Nur mit dir, für dich von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 34: Wirrwarr -------------------- Der Abend brach an, die Kämpfe hatte man für heute eingestellt und in einer bescheidenen Kirche, wurden die gefallenen Bürger und Soldaten aus Oscars Truppe zu letzten Ruhe gebettet. Über die Stadt zogen sich die Rauchfahnen, in der Luft hing beißender Geruch nach Verbranntem, Schießpulver und es herrschte eine Totenstille. Die Sonne ging unter, eine Gruppe von Tauben flog hoch im Himmel in Richtung ihres Zuhauses. Die Menschen verteilten Schlafplätze und essbares unter sich. Man hatte Barrikaden errichtet und Wachen überall postiert.   Oscar vertrat auf einem der Posten ihre Füße. Sie hatte ihrem André frei gegeben, damit er sich etwas ausruhen konnte. Es herrschte unheimliche Stille. Nur vereinzelte, kaum hörbare Gespräche zwischen manchen Bürger und Soldaten unterbrachen sie. Oscar überlegte sich, ob sie in einem der Gespräche teilnehmen sollte, aber verwarf es sogleich. Sie war hier nicht um zu plauschen, sondern um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.   Rosalie kam unbemerkt an sie heran und Oscar blieb vor ihr stehen. „Ist etwas passiert?“   „Nein, Lady Oscar, nicht das ich wüsste.“ Rosalie schüttelte mit dem Kopf. Sie sah übermüdet aus, aber strahlte dennoch entschlossene Energie aus. So waren sie heute alle. „Ich wollte Euch nur sagen, dass wir für Euch eine freie Wohnung ausfindig machen konnten“, teilte Rosalie ihr mit.   „Dankeschön, Rosalie, aber ich bleibe bei meinen Soldaten“, lehnte Oscar kategorisch ab und Rosalie fügte hinzu, als wäre sie nicht unterbrochen worden: „...und Bernard hat einen Arzt gefunden. André meinte, dass Ihr Euch nicht wohl fühlt, Lady Oscar.“   „Ach, André...“ Oscar seufzte schwer. „Er macht sich wie immer unnötige Sorgen... aber gut, ich komme gleich mit.“ Sie suchte noch schnell Alain auf und übergab ihm die Befehlsgewalt.   Die kleine Wohnung, bestehend aus einem Zimmer und Kämmerchen, in die Rosalie Oscar hineinführte, befand sich nicht allzu weit von der Kirche entfernt. Ein Doktor bürgerlicher Herkunft, mit Brille und Vollbart, wartete schon zusammen mit André auf sie. Bernard war schon fort und Rosalie blieb bei Oscar.   Oscar ließ sich vom Doktor in dem Nebenkämmerchen untersuchen, weil sie selbst auch Gewissheit haben wollte. Die Vermutung von Alain und seinem Kameraden am heutigen Nachmittag, bestätigte sich. Sie war in der Tat schwanger und das auch noch seit mehreren Wochen! An Freude allerdings war dabei nicht viel zu denken. Eher an das, was nun weiter geschehen sollte.   Oscar und André nahmen die Glückwünsche des Doktors und Rosalie gerührt an, aber konnten sich nicht so recht mit der Tatsache abfinden, dass sie Eltern werden würden. Es stieß alle beide vor den Kopf und doch mischte sich ein angenehmes, warmes Gefühl darin mit ein.   „Oberst!“ Ein Söldner kam urplötzlich in die Wohnung angerannt. „Bernard hat gerade eine Versammlung einberufen und möchtet, dass Ihr auch teilnehmt! Alain ist schon als Eure Vertretung dort.“   „Ich komme sofort!“, entschied sich Oscar und folgte dem Söldner. Vergessen war die Neuigkeit. Vorübergehend.   André gesellte sich wie selbstverständlich an ihrer Seite. Draußen brach schon die Nacht herein, aber die Laternen in der nahen Umgebung und die aufgestellten Fackeln, spendeten genügend Licht. In einer Wirtsstube, nicht weit von den Barrikaden, versammelten sich viele Menschen um Bernard an einem Tisch.   „Wie bitte? Ihr wollt die Bastille stürmen?“, fragte Oscar mit geweiteten Augen, nachdem Bernard seine Absichten mitteilte.   Er sah sie überaus ernst an. „Jemand hat beobachtet, dass viel Schießpulver in die Festung transportiert wurde. Und man hat Kanonen auf die Stadt gerichtet.“   „Die wollen uns treffen!“, stellte ein Mann entsetzt fest.   „Dann töten sie unsere Frauen und Kinder!“, empörte sich grimmig ein anderer.   „So sieht es aus“, bestätigte Bernard mit erwartenden Blicken auf Oscar. „Deswegen brauchen wir Eure Hilfe.“   Oscar sah flüchtig zu André und Alain, bevor sie genauso zustimmend nickte. Sie ahnte, dass es unmöglich wäre, die Menschen von ihrem Vorhaben abzuhalten. Bernard stand von seinem Platz auf und besiegelte mit Handdruck die Zusammenarbeit und gegenseitiges Einverständnis.   Die Versammlung löste sich auf und am nächsten frühen Morgen wurde die Bastille gestürmt. In den vordersten Reihen Oscar mit ihren Soldaten. So kriegerisch und anmutig wie nie zuvor, stand sie selbstherrlich mit ihnen bei den erbeuteten Kanonen und brüllte lauthals die Befehle zum Feuer. Ohne Unterlass donnerten die Kanonenkugeln gegen die Steinmauer der Bastille. Die gegnerische Besatzung hatte kaum Möglichkeit, das Feuer zu erwidern.   In Oscar stieg wieder Übelkeit auf. Ihre heisere Stimme verlor an Kraft und sie musste immer wieder tief Luft holen. Sie gab jedoch nicht auf, bis ihr schwarz vor Augen wurde. Sie schwankte, gab nur japsend ihre Befehle.   „Oscar!“ André war sofort zur Stelle und stützte sie.   Der Kanonendonner hörte nacheinander auf. Die Soldaten starrten Oscar beinahe erschrocken an, als wüssten sie nicht mehr weiter, was sie tun sollten.   „Nicht aufgeben!“, befahl ihnen Oscar halblaut. „Feuert die Kanonen! Wir müssen die Bastille einnehmen!“   „Und Ihr müsst hier weg!“, mischte sich Alain von der anderen Seite ein: „André! Bring sie in Sicherheit! Sie ist kurz vor dem Umfallen!“   „Nein, es geht schon...“, protestierte Oscar aufrecht und da knickten ihre Beine ein. „Aber du hast recht... übernehme du die Befehlsgewalt für mich, Alain...“, hauchte sie mit letzten Kraft und fiel in Ohnmacht.   André fing sie auf und trug sie gegen die Strömung der Menschenmassen, die ausnahmsweise ihnen gar den Platz machten, von dem Geschehnissen fort.   Die Besatzung der Bastille nutzte die Unterbrechung und richtete alle ihre Gewehre auf den Kommandanten. Diese schwankte urplötzlich und wurde von zwei Söldnern verdeckt. Dann fiel sie um und einer von ihnen trug sie weg. Die Besatzung der Bastille feuerte daher auf diejenigen, die bei den Kanonen standen. Einige wurden getroffen, die anderen wichen aus. Ein Soldat mit dem roten Halstuch bezog die Stellung des Kommandanten und gab laute Befehle, die Kanonen weiter zu feuern. Schon bald war die Bastille verloren, die weiße Flagge gehievt und die gegnerische Besatzung von dem wütenden Volk niedergemetzelt. Und seit diesem Tag verlor sich die Spur von Oscar und André, so als wären sie wie vom Erdboden verschluckt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)