Did You See The Ocean? von Puppenspieler (Joker-FF Sommerwichteln '15) ================================================================================ I   Es regnete in Strömen. Haruka störte das nasse Wetter nicht, er mochte das Wasser, das ihm auf die Haut prasselte. Aber er wusste auch, dass er sein Glück nicht überstrapazieren durfte, weshalb er trotz allem einen Regenschirm bei sich trug. Er mochte Erkältungen nicht. (Wer mochte die schon?) Schon während er die oberen Stufen der langen Steintreppe hinunterlief, sah er Makotos quietschbunten Regenschirm unten am Fuß der Treppe – und Makoto, der den Regenschirm überall hinhielt, aber nicht über sich selbst. „Was soll das?“, fragte er hinunter, als er noch zu weit entfernt war, um zu sehen, was da unten passierte. Makoto sah zu ihm auf, nass bis auf die Knochen, aber lächelnd. „Haru-Chan, sieh mal!“ Es war eine Katzenmutter mit einer Hand voll Jungen. Sie waren trocken. Makoto war nass. Haruka schüttelte den Kopf. „Du wirst dich erkälten.“ Makoto lächelte nur. „Das ist okay. Ich hab ein warmes Bett und heiße Suppe, um wieder gesund zu werden. Die Kätzchen hier werden besser gar nicht erst krank.“   Als sie zur Grundschule losgingen, ließ Makoto seinen Schirm zurück, irgendwie im Gebüsch befestigt, dass er die Kätzchen schützen würde. Obwohl er tropfendnass war, nahm Haruka ihn trotzdem mit unter seinen Schirm.   Am Nachmittag hatte es aufgehört zu regnen. Die Kätzchen waren trocken. Ihr Miauen klang dankbar. So dankbar ein paar Katzen eben sein konnten. Makoto nahm seinen Schirm wieder mit. Am nächsten Morgen war er nicht da, als Haruka die Steintreppen herunterkam. Er war krank. Haruka hatte es genau gewusst.   Bevor er allein weiter zur Schule ging brachte er Makoto eine große Pappschachtel voll Papierkraniche, die er wortlos auf seinem Bett ausleerte. Makoto lachte, und Makoto hustete, und er versprach, ganz bald wieder gesund zu sein. Und dann lächelte er noch einmal, und Haruka nahm sein Lächeln mit, um sich den Tag über daran zu wärmen.     II   Im ersten Jahr der Mittelschule fand eine Übernachtung im Schulgebäude statt. Makoto hatte gar nicht kommen wollen. Er kannte jede Spukgeschichte, die mit ihrer Schule zu tun hatte – und er glaubte sie alle. Aber Haru war hier. Und er konnte ihn nicht alleine lassen. Wollte er auch gar nicht. Wenn er die Gelegenheit, die ganze Nacht mit  Haru zu tuscheln, gegen ein paar Geister aufwog, dann wusste er schnell, was ihm wichtiger war. Zumindest solange, bis die Lichter ausgingen und sie in ihren Schlafsäcken lagen. Draußen war es windig, Zweige eines Baums klatschten gegen die Fenster, und das alte Gebäude knarzte und knackte. Makoto überstand fünf Minuten der Dunkelheit, dann vergrub er sich in seinem Schlafsack, klammerte sich verzweifelt an den Plüschdelfin, den Haru ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Ein besonders lauter Ast, der gegen das Fenster schlug, ließ  ihn einen Schrei in seinem Delfin ersticken.   Als sein Schlafsack sich bewegte, war er sich schon ganz sicher, dass er sterben musste. Dass da irgendein schrecklicher Geist zu ihm kroch und ihn zu Tode erschrecken würde – und dann spürte er Harus Hände auf den Schultern, und es mussten Harus Hände sein, denn er wusste viel zu genau, wie die sich anfühlten. Haru sagte nichts, aber Makoto hörte es auch so – Ich bin da.   Er schlief die ganze Nacht durch, und als er am Morgen aufwachte, war das erste, das er sah, Harus Gesicht und sein schlafzerzaustes Haar, das in allen Richtungen zu Berge stand.   Wann immer er nachts nicht schlafen konnte, war es dieses Bild, das ihm ein bisschen seinen Seelenfrieden zurückgeben konnte.     III   Das erste Mal, dass Haruka einen Liebesbrief bekam, warf er ihn einfach ungelesen weg. Das erste Mal, dass Makoto einen Liebesbrief bekam, warf Haruka ihn ungelesen weg, noch ehe sein Freund ihn sah. Haruka kannte seinen Freund; egal, ob Makoto die Gefühle dieses Mädchens erwidern würde oder nicht, er würde sich einen unglaublichen Umstand daraus machen, ihren Liebesbrief irgendwie zu beantworten, würde seine Zeit und Emotionen auf jemanden aufwenden, der sogar zu feige war, ihm ins Gesicht zu sagen, dass er ihn mochte. Haruka wollte das nicht. So ein Mädchen hatte Makoto gar nicht erst verdient.   Das erste Mal, dass ein Mädchen Haruka „Ich mag dich“ ins Gesicht sagte, drehte er sich einfach um und ging. Das erste Mal, dass ein Mädchen Makoto „Ich mag dich“ ins Gesicht sagte, sah er für einen Moment so aus, als wolle er in Tränen ausbrechen vor Mitleid, und dann lächelte er dieses typische, schmerzliche Lächeln, und erklärte, dass er bereits jemanden habe, dem sein Herz gehörte.   Das erste Mal, dass Haruka „Ich mag dich“ sagte, strahlte Makoto heller als die Sonne, und seine Antwort war ein Kuss.     IV   Es war nicht nur Routine, es war ein Ritual. Wann immer Haru die Tür nicht öffnete, war er in der Badewanne. Makoto würde sich einfach selbst hereinlassen, zu Harus Bad gehen, den Duschvorhang wegziehen und da würde sein Freund sitzen, mit nichts als seinen Schwimmhosen bekleidet und ihn ansehen, als hätte er ihm gerade irgendetwas furchtbar schönes kaputt gemacht – sein friedliches Date mit der Badewanne. Trotzdem konnte Makoto an diesem Tag nicht verhindern, dass ihn leichte Panik überkam, als Haru natürlich wieder nicht reagierte. Als sein Zimmer völlig unberührt war, der Anzug noch in der Schutzhülle der Reinigung am Schrank hing. Rin stand neben ihm, und er lachte, es klang amüsiert, aber man hörte angespannte Nerven dabei heraus. Zum Glück fragte gerade niemand Makoto nach seinen Nerven! „Ernsthaft? Dieser Kerl ist unverbesserlich.“ Makoto kicherte schwach, überfordert. „Ich geh ihn holen. Könntest du…?“ – „Ja ja, der große Rin-Sama kümmert sich um alles. Schon klar.“   Haru war natürlich in der Badewanne, völlig unter Wasser, als Makoto eintrat, und erst nach einer gefühlten Ewigkeit hob er den Kopf aus dem Wasser und sah Makoto unergründlich aus tiefblauen Augen an. Die absolute Ruhe und Gelassenheit in Harus Blick spülte über Makoto hinweg wie ein warmer Sommerschauer, und jede Nervosität, die ihn gerade noch in Panik versetzt hatte, verschwand unter einem warmen Gefühl der Zuversicht. „Es wird Zeit, Haru-Chan“, mahnte er sanft, während er seinem Freund die Hand entgegenstreckte. Haru schnaubte unfein durch die Nase, die Augenbrauen missbilligend zusammengezogen. „Ich habe dir gesagt, du sollst das –Chan steckenlassen.“ Makotos Hand ergriff er trotzdem, und das allein war Makoto genug.   Er strahlte immer noch, als er mit einem inzwischen abgetrockneten Haru den Raum verließ. Rin erwartete sie grinsend im Flur.   „Yo Haru. Ich hab dir Unterwäsche rausgelegt – oder willst du wirklich in Schwimmshorts heiraten?“     V   „Er tut es immer noch.“ „Eh?“ Makoto sah verdutzt zu Rin hinüber, der ihm gegenüber an dem kleinen Tisch vor dem Strandcafé saß. Er sah älter aus als das letzte Mal, das sie sich gesehen hatten, aber entspannt. Dass Sousuke wieder bei ihm war, tat ihm sichtbar gut. Makotos Blick auffangend sah er auf, entblößte grinsend seine spitzen Zähne. „Er geht immer noch zwischen dir und dem Meer. Hast du mir nicht gemailt, du hast es überwunden? Schon vor ewig?“ – „Doch… schon.“ Nachdenklich sah er hinüber zum Strand, zum Meer, das sich in sanften Wellen im Sand brach. Wo er darüber nachdachte, stimmte es. Haru war immer wie eine unverwüstliche Trennwand zwischen ihm und dem Meer, ein Schutzschild, den er nie wahrgenommen, aber lange Zeit wohl wirklich gebraucht hatte. Makoto schüttelte den Kopf, lächelte zufrieden. „Es ist gut so. Haru mag das Meer ohnehin so gern.“ Rin schüttelte den Kopf, doch er grinste, als er sich theatralisch an die Stirn fasste. „Verliebter Vollidiot.“   Beim nächsten Strandspaziergang zog Makoto die Schuhe aus, lief direkt in den letzten Ausläufern der Wellen, die ans Ufer plätscherten. Haru lief ganz automatisch zwischen ihm und dem Meer, bis über die Knöchel im Wasser, und er lächelte heimlich, während die Schuhe von seinen Fingern baumelten und der salzige Wind ihm das Haar zerzauste.     VI   Die ersten Worte, die Haruka sagte, als Makoto endlich aufwachte, waren „Ich höre auf“. Makotos Blick war desorientiert, getrübt durch die Narkose, der er ausgesetzt gewesen war, getrübt durch die schwere Operation, die er hinter sich hatte. Einige Minuten starrte er einfach nur, blinzelnd, nicht verstehend. Dann öffnete er den Mund. „…was?“ „Ich höre auf.“ Jedes Wort tat Haruka weh, zerriss sein Herz, doch er konnte nicht anders. Er war bei einem Turnier gewesen. Makoto auf dem Weg zu ihm. Hätte er sich nicht beeilen müssen, um rechtzeitig zu kommen, wäre das alles nicht passiert. Dann wäre er nicht zu genau diesem Zeitpunkt an genau dieser Kreuzung gewesen, an der dieser Kleinwagen um die Ecke gerast kam, ohne ordentlich auf den Verkehr zu achten, auf die Ampel, die Rot war – grün für die Fußgänger, die arglos hinüberliefen. Makoto sah aus, als hätte man ihn geschlagen – und das lag nicht an den Schürfwunden im Gesicht. „Haru-“ Ihm fehlten die Worte. Haruka sah, was er sagen wollte – Du bist nicht schuld. Tu es nicht. Ich will, dass du schwimmst. Ich liebe den Anblick. Deine Freiheit.   Es wäre so einfach gewesen, einzuknicken.   Aber Haruka tat es nicht.     VII   Der kleine, verfilzte Straßenhund, den sie in der Nähe des Strands fanden, eingekauert, zitternd, war das erste Haustier, das Makoto neben seinen Goldfischen tatsächlich behalten konnte. Ohne allergische Mutter gab es schließlich keinen Grund mehr, der dagegen sprach. Haru taufte ihn Makrele, ehe Makoto etwas dagegen hätte tun können. Aber er wollte es auch nicht. Solange Haru glücklich war, war er es auch, und seit Haru das Schwimmen aufgehört hatte, hatte Makoto ohnehin das Gefühl, er müsse das irgendwie ausgleichen. Immerhin war es seine Schuld.   Makrele brachte frischen Wind in den Alltag, und noch ein bisschen mehr Sonnenschein. Ausreden, öfter am Strand spazieren zu gehen, bei Tag und bei Nacht, und seinem Namen alle Ehren machend liebte er Wasser über alles. Wenn er irgendwo eine Pfütze sah, sprang er hinein, wälzte sich darin. War er am Strand, lief er sofort auf das Meer zu und ließ sich von den Wellen umspülen. Haru ging auffällig oft freiwillig mit ihm Gassi. Makoto war froh darum.   Sie schwammen nicht, aber so langsam begann das Wasser, den Weg in ihr Leben zurück zu finden.      VIII   Ihre Namen waren Yuzu und Suzu. Zwillingsjungs, und der Weg bis zur Adoption war so steinig und lang gewesen, dass Haruka zwischendrin öfter viel zu gern alles hingeschmissen hätte. Er hatte es nicht getan. Es hatte sich gelohnt. Die beiden waren zwei Jahre alt, als sie zu ihnen kamen, aufgeweckt und clever. Eineiige Zwillinge mit walnussbraunem Haar und klugen, tiefblauen Augen. Sie waren nicht zu unterscheiden, bis auf die leichten Sprenkel an Sommersprossen auf Yuzus Nase.   Makoto war ein wunderbarer Vater, fand Haruka.   Die Kinder füllten die Lücke fast endgültig aus, die schon Makrele zu stopfen begonnen hatte. Die Sehnsucht nach dem Schwimmen war nur noch ein leises Rauschen im Hintergrund, wie das Meer, das in ihrem Alltag so allzeit präsent war. Ein Hintergrundgeräusch, das kaum mehr der Aufmerksamkeit wert war. Es wurde besser. Haruka bereute nicht, das Schwimmen aufgegeben zu haben. Er wusste, dass es besser so war. Er bereute nur, dass Makoto es nicht sah. Er sah die sehnsüchtigen, die traurigen Blicke, mit denen Makoto manchmal in die Ferne sah, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Er konnte seine Gedanken förmlich hören. Er war froh, dass Makoto es nie aussprach. „Lass uns schwimmen gehen.“ Er war froh, dass Makoto seine Entscheidung respektierte. Es war leichter, solange es stumm blieb, die Möglichkeiten, das Verlangen. Alles.   Haruka wusste nicht, ob er die Kraft hätte, nein zu sagen.     IX   Yuzu und Suzu waren vier, als Makoto sie zum ersten Mal mit zum Schwimmen nahm. Haru hatte gar nicht dabei sein wollen, und es kostete ihn unbändige Überzeugungskraft, bis er schließlich doch einwilligte und mitkam – dass seine Söhne den schlimmsten Bettelblick der Welt beherrschten, half aber auch sehr gut.   Sie schlugen völlig nach Haru, was ihre Liebe zum Wasser anging. Zuerst zögerten sie zwar noch, doch einmal im Nichtschwimmerbecken, konnten keine drei Teufel sie mehr da herausholen. Es war das erste Mal seit Jahren, dass Makoto ein Schwimmbad betrat. Er war völlig außer Form, das merkte er schnell. Aber es reichte, um seine Kinder zu beeindrucken, um sie zum Schwimmenlernen zu motivieren. Haru schwamm nicht. Aber er begleitete sie ins Wasser, beaufsichtigte die Übungen der beiden Kleinen. Für Makoto war das genug. Fürs erste. Er sah es in Harus Augen. Das Glück, im Wasser zu sein. Frei zu sein. Es kam zurück. Makoto wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es bleiben würde.     X   Das Schwimmbad war verlockend. Die vertrauten Bahnen, die Startblöcke, alles war, wie Haruka es in Erinnerung hatte. Er ertappte sich dabei, wie sein Blick zum Schwimmerbecken hinüberwanderte, wann immer Makoto gerade die Herrschaft über die Schwimmübungen der beiden Jungs übernommen hatte. Er ertappte Makoto dabei, wie der ihn ertappte.   Er vermisste das Schwimmen.   Die Nachrichten von Rin und Sousuke und ihrer Schwimmerkarriere machten es nicht besser. Haruka hatte nie professionell schwimmen wollen, aber er hatte schwimmen wollen. Er konnte nicht. Makotos blasses Gesicht auf dem Krankenbett, die Schläuche in seinem Arm, das Bild verfolgte ihn immer noch wie ein Albtraum, egal, wie oft Makoto ihm stumm zu verstehen gab, dass ihn keine Schuld traf. Dass es okay war. Dass er schwimmen durfte.   Er bereute nicht, aufgehört zu haben. Wirklich nicht. Aber so langsam stellte sich bei ihm das Gefühl ein, dass er es bereute, nicht wieder anzufangen.     XI   Makoto wusste, dass es gemein war, noch ehe er mit Rin darüber sprach. Der Rotschopf sah ihn ernst an, die Stirn gerunzelt. Sah vermutlich das Schuldbewusstsein in Makotos Blick noch besser, als der es spürte. „Du bist dir sicher?“ Makoto holte tief Luft. Nickte. „Ja.“   Eigentlich hätte es nur ein kleines Klassentreffen werden sollen – aber irgendwie schien die halbe Stadt da zu sein. Das ehemalige Team Iwatobi, das ehemalige Team Samezuka, eine große, nicht wirklich feste Clique, die einander auch nach all den Jahren noch viel zu gut kannte. Sie waren erwachsen geworden. Einige hatten Kinder mitgebracht. Rin hatte eine kleine Tochter im Alter der Zwillinge. Kou, zu Ehren ihrer Tante, war ein aufgewecktes, ungestümes Mädchen, das viel zu viele Flausen im Kopf hatte. Und sie brauchte keine fünf Minuten, um dem inzwischen sechsjährigen Yuzu völlig den Kopf zu verdrehen. Makoto fand es wahnsinnig liebenswert. Haru ging in Beschützerhaltung. Makoto fand das noch viel liebenswerter.   Es war schon abends, als der alte Coach Sasabe ihnen anbot, einen Abstecher zur Schwimmhalle zu machen. Fast alle waren sie außer Form. Außer Rin und Sousuke, natürlich, aber davon ab hatte niemand eine Profikarriere angestrebt. Selbst Seijuurou und Momotarou, die beide inzwischen Trainer kleiner Schwimmclubs waren, waren lange nicht mehr so gut in Form wie zu Schulzeiten. Trotzdem zog es sie alle ins Wasser. Makoto empfand einen wehmütigen Stich, als er sah, dass Rei in der Zeit, die sie sich nicht gesehen hatten, ernsthaft schwimmen über den Schmetterlingsstil hinaus gelernt hatte. Sie hatten viel voneinander verpasst.   Umso schöner war es, dass sie nun wieder zusammen waren.   Es vergingen Stunden, die sie dort in der Halle blieben. Die Gruppe zerstreute sich. Am Ende waren nur noch Haru, Rin, Sousuke und Makoto da – zusammen mit den Kindern, die immer noch nicht so recht schlafen wollten. Yuzu und Kou hatten sich zum Wettschwimmen eingefunden, waren nach zwei Runden aber schon so erschöpft, dass sie jetzt auf einem Liegestuhl lümmelten, während Suzu, der so langsam zum kleinen Streber avancierte, lieber die Nase in einem Buch übers olympische Schwimmen vergrub. Er verstand den Großteil nicht. Ein Glück, dass Onkel Sousuke sich seiner schließlich angenommen hatte.   „He, Haru.“ Rins Stimme hallte in der leeren Halle gespenstisch von den Wänden wider. Er grinste, aber Makoto sah die leichte Spur von Unsicherheit in der Art, wie er die Zähne dabei bleckte. Haru sah auf. Er saß auf einem der Startblöcke am Beckenrand, bisher hatte er nur zugesehen, wie Rin und Makoto ein paar Runden gedreht hatten. „Wie wäre es? Du, ich? Um der alten Zeiten willen? Nur eine Runde? So wie früher.“ Harus Blick erstarrte, Makotos Magen krampfte. Er wollte den Mund aufmachen, etwas sagen, aber es kam kein Laut heraus.   „Papa, mach! Wir haben dich noch nie schwimmen gesehen! Bitte!“ Yuzu übernahm das Reden, und Makoto fühlte sich beinahe noch schlechter davon. Haru, genauso wie er selbst, konnte seinen Kindern nie einen Wunsch abschlagen. Harus Blick traf ihn, eine Mischung aus Vorwurf und versteckter Hoffnung, eine ungestellte Frage, die all die Jahre im Raum gestanden hatte zwischen ihnen. Makoto hatte nie gewagt, sie zu beantworten. Es wurde Zeit.   „Bitte, Haru. Ich möchte es sehen.“   Während Rin und Haru sich auf den Startblöcken positionierten – Haru wirkte unnatürlich verkrampft, so ganz untypisch für ihn –, machten sich die drei Kinder am Beckenrand breit, neugierig auf das Wettschwimmen. Natürlich war klar, dass Rin gewinnen würde, aber Yuzu und Suzu hielten mit einer geradezu herzzerreißend niedlichen Loyalität zu ihrem Vater. „Los, Papa! Du schaffst das! Du gewinnst!“ Sousuke, der den Schiedsrichter machte, rief schließlich zur Ruhe.   Mit dem Countdown entspannte Haru sich. Fiel zurück in alte Muster, vertraute Muster, und Makoto wurde ganz warm ums Herz, während er zusah. Sie tauchten ins Wasser ein. Rin mit der Präzision jahrzehntelangen Trainings, Haru hatte die Routine längst verloren – doch die selbstverständliche Eleganz, mit der er sich bewegte, war geblieben. Nach wenigen Sekunden war der Ausgang des Rennens klar, doch Makoto verfolgte es trotzdem atemlos, verfolgte Harus Kampf, seinen unbändigen Stolz, der ihn dazu zwang, nicht aufzugeben, weiterzukämpfen. Er sah in jeder Bewegung, was in Haru vor sich ging – der Drang, zu gewinnen. Besser zu werden, besser zu sein. Er sah Haru vor sich, sein zukünftiges Training, sah schon das nächste Rennen gegen Rin. Sah den Ausgang, der mindestens ein Unentschieden sein würde. Er kannte Haru doch.   Und dann war es vorbei. Wasser spritzte auf, als Harus Oberkörper aus dem Wasser stob. Makoto hatte völlig unbewusst die Hand nach ihm ausgestreckt. Haru sah ihn an, den leichten Hauch eines Lächelns im Mundwinkel, das Haar klebte nass in seinem Gesicht, seine Augen glühten von der Leidenschaft, die nur das Schwimmen in ihm wecken konnte. Als Haru seine Hand ergriff, war Makoto sich absolut sicher, niemals einen schönen Anblick gesehen zu haben.   „Beim nächsten Mal gewinnst du, Haru-Chan.“     XII   Makoto war noch da. Er fiel nicht auf magische Weise tot um, weil Haruka geschwommen war. Rin klopfte ihm auf die Schultern, kumpelhaft, anerkennend – „Das war gut, Mann! Du hast so lange nichts getan und trotzdem sinkst du nicht wie ein Stein. Wenn Sousuke nur eine Woche nicht trainiert, erinnert sein Schwimmstil eher an einen Sack Reis, aber du?“ – „Hey!“ Sousuke protestierte lachend. Die Kinder lachten, Suzu hing an seiner Hüfte. „Das war toll, Papa! Das müsst ihr bald wieder machen! Wir wollen das nochmal sehen!“   Es dauerte Minuten, das aufgepeitschte Gewühl zu zerstreuen. Schließlich aber waren die Kinder samt Sousuke auf dem Weg zur Umkleide, während Makoto, Rin und Haruka noch die Halle aufräumten. Es dauerte allerdings nicht lange, bis alle Wasserspielzeuge und Liegestühle wieder an ihrem Platz waren. „Haru.“ Es war Rin. Er stand am Beckenrand, grinsend, strotzend vor Selbstbewusstsein. Als Haru zu ihm trat, streckte er ihm eine Hand entgegen. „Nächstes Mal“, begann er.   „Zeigen wir ihnen einen Anblick, den sie niemals vergessen werden.“   Harukas Blick flackerte zu Makoto hinüber. Er war da. Schweigend, lächelnd, vertraut. Wie immer. Stille Zustimmung und Zuversicht ausstrahlend. Er nickte, kaum merklich. Eigentlich hätte Haruka es nicht einmal gebraucht. Aber es tat gut. Entschlossen ergriff er Rins Hand, das selbstbewusste Grinsen des Anderen zumindest im Ansatz imitierend.   „Ja.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)