Bloody Eternity von RedRidingHoodie ================================================================================ Kapitel 10: Alte Narben bluten leicht ------------------------------------- Jane schloss wie in Trance die Haustür hinter sich und blieb einen Moment im Flur stehen. Wie hatte sie sich nur so irren können? Dieser Richard Goodwin war nicht der Vampir, den sie seit über zehn Jahren unermüdlich suchte. Er war nicht die blutrünstige Kreatur, die ihren Vater kaltblütig ermordet hatte und mittlerweile fragte sie sich, ob sie ihn jemals finden würde. Schließlich hatte sich nach dieser Misere erneut gezeigt, dass es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit war- Und diese Erkenntnis brachte sie nervlich ans Ende und ließ eine so große Frustration in ihr aufkeimen, dass sie Mühe hatte, ihre Tränen zurückzuhalten. Irgendwie schaffte sie es, die Kraft zum Weitergehen aufzubringen, aber als ihre besorgte Mutter in der Tür zum Wohnzimmer auftauchte und fragte, was passiert sei, hauchte die Brünette nur einen Kuss auf die Stirn und schlurfte weiter in Richtung ihres Zimmers. Sie wollte jetzt nicht reden, sondern nur noch schlafen und wenn möglich alles vergessen. Sie schlurfte zu ihrem Kleiderschrank um sich umzuziehen, jedoch zitterten ihre Finger beim Öffnen der Knöpfe an ihrem Pyjama und ihre Sicht verklärte sich aufgrund der aufkommenden Tränen, sodass die Frustration – die ohnehin kaum auszuhalten war – erneut aufkeimte und sie dazu verleitete, ihre Faust fest gegen die Tür ihres begehbaren Kleiderschrankes zu schlagen. Ein pochender Schmerz machte sich in ihrer Hand breit, doch er war es nicht, der sie kaum hörbar aufschluchzen ließ, als sie kraftlos auf den Boden sackte. Schniefend und mit tränenüberströmtem Gesicht schlang die junge Frau ihre Arme um die Knie, um ihrer Frustration, Wut und Trauer freien Lauf zu lassen, da sie bis zu diesem Zeitpunkt versucht hatte, diese zu unterdrücken. Was hatten all diese Jahre mit dem harten Training gebracht? Wieso war sie so nutzlos und konnte nicht einmal einen einzigen Vampir aufspüren? Wie sollte sie überhaupt jemals in der Lage sein, den Mörder ihres Vaters zu finden und zur Strecke zu bringen? Wie sollte sie auf die richtige Fährte kommen, wenn sie doch auch diesmal so danebengelegen hatte? Wie konnte sie das Erbe ihres Vaters, des erfolgreichen Architekten und Vampirjägers Nathaniel McCollins, ehren, wenn sein Mörder weiterhin auf freiem Fuße war? Während eine Frage nach der anderen durch ihren Kopf wälzte, bemerkte sie nicht einmal, wie sie von Müdigkeit übermannt noch an Ort und Stelle auf dem Fußboden einschlief. Erst weit nach Mitternacht wachte die junge Frau aufgrund des Unwetters vor ihrem Fenster wieder auf. Schwer seufzend erhob sich Jane, um sich endlich mit schweren Gliedern ins Bett zu retten. Da am nächsten Morgen Sonntag war und keine Vorlesungen anstand, machte die sonst so fleißige Wirtschaftsstudentin keine Anstalten, früh aufzustehen oder etwas für die Universität zu tun. Stattdessen verließ sie das Bett erst am späten Vormittag, tapste lustlos runter in die Küche, wo sie einen Zettel ihrer Mutter fand, die notfallmäßig im Krankenhaus gebraucht wurde – Was ihr ehrlichgesagt gut passte. Immerhin hatte Jane keine Lust, ihrer Mutter Rede und Antwort zu stehen. Schließlich hatte diese schon am Vorabend gemerkt, dass etwas nicht stimmte, doch hatte sie es wahrscheinlich auf die Müdigkeit und die Anstrengung geschoben. Hätte Elizabeth ihre Tochter heute gesehen, dann wäre für die Mutter klar gewesen, dass etwas sehr im Argen lag. Leise seufzend fuhr die junge Frau sich durch die Haare, ehe sie zur Kaffeemaschine ging um sich eine Tasse zu gönnen, damit sie einigermaßen wach würde. Sie fühlte sich gerädert und sah vermutlich furchtbar aus, aber sie wollte einen möglichst klaren Kopf haben, denn wäre sie unkonzentriert, würden ihre Gedanken nur wieder zum letzten Abend zurückkehren. Während sie das Heißgetränk leerte, blickte sie auf ihr Handy, kontrollierte Nachrichten und Mails, die sie erhalten hatte und überlegte nebenbei, was sie heute tun konnte. Natürlich konnte sie in den Zirkel fahren und die Belohnung für die erfolgreiche Arbeit abholen, doch ob das eine so gute Idee war… Wohl eher nicht. Auch Arbeiten und Revisionen für die Vorlesungen würden nichts bringen, da sie ohnehin nicht in der Lage wäre, sich zu konzentrieren. Ob vielleicht einer ihrer Freunde spontan Lust hatte, etwas zu unternehmen? Ein wenig Ablenkung wäre bestimmt nicht schlecht und so würde sie ihrer Mutter für die meiste Zeit des Tages aus dem Weg gehen können. Entschlossen begann Jane, in der WhatsApp-Gruppe ihrer Clique eine Nachricht zu tippen, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Dies wurde jedoch verhindert, als ein anderer Name plötzlich den Hilferuf auf ihrem Handydisplay überdeckte. Aiden. Es überraschte sie nicht, dass er sich über ihr seltsames Verhalten während des Auftrags wunderte und deshalb nachfragen wollte. „Hallo“, nahm sie den Anruf knapp entgegen. „Hi“, sagte er, scheinbar überrascht, dass sie überhaupt abgenommen hatte und noch nicht darauf vorbereitet, jetzt reden zu müssen. Aiden hüstelte, bevor er die ziemlich dumme Frage: „Wie geht es dir?“, stellte. Leise seufzend fuhr sie sich durch die Haare. Was bitteschön sollte sie darauf antworten? Immerhin hatte er sie am Vorabend genau gesehen und konnte sich wohl denken, dass es ihr alles andere als gut ging. „Ich überhöre diese Frage einfach mal“, erwiderte sie nur, da sie gerade keine Geduld für Höflichkeitsfloskeln hatte. Außerdem hatte Jane keine Lust, ihm ihre momentane Gefühlswelt zu erklären, geschweige denn komplett zu offenbaren. Das lag nicht nur daran, dass sie Aiden nicht vertraute oder ihn nicht ausstehen konnte, sondern viel mehr daran, dass es viel zu lange dauern und sie nicht die passenden Beschreibungen finden würde. „Jaa… Tut mir leid. Ich wollte eigentlich nur fragen, ob ich irgendwas für dich tun kann. Ich weiß, du hast deine Geheimnisse und all das… Aber du musst mir nicht davon sagen, nur, was ich tun kann, um dir zu helfen.“ Jane hatte begonnen, die Spülmaschine einzuräumen während er redete, hielt jetzt jedoch inne und runzelte die Stirn. Für einen kurzen Moment rührte sich die Vampirjägerin nicht, ehe sie damit langsamen Schritten auf ihr Zimmer ging. Vielleicht war dieser nervige Vampir ja doch zu etwas, das nichts mit der Jagd zu tun hatte, nützlich. Sie musste ihm nicht ihr Herz ausschütten und da sie ohnehin einen ähnlichen Plan verfolgte, konnte sie die Gelegenheit doch gleich am Schopfe packen. Außerdem musste Jane so nicht auf eine Antwort ihrer Freunde warten, sondern konnte direkt das Haus verlassen und ihrer Mutter so für die nächsten Stunden aus dem Weg gehen. „Warte vor der Haustür“, antwortete die Brünette schlicht, denn für sie stand außer Frage, dass er in der Nähe sein musste. Er faselte ständig etwas davon, sie beschützen zu wollen, da würde er wohl kaum freiwillig von ihrer Seite weichen, nachdem er ihren Nervenzusammenbruch erlebt hatte. Sie machte sich im Bad ein wenig frisch und zog sich um. Anschließend schnappte sie sich eine Tasche, packte das Wichtigste wie Handy, Geldbeutel und kleinere Vampirjäger-Gegenstände rein, ehe sie sich nach draußen begab, wo wie erwartet ihr vampirischer Begleiter auf sie wartete. Anstatt ihn zu begrüßen, drückte sie ihm ihren Autoschlüssel in die Hand. „Fahr mich irgendwohin. Du kannst entscheiden. Von mir aus können wir auch einige Stunden einfach nur im Auto sitzen und fahren – Nur bring mich weg von hier“, gab Jane schlicht von sich, während sie sich zu ihrem Wagen begab und sich auf dem Beifahrersitz niederließ. Im Normalfall wäre Aiden einer der Letzten gewesen, an den sie sich gewandt hätte, wenn sie jemanden brauchte. Da es sich jedoch so angeboten hatte und er ohnehin wusste, dass sie momentan alles andere als stabil war, musste sie auch keine anstrengende Fassade aufrechterhalten, wie sie es bei den ´Normalsterblichen` ihres Bekanntenkreises hätte tun müssen. Dementsprechend war die junge Frau insgeheim froh, dass er ihrem Befehl Folge leistete, schweigend ins Auto stieg und losfuhr. Dass er ihr dabei nicht auf den Zeiger ging und Ruhe gab bis auf kleinere Kommentare über den Verkehr und darüber, dass er Autofahren nie sonderlich gemocht hatte, war ihr nur Recht. Schließlich hätte er auch versuchen können, sie zu löchern – Und um ehrlich zu sein, hätte es Jane ihm nicht wirklich übelnehmen können, wenn er seine Verwunderung bezüglich des Vorabends geäußert hätte. Aiden klopfte gedankenverloren im Takt zu einem Lied im Radio auf dem Lenkrad herum, hielt aber plötzlich inne. „Wir werden noch eine Weile unterwegs sein“, bemerkte er, als er sich scheinbar für eine Destination entschieden hatte. „Ich hoffe, ich fahre nicht zu unangenehm.“ „Glaub mir, ich habe manchmal einen deutlich raueren Fahrstil als du“, erwiderte die Vampirjägerin und ließ ihren Blick über die Gegend schweifen. Sie hatten die Stadt schon eine ganze Weile hinter sich gelassen und folgten der Themse. Zum ersten Mal trat der Vampir ein wenig aufs Gas und überholte einen LKW, hinter dem sie schon ewig hergetuckert waren. Jane fragte nicht, wohin es gehen sollte und sagte auch sonst nichts. Stattdessen lauschte sie weiterhin schweigend der Musik oder versuchte, den Kopf frei zu bekommen, indem sie sich zurücklehnte und erschöpft die Augen schloss. Dennoch konnte die Brünette nicht verhindern, dass ihre Gedanken immer und immer wieder zu dem Ort zurückkehrten, an dem sie die niederschmetternde Erkenntnis erlangt hatte, dass ihre lange Vorbereitung umsonst gewesen war und ihre Hoffnung, endlich den Mörder ihres Vaters gestellt zu haben, unbegründet gewesen waren. Dabei keimte sogar Scham in ihr auf, da ihr erst jetzt wirklich bewusst wurde, dass Aiden sie so gesehen hatte. Sie hasste es, vor Menschen Schwäche zu zeigen – vor einem Vampir war es eigentlich tödlich, schwach zu sein. Schwer seufzend fuhr sich Jane durch die Haare, wobei sie sich wieder angestrengter auf die Musik konzentrierte. Sie wollte sowohl den erniedrigenden Gedanken fortschieben, versagt zu haben, als auch den, dass sie trotz ihrer Schwäche noch lebte. Jetzt wollte sie nicht darüber nachdenken, was das über Aiden aussagte. Etwa eine Dreiviertelstunde später bogen sie von der sowieso schon maroden Straße auf einen Feldweg, der zu einem kleinen Baumbestand führte. Vor dem Wäldchen parkte Aiden und stieg aus, wobei er sich ausgiebig streckte. Jane selbst stieg langsam aus und hob die Augenbrauen, als sie sich umsah. Sie befanden sich auf einer Rasenfläche mitten im Nirgendwo, wie es aussah. Der Feldweg, auf dem sie hergekommen waren, wurde nach ein paar Metern von Buschwerk verschluckt, welches sich vor ihnen zu Bäumen auswuchs, die in einer Brise leise rauschten. Sie war bisher noch nie hier gewesen, doch die angenehme Ruhe und die frische Luft mit dem leicht salzigen Geruch ließen sie tief durchatmen. Auch die junge Frau streckte sich, sodass ihre müden Glieder knacksten, dann folgte sie ihrem Begleiter über einen Feldweg in das Wäldchen. Während die junge Frau lief betrachtete sie die Umgebung, um sich zu orientieren und herauszufinden, wohin der fünfhundert Jahre alte Vampir sie wohl bringen würde. Durch den Salzgeruch hatte sie erraten, dass sie in der Nähe der Küste sein mussten, obwohl die Fauna verhinderte, das Wasser schon zu sehen. Je näher sie dem Strand kamen, desto deutlicher wurde das Rauschen der Wellen, sodass die Vampirjägerin nach einer Weile ahnte, wohin das ganze führen sollte. Dementsprechend war sie nicht überrascht, als sich nach einem kurzen Fußmarsch die Bäume lichteten und den Blick auf eine von Klippen umgebene, lange Sandbank weit unter ihnen freigab. Ein kühler Wind blies Jane entgegen als sie in die Tiefe zum Meer hinab blickte. Auf der gegenüberliegenden Kuppe sah man zwischen den Bäumen die Reste eines verfallenen Hauses und Aiden blieb stehen um die Ruine versonnen zu betrachten. „Gefällt´s dir?“, fragte er nach einer Weile Jane. „Es ist… Angenehm“, kam es leise über ihre Lippen, während sie sich die Haare hinters Ohr strich und ihren Blick über den Strand schweifen ließ. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie an so einen ruhigen, abgelegenen Ort bringen würde, doch war es irgendwie das Richtige. Es beruhigte ihr Inneres, besänftigte ihr Gemüt. Er nickte, dann ging er ein wenig weiter. „Hier muss irgendwo ein Weg runter zum Wasser sein“, meinte er und machte sich auf die Suche nach dem schmalen Durchgang. Es dauerte eine ganze Weile, bis er den beinahe zugewucherten Stieg fand. Während er das Gestrüpp entfernte, fragte Jane: „Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb du mich genau hierher gebracht hast?“ „Ich war öfter hier, als ich noch ein Mensch war“, antwortete er, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. Stattdessen deutete er flüchtig auf das Haus. „Das war früher die Sommerresidenz einer Adelsfamilie. Ist, glaube ich, in irgendeinem Krieg zerstört worden.“ Dann war der Weg frei und Aiden begann mit dem Abstieg. Natürlich folgte Jane ihm, als er den steilen Pfad entlang ging. Sie vermutete, dass der Vampir sich ihrem Tempo anpasste und alleine viel schneller beim Strand angekommen wäre, doch der Spaziergang gab Jane die Zeit, über seine Worte nachzudenken. Als er noch ein Mensch war, hatte er gesagt. Sie hatte zwar gewusst, dass er ihre Vorfahrin Lady Jane Grey gekannt hatte und entsprechend schon sehr alt war, aber nicht, dass er ein verwandelter Vampir war. Wie lange seine Verwandlung wohl schon zurücklag? „Auf der anderen Seite der Klippe gibt es ein Dorf, da können wir essen gehen, wenn du Hunger hast“, riss ihr Begleiter sie aus den Gedanken. Sie legte instinktiv die Hand auf ihren Bauch, da ihr erst jetzt auffiel, dass sie seit dem gestrigen Abend nichts Essbares mehr zu sich genommen hatte außer einer Tasse Kaffee. Dennoch verspürte sie keinerlei Hunger. Dass dies an ihrem momentan instabilen Zustand lag, wusste sie selbst, doch hatte sie trotzdem nicht vor, gleich hier und jetzt etwas zu sich zu nehmen. Schließlich hatte die Brünette das Gefühl, dass sie ohnehin nichts runterbringen würde. Dementsprechend sagte sie nichts zu Aidens Kommentar, sondern folgte weiterhin schweigend dem Weg, bis sie endlich am Strand und Wasser ankamen. Erneut blies ein kalter Wind ihr entgegen und sie war froh, sich dick genug angezogen zu haben. „Eigentlich schade, dass es schon so kalt ist. Im Sommer kann man hier wundervoll schwimmen… Oder konnte man“, korrigierte Aiden sich lächelnd, als habe er Janes kurzes Schaudern bemerkt, die es immer ein wenig gruselte, wenn er von seinem unnatürlich langen Leben sprach. Sie gingen weiter am Strand entlang, der sich fast einen Kilometer lang zog und auf dem ab und zu ein verirrtes Bäumchen den Gezeiten trotzte. Bevor die Flut einsetzte, sollten sie weg sein, aber bis dahin waren es noch ein paar Stunden. „Willst du darüber reden, was gestern passiert ist?“, machte der Vampir einen weiteren Konversationsversuch nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. Jane hielt mitten in der Bewegung inne. Natürlich. Sie hatte damit gerechnet und es wäre komisch gewesen, wenn ihr Verhalten ihm nicht befremdlich erschienen wäre, doch wusste sie nicht, ob sie diese Frage beantworten konnte und wollte. Zwar hatte sie sich vorgenommen, nichts dazu zu sagen und sich nicht aktiv mit diesem Thema zu befassen, doch jetzt… Jetzt standen sie mutterseelenallein an diesem ruhigen Ort, der ihr mehr als gut tat. Außerdem war Aiden gestern dabei gewesen, war wegen ihrem eigenartigen und dummen Verhalten in Gefahr geraten und hatte ihr heute ohne zu Murren die Bitte erfüllt, sie von zu Hause wegzubringen. Man konnte von daher davon ausgehen, dass er etwas bei ihr gut hatte und sie in seiner Schuld stand. In der Zeit, die Jane brauchte, um sich zu einer Antwort durchzuringen, ging Aiden in die Knie und sammelte ein paar von den Wellen abgeschliffene Steine auf. Mit diesen näherte er sich dem Wasser, das er prüfend musterte, dann hob er den Arm, ließ das Handgelenk schnippen… Und versenkte das Steinchen mit einem lauten Platschen im Meer. Er lachte. „Bin wohl aus der Übung“, gestand er, doch als er es nochmal versuchte, schaffte er es, den Kiesl ein paar Mal über die Wellen hüpfen zu lassen. Jane achtete nicht wirklich auf seine Spielchen sondern blickte nachdenklich Richtung Horizont, da sie ihre Gedanken ordnen wollte. Inzwischen kannte sie Aiden gut genug um zu wissen, dass er ihr durch seine lässige Haltung Zeit zum Überlegen geben und sie zu nichts drängen wollte und wie schon im Zirkel, als er ihr die Entscheidung über einen möglichen Pakt überlassen hatte, schätzte sie diese Geste. „Ich war… frustriert“, begann die Brünette schließlich so leise, dass ihre Stimme im Rauschen der Wellen beinahe unterging. „Frustriert“, wiederholte Aiden mit hochgezogener Augenbraue. Sie musste ihn nicht ansehen um zu wissen, dass er ihr das nicht abkaufte. Ihre Reaktion war weitaus heftiger gewesen. Außerdem wäre sie, wäre sie wirklich nur frustriert gewesen, eher aggressiv und laut geworden als zu weinen oder neben sich zu stehen. Auch wenn es so offensichtlich war, machte die junge Frau keinerlei Anstalten, ihre Umschreibung zu korrigieren, als sie fortfuhr: „Seit ich… Mich dem Zirkel angeschlossen habe, verfolge ich nur das Ziel, einen bestimmten Vampir zu finden und zur Strecke zu bringen.“ Ihre Gefühle des vergangenen Abends keimten wieder auf, sodass sie nicht verhindern konnte, dass ihre Augen glasig wurden. Schnell wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen, damit Aiden die Tränen nicht zu Gesicht bekam. Sie atmete kurz tief durch um sich ein wenig zu beruhigen und sich nicht erneut eine solche Blöße wie am letzten Abend zu geben. „Es hat sich gestern, trotz einiger Parallelen, herausgestellt, dass Richard nicht der Vampir war“, fuhr die junge Frau dann wieder gefasster fort, wobei sie natürlich absichtlich etwas vage blieb und nicht erklärte, weshalb sie den Vampir suchte. Hätte sie dies in dem Moment getan, wären die Tränen bestimmt unaufhaltsam geflossen, und sie wollte nicht darüber reden – vor allem nicht mit einem Vampir. „Das war alles. Ich war… Einfach frustriert und wütend“, fügte die Brünette schlussendlich hinzu, obwohl sie ganz genau wusste, dass Aiden ihr das nicht glauben würde. Er hatte sie am letzten Abend gesehen. Dennoch fragte er nicht weiter, sondern ließ das letzte Steinchen übers Wasser flippern. Der Stein hopste bestimmt fünfzig Meter, bevor er unterging. „Bist du dir sicher, dass dieser Vampir in London lebt?“, erkundigte er sich, dann ging er weiter. „Er könnte auf der ganzen Welt untergetaucht sein… Agiert der Zirkel international?“ „Das tut er“, erwiderte sie schlicht und verschränkte die Arme vor der Brust, während ihre Haare im Wind tanzten, als erneut die Meeresbrise aufkam. „Und nein, ich bin mir nicht mehr sicher, ob er noch in London lebt. Bis gestern war ich es, doch nach der Begegnung mit Richard… Bin ich es nicht mehr.“ Sie hatte gedacht, ein gewisses Muster hinter den Morden gesehen zu haben, weshalb sie gedacht hatte, dieser verrückte Vampir müsse mit großer Wahrscheinlichkeit der sein, den sie seit Jahren suchte. Natürlich, sie hatte nur ihre vage Erinnerung als Anhaltspunkt, doch mit der Tatsache, dass der gesuchte Vampir damals bei ihr zu Hause eingebrochen war, grenzten sich die Möglichkeiten ziemlich ein. Schließlich kam es nicht allzu oft vor, dass diese Kreaturen öffentlich gewalttätig vorgingen, um sich zu ernähren. Die meisten waren diskreter, vor allem aber nicht so dreist, in das Haus eines Vampirjägers einzudringen. „Hilft Eldric dir bei der Suche?“ „Ja. Er ist auch derjenige, der mich auf auffällige Aufträge hinweist und sie gegebenenfalls zur Seite legt. Er ist der Einzige im Zirkel, der von all dem und der Wichtigkeit weiß“, erklärte die Brünette. „Dann wundert es mich fast, dass er dich nicht alleine nach Richard suchen ließ“, murmelte der Vampir und verschränkte die Arme. „Er ging davon aus, dass ich sofort auf ihn losgehen würde, wenn ich ihn sehe und dass ich unbedacht reagieren könnte.“ Dem hätte sie nicht mal Kontra entgegensetzen können. Wäre sie alleine losgezogen, hätte das möglicherweise sogar ihren Tod bedeutet. „Von wegen könnte…“ Aiden gluckste leise, doch als er Jane in die Augen blickte, wirkte er wieder ernst. „Mein Angebot steht; wenn du möchtest, helfe ich dir suchen, dann müsste Eldric sich nicht so große Sorgen um dich machen. Ich kenne zwar nicht so viele Leute, aber ein paar Informationen könnte ich dir vielleicht besorgen… Aber es wäre nett, wenn du sowas nächstes Mal vorher sagst, damit ich reagieren kann… Falls es ein nächstes Mal geben soll“, fügte er mit hochgezogenen Brauen hinzu. Wäre ihr Mentor in der Nähe gewesen, hätte er bestimmt gelacht und versucht, Jane zu dem bescheuerten Eid mit Aiden zu überreden. Da er jedoch einige Kilometer weit von ihnen entfernt war, konnte er dies nicht tun. „Du hast es selbst gesagt: Falls es ein nächstes Mal geben soll“, wiederholte die junge Frau seine Worte leise und ließ ihren Blick erneut zum Horizont schweifen. Sie wusste im Moment nicht, wie sie weitermachen sollte und ob es eine gute Idee war, sich weiterhin mit Aiden zusammenzutun und sich auf ihn zu verlassen – geschweige denn in naher Zukunft einen Pakt mit ihm einzugehen. „Meine Hilfe ist von deinen Verpflichtungen dem Zirkel gegenüber unabhängig, das ist dir bewusst, oder? Du musst keinen Vertrag mit mir eingehen, wenn du möchtest, dass ich mich für dich umhöre oder dich auf eine Jagd begleite. Ich helfe dir, weil ich es möchte, und daran sind keine Bedingungen geknüpft.“ Sie schlenderte weiter über den Strand, steckte die Hände in die Jackentasche und zog bei Aidens Worten die Augenbrauen hoch. Natürlich, er hatte schon bei dem Besuch im Zirkel erwähnt, dass er das nicht aufgrund des Zirkels tat und – Wenn sie sich richtig erinnerte - ´Sie so lange beschützen wollte, wie es in seiner Macht stand`, doch ohne jegliche Gegenleistung? Diese Aussage machte sie stutzig, doch erinnerte sie sich daran, wie sie ihn vor wenigen Tagen gefragt und er ihr eine für sie unverständliche Antwort gegeben hatte. Dementsprechend unterließ sie es, ihn wieder nach seinen Beweggründen zu fragen sondern nickte nur und ließ das Thema fallen. Sie hatten inzwischen fast die Hälfte des Strandes passiert und über ihnen erhob sich eine Steilwand. Während sie sich mit dem Vampir unterhalten hatte, hatte sich ihr Gemüt langsam aber sicher ein wenig gelockert, sodass kein Druck mehr auf ihrer Bauchgegend lastete und sie aufgrund des aufkeimenden Hungers leichte Übelkeit verspürte. Da ihre Gedanken jedoch immernoch durcheinander waren, kam sie nicht darauf, dass dieses flaue Gefühl von der Nahrungsverweigerung kam. Sie nahm es nicht mal wirklich als Übelkeit, sondern vielmehr als Unwohlsein wahr, weshalb sie nur ein paar Mal tief durchatmete. „Eine Frage“, fing sie stattdessen ein Gespräch an um sich abzulenken. „Was wirst du jetzt tun? Ich meine, der Auftrag ist erledigt und ich denke nicht, dass ich mich in nächster Zeit mit dem Gedanken anfreunden werde, dich als langfristigen Jagdpartner zu haben.“ Klar, er hatte gemeint, dass er sie beschützen wollte, egal, was sie davon hielt. Doch konnte sie sich nicht vorstellen, dass er dies ohne irgendwelche Begründungen oder den Pakt längerfristig tun wollte. Schließlich gab es momentan keinen wirklichen Grund, weshalb Jane so etwas wie einen Beschützer benötigte. Außerdem konnte es sein, dass er noch andere Ziele verfolgte. Kurz spannten sich seine breiten Schultern an und er sah so abwesend auf den Sand zu seinen Füßen, dass Jane die Augen verengte, doch dann grinste er nur wie immer. „Nun, im Moment bin ich in der Uni eingeschrieben, also werde ich weiterhin dorthin gehen. Und ansonsten… werde ich wohl einfach mein Leben weiterführen. Für mich hat sich nicht viel geändert.“ Er zuckte die Schultern lässig und Jane verdrehte die Augen. Er hatte seine Stalker-Manier noch immer nicht abgelegt und hatte weiterhin vor, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, egal, was sie davon hielt. Wieso konnte er nicht einfach wieder dorthin gehen, wo er hergekommen war? Schließlich hatte er sich erst vor wenigen Wochen an der Universität eingeschrieben, was hieß, dass er etwas anderes getan haben musste, bevor sie sich begegnet waren. Bevor Jane eine Frage diesbezüglich stellen konnte, knurrte ihr Magen, weshalb sie die Hand auf den Bauch legte und die Stirn runzelte. Es sah so aus, als ob ihr Körper nun die Nahrungsverweigerung nicht weiter so einfach hinnehmen wollte. „Hm. Ich glaube, ich sollte etwas essen“, kommentierte die Vampirjägerin leise seufzend das Knurren. Es war ja nicht ihre Absicht, vor Aiden zusammenzubrechen und von ihm nach Hause getragen zu werden. Von daher machte sie sich mit ihm auf den Weg zum Dorf. Zuerst sah der Vampir sie ziemlich verwirrt an, gerade so, als wäre ihm das Geräusch eines knurrenden Magens völlig fremd. Vielleicht war es das auch, schließlich hatte er gesagt, er hätte keinen besonders großen sozialen Kreis, das galt bestimmt auch für Menschen. Dann hoben seine Mundwinkel sich zu einem Schmunzeln. „Du klingst, als wäre es eine Bürde, essen zu müssen.“ Sie überging diese Bemerkung, da sie jetzt keine Lust hatte, mit ihm darüber zu diskutieren. Der Weg ins Dorf nahm noch über eine halbe Stunde in Anspruch und da der Aufstieg genauso steil war wie der Abstieg gewesen war, war ihr Hunger nur noch größer als sie oben auf der Klippe ankamen. Natürlich war der Vampir trotz der Strapazen frisch wie der junge Morgen und hatte scheinbar nur aus Rücksicht auf Janes Kondition während des Weges nichts gesagt, denn sobald sie wieder zu Atem gekommen war, fragte er: „Seit wann bist du eigentlich im Zirkel?“ Sie hatte eine hervorragende Ausdauer für einen Menschen, ärgerte sich aber, dass sie jetzt doch etwas erschöpft war während ihr Begleiter genauso gut durch einen Park geschlendert sein könnte. Dennoch rechnete sie auf seine Frage hin kurz nach. Ihr kam es vor, als ob es eine Ewigkeit wäre, seit der sie schon der Organisation angehörte – Was nicht unbedingt verkehrt war. Immerhin war sie seit ihrem zehnten Lebensjahr und somit mehr als ihr halbes Leben lang ein Teil des Zirkels. „Im Februar nächstes Jahr werden es zwölf Jahre, wenn ich mich richtig erinnere“, antwortete sie ein wenig nachdenklich. Sie erreichten den kleinen Ort, der nicht unbedingt eine große Auswahl an Restaurants aufwies, fanden aber doch ein einigermaßen gut gefülltes italienisches Bistro, das sie gemeinsam betraten. Sie ließen sich in einer rückwärtigen Ecke an einem Tisch nieder und Jane studierte die Karte. „Wie bist du in dem Alter auf den Zirkel gekommen? Ich meine, es ist ja nicht, als würden die da Praktikantenstellen anbieten, oder?“, setzte Aiden mit einem leicht angespannten Lächeln das Gespräch fort. „Ich habe den Zirkel gefunden, nachdem ich das Tagebuch meines… Meines Vaters studiert habe.“ Bei der Antwort dachte sie unwillkürlich an ihren Vater, sah sein lachendes Gesicht unter den dunklen Haaren, die sie geerbt hatte, und bemerkte, wie sie sich innerlich ein wenig verkrampfte. Auch, wenn sein Tod bereits mehr als zehn Jahre zurücklag, so schmerzte es die junge Frau noch immer unglaublich, wenn sie an Nathaniel dachte oder über ihn sprach. Dementsprechend tat sie das nicht gerne. Es machte sie so extrem verwundbar. „Verstehe… Ist er auch Jäger?“, fragte der Vampir, vorsichtig ihre Grenzen austestend. Eigentlich hatte die junge Frau nicht über ihren Vater sprechen wollen, doch war sie irgendwie nicht darum herum gekommen. Schließlich spielte er eine bedeutende Rolle in ihrem Werdegang als Vampirjägerin. Alleine durch seinen Tod war sie überhaupt auf die Idee gekommen, mit zehn Jahren den Zirkel aufzusuchen und den Vampir niederstrecken zu wollen, der Nathaniels Ableben verschuldete. Wer wusste schon, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn ihr Vater noch leben würde? Ein leises Seufzen entwich ihren Lippen und sie schüttelte als Antwort nur leicht den Kopf, weil sie nicht darüber reden wollte. Es reichte, wenn er wusste, dass sie den Zirkel indirekt mit der Hilfe ihres Vaters gefunden hatte. Außerdem war es keine Lüge, wenn sie die Frage verneinte. Schließlich war er kein Jäger – Zumindest nicht mehr, da er ja nicht mehr lebte. „Ich muss dir auch wiedersprechen“, griff sie einen anderen Faden von Aidens Aussage auf. „Es gibt tatsächlich so etwas wie Praktikantenstellen, die man antreten kann. Jedoch werden diese meist an die Leute vergeben, die bereits irgendwie etwas mit dem Zirkel zu tun haben oder an normale Leute vermittelt, die vom Staat und dem hohen Rat als passend eingestuft wurden.“ „Und was macht ein solcher Praktikant? Kaffee kochen?“, wollte der Vampir spöttisch wissen. „Unter anderem sicher, ja“, entgegnete sie gelassen, schließlich war das überall so. Jedoch war das natürlich nicht die einzige Beschäftigung, die man an dieser Stelle verrichtete. „Man erledigt aber auch Bürokratisches, indem man bei der Organisation hilf. Außerdem darf man während des Praktikums versuchen, als Vampirjäger aufgenommen zu werden. Das ist der Grund, weshalb potentielle Anwärter genauestens untersucht werden.“ Natürlich, man konnte sich auch einfach so als Jäger bewerben, doch musste man im Normalfall zuerst ein Mindestalter von sechzehn Jahren erreicht haben, den Zirkel aufspüren und ebenfalls einige Tests und Fragen über sich ergehen lassen. Wenn man das Praktikum also auf irgendeine Weise angeboten bekam, dann wurde einem ein Teil der Arbeit abgenommen. Seine Neugierde bezüglich ihres Werdegangs konnte Jane ihrem Gegenüber jedenfalls nicht verübeln. Welche Zehnjährige spielte schon mit dem Gedanken, ein Teil eines solch ungewöhnlichen und gefährlichen Zirkels zu werden? Normale Kinder spielten in dem Alter mit Barbies, Autos und gingen brav zur Schule. „Und wenn der besagte Praktikant gar kein Jäger werden möchte? Wird er dann trotzdem von ein paar Leuten mit Wurfmessern beschossen?“, erkundigte Aiden sich zynisch. Er machte keinen Hehl daraus, dass ihm dieses ganze System überhaupt nicht passte. „Nein. Dann erledigt er halt einfach weiterhin die normalen, bürokratischen Jobs und hat teilweise sogar eine Aussicht, eine längerfristige Stelle zu bekommen. Der Zirkel zwingt niemanden, ein Teil davon zu werden. Man begibt sich auf freiwilliger Basis und auf eigene Verantwortung zu den Aufnahmeprüfungen“, erwiderte die Brünette, wobei sie nur leicht die Augen über den schnippischen Unterton des Vampirs verdrehte. Was dachte er bitte schön? Klar, die Regierung wusste darüber Bescheid, unterstützte die Vampirjäger, doch bestand der Beitritt auf vollkommen freiwilliger Grundlage. Zumindest hatte es Jane bisher nur so gehört. Sie hatte noch nie miterlebt oder mitbekommen, dass man jemanden dazu gezwungen hätte. Vielleicht wäre das mal etwas, was sie so ganz nebenbei und aus purer Neugierde herausfinden könnte. Er seufzte leise. „Ich dachte nicht, dass jemand gezwungen wird, nur bin ich nicht sicher, ob man einem Kind eine solche Entscheidung ´freiwillig` zumuten sollte. In dem Alter sieht man das, denke ich, eher noch als Spiel. Meinst du nicht auch, dass sechzehn sehr früh ist?“ „Ab sechzehn ist man kein Kind mehr. Außerdem darf man ab dem Alter entscheiden, ob man gewissen Alkohol trinkt oder rauchen will“, entgegnete die junge Frau schlicht. Immerhin könnten diese Drogen genauso leicht zum Tode oder zu irgendwelchen Beschädigungen führen wie wenn man einem Vampir begegnete oder mit Waffen hantierte. Dementsprechend war es in ihren Augen gerechtfertigt, dass man ab dem Alter entscheiden durfte, ob man dem Zirkel beitreten wollte oder nicht: Jedoch war das reine Geschmackssache und darüber ließ sich bekanntlich streiten. Einen überaus süßen Moment lang war der geschwätzige Vampir sprachlos. „Ist das dein Ernst? Man kann doch nicht vergleichen, ob man Bier trinkt oder einen potentiell tödlichen Beruf ausübt. Natürlich kann jemand betrunken etwas passieren, aber dafür zu sorgen, dass das nicht passiert, ist Aufgabe der Eltern.“ „Es ist mein Ernst. In deinen Augen kann man das vielleicht nicht vergleichen und es mag rücksichtslos, beinahe skrupellos erscheinen, doch ich finde, dass man nach der Vollendung des sechzehnten Lebensjahres zum größten Teil entscheiden kann, ob man ein Jäger werden möchte oder nicht. Außerdem ist es ja nicht so, dass wir jede sechzehnjährige Person nehmen. Wie schon erwähnt, werden Tests gemacht“, erwiderte die Brünette mit den Schultern zuckend. Wahrscheinlich würden sie noch stundenlang darüber diskutieren können, da sie beide völlig unterschiedliche Meinungen vertraten. Da sie dies jedoch nicht wollte, machte sie eine kurze, abwinkende Handbewegung. „Lassen wir das. Ich schätze, diesbezüglich werden wir kaum auf einen grünen Zweig kommen. Wenn es dich so sehr stört, beschwer dich bei Eldric. Wenn du gute Argumente bringst und er Zeit hat, wird er das sicher an die Regierung weiterleiten“, fügte sie schließlich hinzu. Aiden sah zwar aus, als hätte er nur zu gerne noch etwas gesagt, nickte aber schließlich schicksalsergeben, denn da näherte sich der Kellner. Jane bestellte eine Spinatlasagne, einen kleinen Salat und Wasser, ehe sich der Servierer dem Vampir zuwandte und wieder verschwand um die Bestellung in der Küche abzugeben. „Was machst du eigentlich so, wenn du nicht gerade Vampire jagst oder in der Universität sitzt?“, fragte Aiden sie dann wahrscheinlich zum ersten Mal etwas, das nichts mit dem Zirkel oder ihrer Zusammenarbeit zu tun hatte. „Ich muss gestehen, dass ich überaus langweilig bin“, erwiderte die junge Frau mit den Schultern zuckend, die davon ausging, dass ihr Gegenüber lediglich Smalltalk betreiben wollte und sich nicht wirklich dafür interessierte. „Im Gegenteil. Du bist überaus faszinierend“, wiedersprach er sanft lächelnd und sah sie auffordernd an, sodass sie auf die Ausgangsfrage antwortete. „Ich lese viel, gehe gerne ins Kino, unternehme etwas mit Freunden und spiele Klavier. Außerdem reise ich gerne, wenn es Zeitlich passt und ich die Möglichkeit dazu habe.“ Wäre ihr Nebenjob als Vampirjägerin nicht gewesen, wäre sie, zumindest in ihren Augen, eine 0815-Person gewesen, doch Aiden fand trotzdem einen ganzen Haufen Fragen: „Was liest du für Bücher? Hast du ein Lieblingsstück am Klavier? Welches Land hat dir bisher am besten gefallen?“ Während ihr Gegenüber seine Inquisition betrieb, tauchte der Kellner mit der Bestellung auf und Jane nahm einen Bissen, bevor sie antwortete. „Ich lese eigentlich so gut wie alles. Von Romanen bis hin zu Krimis, Sachbüchern und philosophischen Abhandlungen.“ Aiden nutzte die kurze Pause, in der sie einen Schluck Wasser trank, um weiter nachzubohren: „Dann ist es wahrscheinlich schwer zu sagen, welches dein Lieblingsbuch ist?“ „Nicht wirklich. Es ist Jean-Paul Sartres Huis Clos, besser bekannt als ´geschlossene Gesellschaft`. Wie es in ein paar Jahren aussieht, weiß ich nicht.“ Es würde sie nicht überraschen, wenn er sich darüber wundern würde. Schließlich war das alles andere als eine typische Lektüre, die man als Lieblingsbuch bezeichnen würde, da es, trotz der eigentlich kleinen Handlung, eine schwere Kost sein konnte, wenn man die philosophischen Hintergründe dazu kannte. „So? Fühlst du dich von zwischenmenschlichen Beziehungen bedroht?“, fragte er in einem belustigten Tonfall, der anklingen ließ, dass er die Geschichte über die drei Sünder kannte, die sich gegenseitig quälten und trotz der Schwächen der anderen nacheinander verzehrten, sich aber niemals haben konnten. „Was willst du damit sagen? Dass ich sozial inkompetent bin und darum das Buch mag?“, verlangte die junge Frau in schneidendem Tonfall zu wissen. Er lächelte so schelmisch als hätte er erwartet, dass sie derart aus der Haut fahren würde. „Nein, das glaube ich nicht. Aber ich denke, das ist der springende Punkt dieses Buches… Oder zumindest der Offensichtlichste“, erklärte er beschwichtigend. „Außerdem bist du kein einfacher Mensch, also ist die Frage berechtigt, würde ich meinen.“ „Wenn es lediglich einen Punkt gäbe, wäre das Buch nicht so interessant sondern flach“, erläuterte Jane ihren Standpunkt. „Ich weiß nicht, ob es dann flach wäre. Immerhin ginge es dann immer noch um das menschliche Scheitern, unerfüllbare Sehnsüchte, um die Angst davor, Chancen zu ergreifen und einiges andere. Beziehungen sind immerhin das, was uns als denkende Lebewesen prägt und zu dem macht, was wir sind.“ Er schien seinen Spaß damit zu haben, sie aus der Reserve zu locken, und blitzte sie über den Tisch hinweg aus seinen hellen Augen an, die ständig zu lachen schienen. „Ich meine auch nicht, dass das Thema an sich flach wäre, sondern dass es uninteressanter ist, ein Buch nur wegen des Offensichtlichen zu mögen. Es muss mich weiterdenken lassen, sodass mich auch die verborgenen Themen interessieren.“ Er hörte ihr neugierig zu und nickte, als sie geendet hatte. „Das macht natürlich Sinn. Aber es ist wohl immer so, dass man das Verborgene sehen muss, wenn man etwas wirklich verstehen möchte. Allerdings liegt es wohl auch am Leser, sich die Mühe zu machen, die Hintergründe zu begreifen.“ Er lächelte sie an und es war offensichtlich, dass er nicht mehr nur von dem Buch sprach. „Das stimmt wohl in gewisser Weise. Jedoch ist es oftmals so, dass das Interesse an den Hintergründen nicht wirklich vorhanden ist, weil es nicht dem Geschmack entspricht – Auch dann, wenn man bereits einige ´Seiten des Buches` gelesen hat“, kommentierte die Brünette, wobei sie bemerkte, wie ihre Mundwinkel leicht, aber verräterisch zuckten. Sie konnte jedoch verhindern, dass sich ihre Lippen zu einem Schmunzeln verformten. Natürlich musste er sogar ihr Lieblingsbuch auf sich beziehen und andeuten, dass sie ihn besser kennenlernen sollte, was auch sonst? Diese Mühe machte der Vampir sich nicht, sondern er grinste sie schief an. Wie sie da so ihr Amüsement unterdrückte fiel Jane zum ersten Mal auf, dass sie heute gesprächiger war als in den anderen Unterhaltungen mit dem Vampir. Ob das an ihrem instabilen Zustand lag? Oder lag es daran, dass sie Aiden gegenüber ein subtiles Vertrauen hegte, weil sie trotz der kurzen Phase so viel Zeit miteinander verbracht hatten und er sich bei dem Auftrag als überaus nützlich und geeignet herausgestellt hatte? Bei dem Gedanken schüttelte sie leicht den Kopf. Nein. Sie vertraute ihm nicht. Nicht einmal ein bisschen. Wie sollte das bitteschön möglich sein, dass sie einem Vampir Vertrauen entgegenbracht? Es musste an ihrer Kondition liegen, mehr nicht. Dennoch sollte sie sich wohl hüten, nicht allzu viel von sich Preis zu geben und es nicht zulassen, dass er es schaffte, an den richtigen Orten zu bohren. Im Moment war er aber wohl wirklich nur an ihren Freizeitaktivitäten interessiert. „Du wolltest mir dein Lieblingsstück am Klavier verraten“, erinnerte er sie an seine nächste Frage. Inzwischen hatte Jane ihre Mahlzeit beendet und legte das Besteck beiseite, um einen Schluck zu trinken. „Hm… wenn ich ein Bestimmtes und vielen nennen müsste, wäre es Theme of Tears von Shinji Kakijima.“ Es war ein eher modernes Stück, doch es war für sie stets beruhigend, es zu hören. Außerdem konnte sie es immer wieder spielen, ohne dass es ihr verleidete. „Das sagt mir leider nichts. Ich werde es mir bei Gelegenheit anhören.“ Sie zuckte nur leicht die Schultern. Wäre er ein normaler Freund ihrerseits gewesen hätte sie ihm sicher angeboten, es ihm einmal vorzuspielen, schließlich nahm Jane seit ihrer frühesten Kindheit Klavierstunden. Da er dies jedoch nicht war, kam es der Vampirjägerin gar nicht in den Sinn. Allerdings erinnerte sie sich an seine nächste Frage und beantwortete diese, bevor er weiter nachbohren konnte: „Am interessantesten fand ich Süd Korea als Reiseziel. Am schönsten hingegen Italien und Spanien.“ „Was war an Süd Korea so interessant?“, überging er die südeuropäischen Destinationen, da sie näherliegend waren als ein asiatisches Ziel. „Nun, es ist einfach die Art der Menschen, ihre Lebensweise und Kultur. Es war ziemlich faszinierend, das alles zu sehen.“ „Erzähl mir von deiner Reise dorthin… Bitte“, fügte er hinzu und stützte die Wange in die Hand, den Blick unverwandt auf sie gerichtet. Der Kellner kam zurück und fragte, ob sie noch etwas brauchten, wobei sein Blick auf Aidens unberührtes Glas fiel und er die Brauen hochzog. Der Vampir lächelte ihn an, prostete ihm zu und tat, als würde er einen Schluck nehmen. Als der Angestellte weg war, nahm Jane ihm das Wasserglas aus der Hand und vertauschte es mit ihrem Leeren. So würde es wenigstens aussehen als habe er etwas getrunken. „Dein Urlaub“, erinnerte Aiden sie sanft und sie berichtetet von ihrer Reise mit einer Freundin vor drei Jahren, die dort ihre Familie besucht hatte. Sie hatten verschiedene Städte angesehen, zu scharfes Essen gegessen, unter der Hitze gelitten und noch vieles mehr. All das hörte der Untote sich nicht nur geduldig, sondern ehrlich fasziniert an. „Mit einem Dolmetscher würde ich wieder mal dorthin reisen“, endete sie schließlich, was ihn gleich zu seiner nächsten Frage brachte. Sie schienen ihm nie auszugehen. „Sprichst du noch andere Sprachen?“ „Leider nur Englisch, Konversations-Französisch und ein bisschen Russisch“, erklärte Jane, wobei sie sich denken konnte, dass Letzteres ihn ein wenig verwundern würde. Jedoch fügte sie gleich hinzu, dass sie ein paar Brocken aufgeschnappt hatte, als sie aufgrund eines Auftrages mit ein paar Vampirjägern einige Wochen in Russland verbracht hatte. „Das ist mehr, als die meisten von sich sagen können“, antwortete Aiden lächelnd in fließendem Französisch und sie kam nicht umhin, ebenfalls schmunzelnd ´Man tut, was man kann` in der Sprache der Liebe zu antworten. Dann allerdings runzelte er leicht die Stirn und rieb sich seufzend über die Augen. „Für deinen Job würdest du auch wirklich alles tun, oder? Hat es dir in Russland gefallen? Oder hattet ihr keine Zeit, euch groß umzusehen?“ „Ich würde nicht behaupten, dass ich ´alles` dafür tun würde. Einiges ja, aber nicht alles.“ Es sei denn, es würde sie ihrem eigentlichen Ziel näher bringen, fügte die junge Frau in Gedanken hinzu, wobei sie auf seine Frage bezüglich des eigentlichen Aufenthaltes nur leicht die Schultern zuckte. Wie er schon vermutet hatte, hatte sie damals nicht wirklich Zeit gehabt, sich umzusehen, doch das was sie gesehen hatte, schien in Ordnung zu sein – gewöhnungsbedürftig und interessant, aber in Ordnung. Da sie mit dem Essen fertig war, lehnte sie sich ein wenig zurück, schlug die Beine übereinander und musterte ihr Gegenüber kurz, ehe sie zum ersten Mal ebenfalls eine Frage stellte. Das stand ihr nach seinem Interview wirklich zu, und sie wollte es schon seit einiger Zeit wissen. „Wie alt bist du genau?“ Diesmal war es an ihm, kurz zu überlegen. „Etwa 480, plus-minus fünf. Damals wurde das noch nicht so genau aufgeschrieben.“ Seine sonst so fröhlichen Augen wurden kurz dunkel, doch Jane bemerkte das nicht wirklich. Viel zu schockiert war sie von seinen Worten. Klar, er hatte ein paar eigenartige Macken, äußerte sich manchmal nicht unbedingt zeitgemäß, doch dass er fast ein halbes Jahrtausend alt war, war schwer zu begreifen. Er hatte von seiner (angeblichen) Liaison mit der Neuntage-Königin gesprochen, also hatte sie mit etwas um den Dreh gerechnet, aber es ausgesprochen zu hören als wäre es das Normalste auf der Welt, war nochmal eine andere Hausnummer. Es war wirklich kein Wunder, dass sie auf kämpferischer Ebene gegen ihn nicht ankam, aber auch das würde sie noch schaffen, falls es denn nötig würde. „Am Anfang hab ich dich auf maximal 200 geschätzt“, gab die Brünette zu, worüber Aiden belustigt eine Braue hochzog. „Also… Ich schätze, ich sollte mich geschmeichelt fühlen“, sagte er grinsend, obwohl das bei seiner Rasse wohl nicht ganz stimmte, immerhin wurden sie ´besser`, je älter sie wurden. Jane zuckte jedoch nur mit den Schultern. Sollte er es auffassen, wie er wollte, sie interessierten im Moment andere Themen. „Ich schätze, du warst am königlichen Hofe tätig, als du noch… Ein Mensch warst?“ Aiden nickte. „Ja. Oder besser war das mein Vater. Ich war noch etwas zu jung, um wirklich etwas zu sagen zu haben, außerdem habe ich mich meistens lieber herumgetrieben.“ „Was hast du denn dann getan?“, fragte sie weiter nach. „Hattest du einen Beruf oder eine Aufgabe oder dergleichen?“ Er runzelte die Stirn und dachte über die Frage nach. „Mein Vater war am Hof als Berater tätig, vorrangig für Handelsangelegenheiten. Ich war… So etwas wie sein Assistent, denke ich. Ich bin für ihn und mit ihm gereist und habe Informationen eingeholt, verhandelt, Unwilligen eine übergezogen… So etwas.“ „Das überrascht mich ehrlich gesagt ein wenig. Ich dachte, du hättest zur Wache gehört oder zu den Rittern, weil du dauernd von Schutz redest und so viele Facetten eines typischen Beschützers aufweist“, merkte Jane unverfroren an. „Hm, nicht jeder Ritter war besonders beschützerisch, aber ich verstehe, was du meinst“, stimmte er amüsiert zu. „Allerdings hat meine Familie zum geringeren Adel gehört. Und, glaub mir, ich bin nicht am Schutz von jedem interessiert. Das ist dir vorbehalten.“ Der Kellner kehrte zurück und legte die Rechnung auf den Tisch, doch Jane sah ihr Gegenüber nur irritiert an statt nach dem Papier zu greifen. Warum sagte er so etwas nur immer wieder so unverblümt? „Und wieso? Wieso ich?“ Er griff unter Janes Hand nach der Rechnung, sah aber von dem Zettel zu ihr, bevor er den Geldbeutel aus der Manteltasche zog. Langsam öffnete er ihn und legte das Geld in die kleine Karte, die er sorgfältig wieder schloss. „Ich habe es dir doch gesagt“, fing er schließlich an. „Als ich noch ein Mensch war… Gab es ein Mädchen, das ich geliebt habe. Sie war in Lebensgefahr und um sie zu retten, bin ich zu dem geworden, was ich jetzt bin. Aber ich war zu spät, sie war schon tot, als ich zu ihr kam.“ Er schwieg eine Weile, in Gedanken ein halbes Jahrtausend weit weg, aber die leeren Augen auf die Rechnung in seinen Händen gerichtet. „Wie ich bereits sagte, du bist mit ihr verwandt. Du riechst genau wie sie, siehst aus wie sie... Und ich möchte dich… Sie einfach nicht nochmal verlieren“, endete er schließlich. In dem Moment kam der Kellner zurück und Aiden reichte ihm die Bezahlung mit einem kleinen Lächeln, dann stand er auf. „Gehen wir?“ Während sie das Lokal verließen, schwieg Jane. Diese kleine Geschichte zeigte ihr mal wieder, dass sie so gut wie nichts über Aiden wusste, während er einiges über sie in Erfahrung gebracht hatte, wenn auch nicht auf freiwilliger Basis. „Ich verstehe dich also richtig, dass du lediglich so sehr auf meinen Schutz achtest, weil dich das schlechte Gewissen plagt?“, brachte sie es auf den Punkt und schloss ihre Jacke, als die kalte Seebrise ihr wieder darunter fuhr. „Falls das der Grund ist, aus dem du dich so hartnäckig an meine Fersen heftest, würde ich dir raten, es zu lassen. Schließlich bin ich nicht sie und auch nicht auf Schutz durch andere Leute angewiesen.“ Sie schwiegen eine Weile, während sie über die Straße gingen, was für Jane keineswegs unangenehm war. „Ich weiß, dass du nicht sie bist – Das zeigst du mit jedem deiner Worte“, sagte Aiden schließlich für seine Verhältnisse kühl. „Aber ich kann nicht einfach… Aufhören mir Sorgen um dich zu machen. Solange du Jägerin bist, wirst du immer in Gefahr sein und ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass du stirbst.“ Natürlich merkte sie, dass sie ihn gekränkt hatte, aber es störte sie nicht wirklich, schließlich waren sie keine Freunde. „Wieso solltest du dafür verantwortlich sein?“, verlangte sie zu wissen. „Wenn ich auf der Jagd draufgehe – Was ich nicht glaube – Dann ist das ganz allein meine Schuld. Schließlich habe ich mich für diesen Weg entschieden und mich somit bewusst dieser Gefahr ausgesetzt.“ „Vielleicht ist es nicht meine Schuld, dass du in diese Situation gekommen bist“, stimmte er ihr leise schnaubend zu. „Aber wenn ich es zuließe, dass du dich weiterhin alleine rumtreibst, wäre es sehr wohl meine Verantwortung, stieße dir etwas zu. So etwas nennt man unterlassene Hilfeleistung.“ Jane blieb stehen und blickte ihm in die herausfordernd glühenden Augen. Dabei trat sie direkt vor ihn und unterdrückte den Drang, ihn an den Oberarmen zu packen und zu schütteln. „Jetzt hör mir mal zu! Das ist weder deine Verantwortung, noch ist es ´unterlassene Hilfeleistung`. Wir beide stehen nicht durch zwischenmenschliche Beziehungen miteinander in Verbindung und ich bin nicht in akuter Gefahr, sodass du mich irgendwie retten müsstest. Das findet alles in deinem Kopf statt!“, versuchte sie, ihm klar zu machen. Aiden hatte die Arme verschränkt und erwiderte ihre bedrohlichen Blicke gelassen, mit leicht erhobenem Kinn. „So empfindest du es vielleicht, aber es gibt auch andere Personen mit anderen Ansichten. Ich bin dir nichts schuldig, und trotzdem hast du mich gefragt, ob ich mit dir diesen Auftrag annehme. Das habe ich getan, und nicht aus… Ich weiß nicht, für was du es hältst. Mitleid vielleicht? Das ist es nicht. Und es ist auch nicht so, dass ich dich für schwach halte. Ich will einfach Zeit mit dir verbringen, und dass es dir gut geht, was normal ist, wenn dir jemand etwas bedeutet. Und auch, wenn ich dir egal bin, kannst du mir nicht vorschreiben, was ich für dich zu empfinden habe. Das kann ich nicht mal selbst, sonst wäre ich sicher nicht mehr hier. So undankbar, wie du bist, hast du das sicherlich nicht verdient.“ Dass Aiden ihr jetzt so kam, hatte die junge Frau ehrlich gesagt nicht erwartet. Woher hätte sie denn bitte wissen können, dass sie nun praktisch auf eine Landmiene trat und den sonst 'schlafenden' Vampir zum Explodieren brachte? Er wirkte sonst so in sich ruhend, dass sie nicht erwartet hätte, es irgendwie zu schaffen, ihn zu reizen. Dennoch würde sie sich nicht für ihre Worte rechtfertigen, geschweige denn Entschuldigen. Dazu war die Brünette viel zu stolz - mal wieder. Außerdem war ihre momentane Kondition alles andere als beständig, als dass sie die Worte - welche ihrer Meinung nach unter der Gürtellinie waren - die er von sich gegeben hatte, einfach so hätte überhören können. "Du hast es gerade eben selbst gesagt: Ich habe dich gefragt! Du hättest es sehr wohl ablehnen können! Wenn du es bereust, dass du das getan hast, dann tut es mir Leid! Ich persönlich habe dich nicht dazu gezwungen! Und nein, komm mir nicht mit dem verdammten Gerede, dass ich dich an deine vergangene Liebe erinnere! Ich habe damit Nichts zu tun!", entgegnete die Brünette mehr als nur gereizt. "Hast du denn versucht, mich einfach in Ruhe zu lassen, hm?! Wenn ich es nicht verdient habe und es dir so gegen den Strich geht, dann versuch doch einfach von hier zu verschwinden und diese... diese Gefühle zu vergessen! Ich brauche diesen Mist nicht!" Wenn es nicht so kindisch gewesen wäre und sie sich nicht selbst mehr verletzt hätte, dann hätte sie ihm vermutlich auch noch mit voller Kraft einen Tritt ins Schienbein verpasst. Dementsprechend versuchte die Vampirjägerin diesen Drang zu unterdrücken - wenn auch nur mit Mühe. Es dauerte einen Moment, bis sie runterkam und bemerkte, dass ihre Worte ziemlich unsensibel gewesen waren. Schließlich steckte sie in einer ähnlichen Lage und sollte wenigstens etwas Verständnis für ihren Begleiter zeigen, zumal sie ohne ihn wohl kaum noch am Leben wäre. „Und außerdem… Ich glaube kaum, dass du Lady Grey etwas schuldest oder dass sie glücklich darüber wäre, wenn sie wüsste, welche Folter du dir hier selbst antust. Wenn es denn wirklich zu spät war, dann war es unausweichlich, und das hat sie während ihres letzten Atemzugs bestimmt gewusst“, meinte Jane, wobei sie nur bemüht die Ruhe bewahrte. Wenn sie wollte, konnte sie auch behutsam mit ihrem Umfeld umgehen und sich einfühlsam zeigen, jedoch galt diese Seite eigentlich nur ihren Mitmenschen. Und der Vampir ihr gegenüber wusste offensichtlich nicht zu schätzen, was für eine Sonderbehandlung er gerade von ihr erfuhr, denn er schnauzte sie an: „Du weißt nichts von ihr, also sprich nicht von ihr.“ Das reichte jetzt, sie verdrehte die Augen und warf die Arme kurz verärgert in die Luft. "Ich muss auch nichts über sie wissen! Sie ist sowieso schon tot!", entfuhr es ihr ungehalten und ziemlich laut, da bei ihr nun langsam aber sicher die Sicherungen durchbrannten. Dabei ballte sie ihre Hände zu Fäusten und wenn man genauer hinsah, bemerkte man, dass ihr ganzer Körper unter Spannung stand und sie sich nur mit Müh' und Not zurückhalten konnte, Aiden nicht gleich an die Gurgel zu springen. Wäre er ein wild dahergelaufener Vampir gewesen, dann hätte sie ihn wohl mit ihren Waffen bis zur Unkenntlichkeit zerhackt. Da es jedoch Aiden war, mit dem sie einige Zeit verbracht hatte und der - auch wenn sie es bisher noch nicht zugeben konnte - schon irgendwie unterbewusst zu ihrem Alltag gehörte, konnte und wollte sie dies nicht tun. "Weißt du was? Scher dich dorthin zurück, woher du gekommen bist und bleib dort!", zischte die Vampirjägerin kalt, bevor sie sich - ohne noch einmal zurückzublicken - von ihm abwandte und sich alleine auf den langen Weg zu ihrem Wagen machte, um nach Hause zu fahren. Sie hatte genug gehört und gesagt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)