Vertauscht von lullulalla (Vertauschte Welten) ================================================================================ Kapitel 5: Wer bist du? ----------------------- 5 Wer bist du? KARI „Du kommst spät. Geh hoch und leg deine Sachen in dein Zimmer. Heute Abend kommen zwei Firmengäste deines Vaters und ich möchte, dass du dich benimmst! Es geht um eine große Geschäftsidee, die dein Vater vorstellen will und ich will nicht, dass ihm das misslingt. Am besten gehst du direkt nach dem Essen auf dein Zimmer mit der Ausrede, dass du noch zu kränklich wärst und du dich hinlegen musst. Dann schöpfen sie keinen Verdacht. Und vergiss eines nicht.“ Sie hielt einen Moment inne, damit sie mir einen scharfen Blick schenken konnte. „Du hattest einen Unfall, hast du kapiert? Am besten du hältst die ganze Zeit die Klappe, außer wenn du sie begrüßt. Dann sind wir auf der sicheren Seite.“ Sie blickte sich in den großen runden Spiegel in ihr Gesicht und tupfte sich mit einem Taschentuch über ihre Wangen. „Jetzt geh auf dein Zimmer und mach dich fertig.“ Mit leisen Schritten ging ich an ihr vorbei Richtung Treppe. Dort angelangt hievte ich die schwere Tasche über meine Schulter und ging langsam nach oben. Im oberen Stockwerk angelangt, hörte ich wieder die spitze Stimme der Frau. „Und nimm dieses verdreckte Verband um deinen Kopf ab!“ Ich schlug die Tür hinter mir zu. Das Zimmer von Akemi war leicht zu finden. An der Tür hing ein kleines Schild mit ihrem Namen. Ihr Zimmer war ziemlich groß, aber das erste, was mir auffiel war: Es war verdammt kahl. In dem Raum befand sich ein Bett, ein Kleiderschrank und ein Tisch. Ein dicker, blauer Vorhang versteckte das Fenster und tauchte das Zimmer, trotz der Lampe, in einem kühlen Blau. Sofort fühlte ich mich eingeengt und ich ging mit eiligen Schritten auf den Vorhang zu, um ihn aufzuschieben. Ich machte das Fenster auf und blieb dann einen Moment dort stehen. Draußen war es still und einige spärliche Bäume umringten die Straße. Noch immer verstand ich nicht, was passiert war. Vor zwei Tagen war ich wach geworden und man hatte mir mitgeteilt, dass ich in einer Art Koma lag für sieben Tage. Eine Woche! Ich konnte es nicht fassen. In dieser einen Woche war irgendetwas passiert und ich hatte ein unglaublich großes Problem… Ich war eine Person, die ich nicht war. Mein Name war Akemi Ito. Aber das stimmte nicht!! Ich war doch Hikari Yagami! Warum war ich plötzlich in einem anderen Körper? Vollkommen verstört wurde ich heute morgen schließlich von einem großen Mann in einem schwarzen Anzug abgeholt. Anscheinend war es ein Freund der Familie Ito, denn im Auto hatte er mit mir gesprochen als wären wir die besten Freunde. „Da haste ja doch richtig Schwein gehabt, was? Zum Glück biste jetzt wieder wach.“, hatte er mit heiterer Stimme gesagt, während wir durch die Straßen fuhren. Ich hatte nichts darauf erwidert. Was hätte ich denn auch sagen sollen? Aber anscheinend schien es ihm nichts auszumachen, dass ich schwieg. Munter redete er weiter. „Deine Mutter war ja mal wieder stinksauer. Die ist aber auch echt anstrengend.“ Kopfschüttelnd bog er ab. „In der Woche durfte niemand zu dir, das hat sie allen verboten, nur die Ärzte durften hinein. Keine Ahnung, warum sie das so wollte.“ Natürlich wusste ich, warum. Sie wollte nicht, dass irgendjemand von ihrer selbstmordgefährdeten Tochter erfährt. Wäre auch nur ein Wort darüber in die Öffentlichkeit geraten, wäre ihr Ansehen ruiniert. „Grüß’ deine Mutter von mir, Akemi!“, waren die letzten fröhlichen Worte des Mannes, ehe er losfuhr. Und nun befand ich mich in dieser Situation. In dieser verdammt schlimmen Situation. Ich wusste nicht, wie ich zu Akemi geworden war! Wer war überhaupt diese Akemi, die eine so schreckliche Mutter hatte? Ich war Hikari! Kari! Wo war mein Körper und wie kam ich hierher? Verzweifelt legte ich meine Stirn an das kühle Glas des Fensters. Ganz ruhig, dachte ich. Es musste eine Erklärung dafür geben. Das wichtigste jetzt war, dass ich mir nichts anmerken lassen durfte, dass ihre wahre Tochter Akemi nicht mehr da war. Sie würden mir nicht glauben, und noch schlimmer: Sie würden mich für verrückt halten! Ich musste also so tun, als wäre ich Akemi. Doch ich kannte sie nicht! Wie sollte ich jemand sein, den ich noch nie gesehen hatte? Mir fielen die Worte der Mutter wieder ein. Während des Besuches dieser beiden Firmengäste, sollte ich schweigen. Ja, das war einfach. Ich würde einfach nichts sagen und dann zurück auf das Zimmer gehen. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Wenn ich nun diese Akemi war. Wo war dann die wirkliche Akemi? „Vielleicht…“, flüsterte ich schockiert. Vielleicht war sie jetzt in meinem Körper?! Es konnte doch sein, dass Akemi sich im Körper von Hikari Yagami befand? Hieße das dann, dass wir die Körper…getauscht hatten?! „Wie lange dauert das denn noch?!“, schrie eine strenge Stimme aus dem Erdgeschoss und ich zuckte zusammen. Ich war viel zu verstört über die Erkenntnis, die ich eben bekommen hatte. Plötzlich wurde meine Tür aufgerissen und die Mutter starrte mich wutentbrannt an. „Du bist ja immer noch nicht angezogen! Was machst du eigentlich?!“, zischte sie und ging mit eiligen Schritten auf mich zu. Ich hob meine Hände, wie als würde ich mich schützen wollen und starrte sie ängstlich an. „Habe ich nicht gesagt, das soll weg!!“ Mit einem Ruck zog sie an das Ende des Verbandes, sodass mein Kopf nach vorne gerissen wurde. Fast wäre ich gegen sie geknallt, doch ich konnte mich noch rechtzeitig halten. Mit beiden Händen riss sie an dem Verband und zog mir dabei schmerzhaft an einzelne Haarsträhnen. Aber noch schlimmer als das, war die aufkommende Übelkeit und mir drehte sich der Kopf. Wimmernd presste ich mir eine Hand vor den Mund. Ich konnte mich nicht wehren, einerseits, weil sich alles um mich herum drehte, aber auch, weil sie die Mutter von Akemi war. Ich wusste nicht, wie Akemi mit ihrer Mutter umgegangen war und so konnte ich nichts tun, als darauf zu warten, dass ich meine Übelkeit kontrollieren konnte. „Dieses verdreckte Ding schmeißt du in den Müll! Und wasch’ dir die Haare!“ Sie schmiss das inzwischen gräuliche Verband auf den Boden, klopfte sich die Hände sauber und ging aus dem Zimmer. 
Ich presste mich an die Wand und rutschte langsam mit dem Rücken auf den Boden. Ich zitterte am ganzen Körper und immer noch lag meine Hand auf meinem Mund. Nicht mehr, weil mir schlecht war, sondern weil ich mein lautes Schluchzen verbergen wollte. Ging Akemis Mutter so mit ihrer Tochter um? War dies der Alltag von Akemi? Solch eine Demütigung am eigenen Leibe zu erfahren? Und das von ihrer eigenen Mutter?! Wollte sie sich deshalb umbringen? Weil sie sich von dieser Qual lösen wollte? Wie von einer Welle wurde mein fremdes Herz durchflutet von Mitleid, Trauer und Bestürzung. Noch nie hatte ich erlebt, wie eine Mutter so kalt und furchtbar mit ihrem Kind umgegangen war. Wenn ich an meine Mutter dachte, so sah ich immer nur eine liebevolle Frau, die alles für ihre Kinder tun würde. Manchmal brachte sie mich zur Weißglut, aber war das nicht bei jedem mal der Fall? Ich schlug die Hände vors Gesicht und fing bitterlich an zu weinen. Dort saß ich einige Minuten lang, bis meine Tränen versiegt waren. Nein, ich durfte hier nicht vor mich hin weinen. Ich musste aufstehen, bevor sie wieder kam und noch schlimmere Dinge zu Akemi tat als ohnehin schon. Ich öffnete den Kleiderschrank und holte mir eins der Kleider heraus, welche dort aufgehangen waren. Es war ein schlichtes, dunkelrotes Kleid, welches mir bis zu den Knien ging. Ja, das würde förmlich genug sein. Ich ging aus dem Zimmer und suchte das Bad. Dort angekommen knipste ich das Licht an und schloss die Türe ab. Mit langsamen Schritten ging ich zum Waschbecken hinüber und starrte in das Gesicht von Akemi Ito. Als ich im Krankenhaus zum ersten Mal in ihr Gesicht gesehen hatte, war ich überrascht, wie zart und schwach sie doch wirkte. Und so war es auch jetzt. Neben den Tränenspuren und den zerzausten Haaren, hatte Akemi eine beinahe durchscheinende Haut, sowie fast schwarzes Haar. Ihre Augen waren von einem matten Blau und dunkle Ringe unter den Augen betonten den fehlenden Schlaf, den sie brauchte. Akemi war sehr klein und dünn und ich schätzte ihr Alter auf mindestens fünfzehn. Ihre trüben Augen schauten mich an und mir schmerzte wieder das Herz. Ich riss meine Augen vom Anblick weg und zog mich aus, um in die Dusche zu steigen. Zurück in Akemis Zimmer kämmte ich mir das Haar und dabei dachte ich darüber nach, wie ich meinen echten Körper finden konnte. Anscheinend befand ich mich noch immer in meiner Heimatstadt, denn bei der Autofahrt hatte ich den Fernsehturm unserer Stadt aus weiter Ferne noch erkennen können. Ich würde also am nächsten Schultag zu meiner Schule gehen und dort Takeru und die anderen treffen. Vielleicht war Akemi auch dort, wenn sie schon entlassen worden war? Wenn sie mich entdeckte, würde sie sofort die ganze Situation erkennen und wir würden zusammen eine Lösung finden können. Irgendetwas war schließlich passiert, dass sich unsere Körper vertauscht hatten, also gab es sicherlich auch eine Lösung es wieder rückgängig zu machen. Ich atmete tief ein und wieder aus. Erst einmal musste ich den heutigen Abend bestehen. Mein Kopf pochte noch unangenehm, doch ich kümmerte mich nicht darum. Es gab größere Probleme. Ich hörte unten, wie die Tür aufgeschlossen wurde. „Schatz! Endlich bist du da!“, rief Akemis Mutter mit einer gezwungenen Fröhlichkeit. „Akemi!! Komm runter! Dein Vater ist da!“ Ich stand langsam auf und ging Richtung Tür, um mich meinem Schicksal zu stellen. „So eine verdammte Scheiße ist das!!“, donnerte plötzlich eine männliche Stimme. An der Treppe stoppte ich erschrocken und ich klammerte mich an das steinerne Treppengerüst fest. „A-aber was ist denn los?“, fragte sie nervös und ich hörte ein lautes Geräusch, so als hätte der Vater seine Tasche auf den Tisch geknallt. „Dieser Mistkerl von Asahara hat es abgelehnt, das ist los!“, rief er entzürnt. „Abgelehnt? Wie meinst du das? „Was fragst du denn so blöd, mein Gott! Sie kommen heute nicht! Es ist vorbei! Die Firma von Asahara hat mir mitgeteilt, dass er doch nicht mit unserer Firma kooperieren will.“ „Aber warum denn das? Ich dachte, er wäre besonders begeistert gewesen von deiner Idee?“ „Er hat von dem Unfall Akemis gehört. Er meinte, ich solle mich nicht nur in die Arbeit vergraben, sondern jetzt mal für meine Tochter da sein. Ein Arsch ist das! Dieser verdammte Mistkerl!“ Wütend stampfte er auf und ab und konnte sich anscheinend nicht beruhigen. Plötzlich blieb er abrupt stehen. „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?! Konntest du nicht aufpassen?! Da hängt so viel Mühe und Arbeit drin fest und du musst alles ruinieren, weil du nicht mal auf deine eigene Tochter aufpassen kannst!!“, schrie er sie an. „Ich wusste doch nicht, dass sie sich gleich umbringen will!“, versuchte sie sich zu verteidigen und sie war den Tränen nah. „Wenn auch nur ein Wort rauskommt, dass deine Tochter sich selbst umbringen wollte, dann mach ich dich fertig, hast du kapiert!!?“ Und mit diesen Worten stampfte er hinaus und knallte die Haustür hinter sich zu. Plötzlich herrschte Stille und nur das leise Schluchzen von Akemis Mutter war zu hören. Ich stand stocksteif da und konnte nicht fassen, was ich da gehört hatte. Wie konnten die Eltern in dieser Situation nur an sich selbst denken? Ihre Tochter war fast gestorben, doch sie dachten nur an ihr Ansehen und an ihre Arbeit. Und was noch viel schlimmer war: Sie gaben Akemi die Schuld an alles. Fest kniff ich die Augen zu und zum wiederholten Male wünschte ich mir, alles wäre nur ein Traum. Unvermittelt hörte ich langsame Schritte näher kommen und schon sah ich sie unten an der Treppe stehen. Ihre Augen waren gerötet und sie schluchzte leise. Ihre streng nach hinten gebundenen Haare hatten sich etwas gelöst und sie blickte mich mit einem schmerzlichen Gesicht an. „Warum…“, flüsterte sie leise und blinzelte die Tränen weg, sodass sie ihr an den Wangen herunterliefen. „Warum muss ich so leiden? Womit habe ich das verdient? Wieso quälst du uns so sehr?“ Sie schluchzte kurz, ehe sie fortfuhr. Ihr Blick wurde dunkler und verachtender. „Du weißt genau, wohin er jetzt gegangen ist, Akemi. Er ist zu IHR gefahren! Das weißt du genauso gut wie ich!“ Ihre Stimme wurde immer lauter, bis sie mit der Faust gegen die Wand schlug. Einige Sekunden sagte sie nichts mehr. Dann stampfte sie wieder nach unten. Leise sagte sie dabei: „Hätte ich dich doch niemals geboren…“ Ich lag im Bett und obwohl ich keine Tränen mehr vergoss, konnte ich nicht anders als weiter zu weinen. Ich vermisste meine Familie. Ich vermisste Tai!! Ich vermisste Takeru!! Und ich vermisste meine Freunde, meine geliebten Freunde! Oh, wie sehr wollte ich sie sehen, wie sehr wollte ich sie in die Arme nehmen. Aber… Akemi. Was war mit ihr? Wie konnte sie hier überleben, wenn ihre Eltern sich überhaupt nicht um sie kümmerten? Hatte sie jemanden, den sie gern hatte? Jemanden, an den sie sich ausweinen konnte? Ich wünschte es ihr von Herzen. Akemi wollte sich umbringen. Sie wollte ihr Dasein beenden. Hieß das nicht, dass sie sogar ihre geliebte Person dafür aufgeben wollte? War der Schmerz in ihr so groß, dass sie dafür alles aufgegeben hatte? „Akemi…Wer bist du?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)