Nur mit dir, für dich von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 2: Gefühle ------------------ Oscar wurde unverzüglich auf das elterliche Anwesen gebracht und vom Arzt der Familie der de Jarjayes behandelt. Doktor Lasonne meinte, sie hätte viel Blut verloren und heute Nacht würde es sich entscheiden, ob sie wieder aufwacht.   Heute Nacht...   André fühlte sich so elend und schrecklich hilflos. Er konnte in dieser Nacht kein Auge zumachen und kaum dass der Morgen graute, war er schon bei Oscar. Sie lag noch immer reglos unter der Decke, so wie er sie vor ein paar Stunden verlassen hatte. Seine Großmutter kniete vor der anderen Seite des Bettes und betete. André störte sie dabei nicht und kniete sich selbst ihr gegenüber am Kopfende des Bettes. Er gab sich die Schuld am Zustand seiner Freundin und flehte innerlich ganz verzweifelt: „Bitte, Oscar... Du darfst nicht sterben... Ich schäme mich so... Ich dachte, ich bin dir gleichgültig, aber du bist genauso, wie du in unseren Kindheit warst... Bitte, Oscar! Mache deine Augen auf!“ Im gleichen Moment sah so aus, als seien seine Bitten zu ihr durchgedrungen. Die ersten Sonnenstrahlen breiteten sich im Zimmer aus und Oscars Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern. André erfasste eine Glückseligkeit, die er gleich bekundete: „Großmutter! Oscar wacht auf!“ Er sprach das nicht einmal zu Ende aus, da schaute sie ihn schon mit ihren blauen Augen an.   „Ich bin so glücklich!“, schniefte Sophie in ihr Taschentuch und erhob sich auf ihre noch etwas wackelige Beine. „Ich werde Euren Vater holen!“   „Ich habe von unseren Kindheit geträumt...“, sprach Oscar schwach zu ihrem Freund, gleich nachdem Sophie aus dem Zimmer war: „Du hast mit sehr traurigen Stimme nach mir gerufen...“   „Ach, Oscar...“ Mehr brach André nicht heraus. Ihm fiel gerade ein Stein vom Herzen und Freudentränen sammelten sich in seinen grünen Augen.   „Du weinst ja!“, neckte ihn Oscar. Aus irgendeinem Impuls angetrieben, hob sie ihren unverletzten Arm und ihr Zeigefinger berührte vorsichtig seine Wange, als wollte sie ihm die Träne wegwischen. Sie wusste selbst nicht, was sie dazu getrieben hatte und war gleichermaßen überrascht, wie auch André. Vielleicht waren das die Nachwirkungen ihrer Ohnmacht oder sie wollte sich vergewissern, dass ihm wirklich nichts geschehen war.   André hielt inne. Das war das erste Mal, dass Oscar ihn auf diese Weise berührte. Er umfasste sachte ihre Hand und entfernte sie von seiner Wange, aber ließ sie nicht los. In einem anderen Fall hätte er ihre Berührung genossen, aber sie würde dies vielleicht falsch verstehen und ihn schroff anfahren. Deswegen war es besser, es erst gar nicht dazu kommen zu lassen. Für Oscar sah so aus, als würde ihm ihre Berührung unangenehm sein und sie forschte daher nicht weiter nach. André kam dabei auf ihren letzten Satz zurück: „Einer von uns muss es ja sein. Wenn du schon dafür erzogen wurdest, keine Gefühle zu zeigen, dann muss es doch einen Gegensatz dazu geben. Meinst du nicht?“   „Ach, André. Du bist einfach unverbesserlich.“ Oscar wunderte sich selbst über den weichen Ton in ihrer sonst so harschen Stimme. Vielleicht lag das noch an der Schwäche auf Grund des Blutverlustes und der Ohnmacht. Sie betrachtete ihren Freund mit einer Mischung aus Freude und noch etwas anderem, fremdartigem, was sie sich nicht erklären konnte. Dennoch verursachte es ihr ein angenehmes Kribbeln am ganzen Körper. „Hilfst du mir aufzusitzen, wenn du schon meine Hand hältst, André?!“   „Aber natürlich.“ Dass er noch immer ihre Hand umschlossen hielt, hatte André glatt vergessen. Leicht verlegen beeilte er sich, ihrem Wunsch nachzukommen und stopfte ihr anschließend ein Kissen hinter dem Rücken. „Ist es so angenehm?“   „Ja, André, ich danke dir.“ Oscar lehnte sich zurück, ohne abzuwarten, bis André zurücktrat. Ihre goldblonden Haare streiften ihm leicht an der Wange. André zog ihren milden Duft tief in sich auf und versuchte ihn sich einzuprägen. Das geschah in Bruchteile wenigen Sekunden und im nächsten Moment sah er schon direkt in ihre Augen. Nicht einmal eine fingerbreite Distanz trennte ihn von ihrem Gesicht. So nah war er ihr noch nie gewesen und die Zeit blieb für ihn plötzlich still stehen. Sein Verstand warnte ihn, sich sofort zurückzuziehen. Denn wenn er es nicht täte, würden seine Gefühle mit ihm durchgehen und er würde sie küssen. André konnte aber nicht weg. Irgendeine innerliche Kraft ließ das nicht zu. Sein Herz schlug schneller, sein Atem beschleunigte sich auch und ein heißer Schauer durchströmte seinen Körper.   Auch Oscar verharrte reglos. „Was ist mit ihm?“, dachte sie bei sich und konnte ihren Blick nicht von seinen abwenden. Etwas magisches lag darin und zog sie in seinen Bann. Das angenehme Kribbeln von vorhin verstärkte sich in ihrer Magengegend und eine unerklärliche Wärme umhüllte ihr Herz. Was war da mit ihr auf einmal los?! Sie bekam mit, wie André etwas schneller atmete und wie er gleichzeitig versuchte sein Atem unter Kontrolle zu bekommen.   Oscar hielt erschrocken inne. Es sah so aus, als würde André sie küssen wollen! Aber warum? Und wieso sollte er das tun wollen? Das verstand sie nicht. Sie öffnete ihre Lippen, um etwas zu sagen. „André...“, hauchte sie. Mehr brachte sie nicht zu Stande. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und Andrés Blick senkte sich auf ihren leicht geöffneten Mund. Welch eine süße Verlockung... Könnte er sich nur überwinden und sie küssen... Aber würde Oscar das auch wollen?   Hastige Schritte von mehreren Personen außerhalb des Zimmers zerstörten die stumme Zweisamkeit. André wurde auf der Stelle hellwach und rückte sofort von Oscar weg. Er flüchtete an das Fußende des Bettes und blieb dort an einem Pfosten stehen. Zeitgleich versuchte er seinen durchgewühlten Gefühlen Herr zu werden. Oscar bedauerte beinahe, dass ihr Freund sich so hastig zurückzog. Aber das war richtig so. Und besser, für alle beide.   Die Tür flog auf und General de Jarjayes stürmte herein, gefolgt von Graf von Fersen und Sophie. „Sag schon, mein Kind, wie fühlst du dich?“   „Schon viel besser, Vater“, erwiderte Oscar mit einem höflichen Lächeln. Sie bemühte sich gleichzeitig ihren aufgeregten Herzschlag, den sie André zu verdanken hatte, zu beruhigen. Niemand sollte davon etwas mitbekommen! Und es schien zu funktionieren, wie sie mit Erleichterung feststellte.   Der General nahm sich einen Stuhl, stellte ihn ans Kopfende des Bettes und setzte sich. „Alle sind so stolz auf dich, Oscar! Du hast der Prinzessin das Leben gerettet!“ Er strahlte über das ganze Gesicht.   Oscar ließ sein Lob mit halben Ohr über sich ergehen und sah sich im Raum suchend um. „Wo ist eigentlich meine Mutter?“   „Sie hat sich sofort um die Prinzessin gekümmert, als Ihr außer Gefahr ward“, erklärte Sophie noch etwas schniefend. Sie stand hinter dem Stuhl, auf dem der General saß.   Oscars Blick wanderte weiter und entdeckte, dass neben André, Graf von Fersen stand. „Danke, dass Ihr auch gekommen seid. Ich habe Euch erst jetzt richtig kennengelernt.“   „Mir geht es mit Euch ebenso.“ Von Fersen schmunzelte daraufhin freundlich.   Oscar sah ihren langjährigen Freund an. „André, du stehst da so schweigsam in der Ecke. Fehlt dir etwas?“ Sie wollte ihn necken, aber das klappte nicht. Ein Kloß hatte sich in ihrer Kehle gebildet und hinderte sie am weitersprechen. Ihr Freund sah irgendwie verloren aus und gab ihr keine Antwort – so, als wäre er in Gedanken versunken. In Wirklichkeit jedoch schwor er sich selbst, sein Leben für Oscar jederzeit einzusetzen – so wie sie das bei ihm getan hatte. „Etwas beschäftigt ihn!“, dachte Oscar bei sich grübelnd: „Aber was? Ich muss das unbedingt herausfinden!“ Um nicht die ganze Zeit so auffallend zu André zu starren, richtete sie ihren Blick wieder auf den General. „Vater, ich will meinen Dienst so schnell wie möglich wieder antreten.“   „Ruhe dich erst einmal aus, mein Kind. Und ich werde am Hofe melden, dass du dein Dienst morgen wieder aufnehmen wirst.“   „In Ordnung, Vater.“ Obwohl Oscar nicht sonderlich darauf erpicht war, den ganzen Tag im Bett zu verbringen, akzeptierte sie es trotzdem. Vielleicht würden ihr der eine Tag im getrauten Heim doch noch gut tun und sie würde nebenbei ihren verletzten Arm trainieren können.   „Dann sind wir uns einig.“ Reynier erhob sich und verabschiedete sich von ihr. „Ich fahre jetzt nach Versailles zurück und werde alles klären.“   „Ich werde dann mich auch verabschieden.“ Graf von Fersen verneigte sich leicht. „Ich wünsche Euch eine gute Besserung, Lady Oscar.“   „Danke Graf.“ Oscar geleitete die zwei Männer mit ihren Blick, bis sie hinter der Bogenöffnung zwischen ihrem Schlafgemach und ihrem Salon außer Sicht waren.   „Was stehst du immer noch hier, du Faulpelz!“, schimpfte urplötzlich Sophie auf ihren Enkel los und drohte ihm mit mahnendem Finger in der Luft. „Die Gäste aus dem Haus zu geleiten gehört auch zu deinen Aufgaben!“   „Entschuldigt, Großmutter.“ André schreckte auf und beeilte sich seinen Versäumnis zu korrigieren.   „Dieser Nichtsnutz!“, grummelte Sophie weiter, als André schon fort war.   „Lass ihn doch. Er hat es bei uns wirklich nicht leicht.“ Oscar setzte sich unvermittelt für ihn ein. Eigentlich war das nichts Ungewöhnliches. „Bedenke doch, was ihm gestern beinahe widerfahren wäre.“   „Ihr habt ja recht, Lady Oscar“, gestand sich Sophie entschuldigend ein. Im Grunde genommen mochte sie ihren Enkel. Wäre er nur nicht so sehr auf ihren Schützling bezogen, dann hätte sie ihm die kleine Fehler durchgehen lassen können. Aber so fühlte sie sich dazu verpflichtet, ihn ständig hinzuweisen, dass er außer auf Lady Oscar aufzupassen, auch andere Aufgaben als Bedienstete in diesem Haus inne hatte.   „Schon gut, Sophie.“ Oscar hatte es ihr verziehen. Sie wusste ohnehin, wie wichtig André seiner Großmutter war. Deshalb ging sie nicht mehr darauf ein. „Würdest du ihn bitten, mir das Frühstück zu bringen?“   „Wie Ihr es wünscht, Lady Oscar.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)