Intermezzi von Luthien-Tasartir (OS-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 3: Weihnachtsüberraschungen ----------------------------------- „Julian, gib das wieder her! Ju- JULIAN!“ Mit einem Klonk fiel der Kerzenständer von Lucas‘ Nachttisch auf den Boden, als Lucas Julian verfolgend auf rutschigen Sohlen gegen das Holz stieß, bevor er springend seinem noch Freund auf sein Bett folgte. Ein kurzes, schmerzerfülltes Aufjaulen, dann sprangen die beiden wieder vom Bett runter. Julian sich sichtlich einen Spaß aus der Verfolgungsjagd machend, während Lucas Kopf kaum röter werden konnte. Nicht vor Zorn – auch wenn das bei einer anderen Person sicherlich möglich gewesen wäre –, nein, aus Scham. „… Ich würde sie wirklich gerne auf den Weihnachtsball einladen, aber ich trau mich ehrlich gesagt nicht“, während Julian das nächste Bett zwischen ihn und seinen Freund brachte, nutzte er die Gelegenheit ein wenig weiter in seiner Errungenschaft zu lesen. Das verzweifelte … man konnte es fast schon als Quietschen bezeichnen, so hoch wie Lucas Stimme wurde, als er zum x-ten Mal in den letzten Minuten den Namen seines Freundes ausrief – „JULIAN!“ –, ignorierte er dabei beflissentlich. Lachte stattdessen nur auf, als er weiterlas: „Julian würde mich bestimmt als Memme bezeichnen“ und kommentierte es mit einem „Ja, so ungefähr“, bevor sein Zimmergenosse ihn letztlich doch umtackelte. Oder vielmehr umtacklen wollte. Da Lucas jedoch viel zu bedacht darauf war, niemandem Schaden zuzufügen, war es nur ein leichter Stoß, der keinen wirklichen Effekt hatte, abgesehen davon, dass es für den Dieb nun hieß, den Arm auszustrecken, um Lucas Tagebuch davon abzuhalten, wieder in die rechtmäßigen Hände zu gelangen. Die ganze Situation wurde durch den Fakt nur noch mehr ins Lächerliche gezogen, dass Lucas einen guten Kopf größer war als der Niederländer und so eigentlich überhaupt keine Probleme hätte haben dürfen, an seinen Besitz zu kommen. Eigentlich. Leider spielte das im Kampf gegen Julian absolut gar keine Rolle. „Wen würde Julian warum als Memme bezeichnen?“ Die ruhige Stimme ließ zumindest den größeren der beiden Streithähne abrupt in der Bewegung gefrieren. Den Blick auf den Neuankömmling gerichtet, jedoch unfähig auch nur einen Ton über die Lippen zu bringen. Julian befreite sich derweil aus dem Klammergriff, klappte das Buch zu und drückte es Lucas gegen die Brust. Während dieser versuchte, dieses festzuhalten, was sich bei seinen nervösen Bewegungen allerdings als schwerer als erwartet herausstellte, umarmte Julian den Besucher freundschaftlich. „Gute Frage, Roos! Lucas, wie war das noch gleich?“, damit stellte er sich grinsend hinter die mild irritiert wirkende Niederländerin, den Arm weiterhin über die Schultern der gemeinsamen Freundin gelegt. „Ich… äh… also… d-da…b…mn…äh“, war die wenig intelligente Antwort von Lucas auf die Frage, während sein Blick geradezu flehend auf seinem Kumpel ruhte. Dass die Antwort darauf nämlich eben in den Raum gekommen war, gehörte definitiv nicht zu den Dingen, die Lucas herausposaunen wollte. Und das Ausreden ebenfalls nicht zu seiner Expertise gehörten, war durch die Reaktion eben nur noch einmal mehr viel zu offensichtlich geworden. „Ach komm schon, Lucas. Was ist schon dabei, wenn Roos weiß, dass du“, Lucas Augen weiteten sich bei jedem Wort panisch, ehe seine Füße sich nun doch in Bewegung setzten, damit seine Hände kurze Zeit später den Mund von Julian verschließen konnten. Wenn auch nicht für lange, da Julian sich einfach zurücklehnte und grinsend fortfuhr: „Angst davor hast, Körper als Heiler aufschneiden zu müssen.“ „Achso? Aber wenn du damit Leben rettest, ist das doch was Gutes, oder?“ Roos war geschickt zur Seite gewichen, als Lucas auf die beiden zugestolpert war und beobachtete die beiden Chaoten nun aus sicherer Entfernung. Lucas, der sich bei dem Satzende etwas entspannt hatte, wurde bei der Stimme der Freundin sofort wieder rot. Es war ja schön und gut, dass Julian ihn nicht ans Messer geliefert hatte, aber dass er dadurch nun lügen musste, verbesserte seine Situation kein Stück. „J-Ja… schon…“, antwortete er deshalb bloß leise, während er endlich von Julian abließ und sein Tagebuch in sein Nachttischchen einschloss und den Kerzenständer wieder aufhob. Roos beobachtete ihn dabei kurz, als jedoch ansonsten nichts mehr zu dem Thema kam, tat sie ihm den Gefallen und wechselte es. Eine der vielen guten Eigenschaften von ihr, wenn man Lucas fragte. Sie war herrlich unkompliziert und verstand, dass man nicht immer über Gefühle und sowas reden wollte. „Ihr solltet euch langsam umziehen. Wenn ich mich umsonst aufgetakelt habe, verwandel ich euch beide in Frösche“, war stattdessen die Reaktion der jungen Frau, bevor sie wieder vor die Tür ging, um den beiden etwas Privatsphäre zu geben. „Du siehst aber wirklich… gut aus“, reagierte Lucas… als Roos den Raum schon längst verlassen hatte und bekam stattdessen nur seinen Festumhang von Julian zusammen mit einem leisen „Depp“ übergeworfen. Lucas seufzte als Antwort nur resigniert, eher er begann, sich ansehnlich zu machen. Er hatte am Anfang des Jahres kurz Julian gegenüber erwähnt, dass er dieses Jahr gerne zum Ball gehen würde und dieser hatte es sich daraufhin zur persönlichen Mission gemacht, sowohl Roos dazu zu überreden, als auch eine Tanzpartnerin für Lucas zu finden. Beides Dinge, die der Franzose für unmöglich gehalten hatte, die Julian aber scheinbar ohne Probleme in die Tat umgesetzt bekommen hatte. Und nun standen sie da. Lucas knöpfte sich den letzten Teil seines Umhangs zu, während Julian seine Frisur prüfte. „Danke…“, durchbrach Lucas die kurze Stille schließlich noch immer ziemlich leise. Julian reagierte nur mit einem kurzen Nicken. Damit war alles gesagt. Als die letzten Töne von Wizards in Winter verklangen, baute sich Julian wieder vor ihnen auf. Roos, die er mit sich auf die Tanzfläche geschleppt hatte, im Schlepptau. „Lucas, wenn du schon jemanden auf den Ball fragst“, man erinnere sich daran, dass Julian ihm die Begleitung verschafft hatte, „dann tanz auch mit ihr. Oder nimm sie zumindest nicht selbst ein.“ Damit verbeugte er sich galant, wie sie es gelernt hatten und forderte Lucas Begleitung zum Tanzen auf. Einen vielsagenden Blick über deren Schulter zurück zu Lucas, dann war er auch schon wieder verschwunden. Don’t screw it up oder so ähnlich war dieser wohl zu lesen gewesen, aber das hatte Lucas sowieso nicht vor. Das hieß… er hatte ja eigentlich überhaupt nichts vor. Also… würde er es wohl aus der Sicht von Julian verkacken. Aber… was sollte er schon tun? Roos zum Tanzen auffordern? Mochte sie es überhaupt zu tanzen oder war sie einfach nur mit Julian mitgekommen, weil man zu dessen Persönlichkeit nur schlecht Nein sagen konnte? Zumindest konnte er das nicht. Andererseits war Roos ja eine gestandene Frau. Also… nicht, dass sie alt wäre oder dergleichen. Sie hatte einfach nur eine starke Persönlichkeit und wenn sie es nicht gewollt hätte, wäre sie bestimmt nicht mitgegangen. Oder? Vielleicht war sie ja auch in Julian verliebt und deswegen wollte sie in seiner Nähe sein? Wobei… sie waren eigentlich ja bloß… Freunde… nicht wahr? Aber wenn sie Gefühle für ihn hatte, also für Julian, störte er sie dann nicht gerade? Hätte er vielleicht mit Clara tanzen sollen, damit Julian weiter bei ihr gewesen wäre? „An was denkst du?“, Roos hatte sich mittlerweile auf die Bank neben ihm fallen lassen und riss Lucas aus seinem gedanklichen Hamsterrad. „Ich… tanzen…“, warum konnte er nicht einfach mal normal reden? So, wie er es mit jedem anderen tat, wenn Roos gerade nicht in der Nähe war… oder es um Roos ging. Langsam atmete er aus, um sich zu beruhigen. „Möchtest du tanzen?“ Ein zaghaftes Lächeln folgte seinen Worten, während sein Herz schmerzhaft schnell in seiner Brust klopfte. Roos betrachtete ihn eine Weile… kritisch? fragend? Hatte er sich verraten? Was, wenn sie ihm jetzt eine Abfuhr gab? Bestimmt wunderte sie sich, warum er sie, aber nicht Clara gefragt hatte. Schüchternheit? Hoffentlich dachte sie, dass es seiner Schüchternheit zu verschulden gewesen war. Was… tatsächlich irgendwo auch gestimmt hatte. Zwar hatten sie ja alle Unterricht für den Tanz des Weihnachtsball bekommen, aber… nun, das dann ohne eine Lehrerin, die ihm im Zweifel helfen konnte, zu machen, war wiederum eine ganz andere Sache. Ob es eine so gute Idee war, ausgerechnet Roos zu fragen… war sicherlich nicht die beste Idee gewesen, aber das hatten Kurzschlussreaktionen leider so an sich und jetzt saß er da und wartete gebannt auf ihre Antwort. „Okay, wenn du willst.“ Lucas blinzelte überrascht. Hatte Roos gerade zugesagt? Zumindest stand sie gerade auf und blickte sie auffordernd an. Oh… Oh! Hastig folgte er der Bewegung und zusammen tauchten sie in die gerade zum Takt hüpfenden Körper ein. Als sie allerdings gerade einen Platz für sich gefunden hatten wurde die Musik wieder langsamer, ruhiger. Es war keine wirkliche, romantische Paartanzmusik, aber schon etwas, das man besser miteinander als nebeneinander tanzte. Kurz überlegte er sich, einfach wieder zu gehen, als ein Kichern durch die Reihen lief, bevor sich tatsächlich Pärchen bildeten und der Gruppe folgend, hielt er Roos schüchtern die Hand hin. Diese ergriff sie amüsiert und bald schon folgten sie dem gelernten Wiener Walzer durch die Halle. Nachdem er sich einmal sich an die Nähe von Roos gewöhnt hatte, lief es eigentlich ganz gut. Auch, wenn er das niemals von sich sagen würde, war Lucas tatsächlich ein ziemlich guter Tänzer. Zumindest so gut, dass er sich nicht auf die Schritte konzentrieren musste, sondern sich sogar unterhalten konnte… sich hätte unterhalten können, wenn sein Hirn nicht gerade absolut blank gewesen wäre… Naja… fast blank. „Ich hab… übrigens ein Geschenk für dich“, stammelte er schließlich, bevor er Roos leicht für eine Drehung von sich drückte. Als sie wieder zurückkam antworte sie mit einem „Achso?“. Lucas nickte noch einmal bestätigend und hielt an der Ecke, an der sie gerade vorbeikamen kurz an, um das kleine Päckchen aus einer Innentasche des Umhangs hervorzuholen. „Ich…dachte, es passt zu dir.“ Lucas betrachtete schmunzelnd den schlafenden, silbernen Miniaturraben, der auf Roos‘ Nachttisch seinen Platz gefunden hatte. Er saß auf einem stilisierten Ast und wenn man nicht wusste, um was es sich dabei handelte, hätte man ihn wohl als einfache Tischdeko abtun können. Dass es sich dabei aber um ein tragbares und nicht ganz so auffällig lautes Spickoskop handelte, welches Lucas Roos im letzten Jahr ihrer gemeinsamen Schulzeit geschenkt hatte, war sicherlich nicht direkt ersichtlich. Wenn sich jemand Gefährliches näherte, erwachte der Kolkrabe zum Leben, flatterte mit den Flügeln oder pickte nach seinem Besitzer, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Außerdem konnte man ihn auch von dem Ast herunternehmen und als Brosche oder Haarklammer mit sich tragen, ohne Gefahr laufen zu müssen, dass jemand Verdacht schöpfte. Ihn nach all den Jahren noch immer in so gutem Zustand zu sehen, ließ den Heiler nostalgisch lächeln. „Lucas, hast du mir zugehört?“, wie so häufig holte die Stimme von Roos ihn wieder zurück in die Gegenwart und er blinzelte sie überrascht an. „Nein, tut mir leid, ich war in Gedanken. Was meintest du?“ Roos‘ Lippen kräuselten sich sacht, bevor sie ihm leicht gegen die Brust schnipste. „Zuerst bequatschst du mich, dass ich unbedingt mit zu deiner Familienfeier müsse und jetzt stehst du verträumt in der Gegend rum. Ich habe gefragt, ob du fertig bist.“ Ein entschuldigendes Lachen von Lucas Seite: „Achso. Ja, ja bin ich, tut mir leid. Denke ich… bin ich?“ Und da war sie wieder. Die allbekannte Unsicherheit dieses Mal jedoch auf seine Familie bezogen. Den ganzen Nachmittag hatte sich Roos schon damit befassen dürfen, welche Krawatte nun besser war. Dabei würde sich gerade in Lucas‘ Familie niemand darum kümmern. Besonders weil er angekündigt hatte, dass er jemanden mitbringen würde. Éva hatte seitdem ununterbrochen versucht herauszufinden, wer die geheimnisvolle Person war und ihm sogar angedroht, Skyler auf den Leib zu hetzen, wenn er nicht mit der Sprache herausrückte. Aber er war stumm geblieben. Nicht, weil er ein großes Geheimnis daraus machen wollte, eher weil er es selbst noch nicht so ganz glauben konnte und nichts im Voraus jinxen wollte. Roos rollte derweil bei Lucas Worten leicht die Augen, ehe sie ihm die Entscheidung abnahm: „Bist du“, ein flüchtiger Kuss auf Fußspitzen, „Und jetzt komm.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)