Süßer Zauber von Storyteller_Inc ================================================================================ One Shot -------- Kakao, Vanille, Honig, Sahne, Milchpulver, Margarine. Sie hatte alles beisammen. „Und los! Diesmal schaffe ich es!“ Motiviert schob Musashi die weißen Ärmel zurück und machte sich an die Schüsseln. Dieses Jahr würde ihre Schokolade perfekt werden!   Derweil streunte Kojiro durch die Straßen von Miare City. In dem bunten Treiben der vielen Einkaufstraßen von Kalos‘ Hauptstadt hoffte er ein wenig Zerstreuung zu finden. Die letzten Tage waren nervenaufreibend gewesen, für ihn zumindest. Dagegen musste etwas getan werden! Es kam gerade recht, dass die Knirpse sich vor wenigen Tagen entschlossen hatten, in der Hauptstadt einzukehren. Für das Rocket-Gespann bedeutete das: Endlich ein paar Tage untertauchen, ohne Sorge haben zu müssen, Pikachu aus den Augen zu verlieren. Doch in Wahrheit war Kojiro einfach nur froh über diese kurze Pause. Endlich Ruhe und ein wenig Entspannung. Musashi und Nyasu sahen das sicherlich genauso. Hoffte er zumindest. Es war lebhaft um ihn herum. Wohin er auch ging, überall tummelten sich Menschen mit oder ohne ihre Pokémon. Wo immer er entlangkam, war die Stimmung ausgelassen und ließ sein zufriedenes Lächeln andauern. Süße Gerüche lagen in der Luft, Läden standen in warmen Farben. Libiskus-Motive auf den Werbeschildern, bunte Florges-Vielfalt auf den Plakaten der Blumengeschäfte. An jeder Ecke war es Thema: Heute war Valentinstag. Vor einem der vielen Süßwarengeschäfte blieb Kojiro stehen. Sein Blick ruhte auf den hübsch und herzlich verzierten Pralinenschachteln, die im Schaufenster ausgelegt waren. In der Tasche seiner Hose tastete er nach den Münzen, die er bei sich führte. Sie würden für diese Gaumenstücke nicht reichen. Schwer seufzte er und drehte sich ab. Es musste doch zu machen sein, etwas Erschwingliches zu finden. Mehr wollte er doch gar nicht. Wie weit musste er seine Ansprüche noch herunterschrauben? Alles war so viel einfacher gewesen, bevor er zu Team Rocket gekommen war. Damals war er an Valentinstag einfach losgezogen und hatte sich die Delikatschokolade gekauft, die er haben wollte. Diese Tradition endete abrupt, als er lernen musste, mit wenig Mitteln über die Runden zu kommen. Dabei war es eine dieser wenigen Dinge, denen er sich nicht lossagen wollte. Schokolade an Valentinstag. Wenn schon kein Mädchen sie ihm schenken wollte, dann doch wenigstens … Wieder seufzte er und ließ dabei die Schultern nach vorn fallen. Dieser Gedanke war erbärmlich. Ein junger, gutaussehender Kerl wie er kaufte sich zu Valentinstag eigens Schokolade. Wie tief konnte Mann eigentlich sinken? Musashi würde es vermutlich von Herzen amüsieren. „Wenn sie mir wenigstens welche schenken würde …“ Aber darauf würde er vergebens warten. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er diese Hoffnung tatsächlich gehegt. Und was hatte es ihm gebracht? Enttäuschung und Spott. Nein, dieser Schmach wollte er sich kein weiteres Mal aussetzen. Schlurfenden Schrittes trottete er von dannen. Seine Gedanken waren trüb. Valentinstag könnte so ein schöner Tag sein, wenn er nur – „Hey, Sie da! Junger Mann!“ Kojiro fühlte sich nicht wirklich angesprochen, hob jedoch den Kopf. Im selben Moment, als er nach der Stimme suchte, tippte ihm jemand von hinten gegen die Schulter. Er drehte den Kopf und erschrak, als er in das fuchsige Gesicht eines hochgewachsenen Pokémon sah. „Ja, genau Sie! Nur keine Scheu, das Pokémon beißt nicht“, ermutigte ihn die Stimme, die nicht von dem Pokémon stammte. Jenes legte die schmalen Pfoten an seinen Rücken und schob ihn sanft, aber bestimmt voran. „Kommen Sie näher, kommen Sie nur! Wie heißen Sie, junger Freund?“ „Kojiro.“ Vor einem kleinen Warenstand kam er zum Stehen. Das Pokémon ließ von ihm ab und trat an die Seite des Mannes, der großzügig hinter dem niedrigen Klapptisch gestikulierte. Die beiden gaben ein seltsames Gespann ab, das befand Kojiro sofort. „Kojiro, hu? Du siehst aus, als bekümmert dich etwas, Kojiro. Was könnte das sein an diesem tollen Tag des Liebens und Geliebtwerdens?“ Bedeutend stützte sich der Mann auf den Tisch und beugte den Oberkörper nach vorn in Kojiros Richtung. „Was kann es sein, hu? Lass mal sehen … Bist du noch auf der Suche nach einem Geschenk für deine Liebste, möglicherweise?“ „Ich habe keine –“ „Oho, ein Single also? Très mignon! Dann vielleicht ein Geschenk für die Angebetete?“ Misstrauisch verzog Kojiro die Augenbrauen und beäugte den seltsamen Mann. Neben seinem Fennexis bot er einen komischen Anblick. Das rote Haar stand ihm bauschig von den Seiten ab und erinnerte an das Fell, welches dem Fuchs-Pokémon voluminös aus den spitzen Ohren wuchs. Weit und flammig. Er trug ein Gewand vom selben Schnitt wie die Gestalt seines Pokémon: oben schmal, nach unten weiter werdend. Das Rockende spreizte sich zu den Seiten ab. Er war von violetter Farbe, ebenso wie die langen, weiten Ärmel. Der Mann trug eine Weste von umgedrehtem V-Schnitt in grauem Ton, worunter eine breite, weiße Krawatte herauslugte. Wäre dieser Farbunterschied nicht gewesen, Kojiro hätte schwören können, er wollte sein Pokémon imitieren. „Wer sind Sie bitte?“ „Ich? Oh!“ Der Mann richtete sich zu voller Größe auf und schob sich die nachtblaue Sonnenbrille weiter auf die Nase. Posierend legte er sich die linke Hand auf die Brust und streckte die rechte empor. In ihr hielt er einen armlangen Holzstock, den er weit gen Himmel reckte. Fennexis imitierte diese Haltung seines Meisters. „Mein Name ist Abraham de Mages. Künstler und Zauberer, mein Freund. Ich habe eine Mission, der ich folge. Aber das ist streng geheim!“ „Ein Zauberer? Wirklich?“ Kojiros Augen begannen zu leuchten. Aufgeregt tat er einen Schritt vor. „Ich finde Zauberei toll! Führen Sie doch etwas vor, oh bitte!“ „Auf öffentlicher Straße ist mir das leider nicht gestattet, bedauere zutiefst“, erklärte der Mann mit einer Leidensmiene. Er streckte die Arme aus und zeigte ein weites Grinsen. „Aber du hast Glück, mein Freund. Großes Glück! Denn die gewaltige Kunst des großen Abraham liegt direkt vor dir!“ „Wie meinen?“ „Sieh her“, forderte er und deutete mit dem Stock auf die ausgelegte Ware, die auf dem roten Plastiktisch aufgestapelt lag. „Du bist auf der Suche nach etwas, nicht wahr? Nach etwas, das zu Herzen geht? Ich weiß genau, wonach du suchst, mein Freund. Ich kann es in deinen Gedanken lesen.“ „Sie können Gedanken lesen?“ Kojiro schluckte überrascht. „Ganz recht!“ Der Mann tippte auf eine der blauvioletten Schachteln, worauf sie sich schwebend in die Lüfte erhob. „Kojiro, du suchst nach etwas. Jeder sucht nach etwas, sein ganzes Leben lang. Aber es gibt nur eine Sache, wofür sich das Streben lohnt, weißt du?“ „Ach ja?“ „Oh ja! Es ist …“ Der Mann machte eine bedeutungsvolle Pause, in der er den Stock auf Kojiro richtete. Die kleine Schachtel schwebte darauf in seine Richtung und er hob die Hände, um sie aufzufangen. „Liebe, mein Freund!“ Staunend betrachtete er das Gut in seiner Hand. Das Motiv eines blauen Psiaugon zierte auf der schmalen Tafel. Er wendete sie vorsichtig und bemerkte, dass sein weißes Gegenstück die Rückseite schmückte. Choc de Mages stand auf beiden Seiten in romantisch geschwungener Schrift gedruckt. „Was ist das?“, wollte Kojiro wissen und sah auf. Er hatte einen Verdacht, hoffte jedoch, sich zu irren. „Was wohl, guter Freund? Der Schlüssel zum Glück! Die Antwort auf dein Suchen! Die Süße der Erfüllung!“ „Was soll ich damit?“ „Kojiro, hör mir jetzt gut zu.“ Der Mann winkte ihn zu sich heran und beugte sich vor. Durch die dunklen Gläser seiner Showbrille fixierte er ihn. „Es gibt jemanden in deinem Leben, nicht wahr? Wie ist es, an einem Tag wie diesem allein durch die Straßen zu ziehen? Wie ist es, immer nur zu warten und auf ein Wunder zu hoffen? Nein, sag es nicht! Ich weiß es bereits.“ Kojiro schluckte. Unbehagen breitete sich in ihm aus. Konnte dieser Mann wirklich Gedanken lesen? „Der Tag der Veränderung ist gekommen. Kein Warten mehr. Du hältst das Wunder in deinen Händen, junger Freund. Nur ein Stück genügt, hörst du? Nur ein einziges Stück.“ „W-was dann?“ „Ich bin ein Zauberer“, betonte der Mann und richtete sich auf. „Ich öffne Augen. Ich öffne Herzen. Meine Wunder sind der Schlüssel zum Glück. Erlebe es selbst, wenn der süße Moment Wirklichkeit wird und deine Geliebte das Flüstern deines Herzens erwidert.“  „Also … eigentlich wollte ich nur …“ Kojiro spürte, wie die Hitze in seine Wangen schlich. Das Bild einer einzigen Frau schlich vor seine Augen. Unwillkürlich, ohne dass er es verhindern konnte. Schnell schüttelte er den Kopf, den Gedanken vertreibend. „Ich wollte nur –“ Fennexis stieß einen kehligen Laut aus. Bevor Kojiro wusste, was los war, wurden die übrigen Tafeln in einem Sack verstaut und der Stand eilig abgebaut. „Gehab‘ dich wohl, Freund, und viel Erfolg!“, rief der Mann ihm zu, schon waren er und das Fuchs-Pokémon in einer Gasse verschwunden. Nur kurz darauf sah er ein Resladero an sich vorbeifliegen und eine Officer Rocky, die ihm eiligen Schrittes und mit einem lauten „Abraham de Mages, stehen bleiben! Sie sind verhaftet!“ folgte.  Verdattert blickte Kojiro der Polizistin nach, bis sie um eine Ecke verschwunden war. Seine Augen richteten sich auf die kleine Tafel in seinen Händen, wo sie kaum Gewicht übte. ‚Und was mache ich nun damit?‘   Etwas später war er in das kleine Mietapartment zurückgekehrt. In Gedanken verloren streifte er sich die Stiefel von den Füßen und machte sich blind auf den Weg zum Schlafzimmer. Das Fenster stand offen und er schloss es. Anschließend ging er hinüber zu eines der beiden Betten und ließ sich schwerfällig darauf sinken. Er zögerte einen Moment, dann griff er erneut in die Innentasche seiner Uniform und holte die kleine Schokoladentafel hervor. Er hatte überlegt, sie wegzuwerfen. Möglicherweise war diese Schokolade verzaubert und dazu in der Lage, großes Chaos zu stiften. Er hatte sich nicht ausmalen wollen, was geschehen könnte. Auf der anderen Seite hatte er sie gratis bekommen, wenn auch sicher nicht beabsichtigt. Ein solches Geschenk warf man nicht weg. Außerdem war nicht bewiesen, dass auf dieser Tafel wirklich irgendein Hokuspokus lag. So etwas wie einen Liebeszauber gab es nicht, richtig? Und wenn, dann würde man ihn nicht so auf der Straße finden. Außerdem war diese Schokolade nur für ihn bestimmt. Er hatte nicht vor, sie irgendwem sonst zu überlassen. Und wenn sie doch einen Zauber auf sich hatte, so musste er nur – „Du bist wieder zurück, nya?“ Kojiro schrak aus seinen Gedanken hoch. Auf leisen Sohlen war der Kater in den Raum geschlichen, ohne dass er es bemerkt hatte. Im Rahmen der Tür stand er, die großen Augen auf ihn gerichtet, und musterte den Agenten eingehend. „Nya? Was hast du da?“ „N-nichts!“ „Zeig mal!“ Eilig versteckte Kojiro die Hände hinter dem Rücken. So gut er konnte, setzte er eine Unschuldsmiene auf. Doch dem Kater konnte er nichts vormachen. „Was soll das? Wieso versteckst du was-auch-immer vor mir, nya?“, stocherte Nyasu. Sein Blick war vorwurfsvoll. „T-tu ich doch gar nicht.“ „Red doch nicht, nya!“ Kojiro rollte nach hinten weg, als Nyasu in einem Satz auf ihn zugesprungen war. Schnell wand er sich, um von ihm wegzukommen, doch der Kater war gewitzt. Unter ständigem „Zeig her!“ und „Was versteckst du?“ blieb er ihm auf den Fersen und haschte immer wieder gefährlich nach der Tafel, die Kojiro eisern umklammert hielt. Er hatte Mühe, den Kater auf Distanz zu halten und streckte die Arme in die Höhe. Ihr Unterschied in der Körpergröße gereichte ihm zum Vorteil, um die Schokolade vor den schnellen Pfoten zu sichern. „Nyasu, lass das!“ „Lass du doch, nya!“ „Wir machen zu viel Lärm! Wenn Musashi –“ „Hinter dir, nya!“ Hektisch drehte Kojiro den Kopf in Richtung Tür. Just in dem Moment machte der Kater einen Sprung und bekam die Tafel zu fassen. Kaum zurück auf den Pfoten, tackelte er den Freund und brachte ihn taumelnd zu Fall. Mit flinken Sätzen brachte sich Nyasu auf dem Bett in Sicherheit und triumphierte von dort mit seiner Errungenschaft in den Pfoten. „Ah, sieh an, nya. So ist das also?“ „Nyasu!“, schnappte Kojiro entsetzt. „Gib das sofort zurück!“ „Dafür gibst du unser hart verdientes Geld aus? Musashi wird das bestimmt nicht freuen, nya.“ „Bitte … Die gehört mir!“ „Tch, jetzt nicht mehr, nya.“ Interessiert wendete er die Tafel in seinen Pfoten und inspizierte sie genau. Dabei schien ihm ein Gedanke zu kommen, der ihn breit über die Schnauze grinsen ließ. „Musashi wird bestimmt wütend werden, wenn sie das sieht, nya.“ „N-nicht!“, stieß Kojiro aus und stemmte sich hoch. Er warf sich nach vorn, direkt auf den Kater zu, doch dieser war schneller. „Sehe ich so blöd aus, nya?“, spottete er und sprang über ihn hinweg. Belustigt kicherte er in die Pfoten. „Als ob ich das tun würde, nya. Ich behalte sie einfach selbst, nya.“ „Was? Nein!“ „Bye-bye!“, winkte Nyasu über die Schulter zurück. Er kam gerade zwei Schritte weit, bis er gegen ein Hindernis lief. Der plötzliche Zusammenstoß ließ ihn zurückprallen und rücklings zu Boden gehen. „Was macht ihr zwei denn für einen Lärm?“ „Musashi!“ Kojiro zog hörbar die Luft ein. Besagte Frau stand im Rahmen der Tür, sah zwischen den Freunden hin und her und prüfte jeden von ihnen eingehend. Etwas spät bemerkte sie den angeschlagenen Zustand des Katers, der sich stöhnend den Kopf rieb. Und den rechteckigen Gegenstand, der in seiner Nähe auf dem Boden lag. „Was ist das?“ „Nicht!“, versuchte Kojiro sie zurückzuhalten, doch zu spät. Sie hatte die kleine Tafel aufgehoben, inspizierte sie kurz, ehe sie in seine Richtung sah. „Gehört das dir?“ „J-ja“, stammelte er leise und senkte den Kopf. Von unten schielte er zu ihr hinauf, abwartend, wie sie reagieren würde. „Und was ist das?“ „Das ist Schokolade, nya“, meldete sich Nyasu zu Wort. Mühsam kämpfte er sich auf die Pfoten, klopfte sich das Fell ab, ehe er zu Musashi hochsah. „Kojiro hatte sie. Ich wollte sie dir gerade zeigen, nya.“ Kojiro durchbohrte seinen Rücken mit bösen Blicken. Dieser kleine Lügner! „Ach so?“, kommentierte sie. Postwendend richtete sie ihr Augenmerk auf ihren Partner. „Hast du die gekauft, Kojiro?“ „Nein.“ „Also hast du sie geschenkt bekommen?“ „Nicht … direkt.“ „Was denn jetzt? Raus damit!“, forderte sie. Ihr schnippischer Ton ließ Kojiro irritiert blinzeln. „Also … ich habe sie nicht gekauft, aber auch nicht gestohlen. Ich … das ist etwas schwierig zu erklären“, versuchte er zu schildern. „Also doch!“ „Könnte ich …“ „Etwa von einem Mädchen?“ „… sie wiederhaben?“ Kurz hielt er inne. Was hatte sie da gerade gesagt? „Also stimmt es.“ Musashi indes bebte. Ihre Stimme war fest und ihr Ausdruck verbittert. Kojiro wusste nicht, was los war. „Ein Mädchen hat sie dir geschenkt. Und damit wolltest du zurückhalten? Was ist mit dem Team?“, warf sie ihm vor. „Was? Das ist doch gar nicht –“ „Das ist echt das Allerletzte!“ Damit drehte sie sich herum und ging. In dem Moment wurde Kojiro bewusst, dass hier etwas gewaltig schieflief. Eilig richtete er sich auf die Beine. „Musashi, warte! Du verstehst das völlig –“ „Ach ja?“, hielt sie an und drehte sich um. Ihr Blick traf finster auf ihren Partner. „Und was daran, bitte, ist falsch zu verstehen? Hast du eine bessere Erklärung parat?“ „Ich …“, zögerte er mit der Wahrheit herauszurücken. „Du wirst es mir sicher nicht glauben, aber ein Zauberer hat sie mir gegeben.“ „Ein Zauberer?“ „Ja.“ „Ja klar.“ Sie rümpfte die Nase. Das kühle Lächeln auf ihren roten Lippen verriet, dass sie ihm kein Wort abkaufte. „Sicher, ein Zauberer hat sie dir gegeben. Und bestimmt ist sie verzaubert und macht, dass sich jedes Mädchen in dich verliebt, hm?“ „Ähm … ich weiß nicht.“ „So?“ Rotierend hob sie die Tafel in Luft und musterte sie für einen Moment. Dann grinste sie. „Also hat er dir nichts gesagt, hm? Sicher, Kojiro, ich glaube dir. Jedes Wort, wirklich.“ „Musashi, du solltest nicht …“, versuchte er sie zu bereden, als er ihr Vorhaben bemerkte. Die Art, wie sie die Schokoladentafel in ihrer Hand hielt und mit den Fingern daran herumnestelte, ließ nichts Gutes vermuten. „Gib sie mir einfach zurück, ja? Ich kann dir alles erklären.“ „Oh, das hast du“, meinte sie und wies ihn damit zurück. Ihre Finger hatten das blauviolette Papier gelöst und ein Stück braun glänzende Süßigkeit darunter freigelegt. Unter Bedacht trat Kojiro einen Schritt nach vorn. „Ich mein’s ernst, Musashi“, betonte er ruhig. „Gib mir die Schokolade zurück.“ „Hol sie dir doch“, forderte sie. Das ließ sich Kojiro nicht zweimal sagen. Flink trat er auf sie zu und fasste nach ihrem Arm. Sich wehrend begann Musashi unter Drehen und Winden, aus seinem Griff zu befreien. Er war gering stärker als sie, dafür war sie die Hartnäckigere von beiden. In ihrem kleinen Gefecht gelang es Musashi, ein Stück der Schokolade abzubrechen und sich an die Lippen zu führen. Bevor Kojiro realisierte, was sie vorhatte, hatte sie sich den Bissen schon in den Mund geschoben und kaute genussvoll darauf herum. „Mist!“ In einem leisen Fluchen ließ er von ihr ab und drehte sie herum, sodass sie genau vor ihm stand. Sein Kopf arbeitete auf Hochtouren. Der rationale Teil in ihm beteuerte, dass es so etwas wie einen Liebeszauber nicht gab; der idealistische hingegen wollte diese Möglichkeit nicht ausschließen. Was sollte er tun, wenn das Unwirkliche eintreten sollte? „Musashi?“, sprach er sie zögerlich an und beobachte genau, welche Veränderungen er an ihr bemerkte. Sie hatte aufgehört zu kauen, was gut oder schlecht sein konnte. Dafür war sie mit einem Mal ganz ruhig geworden und hatte aufgehört, gegen ihn aufzubegehren. „Musashi?“, versuchte er es erneut und darauf, ganz langsam, hob sie den Kopf. Ihr Gesicht hatte sich nicht verändert, es war lediglich frei jeglichen Vorwurfs. Aus ihren großen, saphirblauen Augen sah sie ihn an und Kojiro wartete, dass sie etwas sagte. Ihr Arm hob sich langsam und Kojiro zuckte automatisch zusammen. Er war in Erwartung, einen Schlag auf den Kopf oder in den Bauch zu ernten, stattdessen spürte er, wie sich etwas sanft an sein Gesicht legte. „Kojiro“, hörte er sie wispern. Erst da realisierte er, dass er die Augen geschlossen hatte. Als er sie öffnete, bestätigte sich, was er nicht hatte glauben wollen. Ihre Hand lag an seinem Gesicht. Sie fühlte sich warm und zart auf seiner Haut an. Ihre Augen sahen ihn an mit einem Ausdruck, den er nie zuvor an ihr gesehen hatte. War es Güte? Nein, das traf es nicht. Es war etwas anderes, das dämmerte ihm. Hingabe wäre das Erste, was ihm dazu in den Kopf kam. Aber nein, das passte nicht zu Musashi. … Oder etwa doch? „Hey“, sprach er sie an und erschrak, wie heiser seine Stimme war. Kurz räusperte er sich, um den gewohnten Klang in sie zurückzubringen. „Alles okay? Fühlst du … dich irgendwie verändert?“ „Anders? Hm …“ Sie legte den Kopf zur Seite und schien nachzudenken. Dann schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen und sie legte zärtlich die Arme um seinen Nacken. „Ja, ich fühle mich anders. Ich habe etwas sehr Wichtiges erkannt.“ Ihre Nähe bereitete ihm Unbehagen. Nervös schluckte er. „A-ach ja? Und … was?“ Sie lächelte süffisant. „Na, dass ich etwas sehr Wichtiges vor mir habe. Hier, direkt vor meinen Augen.“ „Wie bitte?“, japste er überfordert. Auch aus dem Hintergrund war das entsetzte „Was?!“ des Katers zu hören. Auf den Zehenspitzen brachte sie ihr Gesicht näher an seines heran, bis ihr Atem gegen seine Lippen schlug. Er schmeckte süß. „Ich liebe dich.“ „Mo-mo-moment mal!“, brachte Nyasu polternd hervor und rieb sich die Ohren. „Stopp mal, Auszeit! Was hast du mit ihr gemacht, nya? Was hast du mit Musashi gemacht?!“ „Ich … ich habe gar nichts –“ Er brach ab, als ihm eine mögliche Erklärung in den Sinn kam. Es traf ihn wie ein Donnerblitz. „Die Schokolade …“ „Sie war verzaubert?“, holte Nyasu zu ihm auf. Sein Maul stand weit offen, dann schüttelte er schnell und heftig den Kopf. „Nein, unmöglich, nya! Du hast sie verhext? Wieso hast du das getan, nya?“ „Ich wollte das doch gar nicht!“, versuchte sich Kojiro zu verteidigen. Hilflos sah er an Musashi vorbei und suchte den Blick des Katers. „Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt sie zurückgeben! Die Schokolade war für mich gedacht. Sie sollte sie doch gar nicht essen!“ „Du wolltest, dass Musashi sich in dich verliebt?“ „Nein!“ „Dann wolltest du, dass du dich in sie verliebst?“ „Nein, verdammt!“ „Kojiro, das ist nicht fair, nya! Es ist arglistig, sie durch einen Zauber dazu zu bringen, sich in dich zu verlieben. Nur weil sie dich nicht anders an sich heranlässt, nya.“ „So ist das doch gar nicht!“, rief er aus. Er war der Verzweiflung nahe. „So etwas würde ich niemals tun! Bestimmt wäre es ab und an schön, wenn sie mich auch mal als Mann ernst nehmen würde, aber ich würde doch niemals –“ „Hey“, forderte Musashi seine Aufmerksamkeit. Sie legte ihre Hände an sein Gesicht und drehte es bestimmt zu sich. „Wieso ignorierst du mich? Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?“ „Musashi, du musst aufwachen!“, sagte er eindringlich. Fest packte er sie an den Schultern und sah sie an, auf der Suche nach etwas Vertrautem in ihrem Blick. „Das bist nicht du, hörst du? Die Schokolade … sie war verzaubert. Das hier hätte gar nicht passieren dürfen!“ Verständnislos legte sie den Kopf schief. Ihre Augenbrauen verzogen sich anzweifelnd. „Wovon sprichst du?“ „Es tut mir so leid, Musashi“, flüsterte er schwach. Schwere Schuldgefühle plagten ihn und veranlassten ihn, den Blick gepeinigt zu senken. „Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich wollte doch nur … ein wenig Schokolade zu Valentinstag haben. Mehr nicht. Nicht das hier.“ „Ich verstehe nicht …“ „Es tut mir so leid.“ Er war den Tränen nahe. Langsam löste Musashi ihre Arme von seinem Nacken und er spürte, wie sie sie abermals an sein Gesicht legte. Mit sanfter Bestimmung zwang sie ihn, zu ihr aufzusehen. Dann, im nächsten Wimpernschlag, bemerkte er einen warmen Druck auf seinem Mund. Ihre Lippen gegen seine. Sie küsste ihn. „Nya! Das kann ich mir nicht mitansehen!“ Der Ausruf des Katers klang entsetzt, doch es gelang Kojiro nicht, zu ihm herüberzusehen. Er hatte im Augenblick andere Dinge im Kopf. Dinge, die ihn schwindelig machten. Als sie sich wieder von ihm löste, bemerkte Kojiro mit Erstaunen, wie ihr heißer Atem gegen seinen schlug. Er registrierte eine Süße, die ihr Kuss auf seinen Lippen hinterlassen hatte. Er fühlte sich seltsam sensibilisiert. Wie ein Schmetterling, der zum ersten Mal seine Flügel entfaltete. So zumindest stellte er es sich vor, wie es sein musste, wenn ein frisch entwickeltes Smettbo aus seinem Kokon schlüpfte. „Sag was“, hörte er Musashi flüstern. Ihre Worte drangen zu ihm durch, doch sein Kopf war wie leergefegt. Die Hitze ruhte in seinen Wangen. Er fühlte sich seltsam fiebrig. „Was?“, fragte er leise zurück. Das allein kostete ihn viel Anstrengung. „Ich habe dir meine Gefühle gestanden“, erinnerte sie ihn. „Willst du dazu gar nichts sagen?“ „Doch, schon. Aber …“ Er zögerte. Langsam, nur schleichend, kehrte ein Fünkchen Vernunft in ihn zurück. „Das hier ist nicht echt. Die Musashi, die mich gerade geküsst und mir ihre Liebe gestanden hat, ist nicht die richtige. Es ist nicht die Musashi, die ich …“ Verzweifelt hob er den Blick. In dem leuchtenden Blau ihrer Augen suchte er nach etwas, das ihm vertraut war. Etwas, das unverkennbar seiner Freundin zuzuordnen war, die ihm so viel bedeutete. Sie sah ihn nun mit anderen Augen. Würde er ihr jemals wieder in die ihren blicken können? „Ich bitte dich, Musashi“, flüsterte er schwer, gequält. „Bitte, komm wieder zu dir. Ich wollte das doch gar nicht. Ich will das hier nicht. Es gibt nur eine Musashi, die ich … die mir wirklich etwas bedeutet. Auch wenn sie oft gemein zu mir ist, mir die kalte Schulter zeigt oder mich nicht als Mann wahrnimmt. Ich weiß, dass sie mich trotzdem respektiert und akzeptiert, wie ich bin. Du bist meine beste Freundin, Musashi. Meine Partnerin und ich schätze dich so, wie du bist!“ Aus großen Augen sah sie ihn an. In all der Aufregung, die ihn während seiner Rede durchspült hatte, hatte er nach ihrer Hand gegriffen und hielt sie fest umschlossen. Er hoffte auf keine Antwort von ihr, nur auf ihre Reaktion. Auf diese musste er nicht lange warten. „Ich liebe dich.“ Erneut richtete sie sich auf ihre Zehenspitzen und streckte sich ihm entgegen. Als zum dritten Mal ihr warmer Atem gegen seine Lippen traf, wurde ihm klar, dass die Entwicklung nicht ganz nach Plan verlief. „Wa-warte mal! Musashi!“ Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück, wodurch er sich ihrer Annäherung entzog. Als Konsequenz geriet Musashi ins Taumeln, bis sie das Gleichgewicht verlor. Ihr Sturz riss sie gemeinsam zu Boden, Kojiro voran, und er spürte schmerzlich den harten Boden in seinem Rücken. Im ersten Moment tat sich nichts, nur ihr beider gequältes Stöhnen erfüllte den Raum. Wenige Sekunden später war es Musashi, die sich regte. Bemüht hievte sie sich auf Arme und Knien und kämpfte gegen das Poltern an, das sich hinter ihrer Stirn erfreute. Kaum dass sie dieses einigermaßen überwunden hatte, strich sie sich einige der magentafarbenen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Erst da bemerkte sie, in welcher Position sie sich befand. Sie blickte direkt in ein vertrautes Gesicht. Kojiros Gesicht, direkt unter ihr. „Ah!“ Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus und wich eilig von ihm zurück. Hektisch sah sie sich um, als suchte sie nach einem Ausweg. Als sie die Tür hinter sich entdeckte, zögerte sie nicht lang. „Warte!“, stieß Kojiro aus. Er reagierte schnell und kämpfte sich schleunigst zurück auf die Beine. Kaum dass er stand, überkam ihn ein warnendes Schwindelgefühl, welches er bestmöglich ignorierte. Im Moment gab es Wichtigeres, was ihn motivierte, sich in Bewegung zu setzen. „Musashi, warte!“ Ihre kurze Hetzjagd führte die beiden Agenten in die Küche. Dort hatte sich Musashi hinter der Küchenzeile verschanzt, wohl hoffend, dass ihr das genug Abstand zu ihrem Partner einbringen würde. „Musashi –“ „Bleib fern!“, fuhr sie ihn an. Einem Reflex folgend griff sie an ihre Uniform, wo sie die beiden Pokébälle erfühlte. „Bleib schön da! Zwing mich nicht, mich zu wehren!“ Kojiro verstand ihre Warnung. An Ort und Stelle blieb er stehen, wartend, dass sie sich beruhigte. „Was war das gerade? Klär mich auf!“ „Wie viel von dem hast du mitbekommen?“ „Ich … weiß nicht genau“, gestand sie zögerlich. Ganz langsam zog sie ihre Hand zurück, bis sie sicher war, dass sie auf die Unterstützung ihrer Pokémon nicht mehr zählen wollte. Sie stieß darauf ein langes Seufzen aus, verschränkte die Arme vor der Brust und legte nachdenklich den Kopf schief. „Ich hab‘ diese Schokolade gegessen und dann … bin ich gestürzt? War die verdorben oder so?“ „Ich … denke nicht.“ Kojiro konnte dieser Entwicklung kaum folgen. War es möglich, dass sich Musashi an nichts mehr erinnerte? An gar nichts? Das wäre etwas Gutes, oder nicht? „Hm, schon seltsam. Dann sei mal froh, dass ich dir die nicht überlassen habe.“ „Schon.“ Er wusste wirklich nicht, wie er über diese ganze Sache denken sollte. Suchend nach Antworten ließ er den Blick durch den kleinen Raum schweifen. Auf einer der Theken entdeckte er etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte: eine kleine, rote Schachtel. Geöffnet. Etwas Dunkles, Schokoladiges lag darin … „Was ist das?“ Musashi folgte seinem Blick. Als sie erkannte, was er gefunden hatte, geriet sie ins Straucheln. Sie preschte nach vorn, doch zu ihrem Ungunsten war Kojiro schneller. „Gib die her!“, forderte sie und haschte mit den Händen nach der schmalen Schachtel. Kojiro zeigte kein Erbarmen. „Erst wenn du mir sagst, was das ist.“ „Gar nichts!“ „Nach gar nichts sieht das für mich nicht aus.“ „Mann!“ Sie brummte genervt. Angestrengt überlegte sie, wie sie die Schachtel zurückgewinnen könnte. Nach kurzer Zeit seufzte sie geschlagen und zuckte die Schultern. „Bitte, schön. Dann behalt sie.“ „Wie?“ Verdutzt ließ er die Arme sinken. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass sie so schnell beigeben würde. Das sah ihr nicht gerade ähnlich. „Ja doch, ich mein’s so“, bekräftigte sie. „Damit sind wir dann quitt, okay?“ Das weckte seine Neugier. Da von Musashi keine Gegenwehr mehr ausging, senkte er die Schachtel und warf einen Blick hinein. Wie er feststellte, hatte er sich nicht geirrt: Schokolade war ihr Inhalt. Kleine Pralinen, etwas unförmig, die wie handgemacht aussahen. Der Konsistenz nach zu urteilen, lag ihre Herstellung nicht sehr lange zurück. Die Schokolade war trocken, gab allerdings noch nach, wenn er sie zwischen Daumen und Zeigefinger leicht zusammendrückte. „Bist du dir auch wirklich sicher?“ „Ja doch“, betonte sie ums Weitere. „Wenn ich’s doch sage. War’s das nicht, was du wolltest? Nun probier schon!“ Er konnte es nicht fassen: Musashi schenkte ihm Schokolade. Sie schenkte ihm Schokolade zum Valentinstag! Selbstgemachte! Womit hatte er es verdient, dass diese Geschichte doch noch zu einem glücklichen Ende fand? Zutiefst bewegt führte er sich eines der unförmigen Kugeln an die Lippen und probierte sie. Höchst gespannt kaute er und … sie schmeckte grauenvoll. Sehr bitter und fad und … einfach nur fürchterlich. „Und?“, verlangte sie sein Urteil. Tapfer schluckte er die herbe Masse hinunter. Mit allem, was er aufbringen konnte, bemühte er sich um ein Lächeln. „Mhm, sehr gut. Könnte mehr Zucker sein, aber … sehr gut.“ „Wirklich? Dann bin ich erleichtert.“ „Ja.“ Er nickte bekräftigend. Ein weiteres Risiko, sie zu verärgern, wollte er heute wahrlich nicht mehr eingehen. „Nya? Hier seid ihr, nya! Hm? Musashi, du bist wieder normal? Kannst du dich noch an das von eben erinnern?“ „Hm? Oh, Nyasu, du bist’s. Gibt es etwas, das du mir sagen willst?“ „Nya? Heißt das, du erinnerst dich nicht? Auch nicht, dass du Kojiro gek…“ Nyasu konnte den Satz nicht beenden. Die Hand des Freundes hinderte ihn daran. Diese und einige herb schmeckende Kugeln, die er ihm eifrig ins Maul schob. „Schau mal, Nyasu! Musashi hat uns Schokolade gemacht! Lass uns doch kurz reden, ja?“ Damit war fürs Erste wieder alles normal. Jetzt musste Kojiro nur noch einen Weg finden, dass das auch so blieb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)