The Rain People von _Amsterdam_ ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Ein Kampf gegen Sapphire hatte für Ruby immer auch den Charakter eines Rituals. Eines festen Rituals für einen jungen Mann, der ansonsten fast ohne Bindungen lebte, der bei der erstbesten Gelegenheit auf Reisen ging. Immer, wenn sie kämpften, erinnerte sich Ruby an die Monate, die dazwischen vergingen. Und wie diese Monate immer nur auf diese Kämpfe hinausliefen. Diese ganze Staffete "Fangen, Trainieren, Reisen" war eigentlich nur für diese Kämpfe mit Sapphire. Sie waren für Ruby der Höhepunkt. Sapphire hatte ihr neues Schwalboss in den Kampf geschickt, einen prächtigen Raubvogel, mit blauem und weißem Gefieder. Im Brustkorb schlug, stolz angeschwellt, ein kraftvolles Herz. Ruby beeindruckte, wie das so leichte, so windhörige Schwalboss sich schnell bewegen konnte. Dagegen beeindruckte Rubys Geradaks weniger. Ein weißer Dachs mit grauen Streifen, seine blauen Augen besahen den fliegenden Gegner mit Ehrfurcht. Ruby schärfte seinem Pokémon einen zuversichtlichen Blick ein. Doch auch er selbst fühlte sich nicht unbedingt zuversichtlich. Sapphire war eine kämpferische Trainerin und ihm ebenbürtig - mindestens. "Ruckzuckhieb!", forderte Sapphire. Ehe Geradaks sich versah, wurde es getroffen. Schwalboss glitt durch die Luft, wie Wellen durchs Wasser, wonach es nach unten beschleunigte. Der Dachs zuckte überwältigt zusammen, als Schwalboss ihn rammte und durch die feuchte Erde schliff. Auch Ruby erstaunte die Geschwindigkeit, doch er befahl sofort einen Konter, um die Nähe zu nutzen: "Kopfnuss!" Geradaks nutzte die Kraft seiner Hinterpfoten für einen Rush vorwärts, wobei es seinen Schädel Schwalboss in die Brust drückte. Bald war das Kräftemessen vorüber, und Geradaks versetzte dem Raubvogel einen Stoß, viel schwerer, als der Ruckzuckhieb. So schien es zumindest. Denn das getroffene Schwalboss verflüchtigte sich in rote und blaue Farbe, wie ein Tagtraum im Regen. Doppelteam! Wo sich Schwalboss eigentlich befand, war auf einmal nicht mehr auszumachen. Geradaks umkreisten viele Flugbahnen in roter und blauer Farbe, aber kein klarer Körper mehr. Schwalboss bewegte sich so schnell, dass kein Auge mehr mitkam. Geradaks sah kein Ziel. Ruby regte es auf, dass Sapphire glaubte, dieses Manöver würde Schwalboss einen Vorteil geben. "Das hatten wir schon, das ist Doppelteam!", dozierte Ruby Geradaks, "Schnüffler, dann Kopfnuss!" Wie befohlen, nutzte der Dachs seinen Geruchssinn, um Schwalboss zu orten. Die Nase des Pokémon schwoll an, witterte Federn. Geradaks schloss seine Augen. Jetzt wusste der Dachs, welche Flugbahn Schwalboss tatsächlich durchschnitt. Doch das half ihm noch immer wenig. Zwar steuerte Geradaks die richtige Richtung, um mit Kopfnuss anzugreifen. Doch Schwalboss, selbst als es entdeckt wurde, blieb der schnellere Kämpfer. Der Raubvogel war darauf vorbereitet, verfolgt zu werden. Er drehte einen Salto in der Luft und war nun derjenige, der Geradaks verfolgte. Geradaks liefen sehr schnell, nicht viel langsamer, als Schwalboss flogen. Doch ihre Schwäche war das Abbiegen. Dafür brauchte Geradaks viel zu lange, sodass Sapphire einen Angriff befehlen konnte: "Aero-Ass!", rief die junge Frau. Schwalboss beschleunigte rasant, mit einem schrillen Jagdschrei. Nur noch eine rot-blaue Silhouette schnitt durch die Landschaft. Zwei scharfe Krallen zogen tiefe Furchen im Lehm und erfassten auch Geradaks. Rubys Pokémon rollte ins Gras, am Rücken verletzt. Ruby durchfuhr es eiskalt, wie es ihn jedes Mal durchfuhr, wenn seine Pokémon litten. Doch auch Sapphire fand keine Zeit zum Triumphieren. Im Gegenteil, ihre Augen weiteten sich, als auch ihr Schwalboss zu Boden stürzte. An den Krallen des Vogels, die zuvor Geradaks verletzten, hing eine Eisenkugel. Ein nutzloses, schweres Item, von dem Sapphire nicht wusste, woher es plötzlich kam. Die massive Kugel kettete die Füße ihres Pokémon ein; ein Schwalboss, das nicht fliegen konnte. "Kannst Du mir erklären, was abgeht, Ruby?" Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Doch es lag auch Neugier in ihrem Blick. Wie kam eine Eisenkugel an die Füße ihres Schwalboss? "Offerte", erklärte der junge Mann, "Eine Attacke, bei der man sein eigenes getragenes Item dem Gegner aufzwingt." "Und woher kommt dann überhaupt diese Eisenkugel?" Sapphire schaute noch immer ungläubig, als hätte Ruby etwas getan, was er nicht durfte. "Die Erklärung hebe ich mir für später auf", sagte Ruby, "Ich glaube nicht, dass Du sie jetzt akzeptieren würdest." Seine Stimme war voller Erleichterung. Diese Kombination aus Offerte und Mitnahme, der scheinbar nutzlosen Fähigkeit von Geradaks. Sie hatte tatsächlich gewirkt und den Kampf entschieden. "Risikotackle!", befahl Ruby. Geradaks, verletzt und aufgebracht, stürmte aus dem hohen Gras. Diesmal hatte der Dachs alle Zeit der Welt für seinen Anlauf, denn ein festgekettetes Schwalboss war kein Schwalboss mehr. Mochten die Lüfte das Revier seines Gegners sein, so waren Geradaks gewissermaßen die Vögel des hohen Grases. Ihr Körper war darauf angelegt, vorwärts zu preschen. Das tat Geradaks auch, ohne jegliche Rücksicht auf die Umgebung. Als Geradaks auf Schwalboss prallte, entwurzelte der Winddruck selbst das Gras. Trotz der Eisenkugel schleuderte es den Raubvogel hoch in die Luft. Doch selbst in der Luft dort breitete Schwalboss seine Flügel nicht mehr aus. Schwalboss fiel zu Boden, auf den Rücken, plump, wie ein Stein. Eine der stärksten Normal-Attacken, Risikotackle, hatte einen Volltreffer gelandet. Auch Geradaks konnte nicht länger einen Kampf bestreiten. Der Rückstoß seiner eigenen Attacke beendete, was Schwalboss Ruckzuckhieb und Aero-Ass angefangen hatten. Geradaks blieb liegen. Ein erschöpftes Pokémon, das einem ungleichen Kampf noch Genugtuung abrang. Ruby erinnerte sich, wie sie ihre ersten Pokémon selbst fingen. damals, mit erst zwölf Jahren. Er ein Zigzachs, weil es niedliche Kulleraugen hatte. Und sie ein Schwalbini, weil es immer auf andere herabsah. Seitdem waren fünf Jahre vergangen, und diese Wesen waren immer treu bei ihnen geblieben. Nun lagen sie nebeneinander im Gras. Es dauerte, der Regen fiel, und es dauerte, ehe die Trainer ihren Pokémon dankten, sie mit Laserpointern in ihre Bälle befahlen. Das Adrenalin tränkte die Adern der jungen Menschen, es berauschte sie, wie stark sie mittlerweile geworden waren, wie lebendig ihre Kämpfe, die früher noch ein lustiges, unästhetisches Gerangel zeigten. "Das habe ich vermisst", gestand Sapphire, mit einem Lächeln. Ruby ersparte ihr den Kommentar, den sie forderte. Dass er auch sie vermisst habe, nicht nur dieses "das", nicht nur ihre Kämpfe. Das war ihm zu selbstverständlich, als dass er es äußern würde. Sapphire und er tauschten nie Selbstverständlichkeiten aus; sie hatten sie von Anfang an irgendwie schon alle gekannt. Es roch nach tropischen Pflanzen im Dschungel, fiel Ruby jetzt erst auf. Er war tagelang unter diesem Regen, über dieser lehmigen Erde. Es roch nach Leben, das diese Komponenten gaben. Ein aufregender Geruch, an dem man sich nur erfreuen konnte. Rubys Voltenso und Sapphires Kapilz sahen einander in die Augen, nicht unbedingt freundlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)