Nur mit dir, für dich von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 26: Schwarzer Ritter ---------------------------- Der schwarze Ritter hätte bestimmt nie gedacht, je vom weiblichen Kommandanten der königlichen Garde geschnappt zu werden. Er hatte geahnt, dass mit dem Gerücht über eine ansehnliche Summe von Gold und große Anzahl von Gewehren im Hause de Jarjayes, etwas faul sein musste! Er wollte sich nur umsehen.   Jeden späten Abend schlich er um das Anwesen, erkundete jeden Winkel außerhalb und suchte die Schwachstellen, um unbemerkt eindringen zu können. Und mit jedem Abend stellte er fest, dass eine alte, kleine, rundliche Bedienstete den letzten Rundgang im Hause machte und alles sorgfältig abschloss. Außer der Hintertür. Alte Menschen waren eben vergesslich. Wenn die Herren des Hauses es herausfinden würden, dann blühte der alten Dame höchstwahrscheinlich der Rausschmiss! Oder war das keine altersbedingte Vergesslichkeit, sondern eine List? Das musste er sich unbedingt näher anschauen!   Er hatte fünf Tage gebraucht, um das Anwesen gründlich auszukundschaften. Mittlerweile kannte er schon jede Ecke, jedes Schlupfloch. Um hinein zu kommen, blieb jedoch immer wieder nur die Hintertür. Das war sehr verdächtig, aber es reizte ihn einfach zu sehr, was sich im Inneren des Hauses befand und ob das Gerücht der Wahrheit entsprach.   In der sechsten Nacht ging er das Wagnis ein, stets darauf bedacht, lautlos und unerkannt zu bleiben. Am Anfang lief alles gut. Er schlüpfte durch die Hintertür ins Haus - stets auf der Hut und sein Schwert immer griffbereit. Er durchquerte einen großen Raum, er erkannte im Mondlicht eine Treppe und einen weiteren Raum, wohin es ihn als nächstes zog. Dort herrschte blanke Finsternis. Die Fensterläden waren dicht verschlossen. Der schwarze Ritter tastete sich dennoch weiter und dann krachte es! Er spürte irgendeinen Gegenstand mit seinen Beinen, flog darüber hinweg, stieß gegen eine Holzplatte und fand sich im nächsten Augenblick am Boden wieder. Etwas benommen ertastete er den verhängnisvollen Gegenstand zu seinen Füßen und schob ihn ruckartig beiseite. Es fühlte sich nach einem Hocker an. Verdammt, wer hatte den denn hier hingestellt!   Mit Hilfe der massiven Holzplatte rappelte er sich auf und stellte fest, dass es ein Tisch war. Also war er entweder in die Küche oder in den Speisesaal gelangt. Er musste sofort von hier verschwinden! Der Krach war bestimmt nicht ungehört geblieben! Wenigstens waren seine Gliedmaßen heil geblieben, sodass er ohne ernsthaften Verletzungen zurück schleichen konnte.   Der schwarze Ritter orientierte sich an dem, vom Mond beleuchteten Vorraum, schaffte aus der Küche und atmete tief durch. Wo war noch mal die Hintertür? Er überlegte kurz und nahm ganz beiläufig die Bewegungen zweier Gestalten auf der Treppe wahr. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Schutz in der Dunkelheit in der Küche zu suchen. Er schaffte gerade noch rechtzeitig den Rückzug. Die zwei Gestalten erreichten schon den Fuß der Treppe. Ihre weißen Hemden und die blonde Haarmähne von einen der beiden zeichnete das Mondlicht besonders gut ab. Von der Statur her waren sie Schlank und hochgewachsen. Sie tauschten undefinierbare Floskel miteinander und passierten die Küche.   „Wir schauen bei der Hintertür nach“, flüsterte die blonde Mähne und das traf den schwarzen Ritter wie ein Blitzschlag! Es war doch eine Falle! Er hatte es ja geahnt! Der Blonde war kein geringer als das bekannte Weibsbild in Männerkleidern! Und der andere? Könnte das der Lockvogel sein, den er verletzt hatte? Von dem Haarschnitt und die Bewegungen, konnte es hinhauen! Und warum mussten sie unbedingt zur Hintertür?!   Mit großem Abstand schlich der schwarze Ritter ihnen nach. Heute war anscheinend nicht sein Tag. Das Mannsweib schloss die Hintertür zu und tauschte dabei mit dem Lockvogel weitere Floskeln aus. Der schwarze Ritter wurde ungeduldig. Typisch Weiber! Mussten immer Unsinn reden! Sie sollten alle beide in den Keller gehen, damit er endlich durch die Hintertür verschwinden konnte! Aber was war das?   „...und trotzdem liebe ich dich“, sagte der Lockvogel und das Mannsweib antwortete gleich: „...ich dich auch, aber sei jetzt bitte still!“   Das hatte den schwarzen Ritter aus dem Konzept gebracht. Der selbstgerechte, kaltblütige und eiskalt berechnende Kommandant hatte einen Geliebten? Der Kerl schien nicht nur ihr Lockvogel zu sein, sondern auch noch ihr Lustknabe! Aber natürlich! Irgendwo musste sie doch ihren Trieben nachgeben! Was für eine Erkenntnis! Damit konnte er dieses Mansweib erpressen, aber nur wenn er aus diesem verdammten Haus herauskommen würde!   Aber was geschah denn jetzt schon wieder zwischen den beiden?! Es sah so aus, als würden sie sich in den Armen liegen! Konnten sie das nicht woanders machen? Aber vielleicht war das die günstigste Gelegenheit für ihn, den schwarzen Ritter! Solange sie ihre Liebeleien miteinander austauschten, konnte er gefahrlos an ihnen vorbei schlüpfen und nichts wie weg, ab in die Freiheit!   Beseelt von den Gedanken, setzte der schwarze Ritter seine Füße in Bewegung und dann lief es noch schiefer als bisher. Dieser Frau in Männerkleidern entging nichts. Zu spät merkte er, wie sie etwas, was nach einer Pistole aussah, gegen ihn richtete und grollendes „Halt!“ ausrief.   Weitere Ereignisse geschahen ziemlich schnell. Der schwarze Ritter wollte sie angreifen, sich damit den Weg in die Freiheit bahnen, aber sie drückte ab und ihre Kugel bohrte sich treffsicher in seine Schulter. Ihr Kumpane schlug ihm noch dazu das Schwert aus der Hand und er sackte vor Schmerzen zusammen. Er bekam um sich herum nichts mehr mit. Die gnädige Ohnmacht umfing ihn wie ein Schutzwall. Aber früher oder später würde sie ihn loslassen und er würde sich als Gefangener dieses Mannsweibes oder gar im Gefängnis selbst vorfinden.   Der schwarze Ritter war erstaunt, als er in einem hellen, sonnendurchfluteten und frisch gelüfteten Zimmer erwachte.       - - -       Oscar und André beobachteten sein Erwachen mit ausdruckslosen Gesichtern. Sie stand an einem großen Türfenster, das auf einen Balkon hinausführte und er am Ende des Bettes. Bernard versuchte sich hochzuziehen. Krampfhaft unterdrückte er den Schmerz und fiel wieder in die Kissen zurück.   „Spart Euch die Mühe“, sprach Oscar kühl: „Ihr braucht mindestens zwei Wochen Bettruhe, hat der Arzt gesagt. Er hat Euch die Kugel entfernt, die Wunde versorgt und einen Verband angelegt. Ich habe Euch in die Schulter getroffen, aber es hätte auch ins Auge gehen können. Verdient hättet Ihr das! Schließlich habt Ihr André verletzt, aber ich bin kein Unmensch und fühle mich schuldig. Deswegen seid Ihr bei mir zuhause als Gast. Dennoch, sobald Eure Wunde verheilt ist, werde ich Euch dem Richter übergeben.“   „Und Ihr wollt mir weismachen, Ihr seid kein Unmensch?!“, spie Bernard verächtlich aus: „Ihr seid genauso skrupellos und gefühlskalt, wie alle anderen Lakaien der Königin!“   „Und wo ist Unterschied zwischen einem Lakai und einem Dieb?“ Oscar wandte sich von dem Fenster ab und gesellte sich zu André.   „Ein Dieb arbeitet nur für sich selbst!“, knurrte Bernard und musste daran denken, was er gestern zwischen den beiden beobachten konnte. Er schnitt eine hämische Grimasse. Im Gericht würde er damit gegen dieses Weibsbild aussagen und sie mit einem Mal vernichten.   „Wie Ihr meint“, hörte er sie sagen und vernahm ihre festen Schritte. „André, kommst du mit?“, fragte sie ihren Freund an der Tür.   „Ich bleibe noch etwas hier“, sagte André gelassen und Oscar verließ das Zimmer.   Bernard überraschte der vertrauliche Umgang zwischen den beiden. Eigentlich musste dieser André unterwürfig klingen, wie es von einem Bediensteten erforderlich war! André nahm sich einen Stuhl, stellte ihn an das Bett und setzte sich so hin, dass Bernard ihn auch sehen konnte. „Wie fühlst du dich?“, fragte er ihn ganz nett. Keine Verachtung, kein Groll in der Stimme, als Bernard es eigentlich erwartet hatte. Sehr eigenartig, wo er ihm doch fast das Auge ausgestochen hatte!   Bernard drehte seinen Kopf zu ihm und entdeckte sofort die schmale, weiße Narbe auf der linken Augenbraue. „Willst du mir nicht lieber Vorhaltungen machen oder nach Rache sinnen?“, konterte er brüsk mit einer Gegenfrage.   André zuckte beiläufig mit seinen Schultern. „Wieso sollte ich? Du hast mich doch nicht lebensbedrohlich verletzt. Und zweitens, ich bin kein rachsüchtiger Mordskerl.“   „Dafür aber der Kommandant Oscar!“, zischte Bernard abfällig.   „Nein, sie auch nicht“, widersprach ihm André Ruhe selbst: „Sie ist ein herzensguter Mensch.“   „Sie hat skrupellos auf mich geschossen!“   „Du hast sie aber angegriffen und sie hat sich nur verteidigt.“   „Die Liebe macht dich blind“, plauderte Bernard unbeabsichtigt aus: „Ich habe gestern alles mitangehört.“   André war für einen Wimpernschlag verdutzt, aber er fing sich sogleich und lächelte gar. „Da täuschst du dich Bernard. Sie macht mich nicht blind, sie ist... sie ist mein Leben.“   „Sie ist eine Adlige! Sie nutzt dich nur für ihre Zwecke aus!“, empörte sich Bernard noch mehr: „Begreifst du das denn nicht, André? Sie benutzte dich als Lockvogel, um ihre feine Hände nicht schmutzig zu machen!“   „Du täuschst dich wieder, Bernard.“ André brachte nichts aus der Ruhe. „Das mit dem Lockvogel, war meine Idee. Oscar wollte eigentlich selbst als schwarzer Ritter vortreten, aber ich habe es ihr ausgeredet.“   „Dann hat sie zugestimmt, um ihre eigene Haut nicht zu gefährden! Oder wie erklärst du dir das?“   „Das erklärt gar nichts, Bernard. Ich kann deine Abneigung gegen den Adel verstehen, aber Oscar ist anders. Ich kenne sie in und auswendig. Wir sind zusammen aufgewachsen und ich würde für sie meine Hand ins Feuer legen.“ André sprach mit innerlicher Inbrunst, dass bei Bernard sich die Augen weiteten. Er konnte es einfach nicht glauben, oder besser gesagt, wollte es nicht wahrhaben, was er da hörte! Entweder war André dieser Frau in Männerkleidern so verfallen, dass er die Wahrheit aussperrte oder hatte er womöglich doch noch Recht, mit dem was er sagte?   Bernard wollte es unbedingt herausfinden und stellte ihn auf Probe. „Ich werde es dir erst dann glauben können, wenn ich ihre Gutherzigkeit mit eigenen Augen sehe! Das was du mir über sie vorschwärmst, passt ganz und gar nicht zu einer Aristokratin!“   „Ich kann dir von mir aus das Gegenteil beweisen...“   „Das wäre ein guter Vorschlag...“ Bernard hatte nur darauf gewartet. „Wie wäre es, wenn du sie überreden würdest, mich gehen zu lassen?“   „Nichts leichter als das“, sagte André ohne mit Wimper zu zucken. „Wie ich sie kenne, spielt sie bestimmt schon selbst mit diesem Gedanke.“   Bernard hatte ihm fassungslos zugehört. Nein, das würde André niemals gelingen! Diese stolze Lady Oscar würde ihn höchstens auslachen und verhöhnen! Dann würden hoffentlich André die Augen geöffnet! Unter den Adligen gab es keine Ausnahmen! Sie waren alle gleich, machthungrig und habgierig!   André verließ ihn unverzüglich und kehrte kurz darauf mit Oscar zurück. Bernard war zu dieser Zeit schon etwas eingenickt, aber er bekam trotzdem alles mit. „Schade, er ist eingeschlafen...“, hörte er André halblaut sagen: „Unsere kleine Unterhaltung hat ihn anscheinend müde gemacht.“   „Oder du hast ihn langweilt“, erwiderte Oscar leise: „Er soll meinetwegen ausschlafen, solange er mein Gast ist. Beim Richter würde er dazu keine Gelegenheit bekommen.“   „Ich finde, du sollst ihn nicht dem Richter übergeben lassen...“ André klang beinahe kleinlaut.   „Wie bitte?“, empörte sich Oscar: „Du hast seinetwegen fast ein Auge verloren!“   „Es ist aber verheilt, Oscar“, protestierte er beschwichtigend: „Ich kann doch wieder alles sehen. Und er setzt sich für das einfache Volk ein. Ich meine, wir können nichts tun, aber er vielleicht schon.“   „Ach, André...“ Oscar seufzte entrüstet: „Du bist einfach unverbesserlich. Sag mir Bescheid, wenn er wieder wach ist.“ und dann war sie wieder weg.   Bernard machte seine Augen auf und merkte nur, wie André der zugehenden Tür sehnsuchtsvoll nachstarrte. Wenn er das ein paar Sekunden eher gemacht hätte, dann hätte er auch Oscars liebevollen Blick zu André bemerkt. Aber so glaubte er ihr kein Deut. Er hatte Empörung aus ihrer Stimme herausgehört und das bewies ihm, sie war genauso verschlagen wie alle anderen ihresgleichen! Er setzte sich mühevoll auf und dabei entrann ihm ein gedämpfter Schmerzenslaut. Das lenkte Andrés Aufmerksamkeit auf ihn. „Ah, du bist wieder erwacht! Ich hole gleich Oscar zurück!“   „Nein, warte!“, hielt ihn Bernard auf, kaum dieser sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte. „Es bringt nichts. Sie wird niemals zustimmen!“   „Wieso glaubst du das?“ André kam näher an sein Bett heran.   „Ich habe euch gerade miteinander reden gehört.“   „Mache dir keine Gedanken und vertraue ihr. So wie ich es tue.“   „Ich traue und vertraue keinen Adligen!“ Bernard schüttelte kaum merklich mit Kopf. „Da kannst du von der einer ihrer Sorten schwärmen wie du willst, André, aber mich überzeugt das nicht!“   „Warte noch ab“, bat ihn André: „Es ist noch nicht alles verloren.“   „Wie du meinst“, sagte Bernard skeptisch und in dem Moment ging wieder die Tür auf.   Oscar marschierte gefasst in das Zimmer und blieb direkt neben André stehen. Sie warf Bernard einen kurzen Blick zu. „Schön, dass Ihr wach seid. Ich habe Euch etwas mitzuteilen. Heute Abend werdet Ihr nicht mehr hier sein. Mein Haus ist für Euch zu gefährlich geworden.“   „Was ist vorgefallen, Oscar?“, unterbrach André sie stutzig.   Oscar richtete ihr Augenmerk auf ihn. „Mein Vater war gerade hier und wollte unbedingt den schwarzen Ritter sehen. Er sagte, mich würde man zweifelsohne zum Major befördern, weil ich ihn geschnappt habe. Aber ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und nicht vor dir, André.“ Ein mattes Lächeln huschte über ihre Mundwinkel. „Ich konnte ihn überzeugen, dass ich den falschen Mann geschnappt habe und dass es sich um einen Trickbetrüger handelt. Und weil wir keine Beweise haben, musste ich ihn gehen lassen. Deswegen bringen wir Bernard noch heute nach Paris.“   „Und wohin genau?“, ertönte von sich Bernard. Der Staunen und die Verblüffung standen ihm im Gesicht geschrieben. Hatte er sich etwa doch getäuscht? Oder war es womöglich eine List?   Oscar überlegte kurz und schaute zu ihm. „In Paris lebt ein junges Mädchen Namens Rosalie. Dort bringen wir Euch hin.“           Rosalie. Mit diesem Namen konnte Bernard nichts anfangen, bis er die Person gesehen hatte. Er wurde ganz baff. Das Mädchen, dessen Mutter vor Jahren von der Kutsche einer Adligen überfahren wurde, hatte ihn schon damals beschäftigt. Leider verschwand sie nach der Beerdigung spurlos. Aus dem verbitterten Mädchen war inzwischen eine junge, hübsche Frau geworden, zu der Oscar und André ihn gerade brachten. Auch sie erkannte ihn und nahm sich seiner wie selbstverständlich an.   Der lockerer, unbeschwerter Umgang zwischen Rosalie und Lady Oscar, war Bernard sehr aufgefallen, was ihn noch mehr erstaunte. Seine missfällige Meinung über diese eine Adlige in Männerkleidern begann zu schwanken. Besonders wenn Rosalie anfing über die Zeit auf dem Anwesen und wie Lady Oscar sich um sie kümmerte, zu erzählen. Sie schwärmte regelrecht von ihr, dass Bernard beinahe ein schlechtes Gewissen von seinen Vorurteilen bekam.   Rosalie sorgte um ihn mit Freude und seine Schusswunde verheilte einwandfrei. So kam es, dass er und sie nach wenigen Tagen zueinander ihre Liebe fanden und im nächsten Monat heirateten.   Für Oscar und André war die Sache mit dem schwarzen Ritter somit erledigt. Er tauchte nicht mehr auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)