Nur mit dir, für dich von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 5: Verzweiflung ----------------------- André stand noch eine Weile niedergeschlagen am See und nagte mit seinen Schuldgefühlen. Oscar hatte ihn weder geohrfeigt, noch wütend angefahren. Sie hatte nur lediglich gesagt, sie sähen sich auf dem Anwesen wieder und dann war sie weg geritten. Aus ihrem entsetzten Ton hatte er nur Bitterkeit und Erschütterung herausgehört. Er hatte seinen gesenkten Blick verwundert gehoben, aber da sah er nichts außer der aufgewirbelten Staubwolke von den Hufen ihres Pferdes und ihre Silhouette, die in der Ferne verschwand. Fort von ihm und seiner Tat. Es hatte keinen Sinn, ihr nachzureiten. Und auch keinen Zweck. Er hatte gerade ihre Freundschaft zerstört und Oscar würde ihn sicherlich nicht mehr sehen wollen. Sie würde ihn meiden und schlimmstenfalls verachten.   André wusste nicht zu sagen, wie lange er überhaupt dort am See stand und benommen in die Richtung, in der von Oscar schon längst nichts mehr zu sehen war, starrte. Die Zeit blieb für ihn unerträglich lang stehen und die Welt hörte auf sich zu drehen. Alles um ihn herum brach zusammen. Sein Pferd stupste ihn an der Schulter an, als wolle es ihn zu einem Ritt antreiben, aber er reagierte nicht. Ihm war alles egal, er fühlte sich taub und verloren. Sein Brauner stupste ihn erneut an und André seufzte tiefsinnig. Es würde nichts nützen und vor allem nichts mehr ändern, wenn er weiterhin hier Wurzeln schlagen würde. Er griff nach den Zügeln, schob sein Fuß in den Steigbügel und stieg doch noch in den Sattel. Im leichten Trab ritt er an, aber nicht zum Anwesen, sondern in Richtung Paris, um seine Schuldgefühle in einem der Gasthöfen zu ertränken. Würde es ihm aber danach besser gehen? Man sagte doch, dass Alkohol zwar Vergessen bescheren konnte, aber eine Lösung für das Seelenleid würde das nicht sein. Also würde ihm das womöglich auch nicht helfen, denn es würde nichts nützen. Sobald er wieder nüchtern sein würde, würde er wieder an Oscar und seine Verfehlung denken – das wusste André mit Sicherheit. Und sich danach jederzeit und immer wieder aufs Neue mit Bier oder Wein zu beschwipsen, wollte er auch nicht. Was konnte er aber dagegen tun?   André wendete sein Pferd, ritt Stundenlang ziellos durch den Wald und dann machte er sich widerwillig doch noch zum Anwesen auf. Im Stall führte er seinen Braunen in die Box. Dabei entdeckte er den weißen Schimmel von Oscar in der benachbarten Box und ging zu ihm. Jemand hatte ihn schon längst abgesattelt und versorgt. Bestimmt einer der Stallknechten. Sanft strich André dem Schimmel über die Nüstern. „Was wohl deine Herrin jetzt macht? Weißt du zufällig, was sie jetzt über mich denkt?“   Oscars Schimmel entriss ihm sein langes Maul, schüttelte mit seiner Mähne und schnaubte leise. André wandte sich von ihm bedauernd ab. „Ich rede schon mit Pferden... Ach, Oscar...“ Mit schwermütigen Gedanken an sie, widmete er sich wieder seinem Braunen und sattelte ihn ab. Er brachte ihm danach Wasser und Futter und als alles erledigt war, schlenderte er gedankenverloren um das Anwesen herum. In das Haus und auf sein Zimmer wollte er nicht – aus dem Grund, jemanden zu begegnen - insbesondere Oscar oder seiner Großmutter. Die letztere würde ihm sicherlich nur wieder die Leviten lesen und Aufgaben auftragen, die ganz bestimmt mit Oscar zu tun hatten und darauf legte er zur Zeit keinen Wert.   So schlenderte er ziellos weiter, bis er auf den Hof zum Brunnen und den Bäumen kam. Sofort kamen ihm die Erinnerungen hoch, wie oft er hier mit Oscar schon Fechten geübt hatte. Seine Füße trugen ihn tiefer in den Garten, zu einer alten Eiche, wo er oft mit Oscar gespielt hatte als sie noch Kinder waren und wo sie ihm hier eines ihrer Schwerter geschenkt hatte - das war seine erste Zeit im Hause de Jarjayes gewesen. André erinnerte sich noch genau an die erste, turbulente Begegnung mit Oscar und wie sie miteinander später Freundschaft geschlossen hatten. Das alles lag mindestens zehn Jahre zurück, wenn nicht mehr, aber ihm schien es, als wäre das alles erst gestern gewesen...   Jetzt würde es keine Freundschaft mehr geben - das hatte er selbst verschuldet. André setzte sich unter den alten Baum und lehnte sich mit dem Rücken gegen den massiven Stamm. In den grünen Baumkronen zwitscherten die Vögeln, der Wind spielte rauschend mit den Blättern und die Sonnenstrahlen lichteten sich durch die Äste. Ein sinnliches Bild der Ruhe und Harmonie. Aber nicht für André. Dennoch machte ihn das Naturschauspiel schläfrig. Er zog seine Beine an sich, bettete darauf seine Arme und seinen Kopf, schloss die Augen, horchte dem Rauschen des Windes zu und nickte ein.   Als er erwachte, brach schon der Abend an. Er musste bestimmt den halben Tag verschlafen sein. André gähnte herzhaft, streckte ausgiebig seine Glieder und erhob sich. Was wohl Oscar dazu sagen würde? Sie suchte schon ganz bestimmt nach ihm! Bei der Vorstellung ihres verärgerten Gesichtsausdruckes, schmunzelte er. Dann plötzlich erstarb sein Schmunzeln ihm schlagartig, als ihm die vergangene Ereignisse wie scharfe Messerstiche wieder einholten. Nein, sie würde nicht nach ihm suchen! Nicht nach dem, was er getan hatte! Hilflos donnerte André mit der Faust gegen den alten Baumstamm. Was sollte er jetzt tun? Er konnte Oscar nicht mehr unter die Augen treten! Am besten würde es wohl sein, wenn er fortgehen würde! Aber wohin?   „Verdammt!“ Nochmal donnerte André gegen den massiven Stamm mit seiner Faust. Den Schmerz an seinen Fingerknöchel nahm er kaum wahr. Der körperliche Schmerz war rein gar nichts mit dem zu vergleichen, den er tief in seinem Inneren verspürte. Aber er musste wohl oder übel irgendetwas unternehmen! Wie ein Betrunkener setzte er einen Fuß vor dem anderen und torkelte in das Haus – stets darauf bedacht, niemanden anzutreffen.   „André! Komm sofort her!“, schallte urplötzlich die altbekannte Stimme seiner Großmutter aus der Küche. André blieb wie angewurzelt stehen. Heute war anscheinend nicht sein Tag! Natürlich konnte er so tun, als hörte er sie nicht und einfach weiter gehen, aber er wusste ganz genau, was danach folgen würde. Seine Großmutter würde ihn mit ihrem berüchtigten Nudelholz auf seinem Zimmer aufsuchen und ihm so oder so eine Standpauke erteilen. André seufzte, ordnete schnell sein Hemd, setzte eine Unschuldsmiene auf und betrat die Küche. Er hatte ja ohnehin keine andere Wahl. „Ihr habt gerufen, Großmutter?“   „Setz dich dahin!“, forschte Sophie ihren Enkel streng an und fuchtelte mit ihrem Holzlöffel in Richtung des Tisches, wo bereits Brot, Schinken, Käse und Butter für eine Person eingedeckt standen. Ein Abendmahl für ihn, erkannte André unschwer und sein knurrende Magen erinnerte ihn noch zusätzlich, dass er heute noch kaum etwas gegessen hatte. „Ich danke Euch, Großmutter.“ Brav begab er sich zum Tisch und nahm auf einem der Stühle Platz. „Habt Ihr schon gespeist?“   „Ja. Alle haben schon gespeist! Nur du treibst dich den ganzen Tag irgendwo in der Stadt herum, ohne mir ein Wort zu sagen! Gut, dass Lady Oscar mir Bescheid gegeben hatte, sonst wüsste ich nicht, wo du bist!“ Sophie stemmte bei ihrem aufgebrachten Redefluss ihre Hände in die Seiten und musterte ihren Enkel ausgiebig. „Wo warst du genau?! Lady Oscar sagte, du würdest später nachkommen! Aber nicht fast den halben Tag später!“   „Beruhigt Euch, Großmutter. Oscar wollte, dass ich für sie in der Stadt etwas erledige. Jetzt bin ich ja wieder da.“ Bei der Erwähnung von Oscar, zuckte André unmerklich zusammen. Wie es aussah, hatte sie nichts von dem Vorwahl zwischen ihnen preisgegeben und für ihn sogar eine Ausrede gefunden. Das war ihre typische Art, sich mit ihren Problemen selbst auseinanderzusetzen, ohne dass jemand davon etwas mitbekam. Und André war in dem Moment froh darüber. Er nahm eine Scheibe Brot, bestrich sie mit Butter und legte ein Stück von Schinken und Käse drauf.   „Immer treibst du dich irgendwo herum!“ Sophie bedachte ihn mit einem tadelnden Blick und räumte das gewaschene und abgetrocknete Geschirr in die Regale ein. „Falls es dir entgangen ist, wirst du schon bald zwanzig Jahre alt!“   „Und was soll das heißen?“, fragte André kauend nach. Dieses Gespräch war ihm nicht geheuer.   „Was das heißen soll?“ Sophie wirbelte mit einem kleinen Stapel Teller zu ihm herum. „Du stehst schon seit Jahren in den Diensten dieses Hauses und außer Pferde versorgen und auf Lady Oscar aufzupassen, hast du nichts anderes zu tun! Würde sich Lady Oscar nicht ständig für dich einsetzen, wärst du schon längst vor der Tür gelandet!“   Erneut zuckte André bei Oscars Namen zusammen. Er schluckte den letzten Bissen herunter und stand auf. „Kommt, Großmutter, ich helfe Euch.“   Sophie drückte ihm den Stapel Teller in die Hände, als hätte sie nur darauf gewartet und räumte den Tisch ab. Eigentlich war ihr Enkel hilfsbereit und packte mit an, wo er konnte, aber heute war sie nur durch seine lange Abwesenheit beunruhigt. Nun aber war er wieder da, sie hatte ihrem Ärger Luft gemacht und es ging alles wieder seinem geordnetem Gang.   André atmete innerlich erleichtert auf, weil seine Großmutter nicht weiter auf ihm herumhackte und räumte für sie die letzten Gläser und das Besteck ein. „Hat Oscar auch schon gespeist?“, fragte er zum Schein ganz beiläufig, wobei ihm am Herzen unwohl zumute war.   „Du sollst Lady Oscar sagen!“, warf ihm Sophie bei der Tischwäsche mürrisch an den Kopf, aber beließ es sogleich, ihn weiter darauf hinzuweisen. Es war doch immer das Gleiche mit ihm und würde sich wohl ohnehin nicht mehr ändern. „Lady Oscar hat auch schon gespeist. Da ihre Eltern in Versailles sind, hat sie es auf ihrem Zimmer getan. Sie wollte noch vor dem zu Bett gehen eine Tasse Tee trinken und du wirst sie ihr bringen, sobald du hier fertig bist!“   „Ich? Aber...“ Erschrocken sah André seine Großmutter an. Wenn er jetzt etwas in den Händen gehalten hätte, dann wäre ihm das bestimmt zu Boden gefallen.   „Wer den sonnst? Natürlich du!“ Sophie war zu beschäftigt, um seine erschrockene Miene zu bemerken. Sie holte ein großes Silbertablett aus dem unterem Geschirrschrank und stellte es auf dem Tisch ab. Dann erblickte sie ihren Enkel, der sich schon gefangen hatte. „Oder denkst du, dass der Tee alleine zu ihr kommt? Ich will mit dir nicht diskutieren, André. Ich bin müde und andere Bedienstete sind auch schon schlafen gegangen.“   „Schon gut, Großmutter. Ich werde das schon machen“, seufzte André ergeben und holte aus der obersten Regal eine Teekanne, eine Tasse mit Unterteller und Besteck. Seine Großmutter bereitete derweile den Tee zu und stellte etwas Gebäck in einer Schale zu dem Geschirr auf das Tablett. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)