I want you - I get you von Chibi-Neko-Chan (Mirac x Malik (YCLF Extra)) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Ich höre das Türschlagen und zucke zusammen. Ich hebe meinen Blick erst gar nicht, als ich seine schweren Schritte auf mich zukommen höre. "Willkommen zuhause", murmele ich vor mich hin, während ich eine Seite in meinem Buch umschlage und versuche so zu wirken, als würde ich wirklich interessiert lesen. "Gibt's was zu essen?" Mirac sieht sich um, ich blicke auf. "Nein", erwidere ich mit fester Stimme. "Wieso nicht? Verdammt, du sitzt den ganzen Tag nur hier rum, beschlagnahmst meine Wohnung und gehst nicht einmal einkaufen? Wenn ich könnte, dann würde ich dich einfach direkt im hohen Bogen aus dem Fenster treten!", keift er mich gefährlich an. Ja, wenn er könnte. Aber er kann nicht. Denn wir sind zusammen und kaum zu glauben, aber wir lieben uns. Irgendwie jedenfalls. Ich spüre im nächsten Moment einen stechenden Schmerz in meinem Gesicht und streiche mir über mein Auge. Mirac hingegen schüttelt seine Faust, mit welcher er eben zugeschlagen hat und verschwindet in die Küche. "Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen", wirft er mir noch an den Kopf, ehe ich ihn nicht mehr sehen kann. Ich reagiere darauf nicht. Ich bin inzwischen abgestumpft. Wieso habe ich mich nur auf jemanden wie Mirac eingelassen? Langsam erhebe ich mich von dem Sofa, lege mein Buch zur Seite und folge Mirac in die Küche. Als er mich erblickt legt er sein Kühlpack, welches er sich auf die Fingerknöchel gedrückt hat, zur Seite und zieht mich nahe an sich heran. "Ich liebe dich, Malik." Mir geht ein Schauer über den Rücken, als unsere Lippen sich berühren. Da ist die Antwort. Genau solche Momente sind der Grund, weshalb ich mich auf ihn eingelassen und mich in ihn verliebt habe. Und es passierte so schnell, dass ich es damals nicht einmal merkte. Wie ein Windhauch, der einem kurzzeitig die Haare zu Berge stehen lässt, welchen man aber nicht festhalten oder ergreifen kann. Und das ist die reine Folter. Kapitel 1: Mut -------------- Ich glaube ich habe Vincent noch nie so glücklich erlebt. Er schaut zwar immer noch genauso griesgrämig drein wie eh und je, aber seine Augen strahlen eine gewisse Gutmütigkeit aus, wenn Steven bei ihm ist. So etwas habe ich wirklich vorher noch nicht bei ihm gesehen. Aber es freut mich für die beiden. Ich hingegen bin immer noch Single, einsam und werde langsam echt miesepetrig. Da ist es vermutlich auch kein Wunder, dass ich noch keinen Freund gefunden habe. Ich vergraule bestimmt alle mit meiner Ausstrahlung. Ich seufze leise auf und werde kurz darauf an der Schulter angefasst. "Hey Alter, alles ok bei dir?", fragt Vince mich, wobei man die Verärgerung unseres Lehrers direkt im Gesicht ablesen kann. "Ja, kein Ding. Bin nur in Gedanken", winke ich ihn zurück. "Herr Hertel, Herr Torn! Würden Sie beide bitte still sein oder Ihr Gespräch vor der Tür weiterführen?" Wir blicken uns beide an, zucken mit den Schultern, packen unsere Sachen zusammen und gehen aus dem Klassenraum. "Sie haben uns ja die Wahl gelassen", ruft Vince dem Lehrer noch zu und ich muss grinsen. Der Kerl nimmt sich immer ganz schön etwas raus. Aber eigentlich sind seine Noten auch dementsprechend schlecht. Na ja, da muss jeder ja selber seine Prioritäten setzen. Wir verschwinden langsam auf unseren üblichen Platz auf der Wiese und setzen uns, während ich eine Packung Zigaretten hervorhole und mir eine anstecke. Kaum habe ich einen Zug getan, entnimmt mir Vince die Zigarette und behält sie als seine. Ich schüttele leicht gereizt den Kopf und nehme mir eine neue, während Vincent vergeblich versucht, Ringe in die Luft zu blasen. „Also, was hast du für ein Problem?“ Ich sehe Vince schulterzuckend an. „Eigentlich kein wirkliches. Ich beneide euch nur um eure Beziehung.“ Grinsend sehe ich zu ihm, während er nur den Kopf schüttelt. „Du bist ein netter Typ und wirst auch noch die richtige finden!“ Oh, ja richtig. Was ich vergessen habe zu erwähnen, Vince weiß nicht, dass ich schwul bin. Ich wollte es ihm eigentlich auch nicht sagen, weil ich mal auf ihn stand. Aber vielleicht wäre es jetzt der richtige Zeitpunkt? „Den“, erwidere ich. „Was?“ Vince sieht mich fragend an. „Den Richtigen. Nicht die Richtige.“ Ich kratze mich leicht am Hinterkopf. Entgegen all meinen Erfahrungen, fängt Vince plötzlich an, lauthals loszulachen. „Habe es mir eh immer komisch vorgestellt, dich mit einer Frau zu sehen. Dafür bist du gar nicht Manns genug.“ Ich verziehe deutlich mein Gesicht. Wie gerne würde ich ihm jetzt einfach in seine Fresse schlagen. Aber er ist mein bester Freund, daher halte ich mich lieber zurück. Vince klopft mir auf die Schulter und sieht mich zwar ernst, aber freundlich an. „Ist doch ok. Dann findest du eben den Richtigen.“ Ich danke Vince für sein Verständnis und bleibe den Rest der Stunde mit ihm auf der Wiese sitzen, während er sich mal wieder liebevoll über Steven auslässt, weil der Kleine ja ach so viele nervige Eigenschaften hat. Darüber kann ich jedoch auch nur grinsend den Kopf schütteln. Nach der Stunde erheben wir uns und verabschieden uns voneinander. Ich habe jetzt Kunst, er wird vermutlich mit Steven schwänzen. Vince hat wirklich einen schlechten Einfluss, aber wenigstens ein gutes Herz. Langsam schlendere ich am Eingangstor vorbei und sehe jemanden angelehnt an einer Wand stehen. Kurz werde ich langsamer, ehe ich stehen bleibe. „Entschuldige, kann man dir helfen?“, frage ich höflich nach, fange mir jedoch lediglich einen eiskalten Blick ein, welcher mir einen Schauer den Rücken hinunterfahren lässt. „Kennst du Viola? Oder Alisha?“ Ich schmunzele kurz. „Beide, ja. Der Kanarienvogel und die Hexe.“ Ich muss grinsen, merke aber schnell, dass ich mir diesen Spruch hätte verkneifen sollen. Der Typ vor mir starrt mich kurzzeitig hasserfüllt an, ehe er seine Zigarette austritt und näher auf mich zukommt. „Bring mich zu Viola.“ Kein bitte oder danke? Ich muss mich wirklich dazu überwinden, zu nicken. „Klar, kein Ding.“ Zum Glück belegen wir endlich den gleichen Kunstkurs. Ich gehe los und spüre, wie der Typ mir mit ein wenig Abstand folgt und mich durchgehend anstarrt. Ein sehr unangenehmes Gefühl. Erleichtert erreiche ich den Raum und deute ihm, kurz davor zu warten. „Viola!“ Sie hebt ihren Kopf an, während sie an ihren Haaren herumspielt und sieht mich fragend an. „Da will jemand etwas von dir.“ Sie hebt eine Augenbraue. „Klar, wer will nicht etwas von mir?“ Sie streckt mir die Zunge entgegen und verlässt den Raum. Ich setze mich auf meinen Platz und kann nicht anders, als die beiden auf dem Flur zu beobachten. Wer ist dieser merkwürdige Kerl? Er ist verdammt groß, wirkt aggressiv und unhöflich ist er auch. Aber nicht unhöflich wie Vince, sondern so als hätte er noch nie eine Erziehung genossen. Seufzend wende ich mich von den beiden ab und fange an, meine Sachen vorzubereiten. Kurz danach betritt Viola wieder den Raum, gefolgt von Steven, welcher noch einmal über seine Schulter und scheinbar ebenso wie ich, verwirrt dem großgewachsenen Mann hinterher schaut. Na, ob das Vince gefallen würde? Viola und Steven setzen sich. Wir begrüßen uns kurz und Steven ergreift das Wort. „Wer war das, Vio?“, fragte er verwirrt nach. „Der sah alles andere als nett aus.“ Viola seufzt theatralisch auf. „Das ist meine böse Vergangenheit.“ Ich staune nicht schlecht. „Ein Exfreund?“ Sie sieht mich verdutzt an, fängt an zu lachen und hebt abwehrend die Hände. „Oh Gott, nein! Mein Halbbruder!“ Sie wischt sich kleine Tränen aus den Augenwinkeln und beruhigt sich langsam wieder. Stevens und meine Augen werden groß. „Hallbruder?!“ Das ist wirklich schwer zu begreifen, wenn man bedenkt, wie der Kerl drauf ist und wie Viola und Alisha sind. „Der Sohn deines Vaters oder deiner Mutter?“ „Meines Vaters. Eine mehr oder weniger kleine Jugendsünde, könnte man sagen. Er hat eine Weile bei seiner Mutter und zwischendurch bei uns gewohnt. Aber als er alt genug war, hat er sich eine Wohnung gesucht. Als Kinder haben wir uns immer gut verstanden und viel miteinander gespielt. Aber das hat nicht lange gehalten. Man sieht ihm vielleicht an, wieso.“ Sie grinst uns an, belustigt über unsere doch eher erstaunten Gesichter. Doch bevor wir sie weiter darüber ausfragen können, betritt unser Lehrer den Raum und der Unterricht beginnt. Während ich vor meiner Leinwand sitze und versuche mich auf meine Strichführung zu konzentrieren, schweifen meine Gedanken immer wieder zu dem Kerl ab, den Viola uns als ihren Halbbruder vorgestellt hat. Halbbruder? Wie kann das sein? Sie sehen sich in keiner Weise ähnlich. Als ich feststelle, dass ich bisher an meinem Bild noch nicht ein bisschen weitergekommen bin, versuche ich, die Gedanken wieder loszuwerden. Aber das ist leider leichter gesagt, als getan. „Herr Hertel! Bitte verschwenden Sie ihr Talent nicht! Wenn es Ihnen nicht gut geht, gehen Sie bitte nach Hause!“ Ich nicke ertappt und packe meine Sachen zusammen. „Tut mir leid, aber ich fühle mich wirklich schlecht. Ich werde die Arbeit nächste Mal fertigstellen und nachreichen.“ Mit diesen Worten verlasse ich den Klassenraum und begebe mich auf das Schultor zu, wo ich auf Alisha treffe. Sie sieht mich mit ihrem durchdringenden Blick an und auch wenn ich sie inzwischen ein bisschen besser kenne, macht sie mir immer noch Angst. Ich lächele ein wenig und hebe die Hand zum Gruß. Kurz darauf bemerke ich hinter ihr den Kerl von vorhin. Mein Leben hasst mich, nicht wahr? Ich seufze leise auf und will einfach nur an ihnen vorbeigehen, als Alisha mich kurz aufhält. „Ist Viola noch im Kunstraum?“, fragt sie mich und ich nicke. „Mirac, gehst du bitte alleine nach Hause? Ich muss noch auf Viola warten.“ Der Typ nickt und sieht mich kurz an. „Musst du nicht auch Richtung Bus?“ Ich zögere. Soll ich lügen? Aber Alisha weiß, dass ich den Bus nehmen muss, käme das nicht komisch? Ich opfere mich, um keinen Umweg nach Hause nehmen zu müssen und nicke. Mirac deutet mir, mitzukommen und ich verabschiede mich knapp von Alisha und folge ihm. Allerdings mit etwas Abstand. Irgendetwas ist mir bei ihm einfach nicht geheuer. „Du bist also ihr Halbbruder?“ Warum habe ich das nur gefragt?! Wäre viel besser gewesen, wenn wir einfach schweigend nebeneinander gelaufen wären! So ein Mist! Er nickt. „Ja.“ Man, der Typ ist zum Glück nicht gesprächig. „Ich heiße Mirac. Mirac Raave. Habe den Namen von meiner Mutter angenommen, damals.“ Langsam nicke ich. „Ich bin Malik Hertel.“ Warum habe ich ihm das gesagt? Geht ihn doch eigentlich überhaupt nichts an! Aber das sind dann wohl meine Höflichkeitsfloskeln, die ich nicht so einfach ablegen kann. Wir stehen schweigend an der Bushaltestelle und warten auf den Bus. Leider scheint dieser jedoch verspätet zu kommen. Am liebsten würde ich jetzt Musik mit meinem Smartphone hören, aber solange Mirac noch dasteht und unter Umständen mit mir reden will, unterlasse ich das vorerst. „Seit wann hat man in der Schule eigentlich so früh Schluss?“ Ich zucke mit den Schultern. „Hätte eigentlich noch drei Stunden. Aber fahre jetzt nach Hause. Hab keine Lust mehr.“ Wieso sage ich das? Das stimmt doch gar nicht. Ich fühle mich nur nicht gut. Aber aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass ich mich ihm gegenüber cool geben muss. Endlich sehe ich den Bus am Ende der Straße einbiegen und mir fällt ein Stein vom Herzen. „Bis wohin fährst du?“ Mirac sieht mich von oben herauf an und ich schmunzele kurz. Gut sieht er aus, das muss man ihm lassen. „Nur fünf Stationen. Und selber?“ Er schaut kurz auf die Karte, welche an der Haltestelle hängt und zählt nach. „Acht. Fahre zu Viola und Alisha nach Hause. Meine Wohnung hat einen Wasserschaden.“ „Oh, das tut mir leid.“ Na ja, eigentlich nicht wirklich. Der Kerl kann mir wirklich egal sein. Einen sonderlich sympathischen Eindruck hat er schließlich nicht gemacht bisher. Ich steige in den Bus, setze mich ans Fenster und starre nach draußen. Mirac setzt sich mir gegenüber und starrt mich an. Aber sehr auffällig. „Ist was?“, frage ich ihn daher genervt. Er starrt nur weiter. Ich seufze und wende mich wieder von ihm ab. „Gib mir deine Handynummer.“ Verwirrt blicke ich auf. „Warum sollte ich?“ Ich denke nicht im Traum daran, einem fremden Kerl meine Nummer zu geben! Ein Glück muss ich in wenigen Stationen aussteigen. An meiner Station angekommen sage ich kein Wort mehr und verlasse den Bus. Ich gehe die Straße hinunter und sehe den Bus an mir vorbeifahren. Mirac sieht aus dem Fenster auf mich herunter und grinst. Wütend gehe ich auf meine Haustür zu und schließe auf. Ich schaue kurz in den Briefkasten, wie immer nur Rechnungen. Dann schließe ich die Wohnungstür auf und betrete die Wohnung. Überall liegen Zeitschriften und leere Flaschen. Es riecht unangenehm. Ich gehe in die Küche, um die Rollläden hochzuziehen und die Fenster zu öffnen. Ich sammle die Flaschen und Zeitschriften ein und werfe alles in den Müll. Meine Mutter ist nicht zuhause. Zum Glück. Ich verkrieche mich in mein Zimmer und schließe die Tür ab. Nicht, dass ich das machen müsste. Für meine Mutter bin ich sowieso nicht existent. Aber ich finde es dennoch angenehmer. Ich mache meine Stereoanlage an und gebe mich einfach der Punkmusik hin. Punkrock größtenteils, um es genau zu nehmen. Ich lasse meinen Kopf mein Bett herunterhängen und starre an die Decke, während ich einen kleinen Ball immer wieder gegen die Wand werfe und ihn wieder auffange. Ich könnte auch lernen, aber mich jetzt zu konzentrieren fällt mir einfach schwer. Langsam wird es Abend, ich putze ein wenig die Wohnung und mache den Abwasch. Dann verschwinde ich wieder in meinem Zimmer. Ich höre nach einiger Zeit, dass meine Mutter nach Hause kommt und automatisch zieht sich etwas bei mir zusammen. Ich öffne meine Zimmertür und sehe sie an. „Hallo Mom. Ich hoffe, du hattest einen schönen Tag.“ Sie blickt mich nicht an und erwidert nichts. „Ich werde mir gleich etwas kochen, möchtest du auch etwas?“ Ich weiß, dass sie mir nicht antworten wird. Das tut sie nie. Seit mein Vater uns verlassen hat, ist es für sie, als hätte sie nie einen Sohn gehabt. Ich lächele ihr trotzdem entgegen. „Ok, dann sprechen wir uns vielleicht später einfach.“ Mit diesen Worten gehe ich an ihr vorbei und verlasse die Wohnung, um mir etwas zu Essen zu kaufen. Im Supermarkt suche ich mir etwas Gemüse und Gewürze zusammen. Nudeln dazu und es wird eine einfache Pasta mit selbstgemachter Soße. Klingt doch gut. Zuhause angekommen gehe ich direkt in die Küche und beginne zu Kochen. Nach einer dreiviertel Stunde gehe ich mit einem Teller voll heißer Nudeln in mein Zimmer zurück und setze mich auf mein Bett. Ich schalte den Fernseher an und schaue Nachrichten. Dann habe ich wenigstens etwas Produktives heute getan. Nach dem Essen bringe ich den Teller zurück in die Küche und stelle ihn in die Spüle. Ich höre mein Handy aufklingeln und schließe meine Tür hinter mir. Eine SMS. Von Unbekannt. Na super, irgendeine blöde Werbe-SMS bestimmt. Ich bin kurz davor einfach auf löschen zu drücken, ehe ich den Anfang der SMS sehe. >Hey Busjunge.< Ich spüre, wie die Wut wieder in mir hochkommt. Warum habe ich ihm nur meine Nummer gegeben? Weil ich Angst hatte, dass er mich sonst verprügelt? Irgendwelche guten Argumente muss er mir jedenfalls gegeben haben. >Wünsche einen guten Abend. Gehe jetzt duschen. Hätte was, wenn du hier wärst.< Ich kann sein dreckiges Grinsen direkt vor meinem inneren Auge sehen und bekomme einen Würgereflex. Soll ich darauf reagieren? Nein. Ich lege mein Handy zur Seite und starre weiter auf den Fernseher. Nach einer halben Stunde klingelt es erneut. Ich zögere, ehe ich die SMS öffne. >War geil. Wäre mit dir geiler gewesen.< Wie ich diesen Typen nicht ausstehen kann. >Wünsche dir aber eine wunderschöne Nacht und hoffe auf ein Wiedersehen.< Ok, das ist wirklich nett. Das muss ich zugeben, auch wenn ich nicht will. Ich speichere seine Nummer ab, vielleicht könnte er ja mal nützlich werden. Da entdecke ich, dass die SMS etwas weiter unten weitergeht. >PS: Fühle dich sowas von gevögelt!< Wütend knurre ich auf und werfe mein Handy an mein Bettende. Ich kann diesen Typen einfach nicht ausstehen! Kapitel 2: Trauer ----------------- Ich komme mit sehr breiten und dunklen Augenringen in die Schule und werde nicht wenig von der Seite komisch angestarrt. Der Typ hat mir gestern Abend noch den letzten Nerv geraubt. Da ich nicht geantwortet habe, hat er mir solange geschrieben, bis ich ihm bestätigte, dass es die richtige Nummer ist. Ja, ich hätte mein Handy auch ausmachen können, aber wiederum wollte ich das nicht. Ich weiß auch nicht. Ich bin halt komisch. Lasst mich! Ich trotte ins Klassenzimmer und setze mich auf den Stuhl. Meinen Kopf lasse ich auf die Tischplatte fallen und ich schließe meine Augen. „Geht’s dir gut?“, höre ich Stevens zögerliche Stimme neben mir und sehe ihn von unten herauf müde an. „Habe wenig geschlafen“, murmele ich lediglich. Als Vince ins Klassenzimmer kommt, ist Steven sowieso sofort abgelenkt und unterhält sich mit ihm über Gott und die Welt, während sie sich zwischendurch immer wieder abknutschen. Irgendwann standen sie beide dazu, dass sie ein Paar waren und seitdem sind sie wortwörtlich unzertrennlich. Genervt wende ich mich zur anderen Seite um, nur um festzustellen, dass Viola mich mit einem wissenden Blick mustert. „Wehe du sagst auch nur ein Wort“, raune ich ihr zu und sie grinst mir entgegen. „Worüber? Darüber, dass mein Halbbruder dich die halbe Nacht belästigt hat?“ Ich schließe die Augen und hole tief Luft. Natürlich hat Viola diesen Satz laut genug gesagt, dass Vince sofort aufmerksam geworden ist. Und nicht nur er. „Er hat mich nicht belästigt!“, zische ich ihr zu. „Er hat mir nur SMS geschrieben. Und ja, das hat mich wachgehalten und sag ihm, er soll mich in Ruhe lassen!“, knurre ich sie an. Dann wende ich mich zu Vince um, welcher mich mit hochgezogener Augenbraue ansieht. „Kriegsrat, sofort!“, murre ich und wir verlassen wie üblich das Klassenzimmer, natürlich nicht ohne unserem Lehrer dabei in die Arme zu laufen. „Wir kommen nach“, zwitschert Vince und verschwindet mit mir einfach hinter der nächstbesten Ecke. In der Cafeteria angekommen setzen wir uns, nachdem ich mir einen Kaffee geholt habe. „Also, Viola hat einen Bruder? Warum weiß ich das nicht?“ „Halbbruder“, korrigiere ich Vince. „Er ist ein Arschloch und unfreundlich. Alles andere als sympathisch. Ihr könntet euch gut verstehen!“ Vince murrt auf. “Lass den Scheiß. Ich hab mich gebessert.“ Und das hat er wirklich. Seit er Steven hat, kann er sogar wirklich nett zu einem sein. Jedenfalls so lange man ihm oder besonders Steven nicht zu nahe kommt. „Und ist er heiß?“ Ich weiß, dass Vince das nicht fragt, weil er schwul ist. Das streitet er weiterhin ab. Steve sei ja nur eine Ausnahme. Aber er fragt natürlich nach, weil er seit einem Tag weiß, dass ich auf Männer stehe. „Heiß? Ja. Ein angenehmer Zeitgenosse? Nein. Also denk nicht einmal daran.“ Vince lacht lediglich auf. „Das hört sich ja nach einer scharfen Affäre an.“ „Er ist nicht meine Affäre!“, keife ich zurück. Dann fische ich mein Handy hervor. „Was hat er dir denn so geschrieben?“ Ich zögere. Soll ich Vince wirklich die Nachrichten zeigen? Ich reiche ihm mein Handy und er beginnt zu lesen, natürlich nicht, ohne dumm zu grinsen. >Ist das eigentlich die richtige Nummer? Oder mache ich in Gedanken mit dem falschen Kerl rum?< „Oh man, der Typ lässt aber wirklich gar nichts anbrennen oder? Du hast scheinbar einen ganz schönen Eindruck hinterlassen.“ Vince grinst mich breit an. „Bitte hör auf. Ich kann den Typen wirklich nicht leiden. Außerdem hat er die ganze Zeit auf mich heruntergeschaut. Und das ist ein echt beschissenes Gefühl. Er hält sich für etwas viel Besseres? Weißt du was, dann kann er mir gestohlen bleiben!“ Somit vergeht der Schultag recht langsam und ich gehe auch noch zu meinen anderen Kursen, um nicht immer alles zu schwänzen. Meine Noten sind zwar Bestnoten, aber an meiner Anwesenheit sollte ich nun mal arbeiten. Als der Schultag vorbei ist, gehe ich auf langsamen Weg nach Hause. Ich habe keine Lust mit dem Bus zu fahren, also laufe ich lieber den Weg ca. eine halbe Stunde nach Hause. Es macht den Kopf frei und ich muss dann vielleicht nicht mehr die ganze Zeit an Mira-… Ich bleibe stehen. Das darf doch wohl nicht wahr sein? Verfolgt der Typ mich etwa? Und jetzt? So oder so muss ich an Mirac vorbeilaufen, aber ich habe wirklich keine Lust, dass er mich sieht. Na super. Ich stehe etwas hilfesuchend in der Gegend herum, als Mirac auch schon auf mich aufmerksam wird. Shit! „Kaum zu glauben, dass wir uns hier sehen, Süßer~“, schleimt er sich bei mir ein. Oder meint er das wirklich ernst? Ich laufe weiter und somit an ihm vorbei, was ihn wenig zu stören scheint. Schließlich folgt er mir einfach und holt auch mit schnellen Schritten zu mir auf, um direkt neben mir laufen zu können. „Verfolgst du mich?“, frage ich gereizt nach. „Und was sollte der Scheiß gestern Abend?! Ich habe echt keinen Bock, dass du mich die ganze Zeit belästigst!“ Miracs Gesichtsausdruck wird ein wenig wütend. Das sehe ich sogar aus dem Augenwinkel heraus. Aber ich lasse mich davon nicht beeinflussen, versuche ich zumindest. Etwas unwohl wird mir bei seinem Anblick jedoch schon. „Was hattest du gegen die SMS? Ich fand sie sehr feinfühlig geschrieben.“ Sein Grinsen holt bei mir wieder einen Würgereiz hervor. „Bitte lass mich einfach in Ruhe! Ich will mit dir nichts zu tun haben!“ Mirac sieht mich von oben herab an und sein Blick wird düster. „Das ist schade, ich nämlich schon.“ Er packt mich am Handgelenk und ich spüre einen Schmerz, der sich meinen Arm hinaufzieht. „Was soll der Scheiß?! Lass mich in Ruhe!“, keife ich ihn an, jedoch drängt er mich lediglich in eine Seitengasse und drückt mich gegen eine Wand. „Wag es nicht, auch nur daran zu denken, dich gegen meinen Willen zu stellen. So etwas kann ich nämlich nicht leiden. Ich war nett zu dir und du pisst mich einfach schräg von der Seite an? Das kotzt mich an!“ Mir bleibt nicht wirklich eine Ausweichmöglichkeit. Ich bin zwischen Mirac und der Wand förmlich eingequetscht und versuche mich von seinem Griff zu lösen. Es schmerzt höllisch, wie er seine Finger auf meine Wunde drückt. Ich spüre, wie langsam wieder Blut daraus hervorquillt und versuche mich loszureißen. Jedoch vergebens. „Was willst du?“, keife ich ihn mit zitternder Stimme an. „Dich und deinen süßen Hintern!“, schnurrt er mir entgegen. Als Mirac das Blut an seinen Fingern spürt, blick er auf meinen Unterarm. „Interessant. Selbstwertprobleme?“, fragt er nach, als er meinen aufgeschnittenen Arm betrachtet. „Ach fick dich doch!“, schreie ich ihn an. Immer noch vergebens versuche ich mich zu lösen. „Lass mich endlich los, du Irrer!“ Mirac schmunzelt, zieht meinen Arm dann weiter hoch und leckt das Blut ab. „Hm~ Schmeckt alles an deinem Körper so gut?“ Ich bin wirklich angewidert und versuche den Würgereiz zu unterdrücken. Gleichzeitig kribbelt mein Arm und ich bekomme eine Gänsehaut. „Wenn ich dir heute Abend schreibe, reagierst du gefälligst, ist das klar?!“ Ich kann nur nicken und hoffen, dass er mich dann endlich loslässt. Mein Wunsch wird erfüllt und Mirac verschwindet mit einem letzten belustigten Blick auf mich. Ich bleibe kurz stehen, sinke dann zu Boden und lass die Tränen einfach laufen. Der Schock sitzt mir noch im Nacken. „Was weißt du schon, du Arsch?“ Ich ziehe meinen Ärmel wieder nach unten und drücke auf meinen schmerzenden Arm, damit es aufhört zu bluten, ehe ich mich wieder erhebe und meinen Nachhauseweg wieder antrete. Ich trete aus der Gasse heraus und sehe mich um. Von Mirac ist nichts zu sehen und so gehe ich die Straße entlang und bin froh, als ich eine halbe Stunde später endlich zuhause bin. Meine Mutter ist am Kochen, allerdings nicht für mich. Heute werde ich ohne Essen ins Bett gehen. Ich bin zu fertig mit den Nerven, um auch nur noch einmal das Haus zu verlassen. „Hey Mom“, meine ich. Keine Reaktion. „So ein Typ wollte mich heute verprügeln, nicht, dass es dich irgendwie interessiert.“ Ich gehe ins Bad und ziehe mich aus, lasse meine Klamotten fallen und stelle mich unter die Dusche. Meine Wunden brennen unter dem warmen Wasser, aber ich merke es kaum. Ich muss weiterhin an Mirac denken. Nein, nicht auf eine perverse „Ich-schüttele-mir-einen-während-ich-an-ihn-denke-Weise“. Eher eine angsterfüllte und irgendwo auch respektvolle Weise. Was ist, wenn der Typ nochmal nach der Schule auf mich lauert? Wenn er mich wirklich vergewaltigt? Oder verprügelt? Ich spüre noch immer seinen Blick auf mir haften und versuche alles Widerliche von mir abzuspülen. Als ich merke, wie mir die Galle hochkommt, verlasse ich die Dusche und knie mich vor die Toilette, nur um kurz danach mein Mageninneres nach außen zu stülpen. Ich bleibe auch danach noch vor der Toilette hocken und halte mir den Kopf. „Scheiße! Warum passiert mir eigentlich die ganze Scheiße?“, murmele ich vor mich hin, ehe ich die Spülung betätige, mich nochmal kurz unter der Dusche saubermache, abtrockne und dann das Bad verlasse. Im Zimmer angekommen sehe ich, dass man Handy aufleuchtet. Nein, ich will nicht. Ich will nicht wissen, was er mir schreibt. Ich will darauf nicht reagieren. Aber wenn ich es nicht tue, was passiert dann? War seine Drohung wirklich ernst gemeint? Ich weiß es wirklich nicht. Die Angst beherrscht meine Gedanken. Langsam lasse ich mich auf mein Bett sinken und nehme das Handy zur Hand, nur um festzustellen, dass Vince mir geschrieben hat. >Geht es dir gut? Du sahst heute echt übel aus?< Es ist wirklich nett, dass er sich um mich sorgt, aber ich glaube er hat besseres zu tun, als sich um ein Wrack wie mich zu kümmern. Vince ist der einzige, der das von meiner Mutter weiß. Steven vielleicht auch, aber das weiß ich natürlich nicht. Manchmal sieht Steven mich mit einem Mitleid in dem Blick an, dass ich eigentlich schon davon überzeugt bin, dass Vince es ihm gesagt hat. >Klar, alles in Ordnung. Ich hab wirklich nur zu wenig geschlafen. Mir geht’s gut. Den Umständen entsprechend, wenn man alleine wohnt.< Vince weiß genau, was ich damit meine. Eine Antwort seinerseits kommt jedoch nicht mehr. Vermutlich wurde er gerade von Steven unterbrochen, oder auch von ihren Vätern. Irgendwie ein merkwürdiger Gedanke, dass ihre Väter zusammen sind und sie selber auch. Aber na ja, sie sind ja alle nicht blutsverwandt. Ich öffne meine Nachtischschublade und sehe hinein. Dort liegen zwei Rasierklingen. Ich starre auf meinen Arm. Es ist immer noch Platz, wo ich mich nicht selber geschnitten habe. Langsam greife ich nach einer Rasierklinge und führe sie an meinen Arm. Meine Hand zittert. Ich hasse mich. Ich hasse mich dafür, dass ich mich selber verletze und dass ich so ein schlechter Sohn für meine Mutter war. Ich hasse mich für alles, dafür dass ich nur Probleme bereite und alle sich um mich sorgen. Ich hasse einfach alles. Und besonders hasse ich es, geboren worden zu sein. Kaum jemand würde mich wirklich vermissen, wenn ich einfach verschwinden würde. Aber selbst dazu habe ich nicht genug Mut. Plötzlich klingelt mein Handy. Eine SMS von Mirac. Ich habe ihm einen anderen Ton gegeben, um direkt zu wissen, ob ich reagieren soll oder nicht. Ich zögere, ehe ich die Klinge beiseitelege und nach dem Handy greife. Hoffentlich die richtige Entscheidung. >Hey Kleiner. Ich hoffe, dass es deinem Arm besser geht? Lass den Scheiß mal mit dem Ritzen. Das löst sowieso keine Probleme. Und behindert ist es auch, weißt du, oder? Na ja, was machst du so?< Ich starre auf die SMS, ehe ich anfange zu lachen. Welch‘ eine Ironie. Soll ich wirklich antworten? Vielleicht schon. Ich habe immer noch Angst, dass er morgen wirklich zu schlägt, wenn ich ihn wieder ignoriere. >Klar. War gerade dabei die Klinge anzusetzen und meinem Leben ein Ende zu setzen. Haha.< Ich sende die SMS ab. Ok, das klingt doch etwas sehr herb, oder? Ich mache Scherze über etwas, was kein Scherz ist. Und wovor ich zu viel Angst habe. Es dauert nur wenige Sekunden, als die Antwort erscheint. >Bist du bescheuert? Dass du psychisch nicht ganz korrekt bist habe ich ja schon gemerkt, aber so kaputt? Junge, was musst du für ein beschissenes Leben haben? Wie ist deine Adresse?< Warum sollte ich ihm meine Adresse verraten? Ich bin doch nicht bescheuert! Ich sehe raus auf meine Terrasse. Wenn morgen die Sonne scheint, dann kann ich vielleicht wieder ein wenig ruhiger werden. Ich kann mich um die Pflanzen kümmern und mich irgendwie nützlich fühlen. Als mein Handy erneut klingelt, blicke ich es verwirrt an. Ich habe doch noch gar nicht geantwortet? >Ich finde dein Haus auch ohne deine Hilfe!< War das eine Drohung? Der Typ will doch jetzt nicht wirklich herkommen? Aber er wohnt momentan bei Viola und das ist leider nur wenige Busstationen entfernt. Und so wirklich viele Leute gibt es hier nicht, die mit Nachnamen Hertel heißen. Dennoch lasse ich mich davon nicht beeindrucken. >Das will ich sehen.<, schreibe ich zurück. Vielleicht auch ein Fehler? Ich lege mein Handy kopfschüttelnd zur Seite und schalte meine Stereoanlage ein. Punkrock, wie immer. Ich stehe auf diese Musikrichtung. Sie reden ehrlich darüber, was sie stört, sprechen sich gegen die Gesellschaft aus und ich stimme mit vielen Meinungen überein. Ich schließe meine Augen und lasse mich im Bett zurückfallen. Dass es nach einiger Zeit an der Tür klingelt höre ich nicht. Ich höre lediglich, wie meine Mutter im Flur etwas sagt. Jedoch redet sie oft genug mit sich selbst, dass mich das wirklich nicht mehr verwirrt. Mehr würde es mich verwirren, wenn sie mit einer echten Person reden würde. Kurz danach ist es wieder still. Keine drei Minuten später klopft es plötzlich an meiner Fensterscheibe. Ich zucke erschrocken zusammen und fahre hoch. Ein Schatten steht vor meiner Tür und ich zögere. Das ist jetzt nicht wahr, oder? Langsam stehe ich auf, als er energischer klopft und öffne die Tür. „Was zur Hölle machst du hier?!“, frage ich ihn, während er einfach in mein Zimmer stapft, sich auf meinen Stuhl setzt und seine Schuhe auszieht. Verdattert sehe ich ihn an, ehe ich die Tür langsam und mit keinem guten Gefühl schließe. „Ich halte dich davon ab, einen Fehler zu begehen!“, motzt er mich ungehalten an und zerrt wieder an meinem Arm. Diesmal jedoch bewusst an dem, der nicht verletzt ist. Er zerrt mich ungefragt auf seinen Schoß, was mir alles andere als gefällt. Doch gegen meine Erwartung legt er seine Arme um mich und drückt mich an sich. „Jeder Mensch ist etwas wert. Und nur, weil du eine beschissene Mutter hast, heißt es nicht, dass du auch für alle anderen unsichtbar bist“, murmelt er mir zu. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. „Du weißt doch überhaupt nichts über mich!“, keife ich ihn an und schiebe mich von ihm weg, um aufstehen zu können. „Du bist nur irgendein beschissener Fremder, der versucht sich in mein Leben zu drängen! Aber weißt du was? Ich will dich nicht in meinem Leben haben! Verschwinde und geh wen anderes ficken! Ich bin nicht deine Puppe, mit der du machen kannst, was du willst!“ Ich habe ein wenig Abstand zu ihm genommen und sehe ihn wütend an. Langsam erhebt sich Mirac und starrt wie immer von oben auf mich herab, ehe er nach meinem verletzten Arm greift, was mir einen starken Schmerz verursacht. „Ist das so?!“, fragt er aufgebracht nach, ehe er mich auf das Bett schubst. Er nimmt die Rasierklinge von meinem Kissen und drückt sie mir in die Hand. „Wenn dir alles so egal ist und du der Meinung bist, dass dein Leben ja auch so beschissen ist, dann bring es doch zu Ende!“ Ich sitze zitternd auf dem Bett, halte die Klinge an meinen Unterarm und setze an. Dann halte ich inne. Ich kann nicht. Ich kann es einfach nicht und er weiß das. Ich werfe die Klinge wütend in die Ecke meines Zimmers. „Ach fick dich!“, werfe ich ihm an den Kopf, ehe er seine Faust anhebt und mir mitten ins Gesicht schlägt. „Du bist ein Feigling! Ich werde dich noch abhängig von mir machen, so dass du keine Chance mehr hast, vor mir zu fliehen!“ Mit einem dreckigen Grinsen beißt er mir einfach in den Hals. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Ich spüre, wie eine warme Flüssigkeit sich meine Schulter hinunter einen Weg sucht und spüre einen stechenden und ziehenden Schmerz. Mein Auge tut nicht einmal halb so sehr weh. „Lass dir das eine Lehre sein, mich wegzuschubsen.“ Mit diesen Worten zieht Mirac sich seine Schuhe wieder an und verlässt mein Zimmer so schnell, wie er hineingekommen ist. Kapitel 3: Wut -------------- „Alter, du siehst beschissen aus!“ Ich zucke mit den Schultern und sehe Vincent an. „Passiert.“ Vince knurrt auf. „Das passiert nicht einfach so! Wer war das?! Hast du ihn wirklich einfach unbeschadet davonkommen lassen?“ Dass Vince aufgebracht sein würde, war mir schon vorher klar. Aber was soll ich denn machen? Nicht einmal Make-Up würde die Wunde an meinem Hals und mein blaues Auge abdecken. „Es sieht aus, als hätte dir jemand beinahe ein ganzes Stück Fleisch aus dem Hals gerissen!“ Ich seufze genervt. „Lass gut sein, Vince! Es ist alles ok.“ „War er es? Du weißt schon, der mysteriöse Halbbruder?“ Manchmal begreift Vince meines Erachtens einfach zu schnell. Vor allem wenn es mich betrifft. Es nervt, ich will mich nicht erklären oder rechtfertigen. Ich will Vince nichts von meinen Selbstmordgedanken erzählen. „Ja“, erwidere ich dennoch leise. Ich will ihn auch nicht wirklich belügen. Er ist schließlich mein einziger wirklich guter Freund. Und so einen kann ich gerade wirklich gebrauchen. „Ich werde diesem Typen sowas von eins überhauen! Ich werde ihn wenn nötig halb totprügeln, wenn er nicht verspricht, dich in Ruhe zu lassen!“ „Lass das, Vince. Hör auf damit. Du wirst gar nichts tun!“, murre ich zurück. Er sieht mich verdattert an. Verständlich. Wer wird schon gerne verprügelt, ohne sich zu wehren? Aber wenn Vince jetzt eingreift, wird es nur schlimmer. Und zudem will ich auch nicht, dass Vince erfährt, was bei mir so los ist. Und dass Mirac mich nur davon abhalten wollte, mich selber umzubringen. Denke ich jedenfalls. Vince und ich bestellen noch ein Bier und trinken die letzten Schlucke unseres vorigen aus. „Wo hast du eigentlich Steven gelassen?“, frage ich beiläufig nach. Nicht, dass es mich wirklich interessieren würde. „Du kennst ihn doch. Er hält von Bargängen nicht viel und lernt lieber zuhause. Oder geht mit Fifi raus. Keine Ahnung.“ Der Barkeeper bringt uns die Biere und wir stoßen kurz an. „Prost.“ Mit zügigen Schlucken halbiert sich Vince‘ Bier recht schnell. Ich nippe eher am Schaum, der wirklich niemandem schmeckt. „Und was willst du jetzt machen? Es dir weiter gefallen lassen, wie der Typ mit dir umspringt?“ Ich zucke mit den Schultern. „In erster Linie will ich nichts mit ihm zu tun haben und ihm aus dem Weg gehen. Gestern hat er mich einfach bis nach Hause gestalkt. Ich weiß echt nicht, was bei dem falsch gelaufen ist!“ Vince schmunzelt. „Das sprengt aber schon irgendwie den Rahmen. Er hat es echt hart auf dich abgesehen, oder?“ Ich seufze auf und nicke. „Scheint so. Lass uns über etwas anderes reden“, bitte ich ihn. Vince kommt mir der Bitte recht schnell nach und regt sich über seine Väter auf. Ich höre nur mit halben Ohr zu. Heute war Mirac nicht in der Nähe unserer Schule zu sehen. Ich weiß nicht, ob mich das erleichtern oder beunruhigen sollte. Ich weiß, dass ich Vince gerade ein schlechter Freund bin. Auch wenn es mich mäßig interessiert, was er über seine Väter erzählt, ich sollte wenigstens zuhören. „Ich meine, das ist doch verständlich?! Was würdest du denn davon halten, wenn dein Vater-„ Vince bricht ab. Zum Glück stellt er die Frage nicht zu Ende, ich habe nicht zugehört und weiß nicht, worum es geht. „Sorry, Alter“, murmelt Vince mir zu. Ich winke nur ab. „Kein Problem. Mein Vater ist nicht erst seit zwei Tagen weg.“ Ich grinse ihn an und wir schütten noch einen Mexikaner-Shot hinunter, ehe wir alles zahlen und gehen. Vince hat einiges getrunken, das wird Steven nicht gefallen. Mir selber fällt es schwer, gerade zu laufen. „Dann lass mal nächste Woche wieder treffen!“ Ich nicke und wir schlagen ein, ehe unsere Wege sich trennen. Ein Glück ist morgen Samstag. Dann kann ich meinen Rausch ausschlafen und einfach im Bett liegen bleiben, ohne mich auch nur zu bewegen! Ich torkele in Richtung meines Zuhauses und höre, wie jemand hinter mir läuft. Ich hasse so etwas, also werde ich langsamer und mache Platz, damit die Person vorbeilaufen kann. Jedoch passiert nichts dergleichen. Die Person bleibt weiter hinter mir und passt den Schritt an meinen an. Ich bleibe stehen, er bleibt stehen. So langsam werde ich wütend und wende mich um. „Geh doch vorbei, du Idiot!“, keife ich den Fremden an, der auf den zweiten Blick gar nicht mehr so fremd wirkt. „Will ich aber nicht.“ Mirac grinst mir entgegen. „Du bist der totale Stalker. Ich könnte dich bei der Polizei anzeigen, man!“ Ich gehe weiter, ohne auf ihn zu achten. Na toll, jetzt erwischt er mich auch noch, während ich betrunken eine Straße entlanglaufe. Oder ist das Absicht? Wie lange folgt er mir schon? Hat er mich mit Vince beobachtet? „Wer war der nette Kerl, mit dem du einen draufgemacht hast?“ Neugierig ist Mirac also auch noch. „Geht’s dich was an?“, frage ich und möchte das Gespräch damit nicht weiterführen. Mirac ist da aber scheinbar anderer Meinung. „Ein Freund, dein Freund oder ein Bekannter oder Verwandter?“ Ich versuche ihn so gut es geht zu ignorieren, was aber leichter gesagt ist, als getan. „Los, sag endlich“, knurrt er mich an. „Ein Freund“, antworte ich gezwungen. Mist, wo bin ich? Irgendwie habe ich mich verlaufen, während der Kerl mich abgelenkt hat. Ich bin irgendwo falsch abgebogen. Warum sind meine Sinne nur so benebelt? Ausgerechnet jetzt? „Du weißt schon, dass dein Zuhause woanders liegt, oder?“ Er grinst mich an. Ach ja, er weiß ja wo ich wohne. „Wo lang?“, frage ich ihn also und bleibe stehen. Er zuckt jedoch lediglich die Schultern. „Ich weiß nur, welche Bushaltestelle, aber nicht wo die genau ist von hier aus.“ Ich weiß nicht, ob ich ihm das glauben soll. „Gut, ich finde den Weg auch alleine!“, knurre ich ihn an. „Das glaube ich ehrlich gesagt nicht“, meint er, während er noch immer neben mir läuft: „Weißt du, mein Zuhause ist nicht weit von hier. Violas Wohnung ist direkt zwei Straßen weiter rechts. Komm mit und schlaf dich dort aus“, schlägt er vor. „Warum sollte ich?!“, murre ich ihm undeutlich zu. „Weil ich das will.“ Er hält mich an der Schulter fest und zwingt mich damit wieder zum Stillstand. Und ohne lange zu zögern wirft er mich einfach über seine Schulter und trägt mich in Richtung seines Hauses. „Was soll das! Lass mich runter! Sonst kotze ich dir direkt auf den Rücken!“ Und auch wenn das nur eine Androhung sein soll, so sicher, dass alles drinbleibt, bin ich mir nicht mehr. Vor allem, wenn ich so kopfüber hänge. „Sei still!“ Mirac läuft einfach weiter und bleibt kurz danach vor einem Haus stehen, welches er betritt. Dann setzte er mich ab und schiebt mich in die Wohnung. Ich sehe mich um. Ich war noch nie bei Viola und Alisha zuhause. Hoffentlich schliefen die beiden schon. „Die Toilette ist direkt dort. Mein Zimmer ist die Tür dort hinten. Ich gehe nochmal in die Küche. Mach dich schon mal fertig.“ Mit den Worten verschwindet er hinter der Küchentür. Und was soll ich davon jetzt halten? Was heißt hier fertigmachen? Ich habe immer noch nicht vor, hier zu übernachten! Ich drehe mich auf dem Punkt um und will die Tür öffnen. Erfolglos. Mirac scheint abgeschlossen zu haben. Scheiße, bin ich jetzt sein Gefangener oder was? Ich torkele ins Bad, nicht ohne einen Stuhl im Flur umzustoßen und ordentlich Lärm zu machen. Als ich wieder aus dem Bad komme, höre ich Stimmen aus der Küche zu mir dringen. Ich bleibe stehen und versuche angestrengt zu lauschen. Es ist Viola, welche sich leise mit Mirac zu streiten scheint. „Lass es, Mirac!“, höre ich sie gerade sagen. „Du hast nicht das Recht…“ Wirklich viel kann ich nicht hören, also beschließe ich, einfach schon mal in das Zimmer zu gehen. Dort angekommen sehe ich mich um. Es gibt kaum Sachen in dem Raum. Na ja, wenn Mirac auch nur übergangsweise hier wohnt, ist es vielleicht normalerweise ein eher spärliches Gästezimmer. Ich setze mich auf das Bett und ziehe meine Schuhe aus. Dann lasse ich mich einfach zurückfallen. Sofort steigt mir ein Geruch in die Nase. Ich schätze mal, das ist Miracs Deo-Shampoo-Moschus-Mischung. Gar nicht mal schlecht, für so einen Scheißkerl. Ich schließe die Augen und bin wenige Sekunden später weggepennt. Erst als sich etwas Schweres über mich beugt und ich den Atem nahe an meinem Gesicht spüren kann, werde ich wieder wach. Ich muss nur wenige Minuten geschlafen haben und sehe direkt in Miracs dunkle Augen. „Was willst du?“, frage ich genervt und robbe etwas zurück, damit ich mich aufsetzen und ihn ansehen kann. „Mach Platz, ich brauche auch Schlaf.“ Nur Schlafen? Also will er mich gar nicht vergewaltigen? Ich sehe ihn abwartend an, ehe ich an die Wand rutsche. „Zieh deine Hose und dein Shirt aus. Die stinken fürchterlich nach der Bar.“ Ich zögere, ehe ich den Geruch selber wahrnehme und ihm daher den Wunsch erfülle. Ich bin sowieso viel zu betrunken, um mich gegen irgendetwas zu wehren. Danach ziehe ich mir die Decke dafür hoch bis zum Kinn und lege mich hin. Wirklich bequem ist es aber nicht. „Du musst dich nicht an die Wand drängen.“ Mirac lässt mir genug Platz, damit ich auch anders liegen kann, aber wirkliches Vertrauen kann ich deshalb nicht zu ihm fassen. Auch Mirac zieht sich seine Hose und sein Shirt aus und ich sehe eine lange Narbe, welche von seiner Brust bis hinunter zu seinem Bauch reicht. Erstaunt starre ich ihn an. „Na, findest du mich sexy?“, scherzt er herum, aber ich ignoriere die Aussage. „Woher hast du die Narbe?“, nuschele ich nur. Da fällt mir ein, dass er auch meinen gesamten Unterarm sehen kann, wenn ich kein Shirt und keine Jacke trage. „Hm? Ach die. Ich hatte mal Krebs und musste operiert werden. Mir wurden ein Teil meiner Leber und eine Niere rausgeschnitten. Dafür ist er jetzt aber weg.“ Mirac zuckt mit den Schultern und scheint dass alles recht locker zu nehmen. Er sitzt im Bett neben mir und sieht weiterhin auf mich runter. Ob er damit irgendwann mal aufhört? Ich hebe meine Hand an. „Kann ich?“, frage ich nach und er nickt lediglich. Dann streiche ich über die Narbe und bin ganz fasziniert. „Dagegen sind meine Narben doch nichts“, murmele ich und sehe kurz auf meinen linken Unterarm. Nein, wirklich nichts. „Aber deinen Narben haben einen anderen Hintergrund und der ist viel wichtiger. Und jetzt schlaf, sonst muss ich mir dein betrunkenes Gelaber weiter anhören.“ Kommt es mir nur so vor, oder ist Mirac wirklich gerade nett zu mir? Ich dachte er wäre viel aggressiver? Vielleicht habe ich mich aber auch geirrt? Ich kuschele mich in die Decke und schließe meine Augen. Mir wird schon nichts passieren. Wenige Minuten später spüre ich plötzlich etwas Heißes auf meinen Lippen. Ich kann es vorerst nicht einordnen, dann bemerke ich, dass Mirac mich küsst. Und zwar richtig! Man, das kann der Typ dafür aber auch ordentlich gut. Ich keuche kurz auf und öffne meine Augen leicht. Ich sehe ihn an und merke, wie er mich anstarrt. Schnell schließe ich meine Augen wieder. Er hat sich einfach über mich auf alle Viere gesetzt. Mirac greift nach meinen Händen, als ich versuchen will, ihn von mich zu stoßen und drückt sie über meinem Kopf in die Kissen. „Lass das!“, feixe ich ihm entgegen, als er den Kuss löst. „Wieso, es gefällt dir doch?“ Ja, das stimmt, aber mit ihm? Niemals! Er ist mir fremd und ich bin betrunken! Aber wäre das nicht eine gute Ausrede für kostenlosen Sex mit einem Fremden? Nein! Nein, auf das Niveau möchte ich mich nicht sinken lassen! „Ich will nur schlafen, also lass mich in Ruhe.“ „Ich auch, glaube mir.“ Er grinst mich dreckig an und zieht meinen linken Arm hoch zu seinen Lippen, ehe er meine Narben küsst und ableckt. „Lass uns doch gegenseitig unsere Wunden lecken~“, schlägt er ach so scheinheilig vor. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Berührungen lassen sowohl ein Übelkeitsgefühl in mir aufsteigen, als auch Gefühle der Lust. Meine Gänsehaut wird stärker, als er mir in die Augen blickt, während seine Zunge weiter meinen Arm entlang streicht. „Ich kann dich dazu bringen, deine Schmerzen zu vergessen!“ Ein verlockendes Angebot, das muss ich zugeben. Aber keines, auf das ich eingehen möchte! Wirklich nicht. „Lass gut sein, Mirac!“ Ich glaube, ich habe ihn das erste Mal beim Namen genannt. Er lässt meine Hände los, setzt sich jedoch einfach auf meinen Schoß. Ich bleibe liegen, da ich kein Verlangen danach habe, ihm näher zu kommen, indem ich mich aufsetze. „Du bist echt prüde. Als könntest du den Sex nicht genauso sehr gebrauchen wie ich.“ Ich sehe ihn nur weiter stumm und gereizt in die Augen. „Darf ich jetzt bitte schlafen gehen?“, frage ich nach. Er setzt sich neben mich und grinst. „Mach das. Aber ich werde dich schon noch bekommen.“ Seine Hand streicht über meinen Hals und drückt auf die Wunde, die er mir bei seinem letzten Biss hinterlassen hat. „Mach dich darauf gefasst. Wenn es soweit ist, werde ich dir dein Gehirn rausvögeln und du wirst nicht mehr wissen, wo oben und unten ist!“ Ich werde diese Nacht kein Auge mehr zu tun. Jedenfalls sind das meine Gedanken, kurz bevor mich der Alkohol und die Müdigkeit übermannen und ich einfach einschlafe. Geweckt werde ich mit einem Knie zwischen meinen Schenkeln und zwei Lippen und einer Zunge an meinem Hals, welche meine Haut liebkosen, ehe Mirac beginnt an dieser zu saugen und zu knabbern. Langsam werde ich wach und mir wird bewusst, was er da versucht. „Lass das!“, keife ich ihn an, aber da ist es eh schon zu spät. „Nur, damit keiner auf die Idee kommt, dich in nächster Zeit anzufassen.“ Ich stehe knurrend auf und stelle mich vor den Spiegel. „Bist du jetzt ganz bescheuert geworden?! Was soll der Scheiß?“ Ein großer Knutschfleck prangt an meinem Hals. Direkt unter der Bissspur, die er mir schon vorher verpasst hat. Als hätte die nicht schon gereicht! Wütend suche ich mir meine Sachen zusammen und ziehe mich an. „Du bist echt der letzte Arsch!“, keife ich ihm entgegen. Er ergreift meine Hand und zieht mich mit einem Ruck zu sich. Kurz vor seinem Gesicht bleibe ich stehen. Dann leckt er mir über den blauen Rand meines Auges und ich verziehe jeden Muskel in meinem Gesicht. „Du bist widerlich!“ Mirac grinst mich nur an, ehe ich aus seinem Zimmer verschwinde. Auf dem Weg nach draußen begegne ich auch noch Viola. „Ich war nie hier!“, murre ich sie an. Sie lächelt nur. „Dir auch einen guten Morgen!“, ruft sie noch hinterher, ehe die Tür ins Schloss fällt und ich nach Hause gehe. Kapitel 4: Hass --------------- Es ist eine Woche vergangen, seit ich bei Mirac volltrunken geschlafen habe. Keine schöne Woche, muss ich zugeben. Ich bin nicht in die Schule gegangen und habe auch sonst kaum die Wohnung verlassen. Außer, wenn ich Hunger bekam und wir nichts zu Hause hatten, was ich benutzen konnte. Ich habe einfach zu viel Angst davor, ihn wiederzutreffen. Und wenn er auf die Idee kommen sollte, hier vorbeizuschauen, dann muss ich ihm wenigstens nicht öffnen. Wobei ich nicht glaube, dass ihn das davon abhalten würde, in mein Zimmer zu kommen. Ich sitze auf meinem Bett und chatte mit Vince. Er will vorbeikommen, aber irgendwie passt mir das nicht so ganz. Der Knutschfleck ist zwar weg, die Bissspur hat allerdings vorerst eine kleine Narbe hinterlassen. Und auch generell sehe ich echt beschissen aus. Dennoch kann ich es ihm nicht ausreden. Somit klingelt es eine Stunde später an der Tür und ich stehe auf, um zu öffnen. Meine Mutter ist Gott sei Dank nicht da. Ich begrüße Vince und muss bestürzt feststellen, dass er Steven mitgebracht hat. Wir begrüßen uns ebenfalls und ich schicke sie beide in mein Zimmer. „Ich hole noch Trinken.“ An sich habe ich wirklich nichts gegen Steven, aber irgendwie wäre es mir lieber, wenn nur Vince hier wäre. Als ich ins Zimmer zurückkehre, sitzen die beiden knutschend auf dem Bett. Ich räuspere mich. Sofort zieht Steven sich zurück und wird rot, ehe er den Kopf hängen lässt. Irgendwie ist er schon niedlich. „Hier.“ Ich halte den beiden ein Glas Cola hin und setze mich ihnen gegenüber auf den Stuhl „Also, was ist los, Malik? Und bitte sag mir die Wahrheit. Du hast dich eine Woche nicht blicken lassen und hast dich nicht mal gemeldet. Kommst du nicht mal auf die Idee, dass es Leute gibt, die sich Sorgen machen?“ Vince scheint irgendwie wütend zu sein. Aber irgendwie auch verständlich, denke ich. Aber was soll ich ihm sagen? Wie soll ich anfangen? Und wie soll ich frei sprechen, wenn Steven dabei ist? „Es ist nicht so schlimm, wie es vielleicht aussieht. Ich musste nur sehr viel im Haushalt tun.“ Und das ist nicht einmal eine Lüge. „Und hatte auch keine Lust auf Schule.“ Ich weiß, dass Vince mir das nicht abkaufen wird. Er sieht kurz zu Steven und holt sein Portemonnaie aus seiner Tasche, ehe er dem Jungen einen zwanziger entgegenstreckt. „Wir sind doch an einem Einkaufsladen vorbeigelaufen, auf dem Weg hierhin. Wärst du so lieb und würdest Tiefkühlpizza und ein paar Bier holen?“ Erst sieht Steven ihn überfordert an, dann sieht er jedoch kurz zu mir und nickt. Ich glaube er weiß, dass ich vor ihm nicht reden werde. Als Steven gehen will, hält Vincent ihn noch einmal auf und zieht ihn an sich heran, um ihn mit einem Kuss zu überfallen. Und das nicht gerade leidenschaftslos. Ich rolle mit den Augen und sehe in eine andere Richtung. „Lass dich nicht dumm anmachen“, witzelt Vince und gibt Steven einen Klaps auf den Hintern, als dieser durch die Tür nach draußen geht. Ich warte im Zimmer auf meinem Stuhl und bin froh, als nur noch Vince da ist. „Also los, erzähl. Und zwar von Anfang an und alles!“ Ich seufze auf und zucke mit den Schultern. „Ich habe ja vor ungefähr zwei Wochen Mirac kennengelernt, als er Viola und Alisha in unserer Schule gesucht hat. Und als ich dann früher nach Hause bin, weil es mir nicht so gut ging, da sind wir zusammen zum Bus gelaufen, weil er leider Gottes ebenfalls dahin musste. Er hat mich angequatscht und ausgefragt und ich habe so gut es eben ging versucht, ihn zu ignorieren. Aber bei so einem Arsch ist das leider kaum möglich. Jedenfalls hat er es dann irgendwie geschafft, meine Handynummer zu bekommen. Frag nicht wie. Er hat mich einfach genervt und ich wollte, dass er die Klappte hält.“ Ich pausiere kurz, während Vince sich ein Lachen verkneift. Aber als er merkt, dass ich darauf warte, dass er sich beruhigt, lässt er das Lachen einfach hinaus. „Warum hast du nicht einfach einen Zahlendreher eingebracht?“ Ich schmunzele. Gute Frage. „Es ging mir halt nicht gut! Ich habe nicht darüber nachgedacht! Außerdem kann ich ihn ja auch blockieren. Aber er hat mir dann halt so perverses Zeug geschrieben und da ich darauf nicht reagiert habe, hat er mich dann scheinbar am nächsten Tag vor der Schule abgefangen. Und ab da wurde es nur schlimmer. Ich weiß auch nicht. Später ist er dann einfach zu mir nach Hause gekommen.“ Den Rest will ich eigentlich wirklich nicht erzählen. „Und letztens, als wir uns in der Bar getroffen haben, da bin ich so betrunken gewesen, dass ich mich verirrt habe. Mirac war wie immer da und hat mich einfach mit nach Hause genommen. Also zu Vio und Alisha. Und dann wollte er am nächsten Morgen über mich herfallen, da habe ich meine Sachen und Beine in die Hand genommen und bin weg. Und seitdem verkrieche ich mich. Ende der Geschichte.“ Es klingt wirklich nicht gerade aufregend. Vermutlich übertreibe ich auch einfach. Aber Vince scheint ehrliches Mitleid und Interesse zu zeigen. „Und hat er sich seitdem gemeldet?“ Ich zucke mit den Schultern. „Mein Handy ist aus. Aber ich mache es später vielleicht an. Dann schaue ich nach.“ Vince nickt und wir unterhalten uns noch etwas, bevor Steven wieder da ist. Dann heizen wir den Ofen vor und schieben die Pizzen rein. Wir trinken Bier, jedenfalls Vince und ich und essen Pizza, bis die beiden sich wieder verabschieden. Irgendwann zwischendurch ist meine Mutter nach Hause gekommen, aber sie hat sich in ihrem Zimmer verschanzt, worüber ich wirklich nicht unglücklich bin. Ich lege mich auf mein Bett und starre an die Decke. Wenigstens muss ich heute nicht mehr kochen. Langsam greife ich nach meinem Handy und schalte es an. Ich muss es allerdings vorerst anschließen, da der Akku inzwischen leer ist. Nachdem es fertig hochgefahren ist, warte ich noch kurz. Direkt danach werden mir dreißig neue Nachrichten angezeigt. Alle von Mirac. Verpasste Anrufe blinken ebenfalls auf. Ich öffne die Nachrichten und lese sie. Vorerst sind es nur wie immer dumme Anmachen. Irgendwann schlagen die allerdings in Wut um. Und bald darauf in… Sorge? Mirac sorgt sich? >Hey Malik! Ernsthaft jetzt, ist bei dir alles ok? Du warst nicht in der Schule hab ich von Viola erfahren. Geht es dir gut?< Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. >Man antworte, du Pisser! Was soll das?! Wenn ich weiß, dass du suizidgefährdet bist, dann kannst du doch nicht einfach nicht reagieren!< Ach darum geht es ihm? Ich weiß nicht, ob ich ihm jetzt antworten soll oder nicht. Auch die nächsten Nachrichten beinhalten Sorge und Beleidigungen. Die Anrufe lösche ich und bleibe dann unschlüssig liegen. Gerade, als ich mein Handy zur Seite legen möchte, klingelt es. Mirac. Wer auch sonst? Soll ich rangehen? Ich zögere, ehe ich annehme. Kurz tritt Stille ein, da ich unfähig bin, mich zu melden. „Malik? Ey! Bist du dran? Du hast doch abgehoben! Oder? Malik?!“ Ich schüttele den Kopf und besinne mich. „Hey“, antworte ich lediglich. „Hey? Hey?! Ist das dein Scheißernst?! Was bist du eigentlich für ein Spast! Ich habe dir mindestens zwanzig Nachrichten auf die Mailbox gesprochen! Man alter, ich hab mir Sorgen gemacht! Du warst eine Woche unerreichbar! Was soll der Scheiß? Bist du Zuhause? Ich komme vorbei!“ Noch ehe ich etwas sagen kann, hat er einfach aufgelegt. Na super. Wäre ich einfach nicht rangegangen. Und was jetzt? Ich stehe panisch auf und sehe mich um. Die Bierflaschen sind mir egal, die blutigen Taschentücher habe ich schon entsorgt, bevor Vince und Steven hier waren. Und meine Klamotten? Ich sehe mich im Spiegel an. Warte, warum mache ich mir Gedanken um mein Aussehen? Es ist Mirac! Das Arschloch, das mich belästigt! Ich ziehe die Ärmel meiner Jacke nach unten und warte nun mäßig ruhig in meinem Zimmer. Nach einiger Zeit klopft es an der Terrassentür und ich zucke zusammen. Man, hat der noch nie etwas von Haustüren gehört? Ich stehe auf und mache ihm auf. Wenn ich ihn draußen versauern lassen würde, würde ich nur alles schlimmer machen. Kaum, dass Mirac in mein Zimmer getreten ist, holt er einfach aus und schlägt mit seiner Faust mitten in mein Gesicht. Ich keuche erschrocken auf. Dann halte ich mir die Wange und spüre, wie der Schmerz anfängt, sich durch mein Gesicht zu ziehen. Ich schließe kurz meine Augen, damit mir keine Tränen hochkommen. „Dir auch einen schönen Abend“, murmele ich und sehe, wie Mirac sich seine Schuhe auszieht und seine Jacke ablegt, ehe er sich auf das Bett setzt. Ich schließe die Terrassentür, damit es nicht zu kühl wird und stehe unschlüssig im Raum herum. Mirac scheint wirklich wütend zu sein. Warum? Ich verstehe es einfach nicht. Wir kennen uns doch überhaupt nicht! Was interessiert es ihn, was mit mir los ist? Zögerliche trete ich auf mein Bett zu und setze mich im sicheren Abstand an die Kante. „Was willst du?“, frage ich dann nach und versuche ihm standhaft in die Augen zu blicken. „In erster Linie wollte ich mich vergewissern, dass du lebst!“, keift er mir entgegen. Er sieht auf meinen verdeckten Arm, greift danach, was mich wieder einen Schmerz spüren lässt und zieht mich näher zu sich. Dann ergreift er den Ärmel und zieht ihn hoch. „Du hast es wieder gemacht!“ Ich höre die unterdrückte Wut in seiner Stimme. Schlägt er mich jetzt wieder? Ich bereite mich schon mal darauf vor und spanne alle meine Muskeln an, so gut es geht. Mirac blickt mir direkt in die Augen. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du aufhören sollst?! Was soll der Mist? Und nächste Mal reagierst du gefälligst auf meine Nachrichten!“ „Mein Handy war aus“, erwidere ich lediglich, wobei ich selber höre, dass meine Stimme zittert. Ich habe Angst vor ihm. Wirklich. Mich überkommt eine Gänsehaut, als er mir mit seinem Gesicht immer näherkommt und mir tief in die Augen blickt. „Pass auf, was du tust und reize mich nicht.“ Ich muss schlucken. Scheiße. Auf der einen Seite macht der Typ mir extreme Angst, aber wiederum ist es auch irgendwie… heiß? Ich muss echt bescheuert sein, dass ich auf so einen Typ stehe. Mirac legt mir eine Hand um den Nacken und zieht mich an sich heran. „Bitte, melde dich nächste Mal auf irgendeine Art und Weise, wenn du schon vom Erdboden verschluckt werden willst.“ Ich bin verwirrt. Er tut mir nicht weh? Er umarmt mich? Ist das wirklich der Mirac, den ich kenne? Oder eher „kenne“. Wirklich viel geredet oder zusammen unternommen haben wir schließlich nicht. Ich spüre seinen Atem an meinem Haar und kann an seiner Brust seinen Geruch in meine Nase aufnehmen. Das ist nicht gut! Der Typ riecht wirklich geil! Ich muss mich zusammenreißen. Nur weil ich eine gefühlte Ewigkeit keinen Sex hatte, heißt das nicht, dass ich jetzt deswegen weich werden muss. Oder wohl eher hart. Mirac drückt mich wieder etwas weg und seufzt. „Willst du mir erzählen, warum du eine Woche unsichtbar warst?“ Eigentlich nicht, nein. Aber ich glaube kaum, dass er mir eine Wahl lässt. Ich versuche etwas Abstand von ihm zu nehmen und räuspere mich. „Weil ich von so einem Irren verfolgt wurde und Angst bekommen habe. Und daher wollte ich meine Wohnung nicht mehr verlassen. Außerdem hat sich der Gesundheitszustand meiner Mutter verschlechtert und-“ Ich werde von Mirac unterbrochen. „Einem Irren?“, knurrt er mir entgegen. Oh, er scheint gemerkt zu haben, dass ich ihn damit meine. Ich erwidere lieber nichts. „Ich bin also ein Irrer? Nur weil wir uns zweimal zufällig auf der Straße begegnet sind und ich dich bei mir habe schlafen lassen, als du besoffen warst und deine Wohnung nicht finden konntest?!“ „Zufällig?“, fahre ich ihn an. „Du hast mich doch gestalkt! Du bist sogar zu mir nach Hause gekommen!“ Miracs Blick wird immer düsterer. „Ja zufällig! Denkst du wirklich, dass du es mir wert wärst, dass ich dich tagelang nur verfolge?! So bekloppt ist doch niemand! Und ich habe dich nur davon abgehalten, dich von deinem armseligen Leben zu verabschieden!“ Diese Worte treffen mich mehr, als ich es gerne zugeben würde. Ich presse meine Lippen zusammen und spüre, wie mir die Tränen kommen. „Wenn mein Leben so armselig ist, dann hättest du mich doch auch gehen lassen können!“ Nun bin ich derjenige, der laut wird. Ich stehe auf und sehe ihn wütend und verletzt von oben herab an. „Ich bin es doch eh nicht wert!“, wiederhole ich leicht seine Worte und zeige dann mit dem Finger auf die Terrasse. „Verschwinde!“ Mirac steht nun ebenfalls auf, aber anstatt zu gehen, kommt er nur auf mich zu, bis er nur wenige Zentimeter mit seinem Gesicht von mir entfernt ist. Er starrt wütend auf mich hinunter und packt mich in meinen Haaren, um mich zu zwingen, ihm ins Gesicht zu sehen. Es schmerzt und ich habe das Gefühl, dass alle meine Haare auf einmal ausgerissen werden. „Ich werde jetzt bestimmt noch nicht gehen. Noch bin ich nicht mit dir fertig.“ Ich starre ihn an und meine Wut schlägt schlagartig in Angst um. Einige Zeit später finde ich mich auf meinem Fußboden wieder. „Wir sehen uns!“ Mit diesen Worten verlässt Mirac mein Zimmer und ich bleibe in dem kalten Wind, welcher von draußen hereinweht liegen. Erst jetzt bin ich in der Lage zu weinen. Alles bricht auf einmal aus mir heraus und meine Tränen vermischen sich mit dem Blut, welches meine Stirn entlang nach unten läuft. Ich spüre, dass meine Lippe aufgeplatzt ist und langsam anschwillt. Ich versuche mich unter Schmerzen aufzurichten und muss mir meinen Bauch halten. Scheiße! Mit Mühe und Not schaffe ich es, mir Schuhe anzuziehen und zu meinem Hausarzt zu gehen. Erst als ich dort angekommen bin, merke ich wie sehr mir alles weh tut. Am nächsten Tag wache ich mit dem Verband um meinen Brustbereich auf und erinnere mich sofort an den vorigen Abend. Mirac hat mir eine Rippe gebrochen, meine Lippe aufgeschlagen und meine Stirn hat beim Sturz eine Schürfwunde davongetragen. Am meisten hat er mich jedoch seelisch verletzt. Mir kommen erneut die Tränen und ich weine einfach nur los, während ich sehe, dass mein Handy aufblinkt und Miracs Name auf dem Bildschirm erscheint. Kapitel 5: Ehrlichkeit ---------------------- Ich starre auf mein Handy. Ich will jetzt nicht mit ihm reden. Wirklich nicht. Sowas von gar nicht. Durch Mirac liege ich jetzt in meinem Bett und kann eine weitere Woche nicht in die Schule gehen, da der Arzt mir eine Krankschreibung gegeben hat. Mit der Rippe soll ich ruhig im Bett liegen bleiben und in einer Woche wieder vorbeischauen. Wenn ich es nicht schaffen sollte, den Verband alleine richtig zu wechseln, dann kann ich auch unangemeldet vorbeischauen. Ich kenne meinen Arzt schon sehr lange und bin ihm immer wieder dankbar für seine Hilfe. Aber manchmal reicht auch die nicht aus. Wie zum Beispiel in solchen Momenten wie jetzt. Soll ich rangehen? Oder nicht? Ich könnte wirklich einen guten Rat gebrauchen. Ich entscheide mich dagegen und lehne den Anruf ab. Mirac versucht es noch ein paar Mal, ehe er aufgibt. Das heißt jedoch nicht, dass er sich gar nicht mehr meldet. Kurz darauf erreicht mich die erste SMS. >Wie geht es dir? Sorry, wegen gestern.< Ich sehe es nicht ein, darauf zu reagieren. Seine Entschuldigung kann er sich sonst wohin stecken. >Warst du beim Arzt?< Na super, beginnt er jetzt wieder mich total vollzuspamen, wenn ich nicht reagiere? Ich antworte einfach kurz mit „ja“ und belasse es dabei. Ich möchte jetzt wirklich nicht mit ihm reden. >Es tut mir wirklich leid.< Das ist die letzte Nachricht, welche ich von ihm lese, bevor ich mein Handy in den Flugmodus schalte. In den nächsten Tagen kommt Vince mich sehr oft besuchen, meistens bringt er Steven mit, welcher mir die Schulsachen gibt, die ich verpasse. Aber ab und an ist Vince auch alleine und dann können wir reden. Wobei eigentlich fast immer nur Vince redet. Über seine Väter und über Steven. Über die Schule und was ihn sonst noch so nervt. Ich wünschte, ich hätte seine Probleme. Aber das würde ich ihm nie sagen. Am Donnerstag klingelt es an der Tür und ich zwinge mich dazu, zu öffnen. Wer soll das jetzt sein? Vince bestimmt nicht. Der hatte sich für heute abgemeldet. Steven kommt nicht alleine her und Mirac würde nicht klingeln. Hoffe ich. Als ich Viola vor meiner Wohnungstür vorfinde, bin ich mehr als verwirrt. „Komm rein“, bitte ich sie und sie folgt meiner Aufforderung. Ich biete ihr etwas zu trinken an, aber sie lehnt ab. „Ich bin eigentlich nur hier, weil ich dich warnen will.“ Oha, das klingt ernst. Ich lege mich wieder in mein Bett und es ist mir sehr unangenehm, dass Viola mein Zimmer so unsauber und unordentlich vorfindet. „Wovor warnen?“ Ich frage lediglich aus Höflichkeit nach. Ich kann mir auch so denken, worüber Viola reden will. „Meinen Halbbruder. Mirac. Er ist etwas speziell. Also er ist nicht psychisch irgendwie krank oder so. Denk das bitte bloß nicht. Aber ich sage mal so: Von seinen Exfreunden hat es keiner länger als zwei Wochen mit ihm durchgehalten, ehe sie mit blauen Flecken vor ihm geflohen sind.“ Ich fasse mir automatisch an meinen Hals, welcher noch immer die Narbe trägt. „Er macht momentan ein Anti-Aggressionstraining. Wurde ihm von einem Therapeuten empfohlen, den er besuchen musste, nachdem er vom Gericht verurteilt wurde. Ich weiß, dass sich das alles sehr schlimm anhören muss, aber ebenso weiß ich, dass er tief in sich drin ein lieber Kerl sein kann. Wir waren sehr lange voneinander getrennt und irgendetwas muss ihn in dieser Zeit verändert haben. Ich weiß nicht, ob es der Krebs war oder etwas Anderes…“ Sie seufzt auf und holt tief Luft. „Und ich weiß, dass er es war, der dich so zugerichtet hat. Und es ist auch sehr viel von mir verlangt, aber bitte nimm meine Entschuldigung an. Du würdest dir damit selber einen Gefallen tun. Und falls du das Gefühl hast, dass du mit ihm reden musst, ist hier seine Adresse. Er wohnt wieder in seiner Wohnung.“ Ich nicke eigentlich nur und kurz danach hat Viola sich auch wieder verabschiedet. Erst warnt sie mich vor ihm und dann sagt sie, ich solle ihm verzeihen? Ich verstehe das nicht. Ich will mit ihm doch gar nichts mehr zu tun haben! Jedoch wird meine Bitte nicht erfüllt, als er zwei Tage später wieder vor meiner Tür steht. Ich habe nicht mehr auf seine Nachrichten geantwortet. Das sehe ich nicht ein. Aber jetzt weiß ich, dass es ein Fehler war. Widerwillig lasse ich ihn herein. „Wenn du immer so unaufgefordert herkommst, kannst du auch gleich in unseren Garten ziehen“, murre ich ihn an. Inzwischen ist mir auch egal, ob er mich schlägt oder nicht. Aber Mirac scheint nur leicht zu lächeln. Moment, er lächelt? „War das eine Aufforderung?“ Ich schüttele sofort den Kopf. „Bloß nicht!“ Mirac hebt eine Tüte hoch, welche er bei sich trägt. „Ich hab Suppe mitgebracht.“ Ist das wirklich der gleiche Mirac, der mich vor einigen Tagen halb totgeprügelt hat? Ich nehme ihm die Suppe ab und bringe sie in die Küche. Ich kippe alles in einen Topf und wärme sie auf. Dann schütte ich davon etwas in ein Schälchen und kehre zurück in mein Zimmer. Die Suppe dampft vor sich hin und wir schweigen uns an, während ich darauf warte, dass das Essen kälter wird. „Nimmst du meine Entschuldigung an?“ Deshalb ist er hergekommen? Klar, warum auch sonst? Als ob es ihn interessieren würde, wie es mir gesundheitlich geht. Ich blicke kurz auf, sehe ihm direkt in die Augen und starre sofort wieder in meine Suppe. Ich weiß, dass es nicht richtig ist, aber ich schüttele den Kopf. „Nein!“ Ich traue mich nicht, aufzusehen. Aber ich spüre Miracs wütenden Blick auf mir haften und mich überkommt eine Gänsehaut. Er wird mich doch nicht anfahren, oder? Ich bin schließlich noch krank und verletzt! „Warum nicht?!“, fragt er jetzt wütend nach. „Warum sollte ich?! Du hast mir eine Rippe gebrochen und mir mein Gesicht grün und blau geschlagen! Ich weiß ja nicht, was bei dir passiert ist, aber hast du dich mal gefragt, warum deine Exfreunde immer vor dir weggerannt sind und warum du so ein beschissenes Antiaggressionstraining machen musst?“ Das alles kocht einfach in mir über und bricht aus mir heraus, bevor ich es aufhalten kann. Doch direkt eine Sekunde später, gefriert mir das Blut in den Adern. Mirac ist still. Zu still! Er kommt auf mich zu und drückt mich einfach runter auf das Bett. „Warte! Die Suppe!“, meine ich noch, doch er schlägt die Schüssel einfach beiseite, sodass sie auf den Boden fällt und zerspringt und sich der gesamte Inhalt auf meinem Parkett breitmacht. „Mirac!“, schreie ich wütend, ehe ich seine Lippen auf meinen spüre. Ich zucke erschrocken zurück. „Was soll der Scheiß?! Ich bin nicht deine Puppe, mit der du spielen kannst, wenn du Lust darauf hast!“ Er ergreift meine Hand und zieht mich wieder näher an sich heran. Ich versuche mich zu wehren und beschimpfe ihn, bis seine Faust erneut in meinem Gesicht landet. „Halt endlich deine Fresse!“ Ich blicke ihn geschockt an, aber anstelle von Wut sehe ich Verzweiflung in seinem Blick. Wie? Was? Was ist jetzt auf einmal los? Ich bin hier das Opfer, nicht er! Warum schaut er so traurig? Warum entwickle ich Mitleid? Er hat mich doch geschlagen! „Was soll das, Mirac?“, frage ich nun ruhiger nach. Er lässt meine Hand los und sieht mich an. Dann setzt er sich neben mich und schweigt. Ich streiche mir über mein Handgelenk, auf dem man die Spur von Miracs Fingern erkennen kann. „Warum bist du so aggressiv? Wir kennen uns doch kaum. Und ich habe dir nichts getan.“ Habe ich nicht Recht? Meines Erachtens war ich immer viel zu freundlich zu ihm! „Du würdest das sowieso nicht verstehen! Warum sollte ich es dir also sagen?“ Ich bin überfordert mit der Situation. Was soll ich machen? Wie soll ich reagieren? Langsam ergreife ich seine Schulter und lächele ihm leicht aufmunternd zu. „Versuche es wenigstens.“ Mirac scheint davon nicht überzeugt zu sein. „Ich mache dir einen Vorschlag. Ich erzähle dir meine Geschichte und du erzählst mir deine?“ Darauf scheint er schon eher einzugehen. Er schmunzelt kurz, ehe er nickt. „Dann erzähle mal.“ Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich auf den Deal eingehen wird, aber ich fange dennoch an. „Als ich noch sehr jung war ist mein Vater abgehauen. Er hat den Druck nicht mehr ausgehalten, schätze ich. Meine Eltern haben sich auch sehr oft gestritten, aber wirklich viel habe ich davon nicht mitgenommen. Ich war eben noch sehr jung. Aber was in meinen Gedanken geblieben ist, war der Satz meiner Mutter, als mein Vater schon etwas länger weg war. Ich war da gerade vierzehn, glaube ich. Und als meine Mutter merkte, dass ich auch alleine klarkommen könnte, sagte sie mir das schlimmste, was man seinem Kind sagen kann. ‚Du bist schuld daran, dass Tom weggelaufen ist. Du bist an allem schuld! Ich hätte es so machen sollen wie er! Dich einfach zurücklassen! Ich hasse dich! Du bist nicht mein Sohn!‘ Ab diesem Tag hat sie sich immer weiter von mir zurückgezogen, bis sie mich irgendwann gar nicht mehr beachtet hat. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch weiß, dass sie einen Sohn hat.“ Das war eigentlich das wichtigste. Mirac schweigt die ganze Zeit und scheint abzuwarten, ob noch etwas kommt. „Ich habe angefangen mich wertlos zu fühlen, musste nebenher aber für mich selber und auch für die Wohnung sorgen. Ich habe meine Mutter oft gebeten eine Therapie zu machen. Aber was soll es bringen, mit einer Person zu reden, für die man nicht mehr existiert? Von daher habe ich es aufgegeben.“ „Warum bist du nicht zum Jugendamt gegangen?“ Das ist wohl eine berechtigte Frage. „Weil ich weiß, was dann passieren würde. Ich wäre in ein Heim gekommen und meine Mutter in irgendeine Anstalt. Ich wollte weder das eine, noch das andere. Ich war ein Kind. Ich hatte einfach nur unendliche Angst. Und durch das Verhalten meiner Mutter, hat es sich in mein Gehirn gebrannt, dass ich nichts wert bin. Dass die Welt auch ohne mich gut leben könnte. Na ja und daher die Narben. Das war‘s.“ Mirac nickt langsam. „Hast du jemals wieder etwas von deinem Vater gehört? Oder versucht ihn zu erreichen?“ Ich schüttele den Kopf. „Nein, ich möchte ihm nicht auch noch zur Last fallen. Er hat uns den Rücken gekehrt und hatte seine Gründe dafür. So ist das wohl, wenn man nicht aufpasst und ein Unfall geboren wird.“ Nachdem ich die gesamte Geschichte mal jemandem erzählt habe, habe ich das Gefühl, dass eine große Last von meiner Seele fällt. „Bitte erzähle es keinem“, ergänze ich noch schnell, ehe ich Mirac aufmunternd anlächele. „Und jetzt du“, fordere ich ihn auf, aber Mirac scheint das anders zu sehen. „Warum lebst du so? Du kannst doch ausziehen? Deine Mutter schafft das auch alleine. Und wirklich helfen tust du ihr doch sowieso nicht, wenn sie es eh nicht will.“ Ich will nicht weiter darüber reden. „Nein, kann ich mir eh nicht leisten.“ „Ja, aber dafür gibt es so etwas wie Kredite oder BAföG. Auch Schüler haben auf so etwas Berechtigung, wenn sie alleine leben müssen oder wollen.“ Ich murre auf. „Lass gut sein, Mirac. Ich will hier nicht weg und fertig. Außerdem hatten wir einen Deal! Jetzt bist du dran damit, mir deine Geschichte zu erzählen!“ Mirac sieht mich schweigend an und ergreift mal wieder meinen Arm. Allerdings nicht meinen verletzten. „Komm her.“ Er zieht mich zu sich und in seinen Arm. Dann legt er sich auf den Rücken und zieht mich auf seine Brust. Mirac beginnt, mich im Nacken zu kraulen. Was ist jetzt passiert? Bin ich hier im falschen Film? Hat sich eben ein schwarzes Loch unter mir geöffnet und mich in eine andere Dimension gezogen? In eine wo Mirac nett ist und ich vielleicht der Arsch? Ich spanne mich an, als ich spüre, wie eine Hand von ihm an meinen Hintern rutscht. „Hey!“ Er sieht mich nur an und bringt mich zum Schweigen, indem er mir seine Lippen aufdrückt. Was soll das Ganze? Mirac küsst mich dringlich, packt mich und dreht sich mit mir um, sodass ich nun unter ihm liege. Eine Hand rutscht unter mein Shirt und krault meine Brust. Ich werde knallrot und versuche ihn von mich zu drücken. Ist nur schwer, mit meiner gebrochenen Rippe und somit muss ich recht schnell wieder damit aufhören. Er küsst mich weiter und seine Zunge dringt nach vorne, um meine Lippen dazu zu zwingen, sich zu öffnen. Eher widerwillig tue ich ihm den Gefallen. Es ist ja nicht so, als würde mir Küssen selber nicht gefallen. Ich keuche leise auf, als seine Zunge mit meiner einen Kampf anfängt. Mich überkommt überall Gänsehaut und seine Finger kratzen leicht über meine Brust, während seine Hand weiter nach unten wandert. Ich spüre, wie seine Finger an meiner Hose herumfummeln und werde nervös. Was soll ich tun? Es ist nicht so, als könnte ich mich stark gegen ihn wehren. Aber soll ich es einfach zulassen? Ich weiß, was passiert, wenn ich ihn nicht aufhalte. „Mirac!“, murre ich zwischen einigen Küssen. Er blickt mich kurz abwartend an. Aber ich sage nichts, sondern weiche seinem Blick aus und meine Wangen ziert erneut ein Rosaton. Er grinst leicht und beginnt, mir das Shirt auszuziehen. Dann betrachtet er den Verband. „Sorry“, murmelt er und ich zucke leicht mit den Schultern. Ich spüre seine Lippen an meinem Schlüsselbein und wie sie sich langsam zu meiner Brust bewegen, bis sie den Verband erreichen. Diesen überspringt er einfach und küsst sich stattdessen ab meinem Bauchnabel weiter nach unten. Na super. Die Erregung ist wirklich nicht zu übersehen in meiner Hose. Er öffnet den Knopf und den Reißverschluss und ich werde immer unsicherer. Das ist falsch! Sowas von falsch! Seine Hand streift mein Glied und ich erzittere. Er kommt erneut hoch zu meinem Gesicht und ich atme schneller. Wir küssen uns und keiner sagt mehr ein Wort. Und mit einem letzten Blick in Miracs schaurige, aber auch traurige Augen, beschließe ich, mich ihm einfach hinzugeben. Kapitel 6: Lust --------------- Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Was habe ich getan?! Ich liege starr in meinem Bett. Miracs starker Arm hält mich umschlungen und ich kann mich nicht wegbewegen. Scheiße! Ich werde wieder panisch. Was habe ich mir dabei gedacht, mit ihm zu schlafen?! Nicht, dass es nicht geil war. Es tat weh und er war nicht gerade unvorsichtig. Stattdessen eher grob und vor allem darauf bedacht, dass es ihm gefiel, aber es war heiß! Und zwar richtig heiß! Zu heiß! Das ist nicht gut. Gar nicht gut! Ich kenne mich und ich hätte das niemals machen dürfen! Wie kann ich mich nur auf einen Typen wie Mirac einlassen?! Bin ich denn total bescheuert? Irgendetwas in meiner Hirnregion muss gestern Abend ausgefallen sein! Und warum musste er jetzt auch noch hier schlafen? Hätte er nicht wenigstens danach abhauen können, so wie bei jedem One-Night-Stand?! Scheiße! Ich sehe zur Seite, als ich bemerke, dass Mirac sich bewegt. Bitte wach nicht auf. Bitte wach nicht auf. Seine Augen öffnen sich und starren mich an. Kurze Zeit ist es mucksmäuschenstill im Raum. Ich muss schlucken. Mein Herz schlägt wie verrückt. Ob er das hören kann? Bestimmt, oder? Er muss es hören können! „Morgen“, nuschelt er schlechtgelaunt vor sich hin und zieht mich näher zu sich. „Äh, morgen!“, erwidere ich vielleicht etwas zu schnell. Warum kuschelt er jetzt mit mir? Warum geht er nicht einfach? Ich spüre seinen nackten Penis an meinem. Nicht gut! Gar nicht gut! Ich versuche mich wegzudrehen, aber es klappt nicht. Hör auf Penis, nein! Er fängt an sich zu regen und ich schließe die Augen. Ich muss an irgendetwas Ekelhaftes denken, schnell! Überfahrene Kätzchen, alte fette Leute! Ok, das war nur gemein und nicht... Na toll, jetzt bekomme ich eine Latte und ein schlechtes Gewissen! „Hmh, hattest du gestern noch nicht genug?“, fragt Mirac da auch schon grinsend nach. Doch bevor ich etwas erwidern kann, hat er meine Lippen in Beschlag genommen. Scheiße, es gefällt mir einfach zu gut! „Mirac, lass das! Ich habe einen Arzttermin!“ Und das ist nicht einmal eine Lüge. Mirac grummelt vor sich hin und steht vom Bett auf, nur um mir seine perfekte Hinterseite zu präsentieren. Oh Mann, ist der Kerl heiß! Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass das alles große Scheiße ist? Ich könnte heulen vor Wut! „Na dann verziehe ich mich mal. War ‘ne geile Nacht, lass das mal bald wiederholen!“ Und mit diesen Worten verschwindet Mirac ausnahmsweise Mal durch die Wohnungstür. Ich richte mich auf und muss unter Schmerzen feststellen, dass mir die Nacht nicht bekommen ist. Mein Hintern tut ungemein weh und ich verziehe mein Gesicht, ehe ich in die Küche gehe und Kaffee koche. Frühstück lasse ich heute mal ausfallen. Stattdessen gehe ich für das Check-Up wie geplant zum Arzt und hoffe auf einen vollen Warteraum, um mich nicht setzen zu müssen. Entgegen meiner Erwartung ist es total leer. Ich setze mich und versuche mir nichts anmerken zu lassen. Aua… Ich habe mir einen Stift und ein Rätselheft mitgenommen, um die Wartezeit zu überbrücken. Während ich nachdenke, beginne ich an meinem Stift zu knabbern. Als ich das merke, zucke ich zusammen und erstarre. Habe ich das schon immer gemacht? Oh Mann, das erinnert mich wieder an die vorige Nacht, wo Mirac das gleiche mit meinem „Stift“ gemacht hat. Ich werde knallrot und versuche schnell an andere Dinge zu denken. Als ich aufgerufen werde, habe ich sofort alles zur Seite gedrängt und begrüße freundlich meinen Arzt. Er untersucht mich und schmunzelt dann leicht. „An sich ist die Rippe gut dabei zu verheilen. Es dauert noch maximal zwei Wochen, dann sollte alles wieder ok sein. Ihr Blutdruck ist recht hoch. Sind Sie nervös?“ Ich nicke leicht. „Hab bestimmt nur zu viel Kaffee getrunken!“, meine ich dann schnell. Ich kann mir schon vorstellen, wer meinen Blutdruck so hochgetrieben hat. „Denken Sie daran, sich weiter auszuruhen. Bitte keine zu großen Anstrengungen vornehmen. Egal welcher Art.“ Ich nicke. Hat sich etwas an meinen Werten verschlechtert? Oder sagt er das einfach immer so? „Denken Sie bitte auch daran, richtig zu essen und genug zu trinken. Sie sehen sehr blass und durch den Wind aus. Wenn Ihnen etwas auf dem Herzen liegt, können Sie immer mit mir reden.“ Ich bedanke mich, lehne aber ab und verlasse so schnell es geht wieder die Klinik. Ich lasse mir Zeit auf dem Nachhauseweg. Eigentlich will ich auch nicht wirklich nach Hause. Ich will endlich wieder in die Schule, mich ablenken, meine Freunde sehen. Und vor allem von Mirac fernbleiben. Und ihn aus meinen Gedanken bekommen! Sollte ich Vince anrufen? Ihm davon erzählen? Lieber nicht. Ich weiß noch, wie ich reagiert habe, als er mir das von sich und Steven erzählt hat. Warum sollte er anders reagieren? Er wird vermutlich noch viel aufgebrachter sein. Wie konnte ich auch so doof sein? Aber Mirac hat einen so heißen Körper und entspricht irgendwie auch meinem Typen. Wenn er nicht so ein verdammt mieses Arschloch wäre. Aber gestern, da war er freundlich und irgendwie zuvorkommend und außerdem auf irgendeine merkwürdige Art und Weise auch verletzlich. In dem Moment fällt mir ein, dass sich die Suppe vermutlich längst in mein Parkett eingesogen hat. Na super. Jetzt sind also auch noch mein halber Boden und die Schale hinüber. Zuhause angekommen räume ich erst einmal alles weg und versuche den Boden noch irgendwie sauber zu wischen. Leider jedoch eher vergebens. Der Fleck bleibt. Den restlichen Tag über, kann ich an nichts Anderes mehr außer der letzten Nacht denken. Und ich hasse mich für meine billige Entscheidung. Ich habe mich selber auf irgendeine Art und Weise von Mirac abhängig gemacht. Und zwar so richtig. Ich wünschte mir, er wäre wieder hier und wir würden einfach so übereinander herfallen wie gestern. Natürlich ohne die vorigen Schläge. Ich sitze auf meinem Stuhl und kritzle vor mich hin. Nein, nicht seinen Namen und ganz sicher auch nicht meinen Vor- und seinen Nachnamen! Obwohl sich Malik Raave gar nicht so schlecht anhört. Schluss jetzt! Nein, ich male Wölkchen und denke nach. Sehr viel. Ich liebe Mirac nicht, eigentlich mag ich ihn nicht einmal so richtig. Aber der Sex war einfach gut und es spricht ja nichts dagegen, das noch etwas öfter vorkommen zu lassen, oder? Aber wie sieht Mirac es? Was genau denkt er über mich? Einige Sachen, welche er so sagt, lassen mich darauf schließen, dass er mich irgendwie mag. Wiederum würde es nicht zu so einem Menschen passen, wenn er wirklich eine Beziehung haben wollen würde. Gegen Sex würde Mirac sicher gar nichts sagen, so wie ich ihn einschätze. Aber wieso will ich das? Was ist los mit mir? Bin ich jetzt in meiner rebellischen Phase angekommen? Gegen Monogamie und so etwas? Ich konnte ja schließlich nie rebellisch gegenüber meinen Eltern sein. Ich muss leicht grinsen. Jetzt spiele ich schon mit dem Gedanken, Mirac eine SMS zu schreiben. Ich bin doch echt verloren. Mir kann vermutlich niemand mehr helfen. Mein Handy vibriert und ich werde sofort nervös. Vielleicht ist es Mirac? Sofort blicke ich auf den Bildschirm und stelle fest, dass es lediglich eine Werbung meines Tarifanbieters ist. Enttäuscht lege ich mein Handy wieder beiseite. Na toll. Jetzt, wo ich einmal will, dass er sich meldet, kommt nichts. Keine Nachricht, kein Anruf. Er will nicht einmal wissen, wie es beim Arzt war. Vielleicht war es ja wirklich nur sein Ziel, mich einmal flachzulegen? Dieser Gedanke versucht sich langsam in den Vordergrund zu schieben, aber noch will ich ihn nicht akzeptieren. Es sind Tage vergangen, seit Mirac bei mir, nun ja, geschlafen hat. Und er hat sich seitdem nicht mehr gemeldet. Wenigstens sind meine Gedanken verflogen. Inzwischen bin ich wütend. Der Kerl hat mich doch nur ausgenutzt. Er hat meine Schwachstelle erkannt und genutzt, um mich rumzukriegen. Ich hasse ihn dafür. Warum bin ich nur auf ihn eingegangen?! Warum habe ich ihn vor fast einem Monat überhaupt angesprochen? Er macht mich so wütend und gleichzeitig irgendwie auch traurig. Ich weiß es auch nicht so genau. Aber irgendetwas in Miracs Verhalten der letzten Tage hat mich verletzt. Ich habe irgendwie darauf gehofft, dass er sich meldet. Dass er mich wenigstens anpöbelt. Es müssen ja keine Liebesschwüre sein. So etwas würde ich niemals erwarten, zudem ich darauf vermutlich nicht reagieren würde. Aber dass er sich gar nicht meldet, dass zerreißt etwas in mir. Meine Rippe ist langsam wieder soweit in Ordnung, dass ich wieder in die Schule gehen kann. Nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung. Aber wenigstens eine Ablenkung von dem ganzen anderen Scheiß, der gerade um mich herum passiert. Und eben auch nicht passiert! Man das geht mir so auf die Nerven! Seit ich Mirac kennengelernt habe, bin ich ein reines Nervenbündel und immer wieder kurz davor, zu explodieren. Ich packe gerade meine Sachen, um in die Schule gehen zu können. Aber ich habe einfach wirklich keine Lust. Dennoch zwinge ich mich dazu; wenn ich noch mehr verpasse, dann falle ich komplett durch das Semester durch. Und es zu wiederholen, wäre viel schlimmer, als jetzt hinzugehen. Ich verlasse die Wohnung und mache mich auf den Weg zum Bus. Das letzte Stück muss ich rennen, damit ich mich gerade noch so in den Bus zwängen kann, welcher wie immer total überfüllt ist. Ich dränge mich weiter nach hinten und bleibe dann in einer Lücke stehen, wo man sich wenigstens nicht selber auf die Füße tritt. Meine Kopfhörer habe ich mir ins Ohr gesteckt und es läuft irgendein Song von Eminem. Ich lasse meine Gedanken schweifen und merke nicht, wie sich plötzlich ein Arm vor mir bewegt, ehe ich etwas nach hinten gezogen und an einen großen Körper gepresst werde. Mir kommt die Galle hoch! Wie unverschämt ist das denn? Eine Anmache im überfüllten Bus?! Und dann auch noch auf diese Art und Weise? Ich will diesen Körperkontakt bestimmt nicht zu irgendeiner fremden Person haben! Jedoch habe ich auch nicht die Möglichkeit, mich umzudrehen. Also versuche ich wenigstens meinen Kopf etwas nach hinten zu wenden. Ich stocke, als ich den Geruch wahrnehme. Mirac? Ich werde leicht rot. Sofort beginnt mein Herz wie wild zu klopfen. Scheiße! Langsam nehme ich meine Ohrstöpsel hinaus und dränge mich etwas gegen ihn, während ich mich umdrehe. „Hey“, meine ich verwirrt und auch überrascht. Ich bin wirklich nicht davon ausgegangen, ihm im Bus über den Weg zu laufen. Mirac sieht mit seinem typischen nicht gerade liebevollen Blick auf mich hinab. „Na.“ Na? Mehr sagt er nicht? „Was hast du die letzte Woche so gemacht?“, frage ich so beiläufig wie möglich nach. Er zuckt mit den Schultern. „Nicht viel. War in der Uni, beim Antiaggressionstraining und so was halt. Musste meine Wohnung wieder etwas auf Vordermann bringen, nach dem Wasserrohrbruch.“ Und das war alles? Irgendwie macht mich seine Aussage wütend, ich weiß auch nicht direkt wieso. Ich verziehe mein Gesicht und weiche seinem Blick aus. „Aha“, erwidere ich lediglich, ohne weitere Worte. Mirac schmunzelt leicht und scheint nachzudenken. „Was ist los?“, will er dann wissen. „Ich dachte, dass du dich vielleicht mal bei mir meldest. Aber ist schon ok.“ Eigentlich will ich das jetzt auch nicht unbedingt im Bus ausdiskutieren. Eigentlich will ich gerade gar nicht mit Mirac diskutieren, weil ich weiß, wie es enden wird. Und ich bin froh, dass ich inzwischen keine sichtbaren blauen Flecke mehr habe. Ich zucke durch den Schmerz in meiner Rippengegend zusammen, als mich jemand kräftig anrempelt, als der Bus zum Halten kommt. Ich halte mir meine Bauchgegend und Mirac blickt mich an. Dann packt er den Typen bei der Schulter und baut sich vor ihm auf. „Hey! Pass gefälligst auf und entschuldige dich sofort bei Malik! Durch dich tut ihm jetzt seine Rippe wieder weh, du Sack!“ Ich bin erstaunt. Wieso verteidigt er mich denn jetzt? Wir sind ja kein Paar oder so. Aber es ist nett von ihm, wirklich. „Ist schon ok, Mirac. Lass gut sein“, murmele ich, da ich keine Lust auf eine Busprügelei habe. Vor allem weil mir der Fremde leidtun würde. Ich kenne schließlich die Kraft von Miracs Schlägen. Als wir an der Schule halten, will ich mich eigentlich von Mirac verabschieden, aber er schiebt mich nach draußen und begleitet mich das kurze Stück zum Eingangstor. „Kann ich dich nach der Schule abholen?“, fragt Mirac nach und er werde wieder ein kleines bisschen rot. Dann nicke ich. „Was willst du denn machen?“ Mirac zuckt mit den Schultern. „Du kannst zu mir in die Wohnung kommen, wenn du willst. Hast du ja bisher nicht gesehen.“ Ich weiß nicht so ganz, was ich davon halten soll. Mein Herz hört auch nicht mehr auf zu schlagen wie wild und meine Hände schwitzen leicht. Als wäre ich irgendeine Teeniegöre, bei der ihr erstes Mal bevorsteht. „Ähm, ja klar!“ Ob Mirac Sex von mir will? Aber er wirkt nicht so. Es scheint, als wäre er wirklich nur daran interessiert, sich mit mir zu treffen. „Dann mal bis später“, murmelt er vor sich hin. Ich nicke und will mich umdrehen, um reinzugehen, da legt er eine Hand in meinen Nacken und küsst mich. Er küsst mich! Einfach so! Wieso? Warum? Was bedeutet das? Wir lösen uns voneinander und ich sehe ihm mit verwirrtem Blick nach, als er die Straße hinunterläuft. Langsam gehe ich in die Klasse und begrüße Vince, Steve und Vio, ehe ich mich setze und den halben Tag über Mirac nachdenke, anstatt im Unterricht zuzuhören, oder mich mit meinen Freunden zu unterhalten. Ich bin ein echt abhängiges Wrack geworden. Als die Schule vorbei ist, packe ich in Windeseile meine Sachen zusammen und verlasse den Raum. Als ich nach draußen gehe, sehe ich Mirac schon am Eingangstor warten. Ich muss automatisch lächeln und gehe direkt auf ihn zu, als ich sehe, wie er telefoniert. Ich werde langsamer und mein Lächeln versiegt. Er deutet mir, ihm zu folgen. Hoffentlich ist er gleich fertig mit Telefonieren? Das Gespräch gefällt mir ganz und gar nicht. Jedenfalls nicht das, was ich höre. Ob da ein Exfreund am Telefon ist? Oder ein Mädchen mit dem Mirac einmal was hatte? Auf jeden Fall irgendwie so etwas in der Art. Denke ich… Nach einigen Minuten beendet er das Telefonat und wir betreten den Bus. „Hey“, meine ich zu ihm, da wir uns bisher nicht begrüßen konnten. „Hi.“ Ok, er ist schlecht drauf. Sofort dreht sich mir der Magen um. Jetzt will ich doch lieber direkt nach Hause. „Wie war die Schule?“, fragt er nach, ohne mich anzusehen. Ich schlucke kurz. „Ganz gut, aber langweilig. Und was hast du so getrieben?“ „Nichts Besonderes.“ Den Rest der Fahrt schweigen wir uns an, bis wir aussteigen und Miracs Wohnung kurz danach betreten. Ich sehe mich um und muss lächeln. „Sieht hübsch aus. Passt zu dir, die Wohnung.“ „Danke.“ Mirac zieht sich Schuhe und Jacke aus und lotst mich in sein Wohnzimmer. Ich setze mich auf die Couch und er bringt uns etwas zu trinken. Ich bedanke mich und schiele über den Glasrand hinweg zu Mirac. „Geht es dir gut?“, frage ich besorgt nach, aber er winkt nur ab. Langsam stelle ich mein Glas weg und werde sofort von Mirac in Beschlag genommen. Er drückt mich nach unten auf die Couch und küsst mich stürmisch. Er will also doch nur Sex? Aber das will ich nicht. Ich will mich nicht zum Sex mit ihm treffen und dann eine Woche lang nichts von ihm hören. Auch wenn das vorerst meine Intention war. Aber der Gedanke gefällt mir einfach überhaupt nicht mehr. Mirac ist schon dabei, mir die Hose auszuziehen. Ich wehre mich nicht. Wenn das die einzige Möglichkeit ist, ihm nahe zu sein, dann gebe ich mich ihm hin. Kapitel 7: Unsicherheit ----------------------- Ich weiß einfach nicht, wie Mirac und ich zueinanderstehen. Wir hatten den letzten Monat über schon öfter Sex, aber er hat mir bisher nichts wirklich Nettes oder Liebes gesagt, noch mich wie einen Partner behandelt. Eigentlich treffen wir uns manchmal nur so und gehen einkaufen oder ähnliches und haben Sex. Dann gehen wir wieder auseinander und sehen uns ein paar Tage nicht und schreiben auch nicht. Es verwirrt mich. Und es tut weh. Sehr. Aber ich bin es ja, der immer wieder freiwillig zu ihm geht und mit ihm ins Bett springt. Irgendwie bin ich wohl auch selber daran schuld. Ich seufze auf, während ich mein Hausaufgabenheft anstarre. Ich will jetzt keine Mathematik machen oder etwas über Napoleon lernen. Ich will auch kein Essay schreiben! Ich will lediglich in Miracs Arme fallen und mit ihm kuscheln und ihn küssen und ihm sagen, dass ich ihn liebe. Aber liebe ich ihn überhaupt? Liebe ich ihn so, wie man einen Partner lieben sollte? Wenn ich ehrlich sein soll, dann bin ich mir nicht sicher. Vielleicht sollte ich mal mit Viola darüber reden? So absurd es mir auch vorkommt, ich glaube sie kann mir als einzige wirklich gut weiterhelfen. Sie kennt Mirac schon ewig und vielleicht erfahre ich von ihr dann auch, wie ich ihn dazu bringe, sich in mich zu verlieben. Wobei, wenn er es jetzt noch nicht tut, will ich mich auch nicht grundsätzlich verändern, nur damit er mich mag. Dann würde er ja nicht mein wahres Ich mögen. Ich klappe mein Heft zu und lasse meinen Kopf auf den Tisch sinken. „Ich hasse mein Leben…“, murmele ich vor mich hin. Langsam greife ich zu meinem Handy und suche Violas Nummer in meinem Adressbuch raus. Soll ich es wirklich wagen? Ich drücke auf anrufen und warte ab. Das Freizeichen ertönt und ich werde nervös. Es klickt und ich höre eine männliche Stimme. „Hier bei Viola. Mirac am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“ Mein Herz macht einen Sprung und ich lege automatisch auf. Warum geht Mirac denn jetzt ans Telefon?! Das ist wirklich die letzte Person, mit der ich jetzt reden will. Mein Herz schlägt, als wäre ich eben einen Marathon gelaufen und ich spüre wie mein Gesicht rot anläuft. Also wenn das keine Liebe ist, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Nach einigen Minuten klingelt mein Handy. Ich sehe auf das Display und schlucke. Es ist Viola. Ich hebe ab und melde mich zögerlich. Hoffentlich ist es wirklich Viola! „Ja?“ „Hey, Malik! Hast du hier gerade angerufen?“, höre ich Viola ins Telefon quietschen. Ich lächele leicht. „Ja, sorry. Ich war etwas überrascht und dachte, ich hätte mich verwählt.“ Ok, das war jetzt die reinste Lüge. „Was wolltest du denn?“, fragt sie nach. Ich zögere. „Ist Mirac noch bei dir?“ Es kehrt kurz eine Stille ein, dann höre ich, wie sich eine Tür schließt. „Nein, er ist just in dem Moment gegangen.“ Ich atme erleichtert aus. „Ich wollte mit dir über Mirac reden. Und mich. Also uns, sozusagen.“ Ich kann Viola zwar nicht sehen, aber ich höre deutlich ihr breites Lächeln aus ihrer Stimme raus. „Du magst ihn, oder? Ich habe dich extra vorgewarnt und du hast dich trotzdem auf ihn eingelassen! Wieso? Er wird dich verletzen.“ Na toll, das ist wirklich ermunternd. „I-Ich weiß auch nicht…“, stottere ich. „Ich glaube ich habe mich in ihn…“ Viola quiekt auf, bevor ich den Satz beenden kann. „Irgendwie freue ich mich für dich!“, meint sie dann. Hat sie eben nicht noch gesagt, dass das ein Fehler von mir war? Ich verstehe Frauen einfach nicht. „Und du willst jetzt wissen, wie Mirac über dich denkt? Er ist ein ganz schön verschlossener Kerl, nicht wahr? Man braucht immer ein bisschen, um hinter seine Gedanken zu kommen.“ Ich nicke, bis mir einfällt, dass sie es ja sowieso nicht sehen kann. „Ja“, meine ich dann kurz angebunden. „Weißt du was? Frag ihn mal selber!“ Und mit diesen Worten hat sie einfach aufgelegt. Ich bin verdutzt und weiß nicht, was ich dazu sagen soll. „Aber ich will doch eben nicht mit ihm darüber reden!“, heule ich rum und lasse mein Handy auf den Tisch fallen. Ich habe viel zu viel Angst vor ihm. Was ist, wenn ich ihm sage, dass ich ihn liebe und er mich hasst? Oder er mich auslacht? Oder einfach weiterhin nur benutzt? Alles würde mir das Herz zerreißen. Und wenn er mich auch liebt? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dazu? Vermutlich liegt sie bei unter 0,1. Ich seufze traurig auf. Ich zerbreche mir so viel den Kopf darüber, dass ich schon krank geworden bin und eine fette Erkältung bekommen habe. Ich verkrieche mich also wieder in mein Bett und lasse die Hausaufgaben Hausaufgaben sein. Dadurch, dass ich krank geworden bin, habe ich Mirac nun schon seit mehr als einer Woche nicht mehr gesehen. Ich vermisse ihn so sehr, dass muss schon unnormal sein. Ich will ihn an meiner Seite haben! Ich starre auf mein Handy. Soll ich es wagen? Ich weiß es einfach nicht. Langsam öffne ich den Chat mit Mirac und schreibe ihm mit zitternden Händen, dass wir reden müssen. Sofort kommt er online und antwortet mit der Frage, ob wir uns irgendwo treffen wollen. Ich sage ihm, dass er vorbeikommen solle und schalte mein Display wieder aus. Und jetzt? Ich versuche mir die passenden Worte zurecht zu legen, aber das will mir nicht so richtig gelingen. Nach einer guten halben Stunde habe ich immer noch keine Worte gefunden. Ich höre ein Klopfen an meiner Terrassentür und schrecke auf. Zu früh! Viel zu früh! Was macht er schon hier?! Was soll ich denn jetzt machen? Ich stehe auf und öffne ihm. Er kommt herein, ohne etwas zu sagen und setzt sich auf meinen Stuhl. Na toll, ist er schlecht gelaunt? Ich schlucke und setze mich auf mein Bett, ohne ihn anzusehen. Da ich nichts sage, räuspert Mirac sich nach einiger Zeit. „Wolltest du nicht reden?“, fragt er dann nach. Ich zucke zusammen und nicke. „E-Es ist so… ähm…“ Wie soll ich darüber etwas sagen? Wie soll ich anfangen? Ich habe wirklich keine Ahnung! „Also, ich… Wir sollten klären… also…“ Mirac seufzt genervt auf. „Willst du mich nicht mehr sehen?“, fragt er dann nach. Ich sehe ihn überrascht an, bin rot im Gesicht und schüttele schnell den Kopf. „Nein! Doch! Wie kommst du darauf?“, frage ich dann nach. Mirac sieht mich kurz an, ehe er seinen Kopf hängen lässt. „Weil du der erste bist, der es so lange mit mir aushält“, murmelt er dann. Ich sehe ihn verwirrt an. Wie kann das sein? Wie kann man so jemanden wie Mirac wieder gehen lassen? Aber wie kann man so jemanden wie Mirac überhaupt lieben? Beides Fragen, die ich mir nicht beantworten kann. „Nein, ich will nicht, dass wir uns nicht mehr sehen!“ Mirac soll das wissen. Ich möchte nicht, dass er es falsch versteht. Er sieht mich wieder an, aber ich kann seine Gefühlsregung nicht aus seinem Gesicht heraus deuten. „Worüber willst du dann reden?“ „Darüber, wie wir uns weiterhin sehen…“ Ok, wenigstens habe ich jetzt einen Anfang gefunden. „Ich will nicht mehr, dass wir uns treffen, Sex haben und dann wieder auseinandergehen“, murmele ich leise. Er nickt. „Also willst du, dass wir uns länger sehen? Oder öfter?“ Ich werde rot. Muss er sowas fragen? Kann er nicht von alleine darauf schließen, was ich von ihm will? „A-Also…“, murmele ich wieder. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich spüre, wie meine Hände schwitzen und lasse sie in meinem Schoß liegen. „I-ich will wissen, wie wir zueinanderstehen.“ Ich traue mich nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Ich verstehe einfach nicht, was ich für dich bin. Ob du mich magst, oder ob ich nur ein Spielzeug bin, ein Zeitvertreib oder ein Freund?“ Ohne große Umschweife lächelt Mirac leicht. „Ich liebe dich.“ Es ist still im Raum. Habe ich mir das eben eingebildet? Ich werde knallrot bis zu meinen Ohren und weiß nicht, was ich sagen soll. Die Stille wirkt unangenehm bedrückend. Mir stellen sich die Haare auf und ich bekomme eine Gänsehaut. „W-W-Was?!“, frage ich dann nach. Mirac steht auf, um zu mir rüberzukommen. „Ich liebe dich“, wiederholt er, als wäre es nichts. Ich blicke auf. Und jetzt? Mein Herz fühlt sich an, als würde es zerplatzen. Mirac drückt mich hinunter auf meine Matratze und beugt sich über mich. „Ich liebe dich und will weiter mit dir zusammen sein. Richtig mit dir zusammen sein. Allen zeigen, dass du mein Freund bist.“ Ich schüttele den Kopf. „N-Nein! Das darf doch keiner wissen!“ Wenn Vince das erfahren würde, dann wäre das Geschrei wirklich groß! Mirac schiebt eine Hand unter mein Shirt und küsst meinen Hals, ehe er mir direkt in meine Augen sieht. „Willst du auch mit mir zusammen sein?“, fragt er dann mit rauer Stimme nach. Wieso muss er so direkt fragen?! Wieso will er eine direkte Antwort? Ich kann auf sowas doch nicht antworten! Zudem ich nicht weiß, ob ich ihn liebe oder nur abhängig von ihm bin. „I-Ich..“ Mirac lächelt und beugt sich runter, um mich zu küssen. Ich klammere mich an ihn und erwidere den Kuss. Ja, ich will mit ihm zusammen sein. Ich will ihn lieben wie einen festen Freund. Und ich will auch, dass er mich so liebt und es mir immer wieder sagt. Ich keuche leise auf, als seine Hand meinen Bauch hinunterfährt und seine Lippen wieder meinen Hals und dann mein Schlüsselbein liebkosen. „H-Halt, Mirac…“, murmele ich, aber Mirac scheint nicht daran zu denken. Ich muss leicht auflächeln. Wir sind ein Paar. Ab jetzt. Genau in diesem Moment. Und wir bleiben es, hoffentlich. Kapitel 8: Überrascht --------------------- Ich bin jetzt schon seit drei Monaten heimlich mit Mirac zusammen. Er tickt manchmal immer noch aus, aber in erster Linie entschuldigt er sich danach immer sofort. Ich kann ihm auch meistens nicht lange böse sein, auch wenn ich öfters mit einem blauen Auge davonkomme. Ich weiß, dass das keine normale Beziehung ist und dass ich mich auf so etwas auch nicht einlassen sollte. Aber ich habe mir nicht ausgesucht, mich in ihn zu verlieben. Es ist einfach passiert. Und der Sex ist gut. Gut und beinahe täglich inzwischen. Vince hat mich schon des Öfteren gefragt, wer das war, der mich geschlagen hat und warum ich in letzter Zeit so merkwürdig bin. Aber ich habe ihm bisher keine Antwort darauf gegeben. Ich sitze gerade mit jemandem aus meinem früheren Schwimmteam zusammen in einem Café und unterhalte mich ausgelassen mit ihm. „Und was machst du derzeit?“, fragt mich George und ich zucke mit den Schultern. „Ich gehe in die Oberstufe. Versuche fleißig mein Abitur zu bekommen. Danach eigentlich studieren. Irgendwie würde ich gerne wieder etwas in Richtung Sport machen. Kunst liegt mir dann doch nicht soweit, dass ich es ausführlicher als im Kurs behandeln möchte.“ Er nickt verständlich. „Und du?“, frage ich neugierig. Es war übrigens nur Zufall, dass wir uns getroffen haben. Ich war gerade auf dem Weg einkaufen, da bin ich ihm begegnet. „Ach, ich bin letztens Captain des Teams geworden. Hab also doch noch eine Sportkarriere vor mir.“ Er zwinkert mir zu und ich hebe überrascht die Augenbrauen. „Glückwunsch! Aber du warst ja auch immer der Beste von uns allen! Wie sieht‘s denn mit den anderen aus? Sind Leroy und Gian noch dabei?“ Die beiden waren damals im Team zusammen mit George meine besten Freunde. Leider ist der Kontakt nach einiger Zeit aber zurückgegangen, als ich das Team verlassen habe. „Ach, die machen noch genauso viel Unsinn wie damals. Aber wie sieht‘s denn mit dir aus? Kannst du wieder richtig Sport machen? Und willst du nicht wieder ins Team kommen?“ Ein verlockendes Angebot. Ich denke nach. „Ja, prinzipiell kann ich wieder schwimmen. Meine Schulter ist verheilt. Ich würde das Angebot auch nicht ablehnen, aber ich muss schauen, ob ich es mir leisten kann.“ Ich grinse ein wenig und nippe an meinem heißen Kaffee. „Du kannst ja nächste Woche Dienstag mal vorbeischauen und dann-“ George bricht ab, als sich ein Schatten über unseren Tisch legt. Wir sehen beide auf und ich blicke erstaunt in Miracs wütendes Gesicht. „Willst du mich verarschen?!“, fährt er mich direkt an. „Ich warte die ganze Zeit zuhause auf dich und du machst hier Kaffeekränzchen mit dem da?“ Ich verziehe genervt mein Gesicht. „‘Der da‘ ist ein Freund von mir. Und ich habe ihn zufällig getroffen. Außerdem habe ich dir doch eine SMS geschrieben!“ Ich fische mein Handy aus meiner Tasche und öffne den Verlauf. Ups, da hatte ich wohl keinen Empfang. Die Nachricht wurde nicht abgeschickt. So ein Mist. Jetzt kann ich mir vermutlich wieder ein blaues Auge holen. Ich stehe auf und hole Geld aus meiner Tasche. „Sorry George. Ich schreibe dir, dann komme ich Dienstag vorbei! Und ich bezahle jetzt auch als Entschädigung.“ Er winkt aber nur ab und mustert Mirac kritisch. Ich lege einen Zehner auf den Tisch. „Der Rest ist Trinkgeld, oder behalte es.“ Mit den Worten werde ich von Mirac aus dem Café gezerrt und seufze gefrustet auf. „Was soll das?! Ich bin nicht dein Hund, den du hinter dir herziehen kannst! Außerdem kann ich auch selber laufen!“ Ich reiße mich von ihm los und bleibe stehen. „Ehrlich, das war wirklich ein beschissener Auftritt von dir! Tut mir wirklich leid, dass mein Handy die Nachricht nicht versendet hat, aber du hättest trotzdem höflicher sein können! George wird jetzt sonst was von mir denken! Und ich habe ihn wirklich lange nicht mehr gesehen. Ich wollte nur mal wieder mit ihm plaudern und fragen, wie es ihm so geht!“, rechtfertige ich mich. Warum rechtfertige ich mich überhaupt? „George, George, George!“, knurrt Mirac wütend. „Weißt du, wie scheiß egal der Typ mir ist?! Kommst du nicht auf die Idee, dass ich mir Sorgen machen könnte, wenn du einfach nicht auftauchst und keine Nachricht hinterlässt?!“ Ich funkele ihn weiter wütend an. Auf der Straße wird er mich nicht schlagen, oder? „Dann ruf an oder schreib mir und suche nicht wahllos!“ Das ist doch wirklich Mist von ihm! Ich spüre den festen Griff an meinem Handgelenk und werde von Mirac in eine Seitengasse gezerrt. Sofort bekomme ich heftiges Herzklopfen. Aber sicher nicht aus Liebe, sondern aus purer Furcht! Furcht davor, was jetzt kommt, mit einer Gewissheit, dass es sich nicht aufhalten lassen wird. Er schubst mich gegen die Wand und stemmt sich mit seinen Armen rechts und links an meinen Seiten ab. „Sei lieber dankbar dafür, dass ich mir Sorgen um dich mache! Wenn du so weitermachst, dann lasse ich dich hier in dieser Gasse verrecken!“ Seine dunklen Augen sehen gerade mehr als nur gefühllos aus. Sie haben einen Ausdruck, vor dem ich wirklich Angst bekomme. Ein Blick, bei dem ich nie gedacht hätte, dass Mirac mich wirklich mal so ansehen würde. Voller Wut und Hass. Aber warum? Was habe ich schon schlimmes getan? „Wer war der Kerl?!“, will Mirac wissen und ich beiße mir auf die Zunge. „Nicht wichtig!“ Wenn ich ihm das sage, habe ich nur Angst, dass er George etwas antut. Mirac schlägt mir mit seiner Faust ins Gesicht und ich atme zischend die Luft ein. Das kam zwar nicht überraschend, aber wie sollte man sich schon auf so etwas vorbereiten? „WER war der Kerl?!“, fragt er erneut nach. „Der Captain meines alten Schwimmteams.“ Was soll ich machen? Ich kann nur nachgeben. „Hattet ihr mal etwas miteinander?“ Ich zucke merklich zusammen. Woher weiß er das? Wir waren kein richtiges Paar, aber es gab schon einige Male, in denen George und ich uns nähergekommen sind. Damals, als ich noch heimlich in Vince verknallt war. Das war seine Art und Weise mich zu vertrösten. „Nein“, meine ich dennoch mit einigermaßen fester Stimme. Mirac schlägt erneut zu. Meine Lippe platzt auf und beginnt zu bluten. Scheiße! „Lüg mir nicht schamlos ins Gesicht!“ Miracs Stimme ist erschreckend ruhig, aber ebenso düster. „Nochmal: Hattet ihr etwas miteinander?“ Warum fragt er mich, wenn er es doch weiß? Will er es so unbedingt aus meinem Mund hören? Zögernd nicke ich. „Ein paar Mal. Aber nichts Ernstes.“ Jetzt hat er seine ehrliche Antwort. Und hilft es ihm? Nein! Ich spüre, wie Miracs Blick noch dunkler wird, wenn das überhaupt möglich ist. Ich weiß, dass er mich zusammenschlagen wird. Ich verstehe nur seine Beweggründe nicht. „Aha und ihr habt euch also ach so zufällig getroffen? Mitten auf der Straße, durch Zufall vor dem Café?! Und ihr wolltet auch bestimmt nur reden!“ Ich versuche meine gesamten Muskeln anzuspannen, aber viel hilft es nicht. Ich spüre jeden einzelnen Schlag und mit jedem Schlag werde ich schwächer, bis ich an der Wand zusammensacke. Ich sehe leicht zu ihm auf und spüre, wie das Blut mir aus der Nase und aus meiner Lippe herunterläuft. Meine soeben verheilten Rippen sind wieder gebrochen. Das habe ich bei dem Schlag in die Bauchgegend nicht nur gespürt, sondern auch gehört. Obwohl ich schon am Boden sitze, tritt Mirac nochmal zu. Er spuckt neben mir auf den Boden und wendet sich ab, um zu gehen. Ich versuche mühsam bei Bewusstsein zu bleiben, aber ich merke, wie mein Blick immer eingeschränkter wird, bis mir schwarz vor Augen wird. „Kriege deine… Eifersucht mal… in den-“, mehr schaffe ich nicht, da sacke ich vollends weg. Als ich wieder aufwache, befinde ich mich im Krankenhaus. Ich schrecke hoch und spüre die Schmerzen, welche mir förmlich die Luft abschnüren. Mir kommen die Tränen hoch und ich fasse nach meinem Gesicht. Es ist angeschwollen und ich kann kaum verständlich reden. Ich wende meinen Blick und sehe Vince mit mahnendem Blick auf einem Stuhl an meinem Bett. „Du kannst glücklich sein, dass es dir soweit gut geht“, meint er zu mir und betrachtet mich einmal von oben bis unten. „Bitte Malik, rede mit mir!“ Ich sehe ihn an, lasse dann meinen Blick senken und schüttele den Kopf. „Kann…nicht“, versuche ich so deutlich wie möglich zu sagen. Er nickt verständlich. „Dann schreib es auf.“ Er reicht mir Stift und Block. Ich ergreife sie und schaue auf das leere Blatt Papier. Was erwartet er von mir? Ich kann ihm einfach nicht von Mirac erzählen. Er wäre enttäuscht von mir und würde mir den weiteren Umgang verbieten und irgendwie untersagen. Ich weiß, dass das an sich auch die bessere Entscheidung wäre, aber ich möchte es nicht. Man kann Gefühle nicht einfach so abstellen. Auch wenn ich Angst vor Mirac habe, meine Gefühle sind immer noch da. ‚Prügelei auf der Straße‘, schreibe ich daher auf das Blatt. Vince schaut mich allerdings recht schnell mit einem Kopfschütteln an. „Ich will dir helfen, aber das geht nur, wenn du mit mir ehrlich und offen sprichst.“ Ich weiß, dass ich gerade kein guter Freund bin. Vince hingegen der beste, den man sich wünschen kann. ‚Was habe ich und wer hat mich ins Krankenhaus gebracht?‘ Ich bin erstaunt, dass Viola bisher noch nichts erzählt hat. Aber vielleicht hält sie sich auch nur raus, weil sie der Meinung ist, dass ich damit alleine zurechtkommen muss. Oder sie hat selber Angst vor ihrem Bruder und will nicht schuld sein, wenn unsere Beziehung zu Ende geht. „Irgendjemand hat dich in der Seitengasse vor dich hinmurmeln gehört, aber du warst gar nicht bei Bewusstsein. Deine Rippen sind wieder gebrochen. Drei Stück. Zwei links, eine rechts. Du kannst vom Glück sagen, dass da nicht mehr passiert ist. Dein Magen wurde heftig demoliert und hat einen Riss bekommen. Zum Glück konnten sie dich direkt operieren. Allerdings musst du jetzt auf Schonkost umstellen. Dein Gesicht ist stark angeschwollen, das wirst du selber gemerkt haben. Deine Nase ist gebrochen und dein Geruchssinn könnte beeinträchtigt sein. Im schlimmsten Fall wird er nicht mehr vollständig wiederhergestellt.“ Ich muss schlucken. Da hat Mirac doch weit übertrieben. Mit einer Ohrfeige oder einem Schlag ins Gesicht wäre ich wirklich noch zurechtgekommen, aber das ist einfach zu heftig. Wie soll ich damit umgehen? Ich will ihn erst einmal nicht mehr sehen. Aber das wird auf Dauer kaum funktionieren. „Außerdem ist deine linke Hand gebrochen, weil wohl jemand zu fest raufgetreten ist. Du wirst wohl eine Weile hierbleiben.“ Ich nicke. Was soll ich dazu schon sagen? Vince bleibt noch eine Weile bei mir, bis er sich verabschiedet, weil er nach Hause muss. Ich bin erleichtert, als ich alleine in meinem Zimmer bin. Jetzt kann ich endlich weinen. Nicht vor Schmerz, nicht vor körperlichen Schmerz jedenfalls. Aber aufgrund meines seelischen Schmerzes. Ich kann einfach nicht mehr. Mirac macht mich kaputt, vollends. Und ich habe nicht einmal ein Familienmitglied, welches sich um mich kümmern wird, solange ich im Krankenhaus liege. Zwischendurch kommen Schwestern und einmal auch der Arzt, welche mich durchchecken und mich nach meinem Befinden fragen. Sie sprechen ebenfalls die Narben an meinem Arm an, aber darauf gehe ich nicht ein. Ich kann sowieso nicht reden, wieso sollte ich dann versuchen, etwas zu erklären? Allerdings lässt der Arzt sich nicht davon abbringen, einen Therapeuten zu mir zu schicken. Aber auch der bekommt aus mir nichts heraus. Nach einiger Zeit falle ich in einen unruhigen Schlaf und träume schlecht von Mirac und den Schlägen und seinen düsteren Augen mit dem Blick, den ich nie wiedersehen will. Als ich das nächste Mal aufwache, starrt mich ein dunkles Augenpaar an. Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass Mirac auf meiner Bettkante sitzt. Ich fahre erschrocken zusammen und starre ihn an, wobei ich mühsam versuche so weit weg wie möglich zu kommen. Mein Puls beschleunigt sich und mein Atem wird flach. Mir kommen vor Schreck sogar die Tränen wieder hoch und ich beginne automatisch zu zittern. Mirac hebt eine Hand und mir stockt der Atem. Will er mich jetzt gänzlich umbringen? Ich spüre kurz danach seine warme Berührung an meinen Haaren und spanne mich automatisch an. „Hey“, meint er murmelnd. Hey?! Ist das sein Ernst? Mehr fällt ihm nicht ein? Als wäre mit einem einfachen „Hey“ alles wieder in Ordnung! „Hab schon mitbekommen wie es dir geht. Hab in deine Akte geschaut.“ Er deutet auf die Akte, die in einem Gitter am Ende meines Bettes liegt. Mein Blick ist noch immer starr. „Ich weiß, dass ich das nicht entschuldigen kann.“ Ich bin froh, als er seine Hand wieder von mir nimmt. „Aber du sollst wissen, dass ich dich liebe und deshalb so gehandelt habe.“ Seine Liebe kann er sich gerne sonst wo hinstecken! „Es tut mir leid.“ Ich greife zitternd nach Stift und Block und krakele kaum leserlich ‚Eine Entschuldigung reicht nicht aus‘. Er liest die Worte, aber sie scheinen ihn kalt zu lassen. Ich kann keine Gefühlsregung in seinem Gesicht erkennen. „Ich dachte, dass du wieder etwas mit diesem George hast, weil er dich so angeschaut hat. Und dann bin ich ausgerastet. Vor allem, weil es mir vorkam, als würdest du dich heimlich mit ihm treffen. Und ihr wart so vertraut miteinander.“ Soll ich dazu etwas sagen? Er weiß, dass er falsch lag. „Kann ich es wieder gut machen?“ Ich starre ihn nichtssagend an. Dann beginne ich zu schreiben. ‚Du hast mir drei Rippen und meine Nase gebrochen. Mein Geruchssinn ist eingeschränkt, ich kann nicht mehr reden und darf wegen des Magenrisses nur noch Schonkost essen. Mein linkes Handgelenk ist kaputt, weil du darauf herumgetrampelt hast. Ich bleibe vielleicht einen Monat lang oder länger im Krankenhaus und kann mein Abitur nicht abschließen. Vielleicht werde ich nie wieder richtig riechen, noch schmecken können. Glaubst du wirklich, dass ich dir das verzeihe?‘ Ich reiche ihm den Block. Er liest sich alles durch, dann lächelt er schief. Nicht gerade die Reaktion, die ich erwartet habe. Er gibt mir den Block kopfschüttelnd zurück. „Ich werde mir das selber nicht verzeihen. Aber trotzdem kannst du mir noch eine Chance geben.“ Zögernd starre ich auf das Blatt. Er hat mich zu tiefst verletzt, er misstraut mir und unterstellt mir Sachen, ohne mich etwas erklären zu lassen. Und trotzdem verlangt mein Herz immer noch nach ihm. Ich verstehe es selber nicht. Ich weiß, dass es falsch ist, dennoch schreibe ich mit zittriger Hand die Antwort, die er vermutlich hören will. ‚Ich werde darüber nachdenken.‘ Kapitel 9: Einsamkeit --------------------- Ich liege nun schon seit eineinhalb Monaten im Krankenhaus. Mirac hat mich nicht mehr besucht, seit ich ihn gebeten habe, mir Abstand zu geben. Ich bin erstaunt, dass er sich daran hält. Allerdings schickte er mir mindestens einmal am Tag eine Nachricht, wie es mir denn geht und ob der Arzt etwas gesagt hat. Ich habe ihm bisher nicht gesagt, dass mir die ganze Zeit über ein Therapeut aufgedrückt wird, den ich stetig ablehne. Ich will und kann einfach noch nicht über irgendetwas reden. Eher würde ich mit Vince über alles reden, als mit einem Fremden. Meistens antworte ich ihm immer mit dem gleichen Mist. ‚Alles beim Alten. Gibt nichts Neues. Mir geht es den Umständen entsprechend.‘ Ab der dritten Woche hat Mirac dann nachgegeben. Er schreibt mir nur noch einmal alle sieben Tage und wir führen lediglich einen kurzen Smalltalk. Was soll ich machen? Ich will Mirac nicht nicht sehen. Ich will ihn aber auch nicht sehen. In meinem Kopf dreht sich alles. Ich kann nicht klar denken. Seufzend blättere ich in einer langweiligen Zeitung, anstatt mich mit meinen Hausaufgaben zu beschäftigen. Der Therapeut betritt nach kurzem Klopfen mein Zimmer und sieht mich lächelnd an. „Hallo Malik.“ Es ist immer das Gleiche. Er ist stets freundlich, wir sind per du, das hat er mir erlaubt. Er setzt sich immer rechts von mir an mein Bett. Totale Routine. „Morgen“, erwidere ich wenig begeistert. Ich habe nichts gegen Steffan an sich, aber ich verstehe nicht, warum er weiterhin versucht, zu mir durchzudringen. Allerdings habe ich auch keine Lust mehr, alles in mir zu vergraben. „Wie geht es dir heute?“ Ich hebe meine Hand und bewege sie. „Wieder heil. Ich bin eigentlich nur noch wegen meiner inneren Organe hier. Der Arzt meinte, er wolle noch beobachten, ob mein Magen wieder vollständig in Takt ist und ob meine Rippen nicht in mein Herz stoßen können. Sowas halt. Ansonsten gut, oder wenigstens den Umständen entsprechend.“ Steffan nickt und notiert sich irgendwas. Mich würde schon interessieren was er da aufschreibt, aber ich bezweifle, dass er es mir sagt. Kann ja eigentlich nur das gleiche wie immer sein. „Was macht dein Arm?“ Eigentlich eine unnötige Frage. Im Krankenhaus wurden mir Rasierklingen oder andere scharfe Sachen strengstens untersagt, solange ich mich dem Therapeuten nicht öffne. Ich zuckte mit den Schultern. „Alles wie immer.“ Er nickte. „Malik, ich bin heute aus einem bestimmten Grund hier, nicht nur um mit dir wie immer Smalltalk zu führen. Ich würde dir gerne anbieten, dass wir uns auch in nächster Zeit außerhalb des Krankenhauses einmal die Woche treffen, um zu reden. Ich werde dir dafür auch nichts berechnen, da du ja nicht freiwillig zu mir gekommen bist. Außerdem mag ich dich und sehe es nicht als Arbeitszeit an.“ Ich bin erstaunt und sehe ihn mit großen Augen an. Soll ich das Angebot annehmen? An sich ist es wirklich nett, aber bringt es mir denn etwas? Ich kratze mich leicht im Nacken. „Ist gut“, meine ich dann und gebe ihm meine Handynummer. Wir reden noch eine Weile über Gott und die Welt, nur nicht über meine Probleme. Steffan ist wirklich nett. Er drängt mich zu nichts und ist immer die Ruhe selbst. Auch wenn das für ihn bestimmt mehr schlecht als recht ist. Kurz danach betritt der Arzt mein Zimmer und sieht mich mit einem Blick an, der nichts Gutes bedeuten kann. Was ist los? Sind meine Werte vielleicht doch schlechter geworden, als befürchtet? Aber warum sollten sie? Der Arzt räuspert sich und scheint mit sich zu ringen. Sollten Ärzte nicht gewöhnt sein, schlechte Nachrichten zu überbringen? Ich sehe ihn abwartend an. „Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen das mitteilen muss, Herr Hertel. Allerdings hat Ihre Mutter während Sie im Krankenhaus lagen einen Herzinfarkt gehabt. Sie hat die letzte Nacht leider nicht überlebt.“ Ich sehe den Arzt ungläubig an. Ich bin nicht in der Lage etwas zu erwidern. Meine Mutter soll tot sein? Einfach so? Ich schüttele leicht den Kopf, der Arzt legt mir seine Hand auf meine Schulter. „Ich lasse Sie jetzt erst einmal alleine, damit Sie es verarbeiten können.“ Mit diesen Worten verlässt er mein Zimmer und ich bleibe alleine zurück. Der Schock sitzt mir zu tief im Nacken, als dass ich irgendwie reagieren könnte. Langsam nehme ich mein Handy zur Hand und schreibe Vince eine Nachricht. Allerdings stelle ich auch direkt klar, dass ich sonst nicht weiter darüber reden möchte und er hält sich an meine Bitte. Ich sacke zusammen und beginne nach einer guten halben Stunde des Schweigens zu weinen. Es bricht einfach aus mir heraus und ich kann es nicht aufhalten. Jetzt habe ich wirklich meine restliche Familie verloren. Meine Mutter! Eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Und das schlimmste ist, dass ich seit Jahren nicht mehr mit ihr reden konnte. Warum habe ich sie nicht in eine Klinik gebracht? Warum habe ich nichts an der Situation geändert? Ich bereue es. Ich bereue alles, was ich in den letzten Jahren bewusst falsch gemacht habe! Ich habe wirklich meine Mutter verloren. Endgültig. Ich werde sie nie wieder meinen Namen sagen hören, sie wird mich nie wieder anschauen. Ich zittere am ganzen Körper, als plötzlich meine Zimmertür aufgerissen wird. Erschrocken sehe ich auf, als Mirac auch schon an mein Bett tritt und mich in den Arm nimmt. Er sagt nichts, sondern drückt mich nur fest an sich und hält mich fest. Seine Hand liegt in meinen Haaren und presst mein Gesicht an seine Brust. „Ich habe es von Viola erfahren“, sagt er leise. „Es tut mir leid.“ Ich schluchze auf und hasse mich in dem Moment dafür, dass ich Mirac gegenüber diese Schwäche zeige, obwohl ich eigentlich den Abstand bewahren wollte. Dennoch kralle ich mich förmlich an ihn fest, um Halt zu finden. Halt in einem Moment, wo ich das Gefühl habe, Kilometer tief hinunter in einen Abgrund zu stürzen. Ich beginne erneut lautstark zu weinen und ignoriere alles um mich herum. Jetzt existieren nur noch Mirac und ich. Nachdem ich mich ein wenig beruhigt habe, streicht er mir fürsorglich über die Wange. Er sieht mich ein wenig mitfühlend an, sagt jedoch nichts. Er scheint zu warten, dass ich als erster etwas sage. „Du hättest nicht herkommen müssen“, meine ich mit brüchiger Stimme, ohne ihn anzusehen. Ich lasse von ihm ab und sinke zurück in meine Kissen. „Danke“, entwischt es mir leise. Er lächelt ein Stück weit und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich werde immer da sein, wenn du mich brauchst. Du kannst immer zu mir kommen, ich werde dir helfen“, murrt er mir zu. Ist das ein Versprechen oder eine Gehirnwäsche? Will er mich noch weiter von ihm abhängig machen? Als wäre ich das nicht schon längst genug. Ich muss schlucken. Die letzte Zeit war für mich wirklich schwer gewesen, aber das heute war mehr, als nur ein Schlag in die Magengrube. Mehr als ein paar Rippenbrüche oder eine verstauchte Nase. Der Tod meiner Mutter hat mir gefühlt einfach mein Herz zerrissen. In mehrere Fetzen. „Ich habe so vieles falsch gemacht. Und ich werde nie wieder mit ihr reden können. Dabei hatte ich ihr immer so viel zu sagen, was sie vielleicht sogar interessiert hätte. Wenn ich die richtigen Worte gefunden hätte…“ Mirac knurrt auf. „Lass das! Du gibst dir schon wieder für Dinge Schuld, für die du überhaupt nichts kannst! Deine Mutter ist einem Herzinfarkt unterlegen, daran hättest du auch mit deiner Anwesenheit nichts ändern können. Und sie hat sich gegen dich und du dich nicht gegen sie entschieden. Wenn sie dich beachtet hätte, dann würdest du jetzt nur noch viel mehr mit ihrem Tod kämpfen!“ Ich weiß, dass er es nicht böse meint. Ich weiß auch, dass er recht hat. Aber ich sehe es nicht, ich verstehe es nicht. Mein Gehirn will das so nicht wahrhaben. Und mein Herz erst recht nicht. „Wollen wir nicht lieber über uns sprechen?“, fragt mich Mirac und ich zucke merklich zusammen. Denkt er wirklich, dass ich dafür jetzt gerade noch einen Nerv habe? „Ich habe dich einen Monat lang in Ruhe gelassen. Du hattest genug Zeit, um über alles nachzudenken. Was ist jetzt? Wie hast du dich entschieden? Willst du die Beziehung beenden? Habe ich es verbockt?“ Er scheint ja nicht gerade positiv zu denken. Aber ist es ihm zu verübeln? Wohl eher nicht. Ich zögere. Was soll ich ihm sagen? Ja, ich habe nachgedacht, aber ich bin einfach zu keinem Ergebnis gekommen. „Ich habe sehr viel nachgedacht über dich. Und über mich. Über uns einfach. Ich kann dir nicht sagen, dass ich zu einem klaren Ergebnis gekommen bin. Es ist nicht so, dass ich dich nicht weiter treffen will. Ich will mich nicht von dir trennen müssen, aber wiederum hast du mich fast totgeprügelt.“ Na gut, das ist wohl etwas übertrieben, aber ich empfinde es einfach so. „Ich habe wirklich Angst vor dir, Mirac. Aber ebenso mag ich dich auch. Und es würde mich wohl nur noch mehr verletzen, wenn ich dich nicht mehr sehen könnte.“ Ich sehe ihn an und lächele leicht. „Weil ich dich wirklich mag.“ Ich glaube, das habe ich ihm so bisher nicht gesagt, oder? Mirac nickt. „Ok.“ Nur ok? Mehr sagt er dazu nicht? „Was soll ich mit so einer Antwort anfangen?“, frage ich ihn mit hochgezogener Braue. „Dass es ok ist. Ich akzeptiere deine Entscheidung, egal wie sie final ausfallen wird. Ich bin froh, dass du mich weiterhin sehen willst, kann es aber auch verstehen, dass es vorerst in Maßen sein wird.“ Dass meine Mutter gestorben ist, scheint in den Hintergrund gerückt zu sein. Aber ist wohl auch besser so, vorerst. Ich unterhalte mich noch einige Zeit mit Mirac, ehe wir uns küssen und er verschwindet. Wieso habe ich ihn nur wieder so nahe an mich rangelassen? Das kann doch sowieso nicht gut enden, oder? Nach einer weiteren Woche werde ich endlich aus dem Krankenhaus entlassen. Ich bin zwar noch durch und durch verbunden, meine Nase ist auch weiterhin abgeklebt und ich sehe nicht gerade gut aus, aber ich bin vorerst wieder gesund. Das Taxi hält vor meiner Wohnung und ich steige aus. Langsam gehe ich auf das Haus zu und schließe auf. Vor der Wohnungstür verharre ich. Wenn ich jetzt eintrete, dann bin ich alleine. Nur diesmal mit dem Gewissen, dass meine Mutter später nicht nach Hause kommen wird. Ich schließe die Tür auf und lasse meine Tasche im Flur fallen. Es ist düster, alle Jalousien sind heruntergelassen, es riecht unangenehm. Ich gehe mechanisch in mein Zimmer und greife nach der Rasierklinge in meinem Nachttisch. Langsam lasse ich mich in der Ecke auf den Boden sinken und fange an zu weinen, während ich mir in meinen Arm schneide. Das Blut läuft meinen Arm hinab und tropft auf den Boden. Ich lächele. Mein dunkles Zimmer umfängt mich und ich spüre, wie ich wieder diesen Abgrund hinunterfalle, ohne dass mich diesmal jemand aufhalten kann. Meine Tränen vermischen sich mit dem Blut und mein Arm beginnt zu schmerzen. Das taube Gefühl verschwindet und ich schreie heulend auf. Wieso hat man mir auch noch das letzte genommen, was ich an Familie hatte? Es klingelt an der Tür, aber ich denke nicht daran, sie zu öffnen. Kurz danach höre ich ein Klacken und Schritte, die auf mich zukommen, aber ich bin zu taub, um mich bewegen zu können. Mirac schlägt mir die Klinge aus der Hand und drückt mir irgendwelche Tücher auf den Arm, während er irgendetwas vor sich hinschimpft. Ich bekomme es nicht richtig mit. Alles ist dumpf um mich herum und meine Tränen kommen mir lauter vor, als Miracs Stimme. Ich spüre, wie er mich hochhebt und ins Badezimmer trägt. Das helle Licht blendet mich, obwohl ich meine Augen geschlossen habe. Mirac macht irgendetwas mit meinen Armen, aber bevor ich nachschauen kann, wie er sie behandelt, bin ich in Ohnmacht gefallen. Ich blinzele müde und muss feststellen, dass das Deckenlicht mir direkt ins Gesicht leuchtet. Als ich mich aufsetze und mich umblicke bemerke ich, dass Mirac mich auf die Couch ins Wohnzimmer gelegt hat. Ein angenehmer Essensgeruch steigt mir in die Nase und mein Magen beginnt zu knurren. Ich kann endlich wieder richtige Mahlzeiten zu mir nehmen! Moment, Mirac kocht? Wie ist er vorhin eigentlich in meine Wohnung gekommen? Ich sehe auf meinen Arm und stelle fest, dass er verbunden ist. Bald ist mein gesamter Körper bandagiert, wenn das so weitergeht. Seufzend halte ich mir meinen Kopf. Er dröhnt, liegt bestimmt am Blutverlust. „Wolltest du dich umbringen?“ Ich wende erschrocken meinen Kopf und sehe Mirac im Türrahmen stehen. Er hat seine Arme vor der Brust verschränkt und eine eindeutige Abwehrhaltung angenommen. Langsam schüttele ich den Kopf. „Dann müsste ich senkrecht schneiden“, erläutere ich sachlich. Ich weiß, dass das nicht die Antwort ist, die er hören will, aber das ist mir egal. Ich werde mich bei ihm auch nicht bedanken. Hätte er mich meinem Schicksal überlassen, wäre ich damit auch zurechtgekommen. Er hat mir also nicht zwingend einen Gefallen getan. „Wie bist du in meine Wohnung gekommen?“, frage ich ihn stattdessen. Er sieht mich nur schweigend und wütend an. Langsam kommt Mirac auf mich zu, aber ich habe nicht wirklich Angst. Er hat mich inzwischen schon so oft geschlagen, da kann mir das nun wirklich egal sein. Als er vor mir steht, schließe ich abwartend meine Augen, um den Schlag wenigstens nicht direkt anschauen zu müssen. Doch plötzlich spüre ich, wie seine Arme sich um meinen Körper legen und er mich an sich drückt. „Bitte, tu das nie wieder! Du weißt gar nicht, was für eine Panik ich bekommen habe! Wenn du dich scheiße fühlst, dann sollst du zu mir kommen und dich nicht selber verletzen! Ich will nicht jeden Morgen mit der Sorge aufwachen, dass du dich vielleicht umbringen könntest!“ Ich blinzele verwirrt, ehe mein Herz sich zusammenzieht. Langsam hebe ich meine Arme an und erwidere die Umarmung. „Es tut mir leid“, sage ich leise, ohne darüber nachzudenken, was diese Worte bedeuten. Tut es mir leid? Ich bin mir nicht sicher. Eigentlich wollte ich doch Abstand von Mirac haben. Mirac setzt sich neben mir auf das Bett und zieht mich an seine Brust, sodass ich auf ihm zu Liegen komme. „Als ich damals jünger war und noch zur Grundschule ging, wurde ich ziemlich häufig gehänselt. Wobei man es wohl schon eher als Mobben bezeichnen sollte. Durch meinen Krebs und die Chemo sind mir die Haare ausgefallen. Also eine ganz typische Geschichte. Als ich in die Oberschule kam, hatte ich Schulangst. Das war die Zeit, wo ich bei meiner Mutter gewohnt habe. Meine Mutter ist leider exzessive Trinkerin, daher hatte ich darauf auch bald keine Lust mehr. Generell habe ich mich um 180 Grad gewendet, habe mich nicht mehr wie Dreck behandeln lassen und den Leuten zurückgegeben, was sie mich haben spüren lassen. Ich bin zuhause ausgezogen und halte spärlichen Kontakt zu meiner Mutter.“ Ich bin verwirrt. Warum erzählt er mir das alles? „Meine Mutter ist zwar nicht gestorben und ich leide auch nicht an Depressionen, aber als ich kleiner war, habe ich auch keinen Sinn dahinter gesehen, warum ich leben sollte, Malik. Aber das wichtigste ist nicht, ob du dein Leben brauchbar findest, sondern die Leute, die sagen, dass sie dich brauchen. Und für diese Leute solltest du leben.“ Ich verkrampfe mich leicht. Ich weiß ja, worauf er hinaus will und fühle mich auch Sekunde für Sekunde schlechter. „Und ich gehöre zu diesen Leuten dazu. Ich brauche dich, Malik. Weil du der einzige bist, der mich ansatzweise akzeptiert. Also bitte versprich mir, dass du bei mir bleiben wirst.“ Mirac gibt mir einen Kuss auf den Haarschopf und streicht mir liebevoll über den Rücken. Er hat keinerlei Gefühle gezeigt, als er mir seine Vergangenheit erzählt hat, als hätte er es einfach so hingenommen. Ich bewundere ihn für seine Stärke und spüre, wie mir selber wieder die Tränen hochkommen. Leise fange ich an zu weinen und verstecke mein Gesicht an Miracs Halsbeuge. „Ich verspreche es.“ Kapitel 10: Gefangen -------------------- Ich bin momentan die meiste Zeit bei Mirac, da mir zuhause nur das Dach auf den Kopf fällt. Ich halte lediglich die Wohnung in Schach und überlege, wie ich nun weiterleben soll. Und auf welche Art und Weise. Ich stehe in Miracs Küche und koche sein Lieblingsessen. Er ist noch auf dem Weg nach Hause vom Antiaggressionstraining. Ich hoffe, dass dieses Training auch irgendwann mal etwas ändert. Oder war er vorher einfach noch viel schlimmer? Vielleicht braucht er auch einen Therapeuten? Aber den wird er wohl schon gehabt haben, wenn er jetzt dieses Training macht. Ich verwerfe die Gedanken und summe leise vor mich hin, um mich weiter auf das Essenmachen zu konzentrieren. Die Wunden an meinem Arm werden langsam zu neuen Narben, die alten verblassen. Es stört mich nicht. Es sieht zwar nicht schön aus und wenn man in der Öffentlichkeit damit herumläuft, dann wird man schief von der Seite angeschaut, aber sie kennzeichnen mein Leben und die Narben gehören zu mir dazu. Durch Mirac lerne ich, besser damit umzugehen. Generell, seit er auf mich aufpasst, habe ich mich nicht mehr geritzt. Das letzte Mal ist nun schon einen Monat her. Die Beerdigung meiner Mutter war der letzte Auslöser gewesen. Ich bin gerade so gut wie fertig mit dem Essen, als das Telefon klingelt. Ich zögere immer noch, ehe ich den Hörer abnehme. „Hier bei Mirac Raave, was kann ich für Sie tun?“ Diesen Satz habe ich in der Zeit des letzten Monats perfektioniert. Ich höre eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung und will gerade sagen, dass Mirac derzeit leider außer Haus ist und man ihn gerne in einer guten halben Stunde bis Stunde zurückrufen könne, als mir der Atem stockt. „Bitte was? Könnten Sie das wiederholen?“, hinterfrage ich sicherheitshalber nochmal nach. „Herr Raave sitzt momentan in Untersuchungshaft und hat aufgefordert, mit Ihnen reden zu können, Herr… Hertel?“ Ich glaube kaum, was ich da hören. Warum wurde Mirac denn eingebuchtet? Was ist in der kurzen Zeit die er für den Weg zum Training benötigt denn bitte passiert?! „Ich komme sofort vorbei!“, meine ich eilig und laufe mit dem Telefon in den Flur, um in meine Turnschuhe zu schlüpfen und meine Jacke überzuziehen. Ich rede noch kurz mit dem Polizisten, ehe ich das Telefon achtlos auf den Boden werfe und aus der Wohnung verschwunden bin. Ich hetze die Straße entlang und merke, wie mir tausende von Gedanken durch den Kopf kreisen. Ich will nicht akzeptieren, dass Mirac wirklich in etwas verwickelt wurde. Wird uns eigentlich nie ein wenig Ruhe und Glück gegönnt? Immer, wenn ich das Gefühl habe, dass wir endlich eine Auszeit von allem nehmen können und uns lieben und alles super läuft, würgt uns das Schicksal oder einfach das Leben wieder etwas in den Rachen. Ich habe immer noch das Gefühl, dass mein Leben mich hasst. Als ich in der Polizeistation ankomme, muss ich erst einmal durchatmen, bevor ich dazu komme, das Haus zu betreten. Ich war bisher erst einmal in so einer Polizeistation und bin auch froh darüber, dass ich hier nicht öfters hin muss. Es ist unangenehm streng und kühl. Die Polizisten sind selten nett zu einem, das waren jedenfalls meine Erfahrungen. Vielleicht aber auch, weil ich damals selber mit Vince hier festsaß und man daher eher ruppig behandelt wird. Jetzt bin ich nur ein Besucher. Ich melde mich an und werde in einen Raum geführt, wo Mirac bereits sitzt und von einem Typen bewacht wird. Wenigstens darf ich direkt mit ihm reden. Ich stürze beinahe auf ihn zu und er nimmt mich kurz in den Arm. Sollen die Typen doch über uns denken, was sie wollen. „Hey“, meint Mirac typischerweise zu mir. Ich weiß nicht, was ich antworten soll und öffne meinen Mund, um ihn wieder zu schließen. Dann sehe ich ihn fragend und drängend an. „Wieso?!“, schaffe ich es endlich zu sagen und deute um mich. Warum ist er hier, das würde ich gerne wissen. Alles andere ist mir momentan egal! Er zuckt jedoch nur mit den Schultern. „Ich werde für etwas beschuldigt, das ich nicht getan habe!“ Den letzten Teil des Satzes sagt er beabsichtigt lauter, damit die Polizisten es hören. Diese schnalzen jedoch lediglich genervt mit der Zunge und drehen uns den Rücken zu. Das ist auch nicht die beste Art von Mirac, um so mit der Situation umzugehen. „Und für WAS wirst du beschuldigt?“ Er soll nicht so lange um den heißen Brei herumreden, sonst glaube ich ihm so oder so nicht, dass er die Wahrheit sagt. Mirac seufzt leise. „Ich soll einen Juwelier ausgeraubt haben. Aber ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich bin bald wieder raus hier, wenn sie keinerlei Hinweise oder Beweise haben, die darauf hindeuten, dass ich etwas damit zu tun hatte. Mach dir keine Sorgen und kümmere dich einfach gut um den Haushalt, ja?“ Ich bin irgendwie wütend, gleichzeitig aber auch mehr als besorgt. Was soll ich dazu sagen? Am besten gar nichts! Wir unterhalten uns noch kurz, ehe ich wieder hinausgeführt werde und den Weg nach Hause antreten. Länger als 48 Stunden dürfen sie Mirac nicht ohne Beweise drin behalten. In zwei Tagen werde ich ihn also wiedersehen… Ich bin froh, dass Mirac wirklich nach den zwei Tagen wieder entlassen wurde. Dennoch wird weiterhin untersucht, ob er tatsächlich nichts mit dem Fall zu tun hat. Ich sitze ihm gegenüber am Esstisch und stochere auf meinem Teller herum. Ich weiß, dass es dumm von mir ist, aber die Frage brennt mir einfach auf der Zunge. „Hast du wirklich nichts gestohlen? Und sag mir bitte die Wahrheit, damit ich mich auf kommende Situationen einstellen kann.“ Er sieht mich zwar genervt, aber nicht böse an. Das beruhigt mich ein wenig. „Ich habe dir schon die Wahrheit gesagt! Ich habe nichts damit zu tun! Das Problem war, dass ich gerade auf dem Weg nach Hause an dem Laden vorbei bin, als der Alarm losging. Ein Passant hat mich gesehen und festgehalten mit dem Verdacht, dass ich der Täter wäre. Aber der war vermutlich längst über alle Berge. Und dadurch hat die Polizei mich vorerst in Gewahrsam genommen. Aber jetzt bin ich frei und sie werden nichts finden, das gegen mich stimmen könnte. Also ist alles in Ordnung. Mach dir mal keinen Kopf!“ Ich versuche ihm zu glauben, aber es fällt mir schwer. Mirac passt einfach gut in die Rolle eines Ladendiebes. Aber ebenso weiß ich, dass mein Glaube unsere Beziehung wieder zerstören kann. „Malik?“, fragt er mich und ich sehe auf, während meine Gabel mir in die Wange piekt. „Hmh?“ „Wir sind jetzt seit fast sechs Monaten zusammen. Wollen wir das nicht vielleicht irgendwie feiern oder so was?“ Ich habe ihm anfangs zwar nur mit halben Ohr zugehört, doch jetzt schaue ich ihn erstaunt an. Wir sind schon ein halbes Jahr zusammen? Und es gab bisher kaum einen ruhigen Moment. Umso schöner finde ich es, dass Mirac an unserem halbjährigen etwas mit mir unternehmen will. Begeistert nicke ich und die Gedanken von zuvor sind wie weggeblasen. „Ja! Super gerne! Also mal ein richtiges Date?“ So etwas hatten wir bisher nämlich nie wirklich. Zum einen, weil ich nicht will, dass uns jemand so zusammen sieht und zum anderen, weil Mirac einfach nicht der Typ dafür ist. Mirac nickt und lächelt mir zu. „Willst du was Bestimmtes machen? Oder muss ich mir jetzt etwas überlegen?“, scherzt er, aber die Idee gefällt mir ganz gut. „Überlege dir etwas! Und wehe, es ist nichts Tolles, was alles der letzten sechs Monate wieder gut macht!“ An dem Tag unseres Halbjährigens stehe ich aufgeregt auf und sehe mich um. Mirac liegt nicht mehr neben mir im Bett. Erst bekomme ich das ungute Gefühl, dass er es einfach vergessen hat, dann beschließe ich aber, vorerst kurz duschen zu gehen und nichts zu überstürzen. Mirac war halt schon immer schlecht darin, Dates zu planen oder Überraschungen durchzuführen. Als ich mit Duschen fertig bin, gehe ich leicht verwirrt in die Küche, wo ein Zettel an der Kaffeemaschine auf mich wartet. Bitte sag mir nicht, dass Mirac wirklich heute nicht da ist?! Auf dem Zettel steht ‚Wohnzimmer‘. Na, sehr liebevoll. Ich nehme mir etwas Kaffee aus der Kanne und schlendere damit in sein Wohnzimmer, wo erneut ein Zettel auf dem Wohnzimmertisch wartet. ‚Flur‘. Na also wirklich liebevoll gestaltet sind diese Zettel ja nicht gerade. Aber langsam beschleicht mich das Gefühl, dass es doch etwas schöner ist, als ich gedacht habe. Ich beeile mich, um den nächsten Wisch zu finden und lese verwirrt die Worte ‚Coffee to go‘. Ich kann mir denken, dass Mirac den Laden meint, bei dem ich mir täglich meinen Kaffee hole. Ich trinke noch schnell meinen Kaffee aus, stelle die Tasse brav in die Spüle und ziehe mir meine Schuhe an, ehe ich die Wohnung verlasse. Dass meine Haare noch nass sind, interessiert mich nicht. Ich schließe die Wohnungstür ab und springe die Treppe hinunter. Als ich einige Meter weiter bei dem Stand ankomme, kann ich keinen Zettel entdecken. Vielleicht habe ich mich auch geirrt? „Einen Kaffee bitte“, bestelle ich üblicherweise und nehme ihn dankend an, ehe ich mir einen Schluck genehmige und nachdenke. Kurz darauf fällt mir der kleine Post-It auf. Mir gleitet ein Grinsen übers Gesicht. Ok, wie hat er das gemacht? Hat er den Verkäufer geschmiert? Ich verfolge die Spur noch einige Straßen weiter und habe das Gefühl, das Mirac mich vielleicht nur verarscht, bis ich an einem relativ teuren Café ankomme, wo Mirac schon vor der Tür mit einem Strauß Blumen und einem Zettel in der Hand auf dem ‚Frühstücken‘ steht, wartet. Er grinst mich an und ich falle ihm in den Arm. Irgendwie war das süß und fies zugleich. Wir betreten das Café und Mirac lädt mich zum Frühstück ein, während ich ihn über die Zetteltour ausfrage. Aber er will mir darüber nichts verraten. Nach dem Frühstück entführt er mich in den Tierpark, danach noch ins Kino und abends sogar in ein Restaurant. Ich hätte nie gedacht, dass Mirac so viel Aufwand für mich betreiben würde. Oder, dass er so viel Geld hat. Wir sitzen zusammen an dem Tisch und essen zu Abend, ehe ich meine Gabel hinlege und in meinem Rucksack krame, den ich heute früh noch schnell über die Schulter geworfen hatte. Ich hole ein kleines viereckiges Geschenk heraus und stelle es vor Mirac auf dem Tisch ab. Er sieht es verdutzt an, ehe er anfängt, es auszupacken. „Es ist nichts Besonderes, aber ich dachte, es würde dir vielleicht gefallen…“ Er hält das Lederarmband mit dem kleinen Totenkopf hoch und lächelt mich an. „Vielen Dank“, erwidert er und beugt sich über den Tisch, um mich zu küssen, ehe er das Armband umlegt. Es passt wirklich gut zu ihm. „Dafür werde ich mich nachher noch richtig bedanken!“ Ich werde bei den Worten rot und muss lächeln. Na da kann ich mich wohl wieder auf eine lange Nacht freuen. Kapitel 11: Freiheit -------------------- „Ist das der Brief vom Amt?“, frage ich nach und versuche einen Blick auf das Schreiben zu erhaschen, was leider nicht so leicht ist. Der Größenunterschied ist zu heftig und Mirac hat mir den Rücken gekehrt. Er nickt und nuschelt etwas vor sich hin, das ich nicht verstehe. „Nicht gut?“, frage ich dann zögerlich nach. Ich mache mir wirklich etwas Sorgen. Nicht, dass sie ihn wirklich für schuldig befunden haben? „Die Anklage wurde fallen gelassen. Ich bin unschuldig und der Täter über alle Berge.“ Ich lächele aufrichtig. „Ist das nicht toll?“ Mirac scheint sich nicht wirklich zu freuen. Warum? „Schon, aber ich muss nochmal zur Polizei und ein paar Sachen unterschreiben. Und Polizisten mögen mich im Allgemeinen nicht sonderlich.“ Ach ja, er hatte ja eine Vorstrafe, oder? Ich habe ihn nie weiter danach gefragt, habe es aber auch nicht vor. Er soll es mir von sich aus erzählen. „Wenn du magst, dann begleite ich dich“, schlage ich vor. Hat Mirac wirklich Angst davor? Er dreht sich zu mir um und wirft den Brief auf den Tisch, ehe er ein abfälliges Geräusch macht. „Ich brauche keinen Aufpasser, der mir das Händchen hält!“, knurrt er mir entgegen. Ich zucke nur mit den Schultern. „Gut, dann nicht.“ Insgeheim weiß ich doch sowieso, dass er mich sehr gerne dabei hätte und das werde ich schon noch irgendwie so drehen, dass er es mir auch erlaubt. Langsam gehe ich einen Schritt auf ihn zu und lege ihm die Arme um seinen Hals. Ich schließe meine Augen, als unsere Lippen sich berühren und aus irgendeinem Grund bin ich in dem Moment wirklich glücklich. Mirac gibt inzwischen mehr Acht auf mich und versucht mich nicht mehr zu verletzen. Hey, wenigstens bemüht er sich! Ich spüre, wie er mir die Arme umlegt und mich enger an sich heranzieht. Keuchend kralle ich mich in seinem Shirt fest, wobei meine Füße vom Boden abheben, als er mich plötzlich hochhebt. Mirac legt mich auf dem Küchentisch ab und beugt sich grinsend über mich. Hat er etwa vor… Aber… Auf dem Küchentisch?! „M-Mirac“, murmele ich, wobei seine Lippen meine Laute einfach verdrängen. Das ist nicht fair. Immer, wenn ich mich beschweren will, unterbricht er mich. „Lass es doch einfach mal zu“, haucht er mir entgegen und ich werde rot. So, wie er mich gerade ansieht, wird er mich in Nullkommanichts vernaschen. Sein Blick ist wirklich heiß und seine rauchige Stimme gibt mir sowieso den Rest! Wie kann man nur so sehr auf einen Menschen abfahren? Ich kann es selber nicht nachvollziehen. Aber es ist nun mal so und dagegen kann und will ich eigentlich auch nichts machen. „Darf ich jetzt?“ Seine Hand schiebt mein Shirt nach oben und er beginnt, meine Brust zu küssen. Ich atme zischend die Luft ein. „Machst du es nicht so oder so? Egal, was ich sage?“ Mirac grinst. „Hast es erfasst!“ Er ist gemein. Ich winde mich unter ihm und murre leise, als er dabei ist, meine Hose zu öffnen. „Zieh dir wenigstens dein Shirt aus!“, befehle ich mit heiserer Stimme. Er kommt meiner Aufforderung erstaunlich schnell nach. Kurz darauf kann ich seinen durchtrainierten Körper betrachten und lecke mir unbewusst über die Lippen. „Komm her“, murmele ich und setze mich auf, um ihn an mich ziehen zu können. Jedenfalls soweit, wie die Tischkante es zulässt. Ich beiße ihm sanft in die Brust und sauge daran, bis ein schöner Knutschfleck auf ihr prangt. Dann umspiele ich seine Brustwarzen mit meiner Zunge, was ihn kurz aufkeuchen lässt. Er drückt meinen Kopf zurück und mich wieder runter auf die Platte. „Das reicht!“, murrt er dann, während er meine Hose nach unten zieht. Die Shorts folgt sofort, sodass mein Glied nun freiliegt. Ich bin in den ersten Momenten immer noch etwas verlegen, wenn ich plötzlich so nackt unter ihm liege, aber das vergeht nach einigen Sekunden immer. Seine Zunge wandert über meine Brust, bleibt einen Moment bei meinen Nippeln hängen und geht dann weiter hinab bis hin zu meinem Bauchnabel. Ich spanne mich an, je näher er an meinen Penis gelangt. Er lässt sich auch nicht wirklich viel Zeit, bis er diesen in den Mund nimmt, um daran zu saugen. Ich stöhne abrupt auf und meine Hände landen automatisch an seinen Haaren. „Nicht… Mirac!“ Es in der Küche zu treiben ist wirklich saudreckig und pervers. Aber ehrlich gesagt bin ich selber zu geil, um noch den Standort wechseln zu wollen. Stattdessen war das ‚nicht‘ eher aus Gewohnheit gesagt. Keuchend beuge ich mein Kreuz durch und lege den Kopf in den Nacken. Seine Zunge umfährt meine Spitze und macht mich verrückt. Ich öffne meine Augen einen Spalt, meine Gedanken drehen sich. Mir wird am ganzen Körper heiß und eine Gänsehaut fährt mir den Rücken entlang. Er ist viel zu gut und inzwischen wirklich sehr zärtlich. Das bin ich nicht gewohnt und es macht mich verrückt. Er löst sich nach einiger Zeit von meinem Penis und ich sehe ihn an, als er sich wieder erhebt und hinstellt. In seiner Hose ist eine Beule zu sehen. Ich fahre mir mit einer Hand über mein Gesicht und öffne meinen Mund. Er soll mich küssen! Mirac beugt sich zu mir und tut mir den Gefallen, den ich nicht einmal aussprechen musste. Ich kralle mich in seine Schultern und höre ihn leise keuchen, als sein Schritt gegen meinen presst. Kann er jetzt bitte endlich diese doofe Hose ausziehen? Stattdessen öffnet er sie jedoch einfach nur und holt ungeniert seinen Penis hervor. Ich zögere. „Mirac, erst Vorbereiten!“ Er murrt, lässt sich aber dazu herab. Ohne Vorbereitung würde ich das gesamte Haus zusammenschreien! Was erwartet er denn bitte, bei so einer Größe?! Zwei seiner Finger streichen mir auffordernd über meine Lippen und ich öffne meinen Mund, um an ihnen zu saugen und sie zu befeuchten. Er zieht sie recht schnell zurück, nur um sie an meinen Hintern anzusetzen. Auf einmal scheint er es ja ganz schön eilig zu haben?! Erschrocken keuche ich auf, als er einfach ohne Vorwarnung einen Finger in mich schiebt. „Sag nächste Mal was!“, fauche ich ihn an, während ich ihm zur Strafe über den Rücken kratze. Aber das stört ihn keineswegs. Er stöhnt stattdessen auf und reckt sich mir entgegen. „Du kleine Furie“, meint er grinsend. Mirac ist so ein Arschloch! Aber ein liebenswertes, irgendwie. Er weitet mich weiter, wobei ich ihn zwischendurch nochmal beschimpfe. Wirklich romantisch ist unser Sex wirklich selten. Aber er liebt mich und das lässt er mich spüren. Eigentlich ist das die wichtigste Tatsache. „Darf ich jetzt?“ Er zieht seine Finger wieder raus und ich hebe eine Augenbraue. Er hat sich kein Kondom übergezogen? „Ich bin sauber. Ich habe letztens einen Test beim Arzt machen lassen und ich würde dich so gerne mal richtig spüren.“ Das klingt… verlockend. „Ich habe mich aber nicht testen lassen!“, werfe ich jedoch ein. Wir haben es bisher immer mit Kondom getan, das war eine der wenigen Sachen, auf die ich bisher immer bestanden habe. „Ich vertraue dir.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Lippen und sieht mich abwartend an. Ein bisschen süß ist er ja schon, das muss ich zugeben. Er wartet auch auf meine Zustimmung, das hätte der alte Mirac nicht getan. Er hat sich in letzter Zeit wirklich zum Positiven verändert. Ich lächele leicht und nicke dann. „Ok, ich vertraue dir auch.“ Und einen besseren Vertrauensbeweis kann es doch gar nicht geben?! Mirac zieht mich näher an sich und reibt sich kurz an meinem Penis. Kurz darauf spüre ich, wie er ansetzt und langsam in mich eindringt. Er wartet einen Moment, damit ich mich an das Gefühl gewöhnen kann. Ohne Kondom tut es zwar etwas mehr weh, da doch etwas von der Feuchtigkeit fehlt, aber es ist unbeschreiblich gut! Er beginnt, sich zu bewegen und ich halte mich so gut es geht an ihm fest, während der Tisch unter uns gefährlich knarzt. Hoffentlich bricht er nicht zusammen?! Das wäre mal ein peinliches Schauspiel während dem Sex. Ich stöhne auf und vergrabe mein Gesicht in seiner Brust, wobei ich ihn immer wieder beiße und an seiner Haut knabbere. Ich küsste mich nach oben bis zu seinem Kinn, bis er endlich meine Lippen umschließt und mich inniger küsst. Ich bewege mich gegen ihn und habe das Gefühl, ihm so nahe wie noch nie zuvor zu sein. Mirac und ich liegen nebeneinander und eng zusammengekuschelt im Bett und kommen langsam wieder richtig zu Atem. Wir haben es öfter als einmal in der Küche getan und die Sauerei muss ich auch noch beseitigen. Aber nachdem wir beide endlich genug hatten, vor allem Mirac, sei hier angemerkt, haben wir uns ins Bett verkrochen, um es uns gemütlich zu machen. „Ich liebe dich Malik.“ Mirac streicht mir mit seiner großen Hand durch die Haare und mir wird warm ums Herz. Ich muss lächeln und sehe zu ihm auf. „Ich dich auch.“ Er erwidert mein Lächeln zwar nicht, aber gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich weiß, das kommt plötzlich, aber…“ Er zögert. Was will er mir sagen?! Etwas Schlechtes? Muss er vielleicht weg oder so? Vielleicht war das vorhin gelogen und er muss doch nochmal vor Gericht? Mir wird kurzzeitig flau im Magen, bis er erneut beginnt, zu sprechen. „Willst du nicht richtig bei mir einziehen?“ Ich sehe ihn verdattert an. „Was?“ „Ob du einziehen willst? Du weißt schon, wenn zwei Leute zusammenwohnen? Du bist doch eh den ganzen Tag immer hier und deine Sachen haben wir auch schon beinahe alle hergebracht. Warum ziehen wir nicht einfach zusammen?“ Diesmal bin ich es, der zögert. Ich finde es wirklich lieb und süß von Mirac, aber ich habe Angst. Was ist, wenn die Beziehung kaputt geht und ich keine Chance habe, mich irgendwo zu verstecken? Wenn er wieder aggressiv wird? Ich nicke. „Okay.“ Mirac nickt. „Okay.“ Damit ist das Gespräch beendet. Warte, habe ich eben zugestimmt?! Ich ziehe bei Mirac ein? Bin ich denn dumm? Ich hätte mal vorher darüber nachdenken sollen! Und warum zeigt er keinen Anflug von Freude? Ich blicke zu ihm auf, aber er starrt über meinen Kopf hinweg. Da, ein Zucken seines Mundwinkels. Er tut also nur wieder auf cool. Ich stütze mich auf und sehe auf ihn herab. „Aber du musst mir eine Sache versprechen, wenn ich bei dir einziehen soll.“ Er überlegt. „Und das wäre?“ Soll ich es wirklich wagen und ihm das sagen? Nicht, dass er sein Angebot dann zurücknimmt? „Du gehst weiterhin regelmäßig zum Antiaggressionstraining und schlägst mich nicht mehr. Wenn du mich auch nur einmal richtig heftig schlägst oder verprügelst, dann verlasse ich dich.“ Das ist mal eine Ansage! Mirac blinzelt. Muss er darüber wirklich nachdenken?! „Das sind zwei Sachen.“ Ich rolle mit den Augen. „Versprichst du es?“ Er nickt. „Ich verspreche, dass ich dich nicht mehr halbtot prügeln werde.“ Das ist zwar nicht ganz das, was ich hören wollte, aber ich akzeptiere es. Miracs Arme legen sich um mich und ziehen mich wieder zu ihm hinab. „Ich bin wirklich froh.“ Es klingt bei ihm nur halb ehrlich. Er zeigt kaum Emotionen, aber es ist ok. „Du musst mir noch deine Lebensgeschichte erzählen…“, murmele ich lächelnd. Mirac murrt auf. „Nicht jetzt. Jetzt ist es gerade zu schön.“ Ja, er hat recht. Es ist glatt zu schön, um wahr zu sein. Aber das ist es und wir sind frei. Epilog: Epilog -------------- „Malik!“ Ich drehe mich um und sehe Vince an. Lächelnd hebe ich die Hand. Mirac starrt nur böse vor sich hin. Er mag es immer noch nicht, etwas mit mir und anderen zu unternehmen. Er würde scheinbar viel lieber alleine auf ein Date mit mir gehen. Steven sieht scheu zu Mirac auf, begrüßt uns aber beide. Mich umarmt er kurz, bis er sich einen düsteren Blick von Mirac einfängt. Ich stoße ihm in die Rippen und sehe ihn warnend an. „Alles klar? Können wir los?“ Ich nicke und ergreife Miracs Hand. Er verschränkt unsere Finger miteinander und wir gehen zu viert los zum alljährlichen Rummel. Lächelnd unterhalte ich mich mit Vince, während Steven und Mirac schweigend neben uns laufen. Ich bin froh, dass Mirac eingewilligt hat, unsere Beziehung der Öffentlichkeit preiszugeben. Ich hätte es nicht mehr länger mit der Heimlichtuerei ausgehalten, auch wenn es anfangs meine Intention war. Mirac geht weiterhin zum AAT und er hat mich auch seit sehr langer Zeit nicht mehr geschlagen. Gut, ich muss zugeben, ein paar Backpfeifen waren schon noch drin, aber keine wirklichen Schläge. Und man muss auch die langsamen und kleinen Fortschritte anerkennen. Ich schiele zu Mirac auf, als sich Vince mit Steven beschäftigt. Er sieht zurück und lächelt. Kaum zu glauben, dass wir tatsächlich noch ein glückliches Paar geworden sind. Mirac beugt sich zu mir herunter und nahe zu meinem Ohr hin. „Ich werde dich später hinter einer der Schießbuden vögeln, ok?“ Augenblicklich werde ich rot und stoppe einfach im Gehen. Das hat mich aus der Fassung gebracht. Ich beginne mit ihm zu schimpfen, aber Mirac grinst nur, während Vince und Steven uns verwirrt ansehen, bis Mirac mir einfach einen Kuss auf den Mund drückt. Nein, er hat sich wohl doch nicht geändert, aber vielleicht werde ich ja irgendwann noch viel mehr Seiten von ihm kennenlernen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)