Tears and Laughter von DeNoir ================================================================================ Kapitel 3: Anstandsbesuche -------------------------- Sky Es war dunkel um mich herum. Ich weiß nicht wie lange, aber um mich herum war alles dumpf und düster. Mein Körper, er war taub, nur ein unterschwelliges Kribbeln huschte meine Finger auf und ab. Ein komisches Rauschen surrte durch meine Ohren. Ich musste husten. Meine Lungen taten furchtbar weh und mit meinem Körpergefühl zog auch ein fieser Schmerz in meine Glieder. „Sky?“, drang eine Stimme durch das Rauschen in meinen Ohren: „Bist du wach?“ Ich war furchtbar müde. Meine Augenlieder lagen schwer wie Blei aufeinander. „Amy?“, fragte ich heiser ohne die Augen zu öffnen: „Bist du das?“ „Ja“, drang die Stimme meiner besten Freundin an meine Ohren: „Ich bin hier.“ Nach einigen Mühen schaffte ich es die Augen aufzuschlagen. Amy trug die Haare offen und kein Ballkleid mehr: „Sky. Es tut mir alles so leid.“ Ich war verwirrt. Der Wackelpudding, der mein Gehirn darstellen wollte, bekam nicht einen ordentlichen Gedanken zustande. Meine Wangen brannten und ich spürte jeden Muskel: „Was tut dir leid? Wo bin ich?“ Ich schaute mich im Zimmer um. Viel mehr als meinen Kopf konnte ich nicht bewegen. Der Raum war dunkel. Weiße Wände, dunkle Eichenholzmöbel. Ein Himmelbett, ein Schrank, ein Schreibtisch mit Stuhl. Dunkler Parkettboden, auf dessen Mitte ein großer, runder, grauer Teppich lag. Er sah flauschig aus. Dicke, schwarze Vorhänge hielten die Sonne aus dem Zimmer, aber ich konnte die Konturen des großen Fensters hindurch scheinen sehen. „Bei mir Zuhause“, antwortete Amy: „In einem Gästezimmer. Du wurdest gestern Abend angegriffen. Weißt... du das nicht mehr?“ Ich blinzelte sie an. Selbst das Dämmerlicht war noch fast zu hell für meine Augen. Mein Puddinghirn ratterte. Ich erinnerte mich an den Ball. An Amys Eltern und Bruder. An Grell, Ronald und William. An Lee, Charlie und Frank. An... Undertaker... Es klickte. Ich erinnerte mich an das kalte Wasser, die Angst, die zwei Gestalten. Den blonden Jüngling und den großen Brünetten. An Undertaker, der mich zurück in die Welt gerufen hatte. „Doch...“, hauchte ich heiser: „Ich wurde von einem blonden Mann in den Brunnen gedrückt... Er war total... seltsam... Davor hat einer mit dunklen braunen Haaren mich... festgehalten... Er hatte einen Griff wie eine Schraubzwinge... Dann hab ich keine Luft mehr bekommen... Danach“, ich stockte. War es wirklich Undertaker gewesen? Oder hatte mein Gehirn mir einen Streich gespielt? Warum sollte er? War er der Mann vom Friedhof?: 'Warum frage ich mich das genau jetzt?!' „Undertaker hat dich raus geholt“, lächelte mich Amy an, als könne sie meine Gedanken lesen. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich das an ihr hasse? „Wirklich?“, fragte ich irritiert. Amy nickte und lächelte mich aufbauend an: „Er hat durch's Fenster gesehen, wie du angegriffen wurdest. Dann ist er raus gerannt. Wir haben uns noch alle darüber gewundert. Na ja, zumindest mehr als sonst, aber dann rief er nach Sebastian und da haben dann alle mitbekommen, was passiert ist. Wir hätten auf die zwei Idioten aufpassen müssen. Sie haben solange die Füße stillgehalten, wir wurden unvorsichtig und du hast es abbekommen. Es tut mir so endlos leid.“ Mein heißer, puckender Kopf versuchte Amy zu folgen. Es funktionierte so halb. 'Er war es also wirklich', dachte ich langsam. Irgendetwas Warmes glomm in meiner Bauchgegend auf. Dieses Gefühl verwunderte mich. Ich konnte es nicht wirklich einordnen, doch ich wusste genau, dass ich dem silberhaarigen Sonderling danken sollte... und wollte. Der blonde Freak hätte mich ertränkt, wäre der Bestatter nicht gewesen. Ich erinnerte mich an das warme aufmunternde Lächeln. Ich wusste als ich es sah sofort, ich war in Sicherheit. Egal was passierte. Dieses Lächeln hatte meine Angst vor allem vertrieben. Ich glaube, selbst wenn ich es nicht geschafft und das gespürt hätte, ich hätte mit diesem Lächeln vor den Augen auch davor keine Angst mehr gehabt... Ich blinzelte den Gedanken hastig weg: 'Gott! Jetzt mach mal 'nen Punkt!' Ich blinzelte Amy an: „Ist er noch da?“, fragte ich. Meine Stimme war nur ein leises Kratzen. Doch Amy schüttelte den Kopf: „Nein. Er musste was Wichtiges erledigen und ist gestern Abend noch gefahren.“ „Ich will ihm danken“, wisperte ich leise. Amy lächelte: „Das wirst du, wenn du wieder gesund bist. Wir können dann bei ihm vorbei gehen, aber du hast hohes Fieber und eine gereizte Lunge. Du solltest liegen bleiben und dich ausruhen, damit keine Lungenentzündung draus wird. Mein Vater hat in der Schule angerufen. Wir bleiben hier, bis du über den Berg bist.“ Ich brachte meine Mundwinkel irgendwie ein Stück nach oben: „Klingt gut. Aber... Du kennst die Beiden?“ Amy nickte: „Ja. Das war Oliver Trancy, mit seinem Butler Claude Faustus. Die Trancys sind unsere geschworenen Erzfeinde, seit Jahrzehnten. Der jetzt amtierende Earl Trancy bot meinem Vater Frieden an, dafür... sollte er ihm nur meine Hand geben.“ Ich schaute nicht allzu intelligent: „Bitte? Du solltest ihn zwangsheiraten?“ Amy schüttelte den Kopf: „Nein, mein Vater wollte nicht und Oliver meinte nur, dass wir das noch bereuen würden. Nun... Er fing wohl gestern damit an. Wäre Undertaker nicht so umsichtig gewesen, wärst du nun tot und das nur, weil ich dich gezwungen hatte mitzukommen.“ Jetzt schüttelte ich den Kopf: „Du hast das ja nicht mit der Berechnung gemacht, dass irgendein Freak mich im Brunnen ertränkt. Eigentlich... war der Abend ja sonst ganz lustig.“ „Findest du?“, strahlte Amy. Ich nickte schwach: „Irgendwie.“ Amy lachte: „Ruh dich aus. Umso mehr du schläfst, umso schneller bist du wieder auf den Beinen und kannst deinem Retter danken.“ Ich merkte wie meine Wangen noch einen Tacken wärmer wurden: „Beton das nicht so.“ „Wie?“ „Als ob das meine einzige Sorge wäre.“ Amy lachte noch mehr: „Es klingt so. Schließlich galt dein erster sortierter Gedanke ihm.“ „Hallo... Ich wurde fast umgebracht... Natürlich bin ich ihm dankbar.“ Amy hörte mit dem verdammten Kichern nicht auf: „Na ja, ruh dich aus. Wenn du etwas brauchst, neben deinem Bett ist eine kleine Klingel. Dann kommt Sebastian vorbei. Zögere nicht, ok?“ Ich nickte müde: „Alles Roger.“ Amy verließ den Raum und meine Augen streiften immer wieder durch den dunklen Raum. Ich erinnerte mich an das Wasser, an diese Kälte und die Arme, die mich festgehalten hatten. An dieses atemberaubende, aufbauende Lächeln und an das Gefühl, dass jetzt alles wieder in Ordnung sei. Dieser Mann hatte eine unglaubliche Ausstrahlung. Dieser Mann... war er wirklich der Mann vom Friedhof...? Irgendwann schlief ich ein und irgendwann weckte mich Sebastian zum Abendessen. Eine starke Hühnersuppe. Ich hatte im meinem Leben noch nichts gegessen, was so gut schmeckte. Doch immer wenn ich den Butler sah beschlich mich dieses furchtbar nervige, kribbelige Gefühl von Unwohlsein. Immer kurz bevor er ins Zimmer kam, spürte ich ein ziehen in meinem Nacken. Danach kam tatsächlich Amy mit ihrem Vater zu mir ins Zimmer und er entschuldigte sich für das, was passiert war. Ich sagte ihm, dass ihm nichts leidtun müsste, doch er bestand darauf. Ich solle mich wie zu Hause fühlen und nicht zögern, sollte ich etwas brauchen. Vier Tage vergingen, bis mein Fieber verschwunden und meine Lunge sich erholt hatte. Von der Erkältung war nur noch ein Schnupfen mit Rachenentzündung übrig. Das war nervig und ich kratzte beim Sprechen wie eine heisere Elster, aber besser als tot. Um die Lungenentzündung war ich herum gekommen, denn ich war bei Sebastian in wirklich kompetenten Händen gewesen. Obwohl es mir nicht gut ging, waren die Tage bei den Phantomhives wirklich nicht schlecht. Amys Familie war wirklich nett und ich hatte mich irgendwie... wohlgefühlt. Ich hatte nicht eine Sekunde mehr das Gefühl fehl am Platz gewesen zu sein. Mit Amy und Frederic hatte ich öfters Karten gespielt. Es war wirklich lustig gewesen. Doch dieses Gefühl verunsicherte mich auch. Es war Amys Familie, nicht meine. Sie waren nett zu mir, weil sie wahrscheinlich dachten, sie seien mir etwas schuldig. So schmeckte eine weitere eigentlich gute Zeit furchtbar bitter und es war sowohl schade wie erlösend, als Amy und ich am vierten Tag von Sebastian wieder Richtung Campus gefahren wurden. Amy hatte mir Kleidung geliehen: Eine schwarze Jeans, ein paar braune Boots und ein schwarzer Kapuzenpulli, in dem ich eigentlich verschwand. Ich trug darüber meinen warmen Poncho, um meinen kratzenden Hals einen dicken, grauen Schal. Meine Haare zu einem lässigen Dutt gebunden, hatte ich in Gedanken versunken an meinem langen Pony vorbei die Aussicht begutachtet. Immer wieder blieb ich an dem Gesicht von Undertaker hängen. Warum? Er war ein ziemlicher Irrer. Irgendwie war mir mulmig bei dem Gedanken, bei ihm vorbei zu gehen. Ich schüttelte mich, als eine Gänsehaut bei den Gedanken über meine Arme kroch. Doch ich hatte das Gefühl ich werde die Gedanken nicht los, wenn ich mich nicht wenigstens bedanke. Verrückt oder nicht, dank ihm war ich jetzt auf dem Weg zum Campus und lag nicht schon in seinem Laden. Ich war ihm wenigstens ein Dankeschön schuldig. Wenn das überhaupt genug wäre. Ich überschlug meine Gedanken. Vielleicht wäre ein kleines Präsent nicht unangebracht. Aber... was? Ich seufzte ideenlos. „Was überlegst du?“, fragte Amy. „Ach“, machte ich, immer noch den Kopf auf meine Hand gestützt: „Eigentlich nichts.“ „Ähm du? Mandy hat mir geschrieben, dass wir uns heute im 'Swan Gazebo' treffen, damit sie mich auf den neusten Stand bringen. Nur die Prefects, ohne Fags.“ „Aber wir wollten doch...“ „Ähm... Geh doch allein“, lächelte Amy. Meine Wangen wurden warm, warum auch immer: „Was?!“ Die Phantomhive lachte: „Eigentlich wäre ich doch eh im Weg, oder? Du musst keine Angst vor ihm haben, wirklich. Ich schick dir seine Adresse.“ Amy tippte auf ihrem Handy herum. Keine Minute später klingelte mein Messenger und ein Link öffnete die GPS-App und berechnete die Route von meinem Standort zum Ziel, mit Bild und Name, aber keine Homepage. Nur eine Telefonnummer und geschlagenen 175 Bewertungen, davon 82 mit 5, 54 mit 4 und 39 mit 3 Sternen: „ ‚The Undertaker‘s Funeral Parlor‘ ?“ „Jup, so heißt sein Laden“, lachte Amy: „Sein Hobby ist sein Beruf.“ „Cool... Eigentlich...“, ich seufzte: „Wäre er nicht Bestatter.“ Amy musste laut loslachen: „Ja. Bei vielen liegt genau da das Problem“, dann lächelte sie mich an: „Es bedrückt dich. Du schaffst es eh nicht zu warten, bis wir morgen zusammen gehen können.“ Wieder konnte ich es nicht ausstehen, dass Amy einen Schlüssel zum Hintertor meiner Gedanken hatte: „Ich will's hinter mich bringen.“ Amy grinste bedeutungsschwer, doch gefiel mir die Bedeutung darin nicht: „Ja, ja merkt man.“ Ich verdrehte die Augen und entzog mich weiterer Konversation. Am Tor zur Schule verabschiedete uns Sebastian. Ms. Lowell begrüßte uns. Ich war noch ein bisschen schwach und mein Hals kratzte, doch abgesehen davon ging es mir gut. Nicht mal meine Nase war verstopft. Sebastian hatte mich mit etlichen Teesorten abgefüllt, es muss geholfen haben. Ms. Lowell entließ uns in unsere Zimmer. Doch Amy verabschiedete mich vor dem Grundstück der Wölfe: „Ich geh direkt durch, die Anderen warten.“ Ich nickte: „Gut und du brauchst mich wirklich nicht?“ Sie schüttelte lachend den Kopf: „Nein, nein, geh du deinem Retter danken.“ Ich zog eine Schnute. Amy winkte und ging davon: „Bye!“ „Bye“, gab ich zu leise zurück. 'Als ob ich jetzt sofort...', ich schaute auf mein Handy. Die App mit der Route war noch geöffnet. Ich grummelte einmal in mich hinein und ging in mein Zimmer im Wohnheim. Dort angekommen schmiss ich mich auf mein Bett und zückte ein weiteres Mal mein Smartphone. Die kleine Karte auf meinem Display zeigte eine Route in eine ziemlich verwinkelte Ecke von verwirrenden, alten Gassen. Auf dem ersten Viertel der Strecke lag der alte Friedhof: 'Gott, das ist ja in the Middle of Nowhere...' Der Bestatter musste definitiv einen gewissen Ruf haben, ansonsten würde er keine Kunden haben. Den Laden findet da ja niemand, wenn er nicht danach sucht: 'Was interessiert dich das?!' Grummelnd drehte ich mich auf mein Gesicht. Entnervt wollte ich das unstete Gefühl von Rastlosigkeit weg seufzen. Erfolglos. Ich drehte mich nach einigen Minuten wieder auf den Rücken und schwang meine Beine vom Bett und mich somit in den Sitz: „Ich hasse dich, Amy!“ Ich riss meinen Kleiderschrank auf. In dem Hoodie, der mir 2 Nummern zu groß war, konnte ich nicht losgehen. Ich tauschte ihn gegen einen schlichten schwarzen, engen Pulli und einen grauen Bolero mit Kapuze. Auch die Jeans von Amy war mir zu weit, also tauschte ich sie gegen eine meiner schwarzen Röhrenjeans. Es war eine Ripped-Jeans, aber nur weil sie schon ziemlich abgetragen war. Meine Haare ließ ich so. Bei denen war eh Hopfen und Malz verloren. Nachdem ich meine schwarzen Chucks übergezogen, den Schal um meinen Hals und den Poncho um meinen Oberkörper gewickelt hatte, verließ ich das Wohnheim wieder. Ich konnte mir selbst nicht glauben, dass ich das wirklich tat, als ich mich von meinem Handy durch die Straßen des nachmittäglichen Londons führen ließ. Das war ein ziemlicher Fußmarsch, also steckte ich mir meine Kopfhörer in die Ohren, während ich erst den gewohnten Weg zum Friedhof zurücklegte. Als ich den Friedhof passierte, blieb ich kurz stehen. In der Ferne erhoben sich die Konturen der Kapelle dunkel in den Horizont. Ich beschaute sie ein paar Augenblicke, dann wandte ich meinen Blick auf mein Handy, welches mir brav verriet, dass ich nun in einen ziemlich wirren Komplex an Gassen abbiegen muss. Ich hielt mich streng und etwas unsicher an mein Handynavi. Es sah hier fast alles gleich aus und irgendwie hatte ich das Gefühl das Tageslicht erreicht den Grund der Gassen nicht so ganz. Eine gute Gegend war das hier definitiv nicht. Relativ dreckig und die paar Gestalten, die ich wie Schatten vorbeihuschen sah, waren nicht gerade vertrauenerweckend. Ich seufzte... und betete. Nachdem ich eine ¾ Stunde in den Gassen unterwegs war, musste ich laut meinem Handy nur noch um 2 Ecken. Mir fiel auf, dass ich seit 10 Minuten keine illustren Gestalten mehr gesehen hatte. Auch waren die Gassen nicht mehr ganz so schmuddelig. Komisch. Ich muss eigentlich im Herzen des ganzen Gassenwirrwars sein. Müsste es nicht hier am Schlimmsten sein? Ich bog um die letzte Ecke und schaute die Straße hinunter. Es war eine kurze Gerade bis zur nächsten Kurve. Ich blieb stehen: Auf dieser Straße müsste es sein. Ich schaute rechts, ich schaute links, als ich weiter ging und fand schließlich das Gebäude mit dem unverwechselbaren Ladenschild über der Tür. Es war ein ziemlich altes Gebäude. Das goldgeränderte Ladenschild war violett, darin prangte in dünnen, schwarzen Lettern die Aufschrift 'Undertaker' und ein kleiner Schädel thronte mittig über den goldenen Rahmen. Neben der alten Eichenholztür standen zwei Särge. Sie wirkten alt, vielleicht sogar schon antik. In den Ecken des Gebäudes hatten sich einige Spinnen häuslich eingerichtet und auf der anderen Seite der Tür lehnte ein komischer, alter Wimpel über 3 schön gefertigten Grabsteinen. Ich schaute mich noch einmal um. Keine Menschenseele war zu sehen. Mir kam die alberne Idee, dass es vielleicht wegen dem kleinen Laden so ruhig und menschenleer war. Ich erinnerte mich daran wie Undertaker an der Wand gestanden hatte: Mutterseelen allein. Alle schienen einen sehr großen Abstand von ihm gehalten zu haben. Warum? War er böse? Vielleicht doch gefährlich? Oder einfach nur viel zu seltsam? Ich bezweifelte, dass er gefährlich war, er hat mir immer noch das Leben gerettet und Amy hätte mich nicht alleine losgeschickt, wäre er ein wirklich schlimmer Finger. Mit einem Seufzen zog ich die Kopfhörer aus meinen Ohren. Mein Herz klopfte aus irgendeinem Grund schneller. Noch könnte ich einfach verschwinden... Ich wurde bei diesem Gedanken sauer auf mich selbst: 'Er hätte sich auch einfach denken können 'Ich könnte es auch einfach ignorieren und mir so Probleme ersparen'! Hat er nicht und das ist der einzige Grund, warum ich Angsthase nicht ersoffen bin! Ich geh da rein, sag 'Hallo, wie geht’s?' und 'Danke fürs Leben retten' und geh wieder nach Haus. Kann doch nicht so schwer sein!' Noch während ich mich in meinem Kopf selbst anschrie, drückte ich die alte Klinke runter. Es knarzte furchtbar, als die alten Scharniere der Tür in Bewegung kamen und dieses Geräusch schickte ein unwohles Surren meine Wirbelsäule hinunter. Nun standen mir die Nackenhaare zu Berge und meine Arme waren überseht von einer kalten Gänsehaut. Ich lugte in den Laden, doch es war zu dunkel in dem Raum hinter der Tür, der nur zwei Fenster zu haben schien, durch die nicht wirklich Licht ins Gebäude fiel. Gruselig. Ich schluckte, als ich die Courage fand einen Schritt in den Laden zugehen: „Hallo? Ist jemand da?“ Hoffentlich war ich ihm nicht gerade in den wohlverdienten Feierabend geplatzt. Wir hatten schließlich schon viertel vor Fünf. Aber die Türe war offen gewesen, also...? Ich ließ den Türknauf los und ging in die Mitte des Raumes. Es war stickig. Die Luft roch nach altem, trockenem Holz und Büchern. Nach Zedern- und Eichenholz. Mein Blick wanderte durch den Laden. Die Wände und der Boden waren aus dunklem Holz. Alles war aus dunklem Holz und wirkte unendlich alt. Rechterhand stand ein großer, dunkler Eichentresen, dahinter ein Stuhl und etliche Regale, mit etlichen Flaschen und Töpfchen. Ich vermied es, ihren Inhalt einer genaueren Begutachtung zu unterziehen, es sah auch aus dem Augenwinkel schon komisch genug aus. Ansonsten war der ganze Raum vollgestellt mit Särgen. Sie lehnten eng gedrängt an den Wänden oder standen dicht an dicht auf dem Boden. „Ähm... Under...?!“, ich fuhr herum, als urplötzlich die Tür knirschend und knallend wieder in Schloss fiel. Ich quiekte vor Schreck auf und schlug die Hände vor den Mund. Mein Herz raste. Ein paar Minuten konnte ich mich nicht wirklich bewegen und starrte mit aufgerissenen Augen auf die Tür. Dieser Laden war so über alle Maßen gruselig, das selbst King gar keinen besseren Ort für seine Buchverfilmungen finden würde. Doch ich war allein zwischen den, hoffentlich, leeren Särgen. Vielleicht war er nicht da und hatte nur vergessen abzuschließen. Ich fühlte mich wie ein Einbrecher, der sich seine Ziele besser hätte aussuchen sollen. Das war eine doofe Idee gewesen! Ich wollte gerade ungesehen wieder aus dem Laden schlüpfen, da hielt mich etwas am Arm fest. Ich gefror im Schritt. Das 'Etwas' an meinem Handgelenk war kalt wie der Tod... wie der Tod... Bestattungsunternehmen... wie der Tod in einem...Bestattungsunternehmen. Ich spürte wie sich bei diesem Gedanken jedes einzelne Pigment aus meinem Gesicht verabschiedete. Umdrehen konnte ich mich nicht. Ich stand wie angewurzelt an einer Stelle, der einzige Muskel, der sich überdurchschnittlich viel bewegte, war mein wild pochendes Herz. Irgendetwas in mir war sich sicher, dass ich jetzt gefressen werde würde. Ich war einer dieser Trottel aus Horrorfilmen, denen man von der Couch aus immer zu rief 'Geh da nicht rein!', dann taten sie es doch und die Zuschauer antworteten 'Du Trottel! Du bist tot! Ich würde sowas ja nie machen!'. Bis vor 5 Sekunden war ich übrigens eine davon gewesen. Ich werde den armen Horrorfilmopfern nie wieder so böse Dinge an den Kopf werfen. Wenn ich denn noch dazu käme, mir jemals wieder einen anzuschauen. Woher auch immer, ich fand die Courage meinen Kopf ein Stück nach rechts zu drehen. Ich stand genau neben einem Sarg: 'Oh ne...' Diese Erkenntnis lag schwer in meinem kochenden Magen. Kaltes Ding an meinem Arm, in einem Bestattungsunternehmen, neben einem Sarg... Shit... Gut. Ich war mir mittlerweile sicher, dass ich niemals mit heiler Haut aus diesem Laden kommen würde. Also kann dieses... Ding... für seinen Nachmittagssnack wenigstens ein bisschen arbeiten! Mit meinem letzten Rest Mut und Überlebenswillen zog ich kräftig an meinem Arm: „Lass mich los!“ Alles Weitere war arg unerwartet. Der Deckel des Sargs flog geräuschvoll zur Seite, als ich das Etwas ziemlich ruppig aus seinem hölzernen Versteck zog. Mit einem: „WA!“, kam es mir entgegen. Etwas Weiches knallte gegen meinen Körper. Ich schrie laut und schrill. Viel größer als ich, vergrub es mein Gesicht und ich konnte nichts mehr erkennen als es mich, mit einer Menge Krachen und Poltern, nach hinten und von meinen Füßen riss. Ich landete mit dem Rücken auf einem der anderen Särge und schaffte es irgendwie auf den Füßen zu bleiben, doch das Etwas begrub mich unter sich. Es roch nach Zucker, geschnittenen Pflanzen und Zedernholz... Moment mal... „Ihr habt eine beachtliche Kraft für eine so zierliche Dame, Lady Rosewell. Ahehehehehe!“ Das Etwas stützte sich auf und lag nicht mehr mit seinem ganzen Gewicht auf meinem Körper. Silberne Haarsträhnen fielen um mich herum auf den Sarg, als ich in ein bekanntes vernarbtes Gesicht sah, das mich schelmisch und im totalen Einklang mit der Welt und sich selbst angrinste. Ich blinzelte ein paar Mal schwer atmend, bis ich realisierte wie wenig Platz sich zwischen der Nasenspitze des Totengräber und meiner eigenen befand. Durch ein paar Lücken in dem dichten Pony konnte ich einen Blick auf seine schönen, schmalen, leuchtend grünen Augen erhaschen, die mehr als nur amüsiert drein schauten. „Undertaker!“ „Erraten“, lachte der Bestatter: „Was kann ein bescheidener Bestatter für euch tun, Lady Rosewell?“ Sein Grinsen wurde breiter und die Pigmente kehrten in mein Gesicht zurück. Jetzt in Überzahl: „Ähm...“ Ich hasste körperliche Nähe und das Gesicht des Bestatters war mit vielleicht einem Zentimeter Abstand definitiv viel zu nah! Abgesehen davon, dass sein Körper immer noch an einigen Stellen auf meinen drückte. Doch irgendwie war das Unwohlsein ein anderes als sonst. Es war kein aggressives Wiederstreben, sondern eher ein peinliches Berührt-sein. „Hihihihi, ja?“, lachte der Totengräber. Nach einem Durchatmen schaffte ich es meinen Zeigefinger zu heben und mit ihm die Stirn des Bestatters ein Stück weg zu schieben: „Was soll das?!“ Das Grinsen des Bestatters drehte sich herum, wirkte aber nicht wirklich ernsthaft verstimmt: „Ich hab Mittagspause gemacht und dann kamt ihr.“ „Ähm...“, Shit... Ich hatte ihn also doch ungünstig erwischt. Ein peinliches Bedauern heizte mein Gesicht weiter an: „Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören... Mister... Undertaker...“, Warte! Der Typ erschreckt mich zu Tode und ICH entschuldige mich?!: „Ähm... Aber das gibt Euch noch nicht das Recht mich so zu erschrecken!“ Meine Stimme klang nicht halb so fest oder sauer wie ich wollte. Doch der Bestatter lachte nur, als er sich endgültig aufrichtete. Mir fiel wieder auf wie beachtlich groß er war. Er trug einen langen, schwarzen Mantel. Aber er schien ziemlich dünn und um seine Hüfte blitzten wieder die sonderbaren, goldenen Anhänger. Mein Blick wanderte noch einmal durch den Raum und ich erblickte neben der Türe einen Garderobenständer, mit einem alten Zylinder mit langem Zipfel, einer langen, schwarzen Robe mit weiten Ärmeln und einem blass-lila Tuch. Es gab keinen Zweifel mehr: Undertaker war der Mann vom Friedhof... Ein komisches Gefühl kribbelte in meinem Magen, als ich es mir doch letztendlich eingestehen musste. Der Totengräber kicherte immer noch und zeigte mit einem der langen Finger auf mich: „Ihr hättet euer Gesicht sehen sollen, hehe“, dann öffnete sich die Hand, die eben noch auf mich gezeigt hatte und streckte sich mir entgegen. Ich musterte sie ziemlich planlos und der Bestatter grinste mir entgegen: „Lasst mich euch helfen. So wie ihr da hängt, kann das für den Rücken nicht gesund sein.“ Erst jetzt merkte ich das Ziehen in meinen Wirbeln, als müsste mein Körper die Worte des Totengräbers zusätzlich unterstreichen. Zögerlich legte ich meine Hand in Seine und er zog mich schwungvoll hoch. Mein Körper kippte nach vorne und ich landete in seinen Armen, bevor ich auf die Nase fallen konnte. Er hielt immer noch meine rechte Hand und hatte die Andere um meine Taille gelegt, um mich am Umfallen zu hindern, als ich mit hochrotem Kopf zu ihm hoch blinzelte und rebellieren wollte, doch das Grinsen auf seinem Gesicht war einem ehrlichen, sanften Lächeln gewichen. Ein Lächeln, welches die Welt retten konnte und welches mir den Kopf leer fegte. Der seltsame Mann hatte ein atemberaubendes Gesicht, wenn er ehrlich lächelte und sein Pony ein Auge hinausschauen ließ. So wie jetzt. Ich wollte es zeichnen. „Und bitte“, sprach der lächelnde, schmale Mund: „Undertaker und du, Mylady.“ „O-ok“, kam es irgendwie aus meiner entzündeten Kehle. Jetzt nach dem Schreck merkte ich das Kratzen in meinem Hals überdeutlich und ich versuchte mich zu räuspern: „Und... und ich bin Sky... und du... auch...“ Irgendwie wurde mir schwindelig. Undertaker zog eine Augenbraue hoch: „Geht es dir gut?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. Dann drehte ich hastig mein Gesicht ab und fing an trocken in die Hand zu husten. Meine Knie wurden weich und ich hatte das Gefühl sie sackten mir gleich weg. Der Bestatter ließ meine andere Hand und meine Taille los. Erst dachte ich, es war sicher nicht schön für ihn so nah vor einer Bakterienschleuder zu stehen, doch ich spürte eigentlich sofort seine langen Finger an meiner Hüfte und verlor dann den Boden unter den Füßen. Fast beiläufig setzte er das perplexe Mich auf einen der Särge: „Nicht weg laufen“, tippte er mir mit dem Zeigefinger auf die Nase. Die Stelle kribbelte ganz komisch, als der Bestatter durch eine Tür, gut versteckt neben den großen Regalen, verschwand. Ich lief nicht weg. Ich hatte A) Noch nicht erledigt, wofür ich hergekommen bin und B) waren meine Knie butterweich. Mein Herz beruhigte sich zwar wieder und der Schwindel schwand auf ein erträgliches Niveau, doch das komische Gefühl von Peinlichkeit blieb allgegenwärtig. Mein Blick wanderte zu Boden. Hatte ich mich peinlich verhalten? Eigentlich nicht, oder? Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass nichts in mir wirklich Sinn machte und dieses komische Kribbeln in meinem Bauch war mir unerklärlich. Ich hörte eine Türe auf- und zugehen und hob die Augen. Der Bestatter war wieder zurückgekehrt und hatte ein kleines Holztablett, mit zwei Messbechern mit einer braunen Flüssigkeit - den Teebeuteln darin entnahm ich, dass es wohl auch Tee war - einen Zuckerbecher in Form eines Sarges mit einer Zuckerzange, zwei Löffeln und einer Urne, aus der knochenförmige Kekse raus lugten, in der Hand. Er setzte sich mir gegenüber auf einen Sarg und hielt mir einen Becher hin: „Du hättest erst herkommen sollen, wenn du wieder vollständig hergestellt bist, Sky.“ Ich nahm dankbar den Tee entgegen: „Ja... Ich dachte eigentlich es ginge mir wieder gut“, ich räusperte meine kratzige Stimme. Etwas, was nach Bedauern aussah, erschien in dem Gesicht des Bestatters: „Ich dachte du wärst nicht hier, wenn du nicht wieder gesund wärst und dich so erschrecken würdest.“ Ich schaute ihn verständnislos an: „Was dachtest du denn sonst was passiert, wenn du sowas machst?“ Er schien von meiner Verständnislosigkeit ein wenig überrascht: „Öhm... Das war eine Standardbegrüßung! Ich denke da eigentlich nicht mehr wirklich drüber nach... Und ja, ein bisschen erschrecken wollte ich dich schon“, mir schien ein zahnvolles und in allen Belangen unschuldiges, breites Grinsen entgegen. Es war sogar so endlos unschuldig, dass es meinen Ärger gänzlich vertrieb. So einem Grinsen kann doch niemand böse sein! „Oh“, machte ich und meine Wangen wurden noch einen Tick wärmer: „Naja... So schlimm war es auch nicht...“ „Aber dein Gesicht“, der Bestatter hielt eine Hand vor den Mund als er kicherte: „Hihihi! War zu köstlich! Zum Anbeißen!“ Ich gefror im Trinken. Nur die Hitze des Tees animierte mich dazu den Becher von den Lippen zu nehmen und den Tee zu schlucken. Er war lecker. Fruchtig und minzig. Doch meine Augen hingen an dem Bestatter, erschrockener als ich wollte. Der Totengräber kicherte noch mehr: „Bildlich gesprochen.“ Ich atmete wieder. Eigentlich fiel mir auch erst in dem Moment auf, dass ich es eingestellt hatte. Undertaker nahm die Zuckerzange und warf sich etliche Zuckerstückchen in seinen Becher. Ich schaute sprachlos dabei zu, wie der Totengräber seinen Tee in Sirup verwandelte. Dann nahm er einen Schluck und grinste mir weiter entgegen: „Geht es denn?“ „Äh...“, irgendwie war ich von meinen Worten verlassen: „Ja, es geht schon.“ „Du bist so rot im Gesicht“, er beugte sich vor und legte seine kalte Hand auf meine Stirn: „Du hast doch kein Fieber, oder?“ Die kalte Berührung war alles andere als unangenehm in meinem warmen Gesicht, doch mein Herz setzte kurz aus und kam dann schnelleren Taktes wieder zurück: „Ich... ich glaube nicht!“, zog ich meinen Kopf nach hinten und wurde noch röter. Undertaker legte den Kopf schief und das Lächeln schwand, als er seine Hand zurückzog: „Du gefällst mir gar nicht, Sky. Sag: Was möchtest du von mir, was nicht auf deine Genesung warten konnte?“ Die Peinlichkeit wuchs, ich war eigentlich sicher gewesen, das sei unmöglich. Ich verschränkte meine Finger um den warmen Becher und richtete mein rotes Gesicht zum Boden. Der Schwindel fühlte sich komisch an: „Ich... wollte mich bedanken...“ „Wofür?“ Ich schaute ihm ins Gesicht und schaffte einen festen Blick: „Du hast mir das Leben gerettet!“ Er wedelte mit einer Hand: „Ach das. Nicht der Rede wert.“ „Bitte?! Ich wäre einer deiner Kunden, ohne dich!“ Er lachte: „Es war einfach noch nicht dein Tag.“ „Aber das macht es doch nicht weniger... ritterlich!“ Ein komisches Wort... Aber es erschien mir irgendwie passend. Der Bestatter verfing sich in einen kleinen Lachanfall: „Ahehehehe! Ritterlich? Würdest du mich so beschreiben?“ „Naja...“, ich stockte. Es schien nicht so, als hätte der Totengräber dieses Adjektiv selbst für sich gewählt. „Die Leute nennen mich verrückt. Sonderbar. Ein armer, armer Irrer, der die Gesellschaft der Toten denen der Lebenden vorzieht und dadurch den Verstand verloren hat. Als ritterlich hat mich wohl noch niemand bezeichnet. Ahehehehehe!“ „Das ist mir doch egal!“, rief ich aus voller Überzeugung: „Was schert es mich denn, was die Anderen über dich denken? Ich hab meinen eigenen Kopf und kann mir ein eigenes Bild von Leuten machen. Auch von dir!“ Ein gefälliges Lächeln verzog die Lippen des Bestatters: „Du hast sehr viel Charakter Sky. Sag: Findest du mich denn gar nicht sonderbar?“ „Doch schon...“, ich schaute kurz zur Seite, dann wieder in seine grünen Augen. Darin lag so viel, ich hatte das Gefühl diese Augen hatten alles gesehen: Endloses Leid und übersprudelnde Freude, zehrende Langeweile und elektrisierende Spannung und alles was daneben, darunter, darüber und dazwischen lag. Sie zogen meine Gedanken an wie Magnete: „Aber das muss ja nicht schlecht sein! Oder aussagen, du seiest ein schlechter Mensch...“ Er legte einen Zeigefinger an die Lippen: „Was für ein Bild hast du von mir?“ Ich zögerte: „Üff... ääähm... Ich kenne dich nicht wirklich gut und...“ „Du hattest jetzt zumindest schon einen ersten, zweiten und dritten Eindruck.“ Ich stockte. Seine Worte implizierten drei Begegnungen. Klar waren die auf dem Ball und die Heutige, doch die Dritte... Oh nein. Mein Kopf nahm die Farbe einer reifen Tomate an, als mir gewahr wurde, dass er mich auf dem Friedhof sehr wohl bemerkt haben musste. Ich war wieder abgeschnitten von allem, was ich hätte sagen können. Der Bestatter lachte, angesichts meiner Wortlosigkeit: „Gut. Machen wir einen Deal: Du sagst mir was du von mir denkst und dafür ... hmmm?“, er wog den Kopf überlegend hin und her, als er die Beine überschlug: „Hast du eine Wunsch bei mir frei! Was sagst du?“ Ein komisches Angebot. Der Bestatter wirkte nicht ansatzweise in seiner Person verunsichert. Nicht so, als ob er die Meinung eines jungen Mädchens wie mir bräuchte, um sich besser zu fühlen. Er wirkte viel mehr neugierig auf meine Reaktionen. Als ich nichts sagte, kicherte er: „Nicht gut?“ Ich schaute ihn verwirrt an. Was sollte ich mir denn von einem Bestatter wünschen? Einem sehr... ungewöhnlichen Bestatter zugegeben. Irgendwie wurde ich nervös. Er legte den Kopf schief, als sich meine Reaktionen immer noch auf starren und blinzeln beschränkten: „Zunge verschluckt?“ „Äh“, machte ich als mein unfreiwilliges Schweigen zunehmend peinlich wurde: „Also... Ich wüsste nicht genau... Ich weiß nicht...“ Undertaker lachte: „Du bist schüchtern, hm?“ Schon wieder merkte ich einen Schwall Hitze von meinem Kragen in mein Gesicht steigen und wie sich ein unangenehmer Kloß in meine Kehle setzte. Der Bestatter beugte sich vor und lugte von unten erwartungsvoll in mein Gesicht: „Komm schon, hehe, ich bin neugierig! Es ist doch eine so kleine Bitte, für einen so großen Preis, oder?“ Ich atmete einmal durch und legte den Kopf schief: „Großer Preis? Was könnte ich mir den von dir wünschen?“ Er zog lachend den Kopf zurück: „Alles! Wunsch ist Wunsch. Bitte mich darum und ich tue es, aber nur wenn du jetzt sprichst“, verkündete er heiter und schenkte mir wieder dieses breite, unschuldige Grinsen. Als es mir entgegen schien musste ich unwillkürlich kichern. Ich hielt die Hand vor den Mund, weil es mir peinlich war. Ich wusste noch nicht einmal was ich so lustig fand, aber irgendwie brachte mich dieses große, unschuldige Grinsen zum Lachen. Es wirkte warm, leicht und ehrlich bis ins Letzte. Es war... richtig süß! Ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn ich spürte eine kalte Hand an meinem Arm und sie zog die Hand von meinem Gesicht: „Na, na, na! Nicht verstecken!“ Ich blinzelte verdutzt und sah, dass der Bestatter sein Gesicht schon wieder so nah zu meinem gebracht hatte. „Noa“, machte er enttäuscht: „Ich hab's verpasst!“ „Was?“, irgendwo hatte ich den Gedankensprung des Bestatters nicht mitbekommen. „Dein Lächeln“, grinste er, aber in seinem grünen Augen stand tatsächlich eine relativ große Enttäuschung. „Mein...“, begann ich verwundert und irgendwie fühlte ich mich schlecht Grund für einen enttäuschten Ausdruck in den kristallklaren grünen Augen zu sein. Diese Farbe war wirklich sehr, sehr sonderbar... und wunderschön. Ich habe noch nie solche Augen gesehen, nicht nur weil ich noch nie eine Iris gesehen hatte, die außen in einem satten Grün begann, dann in ein limonengrün überging um in einem leuchtenden Gelb zu enden, welches in dem endlosen Schwarz seiner Pupillen verschwand. In diesen Augen lag noch so viel mehr. Als ich die Iris musterte, kehrte irgendwann die Idee in meinen Hinterkopf, dass ich es schon relativ lange tat und dem Mann vor mir ziemlich ungeniert in die Augen starrte. Ich wand schnell den Kopf zur Seite und starrte auf den Boden: „Öhm...“, ich hatte das Gefühl mich rechtfertigen zu müssen, doch ich wusste nicht wie. Ich hörte wie Undertaker lachte: „Keine falsche Scham. Du hast den Blick einer Künstlerin, Sky. Ich finde es beeindruckend, wie du jedes Detail erfassen musst.“ Ich schaute ihn wieder an: „Woher..?“ „Naja... Ich sehe mit meinen Augen wie alle anderen auch, Ahehehehehe!“ Natürlich... Es war unvermeidlich, dass er meinen Blick gesehen hatte. Ich war kurz davor mein Gesicht in den Händen zu verstecken, doch ich hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, weil... ja weil... Warum eigentlich? Es machte ja auch keinen Unterschied. Es war da und ich fühlte mich dadurch nicht gut. Also hob ich den Kopf und zog meine Lippen so gut es ging in ein Lächeln: „Es tut mir leid, aber außergewöhnliche Farben haben was fesselndes für mich.“ Ich schaute den Bestatter an und mein Lächeln gefror in meinem Gesicht. Er hatte sich nach hinten gelehnt, Arme und Beine überschlagen, sah er jetzt wirklich verstimmt aus. Unmut stand in seinem nicht lächelnden Gesicht. Mein Lächeln hing merklich schief: „Hab ich etwas... falsch gemacht?“ Undertaker zeigte mit einem Zeigefinger auf mich: „Dieser scharfe Ausdruck. Da fangen ja Babys an zu weinen“, entgegnete er mir reichlich trocken. Das Lächeln verschwand und mein Mund blieb ein Stück offen stehen, als sich irgendetwas in meiner Brust, wie von einem Pfeil getroffen, schmerzlich zusammen zog. Eigentlich hätte ich nur scharf entgegnet, dass mir seine Meinung doch herzlichst da vorbei ginge, wo die Sonne nicht scheine. Doch gerade... wäre das gelogen gewesen. Mir war die Meinung des silberhaarigen Mannes aus irgendeinem Grund ganz und gar nicht egal. Warum? Ich kannte ihn doch gar nicht richtig. Ich schloss denn Mund und merkte wie meine Unterlippe zitterte. Warum?! Ehrlich verletzt drehte ich mein Gesicht weg, doch eine kühle Hand an meinen Kinn hielt mich auf: „Was hast du?“ Die Hand des Bestatters drehte meinen Kopf wieder zurück, doch ich schlug die Augen nieder. Ich konnte ihm gerade irgendwie nicht ins Gesicht sehen: „Ach nichts.“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich war furchtbar töricht gewesen. Warum fühlte ich mich so? So beschämt und so verletzt? Wollte ich irgendwas bezwecken? Wollte ich, dass er mich mag? Vielleicht sogar schön fand? Blödsinn! Das war alles großer Blödsinn! Ich war furchtbar ordinär und langweilig, seelisch wie körperlich der totale Durchschnitt und der Mann mir gegenüber, ich hatte das Gefühl, er ist auf ganz viele Weisen etwas Besonderes: 'Was denk ich hier?!' Die Hand hob meinen Kopf noch ein Stück. Mein Herz übersprang einen Schlag, als ich etwas Kühles an meiner Stirn spürte. Es übersprang den nächsten, als mir gewahr wurde, dass es die Stirn des Totengräbers war. Mein Kopf war leer, mit einem Schlag, schon wieder, nur das Pochen meines Herzens vibrierte durch meinen Hals in meine Ohren. „Ich mag keine Lügen“, sprach der Bestatter ruhig und schaute mir in die Augen. Ich konnte schwören, er schaute durch sie direkt in meine Seele: „Belüge mich nie wieder, ok?“ „O... ok...“, brachte ich in einem heiseren Flüsterton hervor. Er lachte und grinste, nahm die Hand von meinem Kinn und seine Stirn von meiner, als er sich wieder zurücklehnte und seinen Tee nahm: „Gut. Was ist nun? Deal, oder nicht?“ „Was...“, mein Gehirn brauchte ein paar Wimpernschläge, bis es wieder funktionierte. Zumindest halbwegs: „Ach so, ja... Das“, ich holte tief Luft: „Warum nicht. Wenn du unbedingt möchtest. Vorausgesetzt, ich darf mir meinen Wunsch aufheben.“ Der Totengräber lachte: „Ahihihihi! Natürlich. Solange du willst.“ Ich lachte leise mit und schaute dann überlegend nach oben: „Also... ähm... Ich denke du bist... Ein ziemlicher Spinner, aber... die positive Variante davon.“ Undertaker kicherte: „Hihi. Der erste Teil ist bekannt, der Zweite neu.“ „Ehrlich?“ „Jup.“ „Des Weiteren“, ich kratzte mich an der Wange: „Glaube ich, dass du mit dir, deiner Welt und deiner Art zu leben, vollkommen unbeirrbar und glücklich bist. Das ist schon ein bisschen beeindruckend.“ Das Grinsen des Bestatters wurde breiter, aber blieb stumm. Irgendwie machte es mir Spaß, der Grund zu sein, wegen dem er so selig, dämlich grinste. Ich kicherte und schloss dabei die Augen, als ich sie wieder öffnete sah sein Gesicht noch ein wenig zufriedener aus. „Und du bist gruselig!“, lachte ich: „Furchtbar, furchtbar gruselig! Absichtlich! Das ist furchtbar gemein! Du hast Spaß an den doofen Gesichtern, kann das sein?“ Undertaker warf seinen Kopf nach hinten als er anfing zu lachen. Ich konnte nicht anders als mitlachen. Einige Minuten gab es keine Konversation, nur Lachen und Gekicher. Immer wenn ich dachte das Lachen beruhigte sich, schauten wir einander an und irgendeiner fing wieder an zu giggeln. Irgendwann war ich ziemlich aus der Puste und meine Lungen, mein Bauch und Kopf waren warm vom ganzen Gekichere, sodass ich mir den Bauch halten musste. Total sinnfrei, doch es war gut gewesen. Ich hatte das Gefühl ich habe Jahre nicht mehr so frei lachen können, doch das vollkommen ungebundene, federleicht und in positivem Sinne rücksichtslose Lachen des irren Totengräbers steckte furchtbar an. Undertaker lachte noch immer ein wenig: „So offensichtlich?“ „Oh ja“, begann ich, als ich mich etwas beruhigt hatte und eine angenehme Hitze vom Lachen zurückbehalten hatte: „Du bist total... Gruselwusel!“ Undertaker sagte eine Minute nichts. Er schaute mich nur mit dem freien Auge an und blinzelte zweimal. Dann presste sich sein Mund zu einem schmalen Strich zusammen und seine Wangen blähten sich auf. Ein ersticktes Prusten erklang, doch schnell brach ein schrilles, keifendes Lachen aus seinen Lippen: „Gruselwusel! Pahahahahaha! Ahehehehehehe! Ihihihihihihihihi! Was ein Wort! Ahahahahaha!“, er schlang seine Arme um den Bauch und fiel rücklings auf den Sarg, während er sich reichlich ungeniert scheckig lachte. Kichernd schaute ich auf den, halb an seinem Lachen erstickenden, Bestatter. Es war ziemlich laut und füllte den ganzen kleinen Laden. Ich war mir sicher, dass es auch durch die ganze Gasse vor der Türe zu hören war. Ich konnte wieder nicht anders als mit zu lachen, schon allein deswegen, weil der Totengräber angefangen hatte, machtlos gegenüber seines Lachanfalles, mit den Beinen zu wedeln. Er sprach zwischen drin, doch ich konnte kein Worte mehr erkennen. Irgendwann lag er schlaff und schwer atmend auf den Sarg. Ein atemloses: „Puhuhuhuhu“, entfuhr immer noch seiner Kehle, während er sich mit der Hand den Pony aus dem Gesicht wischte. Kichernd sah ich mich im Laden um, während der Bestatter noch damit beschäftigt war, durchzuatmen. Jetzt, wo sich meine Augen an das schlechte Licht gewöhnt hatten, fiel mir auf wie aufwendig die Särge gefertigt waren. Das waren keine 4- oder 6-eckigen zusammengenagelten Kisten, das waren Meisterwerke, jedes für sich. Mit Stuck aus Holz oder Metall. Ein paar sogar aus Gold. Aufwendig lackiert in schwarzen und/oder verschiedenen Brauntönen mit geschmückten Henkeln. Es gab keine zwei Gleichen. Jeder Sarg war ein Einzelstück. Während mein Blick so durch den düsteren Raum glitt und sich mein Bauch vom Lachen beruhigt hatte, fühlte ich ein unangenehmes Kribbeln in meinem Hals. Ich hustete ein paar Mal und die Lachwärme in meinen Gliedern schwand einem unangenehm ziehenden Gefühl: 'Nicht schwächeln, Sky!' „Und du bist ein begnadeter Handwerker“, bewunderte ich etwas atemlos die Särge und räusperte mich schmerzhaft: „Diese Särge sind wunderbar.“ Der Bestatter stand auf: „Gefällt dir meine Arbeit?“, grinste er. Ich nickte ihn an: „Ja, die sind wirklich schön.“ „Welcher gefällt dir am besten?“ Ich schaute mich noch einmal um. Es gab hier so viele Verschiedene. Um mich von dem geschwächten Körpergefühl abzulenken, schweifte mein Blick konzentrierter durch den Laden und fiel auf ein schlichtes, schwarz glänzendes Exemplar. Sein Deckel hatte eine leichte Wölbung, in das Unterteil waren aufwendig, über und unter den großen silbernen Henkeln, Rosenranken gefräst. Ich zeigte darauf: „Der!“ Undertaker lachte sein übliches, etwas schauerliches Lachen: „Vorzüglich, so etwas Ähnliches hatte ich mir für dich auch vorgestellt.“ Ich schaute ihn mit großen Augen an, doch er ignorierte es, sprach weiter und stand auf: „Ein Kuppeltruhensarg. Amerikanischer Stil, mit gespaltenem Deckel. Schlicht wie schick“, er streckte mir grinsend seine Hand hin. Ich löste eine meiner Hände von dem mittlerweile fast kalten Teebecher und griff seine lange, schlanke Hand. Ich überlegte kurz, ob der Mann an Spinnenfingrigkeit litt, entschied mich aber dann dafür, dass es wirklich nicht wichtig war. Mit den langen, schwarzen Fingernägeln waren seine Hände schon ein wenig gruselig. Der ganze Typ war gruselig, daran gab es nichts zu diskutieren, aber irgendwie... fühlte ich mich wohl. Auf den zweiten Blick waren sein Gesicht, sein Grinsen und auch seine langen, dürren Finger alles andere als unansehnlich und wenn man sich mit ihm unterhielt war er... immer noch sonderbar, aber eigentlich... ziemlich nett und extrem aufmerksam. Ein komisches, warmes Gefühl in meiner Brust ließen meine Lippen sich zu einem Lächeln ziehen. Als ich meine Hand in Seine legte, schien sein Lächeln auch etwas größer zu werden. Sachte zog er mich auf die Füße und führte mich durch den Laden. Geschickt schlängelte er sich durch die ganzen Särge und mich beschlich das Gefühl, er könnte blind durch seinen Laden tanzen, ohne auch nur einmal anzustoßen oder groß überlegen zu müssen. Es erinnerte mich tatsächlich ein bisschen an Tanzen, denn ab und zu drehte er sich, oder mich. Schob mich vor, dann wieder sich. Ein angenehmes Gefühl von Amüsement machte sich in meinem Bauch breit und ich merkte gar nicht, dass mein Lächeln heller und breiter wurde, bis ich wieder zu lachen begann. Der Totengräber stieg mit ein, drehte mich noch einmal um meine eigene Achse, bis wir vor dem schwarzen Sarg standen. Nicht ein Tropfen meines Tees war verschüttet worden und irgendwie hatte ich das Gefühl, es lag nicht an mir. Mein Körper hatte sacht zu zittern begonnen und ich umklammerte den Teebecher gequält, damit er mir nicht aus den schwächlichen Fingern rutschte. Das Drehen hinterließ einen unangenehmen, leichten Schwindel in meinem Kopf. Undertaker ließ meine Hand los und öffnete den oberen Teil des zweigeteilten Deckels. Der Stoff in dem Sarg schimmerte im blassen Licht fast silbrig: „Noileseide“, lächelt der Totengräber. Ich blinzelte fast überwältigt auf das ausgepolsterte und fein geraffte Innenleben des Sarges, das so hell und edel einen wunderbaren Kontrast zu dem dunklen und robusten Sarg darstellte: „Wow... Der Schneider muss ein Meister sein.“ „Danke, danke“, lachte Undertaker. Ich schaute ihn verblüfft an: „Du machst alles? Innen, wie außen?“ Er nickte: „Exakt. 100 % Handarbeit. Keine Maschinen, kein Schnick Schnack. Nur meine Hände, Holz, Lack und Stoff. Gut, ein paar Werkzeuge hab ich schon. Mit den Fingernägeln geht schnitzen und sägen so schlecht. Hihihi.“ Ich grinste aufgrund dieser Aussage und schaute wieder in den Sarg. Etwas, in dem man begraben werden sollte, sollte nicht so gemütlich aussehen. Der Boden war dick gepolstert. An den Seiten raffte sich der Stoff elegant entlang und im Deckel steckten kleine, dekorative Glasperlen Rauten im Stoff ab. Ich fuhr mit der freien Hand über den leicht gewölbten Deckel. Er war ganz glatt: „Der ist wirklich schön. Sind sie alle so aufwendig?“ Undertaker kicherte: „Für meine Gäste nur das Beste.“ Ich lächelte seicht: „Deine Passion für den Job ist wirklich unbeschreiblich.“ „Genau wie deine fürs Zeichnen“, lächelte der Bestatter zurück und fuhr sich durch die Haare. Der lange Pony blieb zu einem großen Teil in den langen Haaren hängen, sodass ich beide Augen des Bestatters sehen konnte. Sein Gesicht war fast komplett symmetrisch, doch brach die Narbe diese Gleichheit. Dieses Zusammenspiel von Symmetrie und Asymmetrie war erstaunlich und hielt meinen Blick einen Moment fest, in dem der Bestatter den anderen Teil des Sargdeckels öffnete. Er schaute mich, einen Arm noch am Deckel, auffordernd an und ich hob verwirrt eine Augenbraue. Dann nickte er vielsagend zu dem Sarg. Ich machte große Augen, als ich dachte, ich verstand, was er von mir wollte: „Ich soll...“ Er lachte, als er mir den Teebecher aus der Hand nahm und ihn einfach auf einem Sarg in der Nähe abstellte: „Hüpf rein.“ „Ehrlich?“ „Ja.“ „Wirklich?“ „Jaha.“ „Bist du sicher?“ Er hob eine Augenbraue. „Ich meine ich hab Schuhe an, dann wird der Stoff doch ganz... AH!“ Undertaker hatte offensichtlich genug von der Diskussion und mich einfach auf den Arm gehoben: „Hey!“ Er lächelte mich von oben an. Wieder mit diesem Lächeln, das Weltkriege verhinderte: „Wenn ich ja sage, kannst du mir das glauben, ok?“ Die Röte kehrte auf meine Wangenknochen zurück: „Ok...“ Dann legte er mich behutsam in den Sarg. Das Polster war viel weicher, als es aussah und der Stoff fühlte sich wunderbar unter meinen Händen an. Seine langen Finger griffen eine Spitze meines Ponchos: „Der wird nur stören.“ „Was?!“ Bevor ich widersprechen konnte, zog er. Mein Oberkörper ging nach oben und der Poncho rollte sich von meinen Schultern. Er schloss die untere Klappe, nach dem er meinen Poncho über den Unterarm gehängt hatte. „Was machst...“, doch ein langer Zeigefinger auf meinen Lippen unterbrach meine Frage und drückte mich zurück in den weichen Stoff. „Nicht sprechen“, lächelte er: „Genießen.“ „Aber!“, doch dann wurde es auch schon dunkel, als der Totengräber den Deckel über meinen Gesicht schloss. Ich hörte ein leises Klicken. 'Was?!', ich hatte eigentlich gedacht, dass ein Schwall Panik in mein Herz schwappen würde, doch blieb das völlig aus. Jetzt, wo ich lag, spürte ich die Erschöpfung in meinen Gliedern. Ich war doch noch nicht so fit, wie ich sein wollte. Mein geschwächter Körper begrüßte die Gemütlichkeit des Sarges dankend und ohne darüber nachzudenken schloss ich die Augen, als ich den Bestatter noch außen über irgendetwas lachen hörte. Meine Augen öffneten sich träge und Verschlafenheit lag schwer auf meinen Gedanken. Es war Stockfinster um mich herum. Ich lag unglaublich gemütlich, doch mein schlaffes Gehirn wusste nicht wo. Ich seufzte, als ich aufstehen wollte. DONG!: „AUA!“ Mein Versuch sich aufzusetzen wurde jäh unterbrochen, als ich mit der Stirn gegen etwas Hartes knallte. Mit Schwung natürlich. Ich fiel zurück in die weichen Polster und hielt meine Hände vor meine pochende Stirn: „Aui... maaaan, das tut weh...“ Mir wurde erst jetzt, nachdem ich mich bewegt hatte, gewahr wie wenig Platz ich hatte. Wo war ich? Es klickte und knarzte leise und Licht blendete mich, als das Etwas gegen das ich gekracht war zurückgeklappt wurde. Ein Mann mit langen silbernen Haaren lächelte mir entgegen: „Nicht so stürmisch.“ Natürlich! Meine Erinnerungen waren aus dem Halbschlaf zu mir zurückgekehrt: Ich war bei Undertaker im Laden und hatte in einem Sarg Probe gelegen. Ich muss während dessen eingeschlafen sein... Wie peinlich! „Es tut mir leid!“ Undertaker hatte seine Haare, samt Pony, zu einem Pferdeschwanz zurück gebunden, weshalb ich gut sehen konnte, dass er schmunzelnd eine Augenbraue hoch zog: „Was? Dass du eingeschlafen bist oder dass du dir selber eine Gehirnerschütterung verpasst hast?“ „Ähhhmmm... Ersteres“, kratzte ich. Meine Stimme war fast komplett weg. Der Bestatter lachte: „Das muss dir doch nicht leidtun. Es war schließlich Berechnung.“ „Bitte?“ Undertaker kicherte weiter: „Denkst du ich merke nicht, dass es dir nicht gut geht? Du wirktest so, als müsstest du dich ein wenig hinlegen und sehe da: Ich hatte recht.“ Meine Wangen wurden warm, als ich ihn nicht allzu intelligent musterte. Ich wusste nicht was ich antworten sollte. „Geht es dir besser?“, wechselte das alberne Grinsen zu einem warmen Lächeln. Dieses Lächeln! Es zündete etwas Warmes in meiner Brust an. Was? Warum? Keine Ahnung. Ich wusste nur, dass es meine Wangen noch röter werden ließ. Er legte den Kopf schief: „Gibt es einen Grund, dass du mir manchmal einfach nicht antwortest? Hab ich irgendwas gemacht?“ Meine Augen wurden weit: „Oh nein, nein!“ 'Wie peinlich! Und warum ist mir alles peinlich?!' Ich war eigentlich nicht der beschämte Typ, doch irgendwie brachte der Bestatter mich ständig aus der Reserve. „Was ist es dann?“, lächelte der Totengräber. „Öhmmm...“, was sollte ich denn sagen? Ich verstand es ja selber nicht: „Manchmal... sind deine Fragen sehr unerwartet!“ Undertaker lachte: „Ahehehehehe! Ehrlich? Die Frage ob es dir besser geht ist unerwartet?“ „Ähm... ja“, ich entschied mich ehrlich zu sein. Der Bestatter hatte schon einmal eindrucksvoll deutlich gemacht, dass er Lügen auf 100 Meter erkannte und ohrenscheinlich hasste wie die Pest. Doch der Gedanke an die Hintergründe, weswegen diese Frage wirklich so unerwartet war... er war schmerzlich: „Ich werde nicht oft gefragt, ob es mir gut oder besser geht...“ Das Lächeln des Bestatters schwand ein Stück. Er war anscheinend sichtlich getroffen, von dem was ich sagte. „Wieso?“, fragte er mitfühlend. „Weil... Es eigentlich nur einen Menschen gibt, der sich für mich interessiert...“ Sein Lächeln wurde noch kleiner: „Tatsächlich? Wieso?“ Ich seufzte und starrte an die Decke: „Weil... alle anderen weg sind... Nein... es gab einfach nie jemand anderen“, flüsterte ich, bemüht meine Stimme nicht so schwer klingen zu lassen. Doch sie war schwer und traurig. Denn dieser Gedanke machte mich traurig und ich fühlte mich klein, unwichtig und allein. Ich vermied diese Gedanken eigentlich tunlichst, wissend wie sehr sie mich runter ziehen. Doch abends, wenn ich alleine in meinem dunklen Bett liege, begleiten sie mich eigentlich immer in den Schlaf. Auch, wenn meine gut gestellten Mitschüler ihre Köpfe hinter meinen Rücken zusammenstecken, blitzten sie immer wieder auf. „Und dieser eine Mensch ist...“ „Amy“, unterbrach ich dieses Mal den Bestatter. Seine lange Hand fasste meine Wange und drehte meinen Kopf wieder zu sich: „Dann gibt es jetzt zwei.“ Ich blinzelte, unfähig das Gesagte einzusortieren: „Wie soll ich das verstehen?“ „Nun“, der Bestatter nahm seine kühle Hand nicht von meinem Gesicht, als er mich aufbauend und warm anlächelte: „Weil ich mich für dich interessiere.“ Mein Herz tat einen Sprung, doch etwas in mir konnte es nicht akzeptieren. Warum sollte er? Ich war ein komisches Mädchen, was in seiner Mittagspause in seinen Laden platzte, um sich dafür zu bedanken, von ihm gerettet werden zu müssen, ihm nicht richtig antwortete und ständig ihre Zunge verschluckte. Nebenbei bespannte ich ihn ständig vollkommen ungeniert. Warum sollte er sich für mich interessieren? „Du kannst es mir glauben“, lächelte er weiter. Waren meine Gedanken denn so offensichtlich? Eigentlich hatte ich ein gutes Pokerface. „Ich hasse Lügen, deswegen lüge ich nie. Lügen sind etwas Furchtbares. Sie machen schöne Dinge, wie dich, so unsagbar traurig und schlagen sie in Stücke. Es ist ein Sakrileg schöne Kristalle so mutwillig zu zerstören. Für nichts und wieder nichts.“ Die Worte des Bestatters surrten in meinem Kopf nach und legten mir einen Kloß in die Kehle. Irgendwas in mir wollte ihm wirklich glauben, was er sagte, doch etwas anderes... konnte es nicht. Er war sicher einfach nur nett und sobald ich den Laden verließ, vergaß er mich und alles was er zu mir und über mich gesagt hatte. Weil ich so unsagbar unscheinbar war. Er wäre nicht der Erste gewesen, der das tat. Diese Erkenntnis tat so furchtbar weh. Ich schaute ihn an und ich sah keine Lügen in den leuchtend grünen Augen. Sie waren nicht da. Jeder Mensch hatte dunkle Schatten in den Augen, denn jeder Mensch log und hatte Geheimnisse. Auch ich. Ich versuchte es zwar zu vermeiden, aber auch ich benutzte Notlügen und war einfach nicht mehr gut darin irgendjemanden, irgendetwas zu erzählen. Keiner, außer Amy, war mit dem was ich ihm erzählt hatte ehrlich und vor allem verantwortungsvoll umgegangen. Nicht meine Mutter, schon gar nicht mein Vater, die Betreuer im Heim auch nicht und Pflegeeltern wollten nichts von den vollgepackten Rucksäcken der Kinder hören. Sie wollten eine kleine, glückliche Familie und traurige Kinder passten dort halt nicht rein. Auf dem College hatte ich schon aufgehört nach offenen Ohren zu suchen. Ich war halt dorthin geschickt worden und ich war dorthin gegangen, weil ich immer dahin ging wo man mich hinschob. Niemand wollte mich behalten und selbst auf dem College begegneten die normalen Schüler, die alle aus so guten Familien stammten, mir mit Argwohn und tuschelten sobald ich außer Hörweite war. Ich schaute immer noch in Undertakers klare, grüne Augen, als ich an all das dachte und irgendetwas in seinem Blick sagte mir, dass er alles mitbekam und alles verstand. Und das ihm widerstrebte was er sah. Als ich unfreiwillig an meine Lebensgeschichte dachte, wurde ich noch trauriger. Normalerweise seufzte ich diese Traurigkeit einfach weg. Doch dieses Mal schaffte ich es nicht. Mein Seufzen wurde unfreiwillig zu einem leisen Schluchzen und ich wollte meinen Kopf wegdrehen, doch die Hand des Bestatters verhinderte es. Ich kniff die Augen zusammen, als sich trotz aller Bemühungen eine kleine Träne aus meinem Augenwinkel stahl. Ich blinzelte beschämt und versuchte ein weiteres Mal mein Gesicht weg zu drehen und wollte sie hastig wegwischen, doch die Hand des Totengräbers blieb an meiner Wange, einfühlsam und schutzspendend. Dieses Gefühl schickte Irritation in meine Verzweiflung. Doch als der Daumen des Bestatters sanft über meine Haut strich und die kleine Träne mit dem rettenden Lächeln wegwischte, verstand ich die Welt nicht mehr. „Was muss ich tun, damit du mir glaubst, meine Liebe?“, lächelte Undertaker seicht. „Ich... Ich weiß nicht...“ Sein Lächeln wurde breiter, aber nicht albern: „Mir fällt schon etwas ein.“ Ich zwang mich zu lächeln. Undertaker seufzte. Das passte nicht zu ihm: „Und dann lächelst du wieder ehrlich.“ Ein komischer Schauer rieselte meine Wirbelsäule entlang und ich versuchte so krampfhaft mein dünnes Lächeln zu halten, das meine Mundwinkel unstet von oben nach unten wechselten. Undertaker klappte den zweiten Deckel auf. Ein komisches Gefühl von Bedauern glomm in meinen Eingeweiden, als seine Hand von meinem Gesicht verschwand. Was sind das für Empfindungen? Was sollen sie? Warum sind sie da? Und warum hatte ich mich nicht mehr richtig unter Kontrolle? Die Kombinationen verwirrten und verängstigten mich und jetzt, da seine Hand fehlte, hatte ich das Gefühl ein Stück Sicherheit war weggefallen. Doch mit dem Folgenden hatte ich unter keinen Umständen gerechnet. Der Bestatter hielt mir seine Hand hin. Ich hatte auch wirklich lange genug in dem Sarg gelegen. So lange, dass es schon wieder peinlich war. Genauso wie mein ganzes melodramatisches Benehmen. Ich nahm seine Hand und er zog mich hoch, doch nicht so hoch, dass ich hätte aus dem Sarg steigen können. Als ich saß spürte ich zwei Arme um mich herum: „Das ist übrigens ein Versprechen“, sein Atem kitzelte mein Ohr als er sprach. Ein kurzes Kichern kribbelte meinen Nacken, bis in meinen Rücken hinunter, als ich unfähig war mich zu bewegen oder zu sortieren: „Und eine Drohung ist es auch, hehe.“ „Drohung?“ „Naja. Da ich mich für dich interessiere, heißt du wirst mich so schnell auch nicht wieder los, hehe. Für die Meisten... ist das eine Drohung.“ Doch für mich fühlte es sich nicht wie eine Drohung an. Außer Amy hatte mich noch nie jemand ehrlich in den Arm genommen. Das war auch der Grund warum ich körperlichen Kontakt mit anderen Menschen nicht mochte. Man konnte künstliche und ehrliche Berührungen sehr gut unterscheiden. Diese Umarmung war ehrlich und fest. So ehrlich und fest wie die Augen des Totengräbers und mir fehlte ein weiteres Mal mein natürlicher Drang mich dagegen zu erwehren. Ich fühlte mich irgendwie mental zu schwach dafür und zu verwirrt. Des Weiteren hatte ich ein komisches Gefühl von Sicherheit. Wahrscheinlich nur eine Illusion, doch gerade wollte ich glauben, dass ich sicher sei. Aus einem unbekannten Impuls heraus vergrub ich mein Gesicht in der Schulter des Bestatters. Der Geruch von Zucker, geschnittenem Gras und Zedernholz zog mir angenehm in die Nase. Der Moment verging schweigend und gefühlt eine halbe Ewigkeit. Ich schloss die Augen und begann... es zu genießen? Ich wusste es nicht ganz, doch nachdem noch ein paar stumme Tränen unbemerkt aus meinen geschlossenen Augen in den Mantel des Bestatters gesickert waren, kehrte eine angenehme Ruhe in meinem Kopf ein. Sie konnte meine wirren Gedanken nicht gänzlich vertreiben, aber sie drängte sie ins Unterschwellige, so waren sie doch um einiges erträglicher. „Antwortest du mir jetzt, wenn ich dich frage ob es dir besser geht?“, brach Undertakers Stimme direkt an meinem Ohr die Stille. Ich nickte müde. Undertaker lachte seicht: „Sicher?“ „Ja“, nuschelte ich in seine Schulter: „Es tut mir leid.“ „Was?“ „Das ich so furchtbar peinlich bin...“ Der Totengräber fing nur an zu giggeln. Ich seufzte daraufhin, ein wenig fertig mit der Welt. Undertaker legte seine Hände auf meine Schultern und brachte Abstand zwischen uns, offensichtlich um mir ins Gesicht zu schauen. Er legte sein grinsendes Gesicht schief, als er mein Gesicht musterte: „Irgendwann erzählst du sie mir.“ Ich blinzelte verwirrt: „Was?“ „Deine Geschichte.“ „Die ist furchtbar langweilig...“ „Ich glaube nicht und selbst wenn, lass es meine Sorge sein. Wer fragt, muss auch den Schaden tragen“, sein Lächeln wurde breiter. Ich seufzte: „So kann man es auch sehen.“ Undertakers Blick fiel auf eins der wenigen Fenster: „Hmm... Die Sonne ist untergegangen.“ Meine Augen weiteten sich von jetzt auf gleich: „Was?!“, mein Kopf flog zum Fenster und suchte dann verzweifelt eine Uhr. Es gab keine: „Oh nö. Nein, nein, nein... Ich komm zu spät!“ Ich wollte mich aus dem Sarg schwingen, doch ich hatte das Gefühl meine Gelenke seien aus Pudding: 'Fantastisch...' Undertaker lachte, packte mich an der Taille und hob mich einfach hoch. Er hantierte mit mir, als wiege ich nichts und stellte mich auf meine Füße: „Kannst du stehen?“ Ich nickte, als Undertaker mich los ließ: „Ja, geht schon.“ Es ging, wenn auch etwas wackelig. Der Totengräber zog eine alte Taschenuhr aus der Tasche. Das Silber war teilweise angelaufen. Ich war mir fast sicher, das kleine Ding sei antik: „Viertel nach neun.“ Ich schlug die Hände vors Gesicht: „Nein! Ich brauchte hier hin über eine Stunde und ich kenne den Weg nicht gut. Ich komme nie pünktlich zur Sperrstunde... Mach den Sarg bereit, ich bin tot...“ Ein schrilles Lachen erreichte meine Ohren und ich spreizte die Finger um hindurch zu schauen: „Das ist nicht lustig!“ „Oh doch! Ist es!“ Ich ließ resigniert die Arme fallen: „Ms. Lowell macht Dessert aus mir... Du hast ja keine Ahnung, wie streng diese Schulen sind.“ „Oh doch habe ich, hehe“, Undertaker ging giggelnd zum Garderobenständer, zog seine Robe über, knöpfte sie zu und band sich das graue Tuch um Brust und Schulter. Sein Zylinder verblieb an Ort und Stelle: „Und Dessert ist was Tolles. Fu fu fu!“ Ich musterte ihn irritiert und etwas verständnislos: „Äh ja... Du warst auf dem Weston College?“ Er wog kichernd den Kopf von links nach rechts: „Im übertragenen Sinne, hehe.“ „Wie im übertragenden Sinne?“ „Ich war nicht lange dort, aber ich habe einen ganz guten Eindruck bekommen. Nicht mein Fall, nicht mein Fall“, er kam auf mich zu und streckte mir meinen Poncho entgegen. Ich wickelte mich darin ein, als ich mir immer noch Undertaker in einer Schuluniform vorstellen wollte: „Welches Haus?“, fragte ich neugierig. Er lachte: „Gar keins.“ „Wie?“ „Mein Aufenthalt“, er schien das richtige Wort zu suchen: „War nicht ganz normal und ist furchtbar lange her.“ Ich war furchtbar neugierig geworden, doch mir lief die Zeit davon: „Naja, ich... Ich muss los!“, ich lief zur Tür: „Danke und Entschuldigung und... Vergiss am besten einfach, dass ich da war...“, 'Und mich so mega peinlich aufgeführt habe... eigentlich die ganze Zeit...' Doch Undertaker lachte: „Da kommst du nicht raus.“ Just in dem Moment hatte ich die Klinge runter gedrückt und bemerkt, dass sie abgeschlossen war: „Oh...“ „Ich habe schon geschlossen, hehe.“ Ich drehte mich um. Undertaker zog gerade das Haargummi aus dem hohen Pferdeschwanz und seine langen Haare fielen ihm auf den Rücken und in sein Gesicht. Es klimperte, als er das Haargummi in seine Tasche steckte und etwas hinauszog. In dem warmen gelben Schein einer einsamen alten Stehlampe hinter der Eichentheke, sah ich ein Schlüsselbund in seiner Hand blitzen: „Du denkst doch nicht wirklich, ich lasse ein hübsches junges Ding, wie dich, im Dunklen durch diese Gassen schleichen, auf das der nächste Vollidiot es irgendwo hin verschleppt? Des Weiteren bist du mir viel zu kränklich, um alleine irgendwo hin zugehen.“ Er drehte sich ab und nickte mit seinen Kopf auf einen kleinen Torbogen, der den vorderen Verkaufsraum von dem hinteren Teil des Ladens abschirmte. „Was... soll das heißen“, fragte ich dümmlich. Ich hatte natürlich eine Idee, was er mir sagen wollte, doch ich konnte es nicht wirklich glauben. Er giggelte wieder und hob dabei eine Hand vor dem Mund: „Na was wohl? Ich fahre dich. Anders kommst du eh nicht mehr pünktlich.“ Mein Mund klappte ein Stück auf: „Bitte?“ „Jetzt komm. Oder ich muss Verkehrsregeln brechen, um dich vor der Wut deiner Lehrerin zu bewahren“, war der Bestatter schon halb in dem dunklen Raum hinter dem Torbogen verschwunden. Zögerlich folgte ich. Der hintere Teil des Ladens war dunkel und ich konnte nicht wirklich etwas sehen, nur ein Regal aus Metall blitzte durch das bisschen Licht aus dem Vorraum auf. Es hatte viele große Schubladen mit Schildchen dran. Ich ging durch den dunklen Raum, bis ich mir eine Ecke in den Oberschenkel haute: „Au, oh Mist...!“, verkniff ich mir die nächsten Flüche. Irgendetwas Metallisches klapperte, als ich gegen die spitze Ecke schepperte und mir selbst ein Eisbein verpasste. Ich befühlte den Gegenstand: Er war kalt, kantig und groß. Ein Tisch? „Ahehehehe!“, hallte es von weiter hinten aus dem Raum: „Du hast eine arg selbstzerstörerische Ader, kann das sein?“ „Nein“, seufzte ich: „Nur schlechtes Karma...“ „Dann sollten du und dein Karma aufpassen, hier stehen drei Tische. Ich glaube, du hast gerade den Ersten davon gefunden.“ „Tische?“ „Ja, Seziertische.“ „Sezier...tische...oh“, es klickte. Ich war im Raum zum Präparieren. Das hieß auch in diesem Regal waren... Kühlzellen... und darin lagen...: 'Na wunderbar.' Eine Tür neben den Kühlzellen ging auf und der gelbe Schein einer Laterne sickerte in den Raum und erhellte ihn: Er war dunkel verkleidet, wie der Vorraum. Das Kühlzellenregal war groß und hatte sicherlich um die 27 Fächer. Direkt vor mir war ein Seziertisch mit einem Ablauf am Kopfende und einen verschiebbaren Organtisch mit Zuschneide-Brett und Werkzeug, wie man ihn aus Krimiserien kennt. Daneben zwei weitere. An einer anderen Wand stand ein Regal mit vielen Tiegelchen, Töpfchen und komischen Werkzeugen. Sie gruselten mir, deshalb untersuchte ich das Regal nicht weiter. Ich schlich um den Tisch herum, zu der dunklen Silhouette, die sich von dem Bestatter in der Tür abzeichnete. Es klickte einmal und das Licht im Vorraum ging aus. Wir verließen das Gebäude. Weiße Wölkchen bildeten sich vor meinem Mund. Es war ziemlich kühl. Auf dem kleinen Hinterhof standen einige Särge und Grabsteine, kreuz und quer verteilt, eine einsame, alte Laterne erhellte ihn. In der Mitte stand ein alter Leichenwagen. Ich meine so einen mal in einem Film aus dem 50's gesehen zu haben. Ein schöner, alter Wagen. Gewaschen und gepflegt. Undertaker schloss die Hintertüre ab und dann den Wagen auf. „Komm“, lachte er: „Ahehehe, du darfst auch vorne mitfahren.“ „Wie nett von dir“, ging ich zu ihm und dem alten Mercedes-Benz 200 D/8 Pilato. Die großen Fenster des langen Hecks waren mit dem typischen weißen Stoff verhängt. Neben mir ging die Türe auf. Undertaker stand dahinter und nickte mit seinen Kopf Richtung Wagen. Mit einem erschöpften Lächeln stieg ich ein: „Danke.“ Undertaker kicherte leise: „Nicht doch“, und schloss die Türe, als ich mich gesetzt hatte. Während ich mich anschnallte stieg der Totengräber ein. Der alte Sitz unter mir fühlte sich erschreckend neu an, nicht ausgesessen wie ich erwartet hatte und es zu dem Alter des Autos passte. Anscheinend hatte der Bestatter nicht oft Gesellschaft, die auf dem vorderen Sitz mitfuhr. Ich kuschelte mich in den weichen Sitz, um mich ein bisschen wärmer zu halten und schlang meine Arme um den Oberkörper. Trotz meines dicken Wollponchos fror ich ziemlich. Undertaker wischte seinen Pony in die Haare, zog eine silberne, eckige Brille aus der Innentasche seiner Robe und setzte sie auf die Nase. Sie passte unsagbar gut in sein scharf geschnittenes, irgendwie edles Gesicht und wirkte aus irgendeinem Grund furchtbar teuer. Die Gläser waren ziemlich dick, wie ich von der Seite sehen konnte und deuteten darauf hin, dass der Totengräber eigentlich ziemlich schlechte Augen haben müsste. Aber warum trug er seine Brille dann nicht öfter, also eigentlich immer? Doch plötzlich bekamen einige Eigenheiten des Bestatters einen anderen Sinn: Sein Pony störte ihn nicht, weil er ohnehin nicht gut sah und er beugte sich immer so nah in das Gesicht von Anderen, damit er die Mimik seines Gegenübers überhaupt erkennen konnte! Es war erstaunlich wie selbstverständlich sich der Bestatter, anscheinend fast blind, in der Welt um sich herum orientierte, doch es war mir sehr lieb, dass er sein Glück nicht überstrapazierte und beim Fahren die Brille aufsetzte. Er drehte den Kopf zu mir, als er den Schlüssel in Zündschloss steckte. Ein leises Lachen entfuhr ihm und er knöpfte seinen langen Mantel wieder auf. „Was machst du?“, fragte ich verwirrt, als der Totengräber seine Arme aus den Ärmeln zog. „Du frierst“, kicherte er und beugte sich zu mir herüber. Ich blinzelte: „Öhm ja... ein bisschen.“ Bevor ich noch etwas sagen konnte, lag sein Mantel wie eine Decke über mir. Er war nicht übermäßig dick, doch schon allein die nette Geste ließ die Luft um mich herum ein bisschen weniger kalt sein. Auch sein Mantel roch nach Zucker, Gras und Zedernholz. Ich kam nicht umhin diesen Geruch immer wieder toll zu finden. Wie roch man so? Den Zucker konnte ich mir erklären, nachdem ich gesehen hatte, wie er seinen Tee trank, doch der Rest? Geschnittenes Gras, oder Pflanzen... Wahrscheinlich weil er so oft auf den Friedhöfen mit dem grünen Grabschmuck zu tun hatte und mit Schnittblumen für die Bestattungsfeiern. Zedernholz... Vielleicht waren ein paar der Särge aus Zeder. Ein Lächeln kräuselte leicht meine Lippen: „Danke.“ Der Bestatter lachte: „Nicht dafür.“ Er drehte den Schlüssel und ließ den Motor an. Er wollte gerade den Oberkörper und Kopf drehen, um rückwärts auszuparken, da rief ich nach ihm: „Warte!“ Sein Kopf flog herum und er schaute mich perplex an: „Hm?“ „Du bist nicht angeschnallt!“ Die Augen des Bestatters lagen noch ein paar Augenblicke auf meinem Gesicht, dann zogen sich seine irritiert ausschauenden Lippen zu einem breiten Grinsen und er fing schallend an zu lachen. „Was ist so lustig?“, doch meine Stimme war zu leise und zu heiser um den Bestatter zu erreichen, der lachend die Stirn gegen das schlanke Lenkrad gelehnt hatte. „Hallo?“, doch er lachte weiter. Ich schüttelte den Kopf und befreite meine Hände aus dem Mantel um ihn an der Schulter zu fassen und gerade hinzusetzten. Er japste immer noch belustigt, doch schaute mich irgendwie komisch an, als ich mich umständlich, gehalten über meinen eigenen Gurt, zu ihm rüber beugte und nach seinem Sicherheitsgurt an der A-Säule angelte. Nach zwei Versuchen erwischte ich ihn mit den Fingerspitzen. Ich spürte warmen Atem in meinem Nacken und zuckte kurz zusammen als eine Gänsehaut über meinen Körper fuhr. Ich drehte, immer noch sehr ungemütlich vornübergebeugt, meinen Kopf. Nun war ich diejenige, die dem Bestatter die Nase ins Gesicht hielt. Meine Wangen wurden rot, als er wieder zu lachen anfing. Ich seufzte künstlich, um meinen Scham zu überspielen: „Du bist furchtbar.“ „Höre ich öfter“, kicherte er. Ich kicherte mit, aus irgendeinem Grund, lehnte mich wieder zurück und klickte seinen Gurt in die Schnalle. Provokant verstaute ich meine Arme wieder unter dem Mantel des Totengräbers und kuschelte mich, mit übertriebener Gestik im Oberkörper, in den Sitz, als ich ihn halb trietzend, halb herausfordernd ansah. Undertaker lachte: „Gefällt mir“, als er sich nun endgültig daran machte seinen Wagen vom Hinterhof zu fahren. „Was?“, fragte ich perplex. „Hihi, dieser Blick.“ Ich wurde wieder rot und schaute aus meinem Fenster: „Oooookay...“ Ich verstand nicht, warum mir bei jedem zweiten Satz des Sonderlings die Farbe und Hitze ins Gesicht schoss. Wahrscheinlich überforderte mich seine Art schlicht weg, auch wenn der silberhaarige Mann alles andere als böse oder böswillig war. Doch seltsam war er alle mal. Ruhig rollte der Oldtimer über die Londoner Straßen und der gelbe Schein der Laternen huschte einer nach dem Anderen am Fenster vorbei. Im Wagen wurde es immer wärmer. Der Bestatter musste die Heizung angeschaltet haben. Der Mantel als Decke und die warme Luft um mich herum machten mich wieder schläfrig. Ich drehte meinen Kopf zum Undertaker. Er hatte einen Ellbogen auf die kleine Lehne an der Autotür gestützt und sein lächelndes Gesicht auf die Hand gelehnt. Sein kleiner Finger mit der kleinen, kreisrunden Narbe rastete auf seiner Oberlippe, während er aus der Frontscheibe auf die Straße schaute und mit der anderen Hand lenkte. Sein Kopf wackelte ein bisschen hin und her. Es schien mir, als würde er stumm etwas vor sich hin summen. Irgendwie wirkte dieser Anblick unendlich friedlich. So vollkommen sorgenlos. Plötzlich wurde das Lächeln zu einem wissenden Grinsen: „Hehe. Woran denkst du?“ Ich machte große Augen. Der Bestatter hatte nicht von der Straße weggeschaut, mich nicht angesehen: „Wa...?“ „Wenn man wie ich, so fast blind, durch die Welt tapst, hat man so seine Tricks“, kicherte er: „Sagen wir einfach: Ich merke es sofort, wenn mich jemand anstarrt.“ Ich drehte mich wieder halb zu meinem Fenster: „Ich starre nicht...“ „Hehehehe!“ Ich zog aufgrund des Lachens eine Schnute und schaute ihn wieder an: „Warum lachst du eigentlich immer?“ Wir hielten an einer roten Ampel in einer kleinen Autoschlange und Undertaker drehte sein breit grinsendes Gesicht zu mir. Ein paar Sekunden grinst er mich nur an, dann hob ich auffordernd eine Augenbraue. „Hehehehe. How sad would it be, should laughter disappear?” Ich stockte... erschrocken. Nun starrte ich ihn wirklich an. Undertaker lachte darauf laut auf. Die Ampel sprang auf Grün, der Wagen fuhr wieder los und Undertaker giggelte immer noch, als er den Gang wechselte und wieder auf die Straße schaute. Meine Gedanken spielten Ping Pong: 'Das kann doch nicht...? Aber woher...? Das ist unmöglich! Aber warum wusste er...? Mach dich nicht lächerlich!' Ich war so verwirrt von meinen Tennisgedanken, von denen ich die Meisten nicht mal zu einem Ende brachte. Undertakers Giggeln wurde wieder ein Lachen: „Tehehehehehe! Doch, ich war's.“ Ich war immer noch halb versteinert: „Aber... wie?!“ „Ich bin flink“, kicherte der Bestatter: „Und leise, wenn ich will.“ Mir wurde etwas anderes spontan nur zu allgegenwärtig: Wenn er den Satz auf mein Bild geschrieben hatte... dann hatte er... dann hatte er es gesehen! Ich sank vor Scham mit hochrotem Kopf in dem Sitz zusammen und versuchte damit zu fusionieren, oder darin zu verschwinden. Ich hatte ihn einfach gezeichnet und er hatte es die ganze Zeit gewusst. Nur ich, ich war unwissend und dumm wie ein Stück Toast. Und genauso fühlte ich mich, als ich, die Knie ein Stück angezogen und bis zu den Augen in dem langen Mantel verschwunden, zu dem Bestatter hoch lugte. Der süße, natürliche Geruch des Bestatters, der an dem Mantel hing, half mir nicht gerade mit meiner Scham und meiner Schande zu Recht zu kommen... Ich war ein Stück Toast... Der Bestatter lachte wieder, nahm das Gesicht aus der Hand und ließ sie locker auf der kleinen Lehne baumeln: „Was versuchst du denn da?“ Ich klimperte mit den Augen: „Nichts...“ „Aha? Hehehehe“, er setzte mit dem kleinen Finger einen Blinker und schlug das Lenkrad ein. Der Wagen hielt, er grinste mich an: „Sag Beschied, wenn du fertig bist.“ Ich klimperte ihn wieder an, ohne mich aus meiner zusammengefalteten Position zu bewegen: „Fertig...“ Der Bestatter grinste: „Fu fu fu fu...“, seine Lippen zitterten und ich zog eine Augenbraue hoch. Das war wohl das Tröpfchen zu viel und das zurückgehaltene Lachen brach sich schrill und laut seine Bahn. Es dauerte ein bisschen, bis er sich beruhigt hatte. Mein Betragen musste seinem Humor sehr entgegen gekommen sein. Er schob seine Brille in die Haare und wischte sich mit den langen Fingern Lachtränen aus den Augen. Ich fand es bemerkenswert, dass er sich mit seinen langen Fingernägeln nicht die Augen auspikste. Er lächelte mich immer noch heiter an: „Ist es fertig?“ „Was?“, nuschelte ich unter seinem Mantel hervor. „Das Bild.“ Mein Rot wurde dunkler. Das Thema war mir so unausgesprochen peinlich, denn ich war unausgesprochen dreist gewesen. Ich schaute ihn an. Er lachte: „Es ist wieder so weit, haha!“ Ich verstand: Ich antwortete wieder nicht. Ich buddelte mein Gesicht aus: „Ja... ist es.“ „Oh!“, machte der Bestatter freudig: „Du musst es mir unbedingt zeigen!“ „Was?!“ „Na, ich will es sehen! Es sah halbfertig schon gut aus. Ich will wissen, wie es fertig aussieht!“ „Ähm...“ „Darf ich nicht?“, schmollte Undertaker gespielt. „Doch!“, machte ich unbeholfen: „Klar... Ich zeig's dir... irgendwann...“ „Hehe. Ich freue mich drauf“, dann zeigte er an mir vorbei aus dem Fenster: „Wir sind übrigens da und du hast noch 10 Minuten.“ Ich schaute aus dem Fenster und sah den Campus: „Oh“, irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl, jetzt wo es Zeit war Abschied zu nehmen. Ich schaute ihn an und lächelte dünn: „Danke, dass du mich hergefahren hast.“ Er schüttelte seufzend den Kopf. Warum? Dann lachte er: „Keine Ursache.“ Ich zog seinen Mantel von meinem Körper und hielt ihn ihm hin. Er nahm ihn, lächelte, nicht grinste, mich an. Bei dem Mann machte das einen entscheidenden Unterschied. Er grinste albern und lächelte herrlich! Dann warf er den Mantel über meinen Kopf und legte ihn mir über die Schulter: „Nimm ihn mit. Es ist kalt draußen. Bring ihn mir die Tage wieder.“ „Aber...“ Er stoppte mich, indem er den Zeigefinger auf meine Lippen legte: „Schiit! Du musst eh noch mal zu mir kommen. Deinen Wunsch einlösen, vergessen? Und jetzt kusch! Oder du bist doch zu spät, hehe!“ Ich lächelte ein weiteres Mal, als der Totengräber seinen Finger von meinen Lippen nahm, doch dieses Mal seufzte der Bestatter nicht und schüttelte auch nicht den Kopf. Er lächelte einfach zurück. „Mach ich“, sagte ich und schnallte mich ab: „Danke.“ Dann öffnete ich die Tür und die kalte Luft von draußen zog sofort in meinen warmen, schläfrigen Körper und schüttelte ihn wach. Ich stieg aus und schloss die Tür. Als ich den weiten Mantel des Totengräbers enger um meinen Körper zog, musterte ich die nächtliche Schule. Dann drehte ich mich noch einmal um. Undertaker hatte die Brille wieder auf der Nase und winkte mir, indem er einzeln mit den langen Fingern einer Hand wackelte. Ich winkte zurück und ging durch das Haupttor, wo sich der Wachmeister dazu bereit machte abzuschließen. Er schaute auf eine Armbanduhr: „Gerade noch rechtzeitig, Nachteule.“ Ich zuckte mit einem leichten Lächeln mit den Schultern: „In der Zeit ist in der Zeit, oder?“ „Du bist mutig.“ „Gute Nacht“, verabschiedete ich mich. „Gute Nacht“, antwortete der Wachmann freundlich. Das Tor ging hinter mir zu und ein Motor heulte auf. Als ich mich umdrehte sah ich den 50's Leichenwagen davon fahren. Ein komisches Gefühl blieb in mir zurück. Ich kannte es nicht. Es war nicht unangenehm, doch irgendwie unheimlich. Warm und kribbelig. Irgendwie war ich furchtbar durch den Wind. Gerade als ich daran dachte stob eine sachte, kalte Brise auf und wehte mir den Geruch des Mantels in die Nase. Ich mochte diesen Geruch. Irgendwie musste ich mir eingestehen, dass ich diesen komischen Kauz ziemlich sympathisch fand. Es war eigentlich ziemlich lustig gewesen! Und verwirrend... und peinlich... sehr, sehr peinlich. Ich seufzte und wandte meinen Blick von der Stelle an der der schwarze Leichenwagen schon lange nicht mehr stand ab, als mein Handy klingelte. Ich ertastete es in meiner Hosentasche und befreite irgendwie meine Hand aus den etlichen Lagen Stoff meines Ponchos und des Mantels. Mein Messenger leuchtete auf dem Desktop. Eine Nachricht von Amy. Ich las sie im Gehen: – Amy [24.09.15; 21:54] Sky?! Wo zur Hölle bist du? - Weitergehend antwortete ich: - Sky [23.09.15; 21:54] Fast da. Ca. 5 Minuten - - Amy [24.09.15; 21:54] Du bist echt spät dran! Zwing mich nicht dir ein Y zu geben! - - Sky [24.09.15; 21:55] Oh bitte nicht! Ich hatte davon im letzten Jahr so viele! - - Amy [24.09.15; 21:55] Dann beeil dich! - - Sky [24.09.15; 21:55] Ich bin fast da! - Amy antwortete nicht mehr. Sie hatte Recht: Ich war wirklich wieder sehr spät dran, doch ich schaffte es um Punkt 22 Uhr durch die Tür des Haupthauses der Wölfe zu schlüpfen. Ms. Lowell stand dahinter: „Rosewell! Du bist spät. Zum zweiten Mal.“ „Aber noch in der Zeit, Ms. Lowell.“ „Aber gerade so, junge Dame. Zum zweiten Mal.“ „Es tut mir leid Ma'am“, ich neigte demütig den Kopf: „Ich war bei einem Bekannten und mir ging es irgendwann nicht gut. Ich bin dort eingeschlafen. Es kommt nicht mehr vor.“ „Gut. Geh auf dein Zimmer und sei das nächste Mal nicht so auf den Punkt.“ „Natürlich Ms. Lowell.“ „Gute Nacht.“ „Gute Nacht“, ich huschte an ihr vorbei in den dritten Stock und schloss die Tür zu dem Dachgeschossapartment auf. Amy steckte ihren Kopf aus dem Rahmen des Wohnzimmers: „Sky! Bitte sag mir du hast es pünktlich geschafft.“ Ich lächelte künstlich: „Wie die Uhr.“ Amy schüttelte den Kopf und trat aus der Tür. Sie schaltete das Licht im Flur ein: „So verwirkst du dein junges Leben!“ Ich blinzelte in dem Licht der Glühbirnen, sah dann zu Amy die ebenfalls blinzelte, ein wenig irritiert und mich dann breit angrinste: „Aha. Ich verstehe.“ „Was verstehst du?“ Sie zeigte auf mich: „Den Mantel würde ich selbst dann erkennen, wenn mir jemand die Augen ausgekratzt hätte.“ Ich schaute an mir herunter. Natürlich, ich trug immer noch den Mantel des Bestatters. Irgendwie fühlte ich mich ein wenig beschämt und merkte wieder einen Anflug von Wärme auf meinen Wangen, als ich mich aus dem fremden Mantel schälte und ihn an die Garderobe hing, dicht gefolgt von meinem Poncho. „Du kennst ihn gut, hm?“, fragte ich, während ich die Jacken auf hing und die Schuhe auszog. Wir gingen ins Wohnzimmer. Amy setzte sich auf die Couch und ich in den Sessel. „Klar“, lachte Amy. Sie nahm eine angebrochene Tüte Chips und knusperte sie weiter. Im Hintergrund lief irgendein Krimi im Fernsehen. Amy schaute mich an: „Undertaker ist wie ein Onkel für mich. Darüber hinaus ist er mein Patenonkel.“ Ich schaute etwas verblüfft: „Ehrlich?“ Amy nickte: „Naja, Frank auch, aber Frank wohnt in Deutschland. Würde meinen Eltern etwas passieren, würden wir zu Undertaker kommen.“ „Ich bezweifle ja, dass das Jugendamt das zulässt.“ „Es gibt Mittel und Wege“, lächelte Amy:“ Wenn es jemanden gibt, dem mein Vater vertraut, dann sind es Sebastian, Undertaker und Frank und zwar genau in dieser Reihenfolge. Dicht gefolgt von Charlie.“ „Er ist komisch“, nuschelte ich und verschränkte die Arme vor meinem Bauch. Amy lachte wieder: „Dafür, dass er so komisch ist, hast du es immerhin fast 6 Stunden gut bei ihm ausgehalten.“ Ich seufzte: „Ich hab geschlafen...“ „Was?“, fragte Amy erschrocken. Sie wusste, dass ich überhaupt nicht gut außerhalb meines eigenen Bettes und selbst dort schlafen konnte: „Wie?“ „Naja, wir haben Blödsinn gemacht ...“ „Das ist nichts Ungewöhnliches“, entgegnete Amy: „Wirklich nicht.“ „Lass mich ausreden!“ „Ist ja gut!“ Ich seufzte noch einmal. Irgendwie wollte ich mit Amy über alles reden, auch das komische Gefühl in mir drin, aber ich wusste irgendwie nicht... wie: „Naja, wir haben auf jeden Fall... Viel gelacht...“ Amys Blick wurde immer ungläubiger, doch sie schwieg. Ich zog aufgrund dieses Ausdrucks eine Schnute: „Ja... Schau nicht so. Ich kann lachen...“ Amys Kopf kippte zur Seite. Ich seufzte, schon wieder: „Wie auch immer... Mir ging es danach nicht gut, da hat er mich in einem Sarg Probe liegen lassen und ich...“ „Du bist eingeschlafen“, ergänzte Amy ungefragt: „Klingt irgendwie, als habe er das so gewollt.“ „Jap“, antwortete ich knapp und hing dem Besuch beim Bestatter nach. Dieses komische Kribbeln war immer noch da. Ich rieb mir über den Bauch, um es los zu werden und zog die Knie an: „Er hat mich danach nach Hause gefahren...“ Amy lachte: „Sein Auto ist ziemlich stylisch, oder?“ Ich kicherte: „Jaaaa, schon. Es ist ziemlich gut in Schuss, dafür dass es so alt ist.“ „Er liebt dieses Auto. Ronald ist ständig da um es zu reparieren.“ „Ronald?“, irgendwie habe ich gedacht Undertaker wartete seinen Wagen selbst. Amy lachte und lächelte mich danach vielsagend und mit einer gewissen Befriedigung im Blick an: „Ja, Ronald. Undertaker ist in vielen Punkten ein Genie, aber es mangelt ihm hier und da echt an ein wenig... Lebenspraktischem.“ „Echt?“, ich war ehrlich ein wenig verwundert: „Er scheint ziemlich gut zurecht zu kommen.“ „Klar, klar. Er ist alles andere als lebensunfähig. Er verdient Geld, macht gute Arbeit, ist unglaublich helle und hat ein sehr breit gefächerten Wissensschatz, aber wenn er sich Müsli und Milch in eine Schüssel kippt, geht sie in Flammen auf und mit Autoreparaturen hat er ungefähr so viel am Hut, wie ein Elefant mit Hochseiltanzen.“ Ich musste kichern, als ich mir das Gesicht des Bestatters vor der brennenden Frühstücksschale vorstellte. Herrlich! Amy lächelte weiter: „Aber Undertaker weiß genau, wen er fragen muss. Wenn es um sein Auto oder anderes Maschinelles geht fragt er Ronald, für die Steuererklärung und so‘n Kram William, Klamotten und Co. Grell. Dafür steht er Gewehr bei Fuß, wenn die anderen Hilfe brauchen. Ich kenne nicht viele, die so verlässlich sind wie er.“ „Ich hatte irgendwie das Gefühl, die anderen meiden ihn.“ Amy wackelte mit dem Kopf: „So halb.“ Ich schaute sie fragend an: „Wie? So halb?“ „Sie haben eine komische Beziehung zueinander, aber ich würde sie schon als Freunde bezeichnen. Sage allerdings William niemals, dass ich das gesagt hab.“ Ich kicherte: „William scheint auch ein ziemlicher Kauz zu sein.“ Amy legte den Kopf nach hinten: „Ich habe noch niemanden getroffen, der so einen Stock im Arsch hat wie William...“ Ich musste lachen, sogar halbwegs ehrlich: „Das kann ich mir vorstellen.“ Genau deswegen hatte ich auch nicht gedacht, dass sich William mit dem Bestatter verstand. Für jemand so Strengem muss der Totengräber doch die reinste Plage sein. „William verehrt Undertaker sogar, aber nachdem Undertaker William mal darauf hin als 'nervig' beschrieben hat, verleugnet er es zu tun.“ „Ehrlich?“ „So wahr ich hier sitze.“ „Du kennst Leute.“ „Das kannst du laut sagen. Aber sie sind toll. Alle. Auf ihre ganz eigene Weise. Du lernst sie sicher auch noch besser kennen... Vorausgesetzt, du willst überhaupt noch mit kommen, nach der... der Sache.“ Ich lächelte Amy gewohnt dünn an: „Ich glaub schon.“ Amys Kopf zuckte zu mir: „Echt?“ „Joa.“ Dann lachte die Phantomhive: „Ich soll dir von meinen Eltern ausrichten, dass du herzlich zu Halloween eingeladen bist.“ „Deine Eltern müssen mich nicht einladen. Sie sind mir nichts schuldig. Mein Tauchgang war nicht ihre Schuld.“ „Sky, meine Eltern mögen dich und auch Fred sagte er würde sich freuen, wenn du kommst. Die Anderen sind sicherlich auch froh, dich gesund und munter wiederzusehen.“ Eine Erinnerung sprang in meinen Kopf. Ein kleiner Satz, den Undertaker zu Amy auf ihrem Geburtstagsball gesagt hatte: 'Ich bleibe vielleicht nicht lange, aber zu Geburtstagen und Halloween komme ich doch immer, oder?' Warum erinnerte ich mich genau daran? Ich schob den Gedanken zur Seite: „Die Anderen?“ „Ja. Grell, Ronald, William, Lee, Charlie und Frank. Sie haben sich alle Sorgen um dich gemacht und sind erst nach Hause gegangen, als Sebastian sagte, du wärst in Ordnung.“ „Wi... Wirklich?“, das konnte ich mir nicht vorstellen. „Wirklich.“ „Ich habe irgendwie wieder das Gefühl, ich habe keine Wahl.“ „Doch“, machte Amy zögerlich: „Nur kein Große. Es wird ein Kostümball. Bis 21 Uhr ist es eine Charityveranstaltung und Kinder aus einigen Wohnheimen kommen vorbei.“ „Aus... Heimen?“, das Wort lag schwer und mit schlechten Emotionen besetzt in meinem Mund. Amy seufzte: „Ja... Doch die im East End machen nicht mit. Es sind nur ein paar, aber trotz allem ist es Tradition.“ Ich verzog den Mund: „Hab ich mir fast gedacht... Ich war auf jeden Fall nie dort.“ Amy lehnte sich nach vorne und legte eine Hand auf mein Knie: „Dann sollten wir das ändern.“ Ich lächelte dünn und künstlich, als ich wieder das Gefühl hatte, eine Zusage würde Amy so viel bedeuten: „Klingt gut.“ „Hast du... irgendwas?“ „Ach“, machte ich: „Ich bin nur noch nicht ganz auf der Höhe und Undertaker ist echt anstrengend...“ „Aber?“ Ich schaute zur Seite, als das Kribbeln stärker wurde: „Er ist... ganz ok...“ Aus irgendeinem Grund kamen meine Fragen nicht über meine Lippen. Ich wollte Amy fragen, warum mir alles so peinlich war. Ich wollte sie fragen, was in meinem Bauch so flimmerte und flackerte. Ich wollte, dass sie mir sagt, ich würde nicht gerade meinen Verstand verlieren und dass jeder so auf den Bestatter reagierte. Doch... Sie blieben bei dem Kribbeln, ganz tief in meiner Magengegend. Frustriert, resigniert und verwirrt seufzte ich: „Ich sollte ins Bett.“ „Geh warm duschen und hau dich hin. Gehst du Morgen zum Unterricht?“ „Ich versuch es zumindest“, ich stand auf: „Schlaf gut.“ „Träum' schön“, lächelte Amy zweideutig. Ich schüttelte den Kopf abwertend, als ich die Augen zu Schlitzen zog und Amy anfunkelte. Doch die Phantomhive lachte und winkte, als ich aus dem Raum verschwand. Undertaker Ich war seufzend in einen Sarg gefallen, nachdem ich Zuhause angekommen war, ohne mich umzuziehen. Der Abend war doch ereignisreicher gewesen, als ich erwartet hatte. Das Auftauchen von Claude und Oliver hatte mir nicht nur übel aufgestoßen, es war auch eine sehr unschöne Überraschung gewesen. Alexander hatte Recht: Der Earl Trancy konnte uns nun auflauern wo er wollte. Uns kalt erwischen. Um mich machte ich mir eher weniger Sorgen. Ich machte mir Sorgen um Amy und Fred. Wenn den Beiden etwas passierte, würde ich nie wieder glücklich werden. Ich würde mir das nie verzeihen. Ich hatte nun schon so viele Kinder durch die Villa der Phantomhives flitzen sehen. Vincent und seine Schwester. Ciel. Dessen Kinder und Kindeskinder. Auch Alex. Und ich hatte sie alle begleitet. Bis an ihr Ende. Ich habe und werde immer. Ich machte mir Sorgen um Lee, Charlie und Frank. Auch sie würden ein grauenvolles Loch hinterlassen, wie ihre Eltern und dessen Eltern und dessen Eltern es getan hatten. Unwillkürlich erinnerte ich mich an Lau, mit dem ich so viel gelacht hatte. An Claus mit dem ich mal hier, mal dort hingereist war. Und an Diedrich, unter dessen humorloser Schale ein guter Freund geschlummert hatte. Alle tot. Mein Herz zog sich kurz zusammen. Nach einem kontrollierten Durchatmen fasste es sich wieder. Ich machte mir Sorgen um Ronald, Grell und William. Hatte ich mit den Shinigamis auch nichts mehr zu tun, die Drei waren mir irgendwie über all die Jahre ans Herz gewachsen. Und ich machte mir Sorgen um die junge Skyler. Was hätte ich getan, wäre ich zu spät gekommen? Gute Frage. Ich schlief ein, die Frage unbeantwortet, bis mich irgendwann ein unschönes Brennen in meinen Augen weckte. Als ich die Augen im dunklen Sarg öffnen wollte, schabten meine Lieder unangenehm über meine Augäpfel. Mit halb geöffneten Augen stieg ich hinaus und schlenderte Richtung Badezimmer. Auf halbem Wege fiel mir auf, dass ich die Welt um mich herum ungeahnt gut erkannte. Mit einem Seufzen ging in meinem Kopf eine kleine Glühbirne an: Ich hatte die Kontaktlinsen vergessen: 'Na klasse. Ich bin für dieses neumodische Zeug einfach nicht geschaffen...' Die Welt der Menschen war nach 1800 so schnell so verrückt geworden. Und sie wurde immer noch verrückter. Autos, Maschinen, hohe Häuser, kleine Dinger die man sich zum Sehen in die Augen steckte, diese komischen Computer in Groß und in Klein, die die Menschen immer mit sich herumtrugen. Die Schlösser und Burgen, in denen ich Könige residieren sah, zerfielen zu Ruinen. Waren nur noch Schatten längst vergangener Epochen. Ich war ein Relikt aus der Vergangenheit, gefangen in der Zeit. Langsam beschlich mich das Gefühl, ich käme den Menschen bald nicht mehr hinterher... Umständlich frimelte ich die kleinen Dinger aus meinen gereizten Augen und verfrachtete sie in ihren kleinen Behälter, bevor ich mir zwei Hände voll Wasser ins Gesicht warf. Ich schaute in den Spiegel und sah meine geröteten Augen. Mit einem Schmunzeln tat ich das unangenehme Brennen ab. An meinen Augen kann nun wirklich nichts mehr kaputt gehen. Ich rieb mir durch mein müdes Gesicht, als ich in die Küche ging um mir einen Tee aufzugießen. Meinen Teebecher in der Hand schweifte ich durch meine alten Erinnerungen. 'Einen Weg, seine Präsenz komplett zu verstecken...', ich dachte und dachte, erinnerte mich doch nur an wenige Bruchstücke, aus der Zeit die ich mit den anderen Ersten durch die Welt gegangen war. Es war nun viele Tausend Jahre her. Die 10 ersten Shinigami. So alt wie die Menschheit selbst. Mächtige Wesen. 9 waren tot. Ich stockte in meinen Erinnerungen, als mir der Gedanke durch den Kopf schwirrte, dass um mich herum einfach alle... früher oder später... fort gehen. Nur mich, mich lässt diese Welt nicht los. Unsterblichkeit war kein Geschenk. Ich kippte unüberlegt meinen heißen Tee hinunter und verbrannte mir fürchterlich die Zunge. Doch selbst Schmerz wird mit der Zeit nur noch zu einer dumpfen Randerscheinung. Er reichte allerdings um mich von den unschönen Gedanken ab zu bringen. Beiläufig schob ich mir einen Keks in den Mund, als ich weiter versuchte mich zu erinnern, ob ich eine vollkommen verborgene Präsenz schon einmal erlebt hatte. Ob ich mich mit den anderen 9 mal darüber unterhalten hatte. Doch der Staub der Zeit hatte eine dicke Schicht weißen Rauschens auf meine Erinnerungen gelegt. Kauend wog ich meinen Kopf hin und her, bis ich schließlich eine Hand ausstreckte. Meine große, silberne Sense erschien in meiner Handfläche und ich fasste mit der anderen an die Schneide. Einen kurzen, spitzen, grauen Schmerz später platzten braune Filmstreifen aus der schmalen Wunde hervor. Mein Cinematic Record. Knapp 200.000 Jahre Erinnerungen: 'Irgs...' Ich verbrachte 2 Stunden damit meinen eigenen Film zurück zu spulen. Wäre ich nicht immer mal wieder an Szenen hängen geblieben, wäre ich schneller gewesen, natürlich, aber ich hatte von vielem ja nicht mehr, als meine Erinnerungen, gebannt auf diesen kleinen Super 35 Film. Vincent und Diedrich stoppten mich: Die Zeit als Zähne des Wachhundes. Die Zeit mit meinen ersten richtigen Freunden. Nach Sebastians Erscheinen war ich als Zähne des Wachhundes zurück getreten. War Informationsbeschaffer geworden. Hing tief mit meinen Fingern in den schwarzen Eingeweiden des Londoner Untergrundes: 'Die Welt der Dunkelheit hat die Regeln der Welt der Dunkelheit...' Ciel und Sebastian stoppten mich: Die Campania, das Weston College, viele andere Abenteuer. Mein Lächeln zog sich auf mein Gesicht. Es war schwerer. Die guten Zeiten schmeckten bitter, als ich realisierte wie sie langsam in meinem Kopf verwesten. Schließlich war ich etliche Jahrhunderte in der Vergangenheit. Erinnerungen vergingen nicht. Auch wenn man sie nicht mehr einfach ins Gedächtnis zurück rufen konnte, ein Cinematic Rekord vergaß nicht. Eine Szene lies mich innehalten. Ich hatte mich mit... mit... mit... Ehen unterhalten! Einer der anderen Alten. Ein großer Mann mit einem dünnen blonden Pferdeschwanz und schmalen phosphoreszierende Augen. ‚So, so‘, hatte ich gelacht: ‚Es scheint, als hättest du einen spannenden Tag gehabt.‘ Ehen hatte geraunt: ‚Spannend, ja? Mehrere Stich- und Schnittwunden, sowie einen halb abgehackten Arm findest du also spannend, ja?‘ ‚Sei nicht so böse‘, lachte ich weiter: ‚Wie kommt es, dass dir drei Engel so ans Leder konnten? Dann auch noch solche? Die verspeist du doch eigentlich zum Frühstück.‘ ‚Sie waren einfach da!‘ ‚Wie?‘ ‚Wie ich es sage!‘, Ehen war sichtlich verstimmt gewesen: ‚Ich habe sie nicht bemerkt.‘ ‚Das wir blind sind ist nichts Neues, aber wie kommt es, dass du nicht merkst wenn 3 Engel um dich herum stehen?‘ ‚Ihre Präsenz hat gefehlt.‘ Ich hatte die Augenbrauen hochgezogen: ‚Aha? Warum griffen sie dich überhaupt an?‘ ‚Ach! Ich wollte eine Seele von der Liste holen. Abel. Die Engel haben eine Botschaft nicht richtig weiter gegeben und er wurde von seinem Bruder getötet‘, Ehen tippte sich an den Kopf: ‚Sie verlangten, dass ich ihm den Stempel gebe.‘ Ich unterlag einem kleinen... ok, einem größeren Lachanfall, was Ehen sichtlich nicht schmeckte: ‚Pahahahaha! Diese geflügelten Idioten denken auch wir verschenken ihn, oder? Man muss schon ein bisschen mehr sein, als eines Engels Liebling um den Stempel 'Nützlich für die Welt' zu erhalten. Außerdem wollten die doch nur, dass wir ihren Fehler kaschieren. Hast du sie bekommen?‘ ‚Meine Rede‘, nickte Ehen: ‚Die Engel waren merklich nicht begeistert, doch so kalt erwischt musste ich türmen, bevor ich den Auftrag fertig bekam.‘ ‚Hm, ich habe noch nie erlebt, dass wir Engel nicht spüren. Vielleicht sollte ich dir zur Hand gehen. Wir können die Seele nicht einfach auf der Erde lassen.‘ ‚Frag mich nicht! Aber das finde ich raus!‘, Ehen nickte: ‚Das wäre keine schlechte Idee. Morgen, 8 Uhr!‘ ‚So früh...?‘ ‚8 Uhr!‘ Ich lachte: ‚Ok, ok.‘ Ich spulte wieder vor. Ich erinnerte mich, dass Ehen die Angewohnheit hatte sich in etwas zu verbeißen, wenn er es sich in den blonden Kopf gesetzt hatte. Ich fand eine Stelle mit Alisa, einer Alten mit strengen, dunkelbraunen Haaren. Doch sie sah ziemlich bestürzt aus: ‚Adrian?‘ Ich hatte auf einer Bank gesessen und den Ausbauarbeiten an der Shinigami Akademie zugeschaut: ‚Hm?‘ ‚Es geht um Ehen...‘ ‚Du siehst nicht gut aus.‘ ‚Es ist auch... nicht gut...‘ Ich stand auf, in Gewahr der dramatischen Atmosphäre: ‚Nun rede.‘ ‚Er... er war doch an dieser Sache dran.‘ ‚Ja, mit den Präsenzen.‘ ‚Ja und... er... er ist tot, Adrian. Getötet... von Engeln...‘ Mir klappte der Mund auf: ‚Bitte?‘ ‚Er... er ist tot! Weg! Fort! Auf ewig! Erst Nevet, dann Marie, in Anschluss an sie Pedro und jetzt...‘ Ich legte eine Hand über meine Augen: ‚Eine Schande...‘ ‚Mehr hast du nicht zu sagen?!‘ Ich schaute Alisa verstimmt in ihre sauren grellgrünen Augen: ‚Was soll ich denn dazu sagen? Es ändert alles nichts.‘ ‚So etwas wie... Ich weiß nicht... Ach! Du bist furchtbar! Ich muss in die Bibliothek. Ehens Notizbuch einlagern...‘ ‚Du warst bei ihm?‘ ‚Nein, ich kam zu spät...‘ ‚Alisa, es ist nicht deine Schuld.‘ ‚Ach, spare dir die Luft Adrian! Ich muss los.‘ Ehens Notizbuch! Alisa war eine Vorzeigebürokratin gewesen. Es war sicherlich fein säuberlich einsortiert worden. Allerdings hatten wir in den etlichen Jahren das Archiv immer wieder nach bestimmten Details durchsucht. Ob ihre Ordnung wohl noch bestünde? Ich konnte von mir sagen, dass ich immer alles ordentlich zurück geräumt hatte, wenn ich mit Stöbern fertig gewesen war. Doch die Anderen? Die wiederkehrende Schwermut seufzte ich weg. Ehen war sicher nicht getötet worden, weil er keine Idee gehabt hatte. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob Dämonen Engelspraktiken übernehmen konnten, aber ich hatte nun einen Anhaltspunkt. Ich zog meine übliche Montur über und rieb mir über die brennenden Augen. Verdammte Kontaktlinsen! Ohne große Eile kramte ich einen großen, alten Schlüssel aus einer meiner Schubladen im Tresen und steckte ihn in die Tasche. Dann trat ich auf den Hinterhof und das Tor zur Shinigami Welt öffnete sich auf meinen Wunsch. Ich landete direkt in der großen Bibliothek der Grim Reaper. Der steinerne, große Bau im gotischen Stil war über und über mit Bücherregalen zugestellt, die aus allen Nähten platzten. Er erstreckte sich über knapp 15 Etagen plus Kellern. In der großen Eingangshalle standen schon William, Grell und Ronald. Grell hüpfte auf mich zu und fiel mir um den Hals: „Nwaaaa! Guten Morgen!“ Ich drückte ihn kurz: „Guten Morgen, lieber Grell.“ Grell schaute mir umständlich von unten ins Gesicht, um einen Blick unter meinen Pony zu erhaschen: „Hast du gut... Was ist denn mit deinen Augen passiert?“ „Hm? Achso. Ahehehehe. Ich hab vergessen gestern Abend die Kontaktlinsen raus zu nehmen.“ Grell stellte sich gerade auf und zog eine Schnute: „Uhhh, nicht gut. Brennt's?“ „Ein bisschen.“ Grell seufzte und packte in seine Manteltasche: „Hast du ein Glück, dass ich wunderschöne, aber trockene, Augen habe. Kopf in den Nacken.“ „Fu fu fu! Was hast du vor?“ „Kopf in den Nacken!“ Mit einem weiteren Kichern tat ich was der rote Reaper von mir wollte. Er wischte mir die Haare aus den Augen. Dann musste ich auch schon blinzeln, weil ein Tropfen von irgendwas in meinem linken Auge landete. Mein Sichtfeld verschwamm, noch mehr als üblich: „Was ist das?“ „Augentropfen“, antwortete Grell und schob mit den Fingern die Lieder meines anderen Auges auseinander. Nach dem er 3 Tropfen in jedes Auge geträufelt hatte, nahm ich meinem Kopf aus dem Nacken und rieb mir über die Augen: „Wä! Ahehehehehe! Was für ein Gefühl.“ Grell seufzte, als er das kleine Fläschchen wieder in die Manteltasche steckte: „Du bist ein Genie, wirklich. Besser?“ Ich blinzelte noch immer: „Besser.“ William schaute auf eine Armbanduhr, als ich die letzten Schritte auf ihn und Ronald zuging: „Du kommst spät.“ Ronald winkte nur lächelnd. Ich lachte: „Spät? Wir haben 10 Uhr.“ „Ja“, sagte William: „Spät. Ich hatte gehofft, du kommst nicht während ich schon arbeiten sollte. Ich darf die ganze Zeit hinten dran hängen.“ „Ach Will“, machte Grell: „Sei nicht immer so streng.“ „Ihr dürft die Zeit auch hinten dran hängen!“ „WAS?!“, riefen Grell und Ronald im Chor. „Natürlich!“, William schüttelte seinen Kopf: „Die Arbeitsmoral von euch Dreien ist unter aller Würde.“ Ich lachte wieder: „Ahehehehehehe. Wir sind deiner halt einfach nicht würdig, William.“ William seufzte: „Jetzt lasst uns anfangen. Es wird nicht früher.“ In der Bibliothek war es wie immer geschäftig voll. Die Augen der anderen Sensenmänner musterten mich kritisch und fragend, als ich mit William, Grell und Ronald meinen Weg zu der Kellertreppe beschritt. „Wie aufregend!“, machte Ronald, als wir die Treppe, erleuchtet von Neonröhren, in die fünfte und letzte unterirdische Etage hinunter gingen: „Ich war noch nie hier unten. Was es hier wohl alles gibt?“ „Viel zu viel“, kicherte ich. „Noaaah!“, stöhnte Grell: „Das klingt als könnten wir ewig suchen, bis wir etwas finden.“ „Ganz so schlimm ist es nicht“, lachte ich ihm über die Schulter an, als wir einen düsteren, ebenso künstlich ausgeleuchteten Flur mit Steinböden und Wänden entlang gingen. Die Wände waren gesäumt von schweren Holztüren mit massiven Metallscharnieren: „Ich hab in meinem Record nachgeschaut. Ich selber habe mit versteckten Präsenzen nie Erfahrungen gemacht, aber ein anderer Alter. Sein Notizbuch wurde eingelagert. Wenn wir das finden, haben wir gute Chancen.“ Unsere Schritte halten in dem schmalen Flur wieder, als William das Wort ergriff: „Wer?“ „Ehen Schneider“, antwortete ich knapp. Der Flur endete vor einer riesigen Eichentüre. Schon die Größe sagte aus, dass sie wichtig sei und dass sie zusätzlich mit Metall beschlagen war, unterstrich diesen Eindruck. „Dahinter ist das Archiv?“, wunderte sich Ronald, als ich wie selbstverständlich vor der großen Flügeltüre stehen blieb. „Ahehe, ja“, lachte ich. „Dann können wir gleich wieder umdrehen“, verschränkte William seine Arme: „Sie ist abgeschlossen, keiner weiß wo der Schüssel ist und niemand bekommt sie auf.“ Ich zog eine Augenbraue hoch, was die Anderen aber nicht sahen: „Ihr habt doch nicht etwa versucht sie aufzubrechen?“ William stockte kurz: „Nun... doch.“ Ich lachte schrill. Der leere Flur warf das Echo hin und her: „Ehrlich? Pahahahahahahahahahaha!“ William schob seine Brille hoch: „Schön, dass ich dich belustigen konnte, aber das löst die Tatsache nicht, dass wir vor verschlossener Türe stehen.“ Amüsiert drehte ich mich zu William, schürzte die Lippen und überkreuzte die Handkanten: „Falsch, aber nah dran.“ William zog verständnislos die Augen zusammen. Ich griff in meine Manteltasche und zog den alten Schlüssel heraus. Ich hielt ihn hoch: „Aber das, ahehehehe.“ „Du...“, William musterte den Schlüssel fast fassungslos: „Du hast den Schlüssel?!“ „Dann ist es ja kein Wunder, dass niemand mehr das alte Archiv benutzt hat und es vergessen wurde“, sagte Ronald: „Wenn keiner rein kommt.“ „Es gab mal 10 Schlüssel“, antworte ich: „Ahehehehe! Und ich hab nur einen.“ „Wo sind dann die anderen Neun?“, fragte Grell verwirrt. Ich zuckte amüsiert mit den Schultern: „Was weiß ich denn?“ Dann steckte ich den Schlüssel in das alte Schloss. Es klackte laut, als sich die Türe nach vielen Jahren das erste Mal wieder entriegelte. Ich tippte, dass sie seit meinem Weggang nicht mehr geöffnet worden war. Melodramatisch stieß ich die Flügel auseinander: „Willkommen in der Vergangenheit. Aehehehehehe!“ Der Raum vor uns war stockdunkel. Der Lichtkegel, der aus dem Flur in den großen Raum sickerte, erhellte nur einen schmalen Streifen, doch konnte man einige alte Schränke erahnen. Wir traten ein. William wirkte skeptisch, Grell und Ronald fast ehrfürchtig, während ich im Schlendergang den Raum betrat. Ronald tastete die Wand neben der Türe ab: „Ich find' keinen Lichtschalter!“ Ich lachte schrill und schnippte mit den Fingern. Wie auf Kommando entzündeten sich einige große, alte, gusseiserne Kronleuchter an der Decke, gefolgt von dreiarmigen Kerzenständern, die auf einigen kleinen Tischen mit alten Stühlen standen. Auch dieser Raum war mit etlichen Reihen von Bücherregalen zugestellt, zwischen denen, hier und da, die massiven Tische standen. Das alte Papier lag schwer in der Luft und sein Geruch mischte sich mit dem Bouquet von altem Staub. Ronald blinzelte perplex: „Okay... Krass!“ Grell stand der Mund offen: „Und hier sollen wir ein Buch finden? Das ist ja wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen!“ William wischte sich durchs Gesicht: „Nein... Wir suchen das Heu im Nadelhaufen...“ Williams Resignation schickte ein weiteres Lachen meinerseits durch das alte Archiv: „Awehehehehehe! So dramatisch ist es nun auch nicht. Hier ist alles alphabetisch sortiert. Zumindest war es das, als ich noch im Dienst war.“ „Was ja nur ein paar hundert Jahre her ist“, hüstelte Ronald. „Fu fu fu. In der Tat, aber da keiner den Schlüssel gefunden hat, bin ich guter Dinge, dass es noch zum größten Teil so ist.“ William ging zu den Regalen: „Dein Wort in Gottes Ohr, Undertaker. Vor-, oder Nachname?“ „Was denkst du?“, lachte ich. „Ich würde nicht fragen, wenn ich es wüsste!“ „Wie sortiert ihr denn die Bibliothek?“ „Nachname“, antwortet Grell. „Dann“, lachte ich: „Hat sich das nie geändert.“ William schüttelte genervt seufzend den Kopf: „Warum nicht gleich so? Schneider, richtig? Also S.“ Ich nickte langsam und die drei Shinigami gingen die Bücherregale ab. „Hier ist B!“, rief Ronald von irgendwo her. „Ich hab W!“, hallt Grells Stimme von der anderen Seite des Raums. William blieb stumm, aber ich hörte an seinen Schritten, dass er sich zwischen Ronald und Grell bewegte, gelotst von ihren Rufen. Ich kicherte in mich hinein, als ich mich zielstrebig dahin begab, wo ich und meine verstaubten Erinnerungen meinten, dass sich S befand. Irgendwie war ich beruhigt, als ich feststellte, dass ich bei T gelandet war. Um nicht mit der Nase am Bücherregal vorbei schaben zu müssen, um etwas zu erkennen, zückte ich meine silberne Brille und setzte sie auf die Nase, nachdem ich meinen Pony zur Seite gewischt hatte. Die Welt nun scharf sehend, ging ich zwei Regale weiter und fand S. Ich musste ein wenig suchen, denn irgendwie war die Ordnung doch ein bisschen durcheinander geraten. Doch nach einigen Minuten fand ich Ehens alte Notizbücher. Sie waren fein säuberlich mit Jahreszahlen versehen, sodass ich nicht lange nach dem Letzten suchen musste. Erfolgreich kicherte ich, sagte aber nichts und ließ Grell, William und Ronald, sich gegenseitig Sachen zurufend, weiter suchen, als ich mich auf einen alten Stuhl setzte, die Beine überschlug und das Büchlein öffnete. Das alte Papier raschelte trocken unter meinen Fingern und die verblasste Tinte erinnerte mich daran wie furchtbar alt ich war. Ich konzentrierte mich aufs Lesen. Solche Gedanken waren gerade einfach nicht förderlich und führten auch zu nichts. Da Ehen bei dieser Angelegenheit gestorben war, schlug ich das Buch hinten auf und wurde prompt fündig. Ich zog die Augen ein Stück zusammen um die blasse Schrift besser lesen zu können: »Getarnte Engel Jüngste Ereignisse haben mich dazu bewogen mich einem neu aufgetauchten Mysterium anzunehmen: Dem Auftauchen von Engeln, welche ihre Präsenz vollständig verbergen konnten. Dies ist nicht nur höchst interessant, es ist auch genauso problematisch und führte zu einigen unschönen Auseinandersetzungen zwischen Engeln und Grim Reapern, in welchen die Grim Reaper durch schlichtes Nichterkennen des Feindes meist unterlagen. Meine Recherchen führten mich auf einige Kriegsschauplätze der menschlichen Stämme, da sich dort das Aufeinandertreffen der Sensenmänner und den getarnten Engeln häufte.« Es folgte ein Verweis auf etliche Berichte und Forschungsbögen. Ein Hoch auf die Bürokratie! William war neben mir aufgetaucht, anscheinend nach langer Suche endlich auf den richtigen Buchstaben stoßend. Er sah mich an: „Du!” Ich kicherte: „Ich?” „Du hast es schon gefunden und sagst einfach nichts?” Ich gab mir gar nicht die Mühe mein Lachen zurück zu halten: „Awuwuwuwuwu! Ihr wart mit so viel Feuereifer dabei, es kam mir vor wie ein Sakrileg euch zu stören.“ Schritte hinter mir. Ich wandte den Kopf und erblickte einen angenervten Grell: „Ehrlich jetzt?“ Ronalds Kopf erschien hinter Grell: „Wir suchen wie verrückt und du hast es schon lange gefunden?!“ Ich wedelte mit dem Büchlein: „Freut euch nicht zu früh. Ehen verweist auf eine Mannigfaltigkeit auf Forschungsbögen und Berichten. Die Wahrheit steht irgendwo dort drin und selbst wenn wir sie finden ist es fraglich, wie weit sie uns helfen. Spannend, oder? Hehehehe.“ Grell blinzelte mich an: „Wie, es ist fraglich?“ „Ehen hat dieses Phänomen damals wohl bei Engeln beobachtet, nicht bei Dämonen.“ Ronalds Mund klappte auf: „Also machen wir das alles vielleicht umsonst?!“ Ich breitete die Hände aus: „Ich warnte schon in der Villa Phantomhive, dass es vielleicht nichts bringt. Deswegen dachte ich auch eigentlich ihr lasst mich hier alleine meine Zeit verschwenden.“ „Unmöglich“, entgegnete William streng: „Du bist ausgestiegen. Es ist gegen jede Regel, dich alleine durch die Bibliothek streifen zu lassen.“ „Und dann brauche ich gleich drei Aufpasser?“ William schaute von mir zu Grell und Ronald und wieder zurück: „Das hatten wir schon mal...“ „Ah!“, machte ich: „Wuwuwuwu! Stimmt! Die Campania.“ Grells Augen wurden zu Schlitzen: „Das werde ich dir nie verzeihen.“ „Na“, lächelte ich ihn an und zwinkerte mit dem rechten Auge: „Straf mich nicht mit so bösen Blicken.“ Grell faltete die Hände: „Ahhhh! Er hat mir zu gezwinkert!“, dann packte er Ronald am Kragen und schüttelte ihn kreischend: „Ron, er hat mir zugezwinkert!“ Ronald wackelte vor und zurück: „Ja, hat er! Lass mich los! Mir wird schwindelig!“ William legte die Hand über die Augen: „Können wir endlich diese Forschungsberichte suchen gehen?“ Irgendwie schaffte es William Grell aus seiner Euphorie zu befreien und nun wühlten wir uns zu viert durch etliche Tonnen Papier. Grell beschwerte sich 10-minütlich, was schnell für wiederholte Streitereien zwischen ihm und William führte. Obwohl diese Eskapaden uns die 3 Stunden, die wir die Papierberge durchwühlten die Ehen uns hinterlassen hatte, unaufhörlich begleiteten, behielt ich ein konstantes Grinsen in meinem Gesicht und blendete die Beiden einfach aus. Doch Ronald rief mich irgendwann aus dem weißen Rauschen, welches meine Ignoranz um mich herum aufgestellt hatte: „Ich hab was!“ Unsere Köpfe flogen herum: „Was?“, fragten William, Grell und ich im Chor. „Ehen schreibt hier über 'Fessles Stones'.“ „Fessellose Steine?“, Grell ging zu ihm und schaute dem jungen Reaper über die Schulter: „Was soll das denn sein?“ Ronald räusperte sich und begann vorzulesen: „'Im Gegenzug zu lebenden Wesen haben Gegenstände der unbelebten Natur keine Seele...' „ „Ja, ja“, unterbrach ihn der Rotschopf: „Das ist nichts Neues.“ „Lass mich doch zu Ende lesen! 'Dem Vorhandensein einer Seele muss ein Fühlen und Denken zu Grunde liegen, dessen Emotionen für gut trainierte, übernatürliche Wesen in Form einer Aura deutlich spür- und sichtbar werden. Die Erfassbarkeit der Aura unterliegt der Übung des Spürenden und der Gefühlsstärke des Besitzers. Deshalb spüren Menschen meist nur einen Anflug einer Aura, sollten die Emotionen ihres Gegenübers ein übersteigertes Ausmaß erreichen. Gegenstände der unbelebten Natur haben zwar keine Seele, doch sind sie nicht hohl, sondern von ihrer Existenz ebenso erfüllt wie jedes fühlende Wesen.' … Das... raff ich nicht.“ Ich kicherte: „Hihihihi. Armer, kleiner Ronald. Die Natur kennt viele Mittel und Wege Existenz zu erteilen. Die Existenz von Etwas, oder Jemandem, ist mit seiner Natur gleich zu setzen. Unsere Natur entspricht unserer Bestimmung. Es ist die Natur der Menschen und Grim Reaper eine Seele zu besitzen. Unsere Bestimmung ist es zu fühlen und zu denken. Auch bei Engeln und Dämonen ist es ähnlich, auch wenn sie es gerne mal von sich weisen. Die Natur eines Steins ist es halt, ein Stein zu sein. Seine Bestimmung ist es herum zu liegen und hart zu sein. Diese Bestimmung erfüllt ihn, wie uns unsere Seelen. Somit haben auch sie eine Präsenz, nur ist sie deutlich schwächer, für uns kaum wahrnehmbar. Verstanden?“ Ronald nickte langsam: „Ja... Ich glaub schon. Weiter im Text: 'Als ich die Schlachtfelder untersuchte entdeckte ich allerdings Steine, die ihrer Existenz entrückt wurden. Mir ist unklar wie, aber etwas hat ihre Natur ausgehöhlt und sie so zu 'Hüllen' ihrer selbst gemacht. Sie sind fessellos. Losgelöst von jeder Bestimmung und jedem Sinn. Solche Steine sind nur in der Nähe von Schauplätzen zu finden, an denen die Atmosphäre der Tragödien, die sich dort abgespielt haben, noch deutlich haftet, sich aber in der Nähe weitaus friedlicheren Örtlichkeiten befindet. Steine direkt an den Schauplätzen haben, im Gegenzug zu der Tragik des Ortes, ihr Selbst übernommen und sind somit nicht zu 'Hüllen' geworden. Dieses Phänomen bedarf weiterer Untersuchungen.'“, Ronald blätterte um und ich lehnte mein Gesicht in eine Hand: „' Zwischen dem Fund der 'Fessless Stones' und dem heutigen Datum liegen mehrere Jahrhunderte. In dieser Zeit war es um die Engel mit versteckten Präsenzen sehr ruhig geworden. Nun jedoch stieß ich abermals auf eine Gruppe Engel, deren Präsenz ich nicht erfassen konnte. Ich nutzte dieses Treffen für zwei mir wichtige Gedanken, die mir beim Fund der Steine gekommen waren: 1. Ich überprüfte, ob ihre Präsenz mit der der Umgebung verschmolzen oder gänzlich verschwunden war. 2. Ich untersuchte die Engel auf Artefakte aus Stein. Die Ergebnisse sind wie folgt: 1. Die Präsenz der Engel war ein blinder Fleck. Wenn man darauf achtete, stach das Fehlen ihrer Anwesenheit deutlich aus der Präsenz der Umgebung heraus. 2. Nahm ich jedem besiegtem Engel ein Steinmedaillon ab. Diese Medaillons sind untereinander vollkommen identisch. Sie wurden für weitere Untersuchungen in der Asservatenkammer eingelagert.' “ Ronald blätterte wieder um und atmete tief durch: „So langsam bekomme ich einen trockenen Mund davon... 'Die Untersuchung der Medaillons und der zu Kontrollzwecken mitgenommenen 'Fessless Stones' ergab, dass sie in ihrem Sein identisch sind. Das heißt, die Engel führten 'Hüllen' von Steinen mit sich. Eine darauf aufbauende Testreihe mit einigen Shingami- Anwärtern ergab, dass sobald die Probanden einen Stein in die Hand nahmen oder ein Medaillon anlegten, ihre Präsenz sofort verschluckt wurde.' “, diesmal stockte Ronald relativ geschockt, als er die Seite umgeschlagen hatte. Auch Grell blinzelte fassungslos auf das Blatt Papier. „Was habt ihr?“, fragte William verständnislos und scharf. „Und das gerade jetzt, wo es wichtig wird. Ahehehe.“ „Da steht noch: 'Meine Theorie scheint damit bestätigt:...' “, Ronald dreht das Blatt zu uns. Ein großer roter Klecks bedeckte das Papier: „Dann ist dort nur noch ein großer Fleck...“ „Das ist Blut“, nahm Grell das Papier und kratzte mit dem Fingernagel über die Verunreinigung: „Definitiv.“ „Nun“, begann ich: „Ehen wurde während der Forschungen umgebracht, wahrscheinlich genau da.“ William seufzte genervt und schob seine Brille höher auf die Nase: „Na herrlich. Das heißt also, wir werden nie erfahren was seine Theorie war.“ Ich kicherte: „Ich glaube, ich weiß es.“ William schaute mich an: „Hast du dich an was erinnert?“ Ich zog eine Schnute: „Wenn du das so sagst, klingst du, als hältst du mich für dement!“ William schwieg einen Moment zu lange, um mir noch widersprechen zu können: „Sag es doch einfach.“ Ich lachte: „Du hältst mich für dement!“ „Undertaker... Wir haben dafür keine Zeit. Wir sind jetzt fast 4 Stunden hier unten. Ich möchte heute Abend auch irgendwann mal nach Hause.“ „Warte“, kreischte Grell in einer erschrockenen Erkenntnis: „Du willst nicht wirklich, dass wir 4 Stunden nacharbeiten!“ William schaute ihn nur vielsagend an. Grell klappt der Kiefer auf und Ronalds Kopf fiel auf den Tisch: „Oh Scheiße...“ Ich konnte nicht anders, als die Beiden ungeniert auszulachen: „Ihr armen Tröpfe! Puhahahahahaha!“ Grell stellte einen Fuß auf den Tisch neben mich und beugte sich von oben in mein Gesicht: „Hör mal zu, du verrückter, alter Knacker! Das ist verdammt hart und alles deine Schuld! Deine! Deine! Deine!“ „Tihihihihihihihi! Ich habe euch zu nichts gezwungen! Ahahahahaha!“ „Grell Sutcliff!“, rief William schon fast erbost: „Fuß vom Mobiliar! Sofort! Dein Betragen kostet uns nur weiter wertvolle Zeit!“ Grell tat wie ihm geheißen und verschränkte die Arme: „Jetzt spuck's schon aus, du altersschwache Wachtel!“ Ich giggelte: „Erinnert ihr euch an meine 'Bizarre Dolls'?“ „Ja...“, seufzte Ronald, dessen Kopf immer noch auf dem Tisch lag: „Lebhaft...“ Ich lachte: „Tihihi! Sie waren wunderbar, oder?“ „So wunderbar wie geifernde und verwesende Abnormitäten halt sind, Undertaker“, seufzte William hinter mir: „Warum quälst du uns schon wieder mit dem Gedanken an deine verkorksten Experimente?“ „Die waren nicht verkorkst! Sie waren in ihrer Unvollkommenheit so wunderbar perfekt! Du weißt das einfach nicht zu würdigen.“ „Undertaker, komm auf den Punkt!“ Ich verschränkte die Arme: „So schon mal gar nicht.“ Grell haute die Hand vors Gesicht: „Ja Will, aber mein Betragen kostet uns Zeit...“ Kurz bekämpften sich William und Grell gegenseitig mit verbalen Bissigkeiten, wer von ihnen jetzt mehr dafür verantwortlich war, dass ich schmollte. Ich musste mir das Lachen wirklich verkneifen. Sobald ich auch nur kicherte, hätten die Sensenmänner bezahlt und ich musste reden. Allerdings wollte ich ihre Hilflosigkeit noch ein paar Momente genießen. Ronald nahm den Kopf vom Tisch: „Undertaker?“ Ich drehte den Kopf zu ihm, auf dem zwar ein amüsiertes Lächeln lag, aber dem noch kein Lachen entflohen war: „Hm?“ „Wie wäre es mit was zu lachen?“ „Oh ja“, erwartungsvoll faltete ich die Hände: „Liebend gerne.“ „Redest du dann weiter?“ „Aber natürlich, lieber Ronald! Wenn du gut bist.“ „Hey Grell!“ Grell unterbrach seine Hassrede und schaute zu dem Jüngling: „WAS?!“ „Wie macht die Kuh?“ „Was?“ „Wie macht die Kuh?“ „Was willst du von mir verdammt?!“, rief Grell augenscheinlich reichlich desillusioniert. Ronald seufzte: „Sag mir einfach was für einen Laut eine Kuh macht.“ „Das solltest selbst du wissen, Sutcliff“, entgegnete William bissig. „Du kleiner...“, grummelte Grell und verschluckte die letzte Hälfte des Satzes, als er sich wieder zu Ronald drehte: „Muh!“ „Und was trinkt die Kuh?“ „Milch!“ Ronald lachte: „Du bist durchgefallen! Eine Kuh trinkt Wasser! Das war ein Idiotentest. Grell Sutcliff! Du bist offiziell ein Idiot!“ Grell starrte Ronald mit einer Mischung aus Verachtung und Unglauben an: „Das ist nicht dein Ernst! Willst du mich eigentlich komplett verarschen, du kleiner Grünschnabel! Ich glaube ich fall' vom Glauben ab! Was soll das denn für ein Test sein?! Das war strunz dumm und grottendämlich du verdammter, kleiner Scheißer!“ Grells Gesicht und Betragen setzte dem Ganzen die Krone auf und ich konnte mein Lachen nicht mehr im Zaun halten. Ich erging mich in einigen Minuten hemmungslosem Gelächter. Schwer atmend zog ich die Brille ab und wischte mir durch die Augen: „Fu fu fu. Herrlich Ronald! Vorzüglich! Nun gut. Ich rede.“ „Dann los“, brummelte William. Ich drehte mich um: „Fängst du schon wieder an?“ „Zur Hölle, nein! Rede! Bitte!“ Ein weiteres Lachen folgte: „Tihihihi, fein. Meine Dolls haben damals Menschen angefallen, wisst ihr noch warum?“ „Weil sie selbst keine Seele hatten, aber eine haben wollten“, stöhne Grell: „Das war über alle Maßen abartig!“ „Noch ein Banause, der Schönheit einfach nicht erkennen kann.“ „Schönheit?! Rote Rosen sind schön! Der blutrote Sonnenuntergang ist schön! Ein herrlich roter Lippenstift auf prallen Lippen ist schön! Diese Dolls?! Die waren definitiv NICHT schön!“ Meiner Kehle entfuhr eine Mischung aus Seufzen und Lachen: „Ihr seid alle so unbelehrbar.“ „Undertaker. Ich hab dich bezahlt und Grell hat geantwortet. Jetzt erzähle“, sagte Ronald mit einem Beten im Gesicht. „Gut, gut, gut. Sie wollten eine Seele, weil es ihre Bestimmung ist, eine zu haben. Auch Steine haben Bestimmungen, diese Steine hatten ihre allerdings ebenfalls verloren. Also?“ William lehnte sich gegen ein Regal: „Verschlingen sie die Aura ihrer Träger, in dem Versuch ihre Bestimmung zu adoptieren, so wie deine Dolls Menschen gerissen haben, um ihre Seelen zu übernehmen.“ Ich zeigte mit meinen Zeigefinger auf William: „100 Punkte, Mister Spears.“ „Hättest du dir nicht denken können, dass die Dolls so reagieren, wenn du über Bestimmung und Natur so viel weißt?“, fragte Ronald. Ich giggelte wieder: „Nun, auf den Gedanken hätte ich kommen können, hätte ich Ehrens Aufzeichnungen je gelesen. Habe ich aber nicht. Ich habe das Rad in dem Fall ebenfalls zum zweiten Mal erfunden. Ich weiß, dass alles angefüllt von einer Bestimmung ist, doch ich weiß erst seit den Dolls, dass sie alles dafür tun um wieder eine zu erlangen.“ „Ist ja auch egal“, würgte uns William ab: „Unterrichtest du den Earl? Wir müssen wirklich langsam an die Arbeit.“ „Aber natürlich“, lachte ich. Wir verließen das Archiv, nachdem wir unter Williams strengen Blick alles wieder einsortiert hatten und ich überließ die Reaper, giggelnd, ihren wohlverdienten Überstunden. Ich trat durch das Portal und landete in der Villa Phantomhive. Einige Mägde begrüßten mich, als ich durch die langen Flure schlenderte, auf dem Weg zu Alexanders Arbeitszimmer. Ich klopfte: „Herein!“ Als ich eintrat sah ich Alexander über einem Stapel Papier und Sebastian, der ihm Tee in eine Tasse goss. „Undertaker? Warst du schon bei den Shinigamis?“, fragte der Earl. Ich kicherte: „Ahihihi, freilich.“ Alexander zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibstich: „Und?“ Ich setzte mich: „Du kennst den Preis, Earl.“ Alexander seufzte: „Was ist klein, braun und riecht nach Karamell?...“ Mein Mund verzog sich schon zu einem Lächeln: „Ich weiß nicht.“ Der Earl stützte seinen Kopf auf eine Hand, sichtlich unangetan von dem, was er antworten musste: „Ein Zuckerkranker, der vom Blitz getroffen wurde...." Ein Lachen folgte auf ein Prusten. Viel besser als der Witz war Alexanders sichtliches Widerstreben ihn zu erzählen. Sein Schaden war mein Pläsier. Es dauerte wie immer einige Minuten, bis mein Lachen abgeschwollen war. Sebastian und Alexander warfen sich einen Blick zu, seufzten synchron und schaute mich erwartungsvoll an: „Und?“ Ich erklärte den Beiden ausführlich, was wir in dem Archiv der Shinigamis herausgefunden hatten. „Und du denkst Claude und Oliver haben einige dieser Steine?“, fragte Alexander. „Nun“, antwortete ich: „Ehen hatte herausgefunden, dass auch die Präsenz von Sensenmännern verschluckt wird, also tippe ich, es funktioniert ebenfalls bei Menschen und Dämonen. Hehe.“ „Ein naheliegender Gedanke“, erwiderte Sebastian: „Nur woher sollten Oliver und Claude über diese Steine Bescheid wissen?“ Ich hob die Hände: „Die Frage des Tages.“ Alexander legte überlegend die Hand ans Kinn: „Nun. Wenn die Sensenmänner auf solche Engel getroffen sind, dann Dämonen vielleicht auch.“ Sebastian lachte künstlich: „Ich muss allerdings einwerfen, dass Dämonen nicht so einen peniblen Forscherdrang unterliegen wie die Grim Reaper. Sicherlich könnte es solche Konfrontationen gegeben haben, aber dann wären sie mündlich weitergetragen worden. Diese Aufzeichnungen waren sehr alt. Die Zeiten Abels sind einige Tausend Jahre her. Solange halten sich mündliche Überlieferungen höchstens als Legenden und mir ist keine solche bekannt.“ Ich kicherte wieder: „Tihihi. Ein guter Einwand, Butler. Doch vielleicht hörte Claude davon und hat in seinem Eifer dich zu vernichten geprüft, wie viel Feuer unter dem Rauch ist.“ „Das könnte sein“, antwortete Sebastian. Alex seufzte: „Das ist ja alles gut und schön, doch leider bringt uns das atok noch nicht weiter. Es scheint ja kein Weg gefunden worden zu sein, dieses Phänomen zu überbrücken.“ Ich zeigte mit meinem Zeigefinger auf den Earl: „So scheint es, so scheint es.“ „Vielleicht sollten wir uns diese 'Fessless Stones' anschauen“, warf Sebastian ein: „Wenn Experimente damit durchgeführt worden sind, werden die Shinigamis noch Exemplare haben.“ Ich legte wieder die Handkanten zusammen und bildete so ein Kreuz: „Nah dran, aber daneben.“ Sebastian musterte mich mit Argwohn, wohl erinnernd wann er diese Geste das erste Mal erblickt hatte: „Wieso?“ „Die Asservatenkammer der Shinigami ist vor etlichen Jahren mal abgebrannt. Alles wurde vollkommen zerstört und ein paar Steine wurden sicher als Schutt gewertet. Wenn sie noch irgendwo herumliegen, dann wäre es eine wahre Sisyfos Arbeit sie zu finden, aber tu dir keinen Zwang an, Dämon. Hehehehe.“ Sebastian seufzte: „Ich muss dankend ablehnen, Undertaker. Doch was nun?“ „Ist Charlie noch hier?“, fragte ich grinsend. „Ja“, antwortete Alexander: „Er macht sich gerade abreisefertig.“ „Dann werde ich ihn fragen, ob er noch einen Platz in seinem Gefährt übrig hat.“ „Wozu?“, fragte der Earl irritiert. „Nun, Ehen beschrieb wo man diese Steine findet. Die Wunden der Weltkriege sind noch lange nicht verheilt, vielleicht finden sich in der nähen einiger Kriegsschauplätze neuere Exemplare. Die Meisten liegen in Mitteleuropa. Es muss ein friedvoller Ort in der Nähe sein. Ich tippe die Steine entstehen an Orten, wo die gegensätzliche Schwingungen aufeinander prallen. Charlie hätte sicherlich einige Ideen.“ Alexander nickte langsam: „Das klingt logisch. Charlie ist sicherlich der richtige Ansprechpartner dafür.“ Ich erhob mich: „Dann ist es besiegelt. Ich werde also ein wenig verreisen, Earl. Vorausgesetzt ich bin entbehrlich.“ Alex nickte mit dem Kopf: „Diese Angelegenheit ist für uns alle die Dringlichste. Ich bin dir sehr dankbar, dass du dich freiwillig meldest.“ „Nun“, ich lachte: „Ahihihi! Meine Lust, nachts aus einer dunklen Ecke angefallen zu werden und von Claude einen auf den Deckel zu kriegen, ist arg gering. Ein kleines Kämpfchen mit alten Freunden ist zwar immer sehr interessant, aber ich bevorzuge sie fair.“ Der Earl rieb sich halb amüsiert durch ein Auge: „Ich bezweifle, dass du von Claude einfach so 'einen auf den Deckel kriegst'.“ Ich breitete die Hände aus: „Blind und gespürlos, Earl. Eine ungute Kombination. Ahehehehe.“ Auch ich glaubte, dass Claude schon viel Glück und mehr als einen schmutzigen Trick brauchte, um mich mit einem Schlag außer Gefecht zu setzen. Sobald ich die Möglichkeit bekam zurück zu schlagen, sollte der zweite dämonische Butler eine sehr gute Strategie haben, denn ich war kein leichter Gegner. Trotz allem war ich einfach nicht gerne in der strategisch unterlegenden Position. Des Weiteren bin ich mir sehr wohl bewusst, dass es für die Anderen nicht zwingend ähnlich simpel war. Alex und Heph waren durch Sebastian sicher. Doch Fred und Amy? Lee, Charlie und Frank? Die kleine Sky?: 'Die kleiner Sky...' Sie war ja schon unter die Räder gekommen. „Nun denn, bis bald Earl. Butler.“ „Wie lange denkst du bist du unterwegs?“, fragte der Earl noch einmal. „Ein paar Tage“, warf ich zurück: „Ich beeile mich.“ Dann ging ich zur Tür. Die Hand an der Klinke drehte ich mich noch einmal um: „Wie geht es eigentlich unserem kleinen Unglücksraben?“ „Sky?“, fragte Alexander: „Sie schläft. Es geht ihr den Umständen entsprechend. Sie hat relativ hohes Fieber.“ „Armes, kleines Ding“, lächelte ich. Dieses Lächeln wirkte wie jedes andere, doch ich merkte einen kleinen Stich: „So. Ich entschuldige mich. Bis zum nächsten Mal.“ Auf der Suche nach Charlie lief ich Amy über den Weg. „Undertaker!“, umarmte sie mich zu Begrüßung: „Was tust du hier?“ Ich lachte: „Hihihi. Ich war bei deinem Vater. Wir haben ein paar Anhaltspunkte wegen den Trancys.“ Amy klatschte in die Hände: „Perfekt! Gibt es einen Plan?“ Ich nickte grinsend: „In der Tat. Ich verreise ein paar Tage mit Charlie.“ „Warum?“ „Das ist alles sehr kompliziert. Wie geht es deiner Freundin?“ Amy seufzte geplagt von einem schlechten Gewissen: „Sie hat hohes Fieber, aber Sebastian sagt sie kommt wieder in Ordnung.“ „Wenn Sebastian sich sicher ist, kann man sich darauf verlassen. Wo ist sie?“ Amy zog fragend eine Augenbraue hoch: „In einem der Gästezimmer. Westflügel, 3 Stock, 7te Tür. Wieso?“ „Interesse“, grinste ich. Tatsächlich wollte sich etwas in mir selbst vergewissern, dass das zerbrechliche Ding in Ordnung war: „Und wo ist Charlie?“ „Eingangshalle.“ „Gut. Die Zeit drängt mich, liebste Amy. Pass gut auf dich auf, ja? Geh nachts am besten nicht hinaus.“ Amy nickte: „Papa hat mir schon etliche Sicherheitsmaßnahmen auferlegt. Er wollte sogar Sebastian mit uns schicken, doch ich denke er sollte hier bleiben. Oliver will Papas Titel. Er wäre das naheliegendste Ziel, nicht wir.“ Ich nickte langsam: „Ich hoffe, ihr habt Recht damit. Nun Amy. Mach es gut. Wir sehen uns.“ Eine Umarmung zum Abschied: „Pass du auch auf dich auf“, sagte die kleine Phantomhive. „Aber sicher.“ Dann führte mich mein Weg zu Charlie, allerdings über einen Umweg durch den Westflügel des Manors. Das Zimmer der kleinen Sky war ruhig und dunkel. Das brünette, dünne Ding lag in dem großen Bett und schlief nicht allzu friedlich. Aus meiner Position, in der Tür, sah ich ihren Kopf herum zucken. Mit lautlosen Schritten ging ich zu dem Bett und beugte mich hinunter. Das junge Ding schwitzte und murmelte leise etwas vor sich hin: „…. Bitte... tu ihr nicht weh... bitte... nicht...“ Mein Lächeln wischte bei diesem Anblick aus meinem Gesicht und etwas lag schwer auf meinem Herzen. „Armes, kleines, junges Ding“, wischte ich ihr bedächtig einige feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ihre Haare waren so weich wie frischer Schnee und glänzten in dem wenigen Licht wie glatte Seide: „Was ist das für ein Gift in deinem Kopf, liebe Sky?“ Der Kopf des Mädchens zuckte zur Seite: „... Aufhören... bitte...“ Ich legte meine Hand an ihre Wange. Ich spürte ihr Fieber durch meine kalten Finger kriechen: „Schhhh“, machte ich beruhigend: „Alles ist gut, kleine Sky.“ Zu meiner Verwunderung entspannte sich das Gesicht des jungen Mädchens ein wenig unter meiner Hand: „Du bist hier in Sicherheit.“ Das Mädchen lag in ihrem Bett, blass und schwitzend. Dieser Anblick schickte eine Art von Ärger durch mich hindurch. Wut auf Claude und Oliver, wegen denen sie hier nun fiebernd lag. Gott sei Dank. Die Alternative wäre schrecklich gewesen. Und Wut auf das, was das Mädchen dazu brachte sich im Schlaf hin und her zu werfen. Die junge Sky wirkte wie eine reine, weiße Blume, gesät auf verdorbenem Grund. Ich verblieb ein bisschen an ihrem Bett. Ich konnte das Mädchen nicht einfach so gepeinigt ihren schlechten Träumen überlassen und strich mit meinem Daumen über ihre hitzige Wange. Irgendwann lag sie ruhig in ihrem Bett. Kein Zucken, kein Murmeln mehr. Ich lächelte wieder: „Schlaf gut, kleine Skyler. Wir werden uns wiedersehen.“ Mit diesem Versprechen verließ ich das Zimmer auf leisen Sohlen und begab mich endgültig zu Charlie. Der blonde Deutsche stand mit Frank und einigen Koffern in der Eingangshalle. Ich unterbrach ihr Gespräch mit meinem Erscheinen. „Undertaker“, fragte Frank verwirrt: „Was möchtest du?“ „Ihr reist zusammen ab?“, fragte ich giggelnd. „Nein“, antworte Frank gewohnt knapp: „Charlie fährt nach Hause. Ich bleibe aufgrund der jüngsten Ereignisse noch ein paar Tage.“ „Oh wie praktisch“, verschränkte ich die Fingerkuppen: „Dann hast du sicher noch einen Platz frei, Charlie, oder?“ Charlie nickte etwas irritiert: „Ja, wieso?“ Kurz erläuterte ich den Plan, den ich mit dem Earl ausgearbeitet hatte. Charlie kratzte sich am Hals: „Das klingt soweit logisch. Ein Schlachtfeld an einem friedlichen Ort... hm... öhm.. Mława!“ „Mława?“, fragte ich kichernd: „Ahihihi, erleuchte mich.“ „Das ist eine Stadt nordwestlich von Warschau. Dort war eine ziemlich üble Schlacht zu Beginn des zweiten Weltkrieges. Hunderte Opfer, Militär wie Zivilisten, doch die Stadt an sich ist mittlerweile recht friedlich.“ Ich schlug die Hände zusammen: „Vorzüglich!“ Ich blieb zwei Tage in Polen. Mit Charlie an der Hand war reisen eine angenehme und unkomplizierte Angelegenheit. Claus hat seinen unsteten Reisedrang eins zu eins vererbt, stellte ich ein weiteres Mal fest. Charlie genoss es zu reisen, doch noch mehr genoss er es dabei Gesellschaft zu haben. Selbst wenn ich diese Gesellschaft war. An dem Schlachtfeld bei Mława wurde ich tatsächlich fündig. Es war ein atemberaubendes Phänomen. Diese Steine waren wirklich wie von Ehen beschrieben: Präsenzlos, hohl, von Sinn und Berechtigung verlassen. Die Rückreise nach London beschritt ich allein, von Charlie aufs Genauste instruiert. Der blonde Mann reiste zwar gerne, wollte aber auch mal wieder zu Hause bei seiner Familie sein und verabschiedete mich in Hamburg, wo ich per Zug nach Calais in Frankreich fuhr. Angekommen waren wir mit dem Flugzeug, doch zurück reiste ich lieber per Zug und Fähre. Flugzeuge waren mir suspekt. Hätte ich fliegen sollen, wären mir Flügel gewachsen, was nichts daran änderte, dass es immer mal wieder eine Erfahrung wert und die großen Maschinen erstaunlich interessant waren. Doch alleine bevorzugte ich Transportmittel, die nicht vom Himmel fallen konnten. Von Calais ging es mit der Fähre nach Dover. Ich genoss die Schiffsfahrt. Ich mochte die salzige Luft und das beruhigende Schunkeln. In Dover angekommen fuhr ich zurück nach London. In meinem Laden angekommen, hatte ich das Gefühl eine kleine Weltreise hinter mir zu haben. Nachdem ich mir eine Kanne New Moon Drop aufgesetzt hatte und begonnen hatte einen Becher davon zu trinken, nahm ich den Hörer meines, wie Amy und Fred es immer beschrieben, antiquierten Telefons und klingelte bei Alexander durch. Die beiden Teens scherzten immer, dass es wenigstens beruhigend war, dass dieses Telefon keine Wählscheibe mehr hatte, doch ich fand die Wählscheibe hatte ihren ganz eigenen Charme, aber Alexander hatte mich irgendwann in den 80ern gezwungen es zu ersetzen. Es war schon irgendwo spannend und amüsant wie einfach Konversation geworden war: Man drückte ein paar Tasten und die Stimme desjenigen, den man sprechen wollte, surrte einem durch einen kleinen Hörer ins Ohr. Fantastisch! Ich erzählte Alexander, dass ich fündig geworden war und mich mit den kleinen Steinen beschäftigen würde. Dann erfragte ich, ob es noch einmal zu Auseinandersetzungen mit Claude und Oliver gekommen war, doch Alexander verneinte zu meiner Beruhigung. Er erzählte darüber hinaus, dass er Amber und Skyler morgen wieder zurück auf den Campus schicken würde. Es ging dem zerbrechlichen Ding wohl wieder besser, auch wenn sie noch nicht 100% auf den Beinen war. Es war spät, doch trotz allem befasste ich mich schon einmal mit den Steinen, zu denen mich meine kleine Reise geführt hatte. Man konnte förmlich spüren, wie die Steine die Präsenz ihrer Umgebung begierig aufsaugten. Gierig, maßlos. Irgendwann sickerten die ersten blassen Sonnenstrahlen durch eins meiner Fenster und ich verstaute die Steine in einer kleinen Schachtel und dann in mein Regal. Leider war ich nicht wirklich schlauer geworden. Ich hatte noch keine Idee, wie man den Steinen entgegen wirken konnte. Vielleicht gab es auch einfach keinen Weg, außer sie Claude und Oliver abzunehmen. Ich legte mich in einen Sarg und schloss noch ein wenig die Augen, bis irgendwann mein Telefon klingelte und mich die Arbeit weckte. Der Tag war geschäftig gewesen, auch wenn ich nicht viele Kunden oder Gäste zu betreuen hatte. Allerdings bekam ich Besuch von einigen jungen Männern von den 'Tottenham Mandem', einer gut organisierten Straßengang Londons, die öfter vor meiner Türe standen. Sie hatten drei ihrer Kameraden dabei und mir wurde klar worum es ging: Drei Beerdigungen, ohne, dass Scotland Yard Wind davon bekam. Diese Jungs ließen keine Abscheulichkeiten aus. Dem Earl waren sie schon lange ein Dorn im Auge und Lee hatte ein wachsames Auge auf die Gang, weil sie ihre Finger in einige, nennen wir es unkonventionelle, Geschäftsmodellen steckten. Doch ich war der Totengräber zu dem man ging, wenn man wollte, dass die Verblichenen keine neugierigen Blicke haschten. Dachten sie. Doch je nachdem, welche Geschichte mir meine neuen Gäste erzählen, würden sie vielleicht bald Besuch von zwei großen, dunkelhaarigen Männern bekommen. Dieser Gedanke brachte mich zum Kichern und mein ganzes Betragen schien die 'hartgesottenen Gangster' mit ihrem furchtbaren Straßenslang und dem unmögliche Benehmen zu verstören. Das amüsierte mich noch mehr. Doch die Jungen hatten keine guten Witze für mich. Sie waren einfach furchtbare Flachpfeifen, denen ich nicht ansatzweise Sympathie abgewinnen konnte. Als ich meine drei neuen Gäste in das Kühlzellen gelegt hatte, drückten mir die restlichen 6 Schwachmaten ein Bündel ihres dreckigen Geldes in die Hand und verschwanden aus meinem Laden. Ich war mir des Weiteren sicher, dass die 6 das nächste Mal andere zu mir schicken würden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie hatten mein Verhalten nicht so gut verkraftet. Schade, ich fand verstörtes Verhalten eigentlich ziemlich unterhaltsam. Das Geld warf ich achtlos in eine der Schubladen. Ich machte mir immer noch nichts aus dem Geld der Queen oder der Queen an sich, doch ich musste einsehen, dass ich Geld zum Leben brauchte. Allerdings werde ich nie verstehen, wie es vielen Menschen so unglaublich wichtig werden konnte. Breit grinsend zog ich Einen wieder aus der Kühlzelle. Auf der Edelstahlbahre lag ein junger Mann. Ein Teenager. Er hatte diese Ausstrahlung, als sei er sich bewusst gewesen, dass er viele schlimme Dinge in seinem kurzen Leben getan hatte. Wenig später lag der Junge mit der schuldbewussten Ausstrahlung auf einem meiner Seziertische. Er war noch warm, nicht steif, nur blass. Ein Skalpell in der Hand machte ich mich an die Arbeit. Mal schauen, ob die jungen Männer Informationen hatten, nach denen sich Alexander die Finger lecken könnte. So verging mein Tag. Gegen 16 Uhr hatte ich die drei Jungen einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Sie waren alle erschossen worden. Ihre Organe waren ausgemergelt von den vielen verschiedenen Giften, Drogen, die sich die jungen Männer über Jahre angetan haben mussten. Ich hinterließ Alexander eine Nachricht auf seiner Mailbox - der Earl schien ausgeflogen zu sein - dass er die Tage mal überlegen sollte, ob ein Besuch bei mir nicht förderlich sei. Dann entschied ich mich zu einer kleinen Kunstpause. Ich legte mich in meinen Sarg und schloss ein wenig meine Augen. Ich hatte ein bisschen gedöst, da weckte mich das Knarzen meiner Türe. „Hallo? Ist jemand da?“, hörte ich eine helle, junge Stimme. Sie kratzte und wirkte heiser verzehrt, doch kam sie mir bekannt vor. Ich hörte Schritte durch meinen Laden hallen. „Ähm... Under...?!“, das Knallen der Türe unterbrach die junge Stimme. Einen Moment war Stille, dann hörte ich wieder Schritte. Sie waren leise, doch führten direkt an dem Sarg entlang, in dem ich meine Mittagspause verbringen wollte. Ich öffnete ihn einen Spalt breit und sah einen Teil des schlanken Körpers. Ich erkannte ihn. Definitiv, es war die kleine Skyler. Ich packte ihr Handgelenk und hinderte sie so daran, den Laden wieder zu verlassen. Ich merkte wie die junge Frau aufgrund meiner Berührung einfror. Sie stand einige Minuten da und bewegte sich nicht. Ich konnte ihre Gedanken förmlich rasen hören und verkniff mir das Kichern, welches schon warm in meiner Magengrube gluckerte. Da ich so damit beschäftigt damit war nicht laut los zulachen, überraschte mich der Ruck an meinem Arm. „Lass mich los!“, kreischte das Mädchen. „WA!“, entfloh es mir, als ich aus meinem Sarg polterte. Der Deckel ging krachend zu Boden und ich sah eine Sky, die schrie und ihre weit aufgerissenen Augen standen panisch in dem vor Schreck gebleichten Gesicht, bevor ich endgültig nach vorne kippte und das junge Ding mit mir riss. Einer der Särge stoppte unseren Fall. Ganz fangen konnte ich mich nicht, also lag ich auf den Sarg, unter mir der warme Körper der jungen Frau. Er bewegte sich nicht. Ich spürte ihr wild wummerndes Herz gegen meinen Körper rasen und sie atmete schwer vor Schreck. Vielleicht hatte ich es ein wenig übertrieben, doch dieser Gedanke hielt mich nicht vom Lachen ab: „Ihr habt eine beachtliche Kraft für eine so zierliche Dame, Lady Rosewell. Ahehehehehe!“ Ich stützte mich auf. Mir schauten zwei irritiert blinzelnde, himmelblaue Augen entgegen, die anscheinend noch überlegten, ob sie richtig sahen: „Undertaker!“ „Erraten“, grinste ich: „Was kann ein bescheidener Bestatter für euch tun, Lady Rosewell?“ “Ähm...“, bekam ich aus einem hochroten, schmalen Gesicht zurück. Dem Mädchen schien die Situation reichlich unangenehm zu sein, doch ich hatte noch niemanden erlebt, dem die Schamesröte so ins Gesicht stieg, sobald sie mich ansahen. Auf Ambers Ball war es dasselbe gewesen, nur waren ihre Wangen dort nicht so dunkel geworden. Sicher waren sie wieder so herrlich warm. Dieser Gesichtsausdruck amüsierte und interessierte mich zu gleichen Teilen: „Hihihihi, ja?“ Sie musste sich noch ein paar Augenblicke fangen, dann hob sie ihren Zeigefinger und schob meine Stirn weg. Knuffig. Ich musste erneut lachen. „Was soll das?!“, fragte sie pikiert. Ich zog meine Mundwinkel halbherzig, entgegen meiner inneren Belustigung, nach unten: „Ich hab Mittagspause gemacht und dann kamt ihr.“ „Ähm...“, das Mädchen schaute peinlich berührt nach unten: „Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören... Mister... Undertaker...“ ihre Augen wanderten kurz beschämt zur Seite, dann schaute sie mich wieder an: „Ähm... Aber das gibt euch noch nicht das Recht mich so zu erschrecken!“ Ihre Stimme wirkte so, als wollte sie erbost klingen, schaffte es aber nicht. 'Knuffig', schoss es mir ein weiteres Mal durch den Kopf und ich lachte, als ich mich aufrichtete. Ihr Blick wanderte kurz durch meinen Verkaufsraum und blieb an meiner Garderobe hängen. Eine Erkenntnis blitzte in ihren Augen auf. Ich konnte nicht aufhören zu lachen, als ich das Gesicht der jungen Frau Revue passieren ließ und zeigte mit einem Zeigefinger auf sie: „Ihr hättet euer Gesicht sehen sollen, hehe“, dann öffnete ich die Hand und streckte sie ihr entgegen. Das Mädchen hing, nach hinten überdehnt, entgegen der natürlichen Ausrichtung ihrer Wirbelsäule, auf dem Sarg hinter ihr und sah desillusioniert drein. Mein Grinsen wurden breiter: „Lasst mich euch helfen. So wie ihr da hängt, kann das für den Rücken nicht gesund sein.“ Zögerlich griff sie meine Hand und ich zog sie hoch. Sie kippt nach vorne, konnte sich nicht fangen und drohte hinzufallen. Also hielt ich sie an der rechten Hand und hatte die andere um ihre Taille geschlungen, um sie aufrecht zu halten. Sie blinzelte mich an, mit ihrem entzückenden roten Gesicht. Warum es wohl so rot war? Doch es war auf seine ganz eigene Art und Weise bezaubernd und etwas Warmes kroch in meine Magengegend. Das Grinsen wurde, aufgrund des warmen Gefühls, durch ein Lächeln ersetzt. „Und bitte“, lächelte ich ihr entgegen, als sie immer noch so herrlich perplex schaute: „Undertaker und du, Mylady.“ „O-ok“, stammelte sie und räusperte sich: „Und... und ich bin Sky... und du... auch...“ Ich erkannte, dass ihr Gesicht unter den roten Wangen kränklich weiß wurde und zog eine Augenbraue hoch: „Geht es dir gut?“ Sie schüttelte angestrengt den Kopf, bevor sie sich wegdrehte und angestrengt hustete. Ich spürte wie ihr Gewicht in meinen Armen schwerer wurde, als versagten ihr die Knie ihren Dienst. 'Sie gefällt mir nicht. Sie scheint noch nicht gesund zu sein...', erkannte ich und ließ sie los, um meinen Griff neu zu justieren und sie von den Füßen zu heben. Ich setzte sie auf einen der Särge und tippte ihr auf die Nase: „Nicht weg laufen.“ Mein Weg führte mich in die Küche. Das junge Ding könnte definitiv einen Tee vertragen. Warum war sie hier, wenn sie noch nicht gesundet war? Komisch. Sehr, sehr komisch. Nachdem ich die Teebeutel in zwei Messbecher gehängt hatte, stellte ich sie, meine Zuckerschale, die Urne mit den Keksen und Besteck auf ein Holztablett und ging wieder zurück zu der knuffigen Skyler. Sie saß da, wo ich sie zurückgelassen hatte und schaute auf den Boden. Ihre Finger nestelten an dem Saum ihres Ponchos. „Du hättest erst herkommen sollen, wenn du wieder vollständig hergestellt bist, Sky“, setzte ich mich auf einen Sarg ihr gegenüber, als ich ihr einen Teebecher hinstreckte. Unsere Knie berührten sich fast. Sie nahm den Tee mit einem dankbaren Ausdruck: „Ja... Ich dachte eigentlich es ginge mir wieder gut.“ Ihre helle Stimme kratzte ganz furchtbar. Wie konnte sie denken, sie sei genesen, wenn sie so heiser war? „Ich dachte du wärst nicht hier, wenn du nicht wieder Gesund wärst und dich so erschrecken würdest.“ Sie zog Augen und Augenbrauen zusammen: „Was dachtest du denn sonst was passiert, wenn du sowas machst?“ Ihre Verständnislosigkeit traf mich irgendwie. Dieses Gefühl überraschte mich: „Öhm... Das war eine Standardbegrüßung! Ich denke da eigentlich nicht mehr wirklich drüber nach... Und ja, ein bisschen erschrecken wollte ich dich schon“, ich zog ein breites Lächeln auf und bleckte die Zähne. Amy musste bei diesem Anblick immer lachen und ich wollte mich damit irgendwie bei ihr entschuldigen, sie so erschreckt zu haben. „Oh“, sie hatte wieder diesen rosernen Hauch im Gesicht: „Naja... So schlimm war es auch nicht...“ „Aber dein Gesicht“, obwohl es mir wirklich leid tat sie so erschreckt zu haben, kam ich nicht drum herum zu lachen, als mir ein weiteres Mal ihr Gesicht einfiel: „Hihihi! War zu köstlich! Zum Anbeißen!“ Prompt schaute sie mich mit großen Augen an, als ob sie dachte, ich falle sie gleich tatsächlich an und biss ein Stück aus ihr heraus. Sie schluckte ihren Tee, doch ihre Augen blinzelten mich an und ich sah, dass sie vor Schreck aufgehört hatte zu atmen: „Bildlich gesprochen.“ Sie atmete wieder durch, schaute aber immer noch etwas perplex. Herrlich! Ich warf mir Zucker in den Tee und grinste, als ich eine Schluck nahm: „Geht es denn?“ „Äh...“, stammelte sie wieder, irgendwie unbeholfen: „Ja, es geht schon.“ „Du bist so rot im Gesicht“, ich erinnerte mich unwillkürlich an ihr verschwitztes fiebriges Gesicht. Vielleicht hatte sie immer noch Temperatur. Prüfend legte ich meine Hand auf ihre Stirn: „Du hast doch kein Fieber, oder?“ Nach einem irritierten Moment zog sie ihren Kopf zurück: „Ich... ich glaube nicht!“ Doch ihr Gesicht ist wieder ein Stück dunkler geworden. Mein Lächeln wurde kleiner, als meine Sorge ums Skys Gesundheit größer wurde und ich die Hand sinken ließ: „Du gefällst mir gar nicht, Sky. Sag: Was möchtest du von mir, was nicht auf deine Genesung warten konnte?“ Sie umklammerte ihren Messbecher und schaute wieder auf den Boden: „Ich... wollte mich bedanken...“ „Wofür?“, fragte ich verwundert. Fürs Erschrecken sicherlich nicht. Ihre blauen Augen richteten sich wieder in mein Gesicht und hielten meinem Blick fest und bestimmt stand. Dieser überzeugte Ausdruck war atemberaubend! „Du hast mir das Leben gerettet!“, sprach die junge Frau überzeugt. Ich wedelte mit einer Hand: „Ach das. Nicht der Rede wert.“ „Bitte?! Ich wäre einer deiner Kunden, ohne dich!“ „Es war einfach noch nicht dein Tag.“ „Aber das macht es doch nicht weniger... ritterlich!“ Ich musste furchtbar anfangen zu lachen: „Ahehehehe! Ritterlich? Würdest du mich so beschreiben?“ 'Junges Ding, du hast keine Ahnung mit wem du sprichst', dachte ich für mich, als ich sie breit grinsend und erwartungsvoll anschaute. „Naja...“, machte sie und schien irgendwie in ihren Gedanken durcheinander. „Die Leute nennen mich verrückt. Sonderbar. Ein armer, armer Irrer, der die Gesellschaft der Toten denen der Lebenden vorzieht und dadurch den Verstand verloren hat. Als ritterlich hat mich wohl noch niemand bezeichnet. Ahehehehehe!“ „Das ist mir doch egal!“, wurde das Mädchen laut. Ich musste unter meinem Pony schon ein wenig erstaunt blinzeln, ungewahr dessen, dass eins meiner Augen sichtbar war. Doch sie schien es nicht zu bemerken: „Was schert es mich denn, was die anderen über dich denken? Ich hab meinen eigenen Kopf und kann mir ein eigenes Bild von Leuten machen. Auch von dir!“ „Du hast sehr viel Charakter Sky. Sag: Findest du mich denn gar nicht sonderbar?“ „Doch schon...“, pflichtete sie bei, schaute erst weg, doch dann wieder zurück zu mir: „Aber das muss ja nicht schlecht sein! Oder aussagen, du seiest ein schlechter Mensch...“ Ich legte einen Zeigefinger an die Lippen: „Was für ein Bild hast du von mir?“ Das interessierte mich dann doch brennend. Ritterlich. Irgendetwas hatte dieses Wort aus ihrem Mund in mir ausgelöst, ich konnte nur nicht sagen was. Etwas nicht zu verstehen ist ärgerlich, mich selbst nicht zu verstehen ist nervig und vielleicht bringen ja weitere Erklärungen Licht in das Dunkel. Außerdem war ihr Betragen so herrlich überfordert. Sie wirkte irgendwie schüchtern und beschämt. So jung und süß. „Üff... ääähm... Ich kenne dich nicht wirklich gut und...“, versuchte sie sich herauszureden. Doch so einfach wollte ich es ihr nicht machen:„Du hattest jetzt zumindest schon einen ersten, zweiten und dritten Eindruck.“ Ihr kränkliches Bleich wurde komplett von dem roten Schein eingenommen. Wäre es dunkler gewesen, ich fragte mich ob ihr Gesicht leuchten würde. In ihren Augen schien eine weitere Erkenntnis, die sie unangenehm getroffen zu haben scheint. Warum? Ich konnte es mir vorstellen und es belustigte mich umso mehr: „Gut. Machen wir einen Deal: Du sagst mir was du von mir denkst und dafür ... hmmm?“, ich wog den Kopf überlegend hin und her, als ich die Beine überschlug: „Hast du eine Wunsch bei mir frei! Was sagst du?“ Ich kicherte, als sie mich ein weiteres Mal perplex anschaute: „Nicht gut?“ Ihre Verwirrung blieb und ihre Worte schienen sie verlassen zu haben: „Zunge verschluckt?“ „Äh... Also... Ich wüsste nicht genau... Ich weiß nicht...“ Ich musste wieder lachte: „Du bist schüchtern, hm?“ Ich lugte ihr ins Gesicht, als sie weitere Minuten stumm blieb, um ihre Mimik genauer zu erkennen. Das Rot unterstrich ihren beschämten Ausdruck, der so wirkte als wüsste sie nicht, ob sie sich wohl oder unwohl fühlte. Ihre Zerrissenheit weckte weiteres Interesse in mir: Der Schreck vom Anfang: Normal, oft gesehen, bei so vielen doch immer wieder amüsant. Doch dass Menschen begannen, sich hier irgendwie wohl zu fühlen, das war neu: „Komm schon, hehe, ich bin neugierig! Es ist doch eine so kleine Bitte, für einen so großen Preis, oder?“ Sie legte überlegend den Kopf schief: „Großer Preis? Was könnte ich mir denn von dir wünschen?“ Ich zog meinem Kopf zurück, lachend. Das junge Ding hatte ja keine Ahnung. Doch ich musste grinsen, irgendwie aufgeregt, was sie sich von mir wünschen wollen würde: „Alles! Wunsch ist Wunsch. Bitte mich darum und ich tue es, aber nur wenn du jetzt sprichst.“ Sie kicherte und ich sah wie sich ihr schmaler, schöner Mund verzog. Zu einem ehrlichen Lächeln. Mir wurden die Augen weit, aufgrund dieses Anblicks und etwas in meinem Magen begann wie eine Kerze im Wind zu flackern und das erste Mal in meinem Leben... wusste ich nicht was ich dachte. Doch dann legte sie die Hand über dieses Lächeln. Über dieses kristallklare Lächeln! „Na, na, na! Nicht verstecken!“, nahm ich hastig ihre Hand von dem Gesicht. Seit dem Ball wollte ich einen Blick auf ihr ehrliches Lächeln erhaschen und nun wo ich davon kosten durfte, wollte ich mehr davon sehen. Doch sie blinzelte mich nur noch irritiert an, das Lächeln und das helle Kichern waren verschwunden: „Noa! Ich hab's verpasst!“ „Was?“ „Dein Lächeln“, grinste ich, um meine Enttäuschung zu kaschieren. „Mein...“, begann sie und schaute mir in die Augen. Dann schwieg sie. Ihr Blick huschte durch meine Augen. Ein paar Minuten schaute sie mich nur an und schien alles erfassen zu wollen, was in meinen Augen lag. Was lag darin? Vielleicht würde sie es mir irgendwann erzählen. „Öhm...“, machte sie und schaute weg. Ein weiteres Mal musste ich über ihr beschämtes Verhalten lachen: „Keine falsche Scham. Du hast den Blick einer Künstlerin, Sky. Ich finde es beeindruckend, wie du jedes Detail erfassen musst.“ Sie blinzelte mich an: „Woher..?“ „Naja... Ich sehe mit meinen Augen wie alle anderen auch, Ahehehehehe!“ Dann zog sie ihre Mundwinkel hoch, zu einem grässlich falschen Lächeln: „Es tut mir leid, aber außergewöhnliche Farben haben was fesselndes für mich.“ Noch nie hat mir ein Ausdruck in einem schönen Gesicht so widerstrebt. Er war scharf wie eine Glasscherbe, spitz wie ein Eispickel und falsch. So falsch, dass mir kein Vergleich einfiel. Ich lehnte mich nach hinten und verschränkte Arme und Beine, als ich sah wie dieses furchtbare Lächeln zur Seite kippte. „Hab ich etwas... falsch gemacht?“, schien das Mädchen nicht zu verstehen, was mir nicht gefiel. Dachte sie, es sieht normal aus? Natürlich? Oder amüsiert?: 'Weit gefehlt, liebe Sky.' Ich zeigte mit einem Zeigefinger auf sie: „Dieser scharfe Ausdruck. Da fangen ja Babys an zu weinen.“ Das Lächeln verschwand und ihr Mund blieb ein Stück offen stehen und ein Schmerz erschien urplötzlich in ihren Augen. Dieser Schmerz schickte auch ein ziehendes Surren durch meinen Geist. Das hatte ich nicht gewollt. Noch nie hatte jemand so auf meine, oft zu direkte, Ehrlichkeit reagiert. Wut, Empörung, ja, alles schon gesehen, aber Verletztheit? Es kam selten vor, aber aufgrund dieses Blickes fühlte ich mich unsagbar schlecht. Jetzt war ich derjenige, der verwirrt war. Ich streckte die Hand aus und drehte ihr Gesicht zu mir: „Was hast du?“ Sie schlug ihre herrlichen blauen Augen nieder und mied meinen Blick: „Ach nichts.“ Das war so offensichtlich gelogen, ich konnte es kaum fassen. Doch wirkte es nicht so, als habe sie mich aus schlechter Absicht angelogen hatte, eher als hätte sie durch irgendwas in ihr drin keine andere Möglichkeit. Ich hob ihren Kopf noch ein Stück und legte meine Stirn auf ihre. Das Mädchen wirkte so verloren, so alleine und so verletzlich. So unendlich zerbrechlich und ihre Augen waren immer so... unterschwellig trübe traurig. „Ich mag keine Lügen“, sprach ich ruhig und musterte ihre Augen gründlich: „Belüge mich nie wieder, ok?“ „O... ok...“, flüsterte sie heiser. Ich lachte und grinste, versuchte so die Atmosphäre etwas aufzulockern, lehnte mich wieder zurück und trank meinen Tee: „Gut. Was ist nun? Deal, oder nicht?“, wollte ich das Thema wechseln. „Was...“, sie schien erst nicht zu wissen, worauf ich mich bezog: „Ach so, ja... Das... Warum nicht. Wenn du unbedingt möchtest. Vorausgesetzt, ich darf mir meinen Wunsch aufheben.“ Ich lachte triumphierend: „Ahihihihi! Natürlich. Solange du willst.“ Sie lachte kurz mit und musterte dann denkend die Decke: „Also... ähm... Ich denke du bist... Ein ziemlicher Spinner, aber... die positive Variante davon.“ „Hihi. Der erste Teil ist bekannt, der Zweite neu.“ „Ehrlich?“ „Jup.“ „Des Weiteren“, sie kratzte sich an der Wange: „Glaube ich, dass du mit dir, deiner Welt und deiner Art zu leben vollkommen unbeirrbar und glücklich bist. Das ist schon ein bisschen beeindruckend.“ Mein Grinsen wurde breiter: 'Beeindruckend, ritterlich. Du hast wirklich keine Ahnung.' Sie kicherte wieder. Es war kurz, doch wieder so schön und ehrlich. Fast berauschend. „Und du bist gruselig!“, lachte sie: „Furchtbar, furchtbar gruselig! Absichtlich! Das ist furchtbar gemein! Du hast Spaß an den doofen Gesichtern, kann das sein?“ Ich warf meinen Kopf nach hinten und fing zu lachen. Skyler lachte tatsächlich mit. Sie hatte ein wunderbares Lachen, auch wenn es heiser war, aufgrund ihres, ich tippte, entzündeten Halses. Wir schauten uns immer wieder an, doch sie oder ich mussten beim Blick in das Gesicht des Anderen wieder anfangen zu lachen und steckten den Anderen wieder an. Sky japste und war sichtlich außer Atem. Es wirkte irgendwie, als sei sie beim Lachen aus der Übung. Wie geht das? Warum? Das ist doch tragisch. Ich lachte noch immer ein wenig: „So offensichtlich?“ „Oh ja“, antworte sie immer noch etwas atemlos: „Du bist total... Gruselwusel!“ Ich stockte. 'Gruselwusel?', dachte ich kurz: 'Ich bin Gruselwusel? Also gruselig und wuselig? Was ist das denn für ein Wort?!' Das Lachen platzte förmlich aus meinen angespannten Lippen und krachte durch meinen kleinen, heißgeliebten Laden: „Gruselwusel! Pahahahahaha! Ahehehehehehe! Ihihihihihihihihi! Was ein Wort! Ahahahahaha!“, ich schlang meine Arme um den Bauch, der unter meinem heftigen Lachen zu schmerzen begann und sich verspannte, fiel rücklings auf den Sarg. Ich hörte Sky kichern, dann lachen, doch ich konnte aufgrund der Lachtränen in meinen Augen nichts sehen. Meine Beine wackelten, damit ich die positive Spannung in meinem Körper irgendwie kompensieren konnte. „Puhuhuhuhu“, lag ich auf meinen Sarg und atmete durch. Ich war fast erstickt und mir war schwindelig, von dem leichten Sauerstoffmangel, der meinen ungezügelten Lachen geschuldet war. „Und du bist ein begnadeter Handwerker“, sprach Sky irgendwann ehrfürchtig und mein Kopf zuckte zu ihr. Sie räusperte sich: „Diese Särge sind wunderbar.“ Ich stand auf, grinsend: „Gefällt dir meine Arbeit?“ Sky nickte mir zu: „Ja, die sind wirklich schön.“ „Welcher gefällt dir am besten?“ Sie musterte meinen Laden, wieder mit dem Blick einer Künstlerin auf der Suche nach Perfektion. „Der!“, zeigte sie auf eins meiner neusten Modelle. „Vorzüglich, so etwas Ähnliches hatte ich mir für dich auch vorgestellt. Ein Kuppeltruhensarg. Amerikanischer Stil, mit gespaltenem Deckel. Schlicht wie schick“, ich streckte ihr die Hand hin, irgendwie geschmeichelt, dass dieser Blick etwas fand, was ihm zusagte. Sie beschaute kurz meine Hand und legte dann ihre hinein. Sie war so herrlich warm. Anders warm, als die der anderen Hände die ich je gegriffen hatte. Sachte zog ich sie auf die Füße und führte sie durch den Laden. Ich drehte sie, ich drehte mich und das Mädchen begann zu kichern und zu lachen. So hell, so herrlich. Ich musste mitmachen. Ich öffnete den Sarg: „Noileseide.“ Dann merkte ich, dass das junge Ding zitterte und ihren Becher ganz komisch umkrampfte. Nicht gut. Gar nicht gut. Die Kleine war alles andere als gesund. Wehmut lag schwer auf meinem Herz: 'Warum ist sie denn so kränklich hier her gekommen?' Sie beschaute trotz allem den Sarg fast ehrfürchtig: „Wow... Der Schneider muss ein Meister sein.“ „Danke, danke“, lachte ich. „Du machst alles? Innen, wie außen?“ Ich nickte grinsend: „Exakt. 100 % Handarbeit. Keine Maschinen, kein Schnick Schnack. Nur meine Hände, Holz, Lack und Stoff. Gut, ein paar Werkzeuge hab ich schon. Mit den Fingernägeln geht schnitzen und sägen so schlecht. Hihihi.“ Sie lächelte. So herrlich! „Der ist wirklich schön. Sind sie alle so aufwendig?“, fragte sie mit gebanntem Blick. Ich kicherte: „Für meine Gäste nur das Beste.“ Sie lächelte weiter: „Deine Passion für den Job ist wirklich unbeschreiblich.“ „Genau wie deine fürs Zeichnen“, lächelte ich zurück und fuhr mir durch die Haare um meinen Pony zu verbannen, der mir den Blick auf dieses engelsgleiche Lächeln verschleierte. Sie musterte mein Gesicht wieder mit diesem Blick. Ich mochte ihn bis ins Letzte. Sie erfasste jedes Detail, dessen war ich mir sicher. Ich fragte mich was sie darüber dachte. Ich wusste, dass - zum Beispiel Grell - von meinem Gesicht begeistert war, aber bitte... das hatte nur sehr wenig Aussagekraft. Ich öffnete den zweiten Teil des Deckels und nickte zu dem Sarg. Sie musterte mich mit großen Augen: „Ich soll...“ Ich nahm ihr lachend den Tee ab und stellte ihn zur Seite: „Hüpf rein.“ „Ehrlich?“ „Ja.“ „Wirklich?“ „Jaha.“ „Bist du sicher?“ Ich hob eine Augenbraue: 'Nuschle ich? Nein. Oh! Sie ist wirklich schüchtern, hihi!' „Ich meine ich hab Schuhe an, dann wird der Stoff doch ganz... AH!“ Ich beendete das Geplänkel, indem ich sie hoch hob: „Hey!“ Ich lächelte sie von oben an und wollte ihr das Gefühl geben, dass sie sich nicht schämen brauchte, nicht schüchtern sein musste: „Wenn ich ja sage, kannst du mir das glauben, ok?“ Die Röte kehrte auf ihre Wangen zurück: „Ok...“ Dann legte ich sie behutsam in den Sarg. Ich hatte immer das Gefühl ich könnte sie zerbrechen, wenn ich sie zu grob behandelte. Wie letztens in der Villa. Ich griff ihren Poncho, den sie die ganze Zeit nicht ausgezogen hatte: „Der wird nur stören.“ „Was?!“ Ich zog und hatte dann ihren Poncho in der Hand. Ihr dünner Körper war so schön und perfekt proportioniert. Ich habe schon viele schöne Frauen gesehen, aber sie? Sie war schöner, als all jene. „Was machst...“, wollte sie fragen, doch ich stoppte sie mit meinem Zeigefinger und schob sie in die Polster: „Nicht sprechen. Genießen.“ „Aber!“, fing sie wieder an, doch ich schloss einfach den Sarg und klickte die Verriegelung zu. Dann musste ich lachen, in Erinnerung an die letzte halbe Stunde. Ich band mir die Haare zurück, als ich mich damit befasste meine neuen Gäste einzubalsamieren. Ich hob ihr Blut auf und hing sie in einen Kühlschrank. Ich musste noch herausfinden, was genau die Jungen ihren Körpern alles zugemutet hatten. DONG!: „AUA!“ Mein Kopf zuckte herum und ich löschte das Licht im hinteren Teil des Ladens. Sky muss aufgewacht sein und sich dem Kopf am Sargdeckel gestoßen haben. Ich lachte: 'Was für ein verwirrtes, kleines Ding.' Es klickte und knarzte leise, als ich den Deckel entriegelte und aufklappte. Sky blinzelte mir verwirrt entgegen, hielt sich die Stirn. Sie muss mit Schwung gegen den Deckel gedonnert sein: „Nicht so stürmisch.“ „Es tut mir leid!“, rief sie mir entgegen. „Was? Dass du Eingeschlafen bist oder dass du dir selber eine Gehirnerschütterung verpasst hast?“ „Ähhhmmm... Ersteres“, machte sie kaum hörbar. Sie war wirklich noch hemmungslos erkältet. Ich lachte: „Das muss dir doch nicht leid tun. Es war schließlich Berechnung.“ „Bitte?“ „Denkst du ich merke nicht, dass es dir nicht gut geht? Du wirktest so, als müsstest du dich ein wenig hinlegen und sehe da: Ich hatte recht.“ Sie wurde wieder rot. „Geht es dir besser?“, lächelte ich sie an, ihr vermittelnd, dass sie sich wirklich nicht schämen musste. Irgendwie funktionierte es wohl nicht so ganz, denn sie schwieg. Ich legte den Kopf schief: „Gibt es einen Grund, dass du mir manchmal einfach nicht antwortest? Hab ich irgendwas gemacht?“ „Oh nein, nein!“ „Was ist es dann?“, lächelte ich. „Öhmmm... Manchmal... Sind deine Fragen sehr unerwartet!“ „Ahehehehehe! Ehrlich? Die Frage ob es dir besser geht ist unerwartet?“ „Ähm... ja“, machte sie. Dann wurde ihr Blick schlagartig so unsagbar traurig. So unsagbar, unsagbar traurig, dass mein Herz im Takt stockte: „Ich werde nicht oft gefragt, ob es mir gut oder besser geht...“ „Wieso?“, fragte ich. „Weil... Es eigentlich nur einen Menschen gibt, der sich für mich interessiert...“ „Tatsächlich? Wieso?“, ich verstand das nicht. Was war mit ihren Eltern? Ihrer Familie? Mit Freunden? Das Mädchen war so schön, sie war so herzallerliebst, warum sollte sie so alleine sein? Sie seufzte und starrte an die Decke: „Weil... alle anderen weg sind... Nein... es gab einfach nie jemand anderen“, sie flüsterte so leise. In ihren Augen stand so viel. Und nichts davon schien schön zu sein oder erfreulich. So viel Leid hätte ich hinter dem trüben Schleier nicht erwartet. Mir wurde schlagartig klar, woher dieses scharfe Lächeln kam. Diese Unfähigkeit zu reden. Diese Überforderung. „Und dieser eine Mensch ist...“ „Amy“, unterbrach sie mich. Ich legte ihr die Hand an die Wange und drehte ihr Gesicht zu mir. Ich wollte diese Traurigkeit vertreiben. So unbedingt: „Dann gibt es jetzt zwei.“ Sie wirkte fast erschrocken fassungslos: „Wie soll ich das verstehen?“ „Nun“, lächelte ich sie an, in der Hoffnung es würde sie aufheitern. Sie lächelte doch so schön: „Weil ich mich für dich interessiere.“ Es wirkte so als sei sie mit sich selbst im Zwist, aufgrund meiner Worte. „Du kannst es mir glauben. Ich hasse Lügen, deswegen lüge ich nie. Lügen sind etwas Furchtbares. Sie machen schöne Dinge, wie dich, so unsagbar traurig und schlagen sie in Stücke. Es ist ein Sakrileg schöne Kristalle so mutwillig zu zerstören. Für nichts und wieder nichts.“ Sie verzog ihr Gesicht und wollte wegschauen, doch das ließ ich nicht zu. Als sie ihre Augenlider zusammenpresste kullerte eine Träne über ihre Wange und in mir walte etwas auf: Bestürztheit, Trauer. Ich wollte nicht, dass sie weinte, es... schmerzte mir. Das verwirrte mich. Dieses Mädchen hatte mich gefangen, mit ihrer ganz eigenen Art: „Was muss ich tun, damit du mir glaubst, meine Liebe?“ „Ich... Ich weiß nicht...“ Ich lächelte weiter, wollte sie ablenken: „Mir fällt schon etwas ein.“ Sie lächelte wieder so furchtbar falsch. Ich seufzte darauf hin: „Und dann lächelst du wieder ehrlich.“ Ich nahm meine Hand von ihrer Wange und klappte den letzten Teil des Deckels auf. Dann hielt ich ihr die Hand hin. Sie griff sie mit einem komischen Ausdruck. Dann zog ich sie in meine Arme. Hielt sie fest. Ich wollte sie trösten, wollte, dass es ihr wieder besser ging: „Das ist übrigens ein Versprechen“ Dann kicherte ich, weil es mein Naturell war: „Und eine Drohung ist es auch, hehe.“ „Drohung?“ „Naja. Da ich mich für dich interessiere, heißt du wirst mich so schnell auch nicht wieder los, hehe. Für die Meisten... ist das eine Drohung.“ Sie versteckte ihr Gesicht in meiner Schulter. Ich wollte sie halten, so lange sie brauchte. Ich war mir so sicher, dass sie es verdient hatte und es war so tragisch, dass es wohl niemand tat. „Antwortest du mir jetzt, wenn ich dich frage ob es dir besser geht?“, fragte ich irgendwann. Ich merkte an meiner Schulter, dass sie nickte. Ich lachte leise: „Sicher?“ „Ja“, sprach sie in meine Schulter: „Es tut mir leid.“ „Was?“, ich war ein wenig irritiert. Sie hatte nun wirklich nichts getan was einer Entschuldigung bedürfe. „Das ich so furchtbar peinlich bin...“ Ich musste kichern. Sie war doch noch so jung. Sie seufzte leise und ich legte meine Hände auf ihre Schultern und schob sie ein Stück weg, um ihr ins Gesicht zu schauen. Wenn sie so schüchtern ist, wollte ich nicht, dass ihr meine Umarmung noch unangenehm wurde. Sie sollte sich dadurch schließlich besser fühlen: „Irgendwann erzählst du sie mir.“ Sie blinzelte: „Was?“ „Deine Geschichte.“ „Die ist furchtbar langweilig...“ Das glaubte ich nun wirklich nicht. Ich wollte sie kennen, jedes Detail: „Ich glaube nicht und selbst wenn, lass es meine Sorge sein. Wer fragt, muss auch den Schaden tragen“ „So kann man es auch sehen.“ Ich schaute aus einem Fenster: „Hmm... Die Sonne ist untergegangen.“ So wie ich die Colleges in Erinnerung hatte, musste das junge Ding bald gehen, sonst würde sie 'Y's bekommen und müsste lateinische Gedichte übersetzen. Ihre Augen weiteten sich geschockt und ihr Kopf flog zum Fenster: „Was?! Oh nö. Nein, nein, nein... Ich komm zu spät!“ Sky versuchte aus dem Sarg zu kommen, doch sie war wohl noch ein wenig zu schwächlich um sich aus der hohen Kiste zu befreien. Ich hob sie aus dem Sarg und stellte sie hin: „Kannst du stehen?“ Sky nickte: „Ja, geht schon.“ Sie stand etwas wackelig und ich schaute auf meine alte Taschenuhr: „Viertel nach neun.“ Sie schlug die Hände vors Gesicht: „Nein! Ich brauchte hier hin über eine Stunde und ich kenne den Weg nicht gut. Ich komme nie pünktlich zur Sperrstunde... Mach den Sarg bereit, ich bin tot...“ Ich musste lachen und sie spreizte die Finger, um mich durch sie anzuschauen: „Das ist nicht lustig!“ „Oh doch! Ist es!“ Sky ließ die Arme fallen: „Ms. Lowell macht Dessert aus mir... Du hast ja keine Ahnung wie streng diese Schulen sind.“ „Oh doch habe ich, hehe. Und Dessert ist was Tolles. Fu fu fu!“, kicherte ich und zog meinen Mantel über und mein Tuch. Sie kämme wirklich nicht mehr pünktlich und zu Fuß war diese Gegend viel zu gefährlich. Abgesehen von einem Claude, der sich unsichtbar machen konnte, gab es noch etliche andere Arschlöcher, die hier in der Nähe herumlungerten. Gott sei Dank trauten sie sich nicht an meinen Laden. Sie schaute mich ungläubig an: „Äh ja... Du warst auf dem Weston College?“ Ich wog meinen Kopf hin und her. Konnte man das so nennen? Ich war schließlich mal kurz Headmaster gewesen und kannte diese strengen Regeln. Sie waren fast so langweilig wie die der Reaper: „Im übertragenen Sinne, hehe.“ „Wie im übertragenden Sinne?“ „Ich war nicht lange dort, aber ich habe einen ganz guten Eindruck bekommen. Nicht mein Fall, nicht mein Fall.“ Ich gab ihr ihren Poncho und sie zog ihn um ihren schönen, schlanke Leib: „Welches Haus?“, fragte sie neugierig. „Gar keins“, lachte ich in dem Wissen, dass sie das wieder verwirren würde. Aber ihr verwirrter Blick war so köstlich. „Wie?“ „Mein Aufenthalt“, ich überlegte wie ich es verpacke und die 'Bizarre Dolls', sowie Ciel und Sebastian auslassen konnte: „War nicht ganz normal und ist furchtbar lange her.“ Sie schaute mich an, als wollte sie weiter fragen, doch sie war nervös aufgrund der Zeit: „Naja ich... Ich muss los! Danke und Entschuldigung und... Vergiss am besten einfach, dass ich da war...“ “Da kommst du nicht raus.“ “ Oh...“, machte sie als sie realisierte, dass die Tür abgeschlossen war. Ich wollte meine Ruhe haben, während ich mich um die drei Jungen gekümmert hatte und hatte deswegen meinen Laden geschlossen: „Ich habe schon geschlossen, hehe.“ Ich zog mir das Haargummi aus den Haaren und kramte meine Schlüssel aus der Tasche: „Du denkst doch nicht wirklich, ich lasse ein hübsches junges Ding, wie dich, im dunklen durch diese Gassen schleichen, auf das der nächste Vollidiot es irgendwo hin verschleppt? Des Weiteren bist du mir viel zu kränklich, um alleine irgendwo hin zugehen.“ Ich nickte zu dem Torbogen, der in den Sezierraum führte und in dem die Tür zum Hinterhof lag. „Was... soll das heißen?“ Ich giggelte wieder und hob dabei eine Hand vor dem Mund: „Na was wohl? Ich fahre dich. Anders kommst du eh nicht mehr pünktlich.“ Ihr Kiefer klappte auf: „Bitte?“ „Jetzt komm. Oder ich muss Verkehrsregeln brechen, um dich vor der Wut deiner Lehrerin zu bewahren“, ging ich ohne weiter Zeit zu verlieren in den dunklen Raum Es polterte und schepperte hinter mir: „Au, oh Mist...!“ Natürlich. Ich konnte mich in der Dunkelheit wunderbar orientieren, da ich auch bei Licht nie gut sah, doch die kleine Sky wusste nicht, wo in diesem Raum die Tische standen. Dumm gelaufen, aber amüsant: „Ahehehehe! Du hast eine arg selbstzerstörerische Ader, kann das sein?“ „Nein“, seufzte sie: „Nur schlechtes Karma...“ „Dann sollten du und dein Karma aufpassen, hier stehen drei Tische. Ich glaube du hast gerade den Ersten davon gefunden.“ „Tische?“ „Ja, Seziertische.“ „Sezier...tische...oh“, sie klang nicht begeistert, als sie realisierte wo sie gelandet war. Sie musterte den Raum mit einer Mischung aus Grauen und Interesse, als ich die Türe geöffnet hatte und meine einsame Hinterhoflaterne den Raum ein Stück weit erleuchtete. Ich langte in den Sicherungskasten und löste die Sicherung für den Vorraum. Das Licht ging aus. Nachdem wir das Gebäude verlassen hatten, schloss ich die Hintertüre ab. „Komm“, lachte ich, als ich zu meinen Auto ging: „Ahehehe, du darfst auch vorne mitfahren.“ „Wie nett von dir“, folgte sie mir. Ich hielt ihr die Autotür auf. Mit einem erschöpften Lächeln stieg sie ein: „Danke.“ „Nicht doch“, schloss ich die Türe und stieg selber ein. Nachdem ich mir die Haare aus dem Gesicht gewischt und meine Brille aufgezogen hatte, steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss und lugte zu Sky. Sie schien zu frieren. Ihr Atem bildete weise Wölkchen. Ein leises Lachen entfuhr mir und ich knöpfte meinen Mantel wieder auf. „Was machst du?“ „Du frierst.“ „Öhm ja... ein bisschen..“ Dann warf ich ihr den Mantel über. Sie musste nicht noch kränker werden. Ihre Lippen kräuselte sich leicht: „Danke.“ „Nicht dafür“, ließ ich den Motor an und wollte mich zum Ausparken umdrehen. „Warte!“, schalte es neben mir. Ich schaute sie fragend an: „Hm?“ „Du bist nicht angeschnallt!“ Ich musste anfangen zu lachen. Das vergaß ich ständig! Ich legte meinen Kopf an das Lenkrad, weil ich mich zum Lachen im Auto nicht mehr krümmen konnte. Dann merkte ich zwei Hände, die mich in den Sitz zurück bogen. Ich kicherte noch, als sich die junge Skyler über mich beugte und umständlich nach meinem Gurt fischte. Sie erhaschte ihn schließlich und drehte ihr Gesicht zu meinem. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast. Dann seufzte sie komisch: „Du bist furchtbar.“ „Höre ich öfter“, kicherte ich und sie stieg mit ein. Dann schnallte sich mich an und wackelte mit ihren Oberkörper, als sie mir einen provokanten und irgendwie schelmischen Blick zu warf. Ich lachte um zu überspielen, wie sehr er mich antat: „Gefällt mir.“ Dann fuhr ich vom Hinterhof. „Was?“ „Hihi, dieser Blick.“ „Oooookay...“, drehte sie ihren Kopf zum Fenster um meinem Blick zu entfliehen. Wir rollten über die Straße. Ich fuhr knapp über der Geschwindigkeitsbegrenzung, weil die Zeit doch ein wenig knapp war, doch ich kannte den ein oder anderen Schleichweg. Des Weiteren beunruhigte mich die flotte Geschwindigkeit nicht weiter. Ich konnte zu Fuß schneller sein, wenn ich wollte, doch Autos waren schon wirklich praktisch und mein kleines Vehikel fand ich todschick. Ich war Ron dankbar dafür, dass er es mir so gut in Schuss hielt, genau wie meine Kühlzellen und alles andere in meinem Haus, was irgendwie technisch war. Hinter die Feinheiten dieser Apparate werde ich in meinem Leben nicht mehr steigen. Zumindest nicht, wenn ich nicht gezwungen war. Ich war natürlich neugierig darauf gewesen und Ron probierte mir das ein oder andere zu erklären, aber das war alles soooooo kompliziert. Ich hatte schnell das Interesse daran verloren. Den Ellbogen auf die kleine Lehne an der Autotür gestützt und ein Lächeln auf dem Gesicht, stützte ich meine Wange auf eine Hand. Ich begann in meinem Kopf eine Melodie vor mich hin zu summen, als ich Skys Blick auf mir bemerkte. Ich sah sie nicht an, aber ich hatte Sensoren für neugierige Blicke: „Hehe. Woran denkst du?“ „Wa...?“, begann sie irritiert. „Wenn man wie ich, so fast blind, durch die Welt tapst, hat man so seine Tricks. Sagen wir einfach: Ich merke es sofort, wenn mich jemand anstarrt“, kicherte ich „Ich starre nicht...“, sagte sie ein wenig beleidigt und wandte den Blick ab. „Hehehehe!“ Sie zog eine Schnute, als ihr Kopf sich wieder zu mir drehte: „Warum lachst du eigentlich immer?“ Eine Rote Ampel stoppte uns und ich schaute sie an, ohne das Gesicht aus der Hand zu nehmen. Mit einer erhobenen Augenbraue forderte sie eine Erklärung ein. „Hehehehe. How sad would it be, should laughter disappear?“ Ihr erschrockenes Gesicht entlockte mir ein weiteres Lachen, als die Ampel wieder grün wurde und ich aufs Gas trat und den Gang wechselte. Ich wandte mein Gesicht wieder zur Straße. Sky wirkte überfordert mit ihren eigenen Gedanken. „Tehehehehehe! Doch ich war's“, lachte ich darauf hin um sie von dem Rätselraten zu erlösen. „Aber... wie?!“ „Ich bin flink und leise, wenn ich will.“ Sky sank in sich zusammen und verschwand fast komplett in meinem langen Mantel. Sie wirkte so vollkommen von Scham ergriffen, dass ich ihren Anblick nur ein weiteres Mal als knuffig betiteln konnte: „Was versuchst du denn da?“ Sie klimperte gestresst mit den Augen: „Nichts...“ „Aha? Hehehehe“, setzte ich den Blinker beiläufig mit dem kleinen Finger und fuhr auf den kleinen Platz vorm Campustor. „Sag Bescheid, wenn du fertig bist.“ Sky verblieb in ihrer zusammengekauerten Pose: „Fertig...“ „Fu fu fu fu...“, meine Lippen zitterten, als ich das Mädchen ausnahmsweise mal nicht ungeniert auslachen wollte, doch sie zog eine Augenbraue hoch. Daraufhin konnte ich mein Lachen nicht mehr halten. Als ich mit Lachen fertig war, schob ich meine Brille hoch, um mir die Tränen aus den Augen zu wischen. Dann lächelte ich sie an, als ich ohne Vorwahrung ein weiteres Mal das Thema wechselte: „Ist es fertig?“ „Was?“ „Das Bild.“ Sie blinzelte mich schweigend an. Aus den Erfahrungen des heutigen Tages war ich mir fast sicher, sie war wieder rot geworden, doch ich konnte es durch den Mantel nicht sehen: „Es ist wieder so weit, haha!“ In ihren Augen sah ich, dass sie die Anspielung verstand, als sie ihr Gesicht aus dem Mantel befreite: „Ja... ist es.“ Sie war tatsächlich rot geworden. Ich musste giggeln: Das Mädchen war teilweise so leicht und dann wieder fast gar nicht zu lesen. Ich nahm mir fest vor, noch hinter all ihre Geheimnisse zu kommen: „Oh! Du musst es mir unbedingt zeigen!“ „Was?!“ „Na, ich will es sehen! Es sah halbfertig schon gut aus. Ich will wissen wie es fertig aussieht!“ „Ähm...“ „Darf ich nicht?“, zog ich gespielt einen Schmollmund. „Doch! Klar... Ich zeig's dir... irgendwann...“ „Hehe. Ich freue mich drauf“, dann zeigte ich an ihr vorbei aus dem Fenster: „Wir sind übrigens da und du hast noch 10 Minuten.“ Sie folgte meinem Finger und schien erst jetzt zu erkennen, dass wir angekommen waren: „Oh! Danke, dass du mich hergefahren hast“, lächelte sie wieder so gequält künstlich. Ich schüttelte den Kopf um zum Ausdruck zu bringen, wie sehr mir das Lächeln missfiel. Wenn sie nichts zum Lächeln hatte, warum ließ sie es nicht einfach? Ich tippte sie wollte mir damit einen Gefallen tun und ich musste lachen, als ich ihr nicht sagte, dass sie irrte: „Keine Ursache.“ Sie hielt mir meinen Mantel hin, doch ich warf ihn ihr über die Schultern: „Nimm ihn mit. Es ist kalt draußen. Bring ihn mir die Tage wieder.“ „Aber...“ Ich legte ihr sanft den Zeigefinger auf die Lippen. Warum konnte sie Nettigkeiten nicht einfach annehmen? „Schiit! Du musst eh noch mal zu mir kommen. Deinen Wunsch einlösen, vergessen? Und jetzt kusch! Oder du bist doch zu spät, hehe!“ Als ich den Zeigefinger von ihren geschwungenen Lippen nahm, lächelte sie mir entgegen. Es war ein kleines, aber reines Lächeln. Mir fiel auf, dass sie ein bisschen schief lächelte. Es wirkte immer ein bisschen verschmitzt: 'Reizend!', und brachte mich selber zum Lächeln. Nichts war schöner, als ein ehrliches Lächeln. Nichts machte mehr Spaß und Freude. Dieses Lächeln zumindest war besser als jeder Witz. Ich könnte es stundenlang ansehen. „Mach ich“, sagte sie und schnallte sich ab: „Danke.“ Kalte Luft zog in den Wagen und war ein scharfer Kontrast zu der irgendwie stickigen Heizungsluft, als sie die Tür öffnete. Ich selber benutzte die Heizung eigentlich nie, doch ich hatte irgendwie Angst Sky holte sich den Tod. Mir zog unwillkürlich der Gedanke durch den Kopf, dass ich für diese Frau nie einen Sarg zimmern wollte. Sie sollte leben und das glücklich. Dann stieg sie aus. Ich setzte die Brille wieder auf und sah, dass sie meinen Mantel enger um sich zog. Ich begutachtete sie kurz. Sie war wirklich ein ungeahnt ansehnliches Ding. Dann drehte sie sich noch einmal um und schaute durch die Windschutzscheibe. Ich war fast etwas verwundert. Die meisten Menschen drehten sich zu mir um, wenn ich vorbeigegangen war, um mich zu mustern und sich hinter meinem Rücken ihre dreckigen Münder zu zerreißen, doch sie schaute mir direkt ins Gesicht. Ich wackelte zum Abschied mit den Fingern. Sie winkte zurück und ging durch das Haupttor, welches der Wachmeister langsam aber sicher abschließen wollte. Als das Tor geschlossen und ihre schlanken Umrisse von der Nacht verschluckt wurden, konnte ich ruhigen Gewissens nach Hause fahren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)