Nur mit dir, für dich von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 9: Vorfall ------------------ Mit der Zeit gewöhnte sich André damit zu leben, Oscar nur aus der Ferne zu betrachten und mit ihr auf kameradschaftliche Basis umzugehen - wie es in alten guten Zeiten war. Nur in den nächtlichen Stunden gestattete er sich das schöne Beisamen mit ihr in seinem Geist aufzurufen und darüber zu träumen. Tagsüber ging er seinen Aufgaben nach und Oscar den ihren.       Über Frankreich zogen dunkle Wolken auf. Der König stürzte bei einer Jagd vom Pferd und plagte später über heftige Kopfschmerzen. Viele Ärzte und Spezialisten taten ihr Bestes, aber er litt weiter. Am Hofe fragte man bereits, ob der König diese Krankheit überleben würde oder nicht. Diejenige, die mit Schlimmsten rechneten, behielten recht: Der König bekam anschließend die Pocken und zehn Tage nach der langen Qual, im April 1774, starb er. Ihm wurde noch nicht einmal die letzte Ehre erwiesen, da feierten die machthungrige Intriganten bei Hofe schon den nächsten König.   Oscar raste vor Wut: Was für ein selbstsüchtiges Pack! Ab jetzt oblag es Ludwig dem XVI und seiner Frau, Marie Antoinette, über Frankreich zu regieren. Im Sommer desselben Jahres wurden sie schließlich gekrönt.   Nach der berauschenden und langen Krönungsfeier konnte sich Oscar endlich freie Tage zuhause gönnen. Zusammen mit André ritt sie zum Anwesen und versank in Grübeleien. Die ganze Zeremonie und der Pomp waren einfach nicht ihre Welt, aber dabei zu sein gehörte zu ihren Pflichten. Allerdings an Freude war dabei nicht zu denken. Der Grund war Marie Antoinette. Die neue Königin verfiel in Schwermut, weil ein gewisser Graf von Fersen sie nicht mehr in Versailles besuchte.   Oscar ahnte warum, konnte aber nichts dagegen tun. Die Liebe ging eben ihren eigenen Wegen und das gab ihr einiges zu Bedenken. Unwillkürlich dachte sie auch an das Verhältnis und die Beziehung zwischen ihr und André. Sie liebte ihn auf ihre eigene Art und Weise, konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen und ihr Körper spielte verrückt, als sie heimlich Zärtlichkeiten austauschten. Aber konnte sie ihm eine richtige Frau sein? Sich mit ihm vereinen, ihn heiraten und womöglich Kinder mit ihm bekommen?   Nein! Für so etwas war es noch viel zu früh! Und sie standen erst am Anfang ihrer Liebe! Das alles würde die Zeit zeigen, aber nicht jetzt, nicht gleich und nicht sofort!   Oscar verdrängte augenblicklich diesen Gedanken und überlegte stattdessen, wie sie Ihrer Majestät helfen sollte. Sie kam damit nicht weit. „Ich weiß mir keinen Rat mehr, André“, teilte sie ihm seufzend mit. Vielleicht wüsste er einen Ausweg? Er sparte doch sonst nicht mit seinen Ratschlägen. „Ich mache mir Sorgen um Marie Antoinette. Sie scheint Graf von Fersen wirklich zu lieben. Das ist alles so vertrackt. Warum dürfen sich die Menschen nicht lieben, wenn sie füreinander bestimmt sind?“ Sie schloss die Augen, streckte ihren Gesicht gen Himmel und ließ ihren Schimmel von alleine gemütlich weiter traben.   André schaute erstaunt zu ihr. Das war selten, dass Oscar sich offen zeigte und ihre Gedanken preisgab. Aber es erfreute ihn gleichzeitig, dass sie das doch noch gelegentlich von sich selbst aus tat und er nicht oft nachfragen musste. Die Sonne stand hoch über ihnen am wolkenlosen Himmel und schien wärmend auf sie hinab. André betrachtete den Profil seiner Geliebten von der Seite und versuchte eine passende Antwort zu finden. „Und ich frage mich dagegen, ob der Graf die Königin wirklich liebt?“   „Ich glaube schon. Aber ich frage ihn bei passender Gelegenheit trotzdem.“ Oscar machte ihre Augen auf und senkte ihren Kopf. Ihr Gesicht wirkte kurz bekümmert, aber im nächsten Moment kehrte die Entschlossenheit zurück. „Was hältst du davon, wenn wir heute Abend durch Paris mit der Kutsche fahren? Wir waren schon lange nicht mehr in dieser Stadt.“   „Das stimmt“, gestand André und fügte noch aufheiternd hinzu: „Und ich habe nichts dagegen, mit dir auszufahren.“   „Dann lass uns schneller nachhause reiten und die Kutsche bespannen.“ Oscar stieß ihrem Pferd in die Seiten und galoppierte auf das Anwesen de Jarjayes.           Die Sonne verschwand schon hinter dem Horizont, als Oscar und André in der Kutsche durch Paris fuhren. Die Straßen wurden Menschenleer und die Laternen beleuchteten große Orte und Plätze der Stadt. In manchen Wirtshäusern wurden unselige Trinkgelage veranstaltet und kräftige Männerstimmen hörte man sogar bis nach draußen. Abgemagerte und streunende Hunde wühlten in den Abfällen der engen Gassen nach Essbarem und auch eins, zwei Ratten wippten über die Pflastersteine – gejagt von hungrigen Katzen. Betrunkene Gestalten schleppten sich an den Hauswänden vorbei und setzten zwischendurch eine Flasche an die Lippen. Das Nachtleben in der großen Stadt war erwacht und machte Platz für die Unannehmlichkeiten.   Oscar und André eröffnete sich heute noch zusätzlich eine Kehrseite der Münze, von der sie nicht einmal geahnt hatten: Die Menschen wurden ärmer und viele Bürger verloren ihre Arbeit, weil sie nicht mehr bezahlt werden konnten. Ein junges Mädchen in einem zerschlissenen Kleid und nicht älter als fünfzehn oder sechzehn Jahren, hatte die Kutsche mitten auf der Straße angehalten und wollte sich aus Verzweiflung an Oscar verkaufen. Ihr Name war Rosalie und sie hatte Oscar mit einem Mann verwechselt. Rosalie wusste nicht, wie sie sonst überleben sollte und hatte es deshalb getan. Oscar empfand ein tiefes Mitleid zu ihr und schenkte ihr einen Goldstück. Auf dem Heimweg dachte sie an diesen Vorfall und fragte sich, welches Elend in dieser Stadt noch herrschte?! „Das arme Mädchen muss sich verkaufen, weil sie kein Geld hat und keine Arbeit findet...“, murmelte sie zutiefst betroffen.   Auch André erging es nicht anders. Die Sache mit Rosalie hatte ihn auch getroffen und beschäftigt. Er wuchs zwar in einem Adelshaus auf, aber adelig war er deshalb noch lange nicht. Er gehörte selbst dem dritten Stand an und hatte nicht einmal einen blassen Schimmer, wie es seinesgleichen in anderen Orten erging. Der heutige Abend und die Begegnung mit Rosalie hatte es ihm deutlich vor den Augen geführt, wie elend es seinesgleichen erging. Verstohlen beobachtete er Oscar und fragte sich, wie sie den Vorfall eigentlich aufgenommen hatte?! Trotz den spärlichen Lichtes in der Kutsche glaubte er Mitleid und Erschütterung in ihren Augen erkannt zu haben. Sie tat zwar von außen hartherzig, aber herzlos war sie deshalb noch lange nicht. Er kannte sie schon in und auswendig.   Im trauten Heim verschloss sich Oscar nach dem Abendmahl auf ihrem Zimmer und spielte Klavier. Die Bediensteten gingen noch ihren Tätigkeiten nach und brachten diese zu Ende. Anschließend gingen sie erschöpft zu ihren Schlafstätten. André gehörte auch dazu. Nach der Versorgung der Pferde und der zu verrichteten Arbeit im Stall, ging er gleich auf sein bescheidenes Zimmer. Im Haus herrschte bereits eine gespenstische Stille. Nicht einmal von Oscars Klavierspiel hörte man noch etwas. Das bedeutete, dass sie womöglich auch schon zu Bett gegangen war. André fand es schade, denn er hatte schon mit der Gedanke gespielt, bei ihr vorbeizuschauen. Er hätte gerne mehr Zeit bei ihr verbracht. Nur mit ihr, ganz alleine. Und vielleicht auch noch die ganze Nacht. Aber sie wollte offensichtlich ihre Ruhe haben, sonst hätte sie ihm längst Bescheid gegeben, ihr eine Tasse Tee oder eine heiße Schokolade vorbeizubringen, wenn er mit seiner Arbeit fertig sein würde. Natürlich als Vorwand, versteht sich. Das hatte sie aber nicht. Der Vorfall mit dem armen Mädchen, hatte sie anscheinend sehr ergriffen. André seufzte und goss sich das Wasser in die Schüssel. Er wusch schnell seinen Körper vom Staub des tatkräftigen Tages ab, zog seine Schlafsachen an, blies die Kerze aus und schlüpfte ins Bett.           Oscar ihrerseits wartete in ihrem Sessel vor dem Kamin vergeblich auf sein Besuch. Vielleicht hätte sie ihm als Vorwand doch noch sagen sollen, dass er ihr eine Tasse Tee bringen sollte? Stattdessen hoffte sie, er würde sie auch ohne aufsuchen. Anscheinend war das aber nicht der Fall. André ließ sich gar nicht mehr blicken.   Oscar brauchte ihn jedoch gerade jetzt am meisten. Das arme Mädchen und das Elend in der Stadt gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Nicht einmal das Klavierspiel hatte ihr geholfen und ihr Herz beruhigt. Und wie vermochte sich André dabei gefühlt haben? Er war doch selbst von einfacher Herkunft. Obwohl er im Adelshaus aufgewachsen war und mit ihr eine Beziehung führte, gehörte er trotzdem nicht dazu. Er hatte ganz bestimmt wie sie nichts von der Not seinesgleichen gewusst!   Oscar stellte den kaum angerührten Wein auf das Tischlein neben dem Sessel ab und erhob sich. Sie wollte einfach wissen, wie es André ging, wie er sich fühlte und ihn notfalls trösten! Bis morgen würde es nicht warten können, dafür war ihr Gemüt zu ruhelos! Dass sie selbst einen Trost brauchte, ignorierte Oscar vollkommen.   Oscar schlich in der Dunkelheit der Nacht und als Wegweiser mit dem schwachen Mondlicht von draußen zu seiner Kammer. Den Weg zu finden war nicht allzu schwer. Sie stieg die große Treppe herunter. Mit der Hand an der Wand lehnend, überquerte sie den Vorsaal, bis sie den Gang erreichte, der in die Zimmern der Bediensteten führte. Andrés Schlafzimmer befand sich gleich am Anfang, von allen anderen abgetrennt und Oscar atmete erleichtert auf, als sie ihren Zielort erreichte. Beinahe blindlings erfasste sie den Türknauf, drehte ihn gegen den Uhrzeigersinn und mit leisen Knarren öffnete sie die Tür.   „Wer ist da?“, hörte sie sogleich André flüsternd ausrufen.   Oscar trat schnell über die Türschwelle. „Ich bin es nur.“   André war überrascht, sodass es ihm für kurze Weile die Sprache verschlug. Oscar schloss die Tür hinter sich und wartete, bis sie die Umrisse im Raum deutlicher erkennen konnte. Das Mondlicht fiel brüchig durch das Fenster, als wollte es ihr noch zusätzlich behilflich sein. Schemenhaft erkannte Oscar die Kommode an der Wand, den kleinen Tisch mit zwei Stühlen und das Bett. Die weißen Laken fielen ihr geradewegs ins Auge. „André, sag doch etwas, sonst gehe ich wieder.“   „Was möchtest du wissen, Oscar?“, ertönte es halblaut von dem Bett. André schien noch nicht richtig zu glauben, dass sie hier, bei ihm und mitten in der Nacht aufgetaucht war. „Wie kann ich dir helfen? Ist etwas passiert?“   Eigentlich wollte Oscar sich nach seinem Befinden erkundigen und nicht andersherum. Wieder holte er sie unbewusst aus ihrer harten Schale heraus und brachte sie dazu, zu ihren Gefühlen offen zu sein. „Ich wollte bei dir sein“, gab sie anschließend zu.   Solange André sich selbst kannte, konnte er ihr niemals eine Bitte abschlagen. Besonders nicht so eine wie diese. Oscar bewegte schon ihre Füße – vorsichtig und leise, so als wäre sie auf der Hut. Sie sah seine Umrisse noch deutlicher. André stützte sich Seitlich auf ein Ellbogen, machte für sie Platz und hob die Decke. „Komm zu mir, Oscar und teile mir deine Sorgen mit“, lockte er sie mit sanften Flüstern zu sich.   „Wie kommst du darauf, dass ich Sorgen habe?“ Oscar blieb direkt an seinem Bett stehen und während sie aus ihren Hausschuhen stieg, erkundete sie sein Gesicht.   „Du kannst mir nichts vormachen, Oscar.“ André wartete geduldig, bis sie sich ihrer Schuhen entledigt hatte und zu ihm unter die Decke geschlüpft war. Trotz dass sie beide Hosen und Hemden trugen, spürte er dennoch ihre kühle Haut und ihr leichtes Zittern. „Ist dir kalt?“   „Nein“, beharrte sie nicht gerade aufrichtig.   „Dann erzähle, was dich bekümmert“, seufzte André. Er wollte sie am liebsten gleich in Arme schließen, sie küssen und lieben, aber er ahnte, dass sie vorerst Zeit brauchte, um ihre widerspenstige Gefühle selbst zu überwinden. Und sie wirkte auch nicht danach, dass sie mit ihm sofort in Leidenschaft versinken wollte.   Oscar stützte sich genauso wie er auf ihrem Ellbogen ab, um mit ihm auf gleichen Augenhöhe zu sein. „Du bist heute nach dem Ausflug nicht mehr zu mir gekommen“, begann sie zu sprechen. Sie klang ein wenig vorwurfsvoll: „Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet.“   „Das tut mir leid“, rechtfertigte sich André schuldbewusst: „Ich dachte, du bist nach deinem Klavierspiel gleich ins Bett gegangen und würdest schlafen.“   „Das konnte ich nicht.“ Ihre Stimme nahm einen weichen Ton an: „Ich musste mit dir sprechen. Wegen dem Mädchen, Rosalie und ich wollte wissen, wie du das Aufgenommen hast.“   „Ich gebe es zu, Rosalie hat mir Leid getan. Und dieses Elend in der Stadt ebenso. Aber was kann ich schon bewirken, um das zu mindern und den Menschen zu helfen?“   „Du hast recht, André. Es steht nicht in deiner Macht.“ Oscar warf sich rücklings nach hinten und verschränkte ihre Arme hinter dem Kopf. „Ich werde mit Marie Antoinette darüber sprechen. Vielleicht kann sie mehr bewirken und mehr für das Volk tun als wir. Immerhin ist sie jetzt die Königin von Frankreich.“   „Das stimmt. Und mit Graf von Fersen wolltest du auch sprechen.“   „Ja, das auch noch. Ich fahre morgen gleich nach der Audienz bei der Königin zu ihm.“   „Und was hast du jetzt vor, nachdem nun deine Sorge geklärt ist?“, fragte André vorsichtig nach. Ein gewisses Hoffnungsschimmer war dabei nicht zu überhören. „Möchtest du noch etwas bei mir bleiben oder willst du unbedingt auf dein Zimmer?“   Oscar drehte ihren Kopf zu ihm. Ihr Blick erforschte sein Gesicht. Nein, sie wollte nicht gehen. Es war hier gerade so gemütlich. „Ich möchte diese Nacht bei dir bleiben, André.“ Hatte sie das gerade gesagt? Wollte sie die Nacht wirklich bei ihm verbringen?   André, überwältigt von ihren Worten, beugte sich über sie und verschloss zart ihren Mund mit seinen Lippen. Oscar war für einen Wimpernschlag überrascht. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sogleich aber breitete sich eine Hitze und Wollust durch ihren Körper aus. Wie konnte André nur so etwas in ihr auslösen?   Oscar öffnete ihre Lippen und ließ es willens zu, dass seine Zunge sich vorschob und die ihre umspielte. Dieser eine Kuss hatte genügt, um zu vergessen, wer sie eigentlich war und sich ihren wahren, tief verborgenen Gefühlen hinzugeben. Seine langen, dunkelbraunen und ungebundenen Haare fielen nach vorn und verhüllten ihre Gesichter. Aus freiem Impuls schob Oscar seine Haarpracht hinter die Schultern und vergrub ihre Finger in ihr.   André gab ihre Lippen frei und küsste ihren schlanken Hals. Seine Hand strich ihr die blonde Locken von der Schläfe, bis zum Nacken und arbeitete sich dann nach unten herab. Seine Finger machten keinen Halt an ihrem Kragen und machten sich gleich mit Aufknöpfen ihres Halsausschnittes zu schaffen. Er wollte ihre zarte Haut berühren, sie spüren und ohne Ende liebkosen.   Oscar dämpfte ein lautes Stöhnen. Ihr Atem entwich ihr stoßweise und ihr Körper verlangte nach noch mehr. Sie zog ein Knie an sich und bäumte sich auf, als seine warme Hand ihre Oberweite unter dem Hemd erfasste.   Diese Nacht verlebten sie mit gleichen Leidenschaft, wie die Erste. Auch da blieben sie dabei angekleidet. Diesmal zogen sie gar ihre Hemden nicht aus. Und kaum dass das Morgenlicht des nächsten Tages sich ankündigte, befanden sie sich nicht mehr im Haus. Nach der Morgenwäsche und dem Umkleiden, unternahmen sie ihre Fechtübungen im Hinterhof des Anwesens. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)