For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 35: Dorian ------------------ Dorian saß mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Bett und starrte ins Leere. Die Sonne berührte mittlerweile den Horizont und würde bald hinter ihm versunken sein. Ihm blieb noch eine knappe halbe Stunde bis zu seinem Treffen mit Cullen. Doch nach der anfänglichen Aufregung fühlte er sich mit einem Mal seltsam antriebslos. Cullen Rutherford, Kommandant der Armee, und einer der mächtigsten Männer der Inquisition, hatte ihm den Hof gemacht und klargestellt, dass er ihn als festen Partner an seiner Seite wünschte. Und Dorian hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Geschweige denn, ob er überhaupt bereit dafür war. Dorian hatte noch nie einen festen Partner gehabt. Er war sich nicht einmal sicher, ob er jemals mit der gleichen Person mehr als einmal geschlafen hatte. Seine bisherigen Erfahrungen mit Beziehungen beschränkten sich auf meist spontane, nie länger als eine Nacht andauernde Affären, an die Dorian anschließend nie wieder einen Gedanken verschwendet hatte – bis sein Blick auf den nächsten jungen Mann fiel, der sich nicht scheute, sein anzügliches Lächeln zu erwidern. Cullen fiel so völlig aus dem Rahmen dessen, was Dorian gewohnt war, dass er zum ersten Mal in seinem Leben nicht weiterwusste. Nie hatte er sich mehr nach Felix' Rat und Beistand gesehnt. Doch Felix Alexius war nicht hier, war vermutlich längst nicht mehr am Leben. Dorian war einmal mehr auf sich allein gestellt. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn vor Überraschung zusammenzucken und für einen Moment dachte Dorian, er hätte mit seinen schwermütigen Gedanken Felix' Geist heraufbeschworen. Doch dann hörte er eine tiefe Stimme, und er wusste, dass es nicht die Gespenster seiner Vergangenheit waren. „Dorian! Hey, Dorian! Ich weiß, dass Ihr da seid. Darf ich hereinkommen?“ Dorian seufzte. Ihm war gerade nicht besonders nach Gesellschaft zumute, aber wenn er nicht endlich etwas tat, dann würde er noch morgen hier sitzen. Und er schätzte den Eisernen Bullen als Freund zu sehr, um ihn abzuweisen. „Tretet ein“, erwiderte er nach einigem Zögern. Die Tür öffnete sich und der Qunari betrat den Raum. Er hob eine Augenbraue, als er Dorian halb bekleidet auf dem Bett sitzen sah. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er. Dorian stand auf und streifte die dunkelblaue Robe über, die er für diesen Abend ausgewählt hatte. „Alles bestens“, erwiderte er gespielt fröhlich und schenkte dem anderen ein flüchtiges Lächeln. „Ihr seid ein grauenhafter Lügner.“ Der Eiserne Bulle schüttelte den Kopf, doch er hakte nicht weiter nach. Während Dorian sich vor seinen Spiegel stellte und nach einem Kohlstift griff, ließ sich der Qunari auf dem schmalen Bett nieder, das protestierend unter seinem Gewicht ächzte. „Was führt Euch in mein bescheidenes Heim?“, fragte Dorian spöttisch, während er damit begann, seine Augen schwarz zu umranden. „Brauche ich etwa einen Grund?“, entgegnete der Eiserne Bulle gelassen. „Ich wollte nur mal schauen, wie es meinem liebsten Vint geht.“ „Pff“, machte Dorian. „Seit wann stehe ich an erster Stelle?“ „Seitdem Krem mich beim Kartenspiel abgezockt hat. Das hat meinem zarten Selbstbewusstsein schwer zugesetzt.“ Jetzt konnte sich Dorian ein Grinsen nicht verkneifen. „... sicher doch.“ „Oh ja“, nickte der Eiserne Bulle. „Es gibt mindestens fünf Leute, die meine Tränen an dem Abend gesehen haben und meine Worte bestätigen können.“ „Und wie viele davon waren zu dem betreffenden Zeitpunkt nüchtern?“ „Zweifelt Ihr etwa an meiner Ehre, Serah?“, fragte der Qunari mit gespielter Entrüstung. „Niemals.“ Dorian rümpfte pikiert die Nase. Dann fügte er hinzu: „Nur an dem Wahrheitsgehalt Eurer Aussage.“ „Ohh, Ihr trefft mich schwer“, meinte der andere und legte sich theatralisch eine Hand auf das Herz. Dorian lächelte nur. „Aber im Ernst... was tut Ihr hier?“, fragte er nach einem Moment der Stille und legte den Kohlstift wieder beiseite, bevor er nach dem Fläschchen mit wohlriechendem Öl griff, das auf dem Tisch stand. Er gab ein paar Tropfen auf seine Finger und glättete damit die Enden seines Schnurrbarts, bevor er eine etwas großzügigere Portion zwischen seinen Händen verrieb und mit den Fingern durch sein Haar fuhr, um es zu bändigen. Es war in den letzten Wochen wieder länger geworden und musste dringend wieder geschnitten werden. Vielleicht sollte er Helisma bitten, es zu tun, so wie auch die letzten paar Male... die gebrandmarkte junge Frau hatte ruhige Hände und ein gutes Auge für Details. „Die Frage könnte ich an Euch zurückgeben“, entgegnete der Qunari. „Was habt Ihr vor...?“ Dorian lachte auf. „Oh, wie gerne Ihr das wohl wissen wollt...“ Plötzlich stand der Qunari auf und trat so dicht hinter Dorian, dass dieser den Atem des anderen im Nacken spüren konnte. Dorian warf dem Eisernen Bullen im Spiegel einen genervten Blick zu. Dann drehte er sich um – und machte fluchend einen Schritt rückwärts gegen die Schranktür, als der andere noch einen kleinen Schritt nähertrat. „Was soll das werden?“, fragte Dorian hitzig, der sich in die Enge gedrängt fühlte. Im Gegensatz zu all den anderen Malen, die der Qunari ihm so nahe gewesen war, empfand er sein Verhalten gerade als aufdringlich und unangenehm, und er hoffte, dass sein wütender Blick ausreichte, um ihn wieder auf Abstand gehen zu lassen. Doch der Eiserne Bulle schien gänzlich unbeeindruckt von seinem Zorn. „Ihr seht atemberaubend aus“, murmelte und lehnte sich vor. Sein warmer Atem geisterte über Dorians Lippen. Doch Dorian drehte nur das Gesicht zur Seite „Seid Ihr endlich fertig...?“, fragte er leise und versuchte dem Drang zu widerstehen, dem anderen die Hose anzuzünden. „... mh“, machte der Qunari nur, doch ein kleines Lächeln spielte dabei um seine Lippen. Dann zog er sich ebenso plötzlich wieder zurück, wie er an ihn herangetreten war. Dorian blinzelte. Er war noch immer wütend auf den anderen, doch er war mindestens ebenso verwirrt von seinem rätselhaften Verhalten. „Was sollte das eben?“, fragte er. Der Eiserne Bulle winkte jedoch nur ab. „Seid Ihr fertig?“, entgegnete er stattdessen. „Gut. Dann lasst uns gehen.“ „Gehen?“ Dorian starrte ihn überrascht an. „Wohin?“ Der andere verschränkte amüsiert die Arme vor der Brust. „Zu Eurem Treffen mit dem Kommandanten, wohin sonst?“ Dorian starrte ihn einen Moment lang mit offenem Mund an. „Moment...“, stieß er schließlich fassungslos hervor. „Er hat Euch geschickt, um mich abzuholen?“ „Ich weiß“, meinte der andere grinsend. „So viel Unverfrorenheit hätte ich ihm auch nicht zugetraut. Ich vermute, er wollte die Konkurrenz wieder an ihren Platz erinnern...“ Bei der Bemerkung hätte Dorian fast gelacht. Aber nur fast. „Dann war das eben... was?“, fragte er stattdessen. „Ein Test? Um herauszufinden, ob Ihr mich nicht doch noch herumkriegen könnt?“ Der Qunari zuckte nur mit den Schultern. „Vielleicht.“ Dorian Augen verengten sich. „Sagt nicht, dass das Cullens Idee war...“ „Keine Sorge.“ Der Eiserne Bulle schüttelte den Kopf. „Sie ist allein auf meinem Mist gewachsen.“ „Pah!“ Dorian schnaubte. „Ihr seid einfach... Ihr seid unmöglich! Nächstes Mal werde ich Eure Hose anzünden, das ist ein Versprechen!“ Dann drehte er sich auf dem Absatz herum und ging an dem Hünen vorbei zur Tür. „Kommt Ihr nun oder nicht?“ Der andere lachte nur und folgte Dorian hinaus in den Gang.   Dorian betrat den Garten allein. Der Qunari hatte ihn nur bis zur Türschwelle gebracht und ihm ein letztes Mal ermutigend auf die Schulter geklopft, bevor er wieder gegangen war. Die Glocke der Kapelle läutete, das Signal, dass die Messe vorüber war. Dorian ließ sich auf einer der Steinbänke im Garten nieder und wartete, bis sich die Tür öffnete und die Gläubigen die Kirche verließen. Allein oder in kleinen Gruppen gingen sie an ihm vorbei, ohne ihm viel Beachtung zu schenken, und je mehr Zeit verstrich, desto schneller begann sein Herz vor Aufregung zu klopfen. Schließlich kam Cullen endlich in Sicht, gefolgt von Mutter Giselle. Sie führten eine leise Unterhaltung, deren Worte Dorian nicht verstehen konnte, bevor Cullen sich knapp vor der Geistlichen verbeugte und abwandte. Sein Blick schweifte über den Garten und erhellte sich, als er Dorian entdeckte. Mit einem Lächeln, das ein seltsames Flattern in Dorians Brust verursachte, kam Cullen auf ihn zu. Dorian erwiderte das Lächeln zaghaft und erhob sich. Für einen Moment dachte er, dass der andere Mann ihn vor allen Augen küssen würde, doch dann schien Cullen im letzten Moment bewusst zu werden, wo sie waren, und so griff er stattdessen nach Dorians Händen und drückte sie warm. „Danke, dass Ihr gekommen seid“, sagte er leise. Er musterte Dorian von oben bis unten, und eine leichte Röte legte sich auf seine Wangen. „Ihr seht fantastisch aus.“ Dorians Mundwinkel hoben sich weiter. Plötzlich fühlte er sich wieder in seinem Element. „Ihr seid auch nicht zu verachten“, entgegnete er lächelnd. Und es stimmte. Cullen hatte seine Rüstung abgelegt und trug stattdessen ein weißes Hemd und darüber eine dunkelbraune Lederweste mit goldenen Knöpfen, die seine kräftigen Schultern und schmalen Hüften betonte. Dorian hatte Cullen immer für einen ansehnlichen Mann gehalten, doch jetzt wurde ihm zum ersten Mal bewusst, wie attraktiv der andere tatsächlich war. Und er wünschte sich für einen Moment nichts mehr, als mit ihm allein zu sein und ihn berühren zu können... Doch das war nicht das, was Cullen von ihm wollte. Jedenfalls nicht an diesem Abend. Während Dorian bedauernd aufseufzte, legte Cullen eine Hand auf seinen Arm. „Kommt“, sagte er und Dorian folgte ihm. Cullen führte ihn zu dem kleinen Pavillon im hinteren Teil des Gartens. Gusseiserne Laternen waren auf steinernen Sockeln am Rande des Pavillons platziert worden und verströmten ein warmes Licht in der Dämmerung. Im Zentrum standen ein runder Tisch und zwei Stühle, auf denen dunkle Kissen aus Samt lagen. Dorians Augen weiteten sich, als er das Festmahl sah, das auf dem Tisch ausgebreitet war. Schüsseln mit frischem Obst und heißen Kartoffeln, Fladenbrot, saftigem Rostbraten, Wurzelgemüse und Pilzen, sowie eine Flaschen dunklen Weins, die sehr alt und sehr kostbar aussah. Für einen Moment war Dorian so überwältigt, dass ihm die Worte fehlten. Erst nachdem Cullen und er Platz genommen hatten, fand er seine Sprache wieder. „Ich sehe, Ihr habt keine Kosten und Mühen gescheut“, stellte er fest. Cullen räusperte sich. „Wenn ich erst einmal ein Ziel vor Augen habe, kann ich sehr... beharrlich sein“, meinte er, und obwohl ihm dabei einmal mehr die Röte in die Wangen stieg, erwiderte er entschlossen Dorians Blick. Interessant, dachte Dorian. Es schien, als hätte er Cullen einmal mehr unterschätzt. „Ja“, entgegnete er und schmunzelte. „Das ist mir aufgefallen.“ Cullen lachte leise. Dann begannen sie zu essen. Dorian merkte erst jetzt, wie hungrig er war und wie wenig er den Tag über gegessen hatte, und er musste sich zusammenreißen, um nicht alles nur hinunterzuschlingen. Er sah Cullen aus den Augenwinkeln lächeln, sein Appetit schien nicht unbemerkt zu bleiben. Der Wein war vorzüglich und Dorian fragte sich, wen der andere bestochen haben musste, um an eine Flasche davon zu kommen. Als Dorian jedoch Anstalten machte, ihm auch etwas davon in den Kelch zu gießen, schüttelte Cullen nur den Kopf. Dorian erinnerte sich plötzlich daran, dass der Mann einmal erwähnt hatte, dass er keinen Alkohol trank, und so zuckte er nur mit den Schultern und stellte die Flasche wieder auf den Tisch. Nachdem sie beide schließlich gesättigt waren, lehnte Dorian sich mit einem wohligen Seufzen auf seinem Stuhl zurück. „Das war eine angenehme Überraschung“, sagte er und schenkte Cullen ein Lächeln. „Ich danke Euch.“ Cullen nickte nur. „Mit vollem Magen lässt es sich besser denken“, meinte er und verwies auf das Schachspiel, das am Rande des Tischs aufgebaut war. Dorian lachte auf. „Das ist allerdings wahr“, erwiderte er. Fast hätte er den ursprünglichen Grund ihres Treffens vergessen. Er schlug die Beine übereinander und warf Cullen über den Rand seines Weinkelches hinweg einen herausfordernden Blick zu. „Seid Ihr bereit für Eure Niederlage?“, fragte er leise. Ein Funkeln trat in Cullens Augen. „Wir werden sehen“, entgegnete er ebenso leise, und Dorian lief ein angenehmer Schauer über den Rücken. Dies versprach ein interessanter Abend zu werden...   Zwei Stunden später beschlossen sie, das Spiel mit unentschiedenem Ausgang zu beenden. Dorian hatte in der Tat die erste Partie gewonnen, während Cullen ihn in der zweiten Partie geschlagen hatte. Die Kerzen waren mittlerweile heruntergebrannt und es war zu spät, um eine dritte Partie zu beginnen, weshalb sie beschlossen, die Entscheidung über den Sieg auf ihr nächstes Treffen zu verlagern. „Danke für die Einladung“, sagte Dorian, als sie sich erhoben. „Ihr seid ein würdiger Gegner.“ „Und Ihr ein exzellenter Schummler.“ Cullen lächelte. „Auch wenn Ihr nicht halb so unauffällig schummelt, wir Ihr glaubt.“ „Ich? Schummeln? Niemals!“ Dorian machte eine gekränkte Miene, woraufhin Cullen lachen musste. „Wie Ihr meint“, erwiderte er. Dann ergriff er Dorians Hand. „Danke für diese Chance“, sagte er leise. Sie waren nun völlig allein im Garten, und nur aus der Richtung der großen Halle drang noch das schwache Echo von Stimmen zu ihnen hinüber. Bevor Dorian sich versah, hatte der andere ihn an sich gezogen. Für eine Sekunde war Dorian wie erstarrt, dann schloss er die Augen und legte den Kopf auf Cullens Schulter. Eine Weile verharrten sie so und Dorian lauschte dem Rascheln der Blätter in den Bäumen über ihnen. Dann hob er wieder den Kopf, einem plötzlichen Impuls folgend, und in der Dunkelheit fanden seine Lippen die von Cullen. Sie küssten sich in den Schatten unter dem Dach des Pavillons, verborgen vor den Augen der Welt. Dorian hätte für alle Ewigkeit dort verharren können. Doch schließlich löste sich Cullen wieder von ihm, hielt ihn dabei aber weiterhin in den Armen. „... Ihr wisst, dass Ihr jederzeit mehr haben könnt“, murmelte Dorian. „Mm-hm“, machte Cullen nur und küsste ihn auf die Wange. Dorian spürte, dass er lächelte. Bastard. „Geduld, Dorian“, sagte der andere dann und ließ ihn wieder los. „Wir haben Zeit.“ „Ich sehe, Ihr seid wirklich nicht zu erweichen“, entgegnete Dorian resigniert. „Ich weiß nicht, wieso ich all das über mich ergehen lasse...“ „Ich weise Euch nicht ab“, sagte Cullen sanft. „Ich will das hier nur auskosten, solange ich noch kann. Ich... hatte nie die Gelegenheit.“ Dorian seufzte, doch dann lächelte er. „Ich weiß.“ Er gab Cullen einen letzten, flüchtigen Kuss auf die Lippen, dann wandte er sich ab. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Cullen.“ „Und ich Euch“, erwiderte der andere und nickte. Und damit trennten sich ihre Wege. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)