gepackt wurde. Seufzend ließ er sich auf sein Bett sinken und legte die krümeligen Kekse auf seinen Nachttisch, auf dem sich abgesehen davon ohnehin nur eine Lampe befand, die er nun anknipste. Draußen wurde es schon ziemlich dunkel, und er mochte es lieber hell. Irgendetwas an der Dunkelheit gab ihm ein ungutes Gefühl. Als habe er etwas Wichtiges vergessen. Erschrocken zuckte er zusammen, als er einen dunklen Schatten unter der Tür hindurchkriechen sah, der auf ihn zukam. Unmöglich...das musste er sich einbilden, oder?! Erst, als er vollständig im Zimmer war, ragte der Schatten plötzlich aus dem Boden hervor und entpuppte sich als kleines, tierähnliches...Wesen. Es sah nicht aus, als würde es angreifen, weswegen Ventus verwirrt den Kopf schieflegte. So etwas hatte er noch nie gesehen. Hatte das irgendwas mit diesem Weihnachtsfest zu tun? Dann kam ihm ein Gedanke. „Oh! Willst du auch einen?“ Er hielt einen der Weihnachtskekse in Richtung des Wesens, welches wohl verwirrt den Kopf immer wieder auf beide Seiten legte, als wisse es nichts mit dieser Geste anzufangen. Schließlich kam es aber doch zu ihm herüber und biss ihm beim Entgegennehmen der Nascherei beinahe in die Hand. „Ich hab zwar keine Ahnung, was du bist, aber das dich das angelockt hat, verstehe ich. Die sind echt gut, diese...“ Er hielt inne, als ihm einfiel, dass er gar nicht wusste, wie man diese Kekse wirklich nannte. Nachdenklich legte er den Kopf schief und beobachtete, wie das Wesen auf dem Gebäck herumkaute, bevor ihn wie aus dem Nichts eine Stimme aus den Gedanken riss. „Spekulatius. Du Idiot.“ Für einen kurzen Moment glaubte er, die Stimme zu kennen, aber das konnte nicht sein, oder? Zum einen gehörte sie weder Meister Eraqus noch Terra oder Aqua, zum anderen kannte er niemanden, der so mit ihm reden würde. Er blickte zur Tür herüber, die sich just in diesem Moment schloss, sehen konnte er jedoch niemanden. Den Bruchteil einer Sekunde später spürte er eine ungewöhnliche Kälte links von sich, sah zur Seite und erblickte Dunkelheit, die sich auflöste und eine Person zurückließ. Eine Person, die ihm nicht behagte, weswegen er vom Bett aufstand und sich so weit wie möglich ans andere Ende des Zimmers bewegte. „Wer bist du?“, verlangte er zu wissen, wusste aber, dass er nicht sonderlich bedrohlich klingen konnte. Er war dazu im Stande, sein Schlüsselschwert zu nutzen, ja, aber alleine die Ausstrahlung dieses Jungen war Beweis genug, dass Ventus keine Chance haben würde. Statt zu antworten, zischte der Maskierte nur und setzte sich auf den Bettrand. Das kleine Wesen ging zu ihm herüber, als würde er es befehligen – was er, wie Ventus im nächsten Moment dachte, wohl auch tat – und überließ ihm das Plätzchen. Für einen Moment schien der Junge zu überlegen, ob es ihm das Gebäck wert war, sein Gesicht zu enthüllen, entschied sich aber dann dagegen. „Was willst du von mir?“, bohrte Ventus erneut nach und wusste nicht, was er tun sollte. Er könnte nach Terra oder Aqua rufen oder weglaufen, aber irgendwie wollte er sich diese Blöße auch nicht geben, solange er nicht ernsthaft in Gefahr schwebte. „Oh, eine ganze Menge. Aber das muss noch warten. Bis dahin genießt du besser deine scheinheilige Sorglosigkeit, Ventus.“ Und damit löste er sich wieder in Dunkelheit auf. Zurück blieb nur, das kleine, dunkle Wesen, das sich einen weiteren Keks gestohlen hatte und ohne die Anwesenheit seines Meisters irgendwie glücklicher zu sein schien, als habe es Angst vor ihm. Unsicher setzte Ventus sich wieder aufs Bett. Sollte er sich Sorgen machen? Vielleicht spielte ihm seine Fantasie auch nur wieder einen Streich? Er hatte oft Träume, die er sich nicht erklären konnte, und die weitaus realistischer waren, als sie eigentlich sein sollten. Schlussendlich legte er sich ins Bett, in der stummen Hoffnung, dass es alles seinen wirren Gedanken entsprang. Morgen würde er sicherlich allein wachwerden, ohne irgendwelche Monster oder fremde Menschen. Und doch verstand er nicht, was dieser Fremde von ihm gewollt hatte. Ihn als einen Idioten zu bezeichnen, weil er einen Namen nicht wusste, erschien ihm eigenartig. Fast, als hätte dieser Junge gewusst, dass es etwas war, woran Ventus sich eigentlich erinnern sollte.   Der nächste Morgen brachte jedoch eine kleine Überraschung. Ventus war unwahrscheinlich schnell eingeschlafen und fühlte sich topfit, als ein neuer Tag mit der lauten Glocke des Schlosses begann. Das bedeutete Frühstück und Training, auch wenn es in seinem Falle bei theoretischem Training bleiben würde. Als er sich auf den Weg machte, das Zimmer zu verlassen, dachte er noch einmal darüber nach, Terra und Aqua von dem Zwischenfall des Vorabends zu erzählen, und blickte zurück zu seinem Nachttisch. Die Plätzchen, die dort gelegen hatten, waren allesamt verschwunden, was ihn für einen Moment wunderte, bevor er ein gutmütiges Lächeln aufsetzte. Er glaubte nicht einen Moment, dass dieser Fremde irgendetwas Gutes zu bedeuten hatte. Dass er Ventus kannte und einfach so hierherkommen würde, war sicherlich ein schlechtes Zeichen, aber er hatte ihn nicht verletzt und war nun ohnehin verschwunden. In ein paar Monaten würde er ihre Begegnung wahrscheinlich sogar vergessen haben, denn sein Gedächtnis wies immer noch viele Lücken auf und er vergaß vieles. Stumm nickte er sich selbst zu, als er das Zimmer verließ. Das Fest der Liebe und Freundschaft, hatte Aqua gesagt. Vorerst würde er es einfach dabei belassen, wie es war. Denn Ventus war – und daran glaubte er fest – niemand, der irgendjemandem, der verzweifelt einen Freund suchte, diese Freundschaft verwehren würde. Auch wenn eben jene Freundschaft nur aus einem gemusterten Plätzchen bestand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)