Nur mit dir, für dich von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 4: Was das Herz wirklich begehrt ---------------------------------------- Seit einer langen Zeit ritten sie wieder einmal zusammen aus. Die Sonne stand ganz oben und warf auf sie ihre warme Strahlen hinab. Der frische Wind wehte ihnen entgegen und zerzauste ihnen wild die Haare - besonders die von Oscar. Im schnellen Galopp war sie wieder einmal schneller als André - er heftete sich nur knapp hinter sie. Ob er sie diesmal mit Absicht gewinnen ließ, war schwer zu sagen. Oscar galoppierte vorne weg und genoss diesen kleinen Moment der Freiheit. Sie freute sich, Sophie und ihren ständigen Fürsorge entkommen zu sein.   Schon bald kam der altbekannte See in Sicht und dessen glitzernde Oberfläche hatte auch noch etwas magisches an sich, sodass Oscar ihren Schimmel am seichten Ufer gleich zügelte. Die Oberfläche spiegelte das Blau des Himmels, mit seinen vorbeiziehenden Federwolken und Oscar legte ihren Kopf in Nacken. Sie streckte ihr Gesicht gen Himmel empor und zog die Luft des angebrochenen Tages in ihren Lungen ein. „Ist es nicht schön hier?“   André hielt seinen Braunen direkt neben ihrem Schimmel an und musste ihr zweifelsfrei recht geben. „Ja, wunderschön“, sagte er, allerdings mehr auf Oscar bezogen als auf das Naturschauspiel. Um nicht weiter ihrer Erscheinung zu verfallen, stieg er unvermittelt aus dem Sattel. „Wollen wir nicht etwas um den See spazieren, Oscar?“   „Warum nicht? Wir haben ja genug Zeit.“ Oscar tat es ihm gleich und setzte langsam ihre Füße in Bewegung. Ihre Pferde führten sie hinter sich an den Zügeln. Dabei kam ihr das Bild von André am Bach wieder in den Sinn und ihr Herz begann erneut schneller zu schlagen. Das alles hätte sie nicht mehr erlebt, wenn er hingerichtet worden wäre... Der Gedanke daran, dass sie ihr Leben ohne ihn weiter führen müsste, bescherte ihr ein flaues Gefühl im Magen. Sie versuchte diesen schrecklichen Gedanken zu zerstreuen, denn André lief gerade wohlbehalten an ihrer Seite und das war das Wichtigste, aber es gelang ihr nicht. Ihr flatterndes Herz umhüllte sich mit einer Wehmut und sie wusste, sie musste das unbedingt loswerden. „Wie fühlst du dich?“, fragte Oscar nach wenigen Schritten beiläufig. Ihr Augenmerk war in die Ferne gerichtet und ihre Stimme klang ungewohnt sanft.   André, der vor seinen Füßen gescharrt hatte, schreckte auf. Was hatte dieser Ton zu bedeuten? Oder hatte sie womöglich von seinen Gefühlen zu ihr etwas mitbekommen? Das konnte nicht sein! „Was meinst du damit, Oscar?“   „Ich meine wegen dem Unfall. Du wurdest doch schließlich vom Pferd der Prinzessin mitgeschleift und hast dich sicherlich dabei verletzt. Und dann noch die Verhaftung...“ Oscar stockte. Das war das erste Mal, dass sie sich so offen zeigte und wäre eigentlich nie so gesprächig, aber es betraf André, sie sorgte sich um ihn und das wollte sie ihm nicht vorenthalten.   „Ach, das...“ André seufzte schwer, froh und bedauernd zugleich. Ihre Sorge um ihn rührte ihn, aber er wollte ebenso wenig an seine missliche Lage erinnert werden. „Du brauchst dir um mich keine Sorgen machen, Oscar. Ich habe nur ein paar Prellungen abbekommen, mehr nicht. Das verheilt gut und mir droht dadurch keine Gefahr mehr.“   „Gut.“ Mehr sagte Oscar nicht. Ausschweifende Reden waren nicht ihre Art und wie es aussah, gab er sich mit dieser Antwort zufrieden.   André atmete tief ein und aus. Schuldbewusst kam ihm noch etwas in den Sinn und er holte es verspätet ein: „Ich habe mich bei dir noch gar nicht bedankt. Für deinen Einsatz bei dem König.“   „Das ist doch selbstverständlich, André. Wir sind doch Freunde und Freunde stehen zueinander.“ Ein kaum merklicher Stich durchfuhr Oscars Herz. Sie verstand nicht warum, aber etwas in ihr sagte, dass es die falsche Worte waren.   „Ja, Oscar, das sind wir.“ Auch André schmerzte es im Herzen. Aber sie waren nun mal Freunde und so würde es auch bleiben. Umso mehr überraschte es ihn, dass Oscar, zwar etwas stockend, aber mit einer eigenartigen Traurigkeit in der Stimme fortfuhr: „Als Girodel mir sagte, dass man dich verhaften ließ, war mir so, als bräche um mich herum alles zusammen. Ich weiß nicht, was mit mir geschah, aber mir kam es so vor, als würde mir das Herz aus der Brust gerissen und es vor meinen Augen zerstückelt...“ Sie verstummte wieder. Das wollte sie ihm nicht sagen – sie wollte dies eigentlich mit sich selbst ausmachen, aber nun war es heraus. Und nebenbei gemerkt, sich auszusprechen und sich jemanden anvertrauen zu können, erleichterte ihre Seele. Nein, nicht jemanden. André hatte schon sein Anrecht zu erfahren, was sie über ihn dachte.   „Oscar...“ André blieb fassungslos stehen. Sie hatte sich ihm gerade offenbart! Zwar keine direkte Liebesbekenntnis, aber immerhin. Sie sprach doch nie über ihre Gefühle! Im Gegenteil: Oscar unterdrückte sie mit allen Mitteln und versuchte sie im Keim zu ersticken!   Oscar ging noch eins zwei Schritte, als sie merkte, dass er ihr nicht mehr folgte, so blieb sie auch stehen. Sie verstand sich selbst nicht. Wenn André nur wüsste, was in ihr gerade vorging! So gesehen wusste sie das eigentlich selber nicht. Sie rang mit sich selbst verzweifelt – zwischen ihrer Erziehung als hartherziger Soldat und dieser weichen Seite in ihr, die mehr und mehr die Oberhand gewann, als ihr lieb war. „André... ich weiß nicht warum, aber ich kann mir mein Leben nicht ohne dich vorstellen. Als ich daran dachte, dass man dich hinrichtet, da kam mir auch mein Leben sinnlos vor. Du bist mir wichtig. Sehr wichtig sogar...“   André starrte perplex und mit offenem Mund ihren Rücken an. Sie hatte zwar leise gesprochen, aber jedes einzelne Wort von ihr hatte er ganz deutlich verstanden. Ihre Haltung war gerade gestrafft und ihr Kopf leicht nach vorn gesenkt. Eine Hand hielt die Zügel ihres Schimmels und die andere ballte sie an ihrer Seite zur Faust.   „Vielleicht ist es die Liebe?“, murmelte André und biss sich zu spät auf der Zunge. Das hätte er nicht sagen wollen, aber das war ihm irgendwie ohne vorher überlegt zu haben herausgerutscht.   Oscar drehte sich schlagartig zu ihm um. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich und ihr zuvor so milder Ton klang jetzt schneidend: „Das glaubst du doch wohl selber nicht?! Liebe gibt es nur in Märchen!“   „Und was ist mit der Kronprinzessin?“ André wunderte sich über sich selbst. Vielleicht lag es an Oscars scharfen Tonfall, der noch schmerzlicher in sein Herz schnitt, als der bester Dolch es je vermochte. Oder waren das gerade ihre letzte Worte gewesen, die ihn so übermütig machten? Auf jeden Fall konnte er nicht mehr seine Gefühle für sich stillschweigend behalten. „Sie scheint in Grafen von Fersen regelrecht vernarrt zu sein! Das hast du doch selbst gesehen!“   „Marie Antoinette ist etwas völlig anderes!“, platzte nun auch Oscar mit ihren Gefühlen aus. Sie versuchte zudem ihren wutentbrannten Blick und die Schroffheit in der Stimme beizubehalten. „Sie wurde aus politischen Gründen mit dem Thronfolger Frankreichs vermählt und das heißt, es gibt keine Liebe!“   In André brodelte es langsam auch. Sein ganzes Empfinden, Denken und all seine Sinne, galten nur Oscar. Er bekam urplötzlich den Wunsch, es ihr heimzuzahlen und ihr zu beweisen, dass sie unrecht hatte. „Ob du es glaubst oder nicht, aber die Liebe existiert sehr wohl!“   „Woher willst du denn das wissen?“ Oscar schnaufte ununterbrochen. Zugegebenermaßen, wollte sie das wirklich wissen.   „Ich weiß es einfach.“ Mit einem Satz war André schon bei ihr. Er verringerte die Distanz zwischen ihnen – so, dass ihre Körper sich leicht berührten. Oscar wollte nach hinten ausweichen, aber da schloss er schon seine Arme um ihre schlanken Taille und hielt sie fest. „Ich weiß wovon ich spreche, Oscar...“ Andrés Herz hämmerte ihm bis zum Hals, die Nähe zu Oscar beraubte ihn aller seiner Sinne und der Vorfall am heutigen Morgen geisterte ihm nur so durch den Kopf. „...weil ich...“ Er schluckte hart: Jetzt oder nie! „...weil ich dich liebe, Oscar...“   „Aber, André...“ Oscar war baff und nicht mehr fähig, sich zu Wehr zu setzen. Ihr Puls beschleunigte sich und ihr Herz hämmerte rasend gegen ihren Brustkorb. Und als wäre sein Geständnis nicht schon irritierend genug, presste er unerwartet seine Lippen ihr auf den Mund – hart und doch lag eine Note der Sanftheit darin. Oscar erschauerte. Nichtsdestotrotz begann sie sich aber gleichzeitig zu wehren. „Lass mich sofort los!“, zischte sie in seinen Kuss hinein.   Das brachte André zu Besinnung. Er ließ sie abrupt los, machte einen Schritt rückwärts und senkte beschämend seinen Blick. Was hatte er nur getan?! Oscar würde sich jetzt sicherlich von ihm abwenden und ihn verachten, was er mit seinem unbeherrschten Verhalten auch verdient hatte! Er wartete stumm auf ihr Urteil, aber sie schwieg nur betroffen.   Oscar selbst versuchte das Geschehene zu realisieren und zu verarbeiten. „Warum, André? Wir sind doch Freunde...“ Das war nur der Hauch eines Gedankens. Sie schüttelte unfassbar ihren Kopf, als wollte sie damit alles abwerfen und stieg hastig auf ihr Pferd. „Wir sehen uns auf dem Anwesen!“, kam es verstockt von ihr und mit heftigen Stoß in die Flanken, trieb sie ihr Pferd an. Sie brachte es nicht über sich, bei André weiter zu bleiben. Obwohl sie genau gemerkt hatte, wie er selbst über seine eigene Tat erschrocken war, ließ sie ihn alleine und ritt vor ihm davon. Seine Worte der Liebe hallten in ihrem Kopf den ganzen Heimweg und dabei schmerzte es ihr zutiefst. Nein, sie durfte nicht lieben! Sie wurde nicht dazu erzogen! Sie musste hartherzig wie ein Mann sein und jegliche Gefühle aussperren! Besonders die, die sie weich machten und weiblich waren. „André... warum hast du das getan?“, fragte sie sich zum wiederholten Male. Der Gedanke an ihn trieb ihr die Tränen in den Augen und verschleierte ihr die Sicht. „Nein, ich darf nicht weinen!“, schollt sie sogleich sich selbst.   Kurz vor dem elterlichen Anwesen zügelte sie ihr Pferd und fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen, aber da kamen schon die nächste Tränen. Sie konnte nichts dafür und sie wollte es nicht, aber es geschah ganz von alleine. Was hatte das alles zu bedeuten?! „Reiße dich zusammen, Oscar! Du bist wie ein Mann erzogen worden und sollst dich auch wie einer verhalten!“, herrschte sie sich selbst an und vernahm beiläufig, wie weinerlich und erstickt ihre eigene Stimme klang. „Nein, so darf mich doch kein Mensch sehen! Sonst werde ich noch bald in ein Kleid gesteckt!“ Die Vorstellung von einem Kleid und wie sie darin aussehen mochte, kam ihr auch wie von alleine durch den Kopf geschossen. Oscar lachte freudlos auf. „Nein, niemals werde ich das zulassen! Ich will nicht wie eine Frau sein und den Männern gehorchen!“ Unwillkürlich musste sie auch daran denken, dass die Frauen in ihrem Alter schon längst verheiratet waren - zwangsweise und zum Wohle der Familie. Die Liebe spielte dabei keine Rolle. Die Ehen waren meistens arrangiert und die Frauen mussten sich fügen. Oscars Gedanken schweiften wieder zu André. Wie anders er doch war! Er würde sie niemals zu etwas zwingen und ihre Entscheidung in Frage stellen. Oscar hatte das beklemmende Gefühl, sie müsste sich für etwas entscheiden, was speziell ihn und ihr bisheriges Leben als Mann betraf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)