Make a Wish von dattelpalme11 (Eine Kurzgeschichtenreihe) ================================================================================ Kapitel 7: Im Einklang des Wassers ---------------------------------- Juli 1997 Es war der Moment, der mein Leben für immer verändern sollte. Ich stand am Rand des Beckens und beobachtete die anderen Kinder, die noch ausgelassen im Wasser tobten, während ich bereits meine Schwimmärmchen abgegeben hatte. Ich war die Einzige, die sich noch nicht traute, ohne zu schwimmen, weshalb ich niedergeschlagen am Beckenrand stand und von Neid zerfressen die Anderen beobachtete. Ich wollte es auch endlich können! Das Wasser unter meinen Armen spüren und mich einfach von ihm treiben lassen – ohne irgendwelche Hilfsmaterialien. Aber ich hatte Angst. Angst unterzugehen und nicht mehr auftauchen zu können. Dennoch stand ich hier, in mir der Drang meine Ängstlichkeit endgültig zu überwinden. Ich drehte mich zu meinen Eltern, die in einem kleinen Café saßen und den Schwimmunterricht beobachten. Ich biss mir auf die Unterlippe, als ich wieder den Blick zum Becken wandte. „Was machst du denn da, Mimi?“, ertönte plötzlich die Stimme von meinem Freund Taichi, der ebenfalls den Schwimmkurs besuchte und zu denjenigen gehörte, die als Erstes die Schwimmärmchen abgelegt hatten. Er hatte ein Talent, was den Sport anbetraf und war nicht so ein hoffnungsloser Fall, wie ich, der ständig nur belächelte wurde und über die die anderen Kinder bereits tratschten. Mir war es selbst sehr unangenehm, dass ich es einfach nicht lernte konnte. Ich wollte doch schwimmen! Mehr als alles andere auf dieser Welt. Doch die Formel zum Erfolg wurde von meiner Angst getrübt, die mir immer noch im Rücken stand und mich daran hinderte hineinzuspringen. „Mimi? Hey! Was ist denn los?“, fragte Taichi besorgt und legte seine Arme am Beckenrand ab, während er mit seinen Beinen immer noch im Wasser strampelte. Wie automatisch wurde er nach oben getrieben, so als wäre es ein Kinderspiel. Er musste gar nicht viel machen, sondern bewegte sich einfach nur. So schwer konnte es also gar nicht sein! „Ich werde jetzt auch rein kommen“, informierte ich ihn. Verdutzt blickte er mich an und wollte mich gerade noch zurückhalten, als ich meinen ganzen Mut zusammennahm und sprang. Es dauerte keine Sekunde, bis ich in das Wasser eintauchte und versuchte wieder hochzukommen. Doch die Wassermassen drückten mich nach unten, weshalb ich meine Augen leicht öffnete, um mich zu orientieren. Ich hörte dumpfe Schreie um mich herum, die im Wasser jedoch kaum hörbar waren. Ich versuchte mich wieder an die Wasseroberfläche zu kämpfen, da ich spürte wie mir allmählich die Luft ausging. Anscheinend hatte ich nicht genug Luft geholt, da ich mich sehr plötzlich für meinen Sprung ins Ungewisse entschieden hatte. Mittlerweile bereute ich meine Entscheidung zu tiefst. Denn egal was ich auch versuchte, ich kam einfach nicht alleine hoch. Ich brüllte unter Wasser, doch niemand konnte mich hören. Meine Augen begannen von dem Chlor zu brennen, als ich sie schloss und schon mit dem Schlimmsten rechnete. Dabei wollte ich doch nur schwimmen lernen! Und jetzt war das wohl das Letzte, was ich jemals machen würde. Ich fühlte wie meine Kräfte schwanden und meine Bewegungen allmählich immer weniger wurden. Kraftlos stellte ich sie ein und hatte schon aufgegeben, als mich plötzlich jemand am Arm packte und an die Oberfläche zog. Ich rang nach Luft, als sich seine Arme schützend um meinen Körper legten und mich sicher zum Beckenrand zurückbrachten. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich ziemlich weit gesprungen sein musste, denn als wir beide am Rand ankamen, drückte er sich atemlos an mich und blickte erbost in meine Augen. „Sag mal spinnst du? Was machst du nur für Sachen?“, fragte er vorwurfsvoll, während ich mich am Rand festkrallte und augenblicklich in Tränen ausbrach. Ein leiser Schrei löste sich von meinen Lippen, als ich abrupt auch schon hochgezogen wurde. „Oh mein Gott, Mimi! Was machst du nur für Sachen?!“, hakte mein Vater völlig entsetzt nach und wickelte mich in ein Handtuch, während unkontrolliert die Tränen über mein Gesicht liefen. Meine Mutter kam ebenfalls angerannt und war völlig hysterisch, als sie bei uns ankam. Taichi schaffte es gerade so, sich hoch zu raffen, während mein Vater mich in seinen Armen hielt und versuchte zu trösten. Doch ich stand immer noch unter Schock, was die Ankunft meiner Mutter nicht verbesserte. „Mimi?! Was machst du nur?“, schluchzte sie weinerlich und schlang die Arme um mich, sodass ich kaum noch Luft bekam und leicht husten musste. Sie ließ von mir ab, während mein Vater mich immer noch stützte. „Um Himmels Willen, was machst du nur für Dinger“, wimmerte sie, richtete ihren Blick dankend zu Taichi und zog ihn in eine überschwängliche Umarmung. „Danke, dass du ihr geholfen hast. Du bist ein richtiger kleiner Held“, sagte sie zu ihm, als sie sich von ihm gelöst hatte. Verlegen tätschelte sich Taichi den Hinterkopf und blickte mich unweigerlich an. „Du solltest wirklich besser auf dich aufpassen, Mimi! Sowas lasse ich dir nicht noch mal durchgehen“, erwiderte er mit festem Blick, doch seine Miene erhellte sich augenblicklich wieder, als er behutsam die Arme um mich schlang und mich festdrückte. Schwach erwiderte ich seine liebevolle Geste und spürte eine unendliche Dankbarkeit, die sich in meinem Herzen ausbreitete. Noch wusste ich nicht, dass dieses Gefühl mich begleiten und sich mit Jahren in Liebe verwandeln würde. Gegenwart Angespannt stand ich neben meinem besten Freund, der sich ehrfürchtig das Unigelände betrachtete. Es war unsere erste Uni-Party, die sich jedoch als Poolparty herausstellte, indem sich sämtliche Studenten tummelten. Ich presste meine Lippen aufeinander, sodass sie einen schmalen Strich ergaben, als ich meine Finger in mein zartes Sommerkleid krallte und etwas zusammenknautschte. Irgendwie fühlte ich mich unpassend angezogen und auch viel zu nüchtern, was ich anhand der ausgelassenen Studenten erkennen konnte. Viele alberten bereits herum, oder hingen an den süßen Lippen einer neugewonnenen Bekanntschaft. Für mich war all das Neuland. Ich studierte noch nicht so lange und es war meine erste große Party, die das Sommersemester einläuten sollte. „Au weia, wie sollen wir uns da nur zurechtfinden? Die meisten sind ja schon völlig betrunken“, stellte Koushiro verängstigt fest und wich keinen Zentimeter von meiner Seite, was mir auch sehr lieb war. Ich hatte bisher noch niemand gefunden, den ich kannte und fühlte mich auf dem riesigen Gelände fast schon ein wenig verloren. Dennoch wollte ich meinen Spaß haben. „Ich bin mal gespannt, ob wir den Rest überhaupt finden werden. Taichi und die anderen wollten ja auch kommen“, erinnerte Koushiro mich und unbewusst zuckte ich bei seinem Namen zusammen. Er wollte auch kommen? Davon wusste ich gar nichts…wieso hatte Koushiro denn nichts gesagt gehabt? Ich wandte mich ihm zu, als diese Frage bereits auf meiner Zunge brannte, aber sich nicht von meinen Lippen löste. Ich kam mir dämlich vor, ihn nach meinem Ex-Freund zu fragen, besonders, weil sie im gleichen Wohnheim lebten und viel Zeit miteinander verbrachten. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass Taichi auch kommen würde, doch ich verdrängte diesen Gedanken. Genauso wie meine Gefühle, die mich immer wieder einholten. Ich bereute es, die Beziehung zu ihm beendet zu haben, denn es wurde mir schmerzvoll bewusst, dass ich ihn immer noch liebte. Daran hatte selbst mein Abschlussjahr in den USA nichts geändert, dass ich voller Ungeduld hinter mich gebracht hatte. Mit sechszehn lebte ich mit meinen Eltern ein Jahr in Japan, da mein Vater ein größeres Projekt leiten sollte. Dieses Jahr veränderte einiges in meinem Leben und lehrte mich zu lieben. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich die damaligen Momente mit ihm genoss. Ich liebte es Zeit mit ihm zu verbringen, in seiner Nähe zu sein, seine starken Arme hinter meinem Rücken zu spüren und seine Lippen auf meinen zu wissen. Doch dieser Traum, den ich über ein halbes Jahr lebte, endete abrupt, als meine Eltern und ich zurück in die USA zogen. Wir wussten von Anfang an, dass unsere Beziehung etwas Besonderes war und wir zu sehr unter der Distanz leiden würden. Daher hatten wir uns relativ zeitnah gegen eine Fernbeziehung entschieden und genossen die wenigen Momente, die wir bis zu unserer Trennung gemeinsam erleben durften, wenn es überhaupt möglich war, sie zu genießen. Für mich blieb der bittere Beigeschmack bestehen, da ich die Beziehung nicht aufgeben wollte, aber mich machtlos fühlte, sie weiterhin aufrecht zu erhalten. Dabei war ich länger in ihn verliebt gewesen, als ich zugeben wollte. Ich betrachtete aus der Entfernung das schimmernde Wasser des Pools, dass mich an den Moment zurückerinnerte, als mir meine Gefühle für ihn das erste Mal bewusstwurden. August 2002 „Man Mimi, du kannst dich noch nicht den lieben langen Nachmittag nur sonnen“, beschwerte sich Sora lauthals und ließ sich auf der Decke nieder. Ich rückte meine Sonnenbrille zurecht und legte die Zeitschrift, in der ich geblättert hatte beiseite. „Ich wollte ja noch nicht mal mitkommen. Du hast mich regelrecht dazu genötigt“, konterte ich sofort, da ich mich in Schwimmbädern einfach nicht wohl fühlte. Zwar hatte ich mir meinen schönsten Bikini angezogen, um natürlich ein wenig den Jungs den Kopf zu verdrehen, doch ins Wasser traute ich mich einfach nicht. Wir waren mit der gesamten Clique da und die meisten waren auch schon bereits ins Wasser verschwunden, während ich gemeinsam mit Taichi auf die Taschen aufpasste. Er war nach nur wenigen Minuten einnickt und schnarchte seelenruhig vor sich hin, während der große Ginkgobaum uns Schatten spendete, auch wenn ich die Hitze des August jedes Mal fast unerträglich fand. „Ach komm‘, geh‘ doch ein bisschen ins Wasser. Ich passe schon mit Taichi auf unsere Sachen auf“, erwiderte Sora locker und trocknete ihre sonnengebräunte Haut mit ihrem großen Badetuch ab. „Nein, schon gut. Ich möchte mich noch ein bisschen Sonnen“, antwortete ich nur und lächelte milde. Sora zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe, erwiderte aber daraufhin nichts weiter. Sie sah wie sie nur mit den Schultern zuckte und sich zu ihrer Tasche umwandte. „Okay, wenn das so ist werde ich mir mal ein Eis holen.“ Sie stand auf und blickte auf mich hinab. „Möchtest du auch etwas? Bestimmt wäre eine kleine Erfrischung nicht schlecht, wenn du schon nicht ins Wasser gehst.“ „Ach was! Ich komme schon klar“, sagte ich unwirsch und schüttelte nur mit dem Kopf. „Okay, dann bis gleich“, verabschiedete sich Sora knapp und suchte den Eisstand auf, während ich ihr seufzend nachblickte. Irgendwie hatte sich schon das Bedürfnis mir eine kleine Abkühlung zu verschaffen, aber die Angst vor dem Wasser war nach wie vor größer. Seit diesem Vorfall hatte ich Schwimmbäder gemieden, weil die Wucht des Wassers mich erfasst und einfach weggespült hatte. Schwimmen hatte ich deswegen nie gelernt, weil ich mich immer gut davor drücken konnte. Immer wenn wir die Sommerferien am Strand verbracht hatten, legte ich mich in die Sonne und kühlte lediglich meine Beine ein wenig ab. Ich ging nie weiter rein als nötig, da ich Angst vor dem Ungewissen hatte. „Sicher, dass du nicht mal eine kleine Abkühlung willst?“, fragte mich plötzlich eine bekannte Stimme. Ich drehte mich zu ihm und erkannte, dass er seine Augen immer noch geschlossen und seine Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte. Dieser Schlawiner schlief gar nicht. Er hatte mich belauscht! „Taichi…du weißt doch wohl am besten, warum ich das Wasser wie die Katzen meide“, antwortete ich verständnislos. Er war der Einzige, der von dem Vorfall wusste, da er unmittelbar dabei gewesen war und deswegen meine Angst ansatzweise verstehen konnte. „Aber so wirst du deine Angst niemals los werden“, murmelte er und öffnete die Augen. Er streifte mich mit einem intensiven Blick, sodass es mir prompt die Gänsehaut auf die Arme jagte. Wieso sah er mich nur so seltsam an? Und warum pochte mein Herz dadurch viel schneller? Langsam setzte er sich auf und reckte sich herzlich, bevor er erneut das Wort ergriff. „Wir sollten zusammengehen. Wir verziehen uns einfach in eine Ecke und ich bringe es dir dann bei, ja?“ Es mir beibringen? War er wahnsinnig geworden? Jeder, der mir das Schwimmen beibringen wollte, war bisher kläglich an meiner Sturheit gescheitert. Selbst mein Vater hatte es aufgegeben. „Was? Wir zwei? Schwimmen? Oh Gott…willst du das ich mir vor Angst in die Hosen mache?“ Taichi runzelte die Stirn und blickte mich eindringlich an. „Wieso in die Hosen machen? Ich bin doch da! Und solange ich da bin, wirst du nicht untergehen. Ich glaube, das habe ich dir schon mal bewiesen“, führte er mir vor Augen und spielte auf den Vorfall von damals an, der mich nachhaltig geschädigt hatte. Eine unsichere Miene zierte meine Lippen, auch wenn ich bemerkte, dass er es ernst meinte. Er wollte mir helfen. Mir meine Ängste nehmen, die sich in meinem Kopf festgesetzt hatten. Ich wandte kurz den Blick über die Schulter und erkannte, dass Sora bereits auf uns zugesteuert kam, als ich mir ein Herz nahm und seinem standhaften Blick endlich nachgab. „Okay, aber du bleibst die ganze Zeit an meiner Seite, ja?“, rang ich ihm als Versprechen ab, als sich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen abzeichnete. „Natürlich“, antwortete er matt, stand auf und streckt mir seine Hand entgegen, die ich zaghaft ergriff. Nachdem wir uns kurz abgeduscht hatten, standen wir auch bereits am Becken, dessen Tiefe ich nicht abschätzen konnte. Taichi stieg bereits ins Wasser, während ich stocksteif am Rand stand und nicht wusste, was ich machen sollte. Das kleine Mädchen in mir schrie und forderte mich auf, auf der Stelle zurück zur Liegewiese zu gehen, während mein Verstand sich dagegen wehrte und hoffnungsvoll in Taichis Augen blickte, die mich ermutigend ansahen. Ich schluckte daher meine Zweifel hinunter und ging mit zitternden Knie auf die Leiter zu und stieg sie behutsam hinunter, während Taichi tatsächlich Wort hielt und mich nicht aus den Augen ließ. Als ich im Wasser war, hielt ich mich krampfhaft an der Leiter fest, da ich mich nicht traute loszulassen. Erst als ich Taichis Arme in meinem Rücken spürte, stellte sich das Sicherheitsgefühl bei mir ein, sodass ich mich von ihm an den Rand führen ließ. „So, der erste Schritt ist geschafft“, sagte er erleichtert und grinste. „Und was ist der nächste Schritt?“, fragte ich unsicher und klammerte mich am Rand fest. „Naja, jetzt werden wir ein bisschen schwimmen!“ Sein Ton wirkte völlig sorglos, während sich der Schock in meinem Körper ausbreitete. Schwimmen? Dachte er wirklich, dass es so einfach ging? „Na, ich bin mir nicht so sicher, dass das so einfach geht“, antwortete ich wahrheitsgemäß, während er sich von mir ein Stückchen entfernte. „Ach komm schon, Prinzessin! Ich weiß, dass du die Bewegungen noch kannst! Du konntest sie immer und jetzt musst du es nur nochmal versuchen. Manchmal ist eben die Angst größer, als das eigentliche Hindernis“, untermauerte er felsenfest und breitete seine Arme aus. „Na los! Versuch es! Ich bin ganz in deiner Nähe!“ Angespannt atmete ich schwerfällig auf und legte mich eher widerwillig auf den Bauch und brachte mich in Position. Warum konnte er mich nur immer wieder dazu bringen, Dinge zu tun, die ich niemals in Erwägung gezogen hätte? Lag es an diesem verdammt charmanten Grinsen, dass seine Lippen zierte und mein Herz zum höherschlagen brachte? Gott, auf was ließ ich mich hier nur ein? Ich war sicher verrückt geworden, doch seine liebevollen Worte motivieren mich dazu den ersten Schritt zu wagen. Ich drückte mich etwas vom Rand ab und schwamm ein kleines Stück auf ihn zu, während ich ungläubig meine Bewegungen wahrnahm. Ich bewegte mich! Und ich ging nicht unter! Mein Herz machte einen erleichterten Hüpfer, als ich mich auch schon in seinen Armen wiederfand. „Wow, das war schon sehr gut!“, lobte er mich und meine Wangen wurden augenblicklich ganz warm. „Danke…“, murmelte ich ihm entgehen, als er einen zweiten Versuch startete. Beim zweiten Mal war meine Angst nur halb so groß und ich kam viel einfacher von der Stelle. Ich freute mich jedes Mal, wenn ich in seinen Armen unbeschadet ankam und ich von Mal zu Mal besser, aber auch sicherer wurde. Wir verbrachten den halben Nachmittag im Wasser, während er mir das Schwimmen beibrachte. Während sich unsere Freunde bereits alle aus dem Wasser begeben hatten und sich für den Nachhauseweg fertigmachten, schwamm ich meine letzte Runde. Taichi befand sich auf der anderen Seite des Beckens, während ich bereits die Hälfte des Weges geschafft hatte. Von meiner eigenen Euphorie getrieben, schwamm ich das letzte Stück in Höchstgeschwindigkeit zu ihm und kam völlig außer Puste bei ihm an. Ich drückte mich in seine Arme und klammerte mich an seinem Hals fest, da ich absolut nicht mehr konnte. Nach Atem ringend löste ich mich etwas von ihm und sah in seine warmen braunen Augen. „Oh mein Gott, ich habe es geschafft“, erwiderte ich stolz. „Ja hast du!“, beglückwünschte er mich strahlend, als sich plötzlich ein Schalter in mir umlegte. Ich musterte ihn mit großen Augen und konnte meine Dankbarkeit kaum in Worte fassen, als ich plötzlich einfach die Lippen auf seine presste. Er riss die Augen perplex auf, während ich meine abrupte Impulshandlung selbst nicht verstehen konnte. Es fühlte sich einfach richtig an und stellte all das dar, was in diesem Moment empfand. Pure Glückseligkeit. Ich hatte eigentlich erwartet gehabt, dass er den Kuss mit mir schnell beenden würde, doch auch er ließ sich zu mehr hinreißen und vertiefte den Kuss, indem er seine Arme um mich schlang und mich dicht an sich drückte. Es war jener Moment, der mir vor Augen führte, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Gegenwart Es dauerte drei weitere Jahre bis wir endlich ein Paar wurden. Nach meinem Umzug nach Japan, verbrachten wir eine unvergessliche Zeit miteinander, die sich mittlerweile im Schatten der Vergangenheit wiederspielte. Ich war immer noch nicht bereit sie loszulassen, auch wenn unsere Trennung einvernehmlich war und das Beste für uns beide darstellte. Niedergeschlagen saß ich neben meinem besten Freund, der uns zwei Bier geholt hatte. Ich hatte ihn bereits kurz gesehen, doch seit ich wieder zurückgekommen war, ging ich ihm aus dem Weg. Ich hatte zu große Angst vor unserem Wiedersehen, da ich nicht wusste, was sich im letzten Jahr verändert hatte. Traf er vielleicht jemanden? War sein Herz wieder vergeben? Hatte ich noch einen Platz darin, oder gehörte ich der Vergangenheit an? Ein Gedanke, der mir jedes Mal das Herz zerbrach. Doch ich konnte nicht unbeschwert auf ihn zugehen, mit ihm reden und einfach so weitermachen, wie bisher. Ich liebte ihn noch immer und wünschte mir insgeheim eine zweite Chance, die unser vergangenes Glück wiederbeleben sollte. Ich blickte durch die Menge und suchte verbissen nach ihm, konnte ihn aber nirgends entdecken. Es frustrierte mich, nicht zu wissen, wo ich dran war. Ob meine Hoffnungen überhaupt eine reelle Chance haben konnten. Was wenn er schon längst über mich hinweg war? Wie sollte ich nur damit umgehen? „Mimi, alles in Ordnung bei dir?“, fragte Koushiro behutsam und mustere mich eindringlich. Ich schreckte kurz ertappt zusammen und drehte meine Bierflasche in der Hand, bevor ich einen kräftigen Schluck davon trank. „Ja, was soll denn sein?“, stellte ich ihm die Gegenfrage, als ich die Flasche abgesetzt hatte. Ich versuchte möglichst gleichgültig zu klingen, doch Koushiro hatte mich schon längst durchschaut. Auch wenn er seine Freizeit gerne hinter dem Laptop verbrachte und oftmals bei zwischenmenschlichen Interaktionen den Überblick verlor, konnte ich ihm nichts vormachen. Mein Gesicht sprach wahrhaftig Bände. „Du suchst nach ihm, oder?“ „Ist das etwa so offensichtlich?“, hakte ich seufzend nach und fuhr mir durch meine langen Haare. „Naja, ich kenne dich mittlerweile gut genug, um deinen sehnsuchtsvollen Blick zu erkennen“, erwiderte er grinsend, während ich meine Stirn krauszog. „Meinen sehnsuchtsvollen Blick? Hast du einen Jane Austin Roman gelesen?“ Koushiro lachte herzlich und lehnte sich auf der Bank, auf der wir Platz genommen hatten, zurück. „Nein, aber den Blick habe ich schon so oft bei dir gesehen. Immer wenn du Taichi angeschaut hast“, stellte er fast schon flüsternd fest. Verlegen richtete ich meinen Blick zu Boden und konnte nicht fassen, wie durchschaubar ich doch geworden war. Ich antwortete ihm nicht gleich, da ich zu sehr in meiner eigenen Verzweiflung badete und genau genommen nicht wirklich über Taichi sprechen wollte. Jedenfalls nicht im Moment. „Ich glaube, ihm geht es genauso wie dir. Er redet immer noch so oft von dir und er hat dich auch im letzten Jahr sehr vermisst“, erzählte er ihr, was mich verwunderte. Natürlich hatte ich mit meinen Freunden Kontakt gehabt, aber über die Trennung redete ich mit kaum jemandem. Ich wollte sie nicht wahrhaben. Einfach verdrängen. So wie wir es die letzten gemeinsamen Monate getan hatten. Wir hatten es einfach beiseitegeschoben, weshalb mir der Abschied letztlich doch so schwerfiel. „Rede doch einfach mal mit ihm. Ich glaube, ihr hättet euch viel zu sagen“, startete Koushiro einen erneuten Versuch, während ich meiner Vergangenheit hinterher hing und mich an jenen Tag erinnerte, an dem ich ihm die schmerzliche Wahrheit gebeichtet hatte. September 2006 Nachdenklich betrachtete ich den See, der sich vor uns erstreckte. Heute auf den Tag genau, waren wir bereits drei Monate ein Paar. Nach dem ganzen hin und her, den ewigen Neckereien und kleinen Streitigkeiten, hatten wir tatsächlich zusammengefunden. Uns ineinander verliebt, ohne es gleich bemerkt zu haben. Ein wenig wehmütig kuschelte ich mich an ihn und versuchte meine störenden Gedanken zu verdrängen, die diesen Augenblick zerstören könnten. Doch es gelang mir einfach nicht. Die Stimme meines Vaters hallte noch immer meinem Hinterkopf und eröffnete mir ausgerechnet das, was ich nicht hören wollte. Nicht jetzt. Nicht nachdem alles so perfekt war. „Mimi? Ist alles okay? Du guckst so angestrengt“, fiel ihm besorgt auf. Ich sah zu ihm hoch, blickte in seine warmen Augen, die lediglich von einer kleinen Laterne am Steg erhellt wurden. Sein Blick war intensiv und brannte förmlich auf meiner Haut, sodass ich ihm nicht lange Stand halten konnte. Ich drückte mich gegen seine Brust und krallte meine Nägel in sein Hemd, als mir plötzlich die Tränen kamen. Ich wollte gar nicht weinen, doch in diesem Moment war es das einzige, zu dem ich noch fähig war. Ich schniefte leise, als er auf einmal die Arme um mich schlang und sofort verstand, dass mich etwas bedrückte. „Hey…was ist denn los?“, fragte er behutsam und streichelte mir zärtlich über den Rücken. Doch ich konnte mich nicht beruhigen, vergrub mein Gesicht noch tiefer in seinem Shirt und weinte hemmungslos. Eigentlich wäre dies ein freudiger Tag gewesen, doch nun brach alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ich schluchzte herzzerreißend, als ich mich zum Sprechen durchdringen konnte. Ich setzte mich auf, wusch über meine nassen Augen und sah ihn unter Tränen an. „Mein Vater hat mir heute gesagt, dass wir nach dem Schuljahr wieder nach Amerika ziehen werden. Es stand alles von Anfang an fest und ich…“, meine Stimme brach ab und verschwand im Nebel meiner Tränen. Ich wollte meine Heimat nicht verlassen. Meine Freunde. Meine große Liebe. Ich ballte meine Hände zu Fäusten zusammen und drückte sie in meinen Schoss. Taichi hatte nichts gesagt und ich traute mich nicht ihn anzusehen. Bestimmt war er geschockt. Auch ich hatte nicht damit gerechnet, nur ein Jahr in Japan verbringen zu dürfen. Insgeheim hatte ich erhofft, dass sich meine Eltern endgültig dazu entschieden hier zu bleiben, doch dem war nicht so. Ich stand vor einer Weggabelung, die unsere frische Beziehung auf die Probe stellte, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine Fernbeziehung für uns eine Option werden würde. Amerika und Japan. Eine unmögliche Entfernung, die unsere Beziehung nicht überstehen würde. Jedenfalls glaube ich das. Plötzlich spürte ich seine Hand auf meiner, die fürsorglich über meinen Handrücken strich. Ich sah ihn an und bemerkte sofort, wie sich unsere intensiven Blicke trafen, auch wenn ich nicht verstand, was er mir damit sagen wollte. Doch er rutschte noch näher an mich heran und gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, der mich umgehend beruhigte. Ungläubig betrachtete ich seine liebevolle Geste, während ich das Wasser seicht im Hintergrund plätschern hörte. Ich wusste gar nicht, was ich zu ihm sagen sollte, als er behutsam über meine Wange strich und selbst das Wort ergriff. „Und weiter?“, fragte er fast schon sorglos, während ich nur die Stirn runzeln konnte. Meine er das etwa ernst? Hatte er gehört, was ich ihm gerade erzählt hatte? Machte es ihm denn gar nichts aus? „Taichi…du weißt schon…“ „Was es bedeutet? Ja, das weiß ich. Aber wir haben erst September und ich will die Zeit mit dir einfach genießen“, antwortete er unbekümmert, während ich seine lockere Einstellung überhaupt nicht verstehen konnte. War ihm bewusst, dass es unsere Trennung bedeutete? Ich presste meine Lippen aufeinander, als mir dieses scheußliche Wort die Gedanken vernebelte. Trennung. Daran wollte ich eigentlich gar nicht denken. „Mimi, hör mir zu…“, begann er leise und drückte seine Stirn gegen meine. „Ich weiß nicht, was in ein paar Monaten sein wird, aber lass uns einfach zusammen sein. D-Du hast mir mein Herz gestohlen…schon damals, als wir uns das erste Mal im Schwimmbad geküsst hatten.“ Überrascht blickte ich ihn an und konnte gar nicht fassen, was er mir geradegestanden hatte. „D-Du hast schon so lange Gefühle für mich?! Und hast nie etwas gesagt?“, fragte ich empört, während er leicht grinsen musste. „Naja, es hat sich nie eine Gelegenheit ergeben, aber ich wollte, dass du es weißt“, murmelte er mit verhangener Stimme und suchte umgehend meine Lippen. Ich war immer noch völlig perplex, als er mich plötzlich in einen leidenschaftlichen Kuss verwickelte, der meine Gedanken völlig durcheinanderbrachte. Ich ließ mich langsam auf dem Steg nieder, während er seinen innigen Kuss nicht unterbrach. Ich fand mich im Sog der Leidenschaft wieder und fühlte eine deutliche Verbindung, die ich bisher bei noch niemandem in dieser Form gespürt hatte. Mein Herz pochte unkontrolliert gegen meinen Brustkorb, als er plötzlich von mir abließ und sich neben mich legte. Es dauerte einen Moment bis ich diesen leidenschaftlichen Kuss innerlich verarbeitet hatte, aber danach konnte ich kaum an mich halten und suchte unweigerlich seine Nähe. Ich fand mich in seinen Armen wieder, während wir uns liebevoll anschauten. „Wir sollten uns darüber noch keine Gedanken machen…“, löste sich von seinen Lippen. Ich biss mir auf die Unterlippe und bettete mein Kinn auf seiner Brust, während meine Finger zärtlich darüberfuhren. „Du hast recht, wir haben ja schließlich noch Zeit“, erwiderte ich leise, auch wenn ich nur den Gedanken einer baldigen Trennung verdrängt hatte. Tief in Inneren wusste ich bereits, wie meine Entscheidung lautete, auch wenn es uns beiden sicherlich das Herz brach. Gegenwart Ich hatte diese Entscheidung immer bereut. Ich wusste, dass Taichi sich insgeheim etwas Anderes erhofft hatte. Oft versuchte er mich zu einer Fernbeziehung zu überreden, sagte, dass er mich nicht loslassen wollte, doch ich fühlte mich für sowas einfach nicht bereit. Wir waren beide noch so jung, dass eine Fernbeziehung einfach so unrealistisch für mich klang, dass ich mich dazu entschied, mich von ihm zu trennen. Und jetzt saß ich ein Jahr später tatsächlich hier und sehnte mich nach seiner Nähe. Ich hatte versucht ihn im Auge zu behalten, doch die Uni-Party füllte sich, sodass ich selbst Koushiro verloren hatte. Niedergeschlagen setzte ich mich an den Pool und kühlte meine Füße, die von meinen hohen Schuhen bereits etwas geschwollen waren. Ich blickte mich um, ohne die Menschen um mich herum wahrzunehmen. Gedankenverloren sah ich auf meine Füße, die sich im kühlen Nass befanden und sich federleicht anfühlten. Doch mein Herz war so schwer wie Beton. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie verloren ich mich fühlte. Ein leises Seufzen löste sich von meinen Lippen, als ich plötzlich bemerkte, wie jemand sanft meine Schulter streifte und sich neben mir niederließ. „Ganz schön voll hier, oder?“, ertönte seine tiefe Stimme in meinen Ohren, sodass ich bereits ohne Hinzusehen eine Gänsehaut entwickelte. Er war hier, hatte sich einfach neben mich gesetzt und brachte mich völlig aus dem Konzept. Schüchtern strich ich einige Strähnen aus meinen Gesicht und lächelte milde. „Hätte nicht gedacht, dass hier so viel los ist“, antwortete ich steif und blickte unweigerlich in seine wunderschönen braunen Augen, die mich sofort heimisch empfingen. Er grinste nur und nippte an seinem Bier. „Tja, und trotz der ganzen Menschenmassen habe ich dich hier gefunden. Wasser scheint dich wirklich magisch anzuziehen“, sagte er locker und zog beiläufig seine Schuhe aus, nachdem er sein Bier zwischen uns abgestellt hatte. Auch er tauchte mit den Füßen ins erfrischende Wasser ein und lehnte sich entspannt nach hinten, während ich in seiner Nähe förmlich explodierte. Meine Wangen waren ganz heiß und mir fiel es unsagbar schwer ein Gespräch mit ihm zu führen, da mir die Vergangenheit und unsere einvernehmliche Trennung immer noch in meinem Nacken saßen. Doch er schien förmlich auf mich gewartet zu haben, was mir sein unergründlicher Blick verriet. Er saß mich so an, wie damals, als wir uns zu unserem ersten Date verabredet hatten. Erwartungsvoll, aber voller Liebe. Ich schluckte, als mir schlagartig bewusst wurde, dass meine Angst uns grundlos voneinander entzweit hatte. Wir hatten es noch nicht mal versucht. Ich hatte uns abgeschrieben, weil ich nicht verletzt werden wollte. „Ich habe dich vermisst…“, murmelte er und beobachtete meine Reaktion genau. Ich klammerte mich am Rand des Pools fest, als die Anspannung meinen Körper übermannte. „I-Ich dich auch“, brachte ich unsicher hervor, unwissend, was es für unsere Beziehung bedeuten würde. Doch vielleicht war es eine zweite Chance, die uns einen gemeinsamen Weg ermöglichen würde. Zaghaft wanderte er mit den Fingern zu meiner Hand und streichelte sie zärtlich, als ich erkannte, dass unsere Zukunft noch lange nicht in Stein gemeißelt war. Denn ich bemerkte, dass unsere Herzen immer noch im Einklang miteinander schlugen. Es lang an uns und was wir daraus machten. Und allein deswegen war alles möglich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)