Nur mit dir, für dich von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 11: Erschüttert ----------------------- Oscar trieb ihr Pferd, als wäre sie auf der Flucht. Womöglich stimmte das auch. Auf der Flucht davon, was sie gestern miterleben musste: Die Bauern lebten in bitterer Armut und Elend. Alles was sie verdienten ging als Steuer an den Königshof und ihnen blieb nur das trockene Brot, wenn überhaupt. Die Begegnung mit Robespierre, der bei der Krönung von Ludwig XVI und Marie Antoinette die Gratulationsrede gehalten hatte, hatte auch sein Übriges dazu beigetragen. „...die Königin soll über ihre Verhältnisse leben und es heißt, dass der König sie gewähren lässt“, hatte er unfreundlich geäußert: „Ich weiß nicht, ob es Euch überhaupt interessiert, aber Frankreich stirbt und ich werde alles dafür tun, um dieses Land zu retten!“   Als wäre diese Erkenntnis nicht schon entsetzlich genug, erkrankte ein kleiner Bauernjunge am großen Fieber und dessen Vater war gezwungen, ihn aufzugeben, weil er sich keinen Arzt mehr leisten konnte. Oscar konnte nicht mitansehen, dass der Junge sterben würde und brachte ihn eigenhändig zum nächstbesten Arzt, den sie auch bezahlt hatte. Damit hatte sie das Leben des Jungen gerettet, aber es änderte nichts an der Tatsache, warum sie heute so aufgewühlt war: Die Ereignisse brannten sich in ihr unauslöschlich ein und Tränen der Wut rannen ihr nur so über die Wangen.   Die aufgehende Sonne hüllte die Landschaften in ihr Morgenlicht ein und vertrieb die Dunkelheit der Nacht. Oscar beachtete das alles in ihrer zerstreuten Gemütsverfassung aber nicht. Wie besessen trieb sie ihr Pferd immer schneller an, gab ihm die Sporen und blendete alles um sich herum aus.   „Oscar! Was ist los mit dir? Halte an! Du treibst noch das Pferd zu Schanden!“, hörte sie André nicht weit hinter sich besorgt ausrufen, aber das brachte sie nicht zum Anhalten. „Die Menschen beginnen sich von dem König und der Königin abzuwenden! Das ist das, was mir klar geworden ist!“, rief sie ihm verbittert zurück und ihr Schimmel bekam noch mehr von ihren Stiefelabsätzen zu spüren.   André setzte ihr nach, versuchte sie weiterhin zum Anhalten zu bewegen, aber zwecklos. Er befürchtete das Schlimmste, ihm wurde immer mulmiger zumute und eine schlechte Vorahnung breitete sich in ihm aus. Und dann passierte es: Der weiße Schimmel vor ihm rutschte im vollen Galopp aus und warf seine Reiterin aus dem Sattel. In einem hohen Bogen flog Oscar durch die Luft und prallte hart gegen den grasbewachsenen Erdboden. „Oscar!“ André erbleichte vor Schreck. Er holte sie ein und kaum dass er seinen Braunen zügelte, sprang er schon aus dem Sattel und eilte besorgt zu ihr. Oscar bewegte sich, ließ halblautes Stöhnen von sich und ihr Gesicht verzog sich schmerzlich, aber sie lebte. André kniete neben ihr und nahm sie fürsorglich in seine Arme. Warum wollte sie nicht auf ihn hören? Das hatte sie jetzt davon... „Ach, Oscar...“, murmelte er tonlos vor sich: „An der Oberfläche bist du so eiskalt wie die Eisblume im Winter. Aber in deinem Herzen brennt das Feuer der Leidenschaft. Und genau das liebe ich an dir so sehr...“   Oscar schmiegte sich in ihrer Ohnmacht an ihm und erlebte das Geschehene in ihrem Unterbewusstsein noch einmal: Die Aussage von Robespierre, die Erkrankung des kleinen Bauernjungen und die bittere Tatsache, dass es dem einfachen Volk immer schlechter ging. Noch bitterer und erschütternder war die Erkenntnis, dass die Armut und das Leid der Menschen dem neuen Königspaar, vor allem der Königin, zugeschoben wurde.       Oscar kam langsam zu sich, aber ihrer plagenden Gemütsverfassung und den schmerzenden Knochen, ging es dabei nicht besser. Etwas mühsam schlug sie ihre Augen auf und stellte fest, dass sie in Andrés Armen lag. Seine grüne Augen sahen sie sanft und liebevoll an. „Geht es dir besser?“, formten seine Lippen und sie hörte deutlich die Besorgnis aus seiner Stimme.   „Ich glaube schon...“ Oscar legte ihre Hand sich auf die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. In der Tat dröhnte ihr der Kopf von dem Aufprall, aber das war halb so schlimm. Der restliche Körper und ihre Gliedmaßen waren hauptsächlich unversehrt. Sie zog ein Bein zu sich, setzte sich auf und stützte ihren Ellbogen auf die Knie. „André?“   „Ja, Oscar?“ Neue Besorgnis wuchs in ihm. Ging es seiner Geliebten vielleicht doch noch nicht so gut, wie sie vorgab?   Oscar brachte sich innerlich zur Vernunft, versuchte ihr Gemüt zu beruhigen und schaute dann zu ihrem Geliebten. „Lass uns nach Hause gehen.“   Dagegen hatte André nichts einzuwenden. „In Ordnung.“ Er half ihr beim Aufstehen und brachte dann die Pferde, die die ganze Zeit in der Nähe gemütlich gegrast hatten. Vorsichtshalber überprüfte er den Schimmel, schaute, ob das Tier lahmte und als er keine Verletzung feststellte, atmete er auf.   Oscar merkte schon beim Aufsteigen auf ihr Pferd, dass der Sturz nicht ohne Folgen geblieben war: Ihre Knochen knackten und die Gelenke schmerzten, aber sie biss die Zähne zusammen. Es würde gleich vergehen. André beobachtete jede ihre Bewegung sorgsam. Sie saß aufrecht im Sattel, aber er spürte dabei ganz deutlich, dass sie Schmerzen haben musste. Vielleicht war das von Vorteil, wie ein Mann erzogen zu sein und nicht aufzugeben, egal wie schlimm es war. Fast gleichzeitig setzten sie ihre Pferde in Bewegung und ohne Hast begaben sie sich auf den Heimweg.       Unbesiedelte Landschaften, Weiden und Felder, Hügel und Wälder erstreckten sich, soweit das Auge reichte, vor ihnen aus. Oscar trug eine ausdruckslose Miene zur Schau, aber André gefiel darin trotzdem etwas nicht. „Wenn du eine Rast anlegen möchtest, dann können wir das gerne tun, Oscar.“   Oscar ließ sich von nichts abbringen. „Es geht schon, André.“   „Es wird bestimmt spät nachts sein, wenn wir heimkommen“, rechnete André seufzend aus. Im Gegensatz zu ihr, wollte er eine Rast anlegen – schon alleine ihretwegen und um sich davon deutlicher zu überzeugen, dass es ihr wirklich gut ging.   „Das macht mir nichts aus.“ Oscar verfiel plötzlich in Grübeleien. Der Tag neigte sich dem früheren Nachmittag zu, aber von ihr kam kein weiteres Wort mehr. André beschaute bei dem gemütlichen Ritt die Umgebung und fragte sich, warum Oscar keine Rast einlegen wollte. Es war doch gerade so ein schönes Wetter und sie befanden sich mitten in Nirgendwo. Nichts außer Hügel, Täler und Wälder, kreuzten ihren Weg. Auf einem der Hügeln zügelte Oscar unvermittelt ihr Pferd. „Da, André, schau! Ist das nicht ein schöner Anblick?!“   André musste ihr schmunzelnd recht geben. In weiter Ferne, abseits von allen Pfaden und Wegen, erstreckten sich grüne Weiden und jede Menge dicht wachsenden Bäumen. Ein Bach glitzerte an einer der Lichtungen und ein Wäldchen umgab diesen. Oscar zeigte in diese Richtung. „Komm, André, wir machen dort eine Rast!“ Sie hatte das kaum ausgesprochen, da schnalzte sie bereits mit der Zunge und trieb ihr Pferd im gestreckten Galopp an.   André blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Sie gab ihm ja nicht einmal die Gelegenheit auf eine Antwort! Und nebenbei freute er sich, dass sie doch noch auf ihn gehört hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)