Tears and Laughter von DeNoir ================================================================================ Prolog: Purpel 'Prefect' & 'Fag' -------------------------------- Seit September 2011, also nun genau 4 Jahre, war ich Schülerin auf dem 'Weston Ladys College'. Es war eine Mädchenschule an der Themse im schönen London. Die Gebäude, die Regeln und die Struktur der Schule waren in allen Punkten denen der Jungenschule am anderen Ufer nachempfunden, die um fast 100 Jahre älter war. Und sie unterstanden beide demselben Direktor, dem 'Headmaster'. Die Schule bestand aus einer großen gotischen Kapelle, das Hauptgebäude mit den Klassenräumen. Sie hatte viele große Fenster und mittig in dem alten Bau prangte eine große, beleuchtete Uhr, hinter der das Büro des 'Headmasters' lag. Darüber hinaus gab es vier historische Studentenwohnheime: Eins für die 'Scarlet Fox's: Den aus reichen und noblen Familien stammenden Schülern. Eins für die ' Sapphire Owl's: Den sehr lerneifrigen Schülern. Eins für die 'Green Lion's: Den sehr sportbegeisterten Schülern. Und eins für die 'Violet Wolf's: Den sehr musischen Schülern. In jedem Haus lebten um die 200 Schülerrinnen. Das 'Weston College' und das 'Weston Ladys College' waren abgesperrte Bereiche, die keine Einmischungen duldeten, auch keine staatlichen Eingriffe. Die Studenten der Colleges wurden zu strenger Disziplin, die die Bedeutung von Traditionen und Bräuche betonten, erzogen. Sie lebten in Wohnheimen und lernten nach ihren individuellen High-Level-Lehrplan. Unabhängig von den extrem hohen Gebühren, sendeten die Adeligen ihre Kinder schon seit Generationen auf diese Schulen, was sie zu dieser herausragenden Stellung führte. Seit der Gründung der Schulen ist es der Direktor, der 'Headmaster', der alle Angelegenheiten, die die Schule betreffen entschied. Seine Entscheidungen sind darüber hinaus absolut und unumstößlich. Der Direktor wählt auch die 'Prefects', die halfen die Schule zu leiten und die Regeln umzusetzen. Ein Schüler im 5ten Jahr, aus jedem Haus, wurde zum 'Prefect' gewählt und leitete sein Haus nach Regeln und Traditionen der Schulordnung. Zwischen den Häusern herrschte ein rigoroser Konkurrenzkampf, in allen Bereichen. Ich war übrigens Skyler Rosewell, kurz Sky, mittlerweile 17 Jahre und an dieser Schule eigentlich genauso fehl am Platz wie ein Elefant im Porzellanladen. Denn ich war ein Heimkind. Mit 7 Jahren wurde ich aus furchtbaren Familienverhältnissen geholt: Ein gewalttätiger und alkoholabhängiger Vater. Eine Mutter, die sich selber nicht verteidigen konnte und komplett von ihm abhängig war. Ich habe die Hölle der Waisenhäuser überlebt. Waisenhaus, Pflegefamilie, wieder Waisenhaus, Adoptivfamilie, wieder Waisenhaus. Irgendwann habe ich nicht mehr versucht mich einzuleben. Ich war, wo man mich hin schob. Heimatlos, Wunschlos, Trostlos, Traumlos, Perspektivlos. Selbst mein ehrliches Lachen hatte ich irgendwo dazwischen verloren. Doch dann hatte ich das erste Mal wirklich Glück im Leben: Durch ein Wohltätigkeitsprojekt wird es jedes Jahr 8 mittellosen Kindern (4 Jungen und 4 Mädchen, jeweils eine/r für jedes Haus) ermöglicht auf diese Schule zu gehen. Ich war vor vier Jahren eine davon gewesen und in das Haus der 'Violet Wolf's eingezogen. Zäune und Mauern grenzten das Grundstück der violetten Wölfe ab. Der Eingang war ein gusseisernes Tor mit einem Bogen in imposanter Höhe, verziert mit komplizierten Mustern. Von dem Tor ging ein Weg zum zentralen Gebäude, in dem sich der Speisesaal, die Bibliothek, die Arbeitszimmer und auch die Privatzimmer des 'Prefects' und des 'Prefects Fag' befanden. Zwei Statuen von Wölfen waren auf den senkrechten Pfosten platziert, die auf jeder Seite des Eingangs standen. Es gab eine lange Treppe, die nach dem Weg zum Haus führte. Das Land vor dem Hauptgebäude war gespickt mit hageren, nackten Bäumen, Laternen, dunklen Büschen und Grabsteinen. Das Haus selbst hat viele kleine Fenster, besetzt mit gusseisernen überkreuzten Streben. Es hatte viele kleine, abstrakt gestaltete Türmchen und wurde gerne als 'Witchhouse' oder 'Vampire's Castle' bezeichnet. Es sah tatsächlich auch genauso aus. Die anderen Wohnheime der Wölfe waren im selben Stil und standen im Viereck, in der Mitte ein kleiner, grüner Park mit einigen sehr obskuren Steinstatuen und hohen Blumenhecken. Ich konnte nicht viel, doch beim Zeichen und Malen fühlte ich mich gut und lebendig. Auf dem Papier war ich frei. Auch Geige spielen konnte ich einigermaßen gut. Ich war kein Star an der Violine, aber man bekam kein Ohrenbluten, wenn ich anfing zu spielen. Als ich an meinem ersten Tag, noch im Heim, meine Schuluniform überzog, war ich furchtbar nervös. Ich schaute in den Spiegel, doch irgendwie sah mein dünner Körper falsch aus in dem hochwertigen, grau/schwarzen Rock mit Pepitamuster, der teuren, weißen Baumwohlbluse, auf der knapp unter dem rechten Schlüsselbein das Wappen der 'Violet Wolf's mit lilanen, schwarzen und silbernen Fäden eingewebt war. Darüber eine, wie alles andere auch, maßgeschneiderte, schwarze Weste und ein Nadelstreifenjackett, auch hier das Wappen meines Hauses an derselben Stelle. Auf der andern Seite des Jacketts eine Brusttasche. Dazu eine violette Krawatte, schwarze Overkneestrümpfe und braune Halbschuhe. Ich konnte nicht glauben, dass ich 4 Sätze dieser unglaublich teuren Montur geschenkt bekommen hatte und dass ein wohltätiger Verein gutsituierter Menschen meine Schulkosten tragen wollte, solange meine Leistung stimmten. Das Päckchen mit den Uniformen, einer guten Startausrüstung an Schulmaterial und einem kleinen Brief, war in metallic violettem Papier mit einer grauen Schleife eingepackt gewesen. Ich hatte meine sieben Sachen gepackt und war in ein Auto gestiegen, welches mich von dem Waisenhaus weg auf das Schulgelände fuhr. Unterwegs stiegen die anderen 3 Stipendiatinnen zu. Auf dem Schulhof war einiges los. Viele teure Autos. Bedienstete, Lehrer. Eltern, die ihre Töchter verabschieden... und ich. Alleine, mit einem alten Koffer, der schon so oft umgezogen war. Die Hauslehrerin der Wölfe, Ms. Lowell, führte mich zu meinem ersten wirklichen Zuhause. Ich lebte in einem Zimmer mit 3 weiteren Mädchen. Mir gehörte ein Bett, eine Truhe, ein Regal und ein Schreibtisch, in dem, wie alle Zimmer der Wölfe, dunkel vertäfelten Zimmer mit dem grauen Teppich. In den Fluren lag genauso dunkles Parkett und die Möbel waren robust, gotisch, ähnlich dunkel. Das violett/schwarze Farbschema spiegelte sich überall. Darüber hinaus wurde eine meiner 3 Zimmergenossinnen meine beste Freundin: Amber Heather Phantomhive, kurz Amy. Heute waren wir unzertrennlich und standen nebeneinander in der großen Halle, als die Willkommenszeremonie für das neue Schuljahr abgehalten wurde. Wir waren jetzt im letzten Jahr, beides Musterschülerinnen. Die Schuluniform trug ich mittlerweile wie eine zweite Haut an meinem immer noch dünnen Körper. Ich nahm nicht zu, egal wie viel ich aß, weswegen auch meine weiblichen Attribute eher klein ausfielen. Amy sagte immer: „Nicht klein. Du bist perfekt Proportioniert!“ Doch irgendwie kam ich nie dazu ihr ganz zu glauben. Meine dünnen, welligen, zimtbraunen Haare waren zu einem Halbzopf gebunden, der am Hinterkopf von einem Dutt gehalten wurde. Mein langer seitlicher Pony und eine dicke Strähne links franselten mir ins dünne Gesicht, mit den leicht eingefallenen Wangen und halb über die tropfenförmigen, hellblauen, mit einem Lidstrich verzierten Augen. Ich trug Kreuzohrstecker und ein silbernes Medaillon, in das Rosenranken eingeätzt waren. Es bedeutete die Welt für mich. Amy trug dieselbe Uniform wie ich, doch ihre Socken reichten nur bis zur Wade. Ihr dicker, langer, wilder, schwarzer Schopf fiel ihr offen auf dem Rücken und königsblaue große Augen schauten aus dem schön geschnittenen Gesicht. Sie lächelte mich an. Wir beide hofften Prefect unseres Hauses werden zu dürfen. Es war ein Konkurrenzkampf unter Freundinnen, mit dem Gewissen, dass wir es beide der Anderen mehr gönnten, als uns selbst. Der Vizeheadmaster, Mr. Grandolier, hatte die neuen Schüler begrüßt und instruiert: „Die Prefects der Häuser, ihre Fags und die Lehrer sind die ausführende Hand des Headmasters. Ihr Wort ist für alle Schüler Gesetz. Das Wort des Headmasters und der Lehrer sind für die Prefects und ihre Fags Gesetz. Wie in jedem neuem Jahr werde ich nun die neuen Prefects, die neuen P4, verkünden!“ Bedeutungsschwer rollte er eine Rolle aus: „Für die 'Scarlet Fox's: Lila Mcfinnian!“ Applaus! Ein brünettes, schlankes Mädchen mit langem, geflochtenen Zopf und grünen, großen Augen und edlen Gesichtszügen, mit ein wenig zu viel Make-up, in derselben Uniform wie wir, nur mit roter Krawatte und dem Wappen der Füchse in schwarz, rot und gold, schlug die Hände vor den vollen Mund und hüpfte fast zum Vizeheadmaster auf das Podest. Er schüttelte ihre Hand, steckte ihr eine rote Rose in die Brusttasche ihres Jacketts und gab ihr eine zweite in die Hand. Sie blieb stramm, aber breit lächelnd neben ihm stehen. „Für die 'Sapphire Owl's: Mandy Hadford!“ Applaus! Das Mädchen mit der blauen Krawatte und dem blau, schwarz, silbernen Wappen auf der Uniform, hatte glatte, offene, rote Haaren und schmale grüne Augen im rundlichen Gesicht, hinter der modischen, schwarzen Brille. Sie schlug die Hände zusammen und ging ein wenig unsicher aufs Podest. Auch sie schüttelte den Vizeheadmaster die Hand. Sie bekam einen Enzian angesteckt und einen zweiten in die Hand. Dann stellte sie sich ebenso stramm neben Lila. „Für die 'Green Loin's: Annmarie Galiger!“ Applaus! Ein athletisches Mädchen mit grüner Krawatte und schwarz, grün, goldenem Wappen ballte ihre Hände zur Faust und zog eine triumphierend nach oben. Ihr hoher, straffer, blonder Pferdeschwanz wehte, als sie sich mit glänzenden braunen Augen im spitz zulaufenden Gesicht Mühe gab, nicht zum Podest zu rennen. Sie schüttelte, wie ihre Vorgängerinnen, die Hand des Vizen und bekam einen Stechpalmenzweig in Blüte angesteckt. Einen Zweiten hielt sie in der Hand, als sie sich neben Mandy stellte. Amy und ich bangten. Wir sahen uns an, als der Vize Luft holte: „Für die 'Violet Wolf's:“ Amy griff meine Hand. Auch ihre war ganz schwitzig und ich war mir sicher, ihr Herz raste so wie meins: „Amber Heather Phantomhive!“ Applaus! Amy ging neben mir kurz in die Knie und fiel mir dann um den Hals. „Herzlichen Glückwunsch, Amy“, lächelte ich dünn und wie immer nicht ganz ehrlich. Nicht, weil ich es ihr nicht gönnen würde, ich war einfach nicht gut im Lächeln. „Danke, Sky. Ohne dich hätte ich das nie geschafft.“ „Ach was. Beeil dich.“ Amy ließ mich los, lächelte ein letztes Mal und ging dann zum Podest. Sie schüttelte Grandolier die Hand, bekam eine dunkelviolette Dahlie angesteckt und hielt eine weitere in der Hand. Sie stellte sich neben Annmarie. Sie lächelte mich an, ich wie eine stolze Schwester zurück. Ein bisschen enttäuscht war ich schon, doch es war mir eigentlich klar, dass bei demselben Notenschnitt Amy, die aus viel besseren Verhältnissen kam, gewinnen würde. „Nun“, sprach Grandolier: „Applaus für die neuen P4!“ Klatschender Applaus toste durch den Raum und die P4 verneigten sich, formvollendet. Grandolier hob die Hände, der Applaus verstummte: „Prefects! Wählt nun eure Fags! Zeigt sie der Lehrerschaft und euren Mitschülerinnen und damit die tiefe Verbindung, die euch aneinander binden wird.“ „Ja, Vizeheadmaster!“, sprachen die P4 im Chor. Als Erstes wählte Lila ein Mädchen mit kurzen blonden Haaren und einem sympathischen Gesicht mit blauen Augen: Allison Jerade. Sie sprachen den Schwur, Lila steckte ihr die zweite Rose an und Allison stand treu hinter ihr. Applaus! Mandy wählte ein Mädchen mit schwarzem Bob, asiatischem Touch und treuen, schmalen, braunen Augen unter einer rahmenlosen, ovalen Brille: Lin Wang. Auch hier der Schwur, das Anstecken des Enzians und Lin stellte sich hinter Mandy. Applaus! Annmarie wählte ein brünettes Mädchen mit fransiger Kurzhaarfrisur und grauen Augen, ebenso athletisch wie sie selbst: Hannah Schneider. Sie bekam die zweite Stechpalme angesteckt und endete hinter ihr. Applaus! Amy schaute in die Menge. Dann lächelte sie mich an. Ich machte große Augen, als sie sprach: „Skyler Rosewell?“ Ich atmete tief ein und lächelte das wahrscheinlich ehrlichste Lächeln in meinem Leben, als ich auf das Podest zuging. Wir stellten uns gegenüber auf und sie hielt mir die Dahlie vor mein Gesicht: „Du wirst mich nie verraten und durchweg zuverlässig sein. Lass uns auf Saint George schwören, dass wir eine Beziehung aufrechterhalten werden, von der wir gegenseitig profitieren werden, bis zu dem Tag an dem wir diese Schule verlassen. Ich bitte dich mein Fag zu werden, Skyler Rosewell.“ Ich ging auf ein Knie, legte meine Linke auf das Wappen: „Ich akzeptiere demütig.“ Als ich wieder aufstand, steckte sie mir die Dahlie in die Brusttasche. Die Schülerschaft, die Lehrer, selbst der Headmaster und Vizeheadmaster applaudierten. Ich lächelte, dünn und scharf, doch zumindest Amy wusste, dass dieses Lächeln ehrlich war. Ich stellte mich hinter sie, ein Versprechen ihr den Rücken zu stärken und freizuhalten. Was ich immer tat und immer tun werde. Und unser neues Schuljahr begann. Kapitel 1: Friedhofsimpression ------------------------------ Sky Zwei Wochen arbeiteten wir uns in den Schulstoff und in unsere neue Aufgabe als Leitfigur ein. Dann hatte Amy Geburtstag! Ich stand in der Küche und machte meine Spezialität: Schwarzwälder Kirschtorte. Amy aß sie so gerne, deswegen hatte ich heute nach dem Unterricht die Küche im Haupthaus der Wölfe erobert und jeden anderen herausgeworfen. Ich stellte die fertige Torte auf den Tisch in der Stube unseres kleinen Apartments im Haupthaus und betrachtete mein Meisterwerk. Der Prefect und sein Fag teilten sich eine Art 3-Zimmer-Apartment im Hauptsitz der Wohnheime. 2 Schlafzimmer, ein Größeres für den Prefect, ein Kleineres für den Fag, eine Stube und ein eigenes Bad im Dachgeschoss des drei Etagen Hauses. Neben der Torte stand ein kleines Geschenk, eingewickelt in glänzendes, blaues Papier mit einer gelben Schleife. Dann klickte der Schlüssel im Schloss. Die Prefects waren die Einzigen, die ihre Türen abschließen dürften: „Sky? Bist du da?“, ich hörte wie Amy ihre Tasche abstellte: „Grace meinte du wärst heute nicht im Atelier gewesen, ist alles ok?“ Sie kam ins Wohnzimmer. Ihre schwarze Weste hatte sie nach ihrer Ernennung durch eine lilane mit einem Brokatmuster ersetzt. Ich breitete die Arme aus und lächelte so gut ich konnte: „Happy Birthday, Amy!“ Amy machte große Augen. Dann lachte sie: „Sag nicht du hast für mich deine Zeit im Atelier sausen lassen?“ Ich drückte sie: „Ich? Niemals.“ Doch Amy lachte nur noch einmal: „Du bist mir eine“, dann fiel ihr Blick über meine Schulter auf die Torte. Sie fasste mich an den Schultern und schob mich ein Stück weg, um mir ins Gesicht lächeln zu können: „Du hast Schwarzwälder Kirschtorte für mich gemacht?“ Ich nickte mit meinem dünnen, nie ganz ehrlichen Lächeln, doch es freute mich wirklich, dass sie sich freute. Sie erkannte es. „Klar.“ „Aber das ist doch furchtbar aufwendig.“ „Ach was!“, ich ging zum Sessel, meinem Lieblingsplatz im Wohnzimmer: „Beeil dich, sonst esse ich sie alleine.“ „Das würdest du mir nicht antun!“ Ich zündete ein paar Kerzen auf der Torte an: „Wünsch dir was.“ Amy setzte sich auf die Couch. Sie dachte einige Minuten nach und holte dann tief Luft. Mit einem einzigen Pusten gingen die Kerzen wieder aus. Ich reichte ihr ein großes Messer und einen Tortenschieber: „Ich hoffe er geht in Erfüllung.“ Amy lächelte immer noch: „Ich danke dir, Sky.“ Dann schnitt sie ihre Torte an und verteilte Stücke. Ich lümmelte mich wie gewohnt auf dem Sessel, nachdem ich den kleinen Teller entgegen genommen hatte: „Ach wie, wo.“ Wir plauderten ein wenig. Wir fanden immer ein Thema. Nachdem wir (zum größten Teil Amy) ¾ der Torte vernichtet hatten, lächelte die Phantomhive zufrieden: „Sie war köstlich, Sky.“ „Ach Quark“, ich stellte den Teller ab: „Irgendwas stört mich.“ „Sie war fabelhaft. Auf den Punkt.“ „Na... Da geht noch was.“ „Sei nicht so streng zu dir selbst!“ Ich seufzte: „Lass gut sein Amy“, dann wechselte ich ohne Übergang das Thema: „Mach es auf.“ Amy blinzelte: „Was?“ „Na dein Geschenk!“, ich hatte ewig danach gesucht und hoffte so sehr es gefiel ihr. Amy schaute auf den Tisch und schien erst jetzt das kleine Paket zu bemerken. Es war gerade so groß wie ihre Handfläche: „Oh das wäre doch nicht nötig gewesen“, doch sie riss das Papier auf. Zum Vorschein kam eine kleine rote Schachtel. Neugierig klappte sie sie auf. Darin lag eine silberne Kette mit einem großen Medaillon. Behutsam nahm sie die Kette, an der der schwere Anhänger hing in den Weinranken eingeätzt waren, aus der Schachtel: „Wie schön. Wären es Rosen, anstatt Weinranken sähe er aus wie deiner.“ „Deswegen hab ich ihn gekauft“, ich wedelte trietzend mit einer Hand: „Und du bist eher der Weinranken-Typ.“ Amy lachte: „Hey! Was soll das heißen!?“ Ich kicherte: „Das überlasse ich dir. Mach ihn auf.“ „Wie?“ „An der Seite.“ Amy drückte auf die Seite des Medaillons und es sprang auf. Zum Vorschein kam ein Bild von uns beiden, welches auf einem Jahrmarkt vor einigen Monaten geschossen worden war. „Damit du mich nicht vergisst, wenn du nächstes Jahr wieder in deinen protzigen Palast zurückziehst“, lächelte ich, traurig über die beschränkte Zeit, die ich mit ihr zusammenleben durfte. Amy lächelte milde zurück: „Ach, Sky. Ich hätte dich nie vergessen... Und es ist kein Palast!“, wechselte sie vom traurigen Thema: „Teilweise glaube ich, du denkst ich lebe im Buckingham Palace.“ „In Vergleich zu dem, was ich kenne.“ Amy stockte: „Ja gut... Punkt für dich“, sie schloss den Anhänger und legte sich die Kette um. Dann grinste sie mich, scherzendes Unheil verkündend, an: „Ich muss dir wohl mal zeigen, wie ich lebe.“ „Wie?“ Amy lachte: „Ich feiere am Wochenende meinen Geburtstag... Zuhause, mit den Freunden meiner Familie und den Geschäftspartnern meiner Eltern“, sie räusperte sich aufgrund meines verständnislosen Blickes: „Mein Vater möchte das. Jedes Jahr. Das weißt du doch.“ „Uuuund?“, fragte ich, immer noch nicht schlauer. „Ich mag sie alle, aber“, Amy seufzte: „Außer meinem Bruder ist sonst nie jemand in meinem Alter dort, mit dem ich reden will. Die Kinder der Partner meiner Eltern sind furchtbar ordinär und langweilig. Du musst mich dieses Jahr retten!“ „Bitte?“ „Komm am Samstagabend zu mir nach Hause“, sie lächelte, vollkommen überzeugt von ihrer Idee: „Feier mit mir.“ „Ich... ich weiß nicht“, ich war etwas hin und her gerissen. Einerseits... waren solche Feiern sicherlich ein wahrer Mädchentraum. Andererseits... war ich sicher fehl am Platz. „Sky“, machte Amy: „Glaube mir. Ich würde dich nicht bitten, wenn ich nicht denken würde, es würde dir Spaß machen. Du musst dich nicht sorgen. Meine Eltern werden dich lieben und die Anderen...“, sie lachte: „Sind mit nichts vergleichbar was du kennst.“ Neugier boxte in mir gegen Wiederstreben. „Sky, bitte. Es würde mir so viel bedeuten“, sie schenkte mir einen Dackelblick. Keinen gespielten, der einen zwingen will, sondern das echte Gefühl eine Zusage würde sie glücklich machen. „Ok, ok“, seufzte ich: „Ich mach's, ich komme.“ Amy lächelte: „Damit ist es besiegelt. Das wird die beste Party, die ich je haben werde.“ „Wieso?“ „Weil ich endlich mal eine Freundin eingeladen habe.“ „Hast du vorher nie?“ „Nein. Es ist nicht so ganz einfach“, ihr kurz geknickter Gesichtsausdruck hellte wieder auf: „Aber jetzt haben meine Eltern endlich ja gesagt.“ „Die Prinzessin und das Dorfmädchen“, lächelte ich. Amy nickte: „Nur glaube mir, 100x besser.“ „Apropos: Dein Dorfmädchen hat nicht annähernd etwas im Kleiderschrank, was schick genug wäre. Ich muss wohl in die Mall.“ Amy schüttelte den Kopf: „Ich leih dir was. Es wird dieses Jahr ein Maskenball.“ „Ein Maskenball?“ Amy nickte: „Spannend, hm?“ „Très, très chic.“ (fr.: sehr, sehr schick) „Ou non?“ (fr.: Oder nicht?) „Oui, oui.“ (fr.: Doch, doch.) „Fabuleux.“(fr.: Fabelhaft.) Wir schauten uns kurz an und lachten dann ein wenig albern. Danach machte Amy sich daran, mich zu instruieren. Es war nicht viel, eigentlich nichts, was man mit Höflichkeit und einigen guten Manieren nicht hinbekommen würde. Das entspannte mich zwar ein bisschen, aber nicht so gänzlich. Es wird wohl eine riesige Veranstaltung. Ihre Eltern nutzten solche Anlässe, um - unter anderem - ihre Geschäftsbeziehungen zu verbessern. „Das wird toll“, versicherte sie mir: „Sei vor allen Dingen aufgeschlossen. Einige sind wirklich ziemlich, ziemlich eigen, aber ich kann nichts Schlechtes über irgendeinen von ihnen sagen.“ Ich lächelte dünn: „Dich ertrag ich ja auch ganz gut, oder?“ „Zynische Natter“, lachte Amy als Antwort. Wir fanden zurück zu lockeren Plaudereien, immer mal wieder unterbrochen von Amy‘s klingelndem Handy. Nach einem Anruf, offensichtlich von ihrer Mutter, seufzte sie: „Ich muss dich allein lassen.“ Ich streckte mich: „Du untreues Wesen. Lass mich raten: Deine Eltern kommen nach London und laden dich zum Geburtstagsessen ein?“ Sie nickte: „Jap.“ Ein weiteres dünnes Lächeln meinerseits. Obwohl ich es nicht zeigen wollte, schillerte der Neid deutlich hindurch. Natürlich gönne ich Amy ihre Familie, doch... ich hätte auch gerne eine. Menschen, die sich an meinen Geburtstag erinnerten und dafür sorgten, dass es ein schöner Tag wurde, weil ich ihnen wichtig war. „Viel Spaß“, wünschte ich ihr zweischneidig. Sie lächelt mich warm an: „Hab du auch einen schönen Abend, ok?“ „Ach, ich vertrete mir die Beine. Streune herum. Zeichne etwas. Hab ich mal wieder Lust zu.“ „Ok“, Amy stand auf: „Danke noch einmal, es war ein schöner Nachmittag“, dann verschwand sie aus dem Zimmer. Ich brachte den Rest Torte in einen kleinen Kühlschrank in der Ecke der Stube und räumte das Geschirr auf ein Tablett, während sich Amy für ihre Eltern ausgehfertig machte. Danach kramte ich meinen DIN A4 Zeichenblock in meine Kampftasche und packte meine Federmappe, Kohle- und Pastellkreide dazu. Danach schlüpfte ich aus meiner Uniform und zog ein schulterfreies Oberteil mit ¾ Ärmeln an, welches elegante Falten um meinen viel zu dünnen Bauch und die viel zu kleinen Brüste warf. Es war mir ein Stück zu klein und das lange Netzoberteil und ein Stück Bauch schaute heraus. Dazu eine schwarze Hose, ein breiter Nietengürtel, Lederarmbänder und schwarze Segeltuchschuhe. Amy verabschiedete sich von mir und verschwand aus dem Haus. Ich zog langsam eine schwarze Jacke über mein Lieblingsoutfit und befreite die freien Haare meines Halbzopfes daraus. Ich verließ das Apartment und brachte das Geschirr in die Spülmaschine in der Küche. Dann verschwand auch ich aus dem Haus. Es war früher Abend und die untergehende Sonne begann langsam aber sicher den noch blauen Himmel rot zu färben. Der Wind war schon relativ frisch, doch das Wetter war mir heute holt und bewahrte mich vor dem Londoner Herbstregen. So bahnte ich mir meinen Weg durch die Straßen Londons, als ich mir die Kopfhörer meines Handys in die Ohren steckte. Schnell verließ ich die trubeligen Straßen und schlängelte mich durch ein Gewirr von schmalen Gassen. Ich wusste genau, wo ich heute meine Muse suchen wollte. Meine Füße führten mich routiniert durch die kleinen Gassen zu einem großen Friedhof. Die Mauer war überwuchert von Efeu und Rankpflanzen. Ein Flügel des schiefen, gusseisernen Tores stand offen. Ich schlüpfte hinein und ging einige Zeit an den Gräbern entlang. Ich kannte diesen Friedhof gut. Er war alt. Ich ließ bedächtigen Schrittes die frischen Gräber hinter mir und machte mich auf den Weg in den hinteren Teil des Totenackers. Ich ließ meine Augen über die alten Grabsteine und die gotische Kapelle wandern, die aber noch ein gutes Stück von mir entfernt lag. Die meisten Gräber hier waren verfallen und teilweise schon ein ganzes Jahrhundert alt. Ich war immer wieder verwundert, hin und wieder frische Blumen auf den Gräbern zu finden. Hier und da ein Bündel mit 4 weißen Lilien. Dieser Ort hatte seinen ganz eigenen Geruch. Die Luft war hier frisch, doch erdig von dem vielen Moos und Pflanzen. Mit diesem Geruch hatte er auch seine ganz eigene Atmosphäre. Ich stellte die Musik meines Handys aus und zog die Kopfhörer aus meinen Ohren. Ich war nur zwei oder drei Mal bis zur alten Kapelle gegangen. Sie reckte ihre zwei spitzen Türmchen in den Himmel, als wolle sie ihn damit erstechen. Ihre gotische Architektur war imposant, wie massig, wie elegant und man sah von weitem die verwitterte Farbe der Steinwände und die vielen Pflanzen, die sie als Leiter in den Himmel benutzten. Einige der schönen Buntglasfenster waren kaputt gegangen. Soweit ich wusste, wurde diese Kapelle nicht mehr für die Trauerfeierlichkeiten benutzt. Es gab im vorderen Teil des Friedhofs eine um einiges Neuere. Doch heute war mir irgendwie danach bis zur alten Kapelle durch zu gehen, vielleicht sogar das erste Mal hinein. Immer noch ohne große Eile schlenderte ich über den Schotterweg, der so überwuchert war, dass er eher einem Trampelpfad ähnelte. Ich ließ meine Fingerkuppen über einen verlassenen Grabstein wandern. Rauer Stein, tiefe Ritzen und feuchtes Moos kitzelten meine Haut abwechselnd. Umso näher ich der Kapelle kam, umso so älter wurden die Gräber. Schon bald hatte ich das Gefühl, eine kleine Zeitreise angetreten zu haben. Ich löste mich von dem Hauptweg und bewegte mich auf Pfaden, die ich vorher noch nie gegangen war, auf die Kapelle zu. Vielleicht 200 Meter entfernt von ihr fand ich eine Bank. Ihre Bretter schienen irgendwann mal ausgetauscht worden zu sein, aber das gusseiserne Gestell wirkte unendlich alt und die Natur hatte es schon fast komplett zurückerobert. Ich setzte mich auf die verblassten Bretter und ließ meine Augen umherstreifen, als ich Kreide und Block aus meiner Tasche zog. In meinem Magen wirbelte die heiße Lust, die unnachahmliche Atmosphäre dieses Ortes einzufangen. Als meine Augen nach einer Szenerie suchten, die ich auf meinem Papier fangen wollte, fiel mein Blick auf etwas was ich nicht erwartet hatte. Schräg gegenüber, vielleicht 15 Meter entfernt, waren einige Gräber. Vielleicht 20 Stück unter dem Dach einiger Trauerweiden vor zwei großen Mausoleen. Die Mausoleen waren gotischer Architektur, alt, auch von Schlingpflanzen bewachsen, doch intakt, ohne Löcher und Risse. Auch die Grabsteine dieser Gräber waren alt, doch im Gegensatz zu den anderen Gräbern, wirkten sie wohl gepflegt. Die Sträucher und Büsche waren geschnitten, Trauerkerzen leuchteten, in den Steckvasen steckten frische Blumen, weiße Lilien, Callas, Chrysanthemen. Die Grabsteine waren vom Moos befreit, nur hier und dort von Efeu bewachsen, doch war selbst dieser getrimmt. Diese Gräber müssten ebenfalls an die 100 Jahre alt sein, wenn sie so weit hinten auf dem Friedhof lagen und waren trotzdem so gut erhalten. Sie wirkten als vereinten sie Vergangenheit und Gegenwart, in einer Ahnung von Ewigkeit. Doch viel mehr verwunderte mich die große, schlanke Gestalt, die, den Rücken zum größten Teil zu mir gedreht, zwischen diesen Gräbern stand, eine Rosenschere in der Hand mit beachtlich langen und dünnen, aber komischerweise nicht unansehnlichen, Fingern. Sie hatte lange, schwarze Fingernägel. Ich legte den Kopf schief aufgrund der seltsamen Erscheinung des Mannes. Er trug einen langen, weiten Mantel, fast schon eher eine Robe, mit einem schwarzen Stehkragen und ein blass-graues Tuch war um die Schulter und Brust gebunden. Um seine Hüfte blitze eine Kette mit goldenen, großen, ovalen Anhängern in der Abendsonne, welche nun endgültig das Blau aus dem Himmel gescheucht hatte und einen rot-orangenen Schimmer über den verlassenen Friedhof legte. Die Schuhe, die aus der Robe schauten, glänzten, wirkten wie aus Lack und ein, zwei Schnallen funkelten mit den Anhängern um die Wette. Doch wirklich faszinierend war der dichte, lange Schwall feiner Haare, welche bis zu seiner Hüfte reichten und eher wie Silberfäden wirkten. Von seinem Gesicht konnte ich nur einen Teil der Wange erhaschen und meinte eine dunkle Narbe an seinem Kieferknochen zu sehen, der Rest war von mir abgedreht oder hinter einem dichten, silbernen Pony und einem Zylinder mit einem beachtlich langen Zipfel verschwunden. Irgendwie bedauerte ich es, die Gestalt des Mannes nicht gänzlich erfassen zu können. Der Mann rührte sich nicht. Lediglich seine Haare wogten sachte in der kleinen Brise, die beständig durch die alten Gräber zu huschen schien. Obwohl ich sein Gesicht nicht sah, hatte sein Anblick etwas ernstes, melancholisches, als wolle er alle Toten dieser Welt auf einmal betrauern. Es war unbeschreiblich. Ich schlug meinen Zeichenblock auf, während ich fast wie in Trance auf den Mann starrte, und zog einen Bleistift aus meiner Tasche. Ich war nicht sicher, ob ich es konnte, doch ich wollte die Atmosphäre dieses Ortes, in Verbindung mit diesen ewigen Gräbern und der Erscheinung dieses Mannes bis ins letzte Detail einfangen. In schwarz/weiß, nur den Himmel koloriert mit weicher, warmer Pastellkreide. Meine Hand flitzte über das Papier, radierte hier und dort einen Strich weg, während meine Augen im Wechsel auf dem Papier und dem Mann lagen. Er bewegte sich immer noch nicht, doch ich hatte das Gefühl, ich saß schon eine ganze Zeit zeichnend auf dieser Bank. Ich hielt inne, als ich mit mir selbst beratschlagte ob ich nachschauen sollte, ob bei ihm alles in Ordnung war. Doch ich hatte das Gefühl, dass die Erkenntnis über die Ausstrahlung des Mannes kurz davor war, aus meiner Intuition zu sprudeln. Ich schaute, ich dachte und dann... War sie da! Er wirkte alt, obwohl er nicht alt aussah. Er wirkte so alt, wie der Friedhof selbst. So traurig und friedlich gleichzeitig, wie nur der Tod allein es können sollte. Als ich das realisierte, kratzte mein Stift schneller über das Papier. Dass die Welt um mich verschwamm, wenn ich zeichnete, war nicht ungewöhnlich, doch dieses Mal verschwand sie. Alles, was für mich wichtig war, war dieser Mann, dieser Moment. Mir wurde klar, dass ich dieses Bild nie wieder vergessen würde. Ich war sehr schnell zufrieden mit meinem Outlines, obwohl ich hastig mit dem Stift hantierte, angespornt von der puren Inspiration und wechselte auf Kohlekreide. Ich schaute noch einmal auf und stockte. Der Mann mit dem Silberhaar war verschwunden, als wäre er nie dagewesen. Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Hatte ich mir das eingebildet? War der Mann nur ein Hirngespinst gewesen? Nein. Er wirkte so real wie die Bank unter mir und doch so vollkommen nicht von dieser Welt, dass ich mir es nicht hätte ausdenken können. Wehmut flackerte durch mein Herz, als mir aufging, dass ich den Mann nicht weiter begutachten konnte. Eine Brise ging, wehte mir in den Nacken und trug einen komischen Geruch an meine Nase. Er war süßlich, wie Zucker und hatte etwas von geschnittenen Gras und Zedernholz. Irgendetwas bewegte sich am Rande meines Sichtfeldes, doch ich konnte nicht erkennen was es war. Ich wandte mich nach hinten, doch hinter mir war nichts und auch der Geruch war verflogen. Ich seufzte, als ich anfing mich einsam zu fühlen und schaute auf mein Bild, wo ich den Mann, so wie ich ihn gesehen hatte, schamlos abgebildet hatte. Mein Herz tat einen schmerzhaften, erschrockenen Satz. In dem Platz, den ich für den Himmel freigelassen hatte, erstreckte sich eine dünne, fast krakelige, doch auch irgendwie runde Schreibschrift: »How sad would it be, should laughter dissapear?« Ich war vollkommen perplex. Es war offensichtlich mit meiner Kohlekreide geschrieben, nur nicht von mir. Ich war zwar fast in einen meditativen Zustand verfallen, aber daran hätte ich mich erinnert. Auch wusste ich nicht, was dieser Satz mir sagen möchte. Aber die Schrift war irgendwie schön und passte perfekt in das Bild. So verstörend es auch war. Erst war der Mann an sich schon seltsam gewesen, dann verschwand er und dann... diese Schrift. Hatte der Mann...? Nein, wie denn auch? Wäre er mir so nah gekommen, hätte ich ihn bemerkt. Ich schüttelte den Kopf und blinzelte wieder auf die geschwungene Schrift auf meinem Papier. Mein Kopf sagte mir, dass das alles unendlich gruselig und ja gar gespenstisch war. Als mir dieser Gedanke wie ein Panter mit scharfen Krallen in den Nacken sprang, fing mein Herz wie wild an zu klopfen. Adrenalin und Panik schossen in meine Adern. 'War er ein Geist gewesen?... Nein, Sky, das ist doch dumm!... Aber er war da und hat sich nicht bewegt und dann war er weg und dann die Schrift!... Beruhig dich, Sky!... Weg hier!' Ich sprang auf und steckte meine Sachen in die Tasche. Erst ging ich, doch wurde daraus schnell ein Rennen. Als ich aus dem Friedhofstor sprintete, war die Sonne schon untergegangen und der Mond stand am Himmel. Undertaker Es war ein ruhiger Tag. Heute gab es keine Gäste, die meiner Aufmerksamkeit bedürften, deswegen war es relativ spät, als ich aus meinem Sarg geklettert kam. So ist das, wenn man die Nacht zum Tag machte. Ich verlor mich relativ schnell in meinem Morgen... Mittagsroutine: Duschen, Zähneputzen, eine Hand voll Kekse frühstücken. Es war alles wie gehabt. Einen Keks noch halb aus dem Mund schauend, setzte ich mich an den großen, dunklen Eichentresen im Verkaufsraum und holte einen kleinen Planer aus der Schublade. Ich schlug das abgegriffene Büchlein auf und blätterte zum heutigen Datum. Der 18.9.2015. Herrje, herrje, wie die Zeit verging. Und auch dieses Jahr ging stramm auf sein Ende zu. Bald wird er zu den andern 319 Kalendern in die Schublade weiter unten wandern. Einer für jedes Jahr, hier, bei den Menschen. Gerne holte ich sie heraus und schaute sie, in einem Anflug fröhlicher und trauriger Nostalgie, noch einmal durch. Doch heute hatte ich den aktuellen Kalender in der Hand und bemerkte, dass auf der Seite von Heute etwas geschrieben stand. Blind, wie Sensenmänner nun einmal sind, las ich die kleine in rot geschriebene Notiz, eigentlich eher mit der Nase »Amber Phantomhive Geburtstag → 18 Jahre« „Eeeehehehe! Die Kleine ist schon so groß!“, hätte ich eins von diesen 'Handys' oder 'Computern' hätte ich der kleinen Phantomhive jetzt schon gratulieren können. Doch ich blätterte weiter durch meinen altmodischen Kalender. Eigentlich wollte ich 2 Seiten weiterblättern, doch der Freitag stoppte mich mit einigen Notizen: »11:00 Uhr Beerdigung Hermann Schneider → Highgate Cemetery-- 12:30 Uhr Beerdigung Anna Smithers → Westen Norwood Cemetery« Ich seufzte während ich die Seite überflog: 'Bla, Beerdigung, Bla, Leiche Präparieren. Das suche ich alles nicht... Bla, Beerdigung, Bla, Leiche einäschern... Da war doch noch was anderes... Bla, Sarg zimmern, Bla, Einkaufen... Oh Einkaufen!', machte ich ein rotes Ausrufezeichen mit einem meiner alten Füllfederhalter neben der Notiz, um es nicht schon wieder zu vergessen: »16:45 Uhr Aufmachung für die Feier besorgen →« Ich folgte meinem Pfeil zu einem Eintrag für Samstag: »18:00 Uhr Geburtstagsfeier Amber Phantomhive→ Maskenball« Ich lachte schon wieder. Maskenbälle sind interessant. Da kann man eine Menge anstellen und die Leute wissen nicht, dass man es war. Außer sie kennen einen gut genug. „Tihihi! Ich flieg auf“, lachte ich so ganz für mich alleine. Doch heute hatte ich frei. Ich packte den Planer in seine Schublade und lehnte mich zurück, darüber sinnierend was ich denn mit meiner Zeit anstellen sollte. Dann wusste ich es. Ich packte meine schwarze Ledertasche mit den Gartenwerkzeugen, wie einen großen Stoffbeutel und machte mich zu Fuß auf den Weg durch die engen Gassen. Mein Laden war relativ weit ab vom pulsierenden Herz der Stadt. Das war er immer gewesen. Es war immer noch derselbe Laden wie vor 126 Jahren. Modernisiert natürlich. Auch ich konnte den Wandel der Zeit nicht einfach ignorieren. So stand auf meinem Hinterhof z. B. keine Kutsche mehr, sondern ein Leichenwagen. Was mich nicht davon abhielt Kerzen sympathischer zu finden, als elektrisches Licht und Kaminfeuer Heizungen vorzuziehen. Fußläufig erreichte ich dann einen kleinen Blumenladen. Die Verkäuferin kannte mich mittlerweile ziemlich gut, dachte sie, solange wie ich schon Blumen für die Bestattungsfeiern bei ihr kaufte. Ihr Betragen ist ganz knuffig, wirkt aber im Umgang mit mir immer ein bisschen überfordert: 'Herrlich!' Mit einer Horde weißer Lilien, Callas und Chrysanthemen auf dem Arm und in der Tasche, erreichte ich den Friedhof, der mir schon seit fast 2 Jahrhunderten ein zweites Zuhause war. Er war wunderschön, hatte fast etwas Verwunschenes, etwas aus der Zeit gerissenes, wenn man sich traute bis in die hinterste Ecke durch zu gehen, die an ein kleines, aber dichtes Waldstück grenzte. Vom Tor bis zu meinem Ziel hinten, an der zerfallenen Kapelle, brauchte ich fast 25 Minuten. Nicht, dass ich mich beeilt hätte. Ich genoss die Atmosphäre und die Luft. Bog mal hier ab, mal dort ab, bis ich schließlich an meinem Ziel ankam. Den Gräbern. Den Gräbern aller, die den Phantomhives und auch mir lieb und teuer gewesen waren, das Mausoleum der Phantomhives selbst, das der Midfords. Ich kümmerte mich um alle. Seit Jahrzehnten, mit purer Herzenslust. Ich stellte die Ledertasche und den Beutel ab und legte die Blumen daneben. Zuerst sammelte ich die verwelkten Leichen der einst so schönen Blumen ein und führte sie auf dem Kompost zu ihrer letzten Ruhe, auf das sie zurück zu Erde wurden, wie am Schluss alles in dieser Welt: 'Alles außer....', ich seufzte den Gedanken weg. Mit dem Einsammeln der Blumen war ich eine Weile beschäftigt. Dann ersetzte ich sie durch ihre frischen Geschwister. Man sah ihnen gar nicht an, dass sie schon am Sterben waren. Danach griff ich den Beutel und tauschte die abgebrannten Teelichter in den gläsernen Grabkerzen durch Neue aus, zündete diese an. Diese neumodischen Dinger aus Plastik waren mir zuwider. Sie produzierten nur eine Menge Müll. Ich bewaffnete mich mit einer Rosenschere und begann mich um die Pflanzen zu kümmern. Am Grab von Madame Angelina 'Red' Dalles hielt ich inne, als ich den Efeu beschnitt und ihr Name auf dem schönen Stein wieder zum Vorschein kam. Dieser Stein war mittlerweile so alt geworden. Ich stand auf und erinnerte mich an die Umstände ihres Todes. An ihre Beerdigung. Den jungen Earl. 126 Jahre in der Vergangenheit. Sie waren fort. Alle... Ich dachte weiter an längst vergangene gute Zeiten. An die Höhen und Tiefen, Langeweile und Abenteuer, bis ein Windstoß einige welke Blätter von den Bäumen schüttelte. Tot fielen sie auf die noch grüne Wiese. Als ich die Blätter betrachtete, beschlich mich das Gefühl nicht allein zu sein. Als ich mich umwand, erblickte ich eine gar liebreizende Gestalt. In meinen Erinnerungen versunken, vor dem Grab von Madame Red, hatte ich sie gar nicht kommen und sich setzten hören. Ich konnte auch nicht sagen, wie lange ich schon dort stand oder sie dort saß. Ich zog meine silberne Brille aus der Innentasche und zog sie auf, um ihre Details erkennen zu können, versteckte aber auch sie unter meinem Pony. Ein dünner, blasser Körper, wie der meiner Gäste, doch wohl proportioniert und die Wangen rosé vom kühlen Wind. Strähnen ihres feinen, zimtbraunen Haares wogen elegant in der Brise und ihre hellen, blauen, tropfenförmigen Augen schauten verträumt auf einen Zeichenblock, auf dem sie flink und routiniert Striche mit ihrem Bleistift zog. Doch ihre Augen waren auch furchtbar trüb und kein Lächeln lag darin oder auf ihren Lippen. Ihre Augen wirkten so sumpfig, als hätte Matsch und Moder in ihr, ihr Lachen in einen nassen Morast gezogen. Schon vor langem. Neugier flackerte auf, auf die tragische Geschichte, die die Maische in ihrem Inneren geformt hatte. Ich war mir des Weiteren sofort sicher, dass ein Lächeln den geschwungenen Lippen der Frau im eleganten, engen Schwarz ausgezeichnet stehen würde. Das junge Ding zeichnete mit einer vollkommenen Passion, die ihre sumpfigen Augen ein wenig glitzern ließen. Mir gefiel dieser Glanz, auch wenn er wirkte wie ein Stern, den man von einigen Metern Tiefe aus algigem Wasser betrachtete. Geschwächt und fahl, eine Erinnerungen an ein vergangenes Scheinen. Ich wandte den Kopf wieder zu den Grabsteinen, gerade so, dass ich das Mädchen aus dem Augenwinkel betrachten konnte. Ich konnte erkennen, dass das Mädchen immer wieder den Kopf hob. Ich spürte ihre Augen in meinem Rücken. Um ihre wallende Passion nicht zu bremsen, bewegte ich mich nicht. Stumm lächelnd stand ich Pose und schaute wieder auf das Grab meiner verblichenen Freundin, die ich eigens hergerichtet und begraben hatte. Ich hörte das Kratzen des Stiftes des Mädchens auf dem Papier. Eine Stunde. Zwei Stunden. Knappe drei Stunden stand ich dort, doch das Mädchen schien das nicht zu realisieren. Ich musste immer mal wieder stumm in mich hinein lachen. Irgendwann fragte ich mich, ob es eine gute Idee wäre mit dem Mädchen zu sprechen. Sie hatte etwas an sich. Etwas Verlorenes. Etwas so unendlich Verlorenes. Eigentlich war ich ja nicht interessiert an Menschen, denen man schon ansah, dass sie einen guten Witz nicht würdigten. Doch dieses Mädchen wirkte, als könne sie nicht mehr und würde nichts mehr wollen, als es zu können. Diese Erkenntnis schickte einen Stich Trauer in die Neugier, doch ich entschied mich, sie nicht anzusprechen. Irgendetwas hielt mich ab. Das Kratzen ihres Stiftes verstummte. Nach einigen Sekunden schaute ich aus dem Augenwinkel zu ihr und sah, dass sie dabei war ihn weg zu legen und gegen ein Stück Kreide zu tauschen. Mit der nächsten Brise war ich aus dem Sichtfeld der jungen Dame verschwunden. Sie bemerkte nicht, dass ich hinter ihr stand. Während das junge Ding die Stelle, von der ich verschwunden war, musterte, ging ich die zwei Schritte, die mich von der Rückenlehne der Bank trennten. Meine Schuhe machten kein Geräusch auf dem Rasen. Das Mädchen war von meinem Verschwinden wie erwartet verwirrt, sodass ich an ihr vorbei ein Stück Kohlekreide greifen konnte. Ich beschaute das Bild. Darauf war tatsächlich ich. Ein Foto aus Graphit, detailliert und formschön bis ins Letzte. Ein geschmeicheltes Lächeln zog meine Mundwinkel nach oben. Bemüht ihr Werk nicht zu zerstören, hinterließ ich eine kleine Nachricht auf ihrem Bild. Ein Denkanstoß. Ein Versprechen, sich wieder zu treffen. Als ich die Kreide aus der Hand gelegt hatte, frischte eine Brise auf und fuhr von hinten über mich und die Unbekannte hinweg. Sie nahm einige meiner Haarsträhne mit sich nach vorne. Damit entschloss ich, mich zu entschuldigen und war verschwunden, bevor die junge Dame sich umdrehte. Kapitel 2: Eine Nacht bei den Phantomhives ------------------------------------------ Sky Als ich im Wohnheim angekommen war, hatte ich mich ins Bett gelegt. Ich war gerade noch pünktlich zur Sperrstunde gewesen. Ms. Lowell hätte mich erschlagen, wäre ich auch nur zwei Minuten später da gewesen. Nachdem sich mein wild schlagendes Herz beruhigt hatte, nahm ich noch einmal das Bild zur Hand. »How sad would it be, should laughter dissapear?« Warum stand es dort? Was hatte das zu bedeuten? Da ich nicht schlafen konnte, hatte ich angefangen dem Bild die Form zu geben, die ich mir vorgestellt hatte. Ich zog die Bleistiftstriche mit der Kohlekreide nach. Sorgfältig. Ich wollte das Bild mit der mysteriösen Botschaft auf keinen Fall verderben. Wenn ich die Augen schloss, sah ich die Szenerie noch klar vor mir. Der Mann mit dem, in der Abendsonne schimmernden, Silberhaar und der schwarzen Robe. Diese wunderschön erhaltenen Gräber, gehegt von liebevoller Hand. Der Geruch von Zucker, gemähtem Rasen und Zedernholz. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich in meinem stillen Zimmer, nur erhellt von der kleinen Nachttischlampe, daran zurückdachte. Ich wusste nicht warum und war verwirrt. Doch irgendwann war ich eingeschlafen. Der Tag darauf war mehr als einfach nur anstrengend. Meine Gedanken hingen an dem Friedhof und an dem seltsamen Mann, der einfach nur da gestanden hatte. Warum war er dort gewesen? Er hatte eine Rosenschere in der Hand. War er der Grund, warum diese Gräber so gut aussahen? Aber warum kümmert man sich um uralte Gräber? Ein komisches Hobby? Von dem was mein Lehrer vorne erklärte, war nichts zu mir durchgedrungen. Der Freitag verging ereignislos. Ich war im Unterricht, habe mich um meine Dienste als Fag in unserem Apartment und im 'Swan Gazebo', ein Pavillon mit einem Schwan auf seiner Spitze, daher sein Namen, gekümmert. Der Pavillon war mit ausgefallenen Sofas und Tischen ausgestattet, die Leckereien für die Prefects bereit hielten. Er stand auf einer großen Anlage, mit einer Brücke in die Themse und ein paar Booten. Das Gebiet war mit einer Fülle von dichten Büschen, Bäumen und Blumen umgeben. Abends hatte ich noch etwas für eine Klausur gelernt, oder es zumindest versucht und mich mit Amy unterhalten, während ich in ein Buch starrte. Sie hielt mir auf einmal voller Stolz ein atemberaubendes Kleid vor die Nase. Es hatte ein schwarzes Korsett, bezogen mit schwarzer Spitze und einer eleganten Schnürung auf Brust und Bauch. Ein kleiner Ring aus schwarzer Spitze zog sich um einen kurzen, gerafften Rock aus glänzenden, violetten Stoff und verschwand hinten in einer langen, bauschigen Schleppe aus mehreren Lagen schwarzen Tülls. Dazu hatte sie mir einen schwarzen Bolero mit Spitzenrand und ein paar schwarze Pomps, die um die Knöchel mit einer Schleife zugebunden wurden, gezeigt. Die Maske sah aus wie ein 'Tribal' in Form eines Schmetterlings. „Das ist wunderschön“, hauchte ich und ließ mein Buch sinken: „Aber ich glaube, ich sehe in solchen Kleidern nicht gut aus.“ „Oh doch“, protestierte Amy: „Ich habe fast 1 ½ Stunden mit Sebastian vor der Kleiderkammer gestanden und nach etwas passendem gesucht. Er ist sich sicher, dass du fabelhaft darin aussehen wirst. Sebastian ist höflich, aber ehrlich, Sky. Auf seine Meinung ist Verlass und ich denke auch das ist dein Kleid.“ „Ich bin viel zu dünn...“ „Ach was“, Amy schüttelte den Kopf: „Du bist genau richtig.“ „Ich komme eh nicht drum herum, hm?“ „Nicht mehr in diesem Leben.“ „Na klasse...“ Amy verschränkte die Arme: „Mit dem Kleid bist du die Attraktion des Abends.“ „Ich habe mich doch schon geschlagen geben“, ich seufzte. Währenddessen wog ich noch einmal ab, ob ich Amy von meinem gestrigen Erlebnis erzählte. Ich entschloss mich, es durch die Blume zu tun und versteckte das Gesicht wieder hinter dem Buch, um sie nicht anschauen zu müssen: „Du sag mal. Hast du dir schon einmal etwas eingebildet, von dem du hättest schwören können, es sei wirklich da gewesen?“ „Das man denkt es ist wirklich da, ist doch Grundvoraussetzung für eine Einbildung, oder?“ „Ja... Schon. Aber ich rede davon, dass es dir so real vorkommt, dass du gar nicht denkst, es sei eine Einbildung.“ „Ist das nicht fast dasselbe?“ Ich grummelte: „Ach Mann! Du weißt doch was ich meine.“ „Klar“, nickte Amy: „Erzähl mir davon. Was hast du dir eingebildet?“ Sie hatte mich erwischt. Ich seufzte: „Ich war gestern auf dem Friedhof...“ „Dem großen, alten die Themse weiter runter?“ Ich nickte: „Ja... Ich bin durchgegangen bis zu der alten Kapelle...“ „Und? Wurdest du von Jahrhunderte alten Geistern gejagt?“, scherzte Amy. Ich seufzte ein weiteres Mal: „Nein...“ „Jetzt red schon.“ „Ich hab dort... einen Mann gesehen.“ „Naja. Du bist sicherlich nicht als einziger Mensch fasziniert von alten Gräbern. Es gibt einige Leute, die sich von melancholischem Frieden angezogen fühlen.“ „Ja, aber... irgendwann war er einfach verschwunden. Von jetzt auf gleich.“ Amy legte den Kopf schief und verschränkte die Arme: „Und du denkst er war nie wirklich da? Er könnte auch einfach weg gegangen sein, ohne dass du es gemerkt hast. Du warst doch sicher am Zeichnen, oder? Dann könnte eine Bombe neben dir explodieren, du würdest es nicht merken.“ Ich schaute Amy an. Sie grinste breit. Ich schüttelte den Kopf: „Er war zu plötzlich weg... und ich konnte ihn auch nicht sehen, als ich den Weg hinunter geschaut hatte. Er war einfach... Puff!“, ich visualisierte das 'Puff' mit meinen Händen. Dann legte ich das Buch auf den Tisch: „Und dann war da etwas auf meinem Bild... Aber ich hab es nicht dahin geschrieben...“ Amy wirkte verblüfft: „Zeig mal.“ Amy und ich gingen in mein Zimmer. Der Block lag noch von gestern Nacht auf meinem Bett. Ich nahm ihn hoch und hielt ihn Amy hin. Sie musterte kurz das Bild: „Du hast den Typen gezeichnet?“, fragte sie verblüfft. „ Das ist ziemlich dreist.“ „Ja, ja ich weiß... Ich konnte irgendwie nicht anders. Er hatte so eine... überwältigende Ausstrahlung! Wie er da stand! Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so... unbeschreiblich wirkt!“ Amy zog eine Augenbraue hoch: „Du bist ja vollkommen hin und weg“, sie lachte: „Ich habe noch nie erlebt, dass du irgendjemanden so anhimmelst.“ Ich merkte wie meine Wangen warm wurden: „Ich himmele niemanden an!“ „Warum wirst du dann rot?“ Mein Gesicht wurde noch etwas wärmer: „Amy!“ Sie lachte ein weiteres Mal und beschaute das Bild nun eindringlich. Ihr Mund zog sich zu einem breiten Grinsen. Sie schaute auf und sah mich vielsagend an, sagte aber nichts. „Was ist?“, fragte ich ratlos. Dann lachte sie auf einmal los. „Was hast du denn?!“ Sie gab mir meinen Block zurück: „Nichts, nichts. Aber diese Nachricht ist schon sehr kryptisch. Du denkst sie ist von dem Mann?“ „Wenn er überhaupt da war...“ Amy grinste ein Stück breiter: „Ich glaube schon. Er ist wirklich ziemlich... ungewöhnlich.“ „Findest du auch!“ Amy lachte wieder: „Du bist so süß.“ „Bin ich nicht!“ „Ich glaube nicht, dass du ihn dir eingebildet hast.“ Ich seufzte: „Ich weiß es nicht. Und ich wüsste auch nicht, wie er das hätte da drauf schreiben können. Ich hatte den Block die ganze Zeit in der Hand.“ „Vielleicht ist ein Ninja“, witzelte die Phantomhive. „Mach dich nicht über mich lustig...“ „Oder doch ein Geist.“ „Amy...“ Amy schüttelte den Kopf: „Was willst du jetzt tun? Dahin gehen? Schauen, ob er wieder da ist?“ „Ich bin doch kein Stalker!“ „Nein, aber wenn du ihn noch einmal siehst, denkst du vielleicht nicht mehr, dass du verrückt bist.“ „Ich denke das nicht!“ „Doch klar. Ansonsten hättest du mit der Situation kein Problem und würdest es einfach schulterzuckend abtun, so wie alles andere.“ Ich verschränkte die Arme und schaute zur Seite: „Ich habe kein Problem damit...“ 'Kenn' mich nicht so gut!', fluchte ich stumm. Amy lachte und schüttelte den Kopf: „Lass uns essen. Wir müssen fit sein. Für morgen!“ Ich seufzte. Dann aßen wir zu Abend und unterhielten uns noch ein wenig über dies und das. Amy ging wie immer vor mir zu Bett. Ich saß ein wenig in meinem Zimmer und versuchte etwas zu zeichnen, doch meine Gedanken wanderten immer und immer wieder zu dem Friedhof. Zu dem Mann. Mein Gesicht wurde wieder warm und ich legte den Kopf auf den Tisch: „Maaaaan... Was ist denn nur los?“ Irgendwann widerstand ich nicht mehr. Ich schlüpfte in meine Schuhe. Da die Sonne schon untergegangen war und es den ganzen Tag geschüttet hatte wie aus Kübeln, zog ich nicht meine dünne Jacke, sondern einen dicken, schwarzen Poncho, den ich dreimal um meinen Oberkörper ziehen konnte, über meine Uniform. Ich verließ das Haus in die dunkle Nacht. Es war schon nach der Sperrstunde. Durch das Haupttor konnte ich das Schulgelände nicht mehr verlassen. Ich hatte es geschafft mich unerkannt von dem Grundstück der 'Violet Wolf's zu schleichen. Mein Herz wummerte, als ich über das verlassene und verregnete Schulgelände streifte. Der dicke Wolkenvorhang bewahrte mich vor verräterischem Mondlicht, als ich den Laternen auswich. Ich hatte keinen Schirm dabei, da dies zu auffällig gewesen wäre, deswegen hingen meine Haare schon bald nass in meinem Gesicht. Dann war ich ungesehen am 'Swan Gazebo' angekommen und mein Herz entspannte sich ein Stück. Ich stieg in eins der Boote und ließ mich von der Themse zum Friedhof fahren. Eine ¾ Stunde später stand ich wieder vor den Gräbern. Es regnete immer noch und mein Atem bildete kleine Wölkchen vor meinen Mund. Die Köpfe der weißen Blumen neigten sich gen Boden und die Blätter der Büsche wackelten träge unter den dicken Regentropfen. Die Kerzen auf den vielen Gräbern waren erloschen. Hier hinten gab es keine Laternen, es war also zu dunkel um die Namen auf den Steinen lesen zu können. Doch ich war alleine. Auf dem ganzen Friedhof waren nur ich und die Toten. Ich seufzte, was eine größere weiße Wolke in die Nacht entließ. Was habe ich denn erwartet? Es war mitten in der Nacht und es regnete. Ein komisches Gefühl wallte in meinem Magen auf. Es war Frustration... und Bedauern... eine schwere Enttäuschung... das Gefühl von unerfüllten Hoffnungen. Worauf hatte ich gehofft? Warum hatte ich gehofft, den Mann mit den Silberhaaren hier noch einmal anzutreffen? Ich kannte ihn nicht. Ich kannte noch nicht einmal sein Gesicht. Wusste nicht wie sich seine Stimme anhört. Ich kannte lediglich seinen Rücken... und seine Haare. Unbefriedigt band ich das Boot los und ruderte Richtung College. Wenn ich erwischt würde hätte ich ein riesiges Problem. Aber ich war ein Heimkind und gewöhnt mich davon zu stehlen, währenddessen die Lehrer hier nicht gewohnt waren, dass es Schüler gab die mitten in der Nacht umher wanderten. Es war mit Nichten das erste Mal gewesen. Sicher und unerkannt zurück im Wohnhaus, schlüpfte ich in meinen Pyjama und wickelte mich in meine warme Bettdecke, durchgefroren von meinem nächtlichen Friedhofsgang. Irgendwann schlief ich wieder ein. Ich schlief bis 13 Uhr. Am Wochenende durften wir das, wenn uns das Frühstück und der Mittagstee nicht wichtig waren. Wir hatten frei wie alle anderen Schüler Londons auch. Amy weckte mich: „Sky? Komm schon, wach auf!“ Ich blinzelte irritiert, als sie meine schwarzen Gardinen vom Fenster wegschob und die Herbstsonne in mein kleines Zimmer sickerte. Der Himmel war bewölkt, doch die Sonne schien und der Himmel war trocken. „Was ist denn los?“, murrte ich verschlafen. „Wenn du nicht bald aufstehst, kommen wir zu spät.“ Ich schaute auf die Uhr auf meinem Handydisplay: „Wir haben noch 5 Stunden, bis es los geht...“ „Sebastian kommt um 17 Uhr und holt uns ab.“ „Dann haben wir immer noch 4...“, ich stockte als mein träges Gehirn die Aussage verarbeitet hatte: „Sebastian?“ Amy nickte: „Klar. Wir bekommen das ganze Programm: Ankunft mit Chauffeur, aufrufen unserer Namen, Champagner zum Empfang und und und“, Amy lächelte: „Für eine Nacht sind wir Prinzessinnen.“ Ich setzte mich in meinem Bett auf und gähnte: „Ich fühle mich eher wie ein überfahrenes Wiesel, als wie eine Prinzessin...“ „Jetzt steh auf“, Amy zog mir die Bettdecke weg. Es war frisch im Zimmer. Doch Amy blieb erbarmungslos: „Ich musste Sebastian versichern, dass wir uns beide gegenseitig herrichten. Make up, Haare, etc. Das ist aufwendig und wird dauern.“ Ich streckte mich und schwang meine Beine aus dem Bett: „Ok, ok... Aber ich bin nicht gut in sowas.“ „Oh doch, bist du“, versicherte mir Amy: „Wenn man dir zuhört könnte man denken, du bist in gar nichts gut.“ Ich stand auf: „Das ist auch wahrscheinlich so.“ Amy schüttelte den Kopf: „Jetzt komm. Ich hab dir Rührei mitgebracht.“ Ich schlüpfte in einen schwarzen Morgenmantel und folgte Amy aus dem Zimmer: „Uhhhh. Die hohe Dame, die 'Purple Prefect' hat mir, einem bescheidenen Fag, Rührei reserviert.“ Wir aßen Frühstück. „Hast du schon jemanden gefunden, den du zum Fag haben möchtest?“, fragte die Phantomhive. „Noch nicht“, antwortete ich gelangweilt: „Ich hätte gern eine im ersten Jahr, aber noch ist mir keine aufgefallen.“ Danach schlüpfte Amy unter die Dusche und ließ mich mit meiner unterdrückten Verwirrung wieder allein. Mit einer Kaffeetasse in der Hand setzte ich mich auf eine Kiste, die in die trapezförmige Aussparung unter dem großen Wohnzimmerfenster eingelassen war und schaute nach unten auf den kleinen Park. Irgendwie wanderten meine Gedanken immer wieder zurück. Ich konnte mir das nicht erklären, aber die Gestalt des Mannes in schwarz hielt meinen Geist unnachgiebig fest. Ich konnte mir selbst nicht glauben, dass ich gestern mitten in der Nacht, trotz aller Risiken, wegen ihm noch einmal losgezogen war. Dass ich so enttäuscht gewesen war, als meine Unternehmung fruchtlos geblieben ist. Pünktlich mit dem letzten Schluck meines Kaffees kam Amy wieder. Sie trug ein bauchfreies Sporttop und eine Jogginghose: „Geh duschen. Wir haben noch 3 Stunden.“ Ich nickte nur. Amy hielt mich noch einmal auf, als ich an ihr vorbei aus der Türe wollte: „Ist alles ok bei dir?“ Ich schaute sie an und tat verwirrt: „Klar. Warum fragst du? „Du wirkst bedrückt.“ Gerade hasste ich es, dass Amy mich lesen konnte wie ein offenes Buch. „Noch wegen Gestern?“, fragte sie, als ich nicht antwortete. Ich zuckte mit den Schultern: „Ich bin einfach noch Müde. Der Kaffee wirkt noch nicht.“ Amy seufzte: „Wenn du meinst...“ Ich beschaute sie kurz: „Dein Aufzug sieht aber nicht nach Ball aus“, wechselte ich das Thema. Sie lachte kurz: „Da du jetzt öfter auf Bälle mitkommen wirst, merke dir eins: Schuhe vor Korsett.“ „Ich tue was?!“ Amy lächelte weiter: „Du bist meine beste Freundin. Ich hätte dich gerne öfter dabei. So eigentlich... immer!“ „Amy ich...“ „Hey“, sie legte mir die Hände auf die Schultern: „Bleib cool. Schauen wir erst mal wie heute Abend läuft. Dann kannst du immer noch sagen, du kommst nie wieder mit.“ Ich nickte träge: „Mir schwant übles.“ „Geh duschen.“ Ich verschwand in mein Zimmer, schnappte mir ebenfalls ein Sportoberteil, eine Jogginghose und frische Unterwäsche und stieg dann unter die Dusche. Das warme Wasser entspannte mich. Erst jetzt merkte ich die Anspannung in meinen Schultern- und Nackenmuskeln. Als sich meine Muskeln entkrampften und mir der Wasserdampf in die Nase stieg, erinnerte ich mich an dem Geruch von Zucker, frisch getrimmtem Gras und Zedernholz. Es war ein simpler Geruch. Doch er roch so gut. Hatte der Mann so gerochen? Quatsch... Er hätte direkt hinter mir stehen müssen. Bestimmt war vor kurzem Rasen gemäht worden. Doch dann sagten mir meine Erinnerungen, dass es eher eine Wiese als ein Rasen gewesen war. Wild gewachsen und von den letzten Gänseblumen des Jahres bevölkert. Ich warf mir eine Hand voll Wasser ins Gesicht um meine Gedanken vom Friedhof weg zu bekommen. Weg von den Gräbern, weg von dem Mann und weg von der fürchterlichen Frustration. Als ich angezogen war, ging ich ins Wohnzimmer, wo Amy noch ein wenig fern sah und sich nebenbei die Fußnägel mit dunklem blau-metallic Nagellack lackierte. Ihre Finger waren schon fertig. Sie hielt mir einen schwarzen Nagellack entgegen: „Hier.“ Ich seufzte und begann mir stumm die Nägel anzupinseln. „Weißt du“, sagte Amy ohne aufzusehen: „Vielleicht findest du ja nen süßen Typen.“ „Meintest du nicht die seien alle furchtbar ordinär und langweilig?“ „Nein. Nur die Söhne der Geschäftspartner.“ „Wer ist denn sonst noch da?“ „Ein paar Freunde der Familie“, zupfte Amy die Watte aus den Zwischenräumen ihrer Zehen. „Sind die nicht viel zu alt?“ „Die sind ziemlich zeitlos.“ Ich schaute sie verwirrt an und wedelte mit meinen Händen: „Was soll das denn heißen?“ Amy grinste: „Ich werde dir doch nicht die Überraschung verderben.“ „Na klasse...“ „So“, Amber drehte sich zu mir: „Es wird spannend! Erst Make up. Dann Haare. Wer zuerst?“ „Ist mir egal“, grummelte ich unbegeistert. „Mir auch...“, Amy hielt mir ihre Faust hin. Kommentarlos wusste ich was sie wollte. Wir schüttelten unsere Fäuste. Amys zeigte Papier, meine Schere. Amy hob eine Tasche vom Boden neben der Couch hoch und legte sie auf das Sofa: „Komm.“ Ich drehte mich zu ihr. Mit einem Haarband sorgte sie dafür, dass meine Haare mir nicht ins Gesicht fielen. Dann begann sie mich zu schminken. Es dauerte eine halbe Stunde. Irgendwann hob sie einen kleinen Spiegel hoch. Das Make up war dezent, doch elegant. Graue Smoky Eyes, dezenter Lidstrich, ein matter dunkelroter Lippenstift, meine langen Wimpern elegant getuscht. „Du solltest dein Talent echt nicht für mich verschwenden“, sagte ich. „Das ist nicht verschwendet“, lächelte Amy: „Du wirst wunderbar aussehen. Jetzt ich.“ „Welche Farbe hat dein Kleid?“, fragte ich, als ich das Haarband in ihre Haare schob. „Blau/Schwarz“, antwortete sie. Dann fing ich an. Ich betonte ihre Wangen mit dunklem Rouge, ihre Augen mit pudrigem, dezentem braunen Lidschatten. Ihren Lidstrich machte ich etwas geschwungener und breiter und ihr Lipgloss war apricot und glänzend. Ich hielt ihr den Spiegel hin, unzufrieden mit mir selbst: „Gut so?“ Amy lächelte: „Perfekt. Du bist super, Sky.“ „Naja...“, ich legte den Kopf schief: „Vielleicht sollte ich da...“ Amy schüttelte energisch den Kopf: „Ich liebe es, Sky. Lass es so. Komm dreh dich um! Ich weiß schon genau, was ich mit deinen Haaren mache.“ Kampflos drehte ich mich um und merkte schnell, wie Amy sich an meinen dünnen Haaren zu schaffen machte. Es dauerte einige Zeit, dann hörte ich Amys Stimme: „Luft anhalten.“ Ich tat wie mir geheißen und hörte das Zischen einer Haarspraydose. Die feinen Tröpfchen tanzten vor meinen Augen in der Luft. Dann drehte Amy mich um und hielt den Spiegel hoch. Meine Haare waren in einem lockeren Dutt, in meinem Nacken leicht nach links versetzt, zusammen gefasst. Mein langer Pony war zur Seite gekämmt und links war davon nur eine dicke Strähne übrig. Eine dicke geflochtene Strähne trennte ihn von dem Rest der Haare. „Schüttele den Kopf“, sagte Amy. „Aber... dann fliegen wieder Strähnen aus der Frisur. Du weißt doch wie rutschig meine blöden Haare sind.“ Amy lugte hinter dem Spiegel hervor: „Das ist mein Plan.“ „Sicher?“ „Schütteln!“ Ich schüttelte. Aus dem Dutt waren einige Haarspitzen gefallen. „Perfekt“, lächelte die Phantomhive. Dann drehte sie sich weg. Ich musste einige Minuten überlegen, bis ich anfing ihre Haare hinten zu einer Banane zu drehen. Dann drehte ich sie um und bearbeitete ihre Haare mit einem Lockenstab, sodass er in Wellen lag. Fixieren tat ich ihre Haare mit etwas Haarspray. Dann zeigte ich sie ihr: „Das ist zu schlicht...“ „Ach was. Ich mag kein großes tam tam, das weißt du. Mir gefällt es.“ „... Wirklich?“ „Klar“, Amy schaute auf ihr Handy: „Oh verdammt! Noch 20 Minuten. Sebastian bringt uns um, wenn wir nicht fertig sind!“ Sie spurtete in ihr Zimmer. Ich eilte hinterher. Sie gab mir meine Sachen: „Schuhe vor Korsett!“, mahnte sie noch einmal. Mit einem: „Ja, ja“, verschwand ich in mein Zimmer und zog das Kleid, den Bolero, die Maske und die Schuhe an. Dazu mein Medaillon und ein paar kleine, silberne Kreolen. Das Mädchen im Spiegel erkannte ich fast nicht. Doch ich war nicht gänzlich überzeugt. Obwohl das Kleid passte wie angegossen, fand ich, standen meine Schlüsselbeine viel zu weit heraus. Doch mir fehlte die Zeit um mich noch einmal umzuziehen. Ich ging in Wohnzimmer. Amy stand dort und hatte gerade den Fernseher ausgeschaltet. Ihr Kleid war aus schwarzer Spitze, hinten länger, vorne kürzer. Für die Brust hatte es ein wundervolles Korsett aus einem dunklen, glänzenden Blau, auch bezogen mit schwarzer Spitze. Dazu trug sie elegante schwarze Stiefel, denselben Bolero wie ich, dazu Silberschmuck. Ihre Maske war ebenfalls ein schwarzes 'Tribal' und erinnerte an einen Vogel. „Nett. Wenn heute Abend irgendjemand eine Typen findet, dann du“, lächelte ich dünn. „Ach wie“, Amy lächelte: „Du siehst atemberaubend aus.“ „Naja... Meine Schlüsselbeine sehen das anders.“ „Dein Schlüsselbeine passen genauso gut zu dir wie dieses Kleid.“ Amy lächelte mich an: „Ab in die Jacken“, sie rauschte zur Garderobe und hielt mir meinen Poncho hin. Ich wickelte mich ein, während Amy einen schwarzen Mantel überzog. Als wir das Wohnheim verließen, lag ein komisches Gefühl in der Luft. Mein Nacken kribbelte ganz komisch und ein beständiges Unwohlsein wurde in meiner Wirbelsäule immer stärker, während wir dem Weg zum Haupttor gingen. Durch eben dieses verließen wir das Schulgelände. Der Wärter verabschiedete uns höflich. Vor dem Tor lächelte uns der schwarzhaarige Butler der Phantomhives, Sebastian, vor einer Limo entgegen: „Myladys? Ihr seht wundervoll aus.“ Sebastian war ein größer, gut gebauter und sehr attraktiver Mann. Seine Butleruniform – in Form eines Fracks - war nicht nur ein Kleinstückig, es war seine Lebenseinstellung. Sein Gesicht war so makellos, das es unmenschlich wirkte. Doch seine braunen, fast rostroten, Augen waren kalt, wie sein Lächeln und irgendetwas haftete an dem Mann was mir unheimlich ungeheuer war. „Danke Sebastian“, lachte Amy und stieg an Sebastians Hand ein. Sebastian hielt mir seine Hand hin. „Ähm...“, ich legte meine Hand zögerlich in seine Handfläche, immer noch von irgendetwas an Sebastian furchtbar verstört. Das Gefühl in meinem Nacken und Rücken kribbelte unterschwellig doch intensiver als zu vor: „Danke sehr.“ Er führte mich an der Hand durch die Autotür, sodass ich elegant einstieg: „Ich wünsche eine angenehme Fahrt“, schloss er die Tür. Wir hörten eine weitere Türe auf und zu gehen und der Wagen fuhr los. Ein komisches Gefühl war in meiner Magengegend und das Kribbeln in meinem Nacken bließ einfach nicht nach weswegen ich immer wieder mit den Schultern rollte. Amy lächelte mich aufbauend an: „Du siehst toll aus.“ „Nur weil du eine Promenadenmischung in ein Tütü steckst, wird kein Pudel draus.“ Amy seufzte: „Versuch Spaß zu haben. Ich habe das Gefühl dieser Abend hält die ein oder andere Überraschung für dich bereit.“ Ich kannte Amy genauso gut, wie sie mich. Daher wusste ich, dass sie definitiv Informationen hatte die mir fehlen: „Aha, warum?“ „Nur so ein Gefühl“, lachte sie. Das Phantomhive Manor befand sich in einem Nebel verhangenen Wald am Stadtrand von London. Das gesamte Gebiet war mit Ruinen und Trümmerstein übersäht. Weite Teile des Landes wurden durch eine große Menge von Büschen und Bäumen gezeichnet, bis hin zu dem gigantische Gebäude des Schlosses. Eine lange Treppe führt zum Eingang. Ein riesiger Brunnen in der Nähe stand davor. Jede Ebene des hohen, gotischen Manors umfasste zahlreiche Zimmer, die mit eleganten, luxuriösen Möbeln und dem Hab und Gut des Phantomhive Haushaltes ausgestattet waren. Sebastian öffnete die Autotüre und führte uns an der Hand hinaus. Er verbeugte sich: „Darf ich die Damen zum Ballsaal führen?“ Amy lächelte mich an. Angesichts der großen Villa fühlte ich mich fehl am Platz. „Natürlich“, lächelte Amy Sebastian an. „Folgt mir bitte“, lächelte Sebastian und Amy harkte sich elegant in seinen Arm. Er streckte mir die freie Hand hin: „Lady Rosewell, darf ich bitten?“ Ich war verwirrt und mehr als überfordert. Mein Nacken kribbelte immer noch unterschwellig und ich wusste einfach nicht was es war, aber irgendetwas an dem Butler störte mich gewaltigst. Ich schob den Gedanken bei seite und ignorierte das unterschwellige kribbeln so gut es ging. Gequält ließ ich die etlichen Stunden Benimmunterricht Revue passieren. Mit einem gezwungenen Lächeln legte ich meine Hand auf seine. Er klemmte meinen Arm elegant in seinen und führte uns die lange Treppe hoch, durch die große Flügeltüre, die sich wie von alleine öffnete. Ich war irritiert. In der großen, protzigen Eingangshalle mit den vielen Familienportraits der Phantomhives war niemand. Nur etliche Generation der Adelsfamilie hingen in großen Rahmen an den Wänden. Am anderen Ende des Raumes, zwei große Treppen. An der Wand hinter ihnen prangte groß das Wappen der Familie. Aber ich sah keine Menschenseele, die uns hätte die Türe öffnen können. Wahrscheinlich waren sie einfach schon wieder in einer der etlichen Türen verschwunden. Sebastian führte uns die rechte Treppe hoch, an dem großen Wappen vorbei und wir endeten vor einer großen Eichentür. Sebastian entließ unsere Arme: „Die Damen? Entschuldigt mich. Ich werde alles für ihren Auftritt vorbereiten.“ Meine Augen wanderten zu Amy. „Keine Panik“, konterte sie meine weiten Augen: „Alles cool. Nase hoch, Brust raus, nicht stolpern, alles gut.“ „Hm hm“, summte ich gestresst durch meine geschlossenen Lippen. Sebastian lachte: „Ihr werdet das wunderbar machen. Entschuldigt mich nun“, verschwand der Butler durch die Eichentür. Durch den Spalt, die er sie öffnete, sickerte klassische, aber heitere Musik und ein Wirrwarr aus etlichen Stimmen. Amy lachte: „Bleib cool. Wir rocken das.“ „Ok, ok wenn du so zuversichtlich bist.“ Es verging einige Zeit. Irgendwann kam eine Frau heraus, die sich als ein Dienstmädchen vorstellte. Wir wechselten locker, aber höflich zu dritt ein paar Worte, dann öffnete sie die Türe einen Spaltbreit: „Viel Vergnügen, Myladys.“ Amy harkte sich in meinen Arm: „Haltung!“ Gleichzeitig strafften wir unser Rückgrat. Das Stimmengewirr verschwand, als wir das vornehme Klopfen auf ein dünnes Glas hörten: „Meine Damen und Herren“, sprach eine mir fremde Männerstimme. Amy flüsterte mir ins Ohr: „Mein Vater.“ „Ah“, machte ich. „Darf ich um ihre Aufmerksamkeit bitten?“, fuhr die Stimme von Amys Vater fort: „Wie sie alle wissen, ist der heutige Anlass für diese kleine Feier der 18. Geburtstag meiner liebreizenden Tochter Amber. Deswegen begrüßt jetzt mit mir das Mädchen, nein, die Frau des Abends!“ „Es betritt den Saal“, flog Sebastians Stimme durch den Türspalt und die Maid öffnete die Tür komplett. Amy zog mich nach vorne und wir beide traten im Synchronschritt durch die Tür. Das grelle Licht der vielen großen Kronleuchter, verziert mit etlichen Glasperlen, die die Lichter der Glühbirnen weiter streuten, blendete mich kurz. Dann sah ich die zahllosen Menschen am Ende der langen, geschwungenen Treppe, an dessen Anfang wir nun standen. Der Marmorboden des Tanzsaals war so glatt poliert, dass er spiegelte und die hell getafelten Wände waren verziert mit Dahlien, violetten Stoffbannern und Luftballons. Lange Tische standen an einer Wand, mit langen, weißen Tischdecken und endlosen Leckereien. Sogar ein Schokobrunnen und feinstes Geschirr. Überall standen schwarze Blumenvasen an den Wänden, im Kontrast zum hellen Raum mit grünen Zimmerpflanzen. Ich war sprachlos. Amy führte mich die Treppe hinunter zu der Horde von Menschen. „Die Prefect des violetten Hauses, der Violet Wolfs, des Weston Ladys College, Tochter des Earls und der Countess Phantomhive und der heutige Ehrengast: Lady Amber Heather Phantomhive! Begleitet von ihrer treuen Fag, besten Freundin und begnadeten Künstlerin: Lady Skyler Rosewell! Applaus, meine Damen und Heeren! Applaus!“, begleitet Sebastian erstaunlich laute Stimme unseren Weg nach unten. Die Menge applaudierte. An der Treppe warteten zwei Erwachsene: Ein großer Mann mit längeren, blau/schwarzen Haaren und königsblauen, schmalen Augen, eins von einer schwarzen Augenklappe verdeckt, ein mildes Lächeln auf den dünnen Lippen und im ganzen schmalen Gesicht. Er trug einen teuren, anthrazitfarbenen Anzug. An der anderen Seite eine hübsche Brünette, mit großen braunen Augen und einem herzförmigen Gesicht. Ihre Haare waren aufwendig hochgesteckt und sie trug ein cremefarbenes Rüschenkleid. Auch sie lächelte sanft. Die Beiden hatten ihre Masken in der Hand. „Amy“, ihre Mutter umarmte sie. Ich blieb ein Stück weiter hinten zurück. Die Frau in creme drückte sie fest: „Alles Gute noch einmal mein Schatz. Wir sind so stolz auf dich.“ „Danke Mum“, lächelte Amy. Dann war ihr Vater dran. Er drückte sie liebevoll: „Du bist so groß. Fast erwachsen, aber du wirst immer mein kleines Mädchen sein, sei dir dessen Gewiss.“ „Ich weiß Dad. Danke.“ Ich beschaute die Szene mit einer Mischung aus Frieden, warmer Freude und einem furchtbaren, schneidenden Schmerzen im Herzen und im Lächeln. Amy ließ ihren Vater los und stellte sich neben mich: „Mum, Dad, darf ich vorstellen? Das ist Sky.“ Ihre Mutter reichte mir die Hand: „Oh! Was eine reizende junge Dame! Ich bin Heather Daphne Phantomhive.“ Ich schüttelte ihre Hand: „Es ist mir eine Ehre, Madame Phantomhive.“ Sie lachte: „Oh bitte! Nenne mich Heather. Für Amy gehörst du zur Familie, dann für uns auch.“ Meine Wangen wurden warm und ich wurde aus irgendeinem Grund furchtbar nervös: „Oh, ähm... Vielen Dank, Heather. Es ist mir eine umso größere Ehre.“ Dann streckte mir ihr Vater die Hand hin: „In der Tat. Eine fabelhafte Lady. Ich bin Alexander Julius Phantomhive. Nenne mich doch bitte Alexander.“ Ich schüttelte auch seine Hand mit einem Lächeln: „Es ist mir eine Freude, Alexander!“ Amy lächelte: „Wir müssen die anderen Gäste begrüßen.“ „Die Wichtigen zumindest“, lachte Alexander: „Überlasse den Geschäftskram mir. Du sollst Spaß haben. Ihr sollt Spaß haben.“ Amy nickte: „Aber die üblichen Verbrecher muss Sky kennen lernen!“ Auch Heather lachte: „Es wird sicherlich eine Erfahrung werden.“ Amy zog mich mit sich. „Es war mir eine Freude“, entgegnete ich noch einmal, bis Amy meinen Arm in ihren harkte und mit sich nahm. Sebastian kam uns mit einem Tablett entgegen, auf dem Champagnerflöten standen: „Die Damen.“ Amy nahm eine Flöte, gab sie mir und nahm sich selbst eine: „Auf einen unvergesslichen Abend“, hielt sie mir die Flöte hin. Ich tippte ihre mit meiner an und ein heller Laut surrte durch die Luft: „Auf einen unvergesslichen Abend.“ Wir nahmen einen Schluck und gingen weiter durch den Saal. Ein Junge kam uns entgegen. Er trug einen schwarzen Anzug und hatte eine modische, schwarz/blaue Gelfrisur und schmale königsblaue Augen: „Amy!“ „Hallo Frederic“, lächelte Amy ihrem Bruder entgegen. Die Familienähnlichkeit der Phantomhives war erstaunlich. Die Beiden umarmten sich: „Alles Gute, Schwesterherz.“ Dann wandte er sich zu mir und streckte mir die Hand hin: „Du bist Skyler, hm? Frederic Alexander Phantomhive, aber nenn mich doch Fred.“ Ich schüttelte seine Hand: „Freut mich, Fred.“ „Er war letztes Jahr Prefect der Sapphire Owls auf dem Jungscollege.“ „Ehrlich“, lächelte ich: „Das liegt wohl in der Familie.“ Fred nickte: „Seit Generationen sind die Söhne der Phantomhive Prefect des blauen Hauses. Ich glaube der Headmaster entscheidet das mittlerweile nach dem Nachnamen.“ „Ich bin mir sicher, Ihr hattet es verdient“, lächelte ich weiter. „Oh bitte. Du. Ich bin gerade ein Jahr älter als Amy.“ Ich nickte. Amy schaute ihn an: „Wo sind unsere Chaosgötter?“ Ich schaute etwas verwirrt. Das musste wohl ein Spitzname sein. Fred lachte: „Du findest sie. Unsere Diva ist unübersehbar. Wie immer. Die Anderen waren eben noch bei ihm.“ „Super, komm Sky.“ Ich nickte Fred zum Abschied. Er tat es mir gleich und ich folgte Amy auf dem Fuß. „Ich sagte doch, meine Familie wird dich lieben.“ „Ich glaub sie waren nur höflich...“ „Nein! Du bist eine Erscheinung! Such nach was Rotem.“ „Nach was Rotem?“ „Du verstehst, wenn du es gefunden hast.“ Ich war verwirrt, nahm es aber so hin und half Amy suchen. Dann sah ich es. Mir klappte der Mund auf. Ein Mann mit leuchtend rotem Haar. Sie müssen endlos lang sein, er hatte sie filigran und äußerst feminin hochgesteckt. Über seinen leuchtend gelb/grünen Augen trug er eine venezianische Maske. Sie war weiß, mit roten Rand und beklebt mit roter Spitze, verziert mit roten, schwarzen und weißen Federn. Sein äußerst bleiches Gesicht strahlte, als er sich unterhielt und weit gestikulierte. Er trug ein ebenso leuchtend, rotes Hemd mit einer schwarzen Krawatte und Weste, dazu eine schwarze Hose und rote Stiefeletten mit hohem Absatz. Die beiden Männer um ihn herum hatten ebenso exotische gelb/grüne Augen und genau wie er eine Sektflöte in der Hand. Der eine hatte eine strenge, kurze, dunkle Frisur mit Seitenscheitel. Er schaute etwas genervt aus der venezianischen Maske, die an eine Pestmaske erinnerte, mit einigen glitzernden Ornamenten verziert. Er trug einen schlichten, aber eleganten schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Seine Lackschuhe glänzten. Der Andere hatte blondes, buschiges Haar, welches im Nacken braun gefärbt war. Über seinem jugendlichen Gesicht trug er eine weiße, halbe Maske, Marke Phantom der Oper. Er trug ein weißes Hemd mit schwarzer Weste und eine dunkle Jeans, dazu schwarze Segeltuchschuhe. Seine Aufmachung war etwas zu leger für den Anlass, aber das schien ihn nicht zu interessieren. „Grell! Ronald! William!“, rief Amy und winkte. Die drei Männer schauten zu ihr. Der Mann in Rot kam auf sie zu, umarmte sie, hob sie von den Füßen und drehte sie im Kreis: „Amy!! Du siehst wundervoll aus!!“ „Ah! Grell! Stoooooooop!“, der Mann namens Grell stellte Amy wieder auf ihre Füße. „Ich darf dir zum Geburtstag meine besten Grüße ausrichten, Amber“, sagte der streng wirkende, schwarzhaarige Mann. Amy deutete eine Verneigung an: „Dank Will.“ Der Mann seufzte: „Amber, bitte.“ „Och, nur heute. Als Geschenk, Will.“ William, oder Will seufzte erneut: „Nun gut. Aber nur heute.“ „Versprochen.“ Der Blonde drängelte sich zwischen Grell und William: „Oh Amy! Ich hab auch ein Geschenk für dich!“ Amy lachte: „Oh wie lieb. Was denn Ronald?“ Er nahm ihre Hand: „Du musst unbedingt mit mir tanzen!“ „Lässt sich einrichten“, lächelte Amy freudig: „Darf ich euch jemanden vorstellen?“ Ronald schaute mich an und wackelte bedeutungsschwer mit einer Augenbraue: „Oh ich bitte darum.“ Ich winkte etwas unbeholfen. „Das ist meine beste Freundin Sky. Sky? Das sind Grell Sutcliff, Ronald Knox und William T. Spears.“ „Es ist mir eine Freude“, lächelte ich. Dieser Satz könnte ein neues Mantra werden. „Oh! Dieses Kleid steht dir ausgezeichnet, liebe Sky“, quietschte Grell: „Ein bisschen mehr Selbstvertrauen, Mädchen! Solche Kleider muss man spüren! Man muss sie leben!“ „Äh“, machte ich und hielt mein Lächeln irgendwie: „Danke für den Tipp.“ „Wo sind eure Brillen?“, fragte Amy verwirrt. William seufzte, schon wieder: „Grell fand es eine gute Idee, wenn wir alle Kontaktlinsen tragen.“ „Stell dir vor unsere Brillen gehen in dem regen Treiben kaputt“, verteidigte sich Grell und stemmte die Hände in die Hüften: „Außerdem können wir mit den Brillen keine Masken tragen und das hier ist ein M-A-S-K-E-N-B-A-L-L.“ Ein weiterer Seufzer Williams. „Nicht gut?“, fragte Ronald. Amy lachte: „Doch, doch. Es hat mich nur gewundert. Ich muss sagen, Grells Gedankengang ist gar nicht so dumm.“ „Ein seltener, leuchtender Moment. Er hielt nicht lange“, stöhnte William. „Hey!“, machte Grell Ich musste kichern. Ronald stieg ein: „Du hast das Prinzip verstanden, Sky.“ „Habt ihr die Anderen gesehen?“, fragte Amy. „Lee streunt irgendwo bei den Ladys rum“, sagte Grell: „Er glitzert wie ein Weihnachtsbaum. Man erkennt ihn.“ „Frank und Charlie sind bei ihm“, ergänzte Will. „Er ist auch da“, Ronald schüttelte sich. „Er?“, fragte ich verwirrt. „Ja“, machte Ronald: „Einfach nur er...“ Ich schaute Amy mit einer erhobenen Augenbraue an. Diese lachte: „Alles erklärt sich, wenn du es siehst.“ „In der Tat“, sagte William. Er faste sich an die Nase, als würde er eine Brille hochschieben wollen, die er nicht trug. Genervt ließ er die Hand sinken: „Er ist da, wo er immer ist.“ Amber lächelte: „Dann gehen wir erst zu Lee. Wir sehen uns noch.“ Ronald zwinkerte: „Klar, du musst ja noch mit mir tanzen.“ Grell schenkte uns ein zahnvolles Grinsen. Ich machte große Augen. Seine Zähne waren scharf und spitz, wie ein Haifischgebiss: „Genieße deine Feier, Amy.“ William nickte nur: „Beste Wünsche.“ Amy zog mich weiter. Mein Blick hing noch an dem roten Mann mit den Haifischzähnen: „Was... was war das?“ „Was?“, fragte Amy. „Seine... seine Zähne!“ Amy lachte: „Grell ist harmlos. Lass dich nicht aus der Ruhe bringen.“ „Ah“, das beantwortete meine Frage nicht ansatzweise. Aber ich dachte nicht, dass Amy mich erleuchtet. Wir kamen an eine kleine Sitzgruppe nahe den Tischen, die von etlichen Frauen umringt waren. Jetzt wusste ich was Grell mit 'Weihnachtsbaum' meinte: Ein langer, junger Mann mit kurzen, wuscheligen, schwarzen Haaren saß auf einem Sessel. Er war sichtlich asiatischer Herkunft und sein himmelblaues Changshan war bestickt mit gelben und silbernen Drachenmustern. Der Rest seiner Tracht war dunkel und schlicht. Die Maske über seinen schlitzförmigen, braunen Augen sah aus wie ein goldener Drache. Auf seinem Schoss saß eine Frau und die ganze Runde lachte. Auf einem anderen Sessel saß ein athletischer, junger Mann mit blondem Zopf, braunen Augen. Er lachte heiter mit dem Asiaten und den vielen Frauen. Er trug eine schlichte schwarze Maske über den Augen und einen ebenso schlichten Anzug wie William, nur war seiner grau und sein Hemd ebenfalls. Auf dem dritten Sessel saß ein Mann, der noch genervter wirkte als William. Sein Anzug war dunkel grün und er trug ein weißes Hemd mit vielen, sich kreuzenden schwarzen Linien. Er hatte kurzes, dunkelbraunes Haar, ordentlich gekämmt und war ebenso muskulös wie der Blonde und so lang wie der Asiate. Die Maske über seinen braunen Augen war weiß, mit goldenem Rand und verziert mit Musiknoten. Amy blieb mit mir vor den mit Frauen umringten Männern stehen: „Lee, Charlie, Frank.“ Die Männer drehen sich um. Der Asiate, wahrscheinlich Lee, breitete die Arme aus: „Die Person der Stunde! Das Geburtstagskind!“ Der Blonde stand auf und drückte Amy: „Alles Gute, mein Herz.“ „Danke Charlie.“ Der Andere schüttelte ihre Hand: „Meine Glückwünsche, Amy. Wer ist deine Freundin?“ Die Männer sprachen alle mit Akzent und sahen auch nicht aus wie Briten. Amy lachte: „Das ist Sky! Meine beste Freundin. Sky? Das sind Lee Feng, Geschäftsführer der Kong-Rong Trading Company.“ Lee winkte: „Es ist mir eine Ehre.“ Ich nickte: „Ebenfalls.“ „Das ist...“ „Oh bitte Amy“, lachte der Blonde: „Ich bin groß und schaff das alleine“, er nahm meine Hand: „Charlie Hermanns. Ich vertrete die 'Funtom Company' in Deutschland, aber hauptberuflich reise ich durch die Weltgeschichte.“ „Das ist sicher interessant!“, lachte ich. „Und wie und wie!“ Amy kicherte und zeigte auf den braunhaarigen Mann: „Und das ist Frank von Steinen. Ein deutscher Nobelmann.“ Ich verneigte mich leicht: „Herr von Steinen.“ Dieser nickte: „Sehr erfreut.“ Amy lachte: „Unsere Familien arbeiten schon seit Jahren zusammen!“ Charlie lachte: „Eher Jahrzehnten Amy! Über 126 Jahre!“ Ich machte große Augen. Ich wusste, dass Amys Familie eine riesige Firma für Spielzeug und Süßigkeiten führte und diese Firma schon über zwei Jahrhunderte bestand, aber dass Geschäftsbeziehungen solange hielten fand ich beeindruckend: „Wow.“ Lee lachte: „Ja ja, vier Generationen harmonische Zusammenarbeit.“ „Hast du die Chaoten schon begrüßt?“, fragte Frank. Der Spitzname war irgendwie liebevoll, auch wenn der Mann nicht wirklich gut amüsiert wirkte. Amy lachte: „Ja, nur ihn noch nicht.“ „Ihn?“, fragte ich. „Ja, ja“, lachte Lee: „Einfach nur ihn.“ „Du weißt warum, wenn du ihn kennen lernst“, lachte Charlie. „Wir sollten sie warnen“, seufzte Frank. „Nein, nein!“, machte Lee: „Verdirb' ihr nicht die Überraschung!“ Ich schaute Amy an: „Warte. Ist 'Ihn' 'Er'?“ Amy nickte: „Ja. Wir gehen jetzt zu ihm.“ „Viel Spaß“, wedelte Lee mit seinem langen Ärmel zum Abschied. „Hab keine Angst. Hier sind alle ganz brav“, lächelte Charlie. „Aber trink vorher noch was“, nuschelte Frank in sein Whiskyglas. Amy nahm mich mit. „Wer ist 'Ihn' oder 'Er'? Warum sind alle so kryptisch?“ Amy lachte: „Er ist die Crémé de la Crémé der geistigen... Flexibilität.“ „Aha?“ „Sky, ich kann es nicht beschreiben. Man muss ihn erleben.“ Sie führte mich durch den Raum, an die gegenüberliegende Wand: „Ah, da ist er.“ Ich folgte ihrem Blick und es traf mich wie ein Hammer. Ich dachte wirklich es reißt mich von den Füßen: 'Das kann nicht.... Nein, das ist Zufall.' „Hey! Undertaker!“, rief Amy und winkte ihm zu, als sie mich weiter zu dem Mann zog, den sie Undertaker nannte. 'Undertaker? Was ist das denn für ein Name? Das... Das ist kein Name!', dachte ich verwirrt, als sich etwas in mir sträubte und etwas in mir unbedingt zu dem Mann wollte. Doch waren das Sträuben und die fürchterliche Nervosität stärker. Mein Herz wummerte wie verrückt: „Amy bitte...“ „Jetzt komm. Er ist einer der ältesten Freunde meiner Familie! Und er ist total lieb. Ein bisschen komisch und skurril, aber lieb.“ „Fantastisch...“ Doch ich kam nicht drum herum. Schon allein wegen der Tatsache, dass der Mann in unsere Richtung geschaut hatte, als Amy nach ihm rief. Er lehnte an der Wand, die Arme verschränkt. Bis eben schien er leicht hängenden Kopfes die ganze Szenerie des Balles begutachtet zu haben. Keiner war bei ihm und der Bereich um ihn war vollkommen leer, obwohl so viele Menschen im Saal waren. Er hatte dieselbe atemberaubende Aura wie vor zwei Tagen auf dem Friedhof. Alt, mysteriös, obwohl er nicht alt aussah. Seine langen, silbernen Haare glänzten im Schein der Kronleuchter und fielen ihm in einem hohen Pferdeschwanz über die Schulter. Sein Pony war zur Seite gekämmt und zwei breite Strähnen hingen frei vor seinen Ohren herunter. Ich konnte sein Gesicht nun deutlich sehen, zumindest den Teil ohne Maske. Mein Herz pochte noch schneller. Es war spitz und sehr schön geschnitten. Ein breites Grinsen lag auf seinen geschwungenen, schmalen Lippen. Von seinem rechten Kieferknochen zog sich eine lange Narbe über seine Wange und Nase und verschwand unter der schwarze Maske in Form einer Fledermaus, auf der das Skelett besagten Tieres aufgezeichnet war, die über seinen leuchtenden grün/gelben Augen lag. Es war dieselbe Farbe wie von den drei Männern, die ich zuerst kennen lernte. Waren sie verwandt? Außer den Augen sahen sie sich allerdings nicht ähnlich. Er trug die weite, schwarze Robe nicht, sodass man erkennen konnte, dass der große Mann durchaus gut trainiert sein musste. Er hatte sie gegen ein Nadelstreifenhemd getauscht, bei dem die ersten 3 Knöpfe in Form von Totenköpfen offen standen und so die Narbe rund um seinen Hals freigaben. Auch auf seiner Brust sah man ein Stück einer Narbe. Seine Ärmel waren hochgekrempelt. Auch seine Unterarme hatten ein bis zwei große Narben. Was war mit ihm passiert? Um seine Oberarme zogen sich zwei Ärmelhalter mit einer silbernen Schnalle, die wie Knochen gestaltet waren. Dazu trug er eine enge schwarze Hose, eine goldene Kette mit einigen Medaillons um die Hüfte und lange Overkneelackstiefel mit vielen Bändern und Schnallen. Er stieß sich von der Wand ab, als Amy mit mir im Schlepptau näher kam: „Lady Phantomhive, hehe“, seine Stimme war komisch. Als ob er viel höher sprach, als für seine Stimmbänder ausgelegt. „Undertaker! Ich hab so gehofft, das du kommst!“ „Eeehehehehe“, lachte er schrill und irgendwie gruselig, als er seine Arme auseinander faltete und seine langen Arme mit den schlanken Händen, den dünnen Fingern und den langen schwarzen Nägeln ausbreitete. Amy fiel ihm um den Hals und die Beiden schunkelten ein paar Mal von links nach rechts und zurück: „Wie könnte ich nicht? Ich bleibe vielleicht nicht lange, aber zu Geburtstagen und Halloween komme ich doch immer, oder?“ Er schaute mich über Amys Schulter an und grinste breiter. Ich wusste nicht ansatzweise wie ich mich verhalten sollte. Vielleicht war er es ja gar nicht! Amy lachte: „Du hast recht“, sie nahm die Arme runter. „Ich hab etwas für dich“, lächelte er und zog ein kleines Schächtelchen aus der Brusttasche. Es sah aus wie ein kleiner Sarg. Amy nahm es entgegen und öffnete es: „Wie süß!“ Darin lag eine kleine silberne Brosche, in Form eines Totenschädels, verziert mit schwarzem Tüll und zwei blauen Seidenrosen. „100% selbstgemacht“, lachte der Mann. „Oh danke!“, sie fiel ihm noch mal um den Hals. Undertaker schlang die langen Arme um sie und hob sie kurz in die Luft: „Ach nicht doch, hehe.“ Er setzte sie ab. Amy lächelte und steckte sich die Brosche an: „Und?“ „Besser als gehofft, hihi.“ Amy lachte und zeigte mit der Hand auf mich: „Wenn ich dir meine...“ Doch er streckte mir schon seine Hand mit den langen, aber nicht unansehnlichen Fingern hin. Er trug einige Ringe und hatte eine weitere Narbe rund um seinen kleinen Finger: „Lady Rosewell.“ „Woher...“, begann ich, doch der Mann, Undertaker, unterbrach mich: „Ich habe sehr gute Ohren und Sebastian hat euch lautstark angekündigt.“ Ich lächelte gequält und nahm seine Hand: „Sehr... erfreut... Aber bitte, ich bin Sky.“ „Ein schöner Name“, grinste der Mann und hielt meine Hand fest: „Für eine schöne, junge Lady.“ Ich merkte wie meine Wangen rot wurden. Die Hand des Mannes war verwunderlich weich, doch furchtbar kalt. „D-danke“, lächelte ich ihn weiter an. „Oh bitte“, er zog mich zu sich und nahm mein Kinn in die andere Hand. Er drehte meinen Kopf, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast. Mir schoss die Farbe ins Gesicht, als ich in die leuchtenden Augen sah und mein Herz einen Marathon ohne mich lief. Sie hatten einen ganz unbeschreiblichen Ausdruck, doch dann tat mein Herz einen schmerzhaften Sprung und meine Augen weiteten sich: Er roch nach Zucker, geschnittenem Gras und Zedernholz. „Nicht so ein gequältes Lächeln“, grinste er. „Äääähm“, war das Einzige was ich zu Stande bekam. Er legte den Kopf schief, ohne die Distanz zu verlängern und grinste weiter. Es war ein lachhaft breites Grinsen, doch es war irgendwie nicht unansehnlich: „Hm?“ „Ich... ich... ähm...“ „Ja?“, er lachte wieder schrill: „Eehehehehehe. Nicht so schüchtern. Sprich dich aus, Sky“, mein Name rollte mit einer seltsamen Betonung von seinen Lippen. Amy lachte: „Manche Menschen fühlen sich eingeengt, wenn du ihnen so wenig Platz lässt, Undertaker. „Eeehehehehe“, lachte er und ließ meine Hand und mein Kinn los. Meine Knie waren gefährlich weich geworden. „Lass mir doch ein wenig Spaß“, grinste er. Ich schaute ihn perplex an. Amy lachte: „Du hattest ihn doch, aber eigentlich wollte ich nicht, dass Sky an diesem Abend an einem Herzinfarkt stirbt.“ Er legte eine Hand auf seine Brust: „Ich mache doch nichts.“ „Sky?“, lächelte Amy. Ich drehte mein gestresstes, rotes Gesicht zu ihr: „Hmm?“ „Undertaker ist Bestattungsunternehmer. Er bietet jeglichen Service an: Vom eigenen Sarg bis zur Grabpflege. Er ist schon lange ein guter Freund der Familie. Fast schon ein Teil davon.“ Ich schaute ihn wieder an. Den Bestattungsunternehmer glaubte ich ihm sofort. Warte! Bestattungsunternehmer?! Grabpflege?! Er arbeitet also auf Friedhöfen?! Mein Kiefer klappte auf: ' Das kann doch nicht...', ich schaffte den Gedanken nicht zu Ende. Irgendetwas in mir wollte nicht glauben, dass es sich um DEN Mann handelte. Es war Zufall, purer Zufall. Ich bin wahrscheinlich nur verrückt geworden. „Sag, Sky“, er streckte sein Gesicht in meins. Ich zog den Kopf mit großen Augen nach hinten und merkte die Hitze in meinem Gesicht: „Willst du wissen, wie es ist in einem maßgefertigten Sarg zu liegen?“ „Was?!“, entfuhr es mir lauter, schriller und uneleganter als ich wollte. Ich tat einen Schritt zurück: „Bitte..?! Was?! Wieso...?!“ Er zog seinen Kopf wieder zu sich und verschränkte nur die Fingerkuppen, als er zu Lachen anfing: „Hihihi, ich mache die besten Särge in ganz London. Sie sind berüchtigt, meine Kunden haben sich noch nie beschwert.“ 'Kein Wunder', dachte ich mir: 'Die sind auch tot, verdammt!' „Er hat recht“, bestätigt Amy: „Wer eine wirklich traditionelle Bestattung wünscht, geht zu ihm.“ Er drehte eine Hand in der Luft: „Ich bin wahrscheinlich in der Tat... Wie sagt man mittlerweile... etwas Old-fashion.“ Dann legte er einen Zeigefinger an die Lippen und lachte. 'Was ein Vogel', schoss es durch meinen Kopf. Es stand wahrscheinlich auch in meinem Gesicht, denn der Mann lachte noch mehr. Er wirkte nicht ansatzweise angegriffen oder pikiert. Plötzlich schlangen sich zwei Arme von hinten um meine Taille und zogen mich ein Stück weg: „Also wirklich!“ Ich drehte meinen Kopf und sah in ein Gesicht umrahmt von roten Haaren: „So behandelt man keine Ladys, du verrückter alter Sack!“ 'Alter Sack?', Grells Betragen und diese Aussage feuerten meine überforderte Verwirrung weiter an:' Der ist vielleicht Anfang 30! Genau wie du!', tatsächlich schätzte ich Grell und Undertaker als ungefähr gleich alt ein, Undertaker war vielleicht ein paar Jahre älter, doch ich schaffte es nicht es auszusprechen. Doch Undertaker quittierte auch diesen Angriff auf seine Person mit einem amüsierten, schrillen Lachen: „Eeehehehe. Wenn man so alt ist wie ich sucht man verzweifelt nach etwas Amüsement“, er tat zwei Schritte auf uns zu und streckte seine Nase nun in Grells Gesicht: „Du kannst mich ja bespaßen, wenn du meinst das Mädchen vor mir beschützen zu müssen.“ Das ganze Gespräch leuchtete mir einfach nicht ein und mein Blick wechselte zwischen Grell und Undertaker hin und her. Ich war nicht mal so viel bei mir, dass ich versuchte mich aus Grells Armen zu befreien, obwohl ich kein Fan von Körperkontakt war, schon gar nicht von so engem, denn Grell drückte mich fest gegen seine Brust, wie ein verletztes Kätzchen, was er von einer blutdürstigen Dogge beschützen müsse. Grell war sichtlich verärgert, Undertaker hingegen sichtlich belustigt. „Du Perversling!“, kreischte Grell. „Pervers?“, Undertaker lachte, schon wieder: „Woran denkst du denn? Eehehehehe. Du bist der Perverse, wenn das tatsächlich dein erster Gedanke ist.“ „Wie soll man das denn sonst verstehen?!“ Undertaker zog seinen Kopf zurück und legte überlegend einen Finger an die Lippen: „Lass mich nachdenken... Was wäre denn lustig... hmmmm... Mach den Phönix!“ „Den was?“, fragte ich leise. Grell ließ mich los, rauschte nach vorne und ging Undertaker an die Gurgel. Er schüttelte ihn heftig, von vorne nach hinten: „Den Phönix!? Nicht in diesem Leben! Nicht in irgendeinem Leben! So was von einer Dame zu verlangen!“ Jeder andere wäre wahrscheinlich schon ohnmächtig, aber Undertaker lachte, als habe er selten so viel Spaß. Er lachte wie ein Verrückter. Ich schlich zu Amy: „Lass uns abhauen...“, flüsterte ich ihr zu, als Grell Undertaker immer noch lauthals sehr uncharmante Dinge an den Kopf warf und der Bestatter lachte wie ein hysterisches Kind auf einer Hüpfburg. Amy lachte: „Na dann...“, sie wurde je unterbrochen, als jemand ihre Hand griff. Es war Ronald: „Komm Amy! Das Lied ist genau das Richtige für uns.“ Sie lächelte mich an. Ich schaute mit der Miene eines begossenen Pudels zurück. „Ich komme gleich wieder! Amüsiere dich!“ Ich schaute über die Schulter. Die Szenerie zwischen Grell und Undertaker hatte sich noch nicht geändert und etliche Augen starrten sie an. Ich schaute wieder zu Amy, aber sie war weg. Mein Blick wanderte zur Tanzfläche, wo sie einen formvollendeten Walzer mit Ronald aufs Parkett legte. Die Beiden lachten dabei. Amy sah so aus, als genieße sie ihren Abend. Bei dieser Erkenntnis streifte mein Gesicht ein dünnes Lächeln, doch ich fühlte mich ziemlich alleine zwischen all den Menschen die ich nicht kannte und die, die ich kennen lernen durfte waren doch reichlich bizarr und irgendwie ziemlich seltsam. Mit einem Seufzen drehte ich mein Gesicht weg von der Tanzfläche und ließ auch die beiden Streithähne hinter mir. Ich wanderte an den großen Fenstern entlang und schaute auf den großen Brunnen. Gedankenverloren verschränkte ich die Arme und schaute hinaus. Die ruinengespränkelte Landschaft in Kombination mit dem großen herrlichen Brunnen. Ich stellte mir vor, wie die Szenerie wohl von der gegenüberliegenden Seite wirken musste: Ruinen, der Brunnen, die Villa im Hintergrund. Mein Blick wanderte weiter die Wand entlang. Da sah ich eine schlichte Tür, so lackiert, dass sie fast in der Wand verschwand. Ich beugte mich ein Stück vor um aus dem Fenster an der Wand vorbei zu schauen. Wie es schien war hinter der Tür kein weiterer Raum. Wahrscheinlich war es ein Eingang für Bedienstete, damit sie nicht mit Sack- und Pack die große Treppe rauf und runter mussten. Mein Kopf kippte ein Stück zur Seite. Ich fühlte mich alleine hier unwohl, doch ich konnte nicht von Amy verlangen, dass sie mir erlaubte, den ganzen Abend an ihren Fersen zu hängen. Sie sollte ihren Geburtstag feiern, so wie sie es möchte. Außerdem machte dieses unterschwellige Kribbeln mich halb verrückt. Es verfolgte mich nun schon den ganzen Abend. Wahrscheinlich war es schlicht und einfach die Nervosität. Also beschloss ich mir meine Heimkindfertigkeiten zu nutze zu machen und ungesehen ins Nichts zu verschwinden. Ein bisschen frische Luft würde mir sicher gut tun und meine Nervosität ein wenig verschwinden lassen. Außerdem wollte ich wissen, ob die Szenerie wirklich so atemberaubend war, wie in meinem Kopf. Vollkommen normal ging ich zu der kaschierten Tür und schlüpfte hindurch. Solange man sich normal bewegte, verschwand man am besten aus dem Sichtfeld der meisten Menschen. Es war frisch draußen. Mein Atem bildete kleine Wölkchen, als ich die Arme um meinen Körper schlang. Es war eine kühle, doch sternenklare Septembernacht. Ich sog die kalte Luft ein und sie wehte seicht durch meinen aufgewühlten Verstand. Sanft streichelte ein lauer Wind meine heißen Wangen. Ich wusste nicht warum ich so rot geworden war. Ein komisch, mir vollkommen unbekanntes, Gefühl lag eher unterschwellig, doch warm und kribbelig in meiner Bauchgegend. Doch wenigstens war das Kribbeln in meinem Nacken fast gänzlich abgeflaut. Nur noch ganz leicht surrte es durch meine Wirbelsäule. Ein weiterer sanfter Seufzer entfuhr mir, als ich den Brunnen passierte und die ersten Bäume erreicht hatte. Ich drehte mich wieder zum Manor und beschaute die Szenerie mit kritischen Augen. Die protzige, elegante Villa:' Zeitlos...', umgeben von Verfall:' Vergangen...' und dem sprudelnden, mit steinernen Vasen verzierten, Brunnen:' Leben...' Ich bedauerte zutiefst, dass ich keinen Block und Stift zur Hand hatte. Ich habe zwar lieber das Original vor Augen, doch ich entschloss mich ein Foto zu schießen, um den Anblick der Villa später auf mein Papier zu bannen. Mit gezücktem Handy ging ich an dem Rand des kleinen Waldstückes entlang und schoss immer mal wieder ein Bild. Ich würde mich später für den besten Winkel entscheiden. Als ich mit dem Finger über den Display wischte, um die Bilder das erste Mal in Augenschein zu nehmen, fuhr urplötzlich ein bedrohliches Kribbeln durch meinem Rücken, sodass ich die Schultern drehte, um das unangenehme Gefühl zu vertreiben. Dann hörte ich ein Knacken hinter mir. Erschrocken fuhr mein Oberkörper herum. Nichts. Ich drehte mich wieder weg. Vielleicht war es ein Mäuslein, das sich vor meiner plötzlichen Bewegung mehr erschreckt hatte, als ich vor dem Geräusch. Ich atmete tief durch, doch ein bedrohliches Kribbeln blieb in meinem Rücken zurück, sodass ich die Schultern drehte, um das unangenehme Gefühl zu vertreiben. Langsam wischte ich weiter durch die Bilder. Schon wieder ein Knacken. Ein paar Vögel stoben auf. Ich fuhr wieder halb herum: „Hallo?“ Vielleicht hatte sich ja jemand am Sekt zu gütig getan, sich ebenso wie ich aus dem Saal geschlichen und sich in den Wald gerettet, um unbemerkt seinen gestressten Magen zu erleichtern. „Ist dort jemand?“, ich steckte das Handy weg und hob die Tüllschleppe des Kleides hoch, als ich ein paar Schritte über das Unterholz des Waldrandes tat. Pumps waren dafür übrigens nicht die richtige Wahl, weswegen ich die Bäume als Stütze benutzten musste: „Brauchen sie Hilfe?“ Mein Herz blieb stehen, als etwas meine Schulter griff. Ich wurde in zwei Arme gezogen. Eisern hielt Einer mich fest umschlossen und der Andere presste meinen Mund zu, sodass nicht mehr als ein gequältes Stöhnen zu hören war. „Na, na?“, lachte eine junge Männerstimme: „Wen haben wir denn da? Was macht ein so zartes Ding wie du hier, im Wald, vor dem Manor Phantomhive?“ Ich wollte ihn ankeifen und beschimpfen. Ihn anschreien, er solle mich los lassen, aber die Wörter wurden durch seine Hand ein abgedämpfter Buchstabensalat. Ich wand mich, doch ich kam nicht gegen den Arm an. Etwas knackte. Einmal. Zweimal. Dann schälte sich eine dunkle Silhouette aus dem Schatten der Bäume. Ein blonder junger Mann, soweit ich im Dunklen erkennen konnte. Mittellanges Haar, große blaue Augen in einem unschuldig, runden Gesicht. Seine Kleidung konnte ich nicht richtig erkennen, was ich sah förmlich und dunkel. Sein zu einem fiesen Lachen verzehrter Mund wirkte falsch in seinem Gesicht: „Oh, ein Ballkleid. Ihr seht vorzüglich aus, junge Lady.“ Ich wand mich stärker. Vergeblich. Panisch starrte ich den Mann an, der nur ein paar Jahre älter schien als ich. Er tat einen Schritt auf mich zu: „Wie kommt es, dass jemand wie ihr ohne Begleitung unterwegs ist?“ Ich erstarrte. Meine weit aufgerissenen Augen brannten an der kalten Luft. Er kam noch näher und streckte die Hand aus. Er fuhr mit zwei Fingern mein Schlüsselbein entlang. Es kitzelte unangenehm und hinterließ eine hitzige, kribbelnde Spur aus Angst. Seine Finger wanderten weiter, meinen Hals hinauf zu meinem Kinn: „Claude, lass sie los.“ „Ja, eure Hoheit“, die Hände verschwanden. Doch bevor ich etwas tun konnte, hatte der Blonde mein Kinn zu sich gezogen und meine Hüfte gegriffen. Mein Kinn hielt er eisern fest. So fest, dass es schmerzte. Mein Nacken knackte, als der junge Mann meinen Kopf unsanft zu ihm hoch bog und ich ihm so in die blauen Augen sehen musste. In Ihnen stand ein gefährliches Leuchten. Ein amüsiertes, gefährliches Leuchten: „Wie heißt du?“ „Fahr zur Hölle!“, rief ich und stemmte meine Hände gegen seine Brust, um mich aus seinen Griff zu befreien. Er zog mein Kinn näher zu sich: „Na! Wie unhöflich!“ „Lass mich los!“ „Ich will mich doch nur mit dir unterhalten“, lachte er gefährlich. „Aber ich nicht mit dir!“, ich trat ihn mit meinen Hacken auf den Fuß. Überwältigt von dem unerwarteten Schmerz ließ er mich los und ging leicht in die Knie. Ich haute ihm den Ellbogen gegen die Nase und rannte so gut es ging. „CLAUDE!“ „Ja, eure Hoheit.“ Ich war die paar Schritte aus dem Wald gestolpert, da wurde ich von den Füßen gehoben: „Mein junger Meister wünscht mit Euch zu sprechen, hört ihr nicht?“ Ich schaute in ein ausdrucksloses Gesicht. Schmale goldene Augen hinter einer eckigen rahmenlosen Brille. Kurze, wilde, braune Haare. „Lass mich ge...“, wieder hielt er mir den Mund zu, obwohl er mich auf dem Arm hatte. Der Mann musste stark sein. Das Gefühl auf meinen Lippen war nicht das Gefühl von Haut, sondern von Stoff. Vermutlich trug er Handschuhe. Ich versuchte mit beiden Händen den Arm wegzuschieben. Vergebens. Der Blonde kam zu uns: „Du Hure!“ Ich strampelte mit den Beinen, doch der Braunhaarige blieb unbeeindruckt. Der Blonde griff nach mir. Ich kratzte ihn im Gesicht. Drei leuchtende Schrammen blieben zurück. Kurz starrte er mich wütend an. Das Verhängnis in seinen Augen ließ mein Herz und Körper einfrieren. „Lass sie runter“, knurrte er dunkel. Der Brillenträger tat wie ihm geheißen. Der Blonde kam auf mich zu und ohrfeigte mich: „Was wagst du dich!?“ Ich lief. So schnell ich konnte. Doch in meiner Hast knickte mir der Fuß in den hohen Schuhen um. Ich spürte das weiche Gras, als ich auf dem Boden landete. Als ich versuchte mich aufzurappeln, griff mich etwas an den Haaren und riss mich unsanft auf die Füße: „Dich werd' ich lehren, du kleines Miststück.“ Ich konnte nicht anders, als dem Blonden zu folgen, während er mich an den Haaren in eine Richtung zog: „Lass mich los! Lass das sein!“ Der Blonde nahm mich irgendwann an den Schultern und drehte mich zu ihm. Wieder fixierte er meinen Kopf an meinem Kinn. Wut und Verachtung schrien mir aus tiefem Blau entgegen: „Du hättest einen sehr schönen Abend haben können“, flüsterte er mir bedrohlich leise ins Gesicht. Mein Atem raste, genau wie mein Herz und meine Lungen brannten vor Panik, als sein Hauch warm über meine Wangen rollte: „Eine sehr aufregende Nacht. Nun. Diese Nacht wird noch aufregend werden. Für dich. Ein allerletztes Mal“, ein dunkles, tiefes Lachen kroch in meine Ohren und schickte ein fürchterliches Kribbeln meine Wirbelsäule entlang in meine Finger. Er ging einen Schritt nach hinten. Da er mein Kinn so eisern festhielt, musste ich mit gehen. Meine Kniebeugen stießen an etwas Kaltes. „Au revoir“, lachte er. Dann ertrank meine Welt wortwörtlich in einem tiefen Rauschen. Seine Hand packte meinen Hals, als er mich in kaltes Wasser tauchte. Ich wehrte mich. Trampelte, tritt, schlug um mich. Wasser spritzte. Es war furchtbar kalt. Ich wusste nicht wie lange ich kämpfte, doch ich spürte das Brennen in meinen leeren Lungen. Ich wollte husten, weil ich Wasser schluckte, doch dadurch verschluckte ich mich nur noch mehr. Meine Arme wurden lahm, meine Beine auch. Die Kälte kroch bis in die Tiefen meines Körpers, als mein Sichtfeld, verschwommen von Blasen und wilden Wellen, immer kleiner wurde. Der schwarze Rand kroch aus den Rändern meiner Augen in meinem Kopf, bis ich nicht mehr stark genug war weiter zu kämpfen. Das kalte Wasser ergriff mich gänzlich, als meine Gliedmaßen erschlafften. Eine ungute, kalte Ruhe kehrte in meinen Kopf und mein Herz schlug langsamer. Viel langsamer. 'Ich werde sterben', hallte es träge durch meine Gedanken. Als ich die Augen schloss und endgültig aufgeben wollte, griff mich etwas und zog mich hoch. Ich spürte nicht wie das Wasser an meinem Körper vorbeifloss, bis mich die scharfe Luft willkommen hieß. „Sky? Sky?! Atme!“, sickerte eine Stimme dumpf und von weit her durch meine sirupartigen Gedanken. Eine Bewegung in meinem Körper. Doch nicht von mir. Mein Körper war zu taub. „Hey! Hol Luft!“, ich kannte die Stimme. Die Bewegung hörte nicht auf. Ich fing an etwas Weiches unter mir zu spüren. „Sky!“ Es war furchtbar kalt und dunkel. Das taube Gefühl wich nach und nach einem furchtbaren Brennen. In meinen Gliedmaßen war es eher unterschwellig, doch in meiner Lunge wütete es wie Feuer. Krampfhaft hustete ich. Ein Schwall Wasser rollte über meine Lippen. Ich hustete weiter. Es beschlich mich das Gefühl meine Lungen flogen in tausend Teile. „So ist es gut“, die Stimme wurde lauter, kam näher: „Du musst Luft holen! Heute ist noch nicht dein Tag!“ Scharf und röchelnd zwang ich mich, meine gereizten Lungen mit Luft zu füllen. Obwohl ich es so krampfhaft versuchte, hatte ich das Gefühl zu ersticken. Husten und gequältes Atmen schüttelten mich im Wechsel. Ich spürte Gras zwischen meinen kraftlosen Fingern. Etwas Warmes an meinem Rücken. Ich merkte, dass die Wiese nur unter meiner unteren Körperhälfte war. „Ruhig“, die Stimme war sanft und holte mich nach und nach zurück an die kalte Luft. Mein Körper zuckte. Ich zitterte furchtbar durch die Kombination aus Wasser, kalten Luftzügen und Schmerzen. „Alles wird gut, atme ruhig. Du bist nicht allein.“ Ich schloss den Mund und versuchte ruhiger durch die Nase zu atmen. Da war etwas. Mein Kopf ratterte. Ich roch etwas... es war süß... und frisch... und natürlich. Die Erkenntnis riss mich mit sich in die wache Welt: Zucker, gemähtes Gras und Zedernholz! Ich riss die Augen auf. Japsend schaute ich in ein spitzes Gesicht, gezeichnet von einer großen Narbe. Ich röchelte, ich huste und konnte nichts sagen. Ein sanftes Lächeln, es wirkte irgendwie erleichtert, lag auf seinen dünnen Lippen und den leuchtenden grünen Augen. Die Maske fehlte. Das Gesicht über mir war komplett und atemberaubend schön. „Under...“, begann ich, musste aber wieder husten. Ich merkte, dass der Mann mich in den Armen hielt. Ich zitterte unkontrolliert und heftig. Woher mein Körper dazu die Kraft nahm wusste ich nicht. Jeder Windhauch fühlte sich an, als schnitt ein Messer in meine Haut. Mickrig und erbärmlich fühlte ich mich. „Schhhh“, machte der Totengräber beruhigend und aufmunternd: „Alles ist in Ordnung. Sprich nicht. Atme.“ Er legte mich ins Gras. Mein verschleiertes Sichtfeld hing an dem Gesicht des silberhaarigen Mannes. Neben ihm lag ein langer Mantel auf dem Boden. Fast eine Robe. Ich kannte sie. Die Friedhofsszene schwirrte durch mein schlaffes Gehirn. Mit schnellen Bewegungen wickelte er sie um meinen Körper. Dann hob er mich mit beiden Armen hoch. Er lächelte warm. Nicht dieses komische alberne Lächeln, es wirkte... ehrlicher. Schnellen Schrittes ging er auf die Villa zu: „Sebastian!“ Ich wand meine schweren Augen ab von dem schönen Mann und schaute zum Eingang. Sofort nach dem Ruf des Bestatters öffnete sie sich und der Butler stand in der Tür: „Was ist passiert?“ „Oliver war hier. Mit Claude“, antwortete Undertaker, als er zum Butler aufgeschlossen hatte. „Diese verdammten Trancys!“, fauchte der Butler: „Komm schnell. Wir müssen sie aufwärmen, ansonsten bekommt sie eine Lungenentzündung.“ Die beiden Männer liefen im Laufschritt durch die Halle. Von weiter weg hörte ich Amys Stimme: „Gott! Was ist passiert!? Sky?!“ „Die Trancys, Mylady“, antwortete der Butler: „Emma, mach ein Zimmer bereit! Kenny, koch Salbeitee und mach eine Wärmflasche fertig! Laura, hol Decken und warme Kleider!“ Dreimal ein: „Ja!“, auf die Instruktionen des Butlers. Amy erschien an meiner Seite. Mein Atem ging immer noch raschelnd: „Sky? Geht es dir gut?“ Ich konnte nichts sagen. Ein leichtes Hüpfen verriet mir, dass Undertaker zwei Stufen gleichzeitig nahm. Ein stechender Schmerz in meinen Lungen legte einen Knoten in meine Kehle. Verzweifelt versuchte ich ihn aus zu husten. Ich hatte wieder das Gefühl ich erstickte. „Sky!“, Amy´s Stimme klang hysterisch, als mein Sichtfeld in sich zusammen sackte. „Hey! Atmen!“, sprach die Stimme des Totengräbers nah an meinem Ohr. Der Geruch von Zucker, Gras und Zedernholz begleitete mich in ein tiefes, schwarzes Nichts. Undertaker Der Freitag war relativ ereignislos und arbeitsreich von statten gegangen. Ich bereitete mehrere Gäste für ihre Beerdigungen vor, fuhr sie zum Friedhof, bereitete die Kapelle vor und bahrte sie auf. Es waren alle keine großen Beerdigungen gewesen. Klein, Traditionell, Gefühlsschwanger. Leider konnte ich nie wirklich lange bleiben, denn heute folgten Beerdigungen Schlag auf Schlag und ich musste noch einige vorbereitende Arbeiten leisten, die ich am Samstag nicht erledigen konnte, da ich ja wegfahren wollte. Am Nachmittag ging ich zu einem kleinen Schneider, um mir ein Hemd abzuholen, bei dem er ein Loch flicken sollte. Es war eins meiner liebsten Stücke, aber alt und ich wollte es am Samstag tragen. So ereignislos wie der Freitag begann endete er auch, was nicht hieß es war ein schlechter Tag gewesen. Ganz im Gegenteil! Nachdem ich bis spät Abends meinen Gästen zu Diensten war, legte ich mich zufrieden in meinen Sarg und schloss die Augen bis zum nächsten Morgen. Bevor ich mich am Mittag für den Ball fertig machte, arbeitete ich an ein paar Entwürfen für neue Särge und schrieb eine Einkaufsliste für Holz und andere Materialien, die ich für die neuen Entwürfe brauchen würde. Ich trug in meinen Kalender für Montag ein, durch ein paar Stoffläden zu streifen und mir Stoffe und Muster anzuschauen. Während ich dabei war Striche auf das Papier vor mir zu zeichnen, ging meine Ladentür auf. Ich blinzelte auf. Ein rothaariger Mann wehte in meinen Laden: „Undertaker!“, trällerte er. Ich grinste ihn durch meinen Pony an: „Hallo Grell. Was kann ich für dich tun?“ „Ich bin hier um etwas für dich zu tun“, er setzte sich auf den Tresen, an dem ich gerade arbeitete. „Aha?“, machte ich neugierig, doch Grell zog zu erst das Papier unter meinen Stift weg: „Ein Sarg? Warum verwundert mich das nicht?“ Ich lehnte mich zurück und verschränkte lachend Finger und Beine: „Du bist hier in einem Bestattungsunternehmen, Grell. Was erwartest du?“ Grell seufzte: „Wahrscheinlich genau das. Wie auch immer“, er legte das Papier zurück auf den Tisch und griff in seine Manteltasche: „Hier.“ Er legte einen kleinen Behälter auf den Tisch. Er bestand aus zwei kleinen, kreisrunden Containern, auf dem einen ein 'L' auf dem anderen ein 'R'. „Was ist das?“, nahm ich den Behälter zwischen den Fingernagel des Daumens und des Zeigefingers und hielt ihn nah vor mein Gesicht. Grell lachte: „Ein Aufbewahrungsbehälter für Kontaktlinsen.“ Ich zog eine Augenbraue hoch, auch wenn ich wusste, dass Grell es nicht sah: „Wozu bringst du mir das?“ Der rothaarige Sensenmann nahm meine Fledermausmaske vom Tresen und beschaute sie: „Wie ich sehe bist du heute Abend ebenfalls wieder mit dabei. Deswegen dachte ich du könntest das gebrauchen.“ „Natürlich bin ich dabei, hehe. Aber wozu sollte ich Kontaktlinsen brauchen?“ Grell breitete theatralisch die Arme aus: „Heute Abend ist ein Maskenball. Da kann man keine Brillen tragen. So bist du, ohne Brille, nicht blind wie ein Fisch!“ „Ich trage so gut wie nie eine Brille, Grell.“ Grell verschränkte seufzend die Arme: „Willst du nicht auch mal was von dieser Welt sehen, außer konturlose Flecken?“ „Sehen ist nicht alles, Grell. Eeheheheheehehe.“ Grell putzte seine Brillengläser mit seiner braunen Anzugweste, als er mir antwortete: „Ich wollte nur nett sein. Ich hab welche für Will, Ronald und mich besorgt. Die Beiden werden so schnuckelig aussehen! Da fielst du mir ein. Ich dachte du freust dich, dass mal jemand an dich denkt.“ Wieder lachte ich: „Tehehehe. Ich bin höchst geschmeichelt, lieber Grell.“ Grell drehte sich und knallte die Hände auf den Tisch, als er sich in mein Gesicht beugte: „Du darfst deine Augen nicht immer verstecken, das ist unfair! Unfair! Unfair! Unfair!“, er klopfte immer wieder mit den Händen auf den Tresen. Meine Augenbraue wanderte weiter nach oben. Dann griff Grell in meine Haare und schob meinen Pony zurück. Er stützte sein Kinn auf die andere Hand: „Die sind soooo tooooolllll~♥“ „Danke, danke, lieber Grell, hihi. Also“, ich schaute noch mal auf den kleinen Behälter: „Du willst, dass ich das trage?“ Grell hob beide Fäuste ans Kinn, wodurch meine Haare zumindest halb wieder in mein Gesicht fielen und wackelte mit der Hüfte: „Jaaaa!“, quietschte er. „Ich soll mir irgendwas in die Augen stecken? Eehehehehehe! Sagt noch mal das was ich so von mir gebe sei verrückt.“ Grell hörte auf zu wackeln und seufzte wieder: „Das ist nicht verrückt. Es ist vollkommen ungefährlich. Man kann scharf sehen, ohne dass diese nervigen Brillen die Harmonie unserer wunderbaren Gesichter stören! Wie praktisch!“ „Na, ich weiß ja nicht, hehe.“ Grell schaute beleidigt weg und drehte sich um: „Tu was du willst!“, warf er empört eine Hand nach oben und öffnete die Tür: „Ich wollte nur nett sein! Wir sehen uns heute Abend“, er schaute zurück und zwinkerte mir zu, bevor er wieder den Laden verließ. Mit dem einen Auge, über das mein langer Pony nicht zurück gefallen war, schaute ich erst auf die Tür und dann auf den Behälter: „Kontaktlinsen, hm?“ Ich wusste nicht so ganz was ich von so neumodischem Tam Tam halten sollte. Andererseits... Warum sollte ich mich vor etwas Neuem versperren? Ich lebe jetzt nun mal im Jahr 2015, die Welt blieb nicht stehen, es wäre auch furchtbar langweilig, wäre es so. Mit einem schrillen Lachen legte ich den Plastikbehälter wieder auf den Tisch und schaute auf meine alte, silberne Taschenuhr. 14 Uhr. Es wurde Zeit mich fertig zu machen. Eigentlich ersetzte ich nur meinen langen Mantel, den ich innen trug, durch das Hemd was ich gestern abgeholt hatte und wollte meinen Zylinder heute an der Garderobe zurücklassen. Nachdem ich das kleine Präsent für Amy in meiner Brusttasche verstaut hatte, machte ich mir einen Tee und warf eine Hand voll Zuckerstückchen in den Plastikmessbecher, in dem zwei Teebeutel 'New Moon Drop' hingen. Ich beschaute die Pappschildchen der Teebeutel melancholisch, als ich eins mit dem Zeigefinger anhob. Heute feierte Amber Phantomhive ihren 18 Geburtstag. Die Ururenkelin des kleinen Earls. Die Urururenkelin von Vincent. Ich begleitete die Phantomhives jetzt schon so lange. Zwei Generation länger als Sebastian, der genauso fasziniert wie ich von der Adelsfamilie war und seit Ciel mit jedem Earl einen Pakt schloss. Ich hatte das Gefühl, er hatte diese Familie, sein Leben als Butler einfach lieb gewonnen. Er fand es gut, besser als ein tristes dahin siechen in der Hölle. Auch wenn er es nicht zu gab. Kurz schweifte ich durch mein 126 Jahre alten Erinnerungen, als ich meinen Tee trank und seufzte. Dann fiel mein Blick auf den Plastikbehälter von Grell. Ich wogte meine Kopf hin und her. Es ist hin und wieder mal schön ein scharfes Blickfeld zuhaben. Also griff ich danach und verschwand ins Badezimmer. Es war ungewohnt, aber nachdem ich mir zweimal fast mit meinen Fingernägeln die Augen ausgestochen hatte, waren die kleinen, durchsichtigen, runden Dinger in meinen Augen verwunden. Ich blinzelte, doch das komische Gefühl verschwand schnell und tatsächlich, ich konnte sehen, als würde ich meine Brille tragen. Interessant! Mein Grinsen wurde breiter, als ich in den Spiegel schaute: Diese kleinen Dinger hatten wirklich einen großen Effekt! Ich entschied mich heute zur Ausnahme mal wieder einen Pferdeschwanz zutragen, dann war es auch schon 15:48 Uhr. Wenn ich jetzt schon losfahren würde, wäre ich zu früh, doch ich wusste nicht mehr was ich mit dem Rest Zeit anstellen sollte. Dann konnte ich auch Sebastian ärgern. Ich überprüfte noch einmal meinen Laden, verstaute alles und jeden, wo es hingehörte und warf den benutzten Messbecher in die Spüle, meiner ziemlich kleinen Küche. Dann zog ich meine Robe über, schloss die Vordertür ab und verließ den Laden aus der Hintertür. Ich schloss auch diese ab und setzte mich in meinen schwarzen Leichenwagen. Gemütlich rollte er von meinen kleinen Hinterhof, der bevölkert wurde von dem Parkplatz meines Oldtimers und etlichen weiteren Särgen. Ohne große Eile rollte ich über die Londoner Straße hin zu dem kleinen Waldstück in dem die große Villa der Phantomhives auf seine Gäste wartete. Die Sonne wanderte langsam gen Horizont. Es war 16:24 Uhr, als ich durch das Tor auf den Hinterhof des Grünstückes rollte. Mir kam eine schwarze Limousine entgegen. Ich fuhr an die Seite und kurbelte das Fenster herunter. Der Fahrer der Limousine tat es mir gleich: „Undertaker“, lächelte der dämonische Butler kurz: „Du bist früh.“ „Ja, ja ich weiß. Mir war langweilig, hehe. Wo willst du hin?“ „Ich bin auf dem Weg die junge Lady und ihre Freundin abzuholen.“ „Eine Freundin?“, das war ungewöhnlich. Mit den ganzen übernatürlichen Bekanntschaften luden die Phantomhives nur sehr selten Fremde ein. Eigentlich nie. Es sei denn... sie hatten vor mit ihnen in eine geschäftliche Beziehung zu treten. Doch ich tippte, dass Amy´s Freundin nicht älter sein wird als sie und von Eltern war keine Rede gewesen. Also war dies unwahrscheinlich. Es gab noch eine zweite Möglichkeit: Eine Mitgliedschaft bei den 'Aristokraten des Bösen'. Doch würde Amy ihre beste Freundin wirklich in diesen Verein einschleusen wollen? Der Butler nickte mich aus meinen Gedanken: „Der jungen Dame war es wichtig eine Freundin einzuladen. Der Meister hat sich überreden lassen.“ „Also spielst du heute Chauffeur für zwei Teenager. Eehehehehehe!“ Der Butler lächelte dünn: „Ich bin ein höllisch guter Chauffeur.“ „Dessen bin ich mir sicher.“ Der Butler zog kurz die Augen zusammen: „Seit wann bist du so fahrlässig?“ Ich blinzelte ein wenig irritiert, doch immer noch grinsend: „Fahrlässig?“ „Du fährst ohne Brille Auto. Siehst du die Ampeln überhaupt?“ Ich musste schrill lachen. Wie herrlich! Stimmt ja, der Butler wusste gar nicht Bescheid: „Ahehehehehehe! Wie herrlich! Natürlich sehe ich sie. Ich sehe prächtig!“ „Wie?“ „Grell kam vorbei und brachte mir eine Packung Kontaktlinsen.“ „Ah“, machte Sebastian: „Ich dachte schon, du hast so wenig zu tun, dass du dir schon deine eigenen Kunden schaffen musst.“ „Nein, das Geschäft floriert! Sterben tun Menschen immer. Eine krisensichere Branche.“ „In der Tat“, lachte der Butler dünn zurück:“ Wenn du mich jetzt entschuldigst? Ich möchte mich nicht verspäten.“ „Tihi, bis später Butler.“ Dann wandte der Butler seinen Kopf nach vorne und drückte aufs Gas. Ich rollte durch das Tor und suchte mir einen Parkplatz. Der Butler war also erst mal fort. Schade. Dann muss halt Alexander her halten. Als ich das Auto abgeschlossen hatte, ging ich durch die Hintertür in die Villa. Eine Magd lief mir prompt über den Weg. Sie war bis oben hin mit Tischdecken beladen, der Stapel reichte über ihren Kopf: „Mister Undertaker!“, sagte sie verblüfft: „Ihr seid schon da?“ Ich lachte: „Es scheint so, oder?“ Die Magd lachte verunsichert: „Ja... Ihr habt recht. Wir stecken noch in den Vorbereitungen...“ „Wo ist Alexander?“, fragte ich nonchalant. Die Magd wurde immer unsicherer: „Ähm... Der Earl ist im... Arbeitszimmer...“ „Danke“, grinste ich: „Soll ich Euch etwas abnehmen?“ „Oh nein. Nein danke, es geht schon.“ „Der Stapel ist so groß wie ihr, werte Dame.“ „Ich...“, sie lachte unsicher: „Schaffe das schon. Danke für das Angebot! Ihr entschuldigt mich“, ging sie schnellen Schrittes in Richtung ihres Ziels und verschwand in einer Tür. Eine Mischung aus Lachen und Seufzen entfuhr meinen Lippen:' May- Rin hätte jetzt schon die halbe Villa demoliert.' Ja, die alten Bekannten, sie fehlten mir. Alle. Doch das Einzige, was ich noch für sie tun konnte, war ihre Gräber so schön zu halten wir ihre Bekanntschaft gewesen war. Ich merkte wie mein Herz schwer wurde, also ging ich schnellen Schrittes durch die Villa, einige Treppen hoch und landete in einem Flur mit etlichen Türen, die alle gleich aussahen. Doch ich fand gezielt meinen Weg zu einer Bestimmten. Ich kannte diese Flure wahrscheinlich besser, als die Bewohner selbst. Ich klopfte. „Herein!“, schallte es von innen und ich stieß die Türe auf: „Alex! Wie geht es dir?“ Der jetzige Earl Phantomhive sah mich ein wenig irritiert an: „Undertaker. Hallo“, er schaute auf eine Wanduhr: „Du bist früh, wir haben gerade mal halb fünf.“ „Ja, ja“, ich setzte mich auf einem Stuhl vor dem großen Eichenschreibtisch: „Mir war langweilig, also bin ich etwas früher gekommen, hehe.“ Alexander seufzte: „Das habe ich mir fast gedacht.“ „Worüber brütest du?“, fragte ich, stützte meine Ellbogen auf die Tischplatte und legte mein Kinn auf meine gefalteten Hände. Das dem Earl etwas quer im Magen lag war offensichtlich. Dieser seufzte: „Ein Auftrag von der Queen.“ „Hätte ich also eh bald Besuch von dir bekommen?“ „Ich weiß noch nicht“, seufzte Alexander: „Noch geht es um Drogen, nicht um Tote. Also wäre mein Ansprechpartner eher Lee, aber...“ „Ich soll schon mal die Augen nach Drogentoten aufhalten?“ Alexander nickte: „Oder Schießereien, Messerstechereien. Alles, was Drogensüchtigen und Dealern so einfällt, wenn sie Streit haben.“ Ich quittierte diese Aussage mit einem schrillen Lachen: „Ahehehehe! Es ist faszinierend, was ihr Menschen euch gegenseitig antut für Dinge, die euch eh umbringen werden.“ „Scher nicht alle über einen Kamm.“ „Glaub mir, ich beobachte die Menschen jetzt schon lang genug. Die Meisten sind sich alle sehr sehr ähnlich“, ich legte den Kopf schief: „Doch tröste dich: Bei Shinigamis, Engeln und Dämonen ist es genau dasselbe in Grün, Weiß und Schwarz.“ „Du musst es ja wissen“, seufzte Alexander. Ich lachte: „In der Tat. Ich weiß Einiges.“ Schon lange gehörte ich zu keinem 'Lager' mehr. Geboren als Todesgott ist es für mich nicht mehr als eine schnöde Rassezugehörigkeit und zwingt mich nicht im Mindesten ihnen Loyal zu sein. Ich hatte keine Lust mehr auf den Verein. Es war streng, viel zu straff organisiert und furchtbar langweilig. Den einzigen Wesen denen ich loyal war, waren die Phantomhives. Sie waren ganz besondere Menschen. Die Besonderheiten hatte sie auch nach Generationen nicht verloren. Aus meiner losgelösten Position hatte ich allerdings einen ganz guten Blick darüber, was die Wesen des Himmels und der Hölle und die dazwischen so antrieb. Ich lächelte, als Alexander immer noch etwas mürrisch schaute: „Doch ihr seit anders. Die Phantomhives und die Aristokraten.“ Jetzt erschien auch in Alexanders Gesicht ein leichtes Lächeln: „Danke für die Blumen. Hältst du es deswegen so gut mit uns aus?“ „Ahehehehehe! Wahrscheinlich.“ Alexander und ich unterhielten uns noch ein bisschen, dann klopfte es an der Türe. Die Magd erschien: „Sir? Die anderen Shinigamis sind hier.“ Alexander schaute wieder auf die Uhr. 17:45 Uhr. Typisch William. Genau 15 Minuten zu früh. Alexander stand auf, ich zog meine Maske über die Augen und folgte ihn in den großen Ballsaal. Die Magd nahm mir meinen Mantel ab und hing sie an eine Garderobe. Heather und Frederic waren schon dort und unterhielten sich mit einigen Gästen. Der Saal war schon ziemlich voll. Direkt vor uns sah ich die drei Shinigami Grell, Ronald und William. Sie trugen Masken, wie alle anderen im Raum. Grell breitete die Arme aus: „Herrlich! Ich liebe Bälle! Schaut nur all die Masken und die Kleider.“ „Und die Mädels“, grinste Ronald. „Wärt ihr nur mit so viel Passion bei der Arbeit. Mein Leben wäre herrlich“, seufzte William. Ein typisches Bild, lächelte ich breit. Diese Drei waren ein paar der wenigen Konstanten in meinem Bekanntenkreis. Wir litten alle vier unter dem Fluch der Shinigamis: Nicht sterben zu können, bis wir die Schuld, unser Leben, Gottes größtes Geschenk, weggeworfen zu haben, abgearbeitet haben. Noch kein Sensenmann war entlassen worden. Entweder töten sie Engel, oder Dämonen, oder sie starben an den Dornen des Todes, die einzige Krankheit an der ein Reaper erkranken konnte. Es gab kein Heilmittel und sie verlief auf jeden Fall tödlich. Sie war die einzige feste natürliche Selektion. Ich tippte mittlerweile, dass es diese Entlassung gar nicht gab. Wir waren auf ewig dazu verdammt, anderer Leute Tode und Leben zu begutachten. Sie zu richten. Unsterblichkeit war kein Geschenk. Ronald sah mich: „Oi Undertaker“, rief er: „Na, alles klar bei dir?“ Ich grinste und ging zu den drei Sensenmännern: „Hallo Ronald. Es geht mir prächtig und selbst?“ „Alles wie gehabt“, lachte Ronald. 'Wie Öde...', ich grinste: „Das hört man gerne.“ Ich schaute zu Grell und William: „Grell. William.“ „Du trägst sie doch!!“, Grell fiel mir um den Hals: „Ich wusste es, du würdest ein Geschenk von mir nie mit Füßen treten!!“ Ich klopfte ihn auf den Rücken: „Wie könnte ich denn?“ Alexander stieß zu uns: „Hallo ihr drei. Ich freue mich euch zusehen.“ William nickte knapp: „Eure Einladungen ehren uns immer wieder, Lord Phantomhive.“ „Wie oft habe ich dir schon das Du angeboten, William?“ „Wie oft habe ich es schon abgelehnt?“ „Irgendwann kriege ich dich dazu“, lachte der Earl. „Ehehehehe. Typisch unser William. Korrekt wie eh und je. Manche Dinge ändern sich nie“, lachte ich amüsiert. William beschaute mich kühl wie immer: „Dasselbe könnte man über dich auch sagen, Undertaker. So alt wie die Menschheit selbst und nicht ansatzweise Erwachsen.“ Ich lachte noch mehr. „Ahehehehe! Erwachsen sein ist so furchtbar langweilig. Umso älter man ist, umso wichtiger ist es doch im Geiste jung zu bleiben.“ Grell drehte sich: „Meine Rede! Wir müssen die Kraft und die Schönheit der Jugend bewahren.“ William schaute mich an: „Bitte... Würge mich bis ich das Bewusstsein verliere...“ Ich prustete. Aus dem Prusten wurde schnell ein lautes Lachen, das durch meinen ganzen Körper vibrierte: „PAHAHAHAHAHAHAHAAHA! William! Du Scherzkeks!“, ich wischte mir Lachtränen aus den Augen: „Wenn wir ihn ertragen müssen, dann du auch.“ „Hey!“, machte Grell: „Redet ihr über mich!“ Ich fing schon wieder an zu lachen. Grells beleidigtes Gesicht war immer ein Bild für die Götter! Auch Ronald kicherte. „Hallo!“, steigerte sich Grells Empörung: „Antwortet mir mal jemand?!“ „Über wenn sollten wir sonst reden?“, grummelte Will, der nicht einmal lachen würde, wenn sein Leben davon abhänge. Grell stand der Mund offen. Mein Lachen wurde lauter, wie schriller und mein Bauch begann davon weh zu tun. „Wie wundervoll“, tönte eine Stimme hinter uns: „Man kommt herein und wird mit Lachen begrüßt. Wie unsagbar herrlich!“ Hinter uns standen Lee, Charlie und Frank, die Abkömmlinge von Lau, Claus und Diedrich. Sie sahen ihnen so ähnlich vom Körper, wie auch vom Charakter. Der junge Asiate lächelte noch immer: „Ich wusste doch, dass ich diese Lache sofort erkannt habe. Undertaker, Grell, William, Ronald! Es ist eine Freude euch wieder zusehen“, er breitete die Arme aus. Charlie lächelte: „Ihr könntet euch öfter mal sehen lassen.“ „Wir sind sehr beschäftigt“, entgegnet William streng: „Wir bitten euch uns das nachzusehen.“ „Gibt es denn so viele Tote im Moment, dass ihr alle Vier so furchtbar beschäftigt seit?“, fragte Frank spitz. „Oh ja“, sagten ich und William gleichzeitig. William schaute mich an: „Woher willst du das wissen?“ Ich lachte wieder: „Meine Arbeit beginnt, wenn eure endet. Ich weiß um die Sterberate genauso gut wie ihr. Das heißt auch, dass ich viel Arbeit habe, wenn ihr viel Arbeit habt, hehe.“ William seufzte. „Es ist schön euch alle hier zuhaben“, lachte Alexander: „Amber wird sich freuen“, er schaute auf eine Armbanduhr: „Oh apropos Amber! Noch 5 Minuten! Entschuldigt mich.“ Alexander ging zur Tür, wo ich den Butler der Phantomhives stehen sah. „Lasst uns etwas zu trinken besorgen und unters Volk mischen, hohohoho!“, Lee schwebte davon. Charlie folgte lachend, Frank grummelnd, als sie sich alle eine Sektflöte von dem Tablett einer Kellnerin nahm und weiter durch den Raum gingen. Auch die Shinigami bedienten sich und verstrickten sich in ein furchtbar langweiliges Gespräch. Da es mich nicht im Mindesten interessierte, ging ich meiner Wege. Die Leute die mich sahen, machten einen Bogen um mich. Nur eine Kellnerin stoppte unsicher lächelnd neben mir: „Sekt, Sir?“ Ich winkte ab: „Nein, danke. Ein Witz wäre mir lieber“, grinste ich breit, was die Kellnerin sichtlich unerwartet traf: „Bitte?“ „Erzählt mir einen Witz“, grinste ich breiter. „Ähhhm... es tut mir leid, ich habe noch viel... zu tun!“ Ich seufzte gespielt: „Wie langweilig“, und ging einfach weg. Ich lehnte mich gegen eine Wand und ließ meine Augen über den florierenden Ball wandern. Da ertönte auch schon Alex Stimme: „Darf ich um ihre Aufmerksamkeit bitten? Wie sie alle wissen, ist der heutige Anlass für diese kleine Feier der 18. Geburtstag meiner liebreizenden Tochter Amber. Deswegen begrüßt jetzt mit mir das Mädchen, nein, die Frau des Abends!“ Mein Kopf wanderte langsam zur Treppe. „Es betritt den Saal“, flog Sebastians Stimme durch den Raum, viel zu laut für einen Menschen. 'Subtil, Dämon', lachte ich stumm in mich hinein. „Die Prefect des violetten Hauses, der Violet Wolfs, des Weston Ladys College, Tochter des Earls und der Countess Phantomhive und der heutige Ehrengast: Lady Amber Heather Phantomhive! Begleitet von ihrer treuen Fag, besten Freundin und begnadeten Künstlerin: Lady Skyler Rosewell! Applaus, meine Damen und Heeren! Applaus!“ Die Menge applaudierte und begleitete den Gang der beiden Mädchen nach unten. Hübsche junge Dinger. Alle beide. Doch an dem Mädchen, Skyler, blieb mein Blick hängen: Diese spindeldünne Gestalt habe ich doch schon einmal gesehen. Mein Kopf ratterte kurz, dann fiel es mir ein: Sie war die kleine Künstlerin vom Friedhof. Das schöne junge Ding, mit den sumpfigen Augen. Das war überraschend. Mein Mund zog sich zu einem wirklich breiten Grinsen, als ich das braunhaarige Ding, Sky, gänzlich musterte, ihr hübsches Kleid, die eleganten Schuhe, das schöne Gesicht umrahmt von feinem, braunem Haar:' Jetzt wird dieser Ball doch richtig interessant.' Ich folgte den Mädchen unauffällig mit meinen Blicken, als ich an der Wand weiter hinten des Saals lehnte, Arme und Beine verschränkt, den Kopf leicht geneigt, damit niemand so direkt sah, dass ich das braune Mädchen fixierte. Diese Kontaktlinsen waren doch ungeahnt praktisch, stellte ich fest. Die Brünette wirkte furchtbar fehl am Platz und unsicher. Sie war bemüht zu lächeln, doch nicht weil sie sich freute, sondern weil sie wusste, dass dies erwartet wurde. Es war so fürchterlich scharf, falsch und gestellt, dass es fast weh tat. Amy führte sie herum: Erst zu ihren Eltern, dann zu Ronald, William und Grell. Als sie die Shinigamis verließ, wirkte Skyler ziemlich aufgeregt. Grell hatte sie angegrinst, wahrscheinlich hatten seine spitzen Zähne sie erschreckt. Dann führte ihr Weg die Mädchen zu Lee, Charlie und Frank. Die Ausstrahlung von Lee und Charlie hatte dafür gesorgt, dass sie schnell von einer Traube Frauen umringt worden waren. Frank wirkte davon so begeistert wie immer: Gar nicht. Die Mädchen wechselten mit den Dreien einige Worte, dann wandten sie sich zum gehen. Sie diskutierten irgendwas. Skyler wirkte allerdings nicht befriedigt von Amys Antworten, wo hingegen die Phantomhive wissend grinste. Sie kamen direkt auf mich zu und ich ließ den Blick durch den Raum, auf die paar Tänzer auf der Tanzfläche wandern. Wenigstens war Walzer noch nicht aus der Mode. Zumindest nicht ganz. „Hey! Undertaker!“, rief Amy und winkte mir zu. Mein Kopf wanderte langsam zu ihr und mein Grinsen wurde breiter, als Skyler und Amy noch ein paar Wörter wechselten und das Gesicht der Brünetten immer unbegeisterter wurde, als sie mich musterte. Doch in ihren Augen stand eine Erkenntnis und die Bemühung sie zu unterdrücken. 'Ja ich bin es', dachte ich mir amüsiert:' Glaub es, oder nicht.“ Ich stieß mich von der Wand ab, als Amy mit der Brünetten an der Hand näher kam: „Lady Phantomhive, hehe“, „Undertaker! Ich hab so gehofft, das du kommst!“ „Eeehehehehe“, lachte ich schrill, als ich meine Arme ausbreitete um Amber zu umarmen. Amy fiel mir um den Hals und wir schunkelten recht überschwänglich: „Wie könnte ich nicht? Ich bleibe vielleicht nicht lange, aber zu Geburtstagen und Halloween komme ich doch immer, oder?“ Ich mochte die junge Phantomhive. Natürlich war sie nicht Ciel. Keiner von ihnen war Ciel, oder Vincent. Keiner kam an die Beiden heran, doch sie hatte dieses spezielle Etwas, gepaart mit einer überschäumenden Energie und einer vorzüglichen Selbstkontrolle. Ich schaute über Amys Schulter zu ihrer Freundin. Das Mädchen sah ziemlich verzweifelt aus, als wäre sie lieber irgendwo anders, als hier. Amy lachte: „Du hast recht“, sie nahm die Arme runter. „Ich hab etwas für dich“, lächelte ich und zog ein kleines Schächtelchen aus der Brusttasche. Das Geschenk und die Verpackung waren Handarbeit. Ich war kein Freund davon Geschenke zu kaufen. Zu Geburtstagen und Beerdigungen mussten Geschenke von Herzen und aus der eigenen Hand kommen. Ich fand Geschenke für Leute die einem wichtig sind, sollten immer selbstgemacht sein. Amy nahm es entgegen und öffnete es: „Wie süß!“ Die kleine Silberbrosche hatte ich in einigen Stunden Handarbeit zusammen gebaut: „100% selbstgemacht“, lachte ich „Oh danke!“, sie fiel mir noch mal um den Hals. Ich erwiderte die Umarmung und nahm sie kurz hoch: „Ach nicht doch, hehe.“ Amy lächelte und steckte sich die Brosche an: „Und?“ „Besser als gehofft, hihi.“ Amy lachte und zeigte mit der Hand auf ihre Freundin: „Wenn ich dir meine...“ Ich unterbrach die Tochter des Earls, indem ich der Brünetten einfach die Hand entgegen streckte. Selbst wenn ich sie noch nicht gesehen hätte, war Sebastians Ansage doch laut und deutlich genug gewesen: „Lady Rosewell.“ „Woher...“, begann sie verwundert. Ich musste lachen: „Ich habe sehr gute Ohren und Sebastian hat euch lautstark angekündigt.“ Sie lächelte schon wieder so unsagbar gequält und nahm meine Hand. Dieses Lächeln verunstaltete ihr hübsches Gesicht so furchtbar. Ihre Haut war ganz blass, ihre Wangen leicht eingefallen, doch dies betonte nur ihre schön geschnittenen Wangenknochen. Doch dieses Lächeln... Es war nicht schön und schmerzte mir auf eine komische Art und Weise. „Sehr... erfreut... Aber bitte, ich bin Sky“, stammelte sie unbeholfen und schüttelte zaghaft meine Hand. „Ein schöner Name“, grinste ich und hielt ihre Hand fest. Sie hatte kalte Hände, nur unwesentlich wärmer als die Hände, die ich jeden Tag wusch und puderte. Sie war eine herrliche Kombination aus dem Hauch des Lebens und der atemberaubenden Schönheit des Todes: „Für eine schöne, junge Lady.“ Sie wurde rot. Ihr jugendliches Gesicht war so voller Scham, war auf eine besondere Art und Weise furchtbar süß. „D-danke“, lächelte sie weiter. Ich wollte dieses Lächeln nicht mehr sehen. Ich wollte, dass sie wirklich lächelte. Ich war so furchtbar neugierig auf ein ehrliches Lächeln des jungen Dings. „Oh bitte“, zog ich sie zu mir. Sie wollte wegschauen, doch ich verhinderte es, indem ich ihren Kopf nahm und zu mir drehte. Sachte, ich hatte Angst, dass sie unter meinen Griff zerbrechen könnte. So nah konnte ich ihr Gesicht wunderbar begutachten. Sie war furchtbar rot, ihre Haut unter meinen Fingern warm und weich. Ein ungewohntes Gefühl kribbelte durch meine Hand, als ihre Wärme in meine Finger stieg: „Nicht so ein gequältes Lächeln.“ „Äääähm“, machte sie und sah so furchtbar überfordert aus. Diese Reaktion belustigte mich und ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Lippen weiter nach oben zogen, als ich den Kopf schief legte: „Hm?“ „Ich... ich... ähm...“ „Ja? Eehehehehehe. Nicht so schüchtern. Sprich dich aus, Sky“, ich mochte ihren Namen. Sky. Eine wunderbare Bedeutung lag darauf und ergänzte so wunderbar ihre himmelblauen Augen, die so irritiert über die Einzelheiten meines Gesichts wanderten. Doch dieser graue Schleier darin. Er war so voller Tragik. Amy lachte: „Manche Menschen fühlen sich eingeengt, wenn du ihnen so wenig Platz lässt, Undertaker.“ „Eeehehehehe! Lass mir doch ein wenig Spaß.“ Skyler wirkte irritiert, doch ein Funken Hoffnung glomm in den Augen auf. Das Mädchen schien nicht gut mit neuen Situationen, Körperkontakt und fremden Menschen zurecht zu kommen. Irgendwas in ihren Augen verriet es mir. Amy lachte: „Du hattest ihn doch, aber eigentlich wollte ich nicht, dass Sky an diesem Abend an einem Herzinfarkt stirbt.“ Ich ließ das Mädchen los. Sie wankte einen Schritt nach hinten. Ich war bereit sie wieder fest zu halten, sollten ihre Knie ihr nicht hold bleiben: „Ich mache doch nichts“, legte ich elegant die Hand auf meine Brust. „Sky?“, lächelte Amy. „Hmm?“, machte das Mädchen unsicher und immer noch furchtbar rot auf den Wangen. „Undertaker ist Bestattungsunternehmer. Er bietet jeglichen Service an: Vom eigenen Sarg bis zur Grabpflege. Er ist schon lange ein guter Freund der Familie. Fast schon ein Teil davon.“ Die Brünette schaute mich mit großen Augen an. Dahinter rasten die Gedanken, die Erkenntnis und die Unterdrückung. Ich schaffte es das Lachen auf meine Gedanken zu beschränken, doch das breite Grinsen festigte sich auf meinen Lippen, als ich genau wusste was ich jetzt tun wollte: „Sag, Sky“, ich war mehr als nur gespannt auf ihre Reaktion, als ich mein Gesicht näher zu ihrem brachte: „Willst du wissen, wie es ist in einem maßgefertigten Sarg zu liegen?“ „Was?!“, sie tat einen Schritt von mir Weg: „Bitte..?! Was?! Wieso...?!“ Ich zog meinen Kopf wieder zurück und verschränkte nur die Fingerkuppen, als das Lachen aus meinen Gedanken, nach außen brach: „Hihihi, ich mache die besten Särge in ganz London. Sie sind berüchtigt, meine Kunden haben sich noch nie beschwert.“ In ihren Augen stand deutlich, dass sie sehr verwundert über diese Aussage war, das sie sich sicher war, dass Tote nicht mehr widersprechen können. Doch das taten sie, nur anders als die Lebenden und man brauchte feine Sinne um es zu verstehen. „Er hat recht“, bestätigt mich Amy: „Wer eine wirklich traditionelle Bestattung wünscht geht zu ihm.“ Ich drehte locker eine Hand in der Luft, als ich die angespannte Atmosphäre etwas weg wedeln wollte: „Ich bin wahrscheinlich in der Tat... Wie sagt man mittlerweile... etwas Old-fashion.“ Dann legte ich nur noch einen Zeigefinger an die Lippen und lachte, als ich ihr deutlich ansah, dass sie mich für verrückt hielt. Dann sah ich wie Grell von hinten auf uns zu rannte, Skyler griff, sie an sich drückte und ein Stück weg zog: „Also wirklich! So behandelt man keine Ladys, du verrückter, alter Sack!“ Ich musste lachen: „Eeehehehe. Wenn man so alt ist wie ich sucht man verzweifelt nach etwas Amüsement“, dann ging ich auf Grell zu und verschränkte die Arme, als ich mich zu Grell beugte: „Du kannst mich ja bespaßen, wenn du meinst das Mädchen von mir beschützen zu müssen.“ „Du Perversling!“, kreischte Grell. „Pervers? Woran denkst du denn? Eehehehehe. Du bist der Perverse, wenn das tatsächlich dein erster Gedanke ist.“ „Wie soll man das denn sonst verstehen?!“ Ich wälzte kurz meine Gedanken, als ich meine Wirbelsäule wieder streckte und mir gegen die Lippen tippte. Nach ein paar Sekunden kam mir eine Idee: „Lass mich nachdenken... Was wäre den lustig... hmmmm... Mach den Phönix!“ „Den was?“, fragte Sky leise und noch verwirrter als vorher möglich. Amy kicherte. Sie kannte die Geschichten. Grell ließ das Mädchen los, griff wütend meinen Hals und schüttelte mich. Er schnürte mir die Luft ab, doch sein Benehmen war nur all zu komisch! Ich wusste, dass er den Zwischenfall auf der Campania nie vergessen würde und ihn mir auch nie wirklich verzeihen wird: „Den Phönix!? Nicht in diesem Leben! Nicht in irgendeinem Leben! So was von einer Dame zu verlangen!“ Grell beschimpfte mich weiter. Es war nur herrlich, wie wunderbar sich der heißblütige Sensenmann aufregen konnte. Irgendwann ließ er mich los: „Du versaust mir den ganzen Abend!“ „Ich habe dich nie gezwungen mit mir zu reden.“ „Du belästigst junge Mädchen!“ „Ich habe mich unterhalten. Nur weil du ein kleiner Perversling bist, lieber Grell, trifft das nicht auf jeden zu.“ „Ich pervers?!“, kreischte Grell: „Du nennst mich pervers?! Ich will gar nicht wissen, was du mit deinen 'Gästen' anstellst wenn niemand hinschaut! Wie war das noch: Tote Mädchen können nicht nein sagen?!“ Ich lachte: „Schneidest du alles mit was ich sage? Und was ich mit meinen Gästen mache? Ich mache sie hübsch, bette sie in beste Seide und gebe sie der Welt zurück, in vollkommener Harmonie mit der Natur, der Schönheit und sich selbst.“ Grell stand wie zugefroren vor mir: „Du hast echt mehr als nur ein Rad ab...“, dann ging er zu Will, der Ronald und Amy beim Tanzen zu schaute. Ich ließ meinen Blick durch den Saal wandern. Amber war auf der Tanzfläche, doch ihre Freundin war nirgendwo zu sehen. Komisch. Wahrscheinlich war sie geflüchtet. Sie hatte sich sichtlich nicht wohlgefühlt. Ich lehnte mich wieder mit dem Rücken gegen die Wand und verschränkte breit grinsend die Arme, als ich Amy und Ronald beim Tanzen zu schaute. Die beiden hatten sichtlich Spaß. Irgendwie hingen meine Gedanken immer noch an dem Wunsch, so ein ehrliches Lachen im Gesicht der jungen Braunhaarigen zu sehen. Ein Seufzen entfloh meinen Lippen. Das war so selten, dass es mich selbst verwunderte. Dieser stumpfe Leiden in den himmelblauen Augen, es wirkte so, als sei es schon seit Jahren dort und ging nie weg. Darin schwamm gebrochenes Vertrauen und gesplitterter Lebenswille. Es hinterließ ein komisches Gefühl in meiner Brust. Ich kannte diesen Blick. Immer wenn ich einen tragischen Todesfall auf meinem Tisch hatte, sahen die Augen der Verblichenen genau so aus. Auch ein gewisser junger Earl hatte ähnliche Augen gehabt. Dieses gebrochene war mit seinen Kindern aus den Augen der Phantomhives gewichen. Ciel war ein sonderbarer, aber guter Vater gewesen und Lizzy war eine geborene Mutter, ein heiteres Ding mit glänzenden grünen Augen, voller Mut und Lebenskraft. Ich wollte, dass ihre Augen genauso glänzten. Warum? Ich wusste es nicht. Ein komisches Gefühl von Stress keimte auf, als ich mich selbst nicht ganz verstand. Ich wollte immer alles verstehen. Ich tat alles dafür. Doch gerade wusste ich nicht wie ich mich mir selbst erklären sollte. Ich schaute aus dem Fenster... und erstarrte. Wasser spritzte aus dem Brunnen. Zwischen zwei wild tretenden Beinen beugte sich eine dunkle Gestalt zum Wasser. Er drückte ein Mädchen in einem Kleid in den Brunnen. Diese Schuhe, an den strampelnden Beinen... Schwarze Pumps mit einer Schleife um die Knöchel... Sie gehörten doch... Sky! Ich riss die Augen auf, da sah ich eine dritte, große Gestalt, ein paar Meter vom Brunnen entfernt:' Sag mir nicht das sind...!' Ich drehte mich auf dem Absatz und rannte zur Garderobe. Menschen wichen mir fluchend und rufend aus. Der Ständer fiel krachend zu Boden, als ich meinen Mantel im Lauf herunter riss. Ich warf ihn über die Schulter und rannte die Treppen hoch. Drei Stufen auf einmal. Die Flügel der Eingangstür krachten auf und mit dem ganzen Schwung hinter mir lautstark wieder zu. Der Kopf mit den kurzen braunen Haaren, der Person die weiter weg vom Brunnen stand, wirbelte zu dem Geräusch. Brillengläser blitzten in dem Licht, das aus dem Ballsaal auf den Hof sickerte. Claude! Hab ich es doch gewusst! Claude sprang auf mich zu, wohl wissend, warum ich aufgetaucht war: „Verschwinde Shinigami!“ Goldene Messer blitzten auf und kamen mir entgegen. Ich drehte mich weg. In dieser Drehung erschien meine Death Scythe in meiner Hand. Mit einem Sprung stand ich vor dem dämonischen Butlers der Trancy Familie. Den geschworenen Erzfeinden der Phantomhives. Er holte aus, doch ich war einen Tacken schneller. Blut spritzte und braune Super 35 Filme platzten aus der Wunde, als meine Sense seinen Frack und seine Haut an der Brust zerriss. Er fauchte wütend und trat nach mir. Ich parierte, doch taumelte einen Schritt nach hinten. Dafür habe ich keine Zeit! Mein Blick flog zu Sky. Jetzt erkannte ich Oliver Trancy, als ihren Angreifer. Ihre Beine strampelten nicht mehr. Sie zuckten nur noch kraftlos. „Geh mir aus dem Weg!“, ich sprang hoch und trat Claude ins Gesicht. Er fiel ein Stück nach hinten, doch er hielt meinen Fuß fest. Ich schwang mich nach oben, um meinen eigenen Fuß herum und erwischte Claude ein weiteres Mal im Gesicht. Seine Brille flog von seiner Nase und er ließ mich los. Den gewonnen Raum nutzte ich, um mit großen Hacken zu Oliver und Sky zu springen. Ich griff den Jungen am Kragen und warf ihn nach hinten. Claude war schon da, um ihn aufzufangen. Er schaute mich geschockt aus den Armen seines Butlers an: „Scheiße! Claude! Wir verschwinden!“ Claude nahm ihn hoch: „Natürlich, eure Hoheit.“ Er sprang mit seinem Meister in den Wald. Ich würdigte ihn keines weiteren Blickes. Gott sei Dank war Oliver eigentlich ein furchtbarer Angsthase. Claude hätte mich Stunden beschäftigen können. Sky lag schlaff im Brunnen. Ich ließ meine Sense los und sie verschwand. Beherzt griff ich Skys dünnen Körper und zog sie aus dem Wasser. Sie war so leicht, doch ihre Haut war ganz kalt und ihre Lippen waren blau. Mein Herz blieb stehen, als ich dachte, dass sie nun wirklich wie einer meiner Gäste aussah und bemerkte, dass sie nicht mehr atmete. Ich fühlte ihren Puls. Er war schwach: „Sky? Sky?! Atme!“, ich ging auf ein Knie, legte sie ins Gras und schüttelte sie, als ich ihren Oberkörper in beiden Armen hielt: „Hey! Hol Luft!“ Ihre Augen zuckten kurz: „Sky!“ Sie hustete heiser und Wasser schwappte aus ihrem Mund. Sie japste und röchelte, als sie hustete. „So ist es gut. Du musst Luft holen! Heute ist noch nicht dein Tag!“ Krampfhaft versuchte sie zu atmen. Ihr bis eben noch stiller Körper begann wie verrückt zu zittern, als die Lebensgeister langsam zu ihr zurückkehrten. In mir war eine furchtbare Anspannung. So etwas fühlte ich nicht oft. Diese Welt bot mir dafür nur selten genug. „Ruhig“, sprach ich so entspannt wie es ging: „Alles wird gut, atme ruhig. Du bist nicht allein.“ Eine warme Erleichterung wallte durch meinen Körper, als sie ihre Augen aufschlug und mich anschaute. Ihr Blick war trübe. „Under...“, wollte sie sprechen, aber ein Hustenanfall unterbrach sie. „Schhhh“, versuchte ich sie zu beruhigen: „Alles ist in Ordnung. Sprich nicht. Atme.“ Ich legte sie ab, um meinen Mantel um sie zu wickeln. Wenn sie noch länger hier draußen blieb, würde sie schwer krank werden. Ich lächelte ihr entgegen, um ihr etwas Sicherheit zu geben. Dann lief ich zur Villa: „Sebastian!“ Der Butler erschien sofort in der Tür und machte großen Augen, als er sah, wie ich mit der nassen und kraftlosen Sky auf dem Arm zu ihm lief: „Was ist passiert?“ „Oliver war hier. Mit Claude“, antwortete ich, als wir in die Villa gingen. „Diese verdammten Trancys!“, fauchte der Butler: „Komm schnell. Wir müssen sie aufwärmen, ansonsten bekommt sie eine Lungenentzündung.“ Wir liefen durch die Villa, da ging die Tür vom Ballsaal auf und Amy kam heraus. Der Angriff auf Sky musste jetzt auch die Partygäste erreicht haben: „Gott! Was ist passiert!? Sky?!“ „Die Trancys, Mylady“, antwortete ihr der Butler im Lauf: „Emma, mach ein Zimmer bereit! Kenny, koch Salbeitee und mach eine Wärmflasche fertig! Laura, hol Decken und warme Kleider!“ Die Bediensteten reagierten sofort und verschwanden eiligst. Amy lief neben uns her und ließ ihre Freundin nicht aus den besorgten Augen: „Sky? Geht es dir gut?“ Das Mädchen antwortete nicht. Ich hörte die Uhr förmlich ticken und nahm zwei Stufen gleichzeitig. Amy und Sebastian hielten Schritt. „Sky!“, Amy´s Stimme klang hysterisch, als Skys Augen zu flattern anfingen. „Hey! Atmen!“, rief ich, doch die Augen des Mädchens schlossen sich, ungeachtet unserer Rufe. Eine Magd hatte uns in ein Zimmer gewunken und Sebastian nahm mir Sky ab: „Ich übernehme das.“ Dann ging die Türe hinter dem Butler und dem Mädchen zu. Ich lehne mich gegen eine Wand und verschränkte wieder die Arme. Ich schloss die Augen. Mein Mund war ein gerader Strich. An so einer Situation finde selbst ich nichts mehr zu lachen. Amy ging im Flur auf und ab. Sie war wütend: „Oliver, diese kleine Mistratte! Wenn ich den in die Finger kriege, kann ihm auch Claude nicht mehr helfen!“ „Beruhige dich, Amy“, schlug ich die Augen wieder auf: „Im Moment müssen wir auf Sebastian vertrauen.“ Er war besser im Leben retten als ich. Die Menschen mit denen ich zu tun hatte, brauchten in der Regel keine lebensrettenden Maßnahmen mehr. Amy schaute mich leidend an. Ein paar Tränen glitzerten in ihren Augen: „Das ist alles meine Schuld... Oliver ist wegen mir wütend und Sky war nur wegen mir hier. Das war eine blöde Idee! Eine furchtbar blöde Idee!“ Ich griff die Hand der jungen Phantomhive und zog sie in eine tröstende Umarmung und streifte ihr aufbauend durch die schwarzen Haare: „Schhh, schhh, schhh. Ruhig Amy. Nichts ist deine Schuld, damit hat keiner gerechnet.“ „Wie konnte er hier sein?“, schluchzte die Phantomhive in mein Hemd: „Warum hat Sebastian nichts gemerkt?“ „Das ist eine sehr gute Frage“, erkannte ich. Eigentlich hätten bei Sebastian, mir und den anderen Grim Reapern alle Glocken schellen müssen. Claude war keine höllische Eintagsfliege und hatte eigentlich eine ziemlich starke Präsenz. Wir hätten ihn spüren müssen. Aber das haben wir nicht. „Himmel Herrgott, was ist passiert!?“, erkannte ich Grells Stimme den Flur herunter. Grell, Ronald und William hatten ihre Masken abgezogen und kamen eilig auf uns zu. William warf mir einen Blick zu. Er wurde noch ernster als sonst, als er sah, dass mein Lächeln fehlte. „Amy, was ist los?“, Ronald legte ihr die Hände auf die Schultern. Amy ließ mich los und versuchte sich zu beruhigen: „Es geht um Sky, sie...“, sie seufzte schwer. „Oliver und Claude waren hier“, erlöste ich sie davon die Situation erklären zu müssen: „Sie haben anscheinend vor der Villa gewartet und Skyler erwischt, als sie im Vorgarten unterwegs war.“ Grell schlug eine Hand vor dem Mund: „Skyler? Amys Freundin? Die Kleine hat doch keine Chance gegen einen Dämon und diesen kleinen Psychopathen!“ „Hatte sie auch nicht. Oliver hat sie fast ertränkt“, fuhr ich weiter aus. „Wie kam sie daraus? Wie geht es ihr?“, fragte William. „Undertaker hat es gesehen und ist ihr zu Hilfe geeilt“, wischte Amy sich die Augen trocken: „Jetzt kümmert sich Sebastian um sie.“ „Deswegen bist du wie ein Irrer aus dem Ballsaal gerannt“, stellte Grell fest. Ich nickte: „Ich hab es zufällig durchs Fenster gesehen.“ „Aber“, Ronald stutzte: „Wenn Claude hier war... Warum haben wir ihn nicht bemerkt? Oder... hab nur ich ihn nicht bemerkt?“ Ronald war noch ein sehr junger Sensenmann. Er war noch nicht so stark wie wir anderen. Doch ich schüttelte den Kopf: „Ich hatte keine Ahnung, dass er da war.“ William seufzte: „Ich ebenfalls nicht.“ Grell warf die Arme nach oben: „Wie kann das sein?!“ „Was ist los?“, hektische Schritte kamen näher. Ich schaute an Grell vorbei. Alexander, Heather, Fred, Lee, Charlie und Frank kamen im Laufschritt auf uns zu. Ich seufzte, bevor ich die Situation ein weiteres Mal erklärte. Heather nahm ihre Tochter an den Schultern und sorgte dafür, dass Amy sich endgültig beruhigte, während Alexander einen mehr als düsteren Ausdruck im Gesicht hatte: „Diese verdammten Trancys. Ich hätte nie gedacht, dass er so weit geht Fremde anzugreifen. Auf gut Glück.“ „Auf gut Glück? Ahehehehehe“, mein Grinsen erschien wieder, aufgrund dieser Aussage und ich fing an zu lachen. Ich kassierte einige verständnislose Blicke, die ich gekonnte ignorierte: „Wir konnten ihn nicht spüren, die Beiden hätten schon länger in den Büschen hocken und jeden beobachten können, der ein und aus ging. Es ist gut möglich, dass es gar kein so großer Zufall war.“ „Du meinst, er hat uns beobachtet und hat mich und Sky gesehen, als wir angekommen sind?“, Amy war sichtlich unwohl bei dem Gedanken. Ich nickte: „Es wäre gut möglich, hehe.“ „Ob Zufall oder nicht, das wird ein Nachspiel haben“, grummelte Alexander. „Aber“, Grell war aufgeregt, mehr als sonst: „Warum konnten wir ihn nicht spüren?!“ Lee streckte sich: „Wie dramatisch. Scheint als haben sich unsere Freunde einen neuen Trick einfallen lassen.“ Frank seufzte: „Das ist schlecht. Das ist sehr schlecht.“ Ich lachte: „Und hoch interessant, hihi.“ Die Tür zum Zimmer ging auf und Sebastian trat heraus. Er lächelte: „Die Herrschaften? Lady Rosewell schläft. Sie wird wieder. Ich bin guter Dinge, dass sie nicht mehr als eine Erkältung davon tragen wird.“ Amy strahlte und lief an Sebastian vorbei: „Du bist der Beste!“ Er legte die rechte Hand auf die linke Brust: „Ich bin nur ein höllisch guter Butler.“ Alexander schaute in die Runde: „Wir müssen herausfinden, wie Oliver und Claude das angestellt haben. Dieser Umstand ist brandgefährlich. Sie haben nun die Möglichkeit uns zu jeder Zeit in den Nacken zu springen. Sebastian? Wie versteckt ein Dämon seine Präsenz gänzlich?“ Sebastian seufzte: „Ich habe keine Idee. Ich war bis jetzt der Meinung, dass so etwas nicht geht.“ Alexander schüttelte den Kopf und drehte ihn zu mir: „Undertaker?“ Ich hob die Hände: „Hehe. Ich muss passen. Noch.“ „Noch?“ „Ich weiß es atok nicht, aber ich bin mir sicher, ich weiß wo ich suchen muss.“ „Und wo?“, fragte Heather. Ich lachte: „In der Bibliothek der Shinigami liegen einige alte Schätze, hehe.“ „Zu der du keinen Zutritt mehr hast“, erwiderte William streng: „Du bist ausgetreten, das wäre gegen die Vorschriften.“ Ich rollte die Augen: „Du bist so furchtbar... pflichtbewusst, William.“ „Wir können doch danach suchen“, grinste Ronald. „Ihr habt doch keine Ahnung wo“, lachte ich: „Bis ihr fertig seid hat Claude schon Drei von uns zu mir geschickt.“ „Komm schon Willi!“, hing Grell William auf einmal am Arm: „Lass ihn doch.“ William presst seine freie Hand gegen Grells Kopf und versucht ihn wegzudrücken: „Vorschriften sind Vorschriften!“ „Aber Willi!“ „Nenn' mich nicht Willi!“ „Pahahahaha!“, eine köstliche Szenerie. Es dauerte ein paar Minuten bis irgendjemand weiter reden konnte, da mein Lachen den ganzen Flur hinauf und herunter hallte. „Ich hasse es, wenn er das tut“, seufzte Frank: „Die Situation ist echt nicht lustig...“ „Er findet doch immer was“, lachte Lee. „Jetzt lach du nicht auch noch!“, keifte Frank. Nur langsam beruhigte ich mich von dem Lachanfall, der mein Gedankenblitz hervor gebracht hatte: „Lass ihn nur Grell“, sagte ich noch etwas atemlos und wedelte mit einer Hand: „Wenn William unbedingt Überstunden schieben will um die Seelen der hier Anwesenden einzusammeln, lass ihn doch den Spaß.“ „Überstunden“, William funkelte mich böse an. „Aber ja!“ kicherte ich und breitete die Hände ein Stück aus: „Claude versorgt dich schon mit Arbeit und wie ich den Dispatch so in Erinnerung habe, kriegst du sie noch nicht mal bezahlt, hehehehe!“ Der Aufsichtsbeamte des 'Grim Reaper Dispatch' ließ seine zusammengezogenen Augen eine Weile auf mir ruhen: „Nun gut. Ausnahmsweise. Komm morgen vorbei. Aber mach keine Unordnung!“ „Ahihihihihihi! Wie großzügig, William. Ich wusste du hast ein großes Herz.“ William zog seinen Arm endgültig aus Grells Klammergriff und verschränkte die Arme: „Daran liegt es sicher nicht.“ „Oh ich weiß, ich weiß.“ „Aber“, erhob Fred die Stimme: „Warum sollten die Shinigami Aufzeichnungen über Praktiken der Dämonen haben?“ Mit einem weiteren schrillen Lachen tippte ich Fred mit dem Zeigefinger auf die Nase: „Hehe. Die alten Shinigamis haben einiges an Wissen gesammelt. Die Fehde zwischen Shinigami, Engel und Dämonen ist so alt wie die Rassen selbst. Jedes Lager hat schnell ihre Mittel und Wege gefunden, die Tricks der Anderen zu durchschauen und für die Zukunft festzuhalten. Die Shinigamis sind schon immer gern bei ihrer Leisten geblieben: Der Bürokratie.“ „Das soll heißen?“, fragte Charlie. „Hihi, wir haben alles aufgeschrieben und in einem Archiv in den Kellern der Bibliothek verstaut.“ „Wir?“, fragte Frank verwirrt. Alexander seufzte: „Undertaker ist der Letzte der ersten Shinigamis.“ „Das soll heißen“, wurde Frank immer verwirrter. „Alt ist für ihn kein Ausdruck“, Grell legte den Handrücken an die Stirn: „Er ist eine Legende.“ Ich lachte: „Denkt ihr das immer noch?“ William seufzte: „Heldensagen halten sich.“ „Pahaha! Ich bin kein Held.“ „Definitiv nicht“, pflichtet mir William bei, was mir auch nicht mehr als ein Lachen entlockte. „Aber“, fiel Charlie in das Geplänkel zwischen Will und mir: „Wenn die alten Sensenmänner, unter anderem du, dieses Wissen gesammelt haben, warum weißt du es dann nicht mehr?“ Giggelnd verschränkte ich die Fingerkuppen: „Ich finde es schmeichelhaft, dass du mir so viel zutraust, aber diese Erinnerungen sind alt, blass und furchtbar verstaubt. Wissen wird erlagt und geht verloren. Bei den Sensenmännern wird es aufgeschrieben, um es zu verhindern, doch auch das ist keine 100% Garantie. Schaut euch nur beispielsweise die Menschen an: Die Römer hatten schon Kanalisationen, im Mittelalter hausten die Menschen wieder in ihrem eigenen Dreck. Wortwörtlich. Erst 1700 kam den Menschen wieder in den Sinn, dass so etwas gut und sinnvoll wäre. Und so kam es, dass metaphorisch gesehen das Rad zweimal erfunden wurde. Bei den Shinigami ist es manchmal nicht anders. Ja, dieses Archiv wurde angelegt. Ja, dort unten liegt eine Mannigfaltigkeit Wissen und ja, es ist sehr gut möglich, dass einige Errungenschaften der Reaper schon lange vorher einmal entdeckt worden sind, doch das Wissen darum schlicht mit dem Archiv vergessen wurde, doch“, ich legte meinen Zeigefinger auf meine Lippen und ließ meinen Blick über die Versammelten schweifen, als ich durch geschlossene Lippen lachte und die ernste und angespannte Mimik der Anwesenden begutachtete: „Es besteht das Risiko, dass dort unten nichts ist, was uns weiterhilft. Dann verlieren wir Zeit. Es könnte also sein, dass wir uns eine Menge Zeit sparen, oder welche vergeuden. Wählt.“ Alexanders Augen sah man an, dass er hin und her überlegte: „Das Archiv.“ Ich grinste breiter: „Sicher Earl?“ „Ja.“ „Gut, dann werde ich jetzt nach Hause fahren“, lachend ging ich den Flur hinunter: „Grell, Ronald, William? Bis morgen.“ Kapitel 3: Anstandsbesuche -------------------------- Sky Es war dunkel um mich herum. Ich weiß nicht wie lange, aber um mich herum war alles dumpf und düster. Mein Körper, er war taub, nur ein unterschwelliges Kribbeln huschte meine Finger auf und ab. Ein komisches Rauschen surrte durch meine Ohren. Ich musste husten. Meine Lungen taten furchtbar weh und mit meinem Körpergefühl zog auch ein fieser Schmerz in meine Glieder. „Sky?“, drang eine Stimme durch das Rauschen in meinen Ohren: „Bist du wach?“ Ich war furchtbar müde. Meine Augenlieder lagen schwer wie Blei aufeinander. „Amy?“, fragte ich heiser ohne die Augen zu öffnen: „Bist du das?“ „Ja“, drang die Stimme meiner besten Freundin an meine Ohren: „Ich bin hier.“ Nach einigen Mühen schaffte ich es die Augen aufzuschlagen. Amy trug die Haare offen und kein Ballkleid mehr: „Sky. Es tut mir alles so leid.“ Ich war verwirrt. Der Wackelpudding, der mein Gehirn darstellen wollte, bekam nicht einen ordentlichen Gedanken zustande. Meine Wangen brannten und ich spürte jeden Muskel: „Was tut dir leid? Wo bin ich?“ Ich schaute mich im Zimmer um. Viel mehr als meinen Kopf konnte ich nicht bewegen. Der Raum war dunkel. Weiße Wände, dunkle Eichenholzmöbel. Ein Himmelbett, ein Schrank, ein Schreibtisch mit Stuhl. Dunkler Parkettboden, auf dessen Mitte ein großer, runder, grauer Teppich lag. Er sah flauschig aus. Dicke, schwarze Vorhänge hielten die Sonne aus dem Zimmer, aber ich konnte die Konturen des großen Fensters hindurch scheinen sehen. „Bei mir Zuhause“, antwortete Amy: „In einem Gästezimmer. Du wurdest gestern Abend angegriffen. Weißt... du das nicht mehr?“ Ich blinzelte sie an. Selbst das Dämmerlicht war noch fast zu hell für meine Augen. Mein Puddinghirn ratterte. Ich erinnerte mich an den Ball. An Amys Eltern und Bruder. An Grell, Ronald und William. An Lee, Charlie und Frank. An... Undertaker... Es klickte. Ich erinnerte mich an das kalte Wasser, die Angst, die zwei Gestalten. Den blonden Jüngling und den großen Brünetten. An Undertaker, der mich zurück in die Welt gerufen hatte. „Doch...“, hauchte ich heiser: „Ich wurde von einem blonden Mann in den Brunnen gedrückt... Er war total... seltsam... Davor hat einer mit dunklen braunen Haaren mich... festgehalten... Er hatte einen Griff wie eine Schraubzwinge... Dann hab ich keine Luft mehr bekommen... Danach“, ich stockte. War es wirklich Undertaker gewesen? Oder hatte mein Gehirn mir einen Streich gespielt? Warum sollte er? War er der Mann vom Friedhof?: 'Warum frage ich mich das genau jetzt?!' „Undertaker hat dich raus geholt“, lächelte mich Amy an, als könne sie meine Gedanken lesen. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich das an ihr hasse? „Wirklich?“, fragte ich irritiert. Amy nickte und lächelte mich aufbauend an: „Er hat durch's Fenster gesehen, wie du angegriffen wurdest. Dann ist er raus gerannt. Wir haben uns noch alle darüber gewundert. Na ja, zumindest mehr als sonst, aber dann rief er nach Sebastian und da haben dann alle mitbekommen, was passiert ist. Wir hätten auf die zwei Idioten aufpassen müssen. Sie haben solange die Füße stillgehalten, wir wurden unvorsichtig und du hast es abbekommen. Es tut mir so endlos leid.“ Mein heißer, puckender Kopf versuchte Amy zu folgen. Es funktionierte so halb. 'Er war es also wirklich', dachte ich langsam. Irgendetwas Warmes glomm in meiner Bauchgegend auf. Dieses Gefühl verwunderte mich. Ich konnte es nicht wirklich einordnen, doch ich wusste genau, dass ich dem silberhaarigen Sonderling danken sollte... und wollte. Der blonde Freak hätte mich ertränkt, wäre der Bestatter nicht gewesen. Ich erinnerte mich an das warme aufmunternde Lächeln. Ich wusste als ich es sah sofort, ich war in Sicherheit. Egal was passierte. Dieses Lächeln hatte meine Angst vor allem vertrieben. Ich glaube, selbst wenn ich es nicht geschafft und das gespürt hätte, ich hätte mit diesem Lächeln vor den Augen auch davor keine Angst mehr gehabt... Ich blinzelte den Gedanken hastig weg: 'Gott! Jetzt mach mal 'nen Punkt!' Ich blinzelte Amy an: „Ist er noch da?“, fragte ich. Meine Stimme war nur ein leises Kratzen. Doch Amy schüttelte den Kopf: „Nein. Er musste was Wichtiges erledigen und ist gestern Abend noch gefahren.“ „Ich will ihm danken“, wisperte ich leise. Amy lächelte: „Das wirst du, wenn du wieder gesund bist. Wir können dann bei ihm vorbei gehen, aber du hast hohes Fieber und eine gereizte Lunge. Du solltest liegen bleiben und dich ausruhen, damit keine Lungenentzündung draus wird. Mein Vater hat in der Schule angerufen. Wir bleiben hier, bis du über den Berg bist.“ Ich brachte meine Mundwinkel irgendwie ein Stück nach oben: „Klingt gut. Aber... Du kennst die Beiden?“ Amy nickte: „Ja. Das war Oliver Trancy, mit seinem Butler Claude Faustus. Die Trancys sind unsere geschworenen Erzfeinde, seit Jahrzehnten. Der jetzt amtierende Earl Trancy bot meinem Vater Frieden an, dafür... sollte er ihm nur meine Hand geben.“ Ich schaute nicht allzu intelligent: „Bitte? Du solltest ihn zwangsheiraten?“ Amy schüttelte den Kopf: „Nein, mein Vater wollte nicht und Oliver meinte nur, dass wir das noch bereuen würden. Nun... Er fing wohl gestern damit an. Wäre Undertaker nicht so umsichtig gewesen, wärst du nun tot und das nur, weil ich dich gezwungen hatte mitzukommen.“ Jetzt schüttelte ich den Kopf: „Du hast das ja nicht mit der Berechnung gemacht, dass irgendein Freak mich im Brunnen ertränkt. Eigentlich... war der Abend ja sonst ganz lustig.“ „Findest du?“, strahlte Amy. Ich nickte schwach: „Irgendwie.“ Amy lachte: „Ruh dich aus. Umso mehr du schläfst, umso schneller bist du wieder auf den Beinen und kannst deinem Retter danken.“ Ich merkte wie meine Wangen noch einen Tacken wärmer wurden: „Beton das nicht so.“ „Wie?“ „Als ob das meine einzige Sorge wäre.“ Amy lachte noch mehr: „Es klingt so. Schließlich galt dein erster sortierter Gedanke ihm.“ „Hallo... Ich wurde fast umgebracht... Natürlich bin ich ihm dankbar.“ Amy hörte mit dem verdammten Kichern nicht auf: „Na ja, ruh dich aus. Wenn du etwas brauchst, neben deinem Bett ist eine kleine Klingel. Dann kommt Sebastian vorbei. Zögere nicht, ok?“ Ich nickte müde: „Alles Roger.“ Amy verließ den Raum und meine Augen streiften immer wieder durch den dunklen Raum. Ich erinnerte mich an das Wasser, an diese Kälte und die Arme, die mich festgehalten hatten. An dieses atemberaubende, aufbauende Lächeln und an das Gefühl, dass jetzt alles wieder in Ordnung sei. Dieser Mann hatte eine unglaubliche Ausstrahlung. Dieser Mann... war er wirklich der Mann vom Friedhof...? Irgendwann schlief ich ein und irgendwann weckte mich Sebastian zum Abendessen. Eine starke Hühnersuppe. Ich hatte im meinem Leben noch nichts gegessen, was so gut schmeckte. Doch immer wenn ich den Butler sah beschlich mich dieses furchtbar nervige, kribbelige Gefühl von Unwohlsein. Immer kurz bevor er ins Zimmer kam, spürte ich ein ziehen in meinem Nacken. Danach kam tatsächlich Amy mit ihrem Vater zu mir ins Zimmer und er entschuldigte sich für das, was passiert war. Ich sagte ihm, dass ihm nichts leidtun müsste, doch er bestand darauf. Ich solle mich wie zu Hause fühlen und nicht zögern, sollte ich etwas brauchen. Vier Tage vergingen, bis mein Fieber verschwunden und meine Lunge sich erholt hatte. Von der Erkältung war nur noch ein Schnupfen mit Rachenentzündung übrig. Das war nervig und ich kratzte beim Sprechen wie eine heisere Elster, aber besser als tot. Um die Lungenentzündung war ich herum gekommen, denn ich war bei Sebastian in wirklich kompetenten Händen gewesen. Obwohl es mir nicht gut ging, waren die Tage bei den Phantomhives wirklich nicht schlecht. Amys Familie war wirklich nett und ich hatte mich irgendwie... wohlgefühlt. Ich hatte nicht eine Sekunde mehr das Gefühl fehl am Platz gewesen zu sein. Mit Amy und Frederic hatte ich öfters Karten gespielt. Es war wirklich lustig gewesen. Doch dieses Gefühl verunsicherte mich auch. Es war Amys Familie, nicht meine. Sie waren nett zu mir, weil sie wahrscheinlich dachten, sie seien mir etwas schuldig. So schmeckte eine weitere eigentlich gute Zeit furchtbar bitter und es war sowohl schade wie erlösend, als Amy und ich am vierten Tag von Sebastian wieder Richtung Campus gefahren wurden. Amy hatte mir Kleidung geliehen: Eine schwarze Jeans, ein paar braune Boots und ein schwarzer Kapuzenpulli, in dem ich eigentlich verschwand. Ich trug darüber meinen warmen Poncho, um meinen kratzenden Hals einen dicken, grauen Schal. Meine Haare zu einem lässigen Dutt gebunden, hatte ich in Gedanken versunken an meinem langen Pony vorbei die Aussicht begutachtet. Immer wieder blieb ich an dem Gesicht von Undertaker hängen. Warum? Er war ein ziemlicher Irrer. Irgendwie war mir mulmig bei dem Gedanken, bei ihm vorbei zu gehen. Ich schüttelte mich, als eine Gänsehaut bei den Gedanken über meine Arme kroch. Doch ich hatte das Gefühl ich werde die Gedanken nicht los, wenn ich mich nicht wenigstens bedanke. Verrückt oder nicht, dank ihm war ich jetzt auf dem Weg zum Campus und lag nicht schon in seinem Laden. Ich war ihm wenigstens ein Dankeschön schuldig. Wenn das überhaupt genug wäre. Ich überschlug meine Gedanken. Vielleicht wäre ein kleines Präsent nicht unangebracht. Aber... was? Ich seufzte ideenlos. „Was überlegst du?“, fragte Amy. „Ach“, machte ich, immer noch den Kopf auf meine Hand gestützt: „Eigentlich nichts.“ „Ähm du? Mandy hat mir geschrieben, dass wir uns heute im 'Swan Gazebo' treffen, damit sie mich auf den neusten Stand bringen. Nur die Prefects, ohne Fags.“ „Aber wir wollten doch...“ „Ähm... Geh doch allein“, lächelte Amy. Meine Wangen wurden warm, warum auch immer: „Was?!“ Die Phantomhive lachte: „Eigentlich wäre ich doch eh im Weg, oder? Du musst keine Angst vor ihm haben, wirklich. Ich schick dir seine Adresse.“ Amy tippte auf ihrem Handy herum. Keine Minute später klingelte mein Messenger und ein Link öffnete die GPS-App und berechnete die Route von meinem Standort zum Ziel, mit Bild und Name, aber keine Homepage. Nur eine Telefonnummer und geschlagenen 175 Bewertungen, davon 82 mit 5, 54 mit 4 und 39 mit 3 Sternen: „ ‚The Undertaker‘s Funeral Parlor‘ ?“ „Jup, so heißt sein Laden“, lachte Amy: „Sein Hobby ist sein Beruf.“ „Cool... Eigentlich...“, ich seufzte: „Wäre er nicht Bestatter.“ Amy musste laut loslachen: „Ja. Bei vielen liegt genau da das Problem“, dann lächelte sie mich an: „Es bedrückt dich. Du schaffst es eh nicht zu warten, bis wir morgen zusammen gehen können.“ Wieder konnte ich es nicht ausstehen, dass Amy einen Schlüssel zum Hintertor meiner Gedanken hatte: „Ich will's hinter mich bringen.“ Amy grinste bedeutungsschwer, doch gefiel mir die Bedeutung darin nicht: „Ja, ja merkt man.“ Ich verdrehte die Augen und entzog mich weiterer Konversation. Am Tor zur Schule verabschiedete uns Sebastian. Ms. Lowell begrüßte uns. Ich war noch ein bisschen schwach und mein Hals kratzte, doch abgesehen davon ging es mir gut. Nicht mal meine Nase war verstopft. Sebastian hatte mich mit etlichen Teesorten abgefüllt, es muss geholfen haben. Ms. Lowell entließ uns in unsere Zimmer. Doch Amy verabschiedete mich vor dem Grundstück der Wölfe: „Ich geh direkt durch, die Anderen warten.“ Ich nickte: „Gut und du brauchst mich wirklich nicht?“ Sie schüttelte lachend den Kopf: „Nein, nein, geh du deinem Retter danken.“ Ich zog eine Schnute. Amy winkte und ging davon: „Bye!“ „Bye“, gab ich zu leise zurück. 'Als ob ich jetzt sofort...', ich schaute auf mein Handy. Die App mit der Route war noch geöffnet. Ich grummelte einmal in mich hinein und ging in mein Zimmer im Wohnheim. Dort angekommen schmiss ich mich auf mein Bett und zückte ein weiteres Mal mein Smartphone. Die kleine Karte auf meinem Display zeigte eine Route in eine ziemlich verwinkelte Ecke von verwirrenden, alten Gassen. Auf dem ersten Viertel der Strecke lag der alte Friedhof: 'Gott, das ist ja in the Middle of Nowhere...' Der Bestatter musste definitiv einen gewissen Ruf haben, ansonsten würde er keine Kunden haben. Den Laden findet da ja niemand, wenn er nicht danach sucht: 'Was interessiert dich das?!' Grummelnd drehte ich mich auf mein Gesicht. Entnervt wollte ich das unstete Gefühl von Rastlosigkeit weg seufzen. Erfolglos. Ich drehte mich nach einigen Minuten wieder auf den Rücken und schwang meine Beine vom Bett und mich somit in den Sitz: „Ich hasse dich, Amy!“ Ich riss meinen Kleiderschrank auf. In dem Hoodie, der mir 2 Nummern zu groß war, konnte ich nicht losgehen. Ich tauschte ihn gegen einen schlichten schwarzen, engen Pulli und einen grauen Bolero mit Kapuze. Auch die Jeans von Amy war mir zu weit, also tauschte ich sie gegen eine meiner schwarzen Röhrenjeans. Es war eine Ripped-Jeans, aber nur weil sie schon ziemlich abgetragen war. Meine Haare ließ ich so. Bei denen war eh Hopfen und Malz verloren. Nachdem ich meine schwarzen Chucks übergezogen, den Schal um meinen Hals und den Poncho um meinen Oberkörper gewickelt hatte, verließ ich das Wohnheim wieder. Ich konnte mir selbst nicht glauben, dass ich das wirklich tat, als ich mich von meinem Handy durch die Straßen des nachmittäglichen Londons führen ließ. Das war ein ziemlicher Fußmarsch, also steckte ich mir meine Kopfhörer in die Ohren, während ich erst den gewohnten Weg zum Friedhof zurücklegte. Als ich den Friedhof passierte, blieb ich kurz stehen. In der Ferne erhoben sich die Konturen der Kapelle dunkel in den Horizont. Ich beschaute sie ein paar Augenblicke, dann wandte ich meinen Blick auf mein Handy, welches mir brav verriet, dass ich nun in einen ziemlich wirren Komplex an Gassen abbiegen muss. Ich hielt mich streng und etwas unsicher an mein Handynavi. Es sah hier fast alles gleich aus und irgendwie hatte ich das Gefühl das Tageslicht erreicht den Grund der Gassen nicht so ganz. Eine gute Gegend war das hier definitiv nicht. Relativ dreckig und die paar Gestalten, die ich wie Schatten vorbeihuschen sah, waren nicht gerade vertrauenerweckend. Ich seufzte... und betete. Nachdem ich eine ¾ Stunde in den Gassen unterwegs war, musste ich laut meinem Handy nur noch um 2 Ecken. Mir fiel auf, dass ich seit 10 Minuten keine illustren Gestalten mehr gesehen hatte. Auch waren die Gassen nicht mehr ganz so schmuddelig. Komisch. Ich muss eigentlich im Herzen des ganzen Gassenwirrwars sein. Müsste es nicht hier am Schlimmsten sein? Ich bog um die letzte Ecke und schaute die Straße hinunter. Es war eine kurze Gerade bis zur nächsten Kurve. Ich blieb stehen: Auf dieser Straße müsste es sein. Ich schaute rechts, ich schaute links, als ich weiter ging und fand schließlich das Gebäude mit dem unverwechselbaren Ladenschild über der Tür. Es war ein ziemlich altes Gebäude. Das goldgeränderte Ladenschild war violett, darin prangte in dünnen, schwarzen Lettern die Aufschrift 'Undertaker' und ein kleiner Schädel thronte mittig über den goldenen Rahmen. Neben der alten Eichenholztür standen zwei Särge. Sie wirkten alt, vielleicht sogar schon antik. In den Ecken des Gebäudes hatten sich einige Spinnen häuslich eingerichtet und auf der anderen Seite der Tür lehnte ein komischer, alter Wimpel über 3 schön gefertigten Grabsteinen. Ich schaute mich noch einmal um. Keine Menschenseele war zu sehen. Mir kam die alberne Idee, dass es vielleicht wegen dem kleinen Laden so ruhig und menschenleer war. Ich erinnerte mich daran wie Undertaker an der Wand gestanden hatte: Mutterseelen allein. Alle schienen einen sehr großen Abstand von ihm gehalten zu haben. Warum? War er böse? Vielleicht doch gefährlich? Oder einfach nur viel zu seltsam? Ich bezweifelte, dass er gefährlich war, er hat mir immer noch das Leben gerettet und Amy hätte mich nicht alleine losgeschickt, wäre er ein wirklich schlimmer Finger. Mit einem Seufzen zog ich die Kopfhörer aus meinen Ohren. Mein Herz klopfte aus irgendeinem Grund schneller. Noch könnte ich einfach verschwinden... Ich wurde bei diesem Gedanken sauer auf mich selbst: 'Er hätte sich auch einfach denken können 'Ich könnte es auch einfach ignorieren und mir so Probleme ersparen'! Hat er nicht und das ist der einzige Grund, warum ich Angsthase nicht ersoffen bin! Ich geh da rein, sag 'Hallo, wie geht’s?' und 'Danke fürs Leben retten' und geh wieder nach Haus. Kann doch nicht so schwer sein!' Noch während ich mich in meinem Kopf selbst anschrie, drückte ich die alte Klinke runter. Es knarzte furchtbar, als die alten Scharniere der Tür in Bewegung kamen und dieses Geräusch schickte ein unwohles Surren meine Wirbelsäule hinunter. Nun standen mir die Nackenhaare zu Berge und meine Arme waren überseht von einer kalten Gänsehaut. Ich lugte in den Laden, doch es war zu dunkel in dem Raum hinter der Tür, der nur zwei Fenster zu haben schien, durch die nicht wirklich Licht ins Gebäude fiel. Gruselig. Ich schluckte, als ich die Courage fand einen Schritt in den Laden zugehen: „Hallo? Ist jemand da?“ Hoffentlich war ich ihm nicht gerade in den wohlverdienten Feierabend geplatzt. Wir hatten schließlich schon viertel vor Fünf. Aber die Türe war offen gewesen, also...? Ich ließ den Türknauf los und ging in die Mitte des Raumes. Es war stickig. Die Luft roch nach altem, trockenem Holz und Büchern. Nach Zedern- und Eichenholz. Mein Blick wanderte durch den Laden. Die Wände und der Boden waren aus dunklem Holz. Alles war aus dunklem Holz und wirkte unendlich alt. Rechterhand stand ein großer, dunkler Eichentresen, dahinter ein Stuhl und etliche Regale, mit etlichen Flaschen und Töpfchen. Ich vermied es, ihren Inhalt einer genaueren Begutachtung zu unterziehen, es sah auch aus dem Augenwinkel schon komisch genug aus. Ansonsten war der ganze Raum vollgestellt mit Särgen. Sie lehnten eng gedrängt an den Wänden oder standen dicht an dicht auf dem Boden. „Ähm... Under...?!“, ich fuhr herum, als urplötzlich die Tür knirschend und knallend wieder in Schloss fiel. Ich quiekte vor Schreck auf und schlug die Hände vor den Mund. Mein Herz raste. Ein paar Minuten konnte ich mich nicht wirklich bewegen und starrte mit aufgerissenen Augen auf die Tür. Dieser Laden war so über alle Maßen gruselig, das selbst King gar keinen besseren Ort für seine Buchverfilmungen finden würde. Doch ich war allein zwischen den, hoffentlich, leeren Särgen. Vielleicht war er nicht da und hatte nur vergessen abzuschließen. Ich fühlte mich wie ein Einbrecher, der sich seine Ziele besser hätte aussuchen sollen. Das war eine doofe Idee gewesen! Ich wollte gerade ungesehen wieder aus dem Laden schlüpfen, da hielt mich etwas am Arm fest. Ich gefror im Schritt. Das 'Etwas' an meinem Handgelenk war kalt wie der Tod... wie der Tod... Bestattungsunternehmen... wie der Tod in einem...Bestattungsunternehmen. Ich spürte wie sich bei diesem Gedanken jedes einzelne Pigment aus meinem Gesicht verabschiedete. Umdrehen konnte ich mich nicht. Ich stand wie angewurzelt an einer Stelle, der einzige Muskel, der sich überdurchschnittlich viel bewegte, war mein wild pochendes Herz. Irgendetwas in mir war sich sicher, dass ich jetzt gefressen werde würde. Ich war einer dieser Trottel aus Horrorfilmen, denen man von der Couch aus immer zu rief 'Geh da nicht rein!', dann taten sie es doch und die Zuschauer antworteten 'Du Trottel! Du bist tot! Ich würde sowas ja nie machen!'. Bis vor 5 Sekunden war ich übrigens eine davon gewesen. Ich werde den armen Horrorfilmopfern nie wieder so böse Dinge an den Kopf werfen. Wenn ich denn noch dazu käme, mir jemals wieder einen anzuschauen. Woher auch immer, ich fand die Courage meinen Kopf ein Stück nach rechts zu drehen. Ich stand genau neben einem Sarg: 'Oh ne...' Diese Erkenntnis lag schwer in meinem kochenden Magen. Kaltes Ding an meinem Arm, in einem Bestattungsunternehmen, neben einem Sarg... Shit... Gut. Ich war mir mittlerweile sicher, dass ich niemals mit heiler Haut aus diesem Laden kommen würde. Also kann dieses... Ding... für seinen Nachmittagssnack wenigstens ein bisschen arbeiten! Mit meinem letzten Rest Mut und Überlebenswillen zog ich kräftig an meinem Arm: „Lass mich los!“ Alles Weitere war arg unerwartet. Der Deckel des Sargs flog geräuschvoll zur Seite, als ich das Etwas ziemlich ruppig aus seinem hölzernen Versteck zog. Mit einem: „WA!“, kam es mir entgegen. Etwas Weiches knallte gegen meinen Körper. Ich schrie laut und schrill. Viel größer als ich, vergrub es mein Gesicht und ich konnte nichts mehr erkennen als es mich, mit einer Menge Krachen und Poltern, nach hinten und von meinen Füßen riss. Ich landete mit dem Rücken auf einem der anderen Särge und schaffte es irgendwie auf den Füßen zu bleiben, doch das Etwas begrub mich unter sich. Es roch nach Zucker, geschnittenen Pflanzen und Zedernholz... Moment mal... „Ihr habt eine beachtliche Kraft für eine so zierliche Dame, Lady Rosewell. Ahehehehehe!“ Das Etwas stützte sich auf und lag nicht mehr mit seinem ganzen Gewicht auf meinem Körper. Silberne Haarsträhnen fielen um mich herum auf den Sarg, als ich in ein bekanntes vernarbtes Gesicht sah, das mich schelmisch und im totalen Einklang mit der Welt und sich selbst angrinste. Ich blinzelte ein paar Mal schwer atmend, bis ich realisierte wie wenig Platz sich zwischen der Nasenspitze des Totengräber und meiner eigenen befand. Durch ein paar Lücken in dem dichten Pony konnte ich einen Blick auf seine schönen, schmalen, leuchtend grünen Augen erhaschen, die mehr als nur amüsiert drein schauten. „Undertaker!“ „Erraten“, lachte der Bestatter: „Was kann ein bescheidener Bestatter für euch tun, Lady Rosewell?“ Sein Grinsen wurde breiter und die Pigmente kehrten in mein Gesicht zurück. Jetzt in Überzahl: „Ähm...“ Ich hasste körperliche Nähe und das Gesicht des Bestatters war mit vielleicht einem Zentimeter Abstand definitiv viel zu nah! Abgesehen davon, dass sein Körper immer noch an einigen Stellen auf meinen drückte. Doch irgendwie war das Unwohlsein ein anderes als sonst. Es war kein aggressives Wiederstreben, sondern eher ein peinliches Berührt-sein. „Hihihihi, ja?“, lachte der Totengräber. Nach einem Durchatmen schaffte ich es meinen Zeigefinger zu heben und mit ihm die Stirn des Bestatters ein Stück weg zu schieben: „Was soll das?!“ Das Grinsen des Bestatters drehte sich herum, wirkte aber nicht wirklich ernsthaft verstimmt: „Ich hab Mittagspause gemacht und dann kamt ihr.“ „Ähm...“, Shit... Ich hatte ihn also doch ungünstig erwischt. Ein peinliches Bedauern heizte mein Gesicht weiter an: „Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören... Mister... Undertaker...“, Warte! Der Typ erschreckt mich zu Tode und ICH entschuldige mich?!: „Ähm... Aber das gibt Euch noch nicht das Recht mich so zu erschrecken!“ Meine Stimme klang nicht halb so fest oder sauer wie ich wollte. Doch der Bestatter lachte nur, als er sich endgültig aufrichtete. Mir fiel wieder auf wie beachtlich groß er war. Er trug einen langen, schwarzen Mantel. Aber er schien ziemlich dünn und um seine Hüfte blitzten wieder die sonderbaren, goldenen Anhänger. Mein Blick wanderte noch einmal durch den Raum und ich erblickte neben der Türe einen Garderobenständer, mit einem alten Zylinder mit langem Zipfel, einer langen, schwarzen Robe mit weiten Ärmeln und einem blass-lila Tuch. Es gab keinen Zweifel mehr: Undertaker war der Mann vom Friedhof... Ein komisches Gefühl kribbelte in meinem Magen, als ich es mir doch letztendlich eingestehen musste. Der Totengräber kicherte immer noch und zeigte mit einem der langen Finger auf mich: „Ihr hättet euer Gesicht sehen sollen, hehe“, dann öffnete sich die Hand, die eben noch auf mich gezeigt hatte und streckte sich mir entgegen. Ich musterte sie ziemlich planlos und der Bestatter grinste mir entgegen: „Lasst mich euch helfen. So wie ihr da hängt, kann das für den Rücken nicht gesund sein.“ Erst jetzt merkte ich das Ziehen in meinen Wirbeln, als müsste mein Körper die Worte des Totengräbers zusätzlich unterstreichen. Zögerlich legte ich meine Hand in Seine und er zog mich schwungvoll hoch. Mein Körper kippte nach vorne und ich landete in seinen Armen, bevor ich auf die Nase fallen konnte. Er hielt immer noch meine rechte Hand und hatte die Andere um meine Taille gelegt, um mich am Umfallen zu hindern, als ich mit hochrotem Kopf zu ihm hoch blinzelte und rebellieren wollte, doch das Grinsen auf seinem Gesicht war einem ehrlichen, sanften Lächeln gewichen. Ein Lächeln, welches die Welt retten konnte und welches mir den Kopf leer fegte. Der seltsame Mann hatte ein atemberaubendes Gesicht, wenn er ehrlich lächelte und sein Pony ein Auge hinausschauen ließ. So wie jetzt. Ich wollte es zeichnen. „Und bitte“, sprach der lächelnde, schmale Mund: „Undertaker und du, Mylady.“ „O-ok“, kam es irgendwie aus meiner entzündeten Kehle. Jetzt nach dem Schreck merkte ich das Kratzen in meinem Hals überdeutlich und ich versuchte mich zu räuspern: „Und... und ich bin Sky... und du... auch...“ Irgendwie wurde mir schwindelig. Undertaker zog eine Augenbraue hoch: „Geht es dir gut?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. Dann drehte ich hastig mein Gesicht ab und fing an trocken in die Hand zu husten. Meine Knie wurden weich und ich hatte das Gefühl sie sackten mir gleich weg. Der Bestatter ließ meine andere Hand und meine Taille los. Erst dachte ich, es war sicher nicht schön für ihn so nah vor einer Bakterienschleuder zu stehen, doch ich spürte eigentlich sofort seine langen Finger an meiner Hüfte und verlor dann den Boden unter den Füßen. Fast beiläufig setzte er das perplexe Mich auf einen der Särge: „Nicht weg laufen“, tippte er mir mit dem Zeigefinger auf die Nase. Die Stelle kribbelte ganz komisch, als der Bestatter durch eine Tür, gut versteckt neben den großen Regalen, verschwand. Ich lief nicht weg. Ich hatte A) Noch nicht erledigt, wofür ich hergekommen bin und B) waren meine Knie butterweich. Mein Herz beruhigte sich zwar wieder und der Schwindel schwand auf ein erträgliches Niveau, doch das komische Gefühl von Peinlichkeit blieb allgegenwärtig. Mein Blick wanderte zu Boden. Hatte ich mich peinlich verhalten? Eigentlich nicht, oder? Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass nichts in mir wirklich Sinn machte und dieses komische Kribbeln in meinem Bauch war mir unerklärlich. Ich hörte eine Türe auf- und zugehen und hob die Augen. Der Bestatter war wieder zurückgekehrt und hatte ein kleines Holztablett, mit zwei Messbechern mit einer braunen Flüssigkeit - den Teebeuteln darin entnahm ich, dass es wohl auch Tee war - einen Zuckerbecher in Form eines Sarges mit einer Zuckerzange, zwei Löffeln und einer Urne, aus der knochenförmige Kekse raus lugten, in der Hand. Er setzte sich mir gegenüber auf einen Sarg und hielt mir einen Becher hin: „Du hättest erst herkommen sollen, wenn du wieder vollständig hergestellt bist, Sky.“ Ich nahm dankbar den Tee entgegen: „Ja... Ich dachte eigentlich es ginge mir wieder gut“, ich räusperte meine kratzige Stimme. Etwas, was nach Bedauern aussah, erschien in dem Gesicht des Bestatters: „Ich dachte du wärst nicht hier, wenn du nicht wieder gesund wärst und dich so erschrecken würdest.“ Ich schaute ihn verständnislos an: „Was dachtest du denn sonst was passiert, wenn du sowas machst?“ Er schien von meiner Verständnislosigkeit ein wenig überrascht: „Öhm... Das war eine Standardbegrüßung! Ich denke da eigentlich nicht mehr wirklich drüber nach... Und ja, ein bisschen erschrecken wollte ich dich schon“, mir schien ein zahnvolles und in allen Belangen unschuldiges, breites Grinsen entgegen. Es war sogar so endlos unschuldig, dass es meinen Ärger gänzlich vertrieb. So einem Grinsen kann doch niemand böse sein! „Oh“, machte ich und meine Wangen wurden noch einen Tick wärmer: „Naja... So schlimm war es auch nicht...“ „Aber dein Gesicht“, der Bestatter hielt eine Hand vor den Mund als er kicherte: „Hihihi! War zu köstlich! Zum Anbeißen!“ Ich gefror im Trinken. Nur die Hitze des Tees animierte mich dazu den Becher von den Lippen zu nehmen und den Tee zu schlucken. Er war lecker. Fruchtig und minzig. Doch meine Augen hingen an dem Bestatter, erschrockener als ich wollte. Der Totengräber kicherte noch mehr: „Bildlich gesprochen.“ Ich atmete wieder. Eigentlich fiel mir auch erst in dem Moment auf, dass ich es eingestellt hatte. Undertaker nahm die Zuckerzange und warf sich etliche Zuckerstückchen in seinen Becher. Ich schaute sprachlos dabei zu, wie der Totengräber seinen Tee in Sirup verwandelte. Dann nahm er einen Schluck und grinste mir weiter entgegen: „Geht es denn?“ „Äh...“, irgendwie war ich von meinen Worten verlassen: „Ja, es geht schon.“ „Du bist so rot im Gesicht“, er beugte sich vor und legte seine kalte Hand auf meine Stirn: „Du hast doch kein Fieber, oder?“ Die kalte Berührung war alles andere als unangenehm in meinem warmen Gesicht, doch mein Herz setzte kurz aus und kam dann schnelleren Taktes wieder zurück: „Ich... ich glaube nicht!“, zog ich meinen Kopf nach hinten und wurde noch röter. Undertaker legte den Kopf schief und das Lächeln schwand, als er seine Hand zurückzog: „Du gefällst mir gar nicht, Sky. Sag: Was möchtest du von mir, was nicht auf deine Genesung warten konnte?“ Die Peinlichkeit wuchs, ich war eigentlich sicher gewesen, das sei unmöglich. Ich verschränkte meine Finger um den warmen Becher und richtete mein rotes Gesicht zum Boden. Der Schwindel fühlte sich komisch an: „Ich... wollte mich bedanken...“ „Wofür?“ Ich schaute ihm ins Gesicht und schaffte einen festen Blick: „Du hast mir das Leben gerettet!“ Er wedelte mit einer Hand: „Ach das. Nicht der Rede wert.“ „Bitte?! Ich wäre einer deiner Kunden, ohne dich!“ Er lachte: „Es war einfach noch nicht dein Tag.“ „Aber das macht es doch nicht weniger... ritterlich!“ Ein komisches Wort... Aber es erschien mir irgendwie passend. Der Bestatter verfing sich in einen kleinen Lachanfall: „Ahehehehe! Ritterlich? Würdest du mich so beschreiben?“ „Naja...“, ich stockte. Es schien nicht so, als hätte der Totengräber dieses Adjektiv selbst für sich gewählt. „Die Leute nennen mich verrückt. Sonderbar. Ein armer, armer Irrer, der die Gesellschaft der Toten denen der Lebenden vorzieht und dadurch den Verstand verloren hat. Als ritterlich hat mich wohl noch niemand bezeichnet. Ahehehehehe!“ „Das ist mir doch egal!“, rief ich aus voller Überzeugung: „Was schert es mich denn, was die Anderen über dich denken? Ich hab meinen eigenen Kopf und kann mir ein eigenes Bild von Leuten machen. Auch von dir!“ Ein gefälliges Lächeln verzog die Lippen des Bestatters: „Du hast sehr viel Charakter Sky. Sag: Findest du mich denn gar nicht sonderbar?“ „Doch schon...“, ich schaute kurz zur Seite, dann wieder in seine grünen Augen. Darin lag so viel, ich hatte das Gefühl diese Augen hatten alles gesehen: Endloses Leid und übersprudelnde Freude, zehrende Langeweile und elektrisierende Spannung und alles was daneben, darunter, darüber und dazwischen lag. Sie zogen meine Gedanken an wie Magnete: „Aber das muss ja nicht schlecht sein! Oder aussagen, du seiest ein schlechter Mensch...“ Er legte einen Zeigefinger an die Lippen: „Was für ein Bild hast du von mir?“ Ich zögerte: „Üff... ääähm... Ich kenne dich nicht wirklich gut und...“ „Du hattest jetzt zumindest schon einen ersten, zweiten und dritten Eindruck.“ Ich stockte. Seine Worte implizierten drei Begegnungen. Klar waren die auf dem Ball und die Heutige, doch die Dritte... Oh nein. Mein Kopf nahm die Farbe einer reifen Tomate an, als mir gewahr wurde, dass er mich auf dem Friedhof sehr wohl bemerkt haben musste. Ich war wieder abgeschnitten von allem, was ich hätte sagen können. Der Bestatter lachte, angesichts meiner Wortlosigkeit: „Gut. Machen wir einen Deal: Du sagst mir was du von mir denkst und dafür ... hmmm?“, er wog den Kopf überlegend hin und her, als er die Beine überschlug: „Hast du eine Wunsch bei mir frei! Was sagst du?“ Ein komisches Angebot. Der Bestatter wirkte nicht ansatzweise in seiner Person verunsichert. Nicht so, als ob er die Meinung eines jungen Mädchens wie mir bräuchte, um sich besser zu fühlen. Er wirkte viel mehr neugierig auf meine Reaktionen. Als ich nichts sagte, kicherte er: „Nicht gut?“ Ich schaute ihn verwirrt an. Was sollte ich mir denn von einem Bestatter wünschen? Einem sehr... ungewöhnlichen Bestatter zugegeben. Irgendwie wurde ich nervös. Er legte den Kopf schief, als sich meine Reaktionen immer noch auf starren und blinzeln beschränkten: „Zunge verschluckt?“ „Äh“, machte ich als mein unfreiwilliges Schweigen zunehmend peinlich wurde: „Also... Ich wüsste nicht genau... Ich weiß nicht...“ Undertaker lachte: „Du bist schüchtern, hm?“ Schon wieder merkte ich einen Schwall Hitze von meinem Kragen in mein Gesicht steigen und wie sich ein unangenehmer Kloß in meine Kehle setzte. Der Bestatter beugte sich vor und lugte von unten erwartungsvoll in mein Gesicht: „Komm schon, hehe, ich bin neugierig! Es ist doch eine so kleine Bitte, für einen so großen Preis, oder?“ Ich atmete einmal durch und legte den Kopf schief: „Großer Preis? Was könnte ich mir den von dir wünschen?“ Er zog lachend den Kopf zurück: „Alles! Wunsch ist Wunsch. Bitte mich darum und ich tue es, aber nur wenn du jetzt sprichst“, verkündete er heiter und schenkte mir wieder dieses breite, unschuldige Grinsen. Als es mir entgegen schien musste ich unwillkürlich kichern. Ich hielt die Hand vor den Mund, weil es mir peinlich war. Ich wusste noch nicht einmal was ich so lustig fand, aber irgendwie brachte mich dieses große, unschuldige Grinsen zum Lachen. Es wirkte warm, leicht und ehrlich bis ins Letzte. Es war... richtig süß! Ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn ich spürte eine kalte Hand an meinem Arm und sie zog die Hand von meinem Gesicht: „Na, na, na! Nicht verstecken!“ Ich blinzelte verdutzt und sah, dass der Bestatter sein Gesicht schon wieder so nah zu meinem gebracht hatte. „Noa“, machte er enttäuscht: „Ich hab's verpasst!“ „Was?“, irgendwo hatte ich den Gedankensprung des Bestatters nicht mitbekommen. „Dein Lächeln“, grinste er, aber in seinem grünen Augen stand tatsächlich eine relativ große Enttäuschung. „Mein...“, begann ich verwundert und irgendwie fühlte ich mich schlecht Grund für einen enttäuschten Ausdruck in den kristallklaren grünen Augen zu sein. Diese Farbe war wirklich sehr, sehr sonderbar... und wunderschön. Ich habe noch nie solche Augen gesehen, nicht nur weil ich noch nie eine Iris gesehen hatte, die außen in einem satten Grün begann, dann in ein limonengrün überging um in einem leuchtenden Gelb zu enden, welches in dem endlosen Schwarz seiner Pupillen verschwand. In diesen Augen lag noch so viel mehr. Als ich die Iris musterte, kehrte irgendwann die Idee in meinen Hinterkopf, dass ich es schon relativ lange tat und dem Mann vor mir ziemlich ungeniert in die Augen starrte. Ich wand schnell den Kopf zur Seite und starrte auf den Boden: „Öhm...“, ich hatte das Gefühl mich rechtfertigen zu müssen, doch ich wusste nicht wie. Ich hörte wie Undertaker lachte: „Keine falsche Scham. Du hast den Blick einer Künstlerin, Sky. Ich finde es beeindruckend, wie du jedes Detail erfassen musst.“ Ich schaute ihn wieder an: „Woher..?“ „Naja... Ich sehe mit meinen Augen wie alle anderen auch, Ahehehehehe!“ Natürlich... Es war unvermeidlich, dass er meinen Blick gesehen hatte. Ich war kurz davor mein Gesicht in den Händen zu verstecken, doch ich hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, weil... ja weil... Warum eigentlich? Es machte ja auch keinen Unterschied. Es war da und ich fühlte mich dadurch nicht gut. Also hob ich den Kopf und zog meine Lippen so gut es ging in ein Lächeln: „Es tut mir leid, aber außergewöhnliche Farben haben was fesselndes für mich.“ Ich schaute den Bestatter an und mein Lächeln gefror in meinem Gesicht. Er hatte sich nach hinten gelehnt, Arme und Beine überschlagen, sah er jetzt wirklich verstimmt aus. Unmut stand in seinem nicht lächelnden Gesicht. Mein Lächeln hing merklich schief: „Hab ich etwas... falsch gemacht?“ Undertaker zeigte mit einem Zeigefinger auf mich: „Dieser scharfe Ausdruck. Da fangen ja Babys an zu weinen“, entgegnete er mir reichlich trocken. Das Lächeln verschwand und mein Mund blieb ein Stück offen stehen, als sich irgendetwas in meiner Brust, wie von einem Pfeil getroffen, schmerzlich zusammen zog. Eigentlich hätte ich nur scharf entgegnet, dass mir seine Meinung doch herzlichst da vorbei ginge, wo die Sonne nicht scheine. Doch gerade... wäre das gelogen gewesen. Mir war die Meinung des silberhaarigen Mannes aus irgendeinem Grund ganz und gar nicht egal. Warum? Ich kannte ihn doch gar nicht richtig. Ich schloss denn Mund und merkte wie meine Unterlippe zitterte. Warum?! Ehrlich verletzt drehte ich mein Gesicht weg, doch eine kühle Hand an meinen Kinn hielt mich auf: „Was hast du?“ Die Hand des Bestatters drehte meinen Kopf wieder zurück, doch ich schlug die Augen nieder. Ich konnte ihm gerade irgendwie nicht ins Gesicht sehen: „Ach nichts.“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich war furchtbar töricht gewesen. Warum fühlte ich mich so? So beschämt und so verletzt? Wollte ich irgendwas bezwecken? Wollte ich, dass er mich mag? Vielleicht sogar schön fand? Blödsinn! Das war alles großer Blödsinn! Ich war furchtbar ordinär und langweilig, seelisch wie körperlich der totale Durchschnitt und der Mann mir gegenüber, ich hatte das Gefühl, er ist auf ganz viele Weisen etwas Besonderes: 'Was denk ich hier?!' Die Hand hob meinen Kopf noch ein Stück. Mein Herz übersprang einen Schlag, als ich etwas Kühles an meiner Stirn spürte. Es übersprang den nächsten, als mir gewahr wurde, dass es die Stirn des Totengräbers war. Mein Kopf war leer, mit einem Schlag, schon wieder, nur das Pochen meines Herzens vibrierte durch meinen Hals in meine Ohren. „Ich mag keine Lügen“, sprach der Bestatter ruhig und schaute mir in die Augen. Ich konnte schwören, er schaute durch sie direkt in meine Seele: „Belüge mich nie wieder, ok?“ „O... ok...“, brachte ich in einem heiseren Flüsterton hervor. Er lachte und grinste, nahm die Hand von meinem Kinn und seine Stirn von meiner, als er sich wieder zurücklehnte und seinen Tee nahm: „Gut. Was ist nun? Deal, oder nicht?“ „Was...“, mein Gehirn brauchte ein paar Wimpernschläge, bis es wieder funktionierte. Zumindest halbwegs: „Ach so, ja... Das“, ich holte tief Luft: „Warum nicht. Wenn du unbedingt möchtest. Vorausgesetzt, ich darf mir meinen Wunsch aufheben.“ Der Totengräber lachte: „Ahihihihi! Natürlich. Solange du willst.“ Ich lachte leise mit und schaute dann überlegend nach oben: „Also... ähm... Ich denke du bist... Ein ziemlicher Spinner, aber... die positive Variante davon.“ Undertaker kicherte: „Hihi. Der erste Teil ist bekannt, der Zweite neu.“ „Ehrlich?“ „Jup.“ „Des Weiteren“, ich kratzte mich an der Wange: „Glaube ich, dass du mit dir, deiner Welt und deiner Art zu leben, vollkommen unbeirrbar und glücklich bist. Das ist schon ein bisschen beeindruckend.“ Das Grinsen des Bestatters wurde breiter, aber blieb stumm. Irgendwie machte es mir Spaß, der Grund zu sein, wegen dem er so selig, dämlich grinste. Ich kicherte und schloss dabei die Augen, als ich sie wieder öffnete sah sein Gesicht noch ein wenig zufriedener aus. „Und du bist gruselig!“, lachte ich: „Furchtbar, furchtbar gruselig! Absichtlich! Das ist furchtbar gemein! Du hast Spaß an den doofen Gesichtern, kann das sein?“ Undertaker warf seinen Kopf nach hinten als er anfing zu lachen. Ich konnte nicht anders als mitlachen. Einige Minuten gab es keine Konversation, nur Lachen und Gekicher. Immer wenn ich dachte das Lachen beruhigte sich, schauten wir einander an und irgendeiner fing wieder an zu giggeln. Irgendwann war ich ziemlich aus der Puste und meine Lungen, mein Bauch und Kopf waren warm vom ganzen Gekichere, sodass ich mir den Bauch halten musste. Total sinnfrei, doch es war gut gewesen. Ich hatte das Gefühl ich habe Jahre nicht mehr so frei lachen können, doch das vollkommen ungebundene, federleicht und in positivem Sinne rücksichtslose Lachen des irren Totengräbers steckte furchtbar an. Undertaker lachte noch immer ein wenig: „So offensichtlich?“ „Oh ja“, begann ich, als ich mich etwas beruhigt hatte und eine angenehme Hitze vom Lachen zurückbehalten hatte: „Du bist total... Gruselwusel!“ Undertaker sagte eine Minute nichts. Er schaute mich nur mit dem freien Auge an und blinzelte zweimal. Dann presste sich sein Mund zu einem schmalen Strich zusammen und seine Wangen blähten sich auf. Ein ersticktes Prusten erklang, doch schnell brach ein schrilles, keifendes Lachen aus seinen Lippen: „Gruselwusel! Pahahahahaha! Ahehehehehehe! Ihihihihihihihihi! Was ein Wort! Ahahahahaha!“, er schlang seine Arme um den Bauch und fiel rücklings auf den Sarg, während er sich reichlich ungeniert scheckig lachte. Kichernd schaute ich auf den, halb an seinem Lachen erstickenden, Bestatter. Es war ziemlich laut und füllte den ganzen kleinen Laden. Ich war mir sicher, dass es auch durch die ganze Gasse vor der Türe zu hören war. Ich konnte wieder nicht anders als mit zu lachen, schon allein deswegen, weil der Totengräber angefangen hatte, machtlos gegenüber seines Lachanfalles, mit den Beinen zu wedeln. Er sprach zwischen drin, doch ich konnte kein Worte mehr erkennen. Irgendwann lag er schlaff und schwer atmend auf den Sarg. Ein atemloses: „Puhuhuhuhu“, entfuhr immer noch seiner Kehle, während er sich mit der Hand den Pony aus dem Gesicht wischte. Kichernd sah ich mich im Laden um, während der Bestatter noch damit beschäftigt war, durchzuatmen. Jetzt, wo sich meine Augen an das schlechte Licht gewöhnt hatten, fiel mir auf wie aufwendig die Särge gefertigt waren. Das waren keine 4- oder 6-eckigen zusammengenagelten Kisten, das waren Meisterwerke, jedes für sich. Mit Stuck aus Holz oder Metall. Ein paar sogar aus Gold. Aufwendig lackiert in schwarzen und/oder verschiedenen Brauntönen mit geschmückten Henkeln. Es gab keine zwei Gleichen. Jeder Sarg war ein Einzelstück. Während mein Blick so durch den düsteren Raum glitt und sich mein Bauch vom Lachen beruhigt hatte, fühlte ich ein unangenehmes Kribbeln in meinem Hals. Ich hustete ein paar Mal und die Lachwärme in meinen Gliedern schwand einem unangenehm ziehenden Gefühl: 'Nicht schwächeln, Sky!' „Und du bist ein begnadeter Handwerker“, bewunderte ich etwas atemlos die Särge und räusperte mich schmerzhaft: „Diese Särge sind wunderbar.“ Der Bestatter stand auf: „Gefällt dir meine Arbeit?“, grinste er. Ich nickte ihn an: „Ja, die sind wirklich schön.“ „Welcher gefällt dir am besten?“ Ich schaute mich noch einmal um. Es gab hier so viele Verschiedene. Um mich von dem geschwächten Körpergefühl abzulenken, schweifte mein Blick konzentrierter durch den Laden und fiel auf ein schlichtes, schwarz glänzendes Exemplar. Sein Deckel hatte eine leichte Wölbung, in das Unterteil waren aufwendig, über und unter den großen silbernen Henkeln, Rosenranken gefräst. Ich zeigte darauf: „Der!“ Undertaker lachte sein übliches, etwas schauerliches Lachen: „Vorzüglich, so etwas Ähnliches hatte ich mir für dich auch vorgestellt.“ Ich schaute ihn mit großen Augen an, doch er ignorierte es, sprach weiter und stand auf: „Ein Kuppeltruhensarg. Amerikanischer Stil, mit gespaltenem Deckel. Schlicht wie schick“, er streckte mir grinsend seine Hand hin. Ich löste eine meiner Hände von dem mittlerweile fast kalten Teebecher und griff seine lange, schlanke Hand. Ich überlegte kurz, ob der Mann an Spinnenfingrigkeit litt, entschied mich aber dann dafür, dass es wirklich nicht wichtig war. Mit den langen, schwarzen Fingernägeln waren seine Hände schon ein wenig gruselig. Der ganze Typ war gruselig, daran gab es nichts zu diskutieren, aber irgendwie... fühlte ich mich wohl. Auf den zweiten Blick waren sein Gesicht, sein Grinsen und auch seine langen, dürren Finger alles andere als unansehnlich und wenn man sich mit ihm unterhielt war er... immer noch sonderbar, aber eigentlich... ziemlich nett und extrem aufmerksam. Ein komisches, warmes Gefühl in meiner Brust ließen meine Lippen sich zu einem Lächeln ziehen. Als ich meine Hand in Seine legte, schien sein Lächeln auch etwas größer zu werden. Sachte zog er mich auf die Füße und führte mich durch den Laden. Geschickt schlängelte er sich durch die ganzen Särge und mich beschlich das Gefühl, er könnte blind durch seinen Laden tanzen, ohne auch nur einmal anzustoßen oder groß überlegen zu müssen. Es erinnerte mich tatsächlich ein bisschen an Tanzen, denn ab und zu drehte er sich, oder mich. Schob mich vor, dann wieder sich. Ein angenehmes Gefühl von Amüsement machte sich in meinem Bauch breit und ich merkte gar nicht, dass mein Lächeln heller und breiter wurde, bis ich wieder zu lachen begann. Der Totengräber stieg mit ein, drehte mich noch einmal um meine eigene Achse, bis wir vor dem schwarzen Sarg standen. Nicht ein Tropfen meines Tees war verschüttet worden und irgendwie hatte ich das Gefühl, es lag nicht an mir. Mein Körper hatte sacht zu zittern begonnen und ich umklammerte den Teebecher gequält, damit er mir nicht aus den schwächlichen Fingern rutschte. Das Drehen hinterließ einen unangenehmen, leichten Schwindel in meinem Kopf. Undertaker ließ meine Hand los und öffnete den oberen Teil des zweigeteilten Deckels. Der Stoff in dem Sarg schimmerte im blassen Licht fast silbrig: „Noileseide“, lächelt der Totengräber. Ich blinzelte fast überwältigt auf das ausgepolsterte und fein geraffte Innenleben des Sarges, das so hell und edel einen wunderbaren Kontrast zu dem dunklen und robusten Sarg darstellte: „Wow... Der Schneider muss ein Meister sein.“ „Danke, danke“, lachte Undertaker. Ich schaute ihn verblüfft an: „Du machst alles? Innen, wie außen?“ Er nickte: „Exakt. 100 % Handarbeit. Keine Maschinen, kein Schnick Schnack. Nur meine Hände, Holz, Lack und Stoff. Gut, ein paar Werkzeuge hab ich schon. Mit den Fingernägeln geht schnitzen und sägen so schlecht. Hihihi.“ Ich grinste aufgrund dieser Aussage und schaute wieder in den Sarg. Etwas, in dem man begraben werden sollte, sollte nicht so gemütlich aussehen. Der Boden war dick gepolstert. An den Seiten raffte sich der Stoff elegant entlang und im Deckel steckten kleine, dekorative Glasperlen Rauten im Stoff ab. Ich fuhr mit der freien Hand über den leicht gewölbten Deckel. Er war ganz glatt: „Der ist wirklich schön. Sind sie alle so aufwendig?“ Undertaker kicherte: „Für meine Gäste nur das Beste.“ Ich lächelte seicht: „Deine Passion für den Job ist wirklich unbeschreiblich.“ „Genau wie deine fürs Zeichnen“, lächelte der Bestatter zurück und fuhr sich durch die Haare. Der lange Pony blieb zu einem großen Teil in den langen Haaren hängen, sodass ich beide Augen des Bestatters sehen konnte. Sein Gesicht war fast komplett symmetrisch, doch brach die Narbe diese Gleichheit. Dieses Zusammenspiel von Symmetrie und Asymmetrie war erstaunlich und hielt meinen Blick einen Moment fest, in dem der Bestatter den anderen Teil des Sargdeckels öffnete. Er schaute mich, einen Arm noch am Deckel, auffordernd an und ich hob verwirrt eine Augenbraue. Dann nickte er vielsagend zu dem Sarg. Ich machte große Augen, als ich dachte, ich verstand, was er von mir wollte: „Ich soll...“ Er lachte, als er mir den Teebecher aus der Hand nahm und ihn einfach auf einem Sarg in der Nähe abstellte: „Hüpf rein.“ „Ehrlich?“ „Ja.“ „Wirklich?“ „Jaha.“ „Bist du sicher?“ Er hob eine Augenbraue. „Ich meine ich hab Schuhe an, dann wird der Stoff doch ganz... AH!“ Undertaker hatte offensichtlich genug von der Diskussion und mich einfach auf den Arm gehoben: „Hey!“ Er lächelte mich von oben an. Wieder mit diesem Lächeln, das Weltkriege verhinderte: „Wenn ich ja sage, kannst du mir das glauben, ok?“ Die Röte kehrte auf meine Wangenknochen zurück: „Ok...“ Dann legte er mich behutsam in den Sarg. Das Polster war viel weicher, als es aussah und der Stoff fühlte sich wunderbar unter meinen Händen an. Seine langen Finger griffen eine Spitze meines Ponchos: „Der wird nur stören.“ „Was?!“ Bevor ich widersprechen konnte, zog er. Mein Oberkörper ging nach oben und der Poncho rollte sich von meinen Schultern. Er schloss die untere Klappe, nach dem er meinen Poncho über den Unterarm gehängt hatte. „Was machst...“, doch ein langer Zeigefinger auf meinen Lippen unterbrach meine Frage und drückte mich zurück in den weichen Stoff. „Nicht sprechen“, lächelte er: „Genießen.“ „Aber!“, doch dann wurde es auch schon dunkel, als der Totengräber den Deckel über meinen Gesicht schloss. Ich hörte ein leises Klicken. 'Was?!', ich hatte eigentlich gedacht, dass ein Schwall Panik in mein Herz schwappen würde, doch blieb das völlig aus. Jetzt, wo ich lag, spürte ich die Erschöpfung in meinen Gliedern. Ich war doch noch nicht so fit, wie ich sein wollte. Mein geschwächter Körper begrüßte die Gemütlichkeit des Sarges dankend und ohne darüber nachzudenken schloss ich die Augen, als ich den Bestatter noch außen über irgendetwas lachen hörte. Meine Augen öffneten sich träge und Verschlafenheit lag schwer auf meinen Gedanken. Es war Stockfinster um mich herum. Ich lag unglaublich gemütlich, doch mein schlaffes Gehirn wusste nicht wo. Ich seufzte, als ich aufstehen wollte. DONG!: „AUA!“ Mein Versuch sich aufzusetzen wurde jäh unterbrochen, als ich mit der Stirn gegen etwas Hartes knallte. Mit Schwung natürlich. Ich fiel zurück in die weichen Polster und hielt meine Hände vor meine pochende Stirn: „Aui... maaaan, das tut weh...“ Mir wurde erst jetzt, nachdem ich mich bewegt hatte, gewahr wie wenig Platz ich hatte. Wo war ich? Es klickte und knarzte leise und Licht blendete mich, als das Etwas gegen das ich gekracht war zurückgeklappt wurde. Ein Mann mit langen silbernen Haaren lächelte mir entgegen: „Nicht so stürmisch.“ Natürlich! Meine Erinnerungen waren aus dem Halbschlaf zu mir zurückgekehrt: Ich war bei Undertaker im Laden und hatte in einem Sarg Probe gelegen. Ich muss während dessen eingeschlafen sein... Wie peinlich! „Es tut mir leid!“ Undertaker hatte seine Haare, samt Pony, zu einem Pferdeschwanz zurück gebunden, weshalb ich gut sehen konnte, dass er schmunzelnd eine Augenbraue hoch zog: „Was? Dass du eingeschlafen bist oder dass du dir selber eine Gehirnerschütterung verpasst hast?“ „Ähhhmmm... Ersteres“, kratzte ich. Meine Stimme war fast komplett weg. Der Bestatter lachte: „Das muss dir doch nicht leidtun. Es war schließlich Berechnung.“ „Bitte?“ Undertaker kicherte weiter: „Denkst du ich merke nicht, dass es dir nicht gut geht? Du wirktest so, als müsstest du dich ein wenig hinlegen und sehe da: Ich hatte recht.“ Meine Wangen wurden warm, als ich ihn nicht allzu intelligent musterte. Ich wusste nicht was ich antworten sollte. „Geht es dir besser?“, wechselte das alberne Grinsen zu einem warmen Lächeln. Dieses Lächeln! Es zündete etwas Warmes in meiner Brust an. Was? Warum? Keine Ahnung. Ich wusste nur, dass es meine Wangen noch röter werden ließ. Er legte den Kopf schief: „Gibt es einen Grund, dass du mir manchmal einfach nicht antwortest? Hab ich irgendwas gemacht?“ Meine Augen wurden weit: „Oh nein, nein!“ 'Wie peinlich! Und warum ist mir alles peinlich?!' Ich war eigentlich nicht der beschämte Typ, doch irgendwie brachte der Bestatter mich ständig aus der Reserve. „Was ist es dann?“, lächelte der Totengräber. „Öhmmm...“, was sollte ich denn sagen? Ich verstand es ja selber nicht: „Manchmal... sind deine Fragen sehr unerwartet!“ Undertaker lachte: „Ahehehehehe! Ehrlich? Die Frage ob es dir besser geht ist unerwartet?“ „Ähm... ja“, ich entschied mich ehrlich zu sein. Der Bestatter hatte schon einmal eindrucksvoll deutlich gemacht, dass er Lügen auf 100 Meter erkannte und ohrenscheinlich hasste wie die Pest. Doch der Gedanke an die Hintergründe, weswegen diese Frage wirklich so unerwartet war... er war schmerzlich: „Ich werde nicht oft gefragt, ob es mir gut oder besser geht...“ Das Lächeln des Bestatters schwand ein Stück. Er war anscheinend sichtlich getroffen, von dem was ich sagte. „Wieso?“, fragte er mitfühlend. „Weil... Es eigentlich nur einen Menschen gibt, der sich für mich interessiert...“ Sein Lächeln wurde noch kleiner: „Tatsächlich? Wieso?“ Ich seufzte und starrte an die Decke: „Weil... alle anderen weg sind... Nein... es gab einfach nie jemand anderen“, flüsterte ich, bemüht meine Stimme nicht so schwer klingen zu lassen. Doch sie war schwer und traurig. Denn dieser Gedanke machte mich traurig und ich fühlte mich klein, unwichtig und allein. Ich vermied diese Gedanken eigentlich tunlichst, wissend wie sehr sie mich runter ziehen. Doch abends, wenn ich alleine in meinem dunklen Bett liege, begleiten sie mich eigentlich immer in den Schlaf. Auch, wenn meine gut gestellten Mitschüler ihre Köpfe hinter meinen Rücken zusammenstecken, blitzten sie immer wieder auf. „Und dieser eine Mensch ist...“ „Amy“, unterbrach ich dieses Mal den Bestatter. Seine lange Hand fasste meine Wange und drehte meinen Kopf wieder zu sich: „Dann gibt es jetzt zwei.“ Ich blinzelte, unfähig das Gesagte einzusortieren: „Wie soll ich das verstehen?“ „Nun“, der Bestatter nahm seine kühle Hand nicht von meinem Gesicht, als er mich aufbauend und warm anlächelte: „Weil ich mich für dich interessiere.“ Mein Herz tat einen Sprung, doch etwas in mir konnte es nicht akzeptieren. Warum sollte er? Ich war ein komisches Mädchen, was in seiner Mittagspause in seinen Laden platzte, um sich dafür zu bedanken, von ihm gerettet werden zu müssen, ihm nicht richtig antwortete und ständig ihre Zunge verschluckte. Nebenbei bespannte ich ihn ständig vollkommen ungeniert. Warum sollte er sich für mich interessieren? „Du kannst es mir glauben“, lächelte er weiter. Waren meine Gedanken denn so offensichtlich? Eigentlich hatte ich ein gutes Pokerface. „Ich hasse Lügen, deswegen lüge ich nie. Lügen sind etwas Furchtbares. Sie machen schöne Dinge, wie dich, so unsagbar traurig und schlagen sie in Stücke. Es ist ein Sakrileg schöne Kristalle so mutwillig zu zerstören. Für nichts und wieder nichts.“ Die Worte des Bestatters surrten in meinem Kopf nach und legten mir einen Kloß in die Kehle. Irgendwas in mir wollte ihm wirklich glauben, was er sagte, doch etwas anderes... konnte es nicht. Er war sicher einfach nur nett und sobald ich den Laden verließ, vergaß er mich und alles was er zu mir und über mich gesagt hatte. Weil ich so unsagbar unscheinbar war. Er wäre nicht der Erste gewesen, der das tat. Diese Erkenntnis tat so furchtbar weh. Ich schaute ihn an und ich sah keine Lügen in den leuchtend grünen Augen. Sie waren nicht da. Jeder Mensch hatte dunkle Schatten in den Augen, denn jeder Mensch log und hatte Geheimnisse. Auch ich. Ich versuchte es zwar zu vermeiden, aber auch ich benutzte Notlügen und war einfach nicht mehr gut darin irgendjemanden, irgendetwas zu erzählen. Keiner, außer Amy, war mit dem was ich ihm erzählt hatte ehrlich und vor allem verantwortungsvoll umgegangen. Nicht meine Mutter, schon gar nicht mein Vater, die Betreuer im Heim auch nicht und Pflegeeltern wollten nichts von den vollgepackten Rucksäcken der Kinder hören. Sie wollten eine kleine, glückliche Familie und traurige Kinder passten dort halt nicht rein. Auf dem College hatte ich schon aufgehört nach offenen Ohren zu suchen. Ich war halt dorthin geschickt worden und ich war dorthin gegangen, weil ich immer dahin ging wo man mich hinschob. Niemand wollte mich behalten und selbst auf dem College begegneten die normalen Schüler, die alle aus so guten Familien stammten, mir mit Argwohn und tuschelten sobald ich außer Hörweite war. Ich schaute immer noch in Undertakers klare, grüne Augen, als ich an all das dachte und irgendetwas in seinem Blick sagte mir, dass er alles mitbekam und alles verstand. Und das ihm widerstrebte was er sah. Als ich unfreiwillig an meine Lebensgeschichte dachte, wurde ich noch trauriger. Normalerweise seufzte ich diese Traurigkeit einfach weg. Doch dieses Mal schaffte ich es nicht. Mein Seufzen wurde unfreiwillig zu einem leisen Schluchzen und ich wollte meinen Kopf wegdrehen, doch die Hand des Bestatters verhinderte es. Ich kniff die Augen zusammen, als sich trotz aller Bemühungen eine kleine Träne aus meinem Augenwinkel stahl. Ich blinzelte beschämt und versuchte ein weiteres Mal mein Gesicht weg zu drehen und wollte sie hastig wegwischen, doch die Hand des Totengräbers blieb an meiner Wange, einfühlsam und schutzspendend. Dieses Gefühl schickte Irritation in meine Verzweiflung. Doch als der Daumen des Bestatters sanft über meine Haut strich und die kleine Träne mit dem rettenden Lächeln wegwischte, verstand ich die Welt nicht mehr. „Was muss ich tun, damit du mir glaubst, meine Liebe?“, lächelte Undertaker seicht. „Ich... Ich weiß nicht...“ Sein Lächeln wurde breiter, aber nicht albern: „Mir fällt schon etwas ein.“ Ich zwang mich zu lächeln. Undertaker seufzte. Das passte nicht zu ihm: „Und dann lächelst du wieder ehrlich.“ Ein komischer Schauer rieselte meine Wirbelsäule entlang und ich versuchte so krampfhaft mein dünnes Lächeln zu halten, das meine Mundwinkel unstet von oben nach unten wechselten. Undertaker klappte den zweiten Deckel auf. Ein komisches Gefühl von Bedauern glomm in meinen Eingeweiden, als seine Hand von meinem Gesicht verschwand. Was sind das für Empfindungen? Was sollen sie? Warum sind sie da? Und warum hatte ich mich nicht mehr richtig unter Kontrolle? Die Kombinationen verwirrten und verängstigten mich und jetzt, da seine Hand fehlte, hatte ich das Gefühl ein Stück Sicherheit war weggefallen. Doch mit dem Folgenden hatte ich unter keinen Umständen gerechnet. Der Bestatter hielt mir seine Hand hin. Ich hatte auch wirklich lange genug in dem Sarg gelegen. So lange, dass es schon wieder peinlich war. Genauso wie mein ganzes melodramatisches Benehmen. Ich nahm seine Hand und er zog mich hoch, doch nicht so hoch, dass ich hätte aus dem Sarg steigen können. Als ich saß spürte ich zwei Arme um mich herum: „Das ist übrigens ein Versprechen“, sein Atem kitzelte mein Ohr als er sprach. Ein kurzes Kichern kribbelte meinen Nacken, bis in meinen Rücken hinunter, als ich unfähig war mich zu bewegen oder zu sortieren: „Und eine Drohung ist es auch, hehe.“ „Drohung?“ „Naja. Da ich mich für dich interessiere, heißt du wirst mich so schnell auch nicht wieder los, hehe. Für die Meisten... ist das eine Drohung.“ Doch für mich fühlte es sich nicht wie eine Drohung an. Außer Amy hatte mich noch nie jemand ehrlich in den Arm genommen. Das war auch der Grund warum ich körperlichen Kontakt mit anderen Menschen nicht mochte. Man konnte künstliche und ehrliche Berührungen sehr gut unterscheiden. Diese Umarmung war ehrlich und fest. So ehrlich und fest wie die Augen des Totengräbers und mir fehlte ein weiteres Mal mein natürlicher Drang mich dagegen zu erwehren. Ich fühlte mich irgendwie mental zu schwach dafür und zu verwirrt. Des Weiteren hatte ich ein komisches Gefühl von Sicherheit. Wahrscheinlich nur eine Illusion, doch gerade wollte ich glauben, dass ich sicher sei. Aus einem unbekannten Impuls heraus vergrub ich mein Gesicht in der Schulter des Bestatters. Der Geruch von Zucker, geschnittenem Gras und Zedernholz zog mir angenehm in die Nase. Der Moment verging schweigend und gefühlt eine halbe Ewigkeit. Ich schloss die Augen und begann... es zu genießen? Ich wusste es nicht ganz, doch nachdem noch ein paar stumme Tränen unbemerkt aus meinen geschlossenen Augen in den Mantel des Bestatters gesickert waren, kehrte eine angenehme Ruhe in meinem Kopf ein. Sie konnte meine wirren Gedanken nicht gänzlich vertreiben, aber sie drängte sie ins Unterschwellige, so waren sie doch um einiges erträglicher. „Antwortest du mir jetzt, wenn ich dich frage ob es dir besser geht?“, brach Undertakers Stimme direkt an meinem Ohr die Stille. Ich nickte müde. Undertaker lachte seicht: „Sicher?“ „Ja“, nuschelte ich in seine Schulter: „Es tut mir leid.“ „Was?“ „Das ich so furchtbar peinlich bin...“ Der Totengräber fing nur an zu giggeln. Ich seufzte daraufhin, ein wenig fertig mit der Welt. Undertaker legte seine Hände auf meine Schultern und brachte Abstand zwischen uns, offensichtlich um mir ins Gesicht zu schauen. Er legte sein grinsendes Gesicht schief, als er mein Gesicht musterte: „Irgendwann erzählst du sie mir.“ Ich blinzelte verwirrt: „Was?“ „Deine Geschichte.“ „Die ist furchtbar langweilig...“ „Ich glaube nicht und selbst wenn, lass es meine Sorge sein. Wer fragt, muss auch den Schaden tragen“, sein Lächeln wurde breiter. Ich seufzte: „So kann man es auch sehen.“ Undertakers Blick fiel auf eins der wenigen Fenster: „Hmm... Die Sonne ist untergegangen.“ Meine Augen weiteten sich von jetzt auf gleich: „Was?!“, mein Kopf flog zum Fenster und suchte dann verzweifelt eine Uhr. Es gab keine: „Oh nö. Nein, nein, nein... Ich komm zu spät!“ Ich wollte mich aus dem Sarg schwingen, doch ich hatte das Gefühl meine Gelenke seien aus Pudding: 'Fantastisch...' Undertaker lachte, packte mich an der Taille und hob mich einfach hoch. Er hantierte mit mir, als wiege ich nichts und stellte mich auf meine Füße: „Kannst du stehen?“ Ich nickte, als Undertaker mich los ließ: „Ja, geht schon.“ Es ging, wenn auch etwas wackelig. Der Totengräber zog eine alte Taschenuhr aus der Tasche. Das Silber war teilweise angelaufen. Ich war mir fast sicher, das kleine Ding sei antik: „Viertel nach neun.“ Ich schlug die Hände vors Gesicht: „Nein! Ich brauchte hier hin über eine Stunde und ich kenne den Weg nicht gut. Ich komme nie pünktlich zur Sperrstunde... Mach den Sarg bereit, ich bin tot...“ Ein schrilles Lachen erreichte meine Ohren und ich spreizte die Finger um hindurch zu schauen: „Das ist nicht lustig!“ „Oh doch! Ist es!“ Ich ließ resigniert die Arme fallen: „Ms. Lowell macht Dessert aus mir... Du hast ja keine Ahnung, wie streng diese Schulen sind.“ „Oh doch habe ich, hehe“, Undertaker ging giggelnd zum Garderobenständer, zog seine Robe über, knöpfte sie zu und band sich das graue Tuch um Brust und Schulter. Sein Zylinder verblieb an Ort und Stelle: „Und Dessert ist was Tolles. Fu fu fu!“ Ich musterte ihn irritiert und etwas verständnislos: „Äh ja... Du warst auf dem Weston College?“ Er wog kichernd den Kopf von links nach rechts: „Im übertragenen Sinne, hehe.“ „Wie im übertragenden Sinne?“ „Ich war nicht lange dort, aber ich habe einen ganz guten Eindruck bekommen. Nicht mein Fall, nicht mein Fall“, er kam auf mich zu und streckte mir meinen Poncho entgegen. Ich wickelte mich darin ein, als ich mir immer noch Undertaker in einer Schuluniform vorstellen wollte: „Welches Haus?“, fragte ich neugierig. Er lachte: „Gar keins.“ „Wie?“ „Mein Aufenthalt“, er schien das richtige Wort zu suchen: „War nicht ganz normal und ist furchtbar lange her.“ Ich war furchtbar neugierig geworden, doch mir lief die Zeit davon: „Naja, ich... Ich muss los!“, ich lief zur Tür: „Danke und Entschuldigung und... Vergiss am besten einfach, dass ich da war...“, 'Und mich so mega peinlich aufgeführt habe... eigentlich die ganze Zeit...' Doch Undertaker lachte: „Da kommst du nicht raus.“ Just in dem Moment hatte ich die Klinge runter gedrückt und bemerkt, dass sie abgeschlossen war: „Oh...“ „Ich habe schon geschlossen, hehe.“ Ich drehte mich um. Undertaker zog gerade das Haargummi aus dem hohen Pferdeschwanz und seine langen Haare fielen ihm auf den Rücken und in sein Gesicht. Es klimperte, als er das Haargummi in seine Tasche steckte und etwas hinauszog. In dem warmen gelben Schein einer einsamen alten Stehlampe hinter der Eichentheke, sah ich ein Schlüsselbund in seiner Hand blitzen: „Du denkst doch nicht wirklich, ich lasse ein hübsches junges Ding, wie dich, im Dunklen durch diese Gassen schleichen, auf das der nächste Vollidiot es irgendwo hin verschleppt? Des Weiteren bist du mir viel zu kränklich, um alleine irgendwo hin zugehen.“ Er drehte sich ab und nickte mit seinen Kopf auf einen kleinen Torbogen, der den vorderen Verkaufsraum von dem hinteren Teil des Ladens abschirmte. „Was... soll das heißen“, fragte ich dümmlich. Ich hatte natürlich eine Idee, was er mir sagen wollte, doch ich konnte es nicht wirklich glauben. Er giggelte wieder und hob dabei eine Hand vor dem Mund: „Na was wohl? Ich fahre dich. Anders kommst du eh nicht mehr pünktlich.“ Mein Mund klappte ein Stück auf: „Bitte?“ „Jetzt komm. Oder ich muss Verkehrsregeln brechen, um dich vor der Wut deiner Lehrerin zu bewahren“, war der Bestatter schon halb in dem dunklen Raum hinter dem Torbogen verschwunden. Zögerlich folgte ich. Der hintere Teil des Ladens war dunkel und ich konnte nicht wirklich etwas sehen, nur ein Regal aus Metall blitzte durch das bisschen Licht aus dem Vorraum auf. Es hatte viele große Schubladen mit Schildchen dran. Ich ging durch den dunklen Raum, bis ich mir eine Ecke in den Oberschenkel haute: „Au, oh Mist...!“, verkniff ich mir die nächsten Flüche. Irgendetwas Metallisches klapperte, als ich gegen die spitze Ecke schepperte und mir selbst ein Eisbein verpasste. Ich befühlte den Gegenstand: Er war kalt, kantig und groß. Ein Tisch? „Ahehehehe!“, hallte es von weiter hinten aus dem Raum: „Du hast eine arg selbstzerstörerische Ader, kann das sein?“ „Nein“, seufzte ich: „Nur schlechtes Karma...“ „Dann sollten du und dein Karma aufpassen, hier stehen drei Tische. Ich glaube, du hast gerade den Ersten davon gefunden.“ „Tische?“ „Ja, Seziertische.“ „Sezier...tische...oh“, es klickte. Ich war im Raum zum Präparieren. Das hieß auch in diesem Regal waren... Kühlzellen... und darin lagen...: 'Na wunderbar.' Eine Tür neben den Kühlzellen ging auf und der gelbe Schein einer Laterne sickerte in den Raum und erhellte ihn: Er war dunkel verkleidet, wie der Vorraum. Das Kühlzellenregal war groß und hatte sicherlich um die 27 Fächer. Direkt vor mir war ein Seziertisch mit einem Ablauf am Kopfende und einen verschiebbaren Organtisch mit Zuschneide-Brett und Werkzeug, wie man ihn aus Krimiserien kennt. Daneben zwei weitere. An einer anderen Wand stand ein Regal mit vielen Tiegelchen, Töpfchen und komischen Werkzeugen. Sie gruselten mir, deshalb untersuchte ich das Regal nicht weiter. Ich schlich um den Tisch herum, zu der dunklen Silhouette, die sich von dem Bestatter in der Tür abzeichnete. Es klickte einmal und das Licht im Vorraum ging aus. Wir verließen das Gebäude. Weiße Wölkchen bildeten sich vor meinem Mund. Es war ziemlich kühl. Auf dem kleinen Hinterhof standen einige Särge und Grabsteine, kreuz und quer verteilt, eine einsame, alte Laterne erhellte ihn. In der Mitte stand ein alter Leichenwagen. Ich meine so einen mal in einem Film aus dem 50's gesehen zu haben. Ein schöner, alter Wagen. Gewaschen und gepflegt. Undertaker schloss die Hintertüre ab und dann den Wagen auf. „Komm“, lachte er: „Ahehehe, du darfst auch vorne mitfahren.“ „Wie nett von dir“, ging ich zu ihm und dem alten Mercedes-Benz 200 D/8 Pilato. Die großen Fenster des langen Hecks waren mit dem typischen weißen Stoff verhängt. Neben mir ging die Türe auf. Undertaker stand dahinter und nickte mit seinen Kopf Richtung Wagen. Mit einem erschöpften Lächeln stieg ich ein: „Danke.“ Undertaker kicherte leise: „Nicht doch“, und schloss die Türe, als ich mich gesetzt hatte. Während ich mich anschnallte stieg der Totengräber ein. Der alte Sitz unter mir fühlte sich erschreckend neu an, nicht ausgesessen wie ich erwartet hatte und es zu dem Alter des Autos passte. Anscheinend hatte der Bestatter nicht oft Gesellschaft, die auf dem vorderen Sitz mitfuhr. Ich kuschelte mich in den weichen Sitz, um mich ein bisschen wärmer zu halten und schlang meine Arme um den Oberkörper. Trotz meines dicken Wollponchos fror ich ziemlich. Undertaker wischte seinen Pony in die Haare, zog eine silberne, eckige Brille aus der Innentasche seiner Robe und setzte sie auf die Nase. Sie passte unsagbar gut in sein scharf geschnittenes, irgendwie edles Gesicht und wirkte aus irgendeinem Grund furchtbar teuer. Die Gläser waren ziemlich dick, wie ich von der Seite sehen konnte und deuteten darauf hin, dass der Totengräber eigentlich ziemlich schlechte Augen haben müsste. Aber warum trug er seine Brille dann nicht öfter, also eigentlich immer? Doch plötzlich bekamen einige Eigenheiten des Bestatters einen anderen Sinn: Sein Pony störte ihn nicht, weil er ohnehin nicht gut sah und er beugte sich immer so nah in das Gesicht von Anderen, damit er die Mimik seines Gegenübers überhaupt erkennen konnte! Es war erstaunlich wie selbstverständlich sich der Bestatter, anscheinend fast blind, in der Welt um sich herum orientierte, doch es war mir sehr lieb, dass er sein Glück nicht überstrapazierte und beim Fahren die Brille aufsetzte. Er drehte den Kopf zu mir, als er den Schlüssel in Zündschloss steckte. Ein leises Lachen entfuhr ihm und er knöpfte seinen langen Mantel wieder auf. „Was machst du?“, fragte ich verwirrt, als der Totengräber seine Arme aus den Ärmeln zog. „Du frierst“, kicherte er und beugte sich zu mir herüber. Ich blinzelte: „Öhm ja... ein bisschen.“ Bevor ich noch etwas sagen konnte, lag sein Mantel wie eine Decke über mir. Er war nicht übermäßig dick, doch schon allein die nette Geste ließ die Luft um mich herum ein bisschen weniger kalt sein. Auch sein Mantel roch nach Zucker, Gras und Zedernholz. Ich kam nicht umhin diesen Geruch immer wieder toll zu finden. Wie roch man so? Den Zucker konnte ich mir erklären, nachdem ich gesehen hatte, wie er seinen Tee trank, doch der Rest? Geschnittenes Gras, oder Pflanzen... Wahrscheinlich weil er so oft auf den Friedhöfen mit dem grünen Grabschmuck zu tun hatte und mit Schnittblumen für die Bestattungsfeiern. Zedernholz... Vielleicht waren ein paar der Särge aus Zeder. Ein Lächeln kräuselte leicht meine Lippen: „Danke.“ Der Bestatter lachte: „Nicht dafür.“ Er drehte den Schlüssel und ließ den Motor an. Er wollte gerade den Oberkörper und Kopf drehen, um rückwärts auszuparken, da rief ich nach ihm: „Warte!“ Sein Kopf flog herum und er schaute mich perplex an: „Hm?“ „Du bist nicht angeschnallt!“ Die Augen des Bestatters lagen noch ein paar Augenblicke auf meinem Gesicht, dann zogen sich seine irritiert ausschauenden Lippen zu einem breiten Grinsen und er fing schallend an zu lachen. „Was ist so lustig?“, doch meine Stimme war zu leise und zu heiser um den Bestatter zu erreichen, der lachend die Stirn gegen das schlanke Lenkrad gelehnt hatte. „Hallo?“, doch er lachte weiter. Ich schüttelte den Kopf und befreite meine Hände aus dem Mantel um ihn an der Schulter zu fassen und gerade hinzusetzten. Er japste immer noch belustigt, doch schaute mich irgendwie komisch an, als ich mich umständlich, gehalten über meinen eigenen Gurt, zu ihm rüber beugte und nach seinem Sicherheitsgurt an der A-Säule angelte. Nach zwei Versuchen erwischte ich ihn mit den Fingerspitzen. Ich spürte warmen Atem in meinem Nacken und zuckte kurz zusammen als eine Gänsehaut über meinen Körper fuhr. Ich drehte, immer noch sehr ungemütlich vornübergebeugt, meinen Kopf. Nun war ich diejenige, die dem Bestatter die Nase ins Gesicht hielt. Meine Wangen wurden rot, als er wieder zu lachen anfing. Ich seufzte künstlich, um meinen Scham zu überspielen: „Du bist furchtbar.“ „Höre ich öfter“, kicherte er. Ich kicherte mit, aus irgendeinem Grund, lehnte mich wieder zurück und klickte seinen Gurt in die Schnalle. Provokant verstaute ich meine Arme wieder unter dem Mantel des Totengräbers und kuschelte mich, mit übertriebener Gestik im Oberkörper, in den Sitz, als ich ihn halb trietzend, halb herausfordernd ansah. Undertaker lachte: „Gefällt mir“, als er sich nun endgültig daran machte seinen Wagen vom Hinterhof zu fahren. „Was?“, fragte ich perplex. „Hihi, dieser Blick.“ Ich wurde wieder rot und schaute aus meinem Fenster: „Oooookay...“ Ich verstand nicht, warum mir bei jedem zweiten Satz des Sonderlings die Farbe und Hitze ins Gesicht schoss. Wahrscheinlich überforderte mich seine Art schlicht weg, auch wenn der silberhaarige Mann alles andere als böse oder böswillig war. Doch seltsam war er alle mal. Ruhig rollte der Oldtimer über die Londoner Straßen und der gelbe Schein der Laternen huschte einer nach dem Anderen am Fenster vorbei. Im Wagen wurde es immer wärmer. Der Bestatter musste die Heizung angeschaltet haben. Der Mantel als Decke und die warme Luft um mich herum machten mich wieder schläfrig. Ich drehte meinen Kopf zum Undertaker. Er hatte einen Ellbogen auf die kleine Lehne an der Autotür gestützt und sein lächelndes Gesicht auf die Hand gelehnt. Sein kleiner Finger mit der kleinen, kreisrunden Narbe rastete auf seiner Oberlippe, während er aus der Frontscheibe auf die Straße schaute und mit der anderen Hand lenkte. Sein Kopf wackelte ein bisschen hin und her. Es schien mir, als würde er stumm etwas vor sich hin summen. Irgendwie wirkte dieser Anblick unendlich friedlich. So vollkommen sorgenlos. Plötzlich wurde das Lächeln zu einem wissenden Grinsen: „Hehe. Woran denkst du?“ Ich machte große Augen. Der Bestatter hatte nicht von der Straße weggeschaut, mich nicht angesehen: „Wa...?“ „Wenn man wie ich, so fast blind, durch die Welt tapst, hat man so seine Tricks“, kicherte er: „Sagen wir einfach: Ich merke es sofort, wenn mich jemand anstarrt.“ Ich drehte mich wieder halb zu meinem Fenster: „Ich starre nicht...“ „Hehehehe!“ Ich zog aufgrund des Lachens eine Schnute und schaute ihn wieder an: „Warum lachst du eigentlich immer?“ Wir hielten an einer roten Ampel in einer kleinen Autoschlange und Undertaker drehte sein breit grinsendes Gesicht zu mir. Ein paar Sekunden grinst er mich nur an, dann hob ich auffordernd eine Augenbraue. „Hehehehe. How sad would it be, should laughter disappear?” Ich stockte... erschrocken. Nun starrte ich ihn wirklich an. Undertaker lachte darauf laut auf. Die Ampel sprang auf Grün, der Wagen fuhr wieder los und Undertaker giggelte immer noch, als er den Gang wechselte und wieder auf die Straße schaute. Meine Gedanken spielten Ping Pong: 'Das kann doch nicht...? Aber woher...? Das ist unmöglich! Aber warum wusste er...? Mach dich nicht lächerlich!' Ich war so verwirrt von meinen Tennisgedanken, von denen ich die Meisten nicht mal zu einem Ende brachte. Undertakers Giggeln wurde wieder ein Lachen: „Tehehehehehe! Doch, ich war's.“ Ich war immer noch halb versteinert: „Aber... wie?!“ „Ich bin flink“, kicherte der Bestatter: „Und leise, wenn ich will.“ Mir wurde etwas anderes spontan nur zu allgegenwärtig: Wenn er den Satz auf mein Bild geschrieben hatte... dann hatte er... dann hatte er es gesehen! Ich sank vor Scham mit hochrotem Kopf in dem Sitz zusammen und versuchte damit zu fusionieren, oder darin zu verschwinden. Ich hatte ihn einfach gezeichnet und er hatte es die ganze Zeit gewusst. Nur ich, ich war unwissend und dumm wie ein Stück Toast. Und genauso fühlte ich mich, als ich, die Knie ein Stück angezogen und bis zu den Augen in dem langen Mantel verschwunden, zu dem Bestatter hoch lugte. Der süße, natürliche Geruch des Bestatters, der an dem Mantel hing, half mir nicht gerade mit meiner Scham und meiner Schande zu Recht zu kommen... Ich war ein Stück Toast... Der Bestatter lachte wieder, nahm das Gesicht aus der Hand und ließ sie locker auf der kleinen Lehne baumeln: „Was versuchst du denn da?“ Ich klimperte mit den Augen: „Nichts...“ „Aha? Hehehehe“, er setzte mit dem kleinen Finger einen Blinker und schlug das Lenkrad ein. Der Wagen hielt, er grinste mich an: „Sag Beschied, wenn du fertig bist.“ Ich klimperte ihn wieder an, ohne mich aus meiner zusammengefalteten Position zu bewegen: „Fertig...“ Der Bestatter grinste: „Fu fu fu fu...“, seine Lippen zitterten und ich zog eine Augenbraue hoch. Das war wohl das Tröpfchen zu viel und das zurückgehaltene Lachen brach sich schrill und laut seine Bahn. Es dauerte ein bisschen, bis er sich beruhigt hatte. Mein Betragen musste seinem Humor sehr entgegen gekommen sein. Er schob seine Brille in die Haare und wischte sich mit den langen Fingern Lachtränen aus den Augen. Ich fand es bemerkenswert, dass er sich mit seinen langen Fingernägeln nicht die Augen auspikste. Er lächelte mich immer noch heiter an: „Ist es fertig?“ „Was?“, nuschelte ich unter seinem Mantel hervor. „Das Bild.“ Mein Rot wurde dunkler. Das Thema war mir so unausgesprochen peinlich, denn ich war unausgesprochen dreist gewesen. Ich schaute ihn an. Er lachte: „Es ist wieder so weit, haha!“ Ich verstand: Ich antwortete wieder nicht. Ich buddelte mein Gesicht aus: „Ja... ist es.“ „Oh!“, machte der Bestatter freudig: „Du musst es mir unbedingt zeigen!“ „Was?!“ „Na, ich will es sehen! Es sah halbfertig schon gut aus. Ich will wissen, wie es fertig aussieht!“ „Ähm...“ „Darf ich nicht?“, schmollte Undertaker gespielt. „Doch!“, machte ich unbeholfen: „Klar... Ich zeig's dir... irgendwann...“ „Hehe. Ich freue mich drauf“, dann zeigte er an mir vorbei aus dem Fenster: „Wir sind übrigens da und du hast noch 10 Minuten.“ Ich schaute aus dem Fenster und sah den Campus: „Oh“, irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl, jetzt wo es Zeit war Abschied zu nehmen. Ich schaute ihn an und lächelte dünn: „Danke, dass du mich hergefahren hast.“ Er schüttelte seufzend den Kopf. Warum? Dann lachte er: „Keine Ursache.“ Ich zog seinen Mantel von meinem Körper und hielt ihn ihm hin. Er nahm ihn, lächelte, nicht grinste, mich an. Bei dem Mann machte das einen entscheidenden Unterschied. Er grinste albern und lächelte herrlich! Dann warf er den Mantel über meinen Kopf und legte ihn mir über die Schulter: „Nimm ihn mit. Es ist kalt draußen. Bring ihn mir die Tage wieder.“ „Aber...“ Er stoppte mich, indem er den Zeigefinger auf meine Lippen legte: „Schiit! Du musst eh noch mal zu mir kommen. Deinen Wunsch einlösen, vergessen? Und jetzt kusch! Oder du bist doch zu spät, hehe!“ Ich lächelte ein weiteres Mal, als der Totengräber seinen Finger von meinen Lippen nahm, doch dieses Mal seufzte der Bestatter nicht und schüttelte auch nicht den Kopf. Er lächelte einfach zurück. „Mach ich“, sagte ich und schnallte mich ab: „Danke.“ Dann öffnete ich die Tür und die kalte Luft von draußen zog sofort in meinen warmen, schläfrigen Körper und schüttelte ihn wach. Ich stieg aus und schloss die Tür. Als ich den weiten Mantel des Totengräbers enger um meinen Körper zog, musterte ich die nächtliche Schule. Dann drehte ich mich noch einmal um. Undertaker hatte die Brille wieder auf der Nase und winkte mir, indem er einzeln mit den langen Fingern einer Hand wackelte. Ich winkte zurück und ging durch das Haupttor, wo sich der Wachmeister dazu bereit machte abzuschließen. Er schaute auf eine Armbanduhr: „Gerade noch rechtzeitig, Nachteule.“ Ich zuckte mit einem leichten Lächeln mit den Schultern: „In der Zeit ist in der Zeit, oder?“ „Du bist mutig.“ „Gute Nacht“, verabschiedete ich mich. „Gute Nacht“, antwortete der Wachmann freundlich. Das Tor ging hinter mir zu und ein Motor heulte auf. Als ich mich umdrehte sah ich den 50's Leichenwagen davon fahren. Ein komisches Gefühl blieb in mir zurück. Ich kannte es nicht. Es war nicht unangenehm, doch irgendwie unheimlich. Warm und kribbelig. Irgendwie war ich furchtbar durch den Wind. Gerade als ich daran dachte stob eine sachte, kalte Brise auf und wehte mir den Geruch des Mantels in die Nase. Ich mochte diesen Geruch. Irgendwie musste ich mir eingestehen, dass ich diesen komischen Kauz ziemlich sympathisch fand. Es war eigentlich ziemlich lustig gewesen! Und verwirrend... und peinlich... sehr, sehr peinlich. Ich seufzte und wandte meinen Blick von der Stelle an der der schwarze Leichenwagen schon lange nicht mehr stand ab, als mein Handy klingelte. Ich ertastete es in meiner Hosentasche und befreite irgendwie meine Hand aus den etlichen Lagen Stoff meines Ponchos und des Mantels. Mein Messenger leuchtete auf dem Desktop. Eine Nachricht von Amy. Ich las sie im Gehen: – Amy [24.09.15; 21:54] Sky?! Wo zur Hölle bist du? - Weitergehend antwortete ich: - Sky [23.09.15; 21:54] Fast da. Ca. 5 Minuten - - Amy [24.09.15; 21:54] Du bist echt spät dran! Zwing mich nicht dir ein Y zu geben! - - Sky [24.09.15; 21:55] Oh bitte nicht! Ich hatte davon im letzten Jahr so viele! - - Amy [24.09.15; 21:55] Dann beeil dich! - - Sky [24.09.15; 21:55] Ich bin fast da! - Amy antwortete nicht mehr. Sie hatte Recht: Ich war wirklich wieder sehr spät dran, doch ich schaffte es um Punkt 22 Uhr durch die Tür des Haupthauses der Wölfe zu schlüpfen. Ms. Lowell stand dahinter: „Rosewell! Du bist spät. Zum zweiten Mal.“ „Aber noch in der Zeit, Ms. Lowell.“ „Aber gerade so, junge Dame. Zum zweiten Mal.“ „Es tut mir leid Ma'am“, ich neigte demütig den Kopf: „Ich war bei einem Bekannten und mir ging es irgendwann nicht gut. Ich bin dort eingeschlafen. Es kommt nicht mehr vor.“ „Gut. Geh auf dein Zimmer und sei das nächste Mal nicht so auf den Punkt.“ „Natürlich Ms. Lowell.“ „Gute Nacht.“ „Gute Nacht“, ich huschte an ihr vorbei in den dritten Stock und schloss die Tür zu dem Dachgeschossapartment auf. Amy steckte ihren Kopf aus dem Rahmen des Wohnzimmers: „Sky! Bitte sag mir du hast es pünktlich geschafft.“ Ich lächelte künstlich: „Wie die Uhr.“ Amy schüttelte den Kopf und trat aus der Tür. Sie schaltete das Licht im Flur ein: „So verwirkst du dein junges Leben!“ Ich blinzelte in dem Licht der Glühbirnen, sah dann zu Amy die ebenfalls blinzelte, ein wenig irritiert und mich dann breit angrinste: „Aha. Ich verstehe.“ „Was verstehst du?“ Sie zeigte auf mich: „Den Mantel würde ich selbst dann erkennen, wenn mir jemand die Augen ausgekratzt hätte.“ Ich schaute an mir herunter. Natürlich, ich trug immer noch den Mantel des Bestatters. Irgendwie fühlte ich mich ein wenig beschämt und merkte wieder einen Anflug von Wärme auf meinen Wangen, als ich mich aus dem fremden Mantel schälte und ihn an die Garderobe hing, dicht gefolgt von meinem Poncho. „Du kennst ihn gut, hm?“, fragte ich, während ich die Jacken auf hing und die Schuhe auszog. Wir gingen ins Wohnzimmer. Amy setzte sich auf die Couch und ich in den Sessel. „Klar“, lachte Amy. Sie nahm eine angebrochene Tüte Chips und knusperte sie weiter. Im Hintergrund lief irgendein Krimi im Fernsehen. Amy schaute mich an: „Undertaker ist wie ein Onkel für mich. Darüber hinaus ist er mein Patenonkel.“ Ich schaute etwas verblüfft: „Ehrlich?“ Amy nickte: „Naja, Frank auch, aber Frank wohnt in Deutschland. Würde meinen Eltern etwas passieren, würden wir zu Undertaker kommen.“ „Ich bezweifle ja, dass das Jugendamt das zulässt.“ „Es gibt Mittel und Wege“, lächelte Amy:“ Wenn es jemanden gibt, dem mein Vater vertraut, dann sind es Sebastian, Undertaker und Frank und zwar genau in dieser Reihenfolge. Dicht gefolgt von Charlie.“ „Er ist komisch“, nuschelte ich und verschränkte die Arme vor meinem Bauch. Amy lachte wieder: „Dafür, dass er so komisch ist, hast du es immerhin fast 6 Stunden gut bei ihm ausgehalten.“ Ich seufzte: „Ich hab geschlafen...“ „Was?“, fragte Amy erschrocken. Sie wusste, dass ich überhaupt nicht gut außerhalb meines eigenen Bettes und selbst dort schlafen konnte: „Wie?“ „Naja, wir haben Blödsinn gemacht ...“ „Das ist nichts Ungewöhnliches“, entgegnete Amy: „Wirklich nicht.“ „Lass mich ausreden!“ „Ist ja gut!“ Ich seufzte noch einmal. Irgendwie wollte ich mit Amy über alles reden, auch das komische Gefühl in mir drin, aber ich wusste irgendwie nicht... wie: „Naja, wir haben auf jeden Fall... Viel gelacht...“ Amys Blick wurde immer ungläubiger, doch sie schwieg. Ich zog aufgrund dieses Ausdrucks eine Schnute: „Ja... Schau nicht so. Ich kann lachen...“ Amys Kopf kippte zur Seite. Ich seufzte, schon wieder: „Wie auch immer... Mir ging es danach nicht gut, da hat er mich in einem Sarg Probe liegen lassen und ich...“ „Du bist eingeschlafen“, ergänzte Amy ungefragt: „Klingt irgendwie, als habe er das so gewollt.“ „Jap“, antwortete ich knapp und hing dem Besuch beim Bestatter nach. Dieses komische Kribbeln war immer noch da. Ich rieb mir über den Bauch, um es los zu werden und zog die Knie an: „Er hat mich danach nach Hause gefahren...“ Amy lachte: „Sein Auto ist ziemlich stylisch, oder?“ Ich kicherte: „Jaaaa, schon. Es ist ziemlich gut in Schuss, dafür dass es so alt ist.“ „Er liebt dieses Auto. Ronald ist ständig da um es zu reparieren.“ „Ronald?“, irgendwie habe ich gedacht Undertaker wartete seinen Wagen selbst. Amy lachte und lächelte mich danach vielsagend und mit einer gewissen Befriedigung im Blick an: „Ja, Ronald. Undertaker ist in vielen Punkten ein Genie, aber es mangelt ihm hier und da echt an ein wenig... Lebenspraktischem.“ „Echt?“, ich war ehrlich ein wenig verwundert: „Er scheint ziemlich gut zurecht zu kommen.“ „Klar, klar. Er ist alles andere als lebensunfähig. Er verdient Geld, macht gute Arbeit, ist unglaublich helle und hat ein sehr breit gefächerten Wissensschatz, aber wenn er sich Müsli und Milch in eine Schüssel kippt, geht sie in Flammen auf und mit Autoreparaturen hat er ungefähr so viel am Hut, wie ein Elefant mit Hochseiltanzen.“ Ich musste kichern, als ich mir das Gesicht des Bestatters vor der brennenden Frühstücksschale vorstellte. Herrlich! Amy lächelte weiter: „Aber Undertaker weiß genau, wen er fragen muss. Wenn es um sein Auto oder anderes Maschinelles geht fragt er Ronald, für die Steuererklärung und so‘n Kram William, Klamotten und Co. Grell. Dafür steht er Gewehr bei Fuß, wenn die anderen Hilfe brauchen. Ich kenne nicht viele, die so verlässlich sind wie er.“ „Ich hatte irgendwie das Gefühl, die anderen meiden ihn.“ Amy wackelte mit dem Kopf: „So halb.“ Ich schaute sie fragend an: „Wie? So halb?“ „Sie haben eine komische Beziehung zueinander, aber ich würde sie schon als Freunde bezeichnen. Sage allerdings William niemals, dass ich das gesagt hab.“ Ich kicherte: „William scheint auch ein ziemlicher Kauz zu sein.“ Amy legte den Kopf nach hinten: „Ich habe noch niemanden getroffen, der so einen Stock im Arsch hat wie William...“ Ich musste lachen, sogar halbwegs ehrlich: „Das kann ich mir vorstellen.“ Genau deswegen hatte ich auch nicht gedacht, dass sich William mit dem Bestatter verstand. Für jemand so Strengem muss der Totengräber doch die reinste Plage sein. „William verehrt Undertaker sogar, aber nachdem Undertaker William mal darauf hin als 'nervig' beschrieben hat, verleugnet er es zu tun.“ „Ehrlich?“ „So wahr ich hier sitze.“ „Du kennst Leute.“ „Das kannst du laut sagen. Aber sie sind toll. Alle. Auf ihre ganz eigene Weise. Du lernst sie sicher auch noch besser kennen... Vorausgesetzt, du willst überhaupt noch mit kommen, nach der... der Sache.“ Ich lächelte Amy gewohnt dünn an: „Ich glaub schon.“ Amys Kopf zuckte zu mir: „Echt?“ „Joa.“ Dann lachte die Phantomhive: „Ich soll dir von meinen Eltern ausrichten, dass du herzlich zu Halloween eingeladen bist.“ „Deine Eltern müssen mich nicht einladen. Sie sind mir nichts schuldig. Mein Tauchgang war nicht ihre Schuld.“ „Sky, meine Eltern mögen dich und auch Fred sagte er würde sich freuen, wenn du kommst. Die Anderen sind sicherlich auch froh, dich gesund und munter wiederzusehen.“ Eine Erinnerung sprang in meinen Kopf. Ein kleiner Satz, den Undertaker zu Amy auf ihrem Geburtstagsball gesagt hatte: 'Ich bleibe vielleicht nicht lange, aber zu Geburtstagen und Halloween komme ich doch immer, oder?' Warum erinnerte ich mich genau daran? Ich schob den Gedanken zur Seite: „Die Anderen?“ „Ja. Grell, Ronald, William, Lee, Charlie und Frank. Sie haben sich alle Sorgen um dich gemacht und sind erst nach Hause gegangen, als Sebastian sagte, du wärst in Ordnung.“ „Wi... Wirklich?“, das konnte ich mir nicht vorstellen. „Wirklich.“ „Ich habe irgendwie wieder das Gefühl, ich habe keine Wahl.“ „Doch“, machte Amy zögerlich: „Nur kein Große. Es wird ein Kostümball. Bis 21 Uhr ist es eine Charityveranstaltung und Kinder aus einigen Wohnheimen kommen vorbei.“ „Aus... Heimen?“, das Wort lag schwer und mit schlechten Emotionen besetzt in meinem Mund. Amy seufzte: „Ja... Doch die im East End machen nicht mit. Es sind nur ein paar, aber trotz allem ist es Tradition.“ Ich verzog den Mund: „Hab ich mir fast gedacht... Ich war auf jeden Fall nie dort.“ Amy lehnte sich nach vorne und legte eine Hand auf mein Knie: „Dann sollten wir das ändern.“ Ich lächelte dünn und künstlich, als ich wieder das Gefühl hatte, eine Zusage würde Amy so viel bedeuten: „Klingt gut.“ „Hast du... irgendwas?“ „Ach“, machte ich: „Ich bin nur noch nicht ganz auf der Höhe und Undertaker ist echt anstrengend...“ „Aber?“ Ich schaute zur Seite, als das Kribbeln stärker wurde: „Er ist... ganz ok...“ Aus irgendeinem Grund kamen meine Fragen nicht über meine Lippen. Ich wollte Amy fragen, warum mir alles so peinlich war. Ich wollte sie fragen, was in meinem Bauch so flimmerte und flackerte. Ich wollte, dass sie mir sagt, ich würde nicht gerade meinen Verstand verlieren und dass jeder so auf den Bestatter reagierte. Doch... Sie blieben bei dem Kribbeln, ganz tief in meiner Magengegend. Frustriert, resigniert und verwirrt seufzte ich: „Ich sollte ins Bett.“ „Geh warm duschen und hau dich hin. Gehst du Morgen zum Unterricht?“ „Ich versuch es zumindest“, ich stand auf: „Schlaf gut.“ „Träum' schön“, lächelte Amy zweideutig. Ich schüttelte den Kopf abwertend, als ich die Augen zu Schlitzen zog und Amy anfunkelte. Doch die Phantomhive lachte und winkte, als ich aus dem Raum verschwand. Undertaker Ich war seufzend in einen Sarg gefallen, nachdem ich Zuhause angekommen war, ohne mich umzuziehen. Der Abend war doch ereignisreicher gewesen, als ich erwartet hatte. Das Auftauchen von Claude und Oliver hatte mir nicht nur übel aufgestoßen, es war auch eine sehr unschöne Überraschung gewesen. Alexander hatte Recht: Der Earl Trancy konnte uns nun auflauern wo er wollte. Uns kalt erwischen. Um mich machte ich mir eher weniger Sorgen. Ich machte mir Sorgen um Amy und Fred. Wenn den Beiden etwas passierte, würde ich nie wieder glücklich werden. Ich würde mir das nie verzeihen. Ich hatte nun schon so viele Kinder durch die Villa der Phantomhives flitzen sehen. Vincent und seine Schwester. Ciel. Dessen Kinder und Kindeskinder. Auch Alex. Und ich hatte sie alle begleitet. Bis an ihr Ende. Ich habe und werde immer. Ich machte mir Sorgen um Lee, Charlie und Frank. Auch sie würden ein grauenvolles Loch hinterlassen, wie ihre Eltern und dessen Eltern und dessen Eltern es getan hatten. Unwillkürlich erinnerte ich mich an Lau, mit dem ich so viel gelacht hatte. An Claus mit dem ich mal hier, mal dort hingereist war. Und an Diedrich, unter dessen humorloser Schale ein guter Freund geschlummert hatte. Alle tot. Mein Herz zog sich kurz zusammen. Nach einem kontrollierten Durchatmen fasste es sich wieder. Ich machte mir Sorgen um Ronald, Grell und William. Hatte ich mit den Shinigamis auch nichts mehr zu tun, die Drei waren mir irgendwie über all die Jahre ans Herz gewachsen. Und ich machte mir Sorgen um die junge Skyler. Was hätte ich getan, wäre ich zu spät gekommen? Gute Frage. Ich schlief ein, die Frage unbeantwortet, bis mich irgendwann ein unschönes Brennen in meinen Augen weckte. Als ich die Augen im dunklen Sarg öffnen wollte, schabten meine Lieder unangenehm über meine Augäpfel. Mit halb geöffneten Augen stieg ich hinaus und schlenderte Richtung Badezimmer. Auf halbem Wege fiel mir auf, dass ich die Welt um mich herum ungeahnt gut erkannte. Mit einem Seufzen ging in meinem Kopf eine kleine Glühbirne an: Ich hatte die Kontaktlinsen vergessen: 'Na klasse. Ich bin für dieses neumodische Zeug einfach nicht geschaffen...' Die Welt der Menschen war nach 1800 so schnell so verrückt geworden. Und sie wurde immer noch verrückter. Autos, Maschinen, hohe Häuser, kleine Dinger die man sich zum Sehen in die Augen steckte, diese komischen Computer in Groß und in Klein, die die Menschen immer mit sich herumtrugen. Die Schlösser und Burgen, in denen ich Könige residieren sah, zerfielen zu Ruinen. Waren nur noch Schatten längst vergangener Epochen. Ich war ein Relikt aus der Vergangenheit, gefangen in der Zeit. Langsam beschlich mich das Gefühl, ich käme den Menschen bald nicht mehr hinterher... Umständlich frimelte ich die kleinen Dinger aus meinen gereizten Augen und verfrachtete sie in ihren kleinen Behälter, bevor ich mir zwei Hände voll Wasser ins Gesicht warf. Ich schaute in den Spiegel und sah meine geröteten Augen. Mit einem Schmunzeln tat ich das unangenehme Brennen ab. An meinen Augen kann nun wirklich nichts mehr kaputt gehen. Ich rieb mir durch mein müdes Gesicht, als ich in die Küche ging um mir einen Tee aufzugießen. Meinen Teebecher in der Hand schweifte ich durch meine alten Erinnerungen. 'Einen Weg, seine Präsenz komplett zu verstecken...', ich dachte und dachte, erinnerte mich doch nur an wenige Bruchstücke, aus der Zeit die ich mit den anderen Ersten durch die Welt gegangen war. Es war nun viele Tausend Jahre her. Die 10 ersten Shinigami. So alt wie die Menschheit selbst. Mächtige Wesen. 9 waren tot. Ich stockte in meinen Erinnerungen, als mir der Gedanke durch den Kopf schwirrte, dass um mich herum einfach alle... früher oder später... fort gehen. Nur mich, mich lässt diese Welt nicht los. Unsterblichkeit war kein Geschenk. Ich kippte unüberlegt meinen heißen Tee hinunter und verbrannte mir fürchterlich die Zunge. Doch selbst Schmerz wird mit der Zeit nur noch zu einer dumpfen Randerscheinung. Er reichte allerdings um mich von den unschönen Gedanken ab zu bringen. Beiläufig schob ich mir einen Keks in den Mund, als ich weiter versuchte mich zu erinnern, ob ich eine vollkommen verborgene Präsenz schon einmal erlebt hatte. Ob ich mich mit den anderen 9 mal darüber unterhalten hatte. Doch der Staub der Zeit hatte eine dicke Schicht weißen Rauschens auf meine Erinnerungen gelegt. Kauend wog ich meinen Kopf hin und her, bis ich schließlich eine Hand ausstreckte. Meine große, silberne Sense erschien in meiner Handfläche und ich fasste mit der anderen an die Schneide. Einen kurzen, spitzen, grauen Schmerz später platzten braune Filmstreifen aus der schmalen Wunde hervor. Mein Cinematic Record. Knapp 200.000 Jahre Erinnerungen: 'Irgs...' Ich verbrachte 2 Stunden damit meinen eigenen Film zurück zu spulen. Wäre ich nicht immer mal wieder an Szenen hängen geblieben, wäre ich schneller gewesen, natürlich, aber ich hatte von vielem ja nicht mehr, als meine Erinnerungen, gebannt auf diesen kleinen Super 35 Film. Vincent und Diedrich stoppten mich: Die Zeit als Zähne des Wachhundes. Die Zeit mit meinen ersten richtigen Freunden. Nach Sebastians Erscheinen war ich als Zähne des Wachhundes zurück getreten. War Informationsbeschaffer geworden. Hing tief mit meinen Fingern in den schwarzen Eingeweiden des Londoner Untergrundes: 'Die Welt der Dunkelheit hat die Regeln der Welt der Dunkelheit...' Ciel und Sebastian stoppten mich: Die Campania, das Weston College, viele andere Abenteuer. Mein Lächeln zog sich auf mein Gesicht. Es war schwerer. Die guten Zeiten schmeckten bitter, als ich realisierte wie sie langsam in meinem Kopf verwesten. Schließlich war ich etliche Jahrhunderte in der Vergangenheit. Erinnerungen vergingen nicht. Auch wenn man sie nicht mehr einfach ins Gedächtnis zurück rufen konnte, ein Cinematic Rekord vergaß nicht. Eine Szene lies mich innehalten. Ich hatte mich mit... mit... mit... Ehen unterhalten! Einer der anderen Alten. Ein großer Mann mit einem dünnen blonden Pferdeschwanz und schmalen phosphoreszierende Augen. ‚So, so‘, hatte ich gelacht: ‚Es scheint, als hättest du einen spannenden Tag gehabt.‘ Ehen hatte geraunt: ‚Spannend, ja? Mehrere Stich- und Schnittwunden, sowie einen halb abgehackten Arm findest du also spannend, ja?‘ ‚Sei nicht so böse‘, lachte ich weiter: ‚Wie kommt es, dass dir drei Engel so ans Leder konnten? Dann auch noch solche? Die verspeist du doch eigentlich zum Frühstück.‘ ‚Sie waren einfach da!‘ ‚Wie?‘ ‚Wie ich es sage!‘, Ehen war sichtlich verstimmt gewesen: ‚Ich habe sie nicht bemerkt.‘ ‚Das wir blind sind ist nichts Neues, aber wie kommt es, dass du nicht merkst wenn 3 Engel um dich herum stehen?‘ ‚Ihre Präsenz hat gefehlt.‘ Ich hatte die Augenbrauen hochgezogen: ‚Aha? Warum griffen sie dich überhaupt an?‘ ‚Ach! Ich wollte eine Seele von der Liste holen. Abel. Die Engel haben eine Botschaft nicht richtig weiter gegeben und er wurde von seinem Bruder getötet‘, Ehen tippte sich an den Kopf: ‚Sie verlangten, dass ich ihm den Stempel gebe.‘ Ich unterlag einem kleinen... ok, einem größeren Lachanfall, was Ehen sichtlich nicht schmeckte: ‚Pahahahaha! Diese geflügelten Idioten denken auch wir verschenken ihn, oder? Man muss schon ein bisschen mehr sein, als eines Engels Liebling um den Stempel 'Nützlich für die Welt' zu erhalten. Außerdem wollten die doch nur, dass wir ihren Fehler kaschieren. Hast du sie bekommen?‘ ‚Meine Rede‘, nickte Ehen: ‚Die Engel waren merklich nicht begeistert, doch so kalt erwischt musste ich türmen, bevor ich den Auftrag fertig bekam.‘ ‚Hm, ich habe noch nie erlebt, dass wir Engel nicht spüren. Vielleicht sollte ich dir zur Hand gehen. Wir können die Seele nicht einfach auf der Erde lassen.‘ ‚Frag mich nicht! Aber das finde ich raus!‘, Ehen nickte: ‚Das wäre keine schlechte Idee. Morgen, 8 Uhr!‘ ‚So früh...?‘ ‚8 Uhr!‘ Ich lachte: ‚Ok, ok.‘ Ich spulte wieder vor. Ich erinnerte mich, dass Ehen die Angewohnheit hatte sich in etwas zu verbeißen, wenn er es sich in den blonden Kopf gesetzt hatte. Ich fand eine Stelle mit Alisa, einer Alten mit strengen, dunkelbraunen Haaren. Doch sie sah ziemlich bestürzt aus: ‚Adrian?‘ Ich hatte auf einer Bank gesessen und den Ausbauarbeiten an der Shinigami Akademie zugeschaut: ‚Hm?‘ ‚Es geht um Ehen...‘ ‚Du siehst nicht gut aus.‘ ‚Es ist auch... nicht gut...‘ Ich stand auf, in Gewahr der dramatischen Atmosphäre: ‚Nun rede.‘ ‚Er... er war doch an dieser Sache dran.‘ ‚Ja, mit den Präsenzen.‘ ‚Ja und... er... er ist tot, Adrian. Getötet... von Engeln...‘ Mir klappte der Mund auf: ‚Bitte?‘ ‚Er... er ist tot! Weg! Fort! Auf ewig! Erst Nevet, dann Marie, in Anschluss an sie Pedro und jetzt...‘ Ich legte eine Hand über meine Augen: ‚Eine Schande...‘ ‚Mehr hast du nicht zu sagen?!‘ Ich schaute Alisa verstimmt in ihre sauren grellgrünen Augen: ‚Was soll ich denn dazu sagen? Es ändert alles nichts.‘ ‚So etwas wie... Ich weiß nicht... Ach! Du bist furchtbar! Ich muss in die Bibliothek. Ehens Notizbuch einlagern...‘ ‚Du warst bei ihm?‘ ‚Nein, ich kam zu spät...‘ ‚Alisa, es ist nicht deine Schuld.‘ ‚Ach, spare dir die Luft Adrian! Ich muss los.‘ Ehens Notizbuch! Alisa war eine Vorzeigebürokratin gewesen. Es war sicherlich fein säuberlich einsortiert worden. Allerdings hatten wir in den etlichen Jahren das Archiv immer wieder nach bestimmten Details durchsucht. Ob ihre Ordnung wohl noch bestünde? Ich konnte von mir sagen, dass ich immer alles ordentlich zurück geräumt hatte, wenn ich mit Stöbern fertig gewesen war. Doch die Anderen? Die wiederkehrende Schwermut seufzte ich weg. Ehen war sicher nicht getötet worden, weil er keine Idee gehabt hatte. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob Dämonen Engelspraktiken übernehmen konnten, aber ich hatte nun einen Anhaltspunkt. Ich zog meine übliche Montur über und rieb mir über die brennenden Augen. Verdammte Kontaktlinsen! Ohne große Eile kramte ich einen großen, alten Schlüssel aus einer meiner Schubladen im Tresen und steckte ihn in die Tasche. Dann trat ich auf den Hinterhof und das Tor zur Shinigami Welt öffnete sich auf meinen Wunsch. Ich landete direkt in der großen Bibliothek der Grim Reaper. Der steinerne, große Bau im gotischen Stil war über und über mit Bücherregalen zugestellt, die aus allen Nähten platzten. Er erstreckte sich über knapp 15 Etagen plus Kellern. In der großen Eingangshalle standen schon William, Grell und Ronald. Grell hüpfte auf mich zu und fiel mir um den Hals: „Nwaaaa! Guten Morgen!“ Ich drückte ihn kurz: „Guten Morgen, lieber Grell.“ Grell schaute mir umständlich von unten ins Gesicht, um einen Blick unter meinen Pony zu erhaschen: „Hast du gut... Was ist denn mit deinen Augen passiert?“ „Hm? Achso. Ahehehehe. Ich hab vergessen gestern Abend die Kontaktlinsen raus zu nehmen.“ Grell stellte sich gerade auf und zog eine Schnute: „Uhhh, nicht gut. Brennt's?“ „Ein bisschen.“ Grell seufzte und packte in seine Manteltasche: „Hast du ein Glück, dass ich wunderschöne, aber trockene, Augen habe. Kopf in den Nacken.“ „Fu fu fu! Was hast du vor?“ „Kopf in den Nacken!“ Mit einem weiteren Kichern tat ich was der rote Reaper von mir wollte. Er wischte mir die Haare aus den Augen. Dann musste ich auch schon blinzeln, weil ein Tropfen von irgendwas in meinem linken Auge landete. Mein Sichtfeld verschwamm, noch mehr als üblich: „Was ist das?“ „Augentropfen“, antwortete Grell und schob mit den Fingern die Lieder meines anderen Auges auseinander. Nach dem er 3 Tropfen in jedes Auge geträufelt hatte, nahm ich meinem Kopf aus dem Nacken und rieb mir über die Augen: „Wä! Ahehehehehe! Was für ein Gefühl.“ Grell seufzte, als er das kleine Fläschchen wieder in die Manteltasche steckte: „Du bist ein Genie, wirklich. Besser?“ Ich blinzelte noch immer: „Besser.“ William schaute auf eine Armbanduhr, als ich die letzten Schritte auf ihn und Ronald zuging: „Du kommst spät.“ Ronald winkte nur lächelnd. Ich lachte: „Spät? Wir haben 10 Uhr.“ „Ja“, sagte William: „Spät. Ich hatte gehofft, du kommst nicht während ich schon arbeiten sollte. Ich darf die ganze Zeit hinten dran hängen.“ „Ach Will“, machte Grell: „Sei nicht immer so streng.“ „Ihr dürft die Zeit auch hinten dran hängen!“ „WAS?!“, riefen Grell und Ronald im Chor. „Natürlich!“, William schüttelte seinen Kopf: „Die Arbeitsmoral von euch Dreien ist unter aller Würde.“ Ich lachte wieder: „Ahehehehehehe. Wir sind deiner halt einfach nicht würdig, William.“ William seufzte: „Jetzt lasst uns anfangen. Es wird nicht früher.“ In der Bibliothek war es wie immer geschäftig voll. Die Augen der anderen Sensenmänner musterten mich kritisch und fragend, als ich mit William, Grell und Ronald meinen Weg zu der Kellertreppe beschritt. „Wie aufregend!“, machte Ronald, als wir die Treppe, erleuchtet von Neonröhren, in die fünfte und letzte unterirdische Etage hinunter gingen: „Ich war noch nie hier unten. Was es hier wohl alles gibt?“ „Viel zu viel“, kicherte ich. „Noaaah!“, stöhnte Grell: „Das klingt als könnten wir ewig suchen, bis wir etwas finden.“ „Ganz so schlimm ist es nicht“, lachte ich ihm über die Schulter an, als wir einen düsteren, ebenso künstlich ausgeleuchteten Flur mit Steinböden und Wänden entlang gingen. Die Wände waren gesäumt von schweren Holztüren mit massiven Metallscharnieren: „Ich hab in meinem Record nachgeschaut. Ich selber habe mit versteckten Präsenzen nie Erfahrungen gemacht, aber ein anderer Alter. Sein Notizbuch wurde eingelagert. Wenn wir das finden, haben wir gute Chancen.“ Unsere Schritte halten in dem schmalen Flur wieder, als William das Wort ergriff: „Wer?“ „Ehen Schneider“, antwortete ich knapp. Der Flur endete vor einer riesigen Eichentüre. Schon die Größe sagte aus, dass sie wichtig sei und dass sie zusätzlich mit Metall beschlagen war, unterstrich diesen Eindruck. „Dahinter ist das Archiv?“, wunderte sich Ronald, als ich wie selbstverständlich vor der großen Flügeltüre stehen blieb. „Ahehe, ja“, lachte ich. „Dann können wir gleich wieder umdrehen“, verschränkte William seine Arme: „Sie ist abgeschlossen, keiner weiß wo der Schüssel ist und niemand bekommt sie auf.“ Ich zog eine Augenbraue hoch, was die Anderen aber nicht sahen: „Ihr habt doch nicht etwa versucht sie aufzubrechen?“ William stockte kurz: „Nun... doch.“ Ich lachte schrill. Der leere Flur warf das Echo hin und her: „Ehrlich? Pahahahahahahahahahaha!“ William schob seine Brille hoch: „Schön, dass ich dich belustigen konnte, aber das löst die Tatsache nicht, dass wir vor verschlossener Türe stehen.“ Amüsiert drehte ich mich zu William, schürzte die Lippen und überkreuzte die Handkanten: „Falsch, aber nah dran.“ William zog verständnislos die Augen zusammen. Ich griff in meine Manteltasche und zog den alten Schlüssel heraus. Ich hielt ihn hoch: „Aber das, ahehehehe.“ „Du...“, William musterte den Schlüssel fast fassungslos: „Du hast den Schlüssel?!“ „Dann ist es ja kein Wunder, dass niemand mehr das alte Archiv benutzt hat und es vergessen wurde“, sagte Ronald: „Wenn keiner rein kommt.“ „Es gab mal 10 Schlüssel“, antworte ich: „Ahehehehe! Und ich hab nur einen.“ „Wo sind dann die anderen Neun?“, fragte Grell verwirrt. Ich zuckte amüsiert mit den Schultern: „Was weiß ich denn?“ Dann steckte ich den Schlüssel in das alte Schloss. Es klackte laut, als sich die Türe nach vielen Jahren das erste Mal wieder entriegelte. Ich tippte, dass sie seit meinem Weggang nicht mehr geöffnet worden war. Melodramatisch stieß ich die Flügel auseinander: „Willkommen in der Vergangenheit. Aehehehehehe!“ Der Raum vor uns war stockdunkel. Der Lichtkegel, der aus dem Flur in den großen Raum sickerte, erhellte nur einen schmalen Streifen, doch konnte man einige alte Schränke erahnen. Wir traten ein. William wirkte skeptisch, Grell und Ronald fast ehrfürchtig, während ich im Schlendergang den Raum betrat. Ronald tastete die Wand neben der Türe ab: „Ich find' keinen Lichtschalter!“ Ich lachte schrill und schnippte mit den Fingern. Wie auf Kommando entzündeten sich einige große, alte, gusseiserne Kronleuchter an der Decke, gefolgt von dreiarmigen Kerzenständern, die auf einigen kleinen Tischen mit alten Stühlen standen. Auch dieser Raum war mit etlichen Reihen von Bücherregalen zugestellt, zwischen denen, hier und da, die massiven Tische standen. Das alte Papier lag schwer in der Luft und sein Geruch mischte sich mit dem Bouquet von altem Staub. Ronald blinzelte perplex: „Okay... Krass!“ Grell stand der Mund offen: „Und hier sollen wir ein Buch finden? Das ist ja wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen!“ William wischte sich durchs Gesicht: „Nein... Wir suchen das Heu im Nadelhaufen...“ Williams Resignation schickte ein weiteres Lachen meinerseits durch das alte Archiv: „Awehehehehehe! So dramatisch ist es nun auch nicht. Hier ist alles alphabetisch sortiert. Zumindest war es das, als ich noch im Dienst war.“ „Was ja nur ein paar hundert Jahre her ist“, hüstelte Ronald. „Fu fu fu. In der Tat, aber da keiner den Schlüssel gefunden hat, bin ich guter Dinge, dass es noch zum größten Teil so ist.“ William ging zu den Regalen: „Dein Wort in Gottes Ohr, Undertaker. Vor-, oder Nachname?“ „Was denkst du?“, lachte ich. „Ich würde nicht fragen, wenn ich es wüsste!“ „Wie sortiert ihr denn die Bibliothek?“ „Nachname“, antwortet Grell. „Dann“, lachte ich: „Hat sich das nie geändert.“ William schüttelte genervt seufzend den Kopf: „Warum nicht gleich so? Schneider, richtig? Also S.“ Ich nickte langsam und die drei Shinigami gingen die Bücherregale ab. „Hier ist B!“, rief Ronald von irgendwo her. „Ich hab W!“, hallt Grells Stimme von der anderen Seite des Raums. William blieb stumm, aber ich hörte an seinen Schritten, dass er sich zwischen Ronald und Grell bewegte, gelotst von ihren Rufen. Ich kicherte in mich hinein, als ich mich zielstrebig dahin begab, wo ich und meine verstaubten Erinnerungen meinten, dass sich S befand. Irgendwie war ich beruhigt, als ich feststellte, dass ich bei T gelandet war. Um nicht mit der Nase am Bücherregal vorbei schaben zu müssen, um etwas zu erkennen, zückte ich meine silberne Brille und setzte sie auf die Nase, nachdem ich meinen Pony zur Seite gewischt hatte. Die Welt nun scharf sehend, ging ich zwei Regale weiter und fand S. Ich musste ein wenig suchen, denn irgendwie war die Ordnung doch ein bisschen durcheinander geraten. Doch nach einigen Minuten fand ich Ehens alte Notizbücher. Sie waren fein säuberlich mit Jahreszahlen versehen, sodass ich nicht lange nach dem Letzten suchen musste. Erfolgreich kicherte ich, sagte aber nichts und ließ Grell, William und Ronald, sich gegenseitig Sachen zurufend, weiter suchen, als ich mich auf einen alten Stuhl setzte, die Beine überschlug und das Büchlein öffnete. Das alte Papier raschelte trocken unter meinen Fingern und die verblasste Tinte erinnerte mich daran wie furchtbar alt ich war. Ich konzentrierte mich aufs Lesen. Solche Gedanken waren gerade einfach nicht förderlich und führten auch zu nichts. Da Ehen bei dieser Angelegenheit gestorben war, schlug ich das Buch hinten auf und wurde prompt fündig. Ich zog die Augen ein Stück zusammen um die blasse Schrift besser lesen zu können: »Getarnte Engel Jüngste Ereignisse haben mich dazu bewogen mich einem neu aufgetauchten Mysterium anzunehmen: Dem Auftauchen von Engeln, welche ihre Präsenz vollständig verbergen konnten. Dies ist nicht nur höchst interessant, es ist auch genauso problematisch und führte zu einigen unschönen Auseinandersetzungen zwischen Engeln und Grim Reapern, in welchen die Grim Reaper durch schlichtes Nichterkennen des Feindes meist unterlagen. Meine Recherchen führten mich auf einige Kriegsschauplätze der menschlichen Stämme, da sich dort das Aufeinandertreffen der Sensenmänner und den getarnten Engeln häufte.« Es folgte ein Verweis auf etliche Berichte und Forschungsbögen. Ein Hoch auf die Bürokratie! William war neben mir aufgetaucht, anscheinend nach langer Suche endlich auf den richtigen Buchstaben stoßend. Er sah mich an: „Du!” Ich kicherte: „Ich?” „Du hast es schon gefunden und sagst einfach nichts?” Ich gab mir gar nicht die Mühe mein Lachen zurück zu halten: „Awuwuwuwuwu! Ihr wart mit so viel Feuereifer dabei, es kam mir vor wie ein Sakrileg euch zu stören.“ Schritte hinter mir. Ich wandte den Kopf und erblickte einen angenervten Grell: „Ehrlich jetzt?“ Ronalds Kopf erschien hinter Grell: „Wir suchen wie verrückt und du hast es schon lange gefunden?!“ Ich wedelte mit dem Büchlein: „Freut euch nicht zu früh. Ehen verweist auf eine Mannigfaltigkeit auf Forschungsbögen und Berichten. Die Wahrheit steht irgendwo dort drin und selbst wenn wir sie finden ist es fraglich, wie weit sie uns helfen. Spannend, oder? Hehehehe.“ Grell blinzelte mich an: „Wie, es ist fraglich?“ „Ehen hat dieses Phänomen damals wohl bei Engeln beobachtet, nicht bei Dämonen.“ Ronalds Mund klappte auf: „Also machen wir das alles vielleicht umsonst?!“ Ich breitete die Hände aus: „Ich warnte schon in der Villa Phantomhive, dass es vielleicht nichts bringt. Deswegen dachte ich auch eigentlich ihr lasst mich hier alleine meine Zeit verschwenden.“ „Unmöglich“, entgegnete William streng: „Du bist ausgestiegen. Es ist gegen jede Regel, dich alleine durch die Bibliothek streifen zu lassen.“ „Und dann brauche ich gleich drei Aufpasser?“ William schaute von mir zu Grell und Ronald und wieder zurück: „Das hatten wir schon mal...“ „Ah!“, machte ich: „Wuwuwuwu! Stimmt! Die Campania.“ Grells Augen wurden zu Schlitzen: „Das werde ich dir nie verzeihen.“ „Na“, lächelte ich ihn an und zwinkerte mit dem rechten Auge: „Straf mich nicht mit so bösen Blicken.“ Grell faltete die Hände: „Ahhhh! Er hat mir zu gezwinkert!“, dann packte er Ronald am Kragen und schüttelte ihn kreischend: „Ron, er hat mir zugezwinkert!“ Ronald wackelte vor und zurück: „Ja, hat er! Lass mich los! Mir wird schwindelig!“ William legte die Hand über die Augen: „Können wir endlich diese Forschungsberichte suchen gehen?“ Irgendwie schaffte es William Grell aus seiner Euphorie zu befreien und nun wühlten wir uns zu viert durch etliche Tonnen Papier. Grell beschwerte sich 10-minütlich, was schnell für wiederholte Streitereien zwischen ihm und William führte. Obwohl diese Eskapaden uns die 3 Stunden, die wir die Papierberge durchwühlten die Ehen uns hinterlassen hatte, unaufhörlich begleiteten, behielt ich ein konstantes Grinsen in meinem Gesicht und blendete die Beiden einfach aus. Doch Ronald rief mich irgendwann aus dem weißen Rauschen, welches meine Ignoranz um mich herum aufgestellt hatte: „Ich hab was!“ Unsere Köpfe flogen herum: „Was?“, fragten William, Grell und ich im Chor. „Ehen schreibt hier über 'Fessles Stones'.“ „Fessellose Steine?“, Grell ging zu ihm und schaute dem jungen Reaper über die Schulter: „Was soll das denn sein?“ Ronald räusperte sich und begann vorzulesen: „'Im Gegenzug zu lebenden Wesen haben Gegenstände der unbelebten Natur keine Seele...' „ „Ja, ja“, unterbrach ihn der Rotschopf: „Das ist nichts Neues.“ „Lass mich doch zu Ende lesen! 'Dem Vorhandensein einer Seele muss ein Fühlen und Denken zu Grunde liegen, dessen Emotionen für gut trainierte, übernatürliche Wesen in Form einer Aura deutlich spür- und sichtbar werden. Die Erfassbarkeit der Aura unterliegt der Übung des Spürenden und der Gefühlsstärke des Besitzers. Deshalb spüren Menschen meist nur einen Anflug einer Aura, sollten die Emotionen ihres Gegenübers ein übersteigertes Ausmaß erreichen. Gegenstände der unbelebten Natur haben zwar keine Seele, doch sind sie nicht hohl, sondern von ihrer Existenz ebenso erfüllt wie jedes fühlende Wesen.' … Das... raff ich nicht.“ Ich kicherte: „Hihihihi. Armer, kleiner Ronald. Die Natur kennt viele Mittel und Wege Existenz zu erteilen. Die Existenz von Etwas, oder Jemandem, ist mit seiner Natur gleich zu setzen. Unsere Natur entspricht unserer Bestimmung. Es ist die Natur der Menschen und Grim Reaper eine Seele zu besitzen. Unsere Bestimmung ist es zu fühlen und zu denken. Auch bei Engeln und Dämonen ist es ähnlich, auch wenn sie es gerne mal von sich weisen. Die Natur eines Steins ist es halt, ein Stein zu sein. Seine Bestimmung ist es herum zu liegen und hart zu sein. Diese Bestimmung erfüllt ihn, wie uns unsere Seelen. Somit haben auch sie eine Präsenz, nur ist sie deutlich schwächer, für uns kaum wahrnehmbar. Verstanden?“ Ronald nickte langsam: „Ja... Ich glaub schon. Weiter im Text: 'Als ich die Schlachtfelder untersuchte entdeckte ich allerdings Steine, die ihrer Existenz entrückt wurden. Mir ist unklar wie, aber etwas hat ihre Natur ausgehöhlt und sie so zu 'Hüllen' ihrer selbst gemacht. Sie sind fessellos. Losgelöst von jeder Bestimmung und jedem Sinn. Solche Steine sind nur in der Nähe von Schauplätzen zu finden, an denen die Atmosphäre der Tragödien, die sich dort abgespielt haben, noch deutlich haftet, sich aber in der Nähe weitaus friedlicheren Örtlichkeiten befindet. Steine direkt an den Schauplätzen haben, im Gegenzug zu der Tragik des Ortes, ihr Selbst übernommen und sind somit nicht zu 'Hüllen' geworden. Dieses Phänomen bedarf weiterer Untersuchungen.'“, Ronald blätterte um und ich lehnte mein Gesicht in eine Hand: „' Zwischen dem Fund der 'Fessless Stones' und dem heutigen Datum liegen mehrere Jahrhunderte. In dieser Zeit war es um die Engel mit versteckten Präsenzen sehr ruhig geworden. Nun jedoch stieß ich abermals auf eine Gruppe Engel, deren Präsenz ich nicht erfassen konnte. Ich nutzte dieses Treffen für zwei mir wichtige Gedanken, die mir beim Fund der Steine gekommen waren: 1. Ich überprüfte, ob ihre Präsenz mit der der Umgebung verschmolzen oder gänzlich verschwunden war. 2. Ich untersuchte die Engel auf Artefakte aus Stein. Die Ergebnisse sind wie folgt: 1. Die Präsenz der Engel war ein blinder Fleck. Wenn man darauf achtete, stach das Fehlen ihrer Anwesenheit deutlich aus der Präsenz der Umgebung heraus. 2. Nahm ich jedem besiegtem Engel ein Steinmedaillon ab. Diese Medaillons sind untereinander vollkommen identisch. Sie wurden für weitere Untersuchungen in der Asservatenkammer eingelagert.' “ Ronald blätterte wieder um und atmete tief durch: „So langsam bekomme ich einen trockenen Mund davon... 'Die Untersuchung der Medaillons und der zu Kontrollzwecken mitgenommenen 'Fessless Stones' ergab, dass sie in ihrem Sein identisch sind. Das heißt, die Engel führten 'Hüllen' von Steinen mit sich. Eine darauf aufbauende Testreihe mit einigen Shingami- Anwärtern ergab, dass sobald die Probanden einen Stein in die Hand nahmen oder ein Medaillon anlegten, ihre Präsenz sofort verschluckt wurde.' “, diesmal stockte Ronald relativ geschockt, als er die Seite umgeschlagen hatte. Auch Grell blinzelte fassungslos auf das Blatt Papier. „Was habt ihr?“, fragte William verständnislos und scharf. „Und das gerade jetzt, wo es wichtig wird. Ahehehe.“ „Da steht noch: 'Meine Theorie scheint damit bestätigt:...' “, Ronald dreht das Blatt zu uns. Ein großer roter Klecks bedeckte das Papier: „Dann ist dort nur noch ein großer Fleck...“ „Das ist Blut“, nahm Grell das Papier und kratzte mit dem Fingernagel über die Verunreinigung: „Definitiv.“ „Nun“, begann ich: „Ehen wurde während der Forschungen umgebracht, wahrscheinlich genau da.“ William seufzte genervt und schob seine Brille höher auf die Nase: „Na herrlich. Das heißt also, wir werden nie erfahren was seine Theorie war.“ Ich kicherte: „Ich glaube, ich weiß es.“ William schaute mich an: „Hast du dich an was erinnert?“ Ich zog eine Schnute: „Wenn du das so sagst, klingst du, als hältst du mich für dement!“ William schwieg einen Moment zu lange, um mir noch widersprechen zu können: „Sag es doch einfach.“ Ich lachte: „Du hältst mich für dement!“ „Undertaker... Wir haben dafür keine Zeit. Wir sind jetzt fast 4 Stunden hier unten. Ich möchte heute Abend auch irgendwann mal nach Hause.“ „Warte“, kreischte Grell in einer erschrockenen Erkenntnis: „Du willst nicht wirklich, dass wir 4 Stunden nacharbeiten!“ William schaute ihn nur vielsagend an. Grell klappt der Kiefer auf und Ronalds Kopf fiel auf den Tisch: „Oh Scheiße...“ Ich konnte nicht anders, als die Beiden ungeniert auszulachen: „Ihr armen Tröpfe! Puhahahahahaha!“ Grell stellte einen Fuß auf den Tisch neben mich und beugte sich von oben in mein Gesicht: „Hör mal zu, du verrückter, alter Knacker! Das ist verdammt hart und alles deine Schuld! Deine! Deine! Deine!“ „Tihihihihihihihi! Ich habe euch zu nichts gezwungen! Ahahahahaha!“ „Grell Sutcliff!“, rief William schon fast erbost: „Fuß vom Mobiliar! Sofort! Dein Betragen kostet uns nur weiter wertvolle Zeit!“ Grell tat wie ihm geheißen und verschränkte die Arme: „Jetzt spuck's schon aus, du altersschwache Wachtel!“ Ich giggelte: „Erinnert ihr euch an meine 'Bizarre Dolls'?“ „Ja...“, seufzte Ronald, dessen Kopf immer noch auf dem Tisch lag: „Lebhaft...“ Ich lachte: „Tihihi! Sie waren wunderbar, oder?“ „So wunderbar wie geifernde und verwesende Abnormitäten halt sind, Undertaker“, seufzte William hinter mir: „Warum quälst du uns schon wieder mit dem Gedanken an deine verkorksten Experimente?“ „Die waren nicht verkorkst! Sie waren in ihrer Unvollkommenheit so wunderbar perfekt! Du weißt das einfach nicht zu würdigen.“ „Undertaker, komm auf den Punkt!“ Ich verschränkte die Arme: „So schon mal gar nicht.“ Grell haute die Hand vors Gesicht: „Ja Will, aber mein Betragen kostet uns Zeit...“ Kurz bekämpften sich William und Grell gegenseitig mit verbalen Bissigkeiten, wer von ihnen jetzt mehr dafür verantwortlich war, dass ich schmollte. Ich musste mir das Lachen wirklich verkneifen. Sobald ich auch nur kicherte, hätten die Sensenmänner bezahlt und ich musste reden. Allerdings wollte ich ihre Hilflosigkeit noch ein paar Momente genießen. Ronald nahm den Kopf vom Tisch: „Undertaker?“ Ich drehte den Kopf zu ihm, auf dem zwar ein amüsiertes Lächeln lag, aber dem noch kein Lachen entflohen war: „Hm?“ „Wie wäre es mit was zu lachen?“ „Oh ja“, erwartungsvoll faltete ich die Hände: „Liebend gerne.“ „Redest du dann weiter?“ „Aber natürlich, lieber Ronald! Wenn du gut bist.“ „Hey Grell!“ Grell unterbrach seine Hassrede und schaute zu dem Jüngling: „WAS?!“ „Wie macht die Kuh?“ „Was?“ „Wie macht die Kuh?“ „Was willst du von mir verdammt?!“, rief Grell augenscheinlich reichlich desillusioniert. Ronald seufzte: „Sag mir einfach was für einen Laut eine Kuh macht.“ „Das solltest selbst du wissen, Sutcliff“, entgegnete William bissig. „Du kleiner...“, grummelte Grell und verschluckte die letzte Hälfte des Satzes, als er sich wieder zu Ronald drehte: „Muh!“ „Und was trinkt die Kuh?“ „Milch!“ Ronald lachte: „Du bist durchgefallen! Eine Kuh trinkt Wasser! Das war ein Idiotentest. Grell Sutcliff! Du bist offiziell ein Idiot!“ Grell starrte Ronald mit einer Mischung aus Verachtung und Unglauben an: „Das ist nicht dein Ernst! Willst du mich eigentlich komplett verarschen, du kleiner Grünschnabel! Ich glaube ich fall' vom Glauben ab! Was soll das denn für ein Test sein?! Das war strunz dumm und grottendämlich du verdammter, kleiner Scheißer!“ Grells Gesicht und Betragen setzte dem Ganzen die Krone auf und ich konnte mein Lachen nicht mehr im Zaun halten. Ich erging mich in einigen Minuten hemmungslosem Gelächter. Schwer atmend zog ich die Brille ab und wischte mir durch die Augen: „Fu fu fu. Herrlich Ronald! Vorzüglich! Nun gut. Ich rede.“ „Dann los“, brummelte William. Ich drehte mich um: „Fängst du schon wieder an?“ „Zur Hölle, nein! Rede! Bitte!“ Ein weiteres Lachen folgte: „Tihihihi, fein. Meine Dolls haben damals Menschen angefallen, wisst ihr noch warum?“ „Weil sie selbst keine Seele hatten, aber eine haben wollten“, stöhne Grell: „Das war über alle Maßen abartig!“ „Noch ein Banause, der Schönheit einfach nicht erkennen kann.“ „Schönheit?! Rote Rosen sind schön! Der blutrote Sonnenuntergang ist schön! Ein herrlich roter Lippenstift auf prallen Lippen ist schön! Diese Dolls?! Die waren definitiv NICHT schön!“ Meiner Kehle entfuhr eine Mischung aus Seufzen und Lachen: „Ihr seid alle so unbelehrbar.“ „Undertaker. Ich hab dich bezahlt und Grell hat geantwortet. Jetzt erzähle“, sagte Ronald mit einem Beten im Gesicht. „Gut, gut, gut. Sie wollten eine Seele, weil es ihre Bestimmung ist, eine zu haben. Auch Steine haben Bestimmungen, diese Steine hatten ihre allerdings ebenfalls verloren. Also?“ William lehnte sich gegen ein Regal: „Verschlingen sie die Aura ihrer Träger, in dem Versuch ihre Bestimmung zu adoptieren, so wie deine Dolls Menschen gerissen haben, um ihre Seelen zu übernehmen.“ Ich zeigte mit meinen Zeigefinger auf William: „100 Punkte, Mister Spears.“ „Hättest du dir nicht denken können, dass die Dolls so reagieren, wenn du über Bestimmung und Natur so viel weißt?“, fragte Ronald. Ich giggelte wieder: „Nun, auf den Gedanken hätte ich kommen können, hätte ich Ehrens Aufzeichnungen je gelesen. Habe ich aber nicht. Ich habe das Rad in dem Fall ebenfalls zum zweiten Mal erfunden. Ich weiß, dass alles angefüllt von einer Bestimmung ist, doch ich weiß erst seit den Dolls, dass sie alles dafür tun um wieder eine zu erlangen.“ „Ist ja auch egal“, würgte uns William ab: „Unterrichtest du den Earl? Wir müssen wirklich langsam an die Arbeit.“ „Aber natürlich“, lachte ich. Wir verließen das Archiv, nachdem wir unter Williams strengen Blick alles wieder einsortiert hatten und ich überließ die Reaper, giggelnd, ihren wohlverdienten Überstunden. Ich trat durch das Portal und landete in der Villa Phantomhive. Einige Mägde begrüßten mich, als ich durch die langen Flure schlenderte, auf dem Weg zu Alexanders Arbeitszimmer. Ich klopfte: „Herein!“ Als ich eintrat sah ich Alexander über einem Stapel Papier und Sebastian, der ihm Tee in eine Tasse goss. „Undertaker? Warst du schon bei den Shinigamis?“, fragte der Earl. Ich kicherte: „Ahihihi, freilich.“ Alexander zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibstich: „Und?“ Ich setzte mich: „Du kennst den Preis, Earl.“ Alexander seufzte: „Was ist klein, braun und riecht nach Karamell?...“ Mein Mund verzog sich schon zu einem Lächeln: „Ich weiß nicht.“ Der Earl stützte seinen Kopf auf eine Hand, sichtlich unangetan von dem, was er antworten musste: „Ein Zuckerkranker, der vom Blitz getroffen wurde...." Ein Lachen folgte auf ein Prusten. Viel besser als der Witz war Alexanders sichtliches Widerstreben ihn zu erzählen. Sein Schaden war mein Pläsier. Es dauerte wie immer einige Minuten, bis mein Lachen abgeschwollen war. Sebastian und Alexander warfen sich einen Blick zu, seufzten synchron und schaute mich erwartungsvoll an: „Und?“ Ich erklärte den Beiden ausführlich, was wir in dem Archiv der Shinigamis herausgefunden hatten. „Und du denkst Claude und Oliver haben einige dieser Steine?“, fragte Alexander. „Nun“, antwortete ich: „Ehen hatte herausgefunden, dass auch die Präsenz von Sensenmännern verschluckt wird, also tippe ich, es funktioniert ebenfalls bei Menschen und Dämonen. Hehe.“ „Ein naheliegender Gedanke“, erwiderte Sebastian: „Nur woher sollten Oliver und Claude über diese Steine Bescheid wissen?“ Ich hob die Hände: „Die Frage des Tages.“ Alexander legte überlegend die Hand ans Kinn: „Nun. Wenn die Sensenmänner auf solche Engel getroffen sind, dann Dämonen vielleicht auch.“ Sebastian lachte künstlich: „Ich muss allerdings einwerfen, dass Dämonen nicht so einen peniblen Forscherdrang unterliegen wie die Grim Reaper. Sicherlich könnte es solche Konfrontationen gegeben haben, aber dann wären sie mündlich weitergetragen worden. Diese Aufzeichnungen waren sehr alt. Die Zeiten Abels sind einige Tausend Jahre her. Solange halten sich mündliche Überlieferungen höchstens als Legenden und mir ist keine solche bekannt.“ Ich kicherte wieder: „Tihihi. Ein guter Einwand, Butler. Doch vielleicht hörte Claude davon und hat in seinem Eifer dich zu vernichten geprüft, wie viel Feuer unter dem Rauch ist.“ „Das könnte sein“, antwortete Sebastian. Alex seufzte: „Das ist ja alles gut und schön, doch leider bringt uns das atok noch nicht weiter. Es scheint ja kein Weg gefunden worden zu sein, dieses Phänomen zu überbrücken.“ Ich zeigte mit meinem Zeigefinger auf den Earl: „So scheint es, so scheint es.“ „Vielleicht sollten wir uns diese 'Fessless Stones' anschauen“, warf Sebastian ein: „Wenn Experimente damit durchgeführt worden sind, werden die Shinigamis noch Exemplare haben.“ Ich legte wieder die Handkanten zusammen und bildete so ein Kreuz: „Nah dran, aber daneben.“ Sebastian musterte mich mit Argwohn, wohl erinnernd wann er diese Geste das erste Mal erblickt hatte: „Wieso?“ „Die Asservatenkammer der Shinigami ist vor etlichen Jahren mal abgebrannt. Alles wurde vollkommen zerstört und ein paar Steine wurden sicher als Schutt gewertet. Wenn sie noch irgendwo herumliegen, dann wäre es eine wahre Sisyfos Arbeit sie zu finden, aber tu dir keinen Zwang an, Dämon. Hehehehe.“ Sebastian seufzte: „Ich muss dankend ablehnen, Undertaker. Doch was nun?“ „Ist Charlie noch hier?“, fragte ich grinsend. „Ja“, antwortete Alexander: „Er macht sich gerade abreisefertig.“ „Dann werde ich ihn fragen, ob er noch einen Platz in seinem Gefährt übrig hat.“ „Wozu?“, fragte der Earl irritiert. „Nun, Ehen beschrieb wo man diese Steine findet. Die Wunden der Weltkriege sind noch lange nicht verheilt, vielleicht finden sich in der nähen einiger Kriegsschauplätze neuere Exemplare. Die Meisten liegen in Mitteleuropa. Es muss ein friedvoller Ort in der Nähe sein. Ich tippe die Steine entstehen an Orten, wo die gegensätzliche Schwingungen aufeinander prallen. Charlie hätte sicherlich einige Ideen.“ Alexander nickte langsam: „Das klingt logisch. Charlie ist sicherlich der richtige Ansprechpartner dafür.“ Ich erhob mich: „Dann ist es besiegelt. Ich werde also ein wenig verreisen, Earl. Vorausgesetzt ich bin entbehrlich.“ Alex nickte mit dem Kopf: „Diese Angelegenheit ist für uns alle die Dringlichste. Ich bin dir sehr dankbar, dass du dich freiwillig meldest.“ „Nun“, ich lachte: „Ahihihi! Meine Lust, nachts aus einer dunklen Ecke angefallen zu werden und von Claude einen auf den Deckel zu kriegen, ist arg gering. Ein kleines Kämpfchen mit alten Freunden ist zwar immer sehr interessant, aber ich bevorzuge sie fair.“ Der Earl rieb sich halb amüsiert durch ein Auge: „Ich bezweifle, dass du von Claude einfach so 'einen auf den Deckel kriegst'.“ Ich breitete die Hände aus: „Blind und gespürlos, Earl. Eine ungute Kombination. Ahehehehe.“ Auch ich glaubte, dass Claude schon viel Glück und mehr als einen schmutzigen Trick brauchte, um mich mit einem Schlag außer Gefecht zu setzen. Sobald ich die Möglichkeit bekam zurück zu schlagen, sollte der zweite dämonische Butler eine sehr gute Strategie haben, denn ich war kein leichter Gegner. Trotz allem war ich einfach nicht gerne in der strategisch unterlegenden Position. Des Weiteren bin ich mir sehr wohl bewusst, dass es für die Anderen nicht zwingend ähnlich simpel war. Alex und Heph waren durch Sebastian sicher. Doch Fred und Amy? Lee, Charlie und Frank? Die kleine Sky?: 'Die kleiner Sky...' Sie war ja schon unter die Räder gekommen. „Nun denn, bis bald Earl. Butler.“ „Wie lange denkst du bist du unterwegs?“, fragte der Earl noch einmal. „Ein paar Tage“, warf ich zurück: „Ich beeile mich.“ Dann ging ich zur Tür. Die Hand an der Klinke drehte ich mich noch einmal um: „Wie geht es eigentlich unserem kleinen Unglücksraben?“ „Sky?“, fragte Alexander: „Sie schläft. Es geht ihr den Umständen entsprechend. Sie hat relativ hohes Fieber.“ „Armes, kleines Ding“, lächelte ich. Dieses Lächeln wirkte wie jedes andere, doch ich merkte einen kleinen Stich: „So. Ich entschuldige mich. Bis zum nächsten Mal.“ Auf der Suche nach Charlie lief ich Amy über den Weg. „Undertaker!“, umarmte sie mich zu Begrüßung: „Was tust du hier?“ Ich lachte: „Hihihi. Ich war bei deinem Vater. Wir haben ein paar Anhaltspunkte wegen den Trancys.“ Amy klatschte in die Hände: „Perfekt! Gibt es einen Plan?“ Ich nickte grinsend: „In der Tat. Ich verreise ein paar Tage mit Charlie.“ „Warum?“ „Das ist alles sehr kompliziert. Wie geht es deiner Freundin?“ Amy seufzte geplagt von einem schlechten Gewissen: „Sie hat hohes Fieber, aber Sebastian sagt sie kommt wieder in Ordnung.“ „Wenn Sebastian sich sicher ist, kann man sich darauf verlassen. Wo ist sie?“ Amy zog fragend eine Augenbraue hoch: „In einem der Gästezimmer. Westflügel, 3 Stock, 7te Tür. Wieso?“ „Interesse“, grinste ich. Tatsächlich wollte sich etwas in mir selbst vergewissern, dass das zerbrechliche Ding in Ordnung war: „Und wo ist Charlie?“ „Eingangshalle.“ „Gut. Die Zeit drängt mich, liebste Amy. Pass gut auf dich auf, ja? Geh nachts am besten nicht hinaus.“ Amy nickte: „Papa hat mir schon etliche Sicherheitsmaßnahmen auferlegt. Er wollte sogar Sebastian mit uns schicken, doch ich denke er sollte hier bleiben. Oliver will Papas Titel. Er wäre das naheliegendste Ziel, nicht wir.“ Ich nickte langsam: „Ich hoffe, ihr habt Recht damit. Nun Amy. Mach es gut. Wir sehen uns.“ Eine Umarmung zum Abschied: „Pass du auch auf dich auf“, sagte die kleine Phantomhive. „Aber sicher.“ Dann führte mich mein Weg zu Charlie, allerdings über einen Umweg durch den Westflügel des Manors. Das Zimmer der kleinen Sky war ruhig und dunkel. Das brünette, dünne Ding lag in dem großen Bett und schlief nicht allzu friedlich. Aus meiner Position, in der Tür, sah ich ihren Kopf herum zucken. Mit lautlosen Schritten ging ich zu dem Bett und beugte mich hinunter. Das junge Ding schwitzte und murmelte leise etwas vor sich hin: „…. Bitte... tu ihr nicht weh... bitte... nicht...“ Mein Lächeln wischte bei diesem Anblick aus meinem Gesicht und etwas lag schwer auf meinem Herzen. „Armes, kleines, junges Ding“, wischte ich ihr bedächtig einige feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ihre Haare waren so weich wie frischer Schnee und glänzten in dem wenigen Licht wie glatte Seide: „Was ist das für ein Gift in deinem Kopf, liebe Sky?“ Der Kopf des Mädchens zuckte zur Seite: „... Aufhören... bitte...“ Ich legte meine Hand an ihre Wange. Ich spürte ihr Fieber durch meine kalten Finger kriechen: „Schhhh“, machte ich beruhigend: „Alles ist gut, kleine Sky.“ Zu meiner Verwunderung entspannte sich das Gesicht des jungen Mädchens ein wenig unter meiner Hand: „Du bist hier in Sicherheit.“ Das Mädchen lag in ihrem Bett, blass und schwitzend. Dieser Anblick schickte eine Art von Ärger durch mich hindurch. Wut auf Claude und Oliver, wegen denen sie hier nun fiebernd lag. Gott sei Dank. Die Alternative wäre schrecklich gewesen. Und Wut auf das, was das Mädchen dazu brachte sich im Schlaf hin und her zu werfen. Die junge Sky wirkte wie eine reine, weiße Blume, gesät auf verdorbenem Grund. Ich verblieb ein bisschen an ihrem Bett. Ich konnte das Mädchen nicht einfach so gepeinigt ihren schlechten Träumen überlassen und strich mit meinem Daumen über ihre hitzige Wange. Irgendwann lag sie ruhig in ihrem Bett. Kein Zucken, kein Murmeln mehr. Ich lächelte wieder: „Schlaf gut, kleine Skyler. Wir werden uns wiedersehen.“ Mit diesem Versprechen verließ ich das Zimmer auf leisen Sohlen und begab mich endgültig zu Charlie. Der blonde Deutsche stand mit Frank und einigen Koffern in der Eingangshalle. Ich unterbrach ihr Gespräch mit meinem Erscheinen. „Undertaker“, fragte Frank verwirrt: „Was möchtest du?“ „Ihr reist zusammen ab?“, fragte ich giggelnd. „Nein“, antworte Frank gewohnt knapp: „Charlie fährt nach Hause. Ich bleibe aufgrund der jüngsten Ereignisse noch ein paar Tage.“ „Oh wie praktisch“, verschränkte ich die Fingerkuppen: „Dann hast du sicher noch einen Platz frei, Charlie, oder?“ Charlie nickte etwas irritiert: „Ja, wieso?“ Kurz erläuterte ich den Plan, den ich mit dem Earl ausgearbeitet hatte. Charlie kratzte sich am Hals: „Das klingt soweit logisch. Ein Schlachtfeld an einem friedlichen Ort... hm... öhm.. Mława!“ „Mława?“, fragte ich kichernd: „Ahihihi, erleuchte mich.“ „Das ist eine Stadt nordwestlich von Warschau. Dort war eine ziemlich üble Schlacht zu Beginn des zweiten Weltkrieges. Hunderte Opfer, Militär wie Zivilisten, doch die Stadt an sich ist mittlerweile recht friedlich.“ Ich schlug die Hände zusammen: „Vorzüglich!“ Ich blieb zwei Tage in Polen. Mit Charlie an der Hand war reisen eine angenehme und unkomplizierte Angelegenheit. Claus hat seinen unsteten Reisedrang eins zu eins vererbt, stellte ich ein weiteres Mal fest. Charlie genoss es zu reisen, doch noch mehr genoss er es dabei Gesellschaft zu haben. Selbst wenn ich diese Gesellschaft war. An dem Schlachtfeld bei Mława wurde ich tatsächlich fündig. Es war ein atemberaubendes Phänomen. Diese Steine waren wirklich wie von Ehen beschrieben: Präsenzlos, hohl, von Sinn und Berechtigung verlassen. Die Rückreise nach London beschritt ich allein, von Charlie aufs Genauste instruiert. Der blonde Mann reiste zwar gerne, wollte aber auch mal wieder zu Hause bei seiner Familie sein und verabschiedete mich in Hamburg, wo ich per Zug nach Calais in Frankreich fuhr. Angekommen waren wir mit dem Flugzeug, doch zurück reiste ich lieber per Zug und Fähre. Flugzeuge waren mir suspekt. Hätte ich fliegen sollen, wären mir Flügel gewachsen, was nichts daran änderte, dass es immer mal wieder eine Erfahrung wert und die großen Maschinen erstaunlich interessant waren. Doch alleine bevorzugte ich Transportmittel, die nicht vom Himmel fallen konnten. Von Calais ging es mit der Fähre nach Dover. Ich genoss die Schiffsfahrt. Ich mochte die salzige Luft und das beruhigende Schunkeln. In Dover angekommen fuhr ich zurück nach London. In meinem Laden angekommen, hatte ich das Gefühl eine kleine Weltreise hinter mir zu haben. Nachdem ich mir eine Kanne New Moon Drop aufgesetzt hatte und begonnen hatte einen Becher davon zu trinken, nahm ich den Hörer meines, wie Amy und Fred es immer beschrieben, antiquierten Telefons und klingelte bei Alexander durch. Die beiden Teens scherzten immer, dass es wenigstens beruhigend war, dass dieses Telefon keine Wählscheibe mehr hatte, doch ich fand die Wählscheibe hatte ihren ganz eigenen Charme, aber Alexander hatte mich irgendwann in den 80ern gezwungen es zu ersetzen. Es war schon irgendwo spannend und amüsant wie einfach Konversation geworden war: Man drückte ein paar Tasten und die Stimme desjenigen, den man sprechen wollte, surrte einem durch einen kleinen Hörer ins Ohr. Fantastisch! Ich erzählte Alexander, dass ich fündig geworden war und mich mit den kleinen Steinen beschäftigen würde. Dann erfragte ich, ob es noch einmal zu Auseinandersetzungen mit Claude und Oliver gekommen war, doch Alexander verneinte zu meiner Beruhigung. Er erzählte darüber hinaus, dass er Amber und Skyler morgen wieder zurück auf den Campus schicken würde. Es ging dem zerbrechlichen Ding wohl wieder besser, auch wenn sie noch nicht 100% auf den Beinen war. Es war spät, doch trotz allem befasste ich mich schon einmal mit den Steinen, zu denen mich meine kleine Reise geführt hatte. Man konnte förmlich spüren, wie die Steine die Präsenz ihrer Umgebung begierig aufsaugten. Gierig, maßlos. Irgendwann sickerten die ersten blassen Sonnenstrahlen durch eins meiner Fenster und ich verstaute die Steine in einer kleinen Schachtel und dann in mein Regal. Leider war ich nicht wirklich schlauer geworden. Ich hatte noch keine Idee, wie man den Steinen entgegen wirken konnte. Vielleicht gab es auch einfach keinen Weg, außer sie Claude und Oliver abzunehmen. Ich legte mich in einen Sarg und schloss noch ein wenig die Augen, bis irgendwann mein Telefon klingelte und mich die Arbeit weckte. Der Tag war geschäftig gewesen, auch wenn ich nicht viele Kunden oder Gäste zu betreuen hatte. Allerdings bekam ich Besuch von einigen jungen Männern von den 'Tottenham Mandem', einer gut organisierten Straßengang Londons, die öfter vor meiner Türe standen. Sie hatten drei ihrer Kameraden dabei und mir wurde klar worum es ging: Drei Beerdigungen, ohne, dass Scotland Yard Wind davon bekam. Diese Jungs ließen keine Abscheulichkeiten aus. Dem Earl waren sie schon lange ein Dorn im Auge und Lee hatte ein wachsames Auge auf die Gang, weil sie ihre Finger in einige, nennen wir es unkonventionelle, Geschäftsmodellen steckten. Doch ich war der Totengräber zu dem man ging, wenn man wollte, dass die Verblichenen keine neugierigen Blicke haschten. Dachten sie. Doch je nachdem, welche Geschichte mir meine neuen Gäste erzählen, würden sie vielleicht bald Besuch von zwei großen, dunkelhaarigen Männern bekommen. Dieser Gedanke brachte mich zum Kichern und mein ganzes Betragen schien die 'hartgesottenen Gangster' mit ihrem furchtbaren Straßenslang und dem unmögliche Benehmen zu verstören. Das amüsierte mich noch mehr. Doch die Jungen hatten keine guten Witze für mich. Sie waren einfach furchtbare Flachpfeifen, denen ich nicht ansatzweise Sympathie abgewinnen konnte. Als ich meine drei neuen Gäste in das Kühlzellen gelegt hatte, drückten mir die restlichen 6 Schwachmaten ein Bündel ihres dreckigen Geldes in die Hand und verschwanden aus meinem Laden. Ich war mir des Weiteren sicher, dass die 6 das nächste Mal andere zu mir schicken würden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie hatten mein Verhalten nicht so gut verkraftet. Schade, ich fand verstörtes Verhalten eigentlich ziemlich unterhaltsam. Das Geld warf ich achtlos in eine der Schubladen. Ich machte mir immer noch nichts aus dem Geld der Queen oder der Queen an sich, doch ich musste einsehen, dass ich Geld zum Leben brauchte. Allerdings werde ich nie verstehen, wie es vielen Menschen so unglaublich wichtig werden konnte. Breit grinsend zog ich Einen wieder aus der Kühlzelle. Auf der Edelstahlbahre lag ein junger Mann. Ein Teenager. Er hatte diese Ausstrahlung, als sei er sich bewusst gewesen, dass er viele schlimme Dinge in seinem kurzen Leben getan hatte. Wenig später lag der Junge mit der schuldbewussten Ausstrahlung auf einem meiner Seziertische. Er war noch warm, nicht steif, nur blass. Ein Skalpell in der Hand machte ich mich an die Arbeit. Mal schauen, ob die jungen Männer Informationen hatten, nach denen sich Alexander die Finger lecken könnte. So verging mein Tag. Gegen 16 Uhr hatte ich die drei Jungen einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Sie waren alle erschossen worden. Ihre Organe waren ausgemergelt von den vielen verschiedenen Giften, Drogen, die sich die jungen Männer über Jahre angetan haben mussten. Ich hinterließ Alexander eine Nachricht auf seiner Mailbox - der Earl schien ausgeflogen zu sein - dass er die Tage mal überlegen sollte, ob ein Besuch bei mir nicht förderlich sei. Dann entschied ich mich zu einer kleinen Kunstpause. Ich legte mich in meinen Sarg und schloss ein wenig meine Augen. Ich hatte ein bisschen gedöst, da weckte mich das Knarzen meiner Türe. „Hallo? Ist jemand da?“, hörte ich eine helle, junge Stimme. Sie kratzte und wirkte heiser verzehrt, doch kam sie mir bekannt vor. Ich hörte Schritte durch meinen Laden hallen. „Ähm... Under...?!“, das Knallen der Türe unterbrach die junge Stimme. Einen Moment war Stille, dann hörte ich wieder Schritte. Sie waren leise, doch führten direkt an dem Sarg entlang, in dem ich meine Mittagspause verbringen wollte. Ich öffnete ihn einen Spalt breit und sah einen Teil des schlanken Körpers. Ich erkannte ihn. Definitiv, es war die kleine Skyler. Ich packte ihr Handgelenk und hinderte sie so daran, den Laden wieder zu verlassen. Ich merkte wie die junge Frau aufgrund meiner Berührung einfror. Sie stand einige Minuten da und bewegte sich nicht. Ich konnte ihre Gedanken förmlich rasen hören und verkniff mir das Kichern, welches schon warm in meiner Magengrube gluckerte. Da ich so damit beschäftigt damit war nicht laut los zulachen, überraschte mich der Ruck an meinem Arm. „Lass mich los!“, kreischte das Mädchen. „WA!“, entfloh es mir, als ich aus meinem Sarg polterte. Der Deckel ging krachend zu Boden und ich sah eine Sky, die schrie und ihre weit aufgerissenen Augen standen panisch in dem vor Schreck gebleichten Gesicht, bevor ich endgültig nach vorne kippte und das junge Ding mit mir riss. Einer der Särge stoppte unseren Fall. Ganz fangen konnte ich mich nicht, also lag ich auf den Sarg, unter mir der warme Körper der jungen Frau. Er bewegte sich nicht. Ich spürte ihr wild wummerndes Herz gegen meinen Körper rasen und sie atmete schwer vor Schreck. Vielleicht hatte ich es ein wenig übertrieben, doch dieser Gedanke hielt mich nicht vom Lachen ab: „Ihr habt eine beachtliche Kraft für eine so zierliche Dame, Lady Rosewell. Ahehehehehe!“ Ich stützte mich auf. Mir schauten zwei irritiert blinzelnde, himmelblaue Augen entgegen, die anscheinend noch überlegten, ob sie richtig sahen: „Undertaker!“ „Erraten“, grinste ich: „Was kann ein bescheidener Bestatter für euch tun, Lady Rosewell?“ “Ähm...“, bekam ich aus einem hochroten, schmalen Gesicht zurück. Dem Mädchen schien die Situation reichlich unangenehm zu sein, doch ich hatte noch niemanden erlebt, dem die Schamesröte so ins Gesicht stieg, sobald sie mich ansahen. Auf Ambers Ball war es dasselbe gewesen, nur waren ihre Wangen dort nicht so dunkel geworden. Sicher waren sie wieder so herrlich warm. Dieser Gesichtsausdruck amüsierte und interessierte mich zu gleichen Teilen: „Hihihihi, ja?“ Sie musste sich noch ein paar Augenblicke fangen, dann hob sie ihren Zeigefinger und schob meine Stirn weg. Knuffig. Ich musste erneut lachen. „Was soll das?!“, fragte sie pikiert. Ich zog meine Mundwinkel halbherzig, entgegen meiner inneren Belustigung, nach unten: „Ich hab Mittagspause gemacht und dann kamt ihr.“ „Ähm...“, das Mädchen schaute peinlich berührt nach unten: „Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören... Mister... Undertaker...“ ihre Augen wanderten kurz beschämt zur Seite, dann schaute sie mich wieder an: „Ähm... Aber das gibt euch noch nicht das Recht mich so zu erschrecken!“ Ihre Stimme wirkte so, als wollte sie erbost klingen, schaffte es aber nicht. 'Knuffig', schoss es mir ein weiteres Mal durch den Kopf und ich lachte, als ich mich aufrichtete. Ihr Blick wanderte kurz durch meinen Verkaufsraum und blieb an meiner Garderobe hängen. Eine Erkenntnis blitzte in ihren Augen auf. Ich konnte nicht aufhören zu lachen, als ich das Gesicht der jungen Frau Revue passieren ließ und zeigte mit einem Zeigefinger auf sie: „Ihr hättet euer Gesicht sehen sollen, hehe“, dann öffnete ich die Hand und streckte sie ihr entgegen. Das Mädchen hing, nach hinten überdehnt, entgegen der natürlichen Ausrichtung ihrer Wirbelsäule, auf dem Sarg hinter ihr und sah desillusioniert drein. Mein Grinsen wurden breiter: „Lasst mich euch helfen. So wie ihr da hängt, kann das für den Rücken nicht gesund sein.“ Zögerlich griff sie meine Hand und ich zog sie hoch. Sie kippt nach vorne, konnte sich nicht fangen und drohte hinzufallen. Also hielt ich sie an der rechten Hand und hatte die andere um ihre Taille geschlungen, um sie aufrecht zu halten. Sie blinzelte mich an, mit ihrem entzückenden roten Gesicht. Warum es wohl so rot war? Doch es war auf seine ganz eigene Art und Weise bezaubernd und etwas Warmes kroch in meine Magengegend. Das Grinsen wurde, aufgrund des warmen Gefühls, durch ein Lächeln ersetzt. „Und bitte“, lächelte ich ihr entgegen, als sie immer noch so herrlich perplex schaute: „Undertaker und du, Mylady.“ „O-ok“, stammelte sie und räusperte sich: „Und... und ich bin Sky... und du... auch...“ Ich erkannte, dass ihr Gesicht unter den roten Wangen kränklich weiß wurde und zog eine Augenbraue hoch: „Geht es dir gut?“ Sie schüttelte angestrengt den Kopf, bevor sie sich wegdrehte und angestrengt hustete. Ich spürte wie ihr Gewicht in meinen Armen schwerer wurde, als versagten ihr die Knie ihren Dienst. 'Sie gefällt mir nicht. Sie scheint noch nicht gesund zu sein...', erkannte ich und ließ sie los, um meinen Griff neu zu justieren und sie von den Füßen zu heben. Ich setzte sie auf einen der Särge und tippte ihr auf die Nase: „Nicht weg laufen.“ Mein Weg führte mich in die Küche. Das junge Ding könnte definitiv einen Tee vertragen. Warum war sie hier, wenn sie noch nicht gesundet war? Komisch. Sehr, sehr komisch. Nachdem ich die Teebeutel in zwei Messbecher gehängt hatte, stellte ich sie, meine Zuckerschale, die Urne mit den Keksen und Besteck auf ein Holztablett und ging wieder zurück zu der knuffigen Skyler. Sie saß da, wo ich sie zurückgelassen hatte und schaute auf den Boden. Ihre Finger nestelten an dem Saum ihres Ponchos. „Du hättest erst herkommen sollen, wenn du wieder vollständig hergestellt bist, Sky“, setzte ich mich auf einen Sarg ihr gegenüber, als ich ihr einen Teebecher hinstreckte. Unsere Knie berührten sich fast. Sie nahm den Tee mit einem dankbaren Ausdruck: „Ja... Ich dachte eigentlich es ginge mir wieder gut.“ Ihre helle Stimme kratzte ganz furchtbar. Wie konnte sie denken, sie sei genesen, wenn sie so heiser war? „Ich dachte du wärst nicht hier, wenn du nicht wieder Gesund wärst und dich so erschrecken würdest.“ Sie zog Augen und Augenbrauen zusammen: „Was dachtest du denn sonst was passiert, wenn du sowas machst?“ Ihre Verständnislosigkeit traf mich irgendwie. Dieses Gefühl überraschte mich: „Öhm... Das war eine Standardbegrüßung! Ich denke da eigentlich nicht mehr wirklich drüber nach... Und ja, ein bisschen erschrecken wollte ich dich schon“, ich zog ein breites Lächeln auf und bleckte die Zähne. Amy musste bei diesem Anblick immer lachen und ich wollte mich damit irgendwie bei ihr entschuldigen, sie so erschreckt zu haben. „Oh“, sie hatte wieder diesen rosernen Hauch im Gesicht: „Naja... So schlimm war es auch nicht...“ „Aber dein Gesicht“, obwohl es mir wirklich leid tat sie so erschreckt zu haben, kam ich nicht drum herum zu lachen, als mir ein weiteres Mal ihr Gesicht einfiel: „Hihihi! War zu köstlich! Zum Anbeißen!“ Prompt schaute sie mich mit großen Augen an, als ob sie dachte, ich falle sie gleich tatsächlich an und biss ein Stück aus ihr heraus. Sie schluckte ihren Tee, doch ihre Augen blinzelten mich an und ich sah, dass sie vor Schreck aufgehört hatte zu atmen: „Bildlich gesprochen.“ Sie atmete wieder durch, schaute aber immer noch etwas perplex. Herrlich! Ich warf mir Zucker in den Tee und grinste, als ich eine Schluck nahm: „Geht es denn?“ „Äh...“, stammelte sie wieder, irgendwie unbeholfen: „Ja, es geht schon.“ „Du bist so rot im Gesicht“, ich erinnerte mich unwillkürlich an ihr verschwitztes fiebriges Gesicht. Vielleicht hatte sie immer noch Temperatur. Prüfend legte ich meine Hand auf ihre Stirn: „Du hast doch kein Fieber, oder?“ Nach einem irritierten Moment zog sie ihren Kopf zurück: „Ich... ich glaube nicht!“ Doch ihr Gesicht ist wieder ein Stück dunkler geworden. Mein Lächeln wurde kleiner, als meine Sorge ums Skys Gesundheit größer wurde und ich die Hand sinken ließ: „Du gefällst mir gar nicht, Sky. Sag: Was möchtest du von mir, was nicht auf deine Genesung warten konnte?“ Sie umklammerte ihren Messbecher und schaute wieder auf den Boden: „Ich... wollte mich bedanken...“ „Wofür?“, fragte ich verwundert. Fürs Erschrecken sicherlich nicht. Ihre blauen Augen richteten sich wieder in mein Gesicht und hielten meinem Blick fest und bestimmt stand. Dieser überzeugte Ausdruck war atemberaubend! „Du hast mir das Leben gerettet!“, sprach die junge Frau überzeugt. Ich wedelte mit einer Hand: „Ach das. Nicht der Rede wert.“ „Bitte?! Ich wäre einer deiner Kunden, ohne dich!“ „Es war einfach noch nicht dein Tag.“ „Aber das macht es doch nicht weniger... ritterlich!“ Ich musste furchtbar anfangen zu lachen: „Ahehehehe! Ritterlich? Würdest du mich so beschreiben?“ 'Junges Ding, du hast keine Ahnung mit wem du sprichst', dachte ich für mich, als ich sie breit grinsend und erwartungsvoll anschaute. „Naja...“, machte sie und schien irgendwie in ihren Gedanken durcheinander. „Die Leute nennen mich verrückt. Sonderbar. Ein armer, armer Irrer, der die Gesellschaft der Toten denen der Lebenden vorzieht und dadurch den Verstand verloren hat. Als ritterlich hat mich wohl noch niemand bezeichnet. Ahehehehehe!“ „Das ist mir doch egal!“, wurde das Mädchen laut. Ich musste unter meinem Pony schon ein wenig erstaunt blinzeln, ungewahr dessen, dass eins meiner Augen sichtbar war. Doch sie schien es nicht zu bemerken: „Was schert es mich denn, was die anderen über dich denken? Ich hab meinen eigenen Kopf und kann mir ein eigenes Bild von Leuten machen. Auch von dir!“ „Du hast sehr viel Charakter Sky. Sag: Findest du mich denn gar nicht sonderbar?“ „Doch schon...“, pflichtete sie bei, schaute erst weg, doch dann wieder zurück zu mir: „Aber das muss ja nicht schlecht sein! Oder aussagen, du seiest ein schlechter Mensch...“ Ich legte einen Zeigefinger an die Lippen: „Was für ein Bild hast du von mir?“ Das interessierte mich dann doch brennend. Ritterlich. Irgendetwas hatte dieses Wort aus ihrem Mund in mir ausgelöst, ich konnte nur nicht sagen was. Etwas nicht zu verstehen ist ärgerlich, mich selbst nicht zu verstehen ist nervig und vielleicht bringen ja weitere Erklärungen Licht in das Dunkel. Außerdem war ihr Betragen so herrlich überfordert. Sie wirkte irgendwie schüchtern und beschämt. So jung und süß. „Üff... ääähm... Ich kenne dich nicht wirklich gut und...“, versuchte sie sich herauszureden. Doch so einfach wollte ich es ihr nicht machen:„Du hattest jetzt zumindest schon einen ersten, zweiten und dritten Eindruck.“ Ihr kränkliches Bleich wurde komplett von dem roten Schein eingenommen. Wäre es dunkler gewesen, ich fragte mich ob ihr Gesicht leuchten würde. In ihren Augen schien eine weitere Erkenntnis, die sie unangenehm getroffen zu haben scheint. Warum? Ich konnte es mir vorstellen und es belustigte mich umso mehr: „Gut. Machen wir einen Deal: Du sagst mir was du von mir denkst und dafür ... hmmm?“, ich wog den Kopf überlegend hin und her, als ich die Beine überschlug: „Hast du eine Wunsch bei mir frei! Was sagst du?“ Ich kicherte, als sie mich ein weiteres Mal perplex anschaute: „Nicht gut?“ Ihre Verwirrung blieb und ihre Worte schienen sie verlassen zu haben: „Zunge verschluckt?“ „Äh... Also... Ich wüsste nicht genau... Ich weiß nicht...“ Ich musste wieder lachte: „Du bist schüchtern, hm?“ Ich lugte ihr ins Gesicht, als sie weitere Minuten stumm blieb, um ihre Mimik genauer zu erkennen. Das Rot unterstrich ihren beschämten Ausdruck, der so wirkte als wüsste sie nicht, ob sie sich wohl oder unwohl fühlte. Ihre Zerrissenheit weckte weiteres Interesse in mir: Der Schreck vom Anfang: Normal, oft gesehen, bei so vielen doch immer wieder amüsant. Doch dass Menschen begannen, sich hier irgendwie wohl zu fühlen, das war neu: „Komm schon, hehe, ich bin neugierig! Es ist doch eine so kleine Bitte, für einen so großen Preis, oder?“ Sie legte überlegend den Kopf schief: „Großer Preis? Was könnte ich mir denn von dir wünschen?“ Ich zog meinem Kopf zurück, lachend. Das junge Ding hatte ja keine Ahnung. Doch ich musste grinsen, irgendwie aufgeregt, was sie sich von mir wünschen wollen würde: „Alles! Wunsch ist Wunsch. Bitte mich darum und ich tue es, aber nur wenn du jetzt sprichst.“ Sie kicherte und ich sah wie sich ihr schmaler, schöner Mund verzog. Zu einem ehrlichen Lächeln. Mir wurden die Augen weit, aufgrund dieses Anblicks und etwas in meinem Magen begann wie eine Kerze im Wind zu flackern und das erste Mal in meinem Leben... wusste ich nicht was ich dachte. Doch dann legte sie die Hand über dieses Lächeln. Über dieses kristallklare Lächeln! „Na, na, na! Nicht verstecken!“, nahm ich hastig ihre Hand von dem Gesicht. Seit dem Ball wollte ich einen Blick auf ihr ehrliches Lächeln erhaschen und nun wo ich davon kosten durfte, wollte ich mehr davon sehen. Doch sie blinzelte mich nur noch irritiert an, das Lächeln und das helle Kichern waren verschwunden: „Noa! Ich hab's verpasst!“ „Was?“ „Dein Lächeln“, grinste ich, um meine Enttäuschung zu kaschieren. „Mein...“, begann sie und schaute mir in die Augen. Dann schwieg sie. Ihr Blick huschte durch meine Augen. Ein paar Minuten schaute sie mich nur an und schien alles erfassen zu wollen, was in meinen Augen lag. Was lag darin? Vielleicht würde sie es mir irgendwann erzählen. „Öhm...“, machte sie und schaute weg. Ein weiteres Mal musste ich über ihr beschämtes Verhalten lachen: „Keine falsche Scham. Du hast den Blick einer Künstlerin, Sky. Ich finde es beeindruckend, wie du jedes Detail erfassen musst.“ Sie blinzelte mich an: „Woher..?“ „Naja... Ich sehe mit meinen Augen wie alle anderen auch, Ahehehehehe!“ Dann zog sie ihre Mundwinkel hoch, zu einem grässlich falschen Lächeln: „Es tut mir leid, aber außergewöhnliche Farben haben was fesselndes für mich.“ Noch nie hat mir ein Ausdruck in einem schönen Gesicht so widerstrebt. Er war scharf wie eine Glasscherbe, spitz wie ein Eispickel und falsch. So falsch, dass mir kein Vergleich einfiel. Ich lehnte mich nach hinten und verschränkte Arme und Beine, als ich sah wie dieses furchtbare Lächeln zur Seite kippte. „Hab ich etwas... falsch gemacht?“, schien das Mädchen nicht zu verstehen, was mir nicht gefiel. Dachte sie, es sieht normal aus? Natürlich? Oder amüsiert?: 'Weit gefehlt, liebe Sky.' Ich zeigte mit einem Zeigefinger auf sie: „Dieser scharfe Ausdruck. Da fangen ja Babys an zu weinen.“ Das Lächeln verschwand und ihr Mund blieb ein Stück offen stehen und ein Schmerz erschien urplötzlich in ihren Augen. Dieser Schmerz schickte auch ein ziehendes Surren durch meinen Geist. Das hatte ich nicht gewollt. Noch nie hatte jemand so auf meine, oft zu direkte, Ehrlichkeit reagiert. Wut, Empörung, ja, alles schon gesehen, aber Verletztheit? Es kam selten vor, aber aufgrund dieses Blickes fühlte ich mich unsagbar schlecht. Jetzt war ich derjenige, der verwirrt war. Ich streckte die Hand aus und drehte ihr Gesicht zu mir: „Was hast du?“ Sie schlug ihre herrlichen blauen Augen nieder und mied meinen Blick: „Ach nichts.“ Das war so offensichtlich gelogen, ich konnte es kaum fassen. Doch wirkte es nicht so, als habe sie mich aus schlechter Absicht angelogen hatte, eher als hätte sie durch irgendwas in ihr drin keine andere Möglichkeit. Ich hob ihren Kopf noch ein Stück und legte meine Stirn auf ihre. Das Mädchen wirkte so verloren, so alleine und so verletzlich. So unendlich zerbrechlich und ihre Augen waren immer so... unterschwellig trübe traurig. „Ich mag keine Lügen“, sprach ich ruhig und musterte ihre Augen gründlich: „Belüge mich nie wieder, ok?“ „O... ok...“, flüsterte sie heiser. Ich lachte und grinste, versuchte so die Atmosphäre etwas aufzulockern, lehnte mich wieder zurück und trank meinen Tee: „Gut. Was ist nun? Deal, oder nicht?“, wollte ich das Thema wechseln. „Was...“, sie schien erst nicht zu wissen, worauf ich mich bezog: „Ach so, ja... Das... Warum nicht. Wenn du unbedingt möchtest. Vorausgesetzt, ich darf mir meinen Wunsch aufheben.“ Ich lachte triumphierend: „Ahihihihi! Natürlich. Solange du willst.“ Sie lachte kurz mit und musterte dann denkend die Decke: „Also... ähm... Ich denke du bist... Ein ziemlicher Spinner, aber... die positive Variante davon.“ „Hihi. Der erste Teil ist bekannt, der Zweite neu.“ „Ehrlich?“ „Jup.“ „Des Weiteren“, sie kratzte sich an der Wange: „Glaube ich, dass du mit dir, deiner Welt und deiner Art zu leben vollkommen unbeirrbar und glücklich bist. Das ist schon ein bisschen beeindruckend.“ Mein Grinsen wurde breiter: 'Beeindruckend, ritterlich. Du hast wirklich keine Ahnung.' Sie kicherte wieder. Es war kurz, doch wieder so schön und ehrlich. Fast berauschend. „Und du bist gruselig!“, lachte sie: „Furchtbar, furchtbar gruselig! Absichtlich! Das ist furchtbar gemein! Du hast Spaß an den doofen Gesichtern, kann das sein?“ Ich warf meinen Kopf nach hinten und fing zu lachen. Skyler lachte tatsächlich mit. Sie hatte ein wunderbares Lachen, auch wenn es heiser war, aufgrund ihres, ich tippte, entzündeten Halses. Wir schauten uns immer wieder an, doch sie oder ich mussten beim Blick in das Gesicht des Anderen wieder anfangen zu lachen und steckten den Anderen wieder an. Sky japste und war sichtlich außer Atem. Es wirkte irgendwie, als sei sie beim Lachen aus der Übung. Wie geht das? Warum? Das ist doch tragisch. Ich lachte noch immer ein wenig: „So offensichtlich?“ „Oh ja“, antworte sie immer noch etwas atemlos: „Du bist total... Gruselwusel!“ Ich stockte. 'Gruselwusel?', dachte ich kurz: 'Ich bin Gruselwusel? Also gruselig und wuselig? Was ist das denn für ein Wort?!' Das Lachen platzte förmlich aus meinen angespannten Lippen und krachte durch meinen kleinen, heißgeliebten Laden: „Gruselwusel! Pahahahahaha! Ahehehehehehe! Ihihihihihihihihi! Was ein Wort! Ahahahahaha!“, ich schlang meine Arme um den Bauch, der unter meinem heftigen Lachen zu schmerzen begann und sich verspannte, fiel rücklings auf den Sarg. Ich hörte Sky kichern, dann lachen, doch ich konnte aufgrund der Lachtränen in meinen Augen nichts sehen. Meine Beine wackelten, damit ich die positive Spannung in meinem Körper irgendwie kompensieren konnte. „Puhuhuhuhu“, lag ich auf meinen Sarg und atmete durch. Ich war fast erstickt und mir war schwindelig, von dem leichten Sauerstoffmangel, der meinen ungezügelten Lachen geschuldet war. „Und du bist ein begnadeter Handwerker“, sprach Sky irgendwann ehrfürchtig und mein Kopf zuckte zu ihr. Sie räusperte sich: „Diese Särge sind wunderbar.“ Ich stand auf, grinsend: „Gefällt dir meine Arbeit?“ Sky nickte mir zu: „Ja, die sind wirklich schön.“ „Welcher gefällt dir am besten?“ Sie musterte meinen Laden, wieder mit dem Blick einer Künstlerin auf der Suche nach Perfektion. „Der!“, zeigte sie auf eins meiner neusten Modelle. „Vorzüglich, so etwas Ähnliches hatte ich mir für dich auch vorgestellt. Ein Kuppeltruhensarg. Amerikanischer Stil, mit gespaltenem Deckel. Schlicht wie schick“, ich streckte ihr die Hand hin, irgendwie geschmeichelt, dass dieser Blick etwas fand, was ihm zusagte. Sie beschaute kurz meine Hand und legte dann ihre hinein. Sie war so herrlich warm. Anders warm, als die der anderen Hände die ich je gegriffen hatte. Sachte zog ich sie auf die Füße und führte sie durch den Laden. Ich drehte sie, ich drehte mich und das Mädchen begann zu kichern und zu lachen. So hell, so herrlich. Ich musste mitmachen. Ich öffnete den Sarg: „Noileseide.“ Dann merkte ich, dass das junge Ding zitterte und ihren Becher ganz komisch umkrampfte. Nicht gut. Gar nicht gut. Die Kleine war alles andere als gesund. Wehmut lag schwer auf meinem Herz: 'Warum ist sie denn so kränklich hier her gekommen?' Sie beschaute trotz allem den Sarg fast ehrfürchtig: „Wow... Der Schneider muss ein Meister sein.“ „Danke, danke“, lachte ich. „Du machst alles? Innen, wie außen?“ Ich nickte grinsend: „Exakt. 100 % Handarbeit. Keine Maschinen, kein Schnick Schnack. Nur meine Hände, Holz, Lack und Stoff. Gut, ein paar Werkzeuge hab ich schon. Mit den Fingernägeln geht schnitzen und sägen so schlecht. Hihihi.“ Sie lächelte. So herrlich! „Der ist wirklich schön. Sind sie alle so aufwendig?“, fragte sie mit gebanntem Blick. Ich kicherte: „Für meine Gäste nur das Beste.“ Sie lächelte weiter: „Deine Passion für den Job ist wirklich unbeschreiblich.“ „Genau wie deine fürs Zeichnen“, lächelte ich zurück und fuhr mir durch die Haare um meinen Pony zu verbannen, der mir den Blick auf dieses engelsgleiche Lächeln verschleierte. Sie musterte mein Gesicht wieder mit diesem Blick. Ich mochte ihn bis ins Letzte. Sie erfasste jedes Detail, dessen war ich mir sicher. Ich fragte mich was sie darüber dachte. Ich wusste, dass - zum Beispiel Grell - von meinem Gesicht begeistert war, aber bitte... das hatte nur sehr wenig Aussagekraft. Ich öffnete den zweiten Teil des Deckels und nickte zu dem Sarg. Sie musterte mich mit großen Augen: „Ich soll...“ Ich nahm ihr lachend den Tee ab und stellte ihn zur Seite: „Hüpf rein.“ „Ehrlich?“ „Ja.“ „Wirklich?“ „Jaha.“ „Bist du sicher?“ Ich hob eine Augenbraue: 'Nuschle ich? Nein. Oh! Sie ist wirklich schüchtern, hihi!' „Ich meine ich hab Schuhe an, dann wird der Stoff doch ganz... AH!“ Ich beendete das Geplänkel, indem ich sie hoch hob: „Hey!“ Ich lächelte sie von oben an und wollte ihr das Gefühl geben, dass sie sich nicht schämen brauchte, nicht schüchtern sein musste: „Wenn ich ja sage, kannst du mir das glauben, ok?“ Die Röte kehrte auf ihre Wangen zurück: „Ok...“ Dann legte ich sie behutsam in den Sarg. Ich hatte immer das Gefühl ich könnte sie zerbrechen, wenn ich sie zu grob behandelte. Wie letztens in der Villa. Ich griff ihren Poncho, den sie die ganze Zeit nicht ausgezogen hatte: „Der wird nur stören.“ „Was?!“ Ich zog und hatte dann ihren Poncho in der Hand. Ihr dünner Körper war so schön und perfekt proportioniert. Ich habe schon viele schöne Frauen gesehen, aber sie? Sie war schöner, als all jene. „Was machst...“, wollte sie fragen, doch ich stoppte sie mit meinem Zeigefinger und schob sie in die Polster: „Nicht sprechen. Genießen.“ „Aber!“, fing sie wieder an, doch ich schloss einfach den Sarg und klickte die Verriegelung zu. Dann musste ich lachen, in Erinnerung an die letzte halbe Stunde. Ich band mir die Haare zurück, als ich mich damit befasste meine neuen Gäste einzubalsamieren. Ich hob ihr Blut auf und hing sie in einen Kühlschrank. Ich musste noch herausfinden, was genau die Jungen ihren Körpern alles zugemutet hatten. DONG!: „AUA!“ Mein Kopf zuckte herum und ich löschte das Licht im hinteren Teil des Ladens. Sky muss aufgewacht sein und sich dem Kopf am Sargdeckel gestoßen haben. Ich lachte: 'Was für ein verwirrtes, kleines Ding.' Es klickte und knarzte leise, als ich den Deckel entriegelte und aufklappte. Sky blinzelte mir verwirrt entgegen, hielt sich die Stirn. Sie muss mit Schwung gegen den Deckel gedonnert sein: „Nicht so stürmisch.“ „Es tut mir leid!“, rief sie mir entgegen. „Was? Dass du Eingeschlafen bist oder dass du dir selber eine Gehirnerschütterung verpasst hast?“ „Ähhhmmm... Ersteres“, machte sie kaum hörbar. Sie war wirklich noch hemmungslos erkältet. Ich lachte: „Das muss dir doch nicht leid tun. Es war schließlich Berechnung.“ „Bitte?“ „Denkst du ich merke nicht, dass es dir nicht gut geht? Du wirktest so, als müsstest du dich ein wenig hinlegen und sehe da: Ich hatte recht.“ Sie wurde wieder rot. „Geht es dir besser?“, lächelte ich sie an, ihr vermittelnd, dass sie sich wirklich nicht schämen musste. Irgendwie funktionierte es wohl nicht so ganz, denn sie schwieg. Ich legte den Kopf schief: „Gibt es einen Grund, dass du mir manchmal einfach nicht antwortest? Hab ich irgendwas gemacht?“ „Oh nein, nein!“ „Was ist es dann?“, lächelte ich. „Öhmmm... Manchmal... Sind deine Fragen sehr unerwartet!“ „Ahehehehehe! Ehrlich? Die Frage ob es dir besser geht ist unerwartet?“ „Ähm... ja“, machte sie. Dann wurde ihr Blick schlagartig so unsagbar traurig. So unsagbar, unsagbar traurig, dass mein Herz im Takt stockte: „Ich werde nicht oft gefragt, ob es mir gut oder besser geht...“ „Wieso?“, fragte ich. „Weil... Es eigentlich nur einen Menschen gibt, der sich für mich interessiert...“ „Tatsächlich? Wieso?“, ich verstand das nicht. Was war mit ihren Eltern? Ihrer Familie? Mit Freunden? Das Mädchen war so schön, sie war so herzallerliebst, warum sollte sie so alleine sein? Sie seufzte und starrte an die Decke: „Weil... alle anderen weg sind... Nein... es gab einfach nie jemand anderen“, sie flüsterte so leise. In ihren Augen stand so viel. Und nichts davon schien schön zu sein oder erfreulich. So viel Leid hätte ich hinter dem trüben Schleier nicht erwartet. Mir wurde schlagartig klar, woher dieses scharfe Lächeln kam. Diese Unfähigkeit zu reden. Diese Überforderung. „Und dieser eine Mensch ist...“ „Amy“, unterbrach sie mich. Ich legte ihr die Hand an die Wange und drehte ihr Gesicht zu mir. Ich wollte diese Traurigkeit vertreiben. So unbedingt: „Dann gibt es jetzt zwei.“ Sie wirkte fast erschrocken fassungslos: „Wie soll ich das verstehen?“ „Nun“, lächelte ich sie an, in der Hoffnung es würde sie aufheitern. Sie lächelte doch so schön: „Weil ich mich für dich interessiere.“ Es wirkte so als sei sie mit sich selbst im Zwist, aufgrund meiner Worte. „Du kannst es mir glauben. Ich hasse Lügen, deswegen lüge ich nie. Lügen sind etwas Furchtbares. Sie machen schöne Dinge, wie dich, so unsagbar traurig und schlagen sie in Stücke. Es ist ein Sakrileg schöne Kristalle so mutwillig zu zerstören. Für nichts und wieder nichts.“ Sie verzog ihr Gesicht und wollte wegschauen, doch das ließ ich nicht zu. Als sie ihre Augenlider zusammenpresste kullerte eine Träne über ihre Wange und in mir walte etwas auf: Bestürztheit, Trauer. Ich wollte nicht, dass sie weinte, es... schmerzte mir. Das verwirrte mich. Dieses Mädchen hatte mich gefangen, mit ihrer ganz eigenen Art: „Was muss ich tun, damit du mir glaubst, meine Liebe?“ „Ich... Ich weiß nicht...“ Ich lächelte weiter, wollte sie ablenken: „Mir fällt schon etwas ein.“ Sie lächelte wieder so furchtbar falsch. Ich seufzte darauf hin: „Und dann lächelst du wieder ehrlich.“ Ich nahm meine Hand von ihrer Wange und klappte den letzten Teil des Deckels auf. Dann hielt ich ihr die Hand hin. Sie griff sie mit einem komischen Ausdruck. Dann zog ich sie in meine Arme. Hielt sie fest. Ich wollte sie trösten, wollte, dass es ihr wieder besser ging: „Das ist übrigens ein Versprechen“ Dann kicherte ich, weil es mein Naturell war: „Und eine Drohung ist es auch, hehe.“ „Drohung?“ „Naja. Da ich mich für dich interessiere, heißt du wirst mich so schnell auch nicht wieder los, hehe. Für die Meisten... ist das eine Drohung.“ Sie versteckte ihr Gesicht in meiner Schulter. Ich wollte sie halten, so lange sie brauchte. Ich war mir so sicher, dass sie es verdient hatte und es war so tragisch, dass es wohl niemand tat. „Antwortest du mir jetzt, wenn ich dich frage ob es dir besser geht?“, fragte ich irgendwann. Ich merkte an meiner Schulter, dass sie nickte. Ich lachte leise: „Sicher?“ „Ja“, sprach sie in meine Schulter: „Es tut mir leid.“ „Was?“, ich war ein wenig irritiert. Sie hatte nun wirklich nichts getan was einer Entschuldigung bedürfe. „Das ich so furchtbar peinlich bin...“ Ich musste kichern. Sie war doch noch so jung. Sie seufzte leise und ich legte meine Hände auf ihre Schultern und schob sie ein Stück weg, um ihr ins Gesicht zu schauen. Wenn sie so schüchtern ist, wollte ich nicht, dass ihr meine Umarmung noch unangenehm wurde. Sie sollte sich dadurch schließlich besser fühlen: „Irgendwann erzählst du sie mir.“ Sie blinzelte: „Was?“ „Deine Geschichte.“ „Die ist furchtbar langweilig...“ Das glaubte ich nun wirklich nicht. Ich wollte sie kennen, jedes Detail: „Ich glaube nicht und selbst wenn, lass es meine Sorge sein. Wer fragt, muss auch den Schaden tragen“ „So kann man es auch sehen.“ Ich schaute aus einem Fenster: „Hmm... Die Sonne ist untergegangen.“ So wie ich die Colleges in Erinnerung hatte, musste das junge Ding bald gehen, sonst würde sie 'Y's bekommen und müsste lateinische Gedichte übersetzen. Ihre Augen weiteten sich geschockt und ihr Kopf flog zum Fenster: „Was?! Oh nö. Nein, nein, nein... Ich komm zu spät!“ Sky versuchte aus dem Sarg zu kommen, doch sie war wohl noch ein wenig zu schwächlich um sich aus der hohen Kiste zu befreien. Ich hob sie aus dem Sarg und stellte sie hin: „Kannst du stehen?“ Sky nickte: „Ja, geht schon.“ Sie stand etwas wackelig und ich schaute auf meine alte Taschenuhr: „Viertel nach neun.“ Sie schlug die Hände vors Gesicht: „Nein! Ich brauchte hier hin über eine Stunde und ich kenne den Weg nicht gut. Ich komme nie pünktlich zur Sperrstunde... Mach den Sarg bereit, ich bin tot...“ Ich musste lachen und sie spreizte die Finger, um mich durch sie anzuschauen: „Das ist nicht lustig!“ „Oh doch! Ist es!“ Sky ließ die Arme fallen: „Ms. Lowell macht Dessert aus mir... Du hast ja keine Ahnung wie streng diese Schulen sind.“ „Oh doch habe ich, hehe. Und Dessert ist was Tolles. Fu fu fu!“, kicherte ich und zog meinen Mantel über und mein Tuch. Sie kämme wirklich nicht mehr pünktlich und zu Fuß war diese Gegend viel zu gefährlich. Abgesehen von einem Claude, der sich unsichtbar machen konnte, gab es noch etliche andere Arschlöcher, die hier in der Nähe herumlungerten. Gott sei Dank trauten sie sich nicht an meinen Laden. Sie schaute mich ungläubig an: „Äh ja... Du warst auf dem Weston College?“ Ich wog meinen Kopf hin und her. Konnte man das so nennen? Ich war schließlich mal kurz Headmaster gewesen und kannte diese strengen Regeln. Sie waren fast so langweilig wie die der Reaper: „Im übertragenen Sinne, hehe.“ „Wie im übertragenden Sinne?“ „Ich war nicht lange dort, aber ich habe einen ganz guten Eindruck bekommen. Nicht mein Fall, nicht mein Fall.“ Ich gab ihr ihren Poncho und sie zog ihn um ihren schönen, schlanke Leib: „Welches Haus?“, fragte sie neugierig. „Gar keins“, lachte ich in dem Wissen, dass sie das wieder verwirren würde. Aber ihr verwirrter Blick war so köstlich. „Wie?“ „Mein Aufenthalt“, ich überlegte wie ich es verpacke und die 'Bizarre Dolls', sowie Ciel und Sebastian auslassen konnte: „War nicht ganz normal und ist furchtbar lange her.“ Sie schaute mich an, als wollte sie weiter fragen, doch sie war nervös aufgrund der Zeit: „Naja ich... Ich muss los! Danke und Entschuldigung und... Vergiss am besten einfach, dass ich da war...“ “Da kommst du nicht raus.“ “ Oh...“, machte sie als sie realisierte, dass die Tür abgeschlossen war. Ich wollte meine Ruhe haben, während ich mich um die drei Jungen gekümmert hatte und hatte deswegen meinen Laden geschlossen: „Ich habe schon geschlossen, hehe.“ Ich zog mir das Haargummi aus den Haaren und kramte meine Schlüssel aus der Tasche: „Du denkst doch nicht wirklich, ich lasse ein hübsches junges Ding, wie dich, im dunklen durch diese Gassen schleichen, auf das der nächste Vollidiot es irgendwo hin verschleppt? Des Weiteren bist du mir viel zu kränklich, um alleine irgendwo hin zugehen.“ Ich nickte zu dem Torbogen, der in den Sezierraum führte und in dem die Tür zum Hinterhof lag. „Was... soll das heißen?“ Ich giggelte wieder und hob dabei eine Hand vor dem Mund: „Na was wohl? Ich fahre dich. Anders kommst du eh nicht mehr pünktlich.“ Ihr Kiefer klappte auf: „Bitte?“ „Jetzt komm. Oder ich muss Verkehrsregeln brechen, um dich vor der Wut deiner Lehrerin zu bewahren“, ging ich ohne weiter Zeit zu verlieren in den dunklen Raum Es polterte und schepperte hinter mir: „Au, oh Mist...!“ Natürlich. Ich konnte mich in der Dunkelheit wunderbar orientieren, da ich auch bei Licht nie gut sah, doch die kleine Sky wusste nicht, wo in diesem Raum die Tische standen. Dumm gelaufen, aber amüsant: „Ahehehehe! Du hast eine arg selbstzerstörerische Ader, kann das sein?“ „Nein“, seufzte sie: „Nur schlechtes Karma...“ „Dann sollten du und dein Karma aufpassen, hier stehen drei Tische. Ich glaube du hast gerade den Ersten davon gefunden.“ „Tische?“ „Ja, Seziertische.“ „Sezier...tische...oh“, sie klang nicht begeistert, als sie realisierte wo sie gelandet war. Sie musterte den Raum mit einer Mischung aus Grauen und Interesse, als ich die Türe geöffnet hatte und meine einsame Hinterhoflaterne den Raum ein Stück weit erleuchtete. Ich langte in den Sicherungskasten und löste die Sicherung für den Vorraum. Das Licht ging aus. Nachdem wir das Gebäude verlassen hatten, schloss ich die Hintertüre ab. „Komm“, lachte ich, als ich zu meinen Auto ging: „Ahehehe, du darfst auch vorne mitfahren.“ „Wie nett von dir“, folgte sie mir. Ich hielt ihr die Autotür auf. Mit einem erschöpften Lächeln stieg sie ein: „Danke.“ „Nicht doch“, schloss ich die Türe und stieg selber ein. Nachdem ich mir die Haare aus dem Gesicht gewischt und meine Brille aufgezogen hatte, steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss und lugte zu Sky. Sie schien zu frieren. Ihr Atem bildete weise Wölkchen. Ein leises Lachen entfuhr mir und ich knöpfte meinen Mantel wieder auf. „Was machst du?“ „Du frierst.“ „Öhm ja... ein bisschen..“ Dann warf ich ihr den Mantel über. Sie musste nicht noch kränker werden. Ihre Lippen kräuselte sich leicht: „Danke.“ „Nicht dafür“, ließ ich den Motor an und wollte mich zum Ausparken umdrehen. „Warte!“, schalte es neben mir. Ich schaute sie fragend an: „Hm?“ „Du bist nicht angeschnallt!“ Ich musste anfangen zu lachen. Das vergaß ich ständig! Ich legte meinen Kopf an das Lenkrad, weil ich mich zum Lachen im Auto nicht mehr krümmen konnte. Dann merkte ich zwei Hände, die mich in den Sitz zurück bogen. Ich kicherte noch, als sich die junge Skyler über mich beugte und umständlich nach meinem Gurt fischte. Sie erhaschte ihn schließlich und drehte ihr Gesicht zu meinem. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast. Dann seufzte sie komisch: „Du bist furchtbar.“ „Höre ich öfter“, kicherte ich und sie stieg mit ein. Dann schnallte sich mich an und wackelte mit ihren Oberkörper, als sie mir einen provokanten und irgendwie schelmischen Blick zu warf. Ich lachte um zu überspielen, wie sehr er mich antat: „Gefällt mir.“ Dann fuhr ich vom Hinterhof. „Was?“ „Hihi, dieser Blick.“ „Oooookay...“, drehte sie ihren Kopf zum Fenster um meinem Blick zu entfliehen. Wir rollten über die Straße. Ich fuhr knapp über der Geschwindigkeitsbegrenzung, weil die Zeit doch ein wenig knapp war, doch ich kannte den ein oder anderen Schleichweg. Des Weiteren beunruhigte mich die flotte Geschwindigkeit nicht weiter. Ich konnte zu Fuß schneller sein, wenn ich wollte, doch Autos waren schon wirklich praktisch und mein kleines Vehikel fand ich todschick. Ich war Ron dankbar dafür, dass er es mir so gut in Schuss hielt, genau wie meine Kühlzellen und alles andere in meinem Haus, was irgendwie technisch war. Hinter die Feinheiten dieser Apparate werde ich in meinem Leben nicht mehr steigen. Zumindest nicht, wenn ich nicht gezwungen war. Ich war natürlich neugierig darauf gewesen und Ron probierte mir das ein oder andere zu erklären, aber das war alles soooooo kompliziert. Ich hatte schnell das Interesse daran verloren. Den Ellbogen auf die kleine Lehne an der Autotür gestützt und ein Lächeln auf dem Gesicht, stützte ich meine Wange auf eine Hand. Ich begann in meinem Kopf eine Melodie vor mich hin zu summen, als ich Skys Blick auf mir bemerkte. Ich sah sie nicht an, aber ich hatte Sensoren für neugierige Blicke: „Hehe. Woran denkst du?“ „Wa...?“, begann sie irritiert. „Wenn man wie ich, so fast blind, durch die Welt tapst, hat man so seine Tricks. Sagen wir einfach: Ich merke es sofort, wenn mich jemand anstarrt“, kicherte ich „Ich starre nicht...“, sagte sie ein wenig beleidigt und wandte den Blick ab. „Hehehehe!“ Sie zog eine Schnute, als ihr Kopf sich wieder zu mir drehte: „Warum lachst du eigentlich immer?“ Eine Rote Ampel stoppte uns und ich schaute sie an, ohne das Gesicht aus der Hand zu nehmen. Mit einer erhobenen Augenbraue forderte sie eine Erklärung ein. „Hehehehe. How sad would it be, should laughter disappear?“ Ihr erschrockenes Gesicht entlockte mir ein weiteres Lachen, als die Ampel wieder grün wurde und ich aufs Gas trat und den Gang wechselte. Ich wandte mein Gesicht wieder zur Straße. Sky wirkte überfordert mit ihren eigenen Gedanken. „Tehehehehehe! Doch ich war's“, lachte ich darauf hin um sie von dem Rätselraten zu erlösen. „Aber... wie?!“ „Ich bin flink und leise, wenn ich will.“ Sky sank in sich zusammen und verschwand fast komplett in meinem langen Mantel. Sie wirkte so vollkommen von Scham ergriffen, dass ich ihren Anblick nur ein weiteres Mal als knuffig betiteln konnte: „Was versuchst du denn da?“ Sie klimperte gestresst mit den Augen: „Nichts...“ „Aha? Hehehehe“, setzte ich den Blinker beiläufig mit dem kleinen Finger und fuhr auf den kleinen Platz vorm Campustor. „Sag Bescheid, wenn du fertig bist.“ Sky verblieb in ihrer zusammengekauerten Pose: „Fertig...“ „Fu fu fu fu...“, meine Lippen zitterten, als ich das Mädchen ausnahmsweise mal nicht ungeniert auslachen wollte, doch sie zog eine Augenbraue hoch. Daraufhin konnte ich mein Lachen nicht mehr halten. Als ich mit Lachen fertig war, schob ich meine Brille hoch, um mir die Tränen aus den Augen zu wischen. Dann lächelte ich sie an, als ich ohne Vorwahrung ein weiteres Mal das Thema wechselte: „Ist es fertig?“ „Was?“ „Das Bild.“ Sie blinzelte mich schweigend an. Aus den Erfahrungen des heutigen Tages war ich mir fast sicher, sie war wieder rot geworden, doch ich konnte es durch den Mantel nicht sehen: „Es ist wieder so weit, haha!“ In ihren Augen sah ich, dass sie die Anspielung verstand, als sie ihr Gesicht aus dem Mantel befreite: „Ja... ist es.“ Sie war tatsächlich rot geworden. Ich musste giggeln: Das Mädchen war teilweise so leicht und dann wieder fast gar nicht zu lesen. Ich nahm mir fest vor, noch hinter all ihre Geheimnisse zu kommen: „Oh! Du musst es mir unbedingt zeigen!“ „Was?!“ „Na, ich will es sehen! Es sah halbfertig schon gut aus. Ich will wissen wie es fertig aussieht!“ „Ähm...“ „Darf ich nicht?“, zog ich gespielt einen Schmollmund. „Doch! Klar... Ich zeig's dir... irgendwann...“ „Hehe. Ich freue mich drauf“, dann zeigte ich an ihr vorbei aus dem Fenster: „Wir sind übrigens da und du hast noch 10 Minuten.“ Sie folgte meinem Finger und schien erst jetzt zu erkennen, dass wir angekommen waren: „Oh! Danke, dass du mich hergefahren hast“, lächelte sie wieder so gequält künstlich. Ich schüttelte den Kopf um zum Ausdruck zu bringen, wie sehr mir das Lächeln missfiel. Wenn sie nichts zum Lächeln hatte, warum ließ sie es nicht einfach? Ich tippte sie wollte mir damit einen Gefallen tun und ich musste lachen, als ich ihr nicht sagte, dass sie irrte: „Keine Ursache.“ Sie hielt mir meinen Mantel hin, doch ich warf ihn ihr über die Schultern: „Nimm ihn mit. Es ist kalt draußen. Bring ihn mir die Tage wieder.“ „Aber...“ Ich legte ihr sanft den Zeigefinger auf die Lippen. Warum konnte sie Nettigkeiten nicht einfach annehmen? „Schiit! Du musst eh noch mal zu mir kommen. Deinen Wunsch einlösen, vergessen? Und jetzt kusch! Oder du bist doch zu spät, hehe!“ Als ich den Zeigefinger von ihren geschwungenen Lippen nahm, lächelte sie mir entgegen. Es war ein kleines, aber reines Lächeln. Mir fiel auf, dass sie ein bisschen schief lächelte. Es wirkte immer ein bisschen verschmitzt: 'Reizend!', und brachte mich selber zum Lächeln. Nichts war schöner, als ein ehrliches Lächeln. Nichts machte mehr Spaß und Freude. Dieses Lächeln zumindest war besser als jeder Witz. Ich könnte es stundenlang ansehen. „Mach ich“, sagte sie und schnallte sich ab: „Danke.“ Kalte Luft zog in den Wagen und war ein scharfer Kontrast zu der irgendwie stickigen Heizungsluft, als sie die Tür öffnete. Ich selber benutzte die Heizung eigentlich nie, doch ich hatte irgendwie Angst Sky holte sich den Tod. Mir zog unwillkürlich der Gedanke durch den Kopf, dass ich für diese Frau nie einen Sarg zimmern wollte. Sie sollte leben und das glücklich. Dann stieg sie aus. Ich setzte die Brille wieder auf und sah, dass sie meinen Mantel enger um sich zog. Ich begutachtete sie kurz. Sie war wirklich ein ungeahnt ansehnliches Ding. Dann drehte sie sich noch einmal um und schaute durch die Windschutzscheibe. Ich war fast etwas verwundert. Die meisten Menschen drehten sich zu mir um, wenn ich vorbeigegangen war, um mich zu mustern und sich hinter meinem Rücken ihre dreckigen Münder zu zerreißen, doch sie schaute mir direkt ins Gesicht. Ich wackelte zum Abschied mit den Fingern. Sie winkte zurück und ging durch das Haupttor, welches der Wachmeister langsam aber sicher abschließen wollte. Als das Tor geschlossen und ihre schlanken Umrisse von der Nacht verschluckt wurden, konnte ich ruhigen Gewissens nach Hause fahren. Kapitel 4: Plan B ----------------- Sky Es vergingen ein paar Tage seit meinem Besuch bei Undertaker. Sie waren normal gewesen: Unterricht, Fag-Zeit, Swan Gazebo, ein bisschen Freizeit, die seit unserer Ernennung aber relativ knapp geworden war. Des Weiteren schrieben wir Ende dieses Jahres unsere Abschlussprüfungen. Ich starb an den Gedanken daran. Nach der Fag-Zeit sagte Amy zu mir, dass sie rausgehen wollte. Frank war wohl nur noch heute in der Stadt und wollte mit ihr und Fred noch etwas unternehmen, bevor er zurück nach Deutschland fuhr. Sie bot mir an mitzukommen, doch ich winkte ab. Frank war für Amy wie ein Onkel, nicht für mich. Ich kannte ihn und Fred nicht gut und das fünfte Rad am Wagen wollte ich nicht sein. So verließ die Phantomhive nachdem sie sich umgezogen hatte unsere 2-Frau-WG und ich steckte meine Nase in ein Buch über 'Rokoko'. Ich hatte mich gerade an meinen kleinen Schreibstich gesetzt und mein Buch aufgeschlagen, da klopfte es an meine Zimmertür. „Hm?“, machte ich und Amy steckte ihren schwarzen Schopf durch den Rahmen: „Sky?“ „Du bist noch da?“ „Ich war noch kurz beim Postkörbchen. Du hast einen Brief“, sie streckte mir einen Umschlag hin. Sie sah irgendwie leidend drein: „Vom Jugendamt.“ Ich blinzelte, als ich skeptisch den Kuvert entgegennahm: „Aha?“ „Soll ich hier bleiben?“, fragte Amy mitfühlend. Ich schüttelte dünn lächelnd den Kopf: „Nein, geh du. Fred und Frank warten sicher schon.“ „Also, wenn du mich brauchst...“ „Amy, jetzt geh“, ich wedelte mit dem Umschlag: „Da wird schon nichts dramatisches drin sein. Ich werde bald 18. Wahrscheinlich nur so ein Formbrief der mich darüber belehrt, dass ich bald für mich selbst verantwortlich bin.“ „Okay“, machte Amy gedehnt: „Dann bis heute Abend.“ „Bye, bye.“ Amy schloss die Tür und ich starrte auf den weißen Brief. »Youth Office, London« prangte es unheilvoll in einer Ecke des Umschlages. Einige Minuten starrte ich den weißen Brief nur an. Post vom Jugendamt war eigentlich immer ein Bote drohenden Unheils. Seufzend riss ich schließlich mit einer gewissen Frustration den Brief auf und meine Augen flitzten über die getippten Zeilen. Ich überflog sie immer und immer wieder vollkommen fassungslos. Ich glaubte meinen Augen nicht, als ich die Nachricht zum 6 x las: »In Angelegenheit von Skyler Rosewell, Aktennummer 52499116: Anfrage auf Kontakt von der leiblichen Mutter Tonia Rosewell und dem leiblichen Vater Graham Rosewell zu der in Obhut genommenen Tochter, Skyler Rosewell. Sehr geehrte Miss Rosewell, wir möchten Sie hiermit informieren, dass ihre leiblichen Eltern eine Anfrage auf Kontaktaufnahme zu Ihnen gestellt haben. Daraufhin prüften wir die derzeitigen Verhältnisse Ihres Elternhauses. Wir stellten zu unserer großen Freude fest, dass ihre Eltern alle ihnen auferlegten Vorgaben zur unserer vollsten Zufriedenheit abgeschlossen haben und nun geregelte Verhältnisse in dem Umgang zwischen ihrer Mutter, ihrem Vater und deren Umfeld besteht. Daraufhin steht einer Wiederaufnahme des elterlichen Umgangs von unserer Seite nichts entgegen. Bitte finden Sie sich am 08.10.2015 um 14:30 Uhr in meinem Büro ein, um weitere Details mit mir persönlich zu besprechen. Mit freundlich Grüßen Ilona Hemsworth, Sozialarbeiterin« Mir fiel alles aus dem Gesicht, als mir klar wurde, was diese Zeilen bedeuten konnten. Schwerer Schock lähmte meinen Körper förmlich und ich starrte weiter auf das Papier, ohne es weitere Male durchzulesen. Ich starrte einfach nur, während ich versuchte meine rasenden Gedanken zu sortieren und mein wild hämmerndes Herz zu beruhigen. Doch es gelang mir nicht richtig. Der Brief rutschte aus meinen Fingern und segelte zu Boden, als ich mein Gesicht in meinen Händen vergrub und meine Füße auf den Rand meines Stuhls stellte. Ich wusste nicht wie lange ich so zusammengekauert auf meinem Schreibtischstuhl gesessen hatte, doch es war sicherlich länger, als eine ganze Stunde gewesen. Ich entfaltete mich irgendwann und griff mein Handy: - Sky [30.09.15, 14:12] Hey. - - Amy [30.09.15, 14:16] Hey! - - Sky [30.09.15, 14:16] Na? Wie ist es bei euch? - - Amy [30.09.15, 14:16] Gut :) Wir haben viel Spaß! Es tut gut mal wieder mit Fred und Frank unterwegs zu sein. Essen gerade einen Burger und quatschen über alte Zeiten. Danach wollen wir spontan ins Kino! Clockwork Orange läuft mal wieder in Rahmen von nem Retroprogramm. Frank lädt uns ein! Schade, dass er morgen schon wieder fährt. Könnten wir öfter machen! - - Amy [30.09.15, 14:16] Was stand eigentlich in dem Wisch vom Jugendamt? - Ich las ihre Antwort mit schwerem Herzen. Amy hatte gerade einfach keine Zeit zum Reden. Sie hatte Spaß mit ihrer Familie und das sollte so bleiben und nicht von meinem melodramatischen Geplärre unterbrochen werden. - Sky [30.09.15, 14:23] Cool! Ich wünsch euch viel Spaß ;) Ach nichts Wichtiges. Die übliche Leier - - Amy [30.09.15, 14:24] Dann ist ja gut :D Danke, werden wir haben! ;)- Ich schaute mein Handy an. Ich hatte furchtbare Angst. Natürlich werde ich die Kontaktaufnahme ablehnen, doch ich hatte Angst, dass es das Jugendamt einfach nicht interessierte. Meine Eltern wollte ich nie, NIE wieder sehen. Ich legte meine Hand auf meine Augen, als ich zu Schluchzen anfing und zog meine Beine an mich heran, um sie mit dem anderen Arm zu umklammern. Mein Vater würde sich nie ändern. Von mir aus konnte er so trocken sein wie er wollte, aber was er mir und meiner Mutter angetan hat, konnte er nicht komplett auf den Alkohol abwälzen. 'Er ist krank', sagten die Sozialarbeiter: 'Eigentlich liebt er dich.' Doch wenn man Menschen liebt, dann verletzt man sie nicht. Wenn man Menschen liebt, dann bringt man sie nicht zum Schreien und zum Weinen. Lügt nicht, schlägt sie nicht. Dann bricht man ihnen nicht die Knochen und schickt sie immer wieder ins Krankenhaus. Meine Mutter würde sich auch nicht ändern. Sie hatte meinen Vater immer mehr geliebt als mich. Hat ihn in Schutz genommen, während ich mit geschientem Arm und gebrochenen Knochen im Krankenhaus lag. Nicht selten lag sie neben mir. Sie hatte mich nie beschützt. Immer nur ihn. Die Beiden haben mich nie geliebt. Nur zu oft hatte mein Vater mir eindrucksvoll und wunderbar ausgeschmückt beschrieben, dass ich der Grund für all sein Leiden war. Warum sie kein Geld hatten und in einem Drecksloch hausen mussten. Nein, solche Menschen änderten sich nie. Ich war alleine. Ich hatte niemanden mit dem ich reden konnte. Niemanden, dem ich erzählen konnte wie viel Angst ich hatte. Niemanden, der mich versteht. Amy war beschäftigt und außer ihr hatte ich doch niemanden. „Dann gibt es jetzt zwei“, surrte eine tiefe Männerstimme durch meinem Kopf. Ich erinnerte mich, dass diese Stimme eigentlich immer irgendwie quietschte und viel zu hoch sprach, doch dieser Satz war natürlich über seine Lippen gekommen. Ein scharf geschnittenes, doch irgendwie elegantes Gesicht umrahmt von silbernen Haaren erschien vor meinem inneren Auge. Vielleicht... Quatsch! Das war sicherlich... nur so... gesagt gewesen. Ich renne doch jetzt nicht zu ihm und heule einen Wildfremden mit meinen Problemen zu! Allerdings... fiel mir ein, dass es draußen langsam ziemlich kalt wurde und ich hatte noch den Mantel des Bestatters. Nicht, dass er frieren musste, weil ich ihm seine Jacke noch nicht zurück gebracht hatte. Schließlich machte er ja Grabpflege und war viel draußen... Lernen konnte ich dank dieser Hiobsbotschaft eh nicht mehr. Ich wickelte mich in meinen Poncho und griff mir die Jacke des Totengräbers, bevor ich das Wohnheim verließ und mir meine Kopfhörer in die Ohren steckte. Laut dröhnte meine Musik durch meine Ohren und versuchte verzweifelt meine unschönen Gedanken wegzugröllen. Mit mäßigem Erfolg. Der Schock saß noch immer tief in meinem Inneren, als ich durch die frischen Straßen Londons ging. Die Wolken hingen tief, grau und schwer am Himmel. Sie warteten nur darauf sich zu erbrechen und das regnerische London ein weiteres Mal zu versenken. Scharfe Winde zogen durch die Straßen der großen Stadt und ließen mich frösteln. Sie zogen durch meinen Körper direkt in mein Herz, welches sich genau so schwer, nass und grau anfühlte wie die spätseptemberlichen Regenwolken. Plötzlich realisierte ich, dass ich immer noch meine Schuluniform trug. Ich hatte vergessen mich umzuziehen. Gott sei dank trug ich eine dicke Strumpfhose unter den langen Strümpfen, so dass ich nicht wirklich furchtbar frieren musste, während ich darauf wartete, dass die Wolken zu regnen anfingen. Ich hatte keinen Regenschirm dabei: 'Ach sei's drum... Ich bleib eh nicht lange...' Vom Friedhof aus lotste mich mein Handy wieder durch die schmalen Gassen, in deren Inneren sich irgendwo der kleine, verschrobene Laden befand, der mein Ziel war. Obwohl es noch mitten am Tag war standen einige zwielichtige Gestalten in kleinen Gruppen in den schmalen Straßen herum. Ich schaltete meine Musik aus, als ich die kleinen Wege betreten hatte. Mir war es lieber mich auf alle fünf Sinne berufen zu können. Irgendwie hatte die Atmosphäre dieser Gassen etwas Bedrohliches. Ich war ein Heimkind. Bis ich mit 13 auf das Weston Ladys College gekommen war, habe ich im East End gelebt. Einer wahrlich schlechten Gegend. Wie jedes Heimkind hatte ich den größten Teil meiner Zeit auf der Straße verbracht. Ich kannte also die dubiosen Gestalten, die in Grüppchen in dunkle Ecken herumlungerten, auf der Lauer nach etwas was sich lohnte. Die Gassen durch die ich streifte lagen zwar mitten in der 'City of London', doch auch dieser eigentlich sehr gute Teil Londons war nicht gänzlich befreit von Bandenkriminalität, oder Kriminalität an sich. Ich war ein junges Ding und trug die Schuluniform einer renommierten Schule, die dafür bekannt war fast ausschließlich sehr gut situierte Schüler zu beherbergen. Ich war dankbar, dass mein Poncho den größten Teil meiner Uniform verdeckte. Trotzdem spürte ich gierige Blicke in meinem Rücken und meine Schritte wurden schneller, als ich den Mantel des Bestatters fester an mich drückte. Ich musste mich nur beeilen und schnell zu dem kleinen Laden kommen. Das letzte Mal war mir schließlich auch nichts passiert. Während ich durch die verschlungenen Straßen wanderte, hörte ich irgendwann Schritte hinter mir. Ein kalter Schauer rieselte durch meine Wirbelsäule hinunter und war um Längen schlimmer als die kühle Herbstluft. Wenn dieser Tag noch schlimmer werden konnte, fing er wohl jetzt damit an. Ein weiteres Mal wurden meine Schritte schneller und hallten mit den Schritten hinter mir um die Wette. Ich bog um eine Ecke, joggte fast, dann um eine weitere und die Schritte hinter mir verstummten. 'Komisch...', stoppte ich und schaffte es mich umzudrehen. Dort war niemand. Die Schritte verblassten wieder in der Ferne. Das war mir ziemlich rätselhaft und so richtig erklären konnte ich es mir auch nicht. Doch ich drehte mich wieder nach vorne und erkannte, dass ich schon die Gasse erreichte hatte in deren Mitte das kleine Bestattungsunternehmen lag. Zögerlich ging ich weiter. Ich war mir meiner Sache nicht ganz sicher. Vielleicht sollte ich doch wieder gehen. Dann fiel mein Blick auf den Mantel des Totengräbers. Es war kalt. Am Ende wird er noch krank, wegen mir... Ich blieb vor der Türe unter dem großen Ladenschild stehen und streckte die Hand aus. Als meine Fingerkuppen die kalte Metallklinke berührten zuckten sie zurück. Was, wenn er zu tun hatte? Aber ich wollte ja nicht viel von ihm. Wieder streckte ich die Finger aus und zog sie doch wieder zurück. Er sagte doch, ich sollte die Tage wieder bei ihm vorbei schauen, also wird es wohl ok sein, oder? Also streckte ich wieder die Hand nach der Klinke aus und stoppte ein drittes Mal. Was, wenn das nur so gesagt war und er eigentlich wollte, dass ich Amy den Mantel bei Gelegenheit mitgebe? Ich wollte ihn wirklich nicht nerven... „Du musst sie runter drücken, hehe“, hauchte es auf einmal von hinten direkt in mein Ohr. „AAAAAAAAAAHHHHHHHHH!!!!“, kreischte ich und fuhr herum. Der Mantel flog aus meinem Griff. Ich sah das breit grinsende Gesicht des Totengräbers, der sich sehr über mich zu amüsieren schien. Dabei stolperte ich zurück und merkte die harte Eingangstür in meinem Rücken. Unglücklicherweise... drückte ich just in diesem Moment die Klinke mit meinem Ellbogen herunter... Die Tür schwang auf und da mir nun der Gegendruck im Rücken fehlte, rasselte ich polternd hinten über in den Laden. Der Boden fing mich auf. Nett von ihm... Mein Hinterteil, mit dem ich voran in den Laden geplumpst war, schmerzte und ich saß reichlich desillusioniert auf dem Fußboden. Der Bestatter zog lachend den Mantel von seinem Kopf. Ich muss ihn damit beworfen haben, als ich meinen reichlich unfreiwilligen Abgang hingelegt hatte. Er zeigte mit dem Finger auf mich, als er mich ungeniert auslachte: „Pahahahahahahahahahahahahaha! Dein Gesicht! Herrlich! Köstlich! Possierlich!“ Ich blinzelte ihn von unten an, mein Mund ein Stück offen stehend. „Ahahahaha! Puhuhuhuhu! Wie amüsant! Wirklich, wirklich amüsant!“ Dann grinste er mich an und beugte sich nach unten, als er mir seine lange Hand hinstreckte. Sie war wirklich ungewöhnlich und das nicht auf eine negative Art und Weise. Er lächelte mich an: „Du machst die besten Gesichter. Ich liebe dein Gesicht, wenn du dich so herrlich erschreckst, meine Liebe.“ Mein Mund klappte weiter auf und ich merkte wie mir die Hitze ins Gesicht schoss: „Wa wa was?!“ Undertaker kicherte: „Ich sagte ich liebe dein Gesicht.“ Fassungslos starrte ich Undertaker an. Er liebte mein Gesicht? Was? Wie? Hä?!: 'Warte, warte, warte Skyler', sagte ich stumm zu mir: 'Damit meint er sicher nur meinen blöden Gesichtsausdruck. Natürlich. Das muss es sein. Was denn auch sonst...?' „Das ist übrigens nicht gut für dich“, sagte eine Stimme hinter mir und riss mich aus meinen verwirrten Gedanken. Sie klang jung und ich hatte sie schon einmal gehört. Als ich über meine Schulter lugte sah ich einen jungen Mann mit blonden Haaren, die im Nacken braun gefärbt waren. Unter einer schwarzen Brille schauten mich zwei grell grüne Augen freundlich an und er lächelte jugendlich. Er hatte schwarze Streifen im Gesicht und in den Haaren. Er trug einen Anzug mit Ärmelhaltern und Lackschuhe, allerdings ohne Jackett, Weste und Krawatte. Die drei oberen Knöpfe seines weißen Hemdes standen offen, er hatte die Ärmel hochgekrempelt und schwarze Flecken zogen sich über den ganzen Stoff. Seine Hände wischte er an einem schmierigen, weißen Tuch ab. „Ronald?“, fragte ich ein bisschen irritiert und nicht ganz sicher, ob ich den Namen von Amys Ball richtig zugeordnet hatte. Ich erinnerte mich aber genau, dass er bei dem rothaarigen Mann mit den seltsamen Zähnen und dem strengen Schwarzhaarigen gestanden hatte. Ich mein die beiden hießen Grell und William. Der Junge lachte: „Genau.“ „Was... ähm tust du hier?“, ich bereute meine Frage sofort. Es stand mir nicht zu zu hinterfragen von wem der Totengräber Besuch bekam: „Ähm... ich meine... ich.. du... du musst es mir natürlich nicht erzählen.“ Ronald lachte und schaute Undertaker an: „Du hast es geschafft. Sie ist total durch den Wind“, dann wandte sich Ronald wieder zu mir: „Ich hörte ein Schreien, ich hörte ein Poltern und wollte mal schauen, ob Undertaker Besuch oder neue Arbeit hat.“ Ich drehte meinen Kopf wieder, als der Bestatter sprach. Er beugte sich immer noch zu mir herunter und hielt mir immer noch die Hand hin: „Ahihihihi! Ich glaube, das ist sie öfter. Kann das sein, Skyler?“ Ich nahm seine Hand und sah, dass er einen Stapel Stoffe auf dem Arm hatte: „Ähm... Vielleicht...“ Er zog mich auf die Füße. Undertaker legte seinen Kopf schief, ohne meine Hand los zu lassen: „Ronald ist hier um mein Kühlregal zu reparieren. Es ist kaputt gegangen.“ „Was schlecht ist“, führte Ronald weiter aus: „Die fangen nach ein paar Tagen furchtbar an zu stinken. Ich lüfte schon seit Stunden.“ Mir ging auf, dass die schwarze Schmiere in Ronalds Gesicht und Klamotten wahrscheinlich die Kühlflüssigkeit aus den Kühlzellen war. Undertaker lachte: „So dramatisch ist es auch nicht. Dieses Bouquet ist wunderbar!“ Ich erinnerte mich, dass Amy mir erzählt hatte, dass der Bestatter immer Ronald fragte, wenn etwas bei ihm kaputt ginge. Laut ihr war der Totengräber nicht sonderlich geschickt im Umgang mit Technik. Doch auf seine Aussage klappte mir der Mund wieder auf. Ronald bezog sich sicher darauf, dass Undertakers... Gäste... (wie ich mittlerweile herausgefunden hatte er die Leute nannte, die er unter die Erde bringen sollte) einen unangenehmen Geruch entwickeln, sobald sie nicht mehr gekühlt werden konnten. Den Totengräber schien das nicht zu stören... im Gegenteil... „Doch“, begann Undertaker wieder und lenkte mich so ab: „Was tust du hier?“ „Öööööhm“, kam es wieder unheimlich intelligent aus meinem Munde: „Ich... ich... ich wollte dir nur deinen Mantel zurückbringen...“ „Ahehehehehe und deswegen nimmst du den ganzen weiten Weg auf dich? Du hättest ihn mir geben können, wenn wir uns das nächste Mal gesehen hätten.“ Erst jetzt ließ er meine Hand los, doch nur um sie vor seinen kichernden Mund zu halten. Ich faltete die Hände vor meinem Bauch und schaute nach unten: „Es wird kalt draußen und... und... und... Ich wollte nicht, dass du dich erkältest, weil ich deinen Mantel noch hab. Du... Du bist ja viel draußen...denke ich.“ Ronald fing hinter mir an zu lachen. Ich schaute ihn kurz an, konnte mir aber nicht erklären was an meiner Aussage so lustig war. Hatte ich was Falsches gesagt? Auch Undertaker giggelte weiter in seinen Ärmel hinein. Die Beiden schienen zu wissen weshalb sie lachten. Nur ich leider nicht. Ich fühlte mich ein weiteres Mal wie ein Stück trocken Brot. „Was ist so lustig? Ich hab mir Sorgen gemacht!“, fragte ich ansatzweise empört. Ronald lachte nur noch mehr. Auch Undertakers Kichern ebbte nicht ab, doch er wuschelte mir durch die Haare. Die Geste hatte nicht abwertendes... sie war... das Wort blieb mir in den Gedanken stecken. Der Leichenbestatter schien mich durch seinen Pony zu mustern: „Es ehrt mich, dass du dir Sorgen um mich machst, liebe Skyler. Doch sei dir sicher, dass dies nicht nötig ist.“ „Aber... es ist so kalt draußen!“ Ein helles Zucken gefolgt von einem Krachen unterstrich meine Aussage. Dann sah ich durch die geöffnete Türe wie ein Wolkenbruch geräuschvoll auf die kleine Gasse niederprasselte. Undertaker, der noch halb in der Tür stand, blinzelte in den Himmel, als er am Rücken nass zu werden schien. Er kicherte wieder: „Ja, vielleicht hast du Recht.“ 'Vielleicht? Wir haben 8°C!' Dann trat er in den Laden und schloss die Tür. Ich ging einen Schritt nach hinten, damit ich nicht fast in dem Bestatter stand. Ein Klacken von hinten. Ich sah, dass Ronald dabei war die Fenster zu schließen, damit es nicht rein regnete. Jetzt fiel mir auf, dass es tatsächlich in dem Laden müffelte. Nur unterschwellig, doch ich verstand nun was Ronald meinte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen wie es vorher gerochen haben musste. Undertaker ging zu dem großen Eichentresen und legte den großen Stoffstapel und seinen Mantel ab. Sie sahen teuer aus. Alle waren aus Seide, hell, einige hatten dezente Muster, andere nicht. Dann streckte er seine Hand aus: „Lass mich dir deine Jacke abnehmen.“ „Ähm...“, machte ich: „Ich wollte nicht lange bleiben, eigentlich wollte ich dir nur kurz den Mantel wiedergeben und dann wieder verschwinden...“ Undertakers Grinsen drehte sich wieder um. Er wirkte nicht ganz ernst, aber auch nicht mehr amüsiert: „Das klingt so, als wärst du nicht gerne bei mir zu Gast. Sag, hat dir meine Gastfreundschaft in irgendeiner Form nicht zugesagt?“ „Nein!“, machte ich hastig und wedelte unbeholfen mit den Händen: „Nein, nein, nein das ist es nicht. Ich... Will dich nur nicht von wichtigen Dingen abhalten.“ Der Bestatter kicherte wieder: „Ich habe nichts zu tun was wichtiger wäre als du, liebe Skyler.“ Ich klimperte mit den Augen. So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt und ich wusste nicht so richtig wie ich damit umgehen, oder darauf reagieren sollte. Nicht mal meine eigenen Eltern sagten so etwas zu mir. Sie... hatten immer irgendwas was wichtiger gewesen war als ich. Auch wenn es nichts tun war. Mein Blick wechselte von verdutzt zu traurig, als ich mich an meine Familie und den Brief vom Jugendamt erinnerte. Ich schaute zu Boden um ihn zu verstecken. Dann schaute ich auf und versuchte dem Bestatter anzulächeln: „Aber du... hast Besuch. Ich möchte euch beide wirklich nicht stören.“ Ronald lachte: „Wie könnte so ein schönes Mädchen wie du stören.“ Ich schaute den Blonden an und er zwinkerte mir zu. Ein wenig beschämt schaute ich schräg nach unten. Ich hörte Undertaker kichern: „Ich bin nur allzu geneigt Ronald zu zustimmen.“ Dann merkte ich zwei Finger unter meinem Kinn. Sie drückten sanft mein Gesicht wieder nach oben und ich schaute dem Bestatter in sein, von Haaren verhangenes, Gesicht. Obwohl er eben noch gekichert hatte, sah er irgendwie verstimmt aus: „Außerdem geht draußen gerade die Welt unter, hehehe. Und ich sehe bei dir nirgendwo einen Regenschirm. Du denkst nicht wirklich, ich lasse dich in diesem Wetter nach Hause laufen, nass und wieder krank werden?“ „Genau“, pflichtete Ronald bei: „Draußen regnet es junge Hunde. Es ist schön dich gesund und munter wiederzusehen, Sky. Geht es dir wieder gut?“ Ich drehte meinen Kopf ein Stück zu Ronald und lächelte ihn dünn an. Eigentlich war mir nicht nach lächeln zumute. So gar nicht: „Ja, danke. Es geht mir wieder gut.“ Ronald legte den Kopf schief: „Sicher? Das muss ein ziemlicher Schreck gewesen sein.“ „Ja schon...“, ich schaute wieder schief zur Seite: „Aber ich bin wieder in Ordnung.“ Kurz herrschte Stille. Nur der Regen prasselte schnell und schwer gegen die Fenster, begleitet von einem hellen Zucken dann und wann, gefolgt von einem dumpfen Grollen. Dann drehten mich die Finger des Bestatters wieder zu ihm. Er hatte seinen Kopf schief gelegt und schien mich immer noch durch seinen silbernen Vorhang aus Haaren zu mustern: „Nun? Was ist nun? Wie wäre es mit einem warmen Tee. Es ist ja kalt draußen“, sein Kopf neigte sich kurz nach unten. Ich tippte der Totengräber musterte mich bis zu den Füßen. Dann schaute er wieder hoch: „Vielleicht hättest du dir etwas anderes anziehen sollen.“ „Och“, machte Ronald neben uns: „Find' ich jetzt nicht.“ Undertakers und mein Kopf wanderten synchron zu dem Jüngling, als die Hand des Bestatters mein Kinn verließ und ich eine Augenbraue hoch zog. Er hatte sich lässig mit gekreuzten Beinen auf den Tisch gelehnt und musterte uns irgendwie mit einem komischen, aber schelmischen Gesichtsausdruck. In seinen hellen, grünen Augen stand eine Bedeutung, die ich nicht verstand, aber ihm sichtlich Pläsier bereitete. Ronald hob die Hände aufgrund unserer Blicke: „Ist gut, ist gut. Ich habe nichts gesagt.“ Dann zog sich sein Mund in ein unterdrücktes Lächeln, als er die Hände wieder lässig auf die Tischplatte legte. Zumindest versuchte er es zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht sonderlich gut: „Ihr beide habt 1:1 den selben Gesichtsausdruck drauf.“ Der Totengräber und ich sahen uns wieder an. Undertaker giggelte. Ich fragte mich eher woher Ronald wissen wollte wie der Bestatter schaute. Schließlich reichte sein beachtlich dichter Pony fast bis zu seiner Nasenspitze. „Nun“, grinste der Bestatter: „Was ist nun?“ Er streckte mir wieder seine Hand entgegen. Ich seufzte: „Wenn es euch wirklich nicht stört...“, sagte ich leise und wickelte mich aus meinem Poncho. Der Totengräber nahm ihn mir ab, griff dann seinen Mantel vom Tisch und hing die Jacken an den kleinen Garderobenständer neben der Tür. Ich sah, dass schon ein Jackett und eine Anzugweste an dem kleinen Ständer hingen. Ich tippte sie gehörten Ronald. Ronald grinste zweideutig: „Diese Uniformen sind wirklich nicht schlecht.“ Ich war ein wenig irritiert: „Äh... Ja...“ „Also ich meine...“, doch der Jüngling kam nicht weiter. Undertaker ging gerade an ihm vorbei und haute ihn leicht auf den Hinterkopf: „Benimm dich, du Schandmaul.“ „Aua“, machte Ronald leise und rieb sich die Stelle am Hinterkopf: „Ich hab doch gar nichts gemacht...“ Der Totengräber kicherte, als er zu der versteckten kleinen Türe ging. Ich tippte, dass hinter ihr die Privaträume des Bestatters lagen: „Noch nicht, hehe.“ Dann entschwand der Leichengräber in der Tür. Ich stand ein wenig verloren in dem kleinen Laden und wippte unruhig auf meinen Füßen von vorne nach hinten. „Warum bist du so nervös?“, lächelte der blonde Junge. „Ähm... Ich weiß nicht. Ich hatte einfach keinen guten Tag...“ „Es liegt nicht an unserem allseits geliebten Sonderling?“ Ich schaute zur Seite und verschränkte die Hände hinter meinem Rücken: „Nein. Das glaube ich nicht.“ „Du glaubst?“ „Ja...“ Ronald lachte einmal kurz und versuchte dann sich mit der einen die Fingernägel der anderen Hand sauber zu schaben. Eine komische Stille legte sich wieder über den Laden und wurde mir schnell unangenehm: „Ähm“, brach ich sie unelegant: „Du... kennst Amy gut?“ Ronald schaute von seinen Fingernägeln auf und blinzelte kurz: „Joa schon.“ „Woher?“ „Och“, sagte er nonchalant: „Der Arbeit wegen.“ „Okay...“, ich legte den Kopf schief: „Als was arbeitest du? Mechaniker? Amy sagte, du bist öfter hier um etwas zu reparieren.“ Ronald lachte: „Ja, ich habe eine Zeit lang als etwas gearbeitet, was man als Mechaniker bezeichnen könnte.“ „Und was machst du jetzt?“ Der Junge schwieg kurz. Er schien sich seine Antwort gründlich zu überlegen: „Äh... Außendienstmitarbeiter.“ „Aha. Welche Firma?“ Ronald schaute zur Seite. Er wirkte irgendwie, als wüsste er nicht so recht was er antworten solle. Irgendwie kam mir das komisch vor. Was war daran so lange zu überlegen? Ich wollte doch nur wissen für welche Firma er arbeitete. Arbeitete er vielleicht für eine Firma, die irgendwie krumme Dinger drehte? Mir wurde mulmig. Das Aufgehen der Türe rettete Ronald vor der Antwort. Der Bestatter war zurückgekehrt und hatte wieder das Tablett in der Hand, nur diesmal mit drei Bechern und Löffeln. Er blieb hinter dem Tresen stehen, stellte es ab und reichte einen Becher an Ronald. Dieser nahm den Becher entgegen und musterte ihn annähernd sorgenvoll: „Da war aber nichts Unappetitliches drin, oder?“ Undertaker kicherte: „Ahihihi. Ich glaube nicht.“ „Ich hoffe“, sagte Ronald, warf sich zwei Zuckerstückchen in den Becher und rührte ihn mit einem der Löffelchen um: „Formaldehyd hat einen komischen Nachgeschmack.“ 'Formaldehyd?', dachte ich irritiert und merkte wie eine meiner Augenbrauen nach oben wanderte: 'Warum sollte der Tee nach Formaldehyd schmecken?' Der Kopf des Leichengräbers hatte sich mittlerweile zu mir gedreht und hielt mir ebenfalls einen Becher hin. Ich nahm ihn zögerlich und philosophierte noch über Ronalds Aussage. „Schau nicht so skeptisch, ahehehe. Es ist nichts drin was irgendwie schädlich wäre“, lachte er und schaufelte sich seinen Becher wieder mit Zucker voll. Ich lächelte gezwungen und nahm dann einen Schluck Tee. „Nein“, machte Ronald sarkastisch und gedehnt: „Vielleicht nur ein Rest Leber oder Niere oder Herz, oder was du sonst noch so aus deinen 'Gästen' rausschnibbelst und in deinen Messbechern zwischen lagerst.“ Ich prustete. Der Tee stieg mir in die Nase, als ich geschockt realisierte was Ronalds Worte zu bedeuten hatten. Angestrengt hustete ich um den Tee loszuwerden, den ich wortwörtlich in den falschen Hals bekommen hatte. Undertaker lachte. Ich hörte, dass er mit der Hand dabei auf den Tisch schlug. Sein Teebecher hüpfte über den Tisch: „Herrlich! Ahahahahahahahahahaha!“ Auch Ronald musste kichern. Ich schaute die Beiden an. Es dauerte wie immer eine Weile bis Undertaker sich gefangen hatte: „Wuwuwuwuwuwu! Nein, keine Sorge. Das ist nicht der Fall.“ „Was?“, fragte ich misstrauisch: „Dass du deine Gäste zerfledderst oder dass du Teile von ihnen in die Messbecher wirfst, aus denen du auch deinen Tee trinkst?“ „Äh... ehehe! Ich 'zerfleddere' sie nicht, ich seziere sie. Aber das mit den Organen stimmt schon. Irgendwo müssen sie ja bleiben, bis ich mich weiter mit ihnen beschäftigen kann. Aber die Becher sind unbedenklich. Wirklich. Oder schmeckt der Tee komisch?“ „Nun“, ich schaute auf meinen Becher. Der Tee schmeckte gut. Es war derselbe wie beim letzten Mal. Fruchtig mit einem Hauch Minze. Ich mochte den Geschmack. Des Weiteren konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, dass der Totengräber Tee aus Bechern trank in denen tatsächlich mal Organe gelagert wurden: „Nein. Er schmeckt gut, danke.“ Wahrscheinlich wollte Ronald mich nur ärgern. Auch Ronald trank nun seinen Tee und schaute Undertaker an. Sein Blick wanderte ab von mir und musterte den Jungen, als dieser ihn ansprach: „Deine Kühlzellen funktionieren jedenfalls wieder.“ „Ich danke dir zutiefst, lieber Ronald. Sage mir Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann.“ „Oh, ich hätte was“, grinste Ronald: „Trainiere mit mir!“ 'Trainieren?' Undertaker legte lachend den Kopf schief: „Willst du das wirklich?“ „Ja!“, bestätigte Ronald fast aufgeregt: „Wenn ich von dem Besten lerne, komme ich vielleicht endlich an Grell und William heran! Es nervt ewig das Küken zu sein.“ 'Von dem Besten? Küken? Huh?', ich verstand kein Wort. „Nun“, Undertaker stützte seinen Kopf auf eine Hand, während er halb auf dem Tresen lehnte: „Wenn du dir wirklich sicher bist. Ein Spaziergang wird es aber nicht werden, ahehehe.“ Ronald lächelte selbstbewusst: „Ich vertrag das schon.“ Dann wanderte sein blonder Schopf herum und er sah mir ins Gesicht. “Oh“, machte er als habe er vergessen, dass ich da war. Er lächelte entschuldigend und erkannte wohl meinen verwirrten Gesichtsausdruck: „Äh. Vergiss es einfach.“ „Ooookay“, machte ich gedehnt. Doch die Fragen blieben in meinem Kopf hängen. Irgendwie schien Ronald Geheimnisse zu haben und ich war mir sicher Undertaker kannte sie genau. Erst die Ausflüchte, als ich ihn gefragt habe wo er arbeitete und nun diese seltsame Konversation über irgendein Training, die er mir nicht auflösen zu wollen schien. Doch wenn die Beiden mich nicht einweihen wollten, musste ich das wohl oder übel akzeptieren. Sie kannten mich ja genauso wenig wie ich sie. Das man da nicht alle seine Geheimnisse ausposaunt war verständlich. Doch was für ein Geheimnis könnte der Junge haben, das mit seinem Arbeitsplatz zu tun hatte? Und sagte er nicht er kenne Amy durch seine Arbeit? Außendienstmitarbeiter... Das war so ein richtig schwammiger Begriff, der alles und nichts bedeuten konnte. Nicht, dass er Drogen verkaufte oder so! Doch wie ein Drogendealer sah der Junge in seinem Anzug nun wirklich nicht aus und Amy nahm auch keine Drogen, das hätte ich wahrlich mitbekommen. Während ich mich noch mit meinen Fragen beschäftigte, nahmen die Beiden ihre Konversation wieder auf. „Wird es nicht bald Zeit für die Jahresendabrechnung? Soll ich dir William vorbei schicken?“, fragte Ronald und trank eine großen Schluck Tee hinterher. Der Bestatter sah gelangweilt drein, auch ohne das ich seine Augen sehen konnte: „Naaaaaa. Erinnere mich nicht daran.“ „Wie kommst du eigentlich alleine zurecht? Ich meine du solltest nach den etlichen Jahren Bürokratie doch echt gewöhnt sein. Kannst du nicht oder willst du nicht?“, Ronald lachte: „Sag mir nicht du lässt William immer antanzen nur weil du keine Lust hast es selber zu machen?“ „Gut“, grinste der Bestatter nun: „Dann sage ich nichts.“ Ronald lachte: „Du bist furchtbar.“ Der Fortgang der Konversation war nicht gerade einleuchtender, als die Sätze zuvor. Ich verstand einfach nicht worüber die Beiden sprachen, aber irgendwas schien sie zu verbinden, abgesehen davon, dass sie befreundet zu sein schienen. Irgendwie unerwartet drehte Undertaker seinen Kopf zu mir. Wahrscheinlich um mir zu signalisieren, dass er mich nicht vergessen hatte. Er griff in die kleine Urne mit den Keksen und hielt mir einen hin: „Keks?“ „Oh“, machte ich und nahm ihn zögerlich: „Danke.“ „Tu das nicht!“, rief Ronald aus, doch ich hatte schon abgebissen. Ein komischer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Ich konnte nicht verhindern, dass ich mein Gesicht verzog. Der Geschmack in meinem Mund war herzhaft, nicht süß wie ich erwartet hatte. Er erinnerte mich irgendwie an Gemüse. Ronald sah ziemlich leidend drein, fast entschuldigend, als er in mein Gesicht schaute. Ich drehte mich zu Undertaker. Er lachte wieder. „Was sind das für Kekse?“, fragte ich, nachdem ich es geschafft hatte herunter zu schlucken. „Was denkst du?“, fragte der Bestatter amüsiert. „Ich... weiß nicht“, sagte ich weiter und beschaute den angebissenen Keks in meiner Hand. Ronald legte die Hand über die Augen: „Hundekekse...“ Ich schaute ihn an: „Bitte?“ Ron nahm die Hand wieder runter und lachte mitfühlend: „Das sind Hundekekse. Er isst sie ständig.“ Ich schaute Undertaker an: „Ehrlich?“ Dieser wackelte mit dem Kopf hin und her: „Schmecken sie dir nicht?“ Dann streckte er seine langen Finger aus, nahm mir den Keks aus der Hand und schob den Rest in seinen Mund. Er kaute genüsslich und mit einer gewissen Glückseligkeit im Grinsen darauf herum. Ich musterte ihn perplex. Formaldehyd im Tee? Hundekekse? Was war bei dem Kerl nur los? „Nein“, sagte ich schließlich bevor ich wieder in die Verlegenheit kam, den Bestatter einfach nicht zu antworten. Ich hatte mir seit dem letzten Mal ernsthaft vorgenommen das zu ändern: „Nicht mein Fall.“ „Schade“, grinste der Totengräber und schob sich noch einen Keks in den Mund. Meine Frage beantwortete er mir nicht. Der Blondschopf trank seinen Becher aus und stellte ihn auf das Tablett zurück. Dann schaute er auf seine Armbanduhr: „Ich muss zurück. Ich hab noch Arbeit auf dem Tisch und habe keine Lust, dass mich William wieder zu Überstunden verdonnert.“ Wieder wanderte meine Augenbraue hoch. William konnte Ronald mit Überstunden strafen? Also war er sein Chef? Ich stellte die Theorie auf, dass dann wahrscheinlich auch Grell ein Arbeitskollege war und die Drei deswegen auf dem Ball die ganze Zeit zusammen gestanden hatten. Aber was hatte Undertaker damit zu tun? Als was er arbeitete war klar: Er war Bestatter. Undertaker lachte: „Melde dich bei mir um dir deine Belohnung abzuholen.“ Ronald lachte mit: „Darauf kannst du Gift nehmen.“ Der Jüngling krempelte seine Ärmel herunter und zog das Jackett über. Krawatte und Weste hielt er in der Hand. Er lächelte mich an: „Sky? Wir sehen uns sicher wieder. Kommst du zu Halloween?“ „Öhm“, machte ich immer noch reichlich verwirrt: „Ja, komme ich.“ „Dann sehen wir uns da“, lächelte Ronald und winkte: „Bis dann. Bye Undertaker. Wir hören uns.“ Er ging an dem Tresen vorbei und nach hinten raus. Undertaker wedelte mit einer Hand zum Abschied. „Du hast doch auch keinen Schirm dabei!“, stoppte ich den jungen Blonden. Hatte er nicht eben noch zugestimmt, dass ich nicht in dem Regen nach Hause laufen sollte? Aber bei ihm war das ok? Ron drehte sich um und zeigte mir ein 'Peace'- Zeichen mit der freien Hand: „Ich hab's nicht weit.“ Dann verschwand er und wenig später hörte ich die Hintertür auf und zu gehen. Ich drehte mich zu Undertaker, der nicht schlecht amüsiert immer noch auf seinem Tresen lehnte. „Weswegen bist du wirklich hier?“, fragte der Bestatter wissend und nahm einen weiteren Schluck seines Teesirups. „Öhm... Sagte ich doch. Ich wollte dir deinen Mantel bringen.“ „Und?“ „Nichts...“, ich schaute zur Seite: „Und.“ Ein Seufzen. Dann merkte ich wieder zwei Finger unter meinem Kinn und der Bestatter drehte meinen Kopf wieder zu sich: „Was habe ich über Lügen gesagt, meine Liebe?“ Ich fühlte mich ertappt: 'Aber das musst du nicht! Du wolltest ihm nur seinen Mantel bringen! Punkt!' „Ich lüge nicht...“ Das Grinsen des Bestatters verschwand: „Also, zu lügen in dem man sagt man lüge nicht ist ziemlich dreist, oder?“ Ich drehte meinen Kopf energisch weg. Fast wütend. Dabei merkte ich wie seine Fingernägel über die weiche Haut unter meinem Kinn schabten. Ich war nicht hier um über den Brief zu reden! Ich brauchte auch niemanden zum Reden! Helfen konnte er mir eh nicht. Niemand konnte das. Ich starrte auf den Boden, während ich diese Gedanken immer wieder wiederholte. Doch diese furchtbare Traurigkeit, diese lähmende Angst war immer noch nur allzu gegenwärtig. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Mein Kopf zuckte herum und ich sah, dass Undertaker um seinen Tresen herum gegangen sein musste und nun hinter mir stand. Sein Kopf lag ein Stück schief und ein Auge lugte halb hervor: „Was hast du, Sky? Sag nicht nichts, oder schauspielere besser.“ „Ich schauspielere nicht...“, schaute ich wieder weg. Mit einem Ruck drehte die Hand mich herum. Der Becher fiel mir aus der Hand, weil ich nicht damit gerechnet hatte und ging mit einem dumpfen Laut zu Boden. Der Tee bildete eine kleine Lache neben meinen Füßen. Eine Hand umschlang meine Taille, eine andere griff mein Kinn und fixierte es so, dass ich Undertaker ins Gesicht schauen musste. Ich drückte meine Hände gegen seine Brust um aus dem Arm des Totengräbers zu entkommen, aber der Mann kam mir extrem kräftig vor und schien mit Leichtigkeit gegen meine Rebellion zu halten. „Warum lügst du mich an? Vertraust du mir nicht?“ Irgendwie traf mich dieser Satz und ich hörte auf mich zu wehren. Ich schlug die Augen nieder. Der Blick des Bestatters wirkte immer so, als ob er direkt in meine Seele schaute und das sah, was darin wirklich vor sich ging. Auch, wenn ich vielleicht selbst nicht wusste was es war: „Nein... das ist es nicht.“ „Was ist es dann?“, die Stimme des Totengräbers quietschte nicht mehr. Sie klang ernst. Sehr ernst. „Ich... kenne dich doch gar nicht richtig...“ „Warum bist du dann hergekommen? Du sagtest zu Ronald du hättest einen schlechten Tag.“ 'Woher weiß er das?', meine Frage stand mir wohl deutlich im Gesicht. „Ich habe sehr gute Ohren“, antwortete Undertaker auf meine stumme Frage: „Doch nun erzähl.“ „Ich...“, ich merkte wie meine innere Mauer zu bröckeln begann: „Ich habe heute einen Brief bekommen...“ „Und darüber möchtest du sprechen?“ „Nein... eigentlich nicht.“ „Sky?“ „Ja?“ „Belüge mich nicht. Du bist wirklich nicht gut darin.“ In meinem Kopf waren 2 Stimmen: Die Eine sagte mir ganz deutlich, dass ich nicht log. Die andere sagt mir ganz deutlich, dass doch. Wo mein Kopf stand wusste ich nicht mehr. Folglich wusste ich auch nicht mehr ob ich wirklich gelogen hatte oder nicht. Diese Verwirrung verursachte mir Schwindel. „Ich... weiß nicht ob ich lüge“, antwortet ich schließlich zögerlich. „Das glaube ich dir“, antwortete der Bestatter: „Aber ich bin mir sicher du tust es. Vertraue mir. Schau mich an.“ Die Stimme des Leichenbestatters war eindringlich und ruhig. Es lag kein Ärger darin, obwohl ich ihn belogen hatte. Vielleicht. Unter Umständen. Keine Ahnung. Ich hätte damit gerechnet, dass er dachte ich würde ihn auf den Arm nehmen wollen, aber das schien nicht der Fall zu sein. Langsam hob ich meine Augen wieder und schaute in sein scharf geschnittenes Gesicht, mit dem einen schmalen, halb verdeckten Auge. Als ich ihn anschaute, sprach er wieder: „Und jetzt sage mir ein weiteres Mal, dass du nicht sprechen möchtest.“ Ich... konnte nicht. Ich konnte dem Totengräber nicht ins Gesicht schauen und sagen ich wolle nicht reden. Also blieb ich stumm und ein schweres Gefühl lag mir in Brust und Bauch. Ein mitfühlendes Lächeln erschien auf seinen Lippen: „Nun?“ Ich seufzte, was ein leichtes Zittern durch meinen Körper jagte. Daraufhin spürte ich den Griff des Bestatters fester werden. Ich stockte in meinen Gedanken und schaute ihn irritiert an. „Ich hab ein offenes Ohr für dich“, lächelte er weiter: „Wirklich. Vergiss nicht: Ich lüge nie.“ „Der Brief war vom Jugendamt...“ Undertaker wirkte leicht irritiert: „Jugendamt?“ „Ja...“, sprach ich weiter: „Seit ich sieben bin lebe ich im Heim.“ In dem Auge des Totengräbers sah ich so was wie eine Erkenntnis, als ob sich ein paar Puzzelteile zumindest ansatzweise zusammengefügt hätten. Hatte er über mich nachgedacht? Na, warum denn? Es war sicher irgendetwas anderes. „Warum?“, fragte er. „Weil“, ich stockte. Eine Weile wusste ich nicht zu antworten. „Hm?“ Ich atmete tief durch: „Weil meine Eltern nicht so dolle sind.“ Warum erzählte ich ihm das alles? Außer Amy hatte ich es noch niemandem freiwillig verraten und sie hatte fast 2 Jahre gebraucht um es aus mir herauszubekommen. Doch irgendetwas in dem Blick des Bestatters sorgte dafür, dass ich meine Geheimnisse ausplauderte wie meine Wunschliste an den Weihnachtmann. „Und was stand in dem Brief?“ „Das sie... Kontakt zu mir aufnehmen wollen...“ „Und das möchtest du nicht?“ Ich schaute ihn an während ich merkte, dass das Leid in meinen Blick stieg. Die Angst. Doch meinen Blick abwenden konnte ich irgendwie nicht. Etwas in dem Auge sagte mir, dass er mich verstand. Dass er meine Angst verstand. „Glaub mir, Sky“, begann er wieder: „Ich habe viel, viel gesehen in meiner beruflichen Laufbahn. Die menschlichen Abgründe sind tief. Ich kenne sie. Ich halte sicherlich nichts was du mir erzählen würdest für zu weit hergeholt, um es dir zu glauben. So viele Kinder sind mir begegnet die gestorben sind, weil ihre Eltern sie nicht beschützt haben, wie sie sollten. In einigen Fällen waren die Eltern sogar schuld gewesen. Das ist schrecklich und ich habe diese Menschen, die sich Eltern nennen wollten, zutiefst verurteilt.“ Meine Unterlippe zitterte. Warum? Ich wollte das nicht, doch ich merkte wie meine Augen feucht wurden. Ich war eigentlich wirklich kein weinerlicher Typ. Ich war des Weinens vor langem einfach müde geworden. Doch der Totengräber hatte irgendwas an sich um meine Gefühlswelt auf links zu drehen. Seine Worte waren weich und warm. In ihnen lag ein ehrliches Verständnis und der Wille mir wirklich zuzuhören. Ich erlebte es so selten, dass ich fast vergessen hatte, dass Menschen so klingen können. „Ich verurteile auch deine Eltern zutiefst“, setzte er irgendwann nach, als ich stumm blieb, ohne den Blick aus meinen Augen zu nehmen. Diese grüne Iris zog mich an und seine Worte hallten durch meinen Kopf: „Niemand sollte so traurig schauen wie du gerade.“ Ein Schluchzen entfloh meiner Kehle. Ich verfluchte es, kniff die Augen zusammen und bereute es im selben Moment, weil ich merkte, dass zwei große Tränen dadurch meine Wangen hinunter kullerten. „Oh weh“, hörte ich Undertakers einfühlsame Stimme. Die Hand löste sich von meinem Kinn und strich mir sanft die Tränen von den Wangen. Dann landete sie auf meinem Hinterkopf und drückte mich an die Brust des Bestatters. Ich konnte sein Herz schlagen hören und merkte wie seine langen Fingernägel durch meine Haare streiften: „Weine, wenn du weinen musst. Du musst dich hier nicht zurückhalten und für nichts schämen.“ Meine Augen weiteten sich und ich hatte das Gefühl mein Herz blieb stehen, als mir der Geruch des Bestatters in die Nase stieg und er eine kleine Sprechpause einlegte. Nach einem kurzen Schweigen sprach er weiter: „Wenn ich etwas tun kann damit es dir besser geht, sag einfach Bescheid.“ Mein Herz sackte ein Stück ab. Ich wollte nicht weinen und dann wieder doch. Es war mir peinlich, doch in mir war eine Spannung von der ich sicher war sie zerriss mich, wenn ich sie nicht irgendwie kompensierte. Als sich mein Hände hilflos in den dünnen Mantel des Bestatters krallten, brachen sich meine Tränen auch schon unkontrolliert ihre Bahnen. Ich presste eine meiner Hände vor den Mund um mein Schluchzen zu unterdrücken. Ich merkte wie der Totengräber die drei Spangen aus meinem Dutt zog und meine Haare hinunter fielen. Dann streiften seine Finger weiter durch meine Haare. Er sagte nichts. Undertaker stand einfach nur da, hielt mich fest und fuhr mir immer und immer wieder durch meine Haare. Ich kannte so etwas nicht. Ich kannte es nicht, dass jemand die Emotionen in meinen Augen las, dass man mich festhielt wenn ich traurig war und mir beruhigend durch die Haare strich. Ich mochte es. Irgendwie... Geduldig wartete er, bis ich mich beruhigt hatte. Irgendwann hob ich meinen Kopf und wischte mir durch das feuchte Gesicht: „Es tut mir leid...“ „Hehehe“, lachte der Bestatter leise, aber nicht albern: „Warum entschuldigst du dich immer?“ „Weil... Mir das peinlich ist...“ Das Lachen des Bestatters wurde lauter: „Hahahahahaha! Warum denn?“ Ich schaute hoch in sein lächelndes Gesicht. Es wirkte wieder amüsierter. Ich rieb mir noch einmal durch die Augen und schlug sie dann nieder: „Weil... ich dich kaum kenne und hier stehe und dir die Ohren voll heule wie ein kleines Kind. Das war sicher... nicht so toll für dich...“ Er lachte durch die geschlossenen Lippen. So war sein Lachen sehr leise und ziemlich dunkel, doch es klang irgendwie schön: „Ich hab doch gefragt. Wer fragt muss auch den Schaden tragen. Vergessen?“ „Ja, aber...“, begann ich, doch wurde unterbrochen. Eine Hand wuschelte durch meine Haare. Da sie jetzt oben nicht mehr von meinem Dutt gehalten wurden, flogen sie wirr durch die Gegend und auch in mein Gesicht. Ich schaute hoch und versuchte mir die Haare aus dem Gesicht zu pusten. Es funktionierte nicht, aber wenigstens hörte ich, dass der Bestatter anfing zu giggeln. Irgendwie wurde das Gefühl in meinem Bauch ganz warm, als ich Undertaker giggeln hörte. Ich kicherte mit. Ich mochte das Lachen des Leichengräbers. Beide Versionen davon. Auf einmal hatte ich etwas Weißes vor der Nase. Ich blinzelte verwirrt und schielte, als ich auf das Etwas vor meinen Augen schaute. Es war ein Taschentuch. Ich nahm eine Hand und wischte mir die Haare aus dem Gesicht. Zögerlich nahm ich das Taschentuch und murmelte leise: „Danke.“ Als ich mir meine roten Augen und feuchten Wangen trocken wischte merkte ich, dass der Bestatter mich immer noch im Arm hatte. Mein Gesicht wurde warm und ich schaute wieder schräg zu Boden. Ich hörte Undertaker lachen. Als ich zu Boden schaute sah ich die Teelache neben meinen Füßen: „Oh!“ Ich tat einen Schritt zur Seite und schaute immer noch auf den zu Boden gegangenen Becher. Undertaker ließ seinen Arm von meiner Taille rutschen, als ich mich bewegte. „Es tut mir leid!“, quiekte ich und schlug die Hände vors Gesicht: „Ich...“, hastig schaute ich mich um. Hier muss doch irgendwo ein Tuch sein: „Mach das sofort weg!“ Mein Blick fiel auf den schmuddeligen Lappen mit dem Ronald sich die Hände abgewischt hatte. Ich wollte zum Tresen gehen, doch eine Hand an meinem Handgelenk hielt mich auf. Ich drehte mich halb herum und schaute reichlich verwirrt in Undertakers Gesicht. Dieser lachte: „Hehe. Lass nur. Ich mach das gleich.“ „Aber... ich hab ihn fallen lassen.“ „Wirklich?“, er legte den grinsenden Kopf schief. Ich zog eine Augenbraue hoch: „Äh... Ja?“ Der Totengräber hob die andere Hand vor den Mund, als er kicherte: „War das eine Frage oder eine Aussage?“ „Äh... Aussage?“ „Und das?“ „Öhm... Aussage?“ „Und das?“ „Ähm... Aussage?“ „Und das?“ Ich ließ die Schultern hängen und schaute ihn irgendwo zwischen genervt und dem Gefühl veräppelt zu werden an. Darauf hin lachte der Bestatter los: „Ahehehehehehehehehehehe! Dieses Gesicht! Tihihihihihihi! Bezaubernd! Entzückend! Ahahahahaha!“ „Was hast du eigentlich mit meinem Gesicht?!“ Er zog an meinem Arm. Ich stolperte nach vorne. Meiner Meinung nach waren seine Arme für seine Kraft viel zu dünn. Oder zumindest wirkten sie zu dünn. Als ich wieder vor dem Leichengräber stand, streckte er mir seine Nase ins Gesicht: „Ich mag es, hehe. Deine Ausdrücke sind herrlich! So vielseitig! Und wie rot du immer wirst. Possierlich, wirklich. Hihi.“ Meine groß gewordenen Augen blinzelten irritiert und ich merkte mein Gesicht noch wärmer werden, woraufhin der Bestatter nur noch mehr kicherte. Es war mir unverständlich warum mich dieser schräge Typ immer wieder aus der Fassung brachte. In so vielen Hinsichten. Eigentlich in allen. Das war mir ziemlich unangenehm... und es verwirrte mich zutiefst. „Außerdem“, weckte mich Undertaker aus meinen Gedanken: „Wenn meine Gäste anfangen bei mir zu putzen, leg ich mich selbst auf eine Bahre, ahehehehe.“ „Oooookay“, machte ich gedehnt. Der Gedanke schien ihm nicht sonderlich zu widerstreben, was ich ein weiteres Mal bedenklich fand: „Ist alles ok bei dir?“ Wieder brach ein kleiner Lachanfall des Leichenbestatters durch den kleinen Laden: „Fuhehehehehehe! Das fragt die Richtige!“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Undertaker lachte noch mehr. Dann hob er einen Finger und wackelte an meiner hochgezogenen Augenbraue herum: „Und diese Augenbraue! Ahahahahahaha! Ich hab die wahre Freude meines Herzen gefunden!“ Jetzt klappte mir der Mund auf: 'Was?! Die wahre Freude seines Herzens?! Was soll das denn jetzt wieder heißen?!' Undertaker lachte noch lauter und wackelte weiter an meiner Augenbraue, als hätte er selten so viel Spaß gehabt. Er nahm besagten Finger und klappte mir den Mund zu: „Hör auf so zu schauen! Puhuhuhuhuhu! Oder ich sterbe!“, er wischte sich durch die Augen: „Das wäre Mord, hehe!“ „Klar“, nickte ich langsam: „Klingt logisch... Oder so.“ „Andererseits“, er nahm wieder seinen Finger und bewegte ihn in Richtung meiner Augenbraue: „Das sieht zu gut aus! Fu fu fu fu! Mach's doch noch mal! Tehe!“ Ich nahm die freie Hand und paschte damit auf die Hand des Bestatters: „Hey!“ Er ließ nicht locker und wackelte mit dem Finger vor meinem Gesicht herum: „Ach komm schon! Hihi!“ Ich befreite meine andere Hand und nahm beide Hände um seine Hand weg zu wedeln: „Nein! Lass das! Hast du mal was von 'Persönlicher Komfortzone' gehört?!“ „Pahahahaha! Komfortzone! Hab dich nicht so!“, griff er wieder eine von meinen Händen. Mit der anderen haute ich immer wieder auf seine, aber er zeigte eine ungeahnte Ausdauer darin mich ärgern zu wollen. Ich fühlte mich wie ein Kätzchen, das sich einer äußerst aufdringlichen Fliege erwehren musste. Doch ich musste anfangen zu lachen. Irgendwann schaffte ich es meine andere Hand wieder aus seiner zu ziehen und drückte sie gegen seine Wange: „Haha! Jetzt hör auf damit!“ Doch das tat er nicht. Er mogelte seine Hand an meiner vorbei. Allerdings traf er meine Nasenspitze. Wahrscheinlich, weil ich sein Gesicht mit meiner Hand ein Stück zu Seite drückte und er einfach blind war wie ein Maulwurf. War er zu stolz um seine Brille zu tragen? Er drehte seinen Finger auf meiner Nasenspitze, was meine Gedanken unterbrach: „Tihihi! Bitte! Ich will es noch einmal sehen!“ Ich tat zwei Schritte nach hinten: „Nein!“, lachte ich noch immer. Da ich zurück gegangen war, konnte sich der Bestatter wieder gerade hinstellen: „Bitte!“ „Haha, nein!“ Der Totengräber ging wieder auf mich zu, Finger voran: „Tu mir doch den Gefallen. Hehe!“ „Hey!“, ich duckte mich unter seinem Finger hinweg, lief an ihm vorbei und stellte mich so, dass ein Sarg zwischen uns stand: „Nicht ins Gesicht!“ „Oh, eine kleine Verfolgungsjagd“, der Bestatter grinste und legte kurz die Fingerkuppen aneinander: „Ist eine Weile her, dass ich so etwas mit Lebenden gemacht habe.“ Ich machte große Augen: „Was?!“ Aber ich hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn der Bestatter stützte eine Hand auf den Sarg und schwang sich mit Leichtigkeit darüber. Ich blinzelte verwirrt und rannte weg, als sein Finger mir wieder näher kam. „Haha! Hör auf!“, ich flitzte durch den kleinen Laden. Undertaker folgte mir auf den Fuß. Er war schnell! Eher unbeholfen wich ich immer wieder dem Finger aus. Er lachte dabei wie ein Kind im Freizeitpark und hatte hörbar Spaß. Irgendwie freute mich dieser Umstand so ungemein, dass er auch bei mir für ungeahnt viel Pläsier sorgte. Ich konzentrierte mich viel zu sehr auf seinen Finger und viel zu wenig auf meine Füße. Deshalb stolperte ich irgendwann über mein eigenes Bein. Ich wusste warum ich nicht im grünen Haus war. Ich strauchelte. Dann gaben sich die Umstände und mein Karma wieder die Hand: Durch das Straucheln stoppte ich, als ich versuchte mein Gleichgewicht zu halten. Zu plötzlich für einen gewissen Bestatter. Ich spürte wie er gegen mich prallte und mich von den Füßen riss. „WAAAAAAA!“, fielen wir mit einem kleinen, doppelten Schrei nach hinten in einen offenen Sarg. Der Zylinder des Totengräbers segelte zu Boden. Einen kleinen Moment drehte sich alles. Ich hörte und spürte den Bestatter lachen, während er auf mir lag. Er drückte mit seinem ganzen Gewicht gegen mich. Viele silberner Haare lagen auf meinem Gesicht. Sie fühlten sich ganz weich an. Wieder stieg mir der süße, natürliche Geruch in die Nase, den ich so gern mochte. Ich war immer noch furchtbar perplex, als er das Gesicht auf meine Schulter legte und ich nicht wusste, ob er einem Lach- oder Herzanfall unterlag. Ich hoffte einfach mal auf Ersteres. Undertaker hob den Kopf und grinste mir immer noch lachend ins Gesicht. Mein Herz wummerte ganz furchtbar gegen den Körper des Totengräbers, doch der Bestatter schien sich an der extremen körperlichen Nähe nicht annähernd zu stören. Die Zeit zog sich wie Teer. Das Blut brannte durch meine Wangen und pulsierte merklich in meinen Venen: 'Zu... nah...', ächzte ich in meinen Gedanken: '...Oder...?' Als ich den Mund öffnen wollte um etwas zu sagen, hatte ich plötzlich wieder einen Finger an meiner Augenbraue, der sie hoch und runter schob: „Hehehehehe! Gewonnen!“ Ich seufzte erst. Dann legte ich den Kopf in den Nacken und musste wieder anfangen zu lachen. Spontan empfand ich die Situation gar nicht mehr so unangenehm. Ein paar Minuten hallte unser Lachen im Chor durch den dunklen Laden. Dann stützte Undertaker sich auf: „Hahahaha! Hach! Herrlich!“ Ich öffnete die Augen. Dann wurden sie gleich noch größer, als ich den Sargdeckel unheilvoll wackeln sah: „Vorsicht!“ KLONG! Das war so ungefähr das Geräusch was ertönte, als der Sargdeckel zuklappen wollte. Doch der Kopf des Bestatters war im Weg. Das war auch so ungefähr das Geräusch was durch meinen Kopf surrte, denn überrascht wie er war reichte Undertaker die saftige Kopfnuss, die ihm der Sargdeckel verpasst hatte, an mich weiter. „Ohhhhhh“, machte ich reichlich desillusioniert und hob eine Hand an meine pochende Stirn, als der dumpfe Schmerz durch meinen Kopf surrte: „Aua... Ich hasse mein Karma...“ „Ich finde dein Karma gar nicht so schlecht. Hehehehehehe!“, lachte der Bestatter und hielt sich ebenfalls die Stirn. Ich öffnete empört die Augen und wollte den Kopf heben, aber meine Nasenspitze stupste gegen etwas Kühles. Es war dunkel in dem Sarg. Nur weil unsere Beine aus der Kiste hingen sickerte etwas Licht von außen durch einen kleinen Spalt hinein. Ich schaute in zwei Augen. Grüne Augen. Doch keine normalen grünen Augen. Sie leuchteten im Dunkeln! Ich dachte erst ich habe eine mittelschwere Gehirnerschütterung davon getragen und blinzelte, doch es war wahr: Die Augen des Bestatters schimmerten sachte in einem satten limonengrün durch das Düster des Sarges und erhellten ein bisschen sein stattliches Gesicht. Dann realisierte ich wie nah diese Augen waren und dass ich mir die Nase an dem Gesicht des Bestatters platt drückte. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Diese Augen bannten meinen Blick. Warum war die Haut des Totengräbers so kalt? Gleichzeitig mit diesem Gedanken schoss mir auch schon wieder Hitze ins Gesicht und ich blieb stumm. Undertaker war ausnahmsweise dieses mal vollkommen unschuldig. In dem Sarg war einfach kein Platz. Ich hatte das Gefühl die Zeit blieb stehen, als ich in diese schillernden Pupillen schaute. Ich konnte nicht einmal mehr blinzeln oder meinen Kopf wegnehmen. Ich hatte wirklich noch nie solche Augen gesehen! Er kicherte. Sein Atem streifte sanft über meine Lippen, schickte ein Kribbeln hindurch und mir eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper. „Das war so nicht geplant“, fing er wieder an zu lachen. Er lehnte seine Stirn ungefragt gegen meine und das leuchtende Grün verschwand, als er amüsiert die Augen schloss und weiter lachte: „Könnte aber schlimmer sein. Ahehehehehehe!“ Alles was ich sagen könnte und wollte blieb in meiner Kehle stecken. Selbst das Atmen gelang mir nur schwer bis gar nicht. Ich hatte das Gefühl mein Gesicht verbrannte und ich könnte gleich einfach in dem Sarg liegen bleiben, weil mein Herz aus meiner Brust sprang und schreiend davon lief. Es knarzte und Licht erreichte wieder meine Augen, als Undertaker mit einem Arm den Sargdeckel wieder öffnete und sich mit der anderen am Rand des Sarges hoch stützte. Er nahm zwar sein Gewicht von meinem Körper, stand aber nicht ganz auf. Sein langes Haar hing wie ein Vorhang aus vielen Silberfäden zwischen mir, der Welt und all meinen Problemen. „Besser?“, fragte er dann vollkommen aus dem Kontext gerissen. Ich blinzelte und tatsächlich: In den letzten Minuten hatte ich gar nicht mehr über meine Probleme nachgedacht. Nicht einen Gedanken hatte ich daran verschwendet: „Öhm... ja.“ Ich musste sogar zugeben, dass es eine Menge Spaß gemacht hatte. „Gut“, lächelte der Bestatter zufrieden: „Dann hat ja alles so funktioniert wie ich wollte.“ Dann machte er eine kleine Sprechpause und musterte mein Gesicht: „Was willst du jetzt tun?“ Ich wog den Kopf hin und her: „Ich werde die Kontaktanfrage ablehnen. Viele reden schlecht von Kinderheimen, aber meine Familie war sehr viel schlechter.“ „Willst du es erzählen?“ „Willst du es wirklich hören?“ „Warum nicht?“ „Naja... Es ist keine amüsante Geschichte.“ Undertaker lachte: „Hehehe. Die wenigsten Geschichten, die das Leben schreibt, sind wirklich lustig. Man muss für sein Pläsier meistens schon selber sorgen.“ Mein Blick wurde skeptisch. Irgendwie hatte ich nicht gedacht, dass der ewig lachende Leichengräber eine so ernste Auffassung von der Welt um sich herum hatte. Andererseits war er ziemlich gut darin selbst für Situationen zu sorgen, die ihn belustigen. Das habe ich mittlerweile herausgefunden. Ich war ja nicht selten Gegenstand seinem Amüsement, wenn ich ihn traf. Ich seufzte: „Mein Vater ist ein Trinker“, fing ich an: „Ex-Soldat. Für ihn hat der Krieg nie aufgehört. Auch zu Hause nicht.“ „Ich habe ein ungutes Gefühl in welche Richtung diese Geschichte geht“, verschwand sein Grinsen urplötzlich. „Wirklich?“, fragte ich zögerlich und ein wenig irritiert von dem ernsten Ausdruck auf den schmalen, aber geschwungenen Lippen. Er nickte: „Du musst dem Kind keinen Namen geben. Ich habe verstanden. Deine Mutter hat nichts dagegen unternommen, schätze ich.“ Ich schüttelte den Kopf und schlug die Augen zur Seite: „Nein, hat sie nicht...“ „Wirklich keine amüsante Geschichte. Daran finde selbst ich nichts zu lachen.“ Ich zog annähernd überrascht beide Augenbrauen hoch. Irgendwie hatte ich das Gefühl es war schlecht, wenn Undertaker einem Umstand nichts zum Lachen abgewinnen konnte. Doch dann zuckte ich mit den Schultern: „Es war auch nicht sonderlich amüsant.“ „Naja. Die Vergangenheit kann niemand ändern. Nicht einmal Gott wäre dazu in der Lage. Wenigstens bist du sie jetzt los und musst sie nie wieder sehen.“ „Ich hoffe...“ „Du willst nicht, also: Warum solltest du?“ Ich schaute ihm wieder ins Gesicht. Da er vornüberbeugt stand konnte ich seine Augen deutlich sehen. Die Augen, die im Dunkeln leuchten. Die Augen, die einem in die Seele schauten: „Naja... Wenn das Jugendamt entscheidet ich soll... dann muss ich...“ „Dann hör nicht auf sie“, sagte er mit einer gewissen Verständnislosigkeit: „Das Einzige was du MUSST, liebe Skyler, ist sterben.“ Ich war ein bisschen irritiert. Dieser Satz kam so dermaßen selbstverständlich, dass es sich wirklich so anhörte, als könnte es so einfach sein: „Naja... Das Jugendamt kann mir mit Sanktionen drohen...“ „Bringt dich irgendeine davon um?“ „Nein, aber...“ „Dann nichts aber.“ „So einfach ist das nicht!“ „Aha? Warum nicht?“ „Naja weil...“, mein Kopf ratterte: „Weil...“ „Weil?“, der Kopf des Bestatters kippte ein Stück zur Seite. Er sah so aus, als ob er mein Problem wirklich nicht verstand und gerade selbst nach einer Erklärung suchte, doch keine fand. „Ich auf das Jugendamt angewiesen bin...“ „Und inwiefern?“ „Ich bin minderjährig. Sie sind für mich verantwortlich.“ „Das impliziert nicht im Mindesten, dass du auf sie hören musst.“ Ein bockiger Teenager hätte wahrscheinlich ähnliche Dinge gesagt, nur wirkte der Bestatter weder bockig, noch wie ein Teenager. Ich war eher geneigt zu glauben, dass er wirklich dachte was er sagte. Schon allein, weil er immer behauptete er lüge nie. Ich wusste allerdings auch nicht so recht, was ich antworten sollte. War es nicht klar, dass man staatlichen Institutionen Folge leisten musste? Sonst kam man halt in Probleme. Der Bestatter lachte, als er mein verwirrtes Gesicht musterte: „Ich halte nicht viel von der Queen und ihren Institutionen.“ Ich klimperte mit den Augen: „Wirklich?“ „Jup“, machte er leger: „Ich finde diesen ganzen bürokratischen Kram furchtbar unwichtig. Ich meine: Das ist doch der reine Wahnsinn! Und ich bin wahnsinnig. Ich weiß also wovon ich spreche. Hehehehe!“ Ja, diese Einstellung hat man bei dem kurzen Gespräch mit Ronald schon deutlich heraus gehört: „Aber... du hältst dich dran, oder? Ich meine, du zahlst doch Steuern und so weiter.“ Er lachte: „Hehehe! Gezwungenermaßen, ja.“ Ok gut. Ich kannte jetzt nicht viele, die am Ende des Monats auf die Lohnabrechnung schauten und meinten: 'Yey! Steuern!' Doch irgendwie schwang in diesem Satz noch etwas anderes mit. Ich konnte nur nicht mit dem Finger drauf zeigen. Undertaker lachte: „Doch was genau du jetzt tun willst weiß ich immer noch nicht. Du willst ablehnen, klar, doch wie?“ „Wozu musst du das wissen?“ „Na, damit ich dir helfen kann.“ Ich konnte förmlich spüren wie ich meine Zunge verschluckte. Undertaker giggelte: „Kam das jetzt wieder unerwartet?“ Ich nickte langsam. Dann seufzte ich: „Naja... Du kannst mir nicht wirklich helfen...“ „Man kann immer helfen. Es verlangt manchmal nur nach ein wenig gesteigerter Kreativität.“ Ohne Vorwarnung griff er eine dicke Strähne meiner Haare, die mir über die rechte Schulter gefallen war und begann sie zu flechten. Ich schaute relativ irritiert auf seine Hände. Routiniert und geschickt hantierten die langen Finger mit den drei Haarsträhnen. „Was machst du da?“, fragte ich irritiert. Er lachte: „Das wird ein Zeichen.“ Meine Irritation wurde eher schlimmer anstatt besser: „Zeichen für was?“ „Für unsere Verbundenheit.“ Ich stockte: 'Verbundenheit?' Erst konnte ich mir das nicht erklären. Dann sah ich die dünne, geflochtene Strähne in der rechten Seite von Undertakers dichter, langer Mähne. Sie war mir vorher nie aufgefallen. Ich schaute von der Strähne zurück in sein Gesicht. Er flechtete meine Haare an derselben Stelle. War das das Zeichen? Ein geflochtener Zopf an derselben Stelle? Es standen immer noch einige Fragen auf meinen Zügen, doch ich konnte sie weder erfassen, noch aussprechen. Ein weiteres Mal war ich total sprachlos. Er lächelte mich an, als ihm ein leises Lachen entfloh und er mit einem Auge zwinkerte: „Damit du nicht vergisst, dass es jemanden gibt der dir helfen möchte, wenn du Hilfe brauchen würdest.“ Ich schaute ihn immer noch reichlich perplex an. Irgendwie war diese kleine Geste unglaublich überwältigend. Wahrscheinlich, weil sie so durch und durch ehrlich wirkte. „Also“, begann er wieder: „Wenn ich dir helfen kann zögere nicht mir Bescheid zu geben.“ „Ähm“, machte ich stümperhaft: „Danke, aber... ich werde zu dem Termin gehen, sagen dass ich den Kontakt nicht wünsche und dann... werde ich beten. Was anderes kann ich nicht tun.“ „Beten? Aha?“, er lachte. Dieses Lachen wirkte so, als wüsste er ganz genau, dass ich nicht weiß worüber er sich amüsierte: „Wenn du denkst es hilft. Hihi.“ Ich seufzte. Dann musste ich auch lachen: „Wahrscheinlich nicht.“ „Wann hast du den Termin?“ „Am 08.10. um 14:30 Uhr...“ „Nun“, er lachte: „Viel Glück.“ Dann griff er kurz in seine Manteltasche und band mir ein Haargummi in den Zopf. Er ließ ihn durch seine langen Finger gleiten, bevor er mir auf die Schulter fiel: „Und wenn deine Eltern dein Nein nicht akzeptieren, dann bekommen sie halt ein Problem mit mir.“ „Inwiefern?“, fragte ich verwirrt. „Mir fällt schon etwas ein. Hehehehe! Ich bin da kreativ.“ Das glaubte ich und der Gedanke, wie meine Eltern vor dem morbide lustigen Bestatter schreiend wegrannten, war wunderbar: „Klingt gut!“ „Wie alt bist du, Skyler?“, fragte er nach einem gefälligen Lachen. Ich klimperte mit den Augen: „Öhm... 17, fast 18.“ Er lachte wieder kurz auf: „Mein Gott, so jung.“ „Wie alt bist denn du?“ „Äh“, kam es kurz aus seinem Mund. Dann kicherte er: „Hehehehe. Zu alt.“ „Wie alt?“ Ein breites Grinsen erschien endgültig auf seinem Gesicht: „Rate, hehe.“ „Öhm“, machte ich. Ich war nicht gut im Schätzen: „So... 32?“ Als ich es aussprach, fühlte es sich irgendwie komisch an. So im Vergleich war er sicherlich viel älter als ich. Irgendwie bedauerte ich es und wusste nicht warum. „Pahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahaha!“, brüllte Undertaker auf einmal los. Er nahm eine Hand, um sich den Bauch zu halten. Von allen Lachanfällen, die ich von ihm schon erlebt hatte, war dies der heftigste. Hatte ich so weit daneben gelegen? Nicht, dass ich ihn viel zu alt geschätzt hatte! „32!“, japste er: „Ich werd nicht mehr! Wahahahahahahahaha!“ Eins meiner Augen zuckte vor Unbehagen: „Bin ich... so weit daneben?“, fragte ich unsicher. Sein Lachen erstarb. Eine Weile antwortete er nicht und musterte mich abwägend. Es wirkte, als müsste er sich die Antwort gut überlegen. Dann grinste er: „Das ist ein Geheimnis.“ 'Geheimnis', wiederholte ich verwirrt in meinem Kopf: 'Warum sollte das ein Geheimnis sein?' „Wann hast du Geburtstag?“ Ich blinzelte: „Warum?“ „Interesse.“ Ich zog provokant die Augen zu Schlitzen. Wenn er mir nicht alles erzählte, warum sollte ich? „Das ist ein Geheimnis“, zahlte ich es ihm mit gleicher Münze heim. Er giggelte: „Dann frag ich Amy.“ Mist! Wie unfair!: „Das ist nicht fair!“ Er lachte: „Ich sagte ich sei ehrlich, nicht ich sei fair. Hehehehehe! Also?“ Ich seufzte. Es nützte ja doch nichts. Er hatte mich ausgespielt: „31. Oktober...“ „Oh!“, machte er begeistert: „An Halloween! Wie entzückend! Dann wird es ja dieses Jahr auch noch eine Geburtstagsfeier!“ „Oh nein, nein, nein“, machte ich vehement: „Ich hab meinen Geburtstag noch nie gefeiert und ich fange sicherlich jetzt nicht damit an!“ Sein Grinsen drehte sich um: „Warum nicht?“ „Naja, weil...“, ich stockte. 'Weil er nie wichtig war', antwortete ich stumm in meinem Kopf. „Was wünscht du dir?“, streckte er mir ein weiteres Mal seine Nase ins Gesicht. Die grünen Augen wirkten wieder so, als hätten sie meine stumme Antwort sehr wohl verstanden. „Komfortzone!“, rief ich aus. „Abgelehnt“, lachte der Bestatter einfach. 'Wie abgelehnt?!', mein Mund klappte wieder auf Der Bestatter kicherte wieder amüsiert: „Also?“ „Also ich... weiß nicht, was ich darauf antworten soll...“ Ihm entfloh eine Mischung aus Seufzen und Lachen. Dieser Laut klang irgendwie immer komisch: „Ich habe hin und wieder das Gefühl wir würden nicht dieselbe Sprache sprechen.“ „Üff...“, machte ich beschämt. 'Ich bin ein Stück Toast...' : „Ähm doch schon...“ „Was war dann so unverständlich?“ „Ich... dachte einfach ich habe deutlich gemacht, dass mir mein Geburtstag nichts bedeutet. Folglich wünsche ich mir auch nichts.“ „Hehehe. Dann muss ich mir selber etwas einfallen lassen.“ Ich merkte wie mein Gesicht dunkel wurde: „Mach dir keine Umstände wegen mir...“ „Umstände? Ich finde Geburtstage herrlich! Mein zweitliebster Anlass zum Feiern!“ „Und was ist dein liebster Anlass?“ Er antwortete mir mit einem vielsagenden Grinsen. In meinem Kopf machte es Klick: „Oh nein, sag jetzt bitte nicht...“ „Doch“, antwortete der Bestatter auf meinen halben Satz: „Genau was du denkst.“ „Woher willst du wissen was ich denke?!“ „Skyler bitte. Ich bin sehschwach, nicht blind. Hehehehehe!“ „Geh aus meinem Kopf und mach die Hintertüre zu“, sagte ich beleidigt. Lachanfall die Dritte: „Pahahahahahaha! Nö.“ „Wie nö?!“ „Ich finde es gemütlich da drin. Hehe.“ Mit einem Schmunzeln ging er von dem Sarg weg und leichten Fußes zu dem Tresen. Auch ich setzte mich auf und sah wie er sich Ronalds Lappen schnappte und ihn dann ziemlich achtlos auf die kleine Pfütze warf. Mit der Spitze seiner schnallenbesetzten Lackstiefel tippte er von unten gegen den, auf dem Boden liegenden, Plastikbecher und dieser hüpfte hoch. Nonchalant fing er ihn aus der Luft und trat auf den Lappen, um dann mit seinem Fuß die kleine Lache aufzuwischen. Die Einlage war nicht schlecht. Ungeschickt wirkte der Bestatter nun wirklich nicht. Ich tippte bei ihm wohnte 'Ich kann nicht' zu 99% auf der 'Ich will nicht'-Straße, oder auf dem 'Ich habe kein Lust'-Weg. Auch den nassen Lappen warf er mit seinem Fuß hoch, um ihn zu fangen. Mein Kopf kippte zur Seite, als ich ihn beschaute. Sein Kopf zuckte zu mir: „Ist irgendetwas?“ „Nein“, machte ich fast ertappt: „Ich... schau nur.“ „Interessant?“, grinste er, als er zu der versteckten Türe ging. Mein Kopf folgte ihm, während ich aus dem Sarg kletterte. Er öffnete die Tür, beugte sich hinein und ich hörte ein leises Scheppern. Wahrscheinlich hat er den Becher und den Lappen einfach ins Waschbecken geworfen. Dann schloss er sie wieder und setzte sich mit verschränkten Armen auf seinen großen Tresen. Ich schaute aus dem Fenster. Das Zucken der Blitze hatte aufgehört, aber es goss immer noch wie aus Kübeln. Ein nahes Ende war nicht in Sicht. Kleine Tropfen leisteten sich an der Fensterscheibe ein Wettrennen und ich folgte ihnen einige Momente mit meinen Augen. Irgendwie drehten sich meine Gedanken furchtbar schnell in meinem Kopf, um alles was gerade gesagt und getan worden war. Ich drehte mich wieder um, als ich die Blicke des Bestatters in meinem Rücken spürte. Dann vibrierte etwas in meiner Brusttasche. Mit einem entschuldigenden Lächeln zog ich mein Handy heraus und schaute was es von mir wollte: - Amy [30.09.15 18:30] Hey! Wo bist du? - Öhm: 'Mist! Was sag ich ihr denn jetzt?' Irgendwie konnte ich ihr nicht erzählen, dass es mich wieder zu dem Bestatter verschlagen hatte. Ich hörte ein Lachen: „Gefällt dir nicht, was deine kleine Wunderkiste dir da zeigt?“ Ich schaute in an und zog wieder eine Augenbraue hoch: „Wunderkiste?“ Er kicherte wieder und hielt sich die Hand vor den Mund: „Ja. Ich kann den Dingern nichts abgewinnen.“ Das hört man selten: „Ok. Gut, ist ja nicht schlimm. Aber... mir wurde eine Telefonnummer angezeigt.“ Er wirkte verdutzt: „Hö?“ „Na“, machte ich zögerlich: „Im Internet...“ „Aha?“, er wirkte etwas verwundert. Dann schaute er nach links auf seinen Tresen: „Naja... ein Telefon hab ich...“ Ich folgte seinem Blick. Das Telefon war ein großer, weißer Kasten. Es war ein altes Model mit Schnur und großen, grauen Tasten. „Das ist ja antik“, sagte ich ohne zu überlegen. Er lachte: „Hahahaha! Man merkt du bist mit Amy befreundet.“ „Warum?“ „Sie sagt das auch immer“, dann grinste er mich wieder an: „Das erklärt aber alles nicht, warum du so komisch auf dein“, er kreiste mit dem Zeigefinger in der Luft: „Dingsda schaust.“ „Handy.“ „Was auch immer.“ Ich musste schmunzeln: „Amy hat mir geschrieben.“ „Aha?“ Ich wedelte mit einer Hand und lachte: „Vergiss es.“ „Lachst du mich aus?“, kicherte er. „Öhm...“, ich kicherte mit: „Ich glaub ein bisschen schon...“ Daraufhin lachte er: „Hahahahaha! Dann ist gut!“ „Stört dich das denn gar nicht?“, fragte ich verwundert. „Nicht im Geringsten“, er breitete die Arme aus: „Ich liebe es, wenn Leute lachen! Vor allem du.“ Ich hob meine Hand an den Mund, als ich merkte wie ich wieder rot wurde: „Wie... Wie meinst du das?“ „Du hast ein schönes Lachen“, er grinste: „Vorausgesetzt es ist ehrlich.“ „Wie...?“ „Ich hasse künstliches Lächeln und gespieltes Lachen. Du musst nicht so tun als wärst du glücklich, wenn du es einfach nicht bist.“ „Ich...“ „Mache es ständig“, grätschte er mir ins Wort, bevor ich aussprechen konnte und beendete meinen Satz für mich. Mit einem Seufzen schaute ich noch mal auf mein Handy: 'Was antworte ich denn jetzt?' - Sky [30.09.15 18:34] Hey! Ich bin spazieren... - - Amy [30.09.15 18:34] Bei dem Wetter?! - - Sky [30.09.15 18:34] Ja... - - Amy [30.09.15 18:35] Du bist doch bescheuert. Sag mal? Wo ist eigentlich Undertakers Mantel hin? - Ich schloss die Augen und legte die Hand darüber: 'Shit...' Ein Surren in meiner anderen Hand. Ich schaute durch die Finger auf meinen Display: - Amy [30.09.15 18:36] Ah! Verstehe! Viel Spaß euch beiden! Grüß schön von mir! - 'Shit...' Ich hörte Undertaker wieder lachen. Ich schaute ihn gespielt böse an. Er legte die Finger an die Brust und breitete dann die Hände aus: „Hey! Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.“ „Das ist dein Spruch, oder?“ Er zeigte mit einem Zeigefinger auf mich: „Oh ja. Hehehe!“ Ich lachte und verstaute mein Handy wieder: „Schöne Grüße von Amy.“ „Oh wie reizend!“, grinste er: „Zurück, zurück.“ „Apropos zurück...“, ich schaute leidend aus dem Fenster und ließ die Schultern hängen: „Ich muss so langsam. Wenn ich wieder um Punkt 22 Uhr im Wohnheim bin, dreht Ms. Lowell mich durch den Reißwolf.“ Undertaker lachte: „Ich...“ Ich hob die Hand und unterbrach ihn: „Du fährst mich nicht schon wieder!“ „Gut“, schmunzelte er: „Dann laufen wir. Gegen einen Spaziergang im Regen mit einer schönen Frau hab ich nichts einzuwenden.“ Mein Kopf war LEER! Ich muss ihn angeschaut haben wie eine Kuh wenn es donnert und brachte kein anständiges Wort heraus. Minuten lang. Er fing an heiter zu giggeln. „Wa Wi Wo Wa...“, überschlug sich meine Stimme wie meine gerade zurückgekehrten Gedanken. Der Bestatter fing wieder an mich ungeniert auszulachen: „Puhuhuhuhuhuhu! Hat dir noch niemand gesagt wie schön du bist?“ Ich glaubte in dem Moment mein Gesicht explodierte, so heiß war es geworden. Ich brachte wieder nicht mehr als ein unbeholfenen Gestammel zustande und hatte spontan einen staubtrockenen Mund. Ich schaffte es mich zu räuspern: „Nein“, piepste ich. Der Bestatter stand auf und legte den Kopf schief, als er heftig zu kichern anfing. Wieder rutschte sein Pony von einem seiner Augen: „Eine Schande. Naja, jetzt weißt du's.“ Er ging an mir vorbei und hob seinen Zylinder auf, der bei unserem Sargunfall herunter gefallen war. Dann setzte er ihn auf und ging zu dem Garderobenständer. Ohne große Eile zog er seinen wiedergewonnenen Mantel und sein Tuch über. Er hielt mir meinen Poncho hin. „Du... musst nicht mitkommen! Wir müssen nicht Beide nass werden!“ Ein weiteres Schmunzeln, als er noch einmal nach dem Ständer griff. Von der zur Wand gewandten Seite zog er einen großen, schwarzen Regenschirm heraus. Er wackelte damit bedeutungsschwer und grinste, als er seinen Arm noch ein Stück weiter zu mir streckte. Ich schaute ein Stück leidender: „Du musst wirklich ni... Au! Spinnst du?!“ Der Bestatter hatte mir leicht mit dem Regenschirm auf den Kopf gehauen, als ich ihm Widerworte geben wollte. Ich nahm den Poncho mit einem missbilligend Blick: „Das war nicht nötig“, wickelte ich mich darin ein. Er lachte: „Wenn ich jedes mal 1 £ bekommen würde, wenn du mir widersprichst, wäre ich Millionär.“ Ich zog meine Augen ein Stück enger: „So schlimm ist es auch nicht...“ Ich streckte ihm meine Hand hin und winkte mit den Fingern. Nach einem kurzen Moment verstand er und legte mir meine drei Spangen in die Hand, die er mir aus den Haaren gezogen hatte. Routiniert drehte ich meine obersten Haare in einen Dutt und steckte ihn fest. Prompt fiel mir mein langer Pony wieder heraus und ich seufzte. Mit einem weiteren Lachen stieß Undertaker die Türe auf und hielt mir seinen Ellbogen hin, nachdem er mit einem Knopfdruck den Schirm aufsprangen ließ. Ich schaute reichlich unintelligent auf die Geste, als ich zu ihm zur Türe ging. Er schüttelte lachend mit dem Kopf, schnappte sich einen meiner Arme und klemmte ihn unter seinen. Dann ließ er meine Hand wieder los. Mit einem Gesichtsausdruck, der immer noch weit entfernt von geistreich lag, ließ ich es geschehen und schaute zur Seite, um die erneut emporgestiegene Röte zu verstecken. Wir verließen den Laden, hielten noch einmal kurz inne und ich hörte das Klimpern eines Schlüsselbundes. Der Totengräber schloss seine Türe ab ohne mich loszulassen. Dann bahnte er sich routiniert seinen Weg durch die kleinen Gassen und zog mich mit. Der Regen prasselte schwer gegen den Stoff des Regenschirms und meine Gesichtsfarbe beruhigte sich irgendwann wieder ein Stück. Unwillkürlich fiel mir etwas Merkwürdiges auf: Als wir durch die schmalen Straßen schlenderten, standen immer noch die dubiosen Grüppchen in den dunklen Ecke der Gassen herum. Allerdings duckten sie sich in den Schatten sobald der Bestatter und ich sie passierten. Sie wirkten dabei irgendwo zwischen ehrfürchtig und verängstigt. Mir fiel wieder die Situation ein, in der ich vor dem Laden angekommen war: Die Schritte hinter mir, die sich prompt umgedreht hatten, als ich in die Gasse des Totengräbers eingeschlagen war. Hatten meine Verfolger vielleicht doch wegen dem bizarren Leichenbestatter von mir abgelassen? Mieden sie die Gasse in der sich sein Laden befand aus irgendwelchen Gründen? Wegen ihm? Hier in dem kleinen Komplex aus Nischen und Sackgassen war er sicher bekannt wie ein bunter Hund. Ich hörte neben mir ein Lachen: „Sie sollten dich ab jetzt in Ruhe lassen.“ Ich drehte irritiert den Kopf zu ihm. Sein Grinsen stand wie gewohnt in seinem Gesicht, doch er schaute auf die Straße vor uns und nicht zu mir: „Okay... Warum?“ Er lachte: „Ich hab meinen Ruf.“ „Kein guter wie es scheint.“ Undertaker lachte lauter: „Das kommt drauf an wen man fragt“, er schaute mir belustigt ins Gesicht: „Das sind hier ja alles 'ganz harte Kerle'. Es gibt Dinge, die würden die nie zugeben. Ahehehehehe! Trottel!“ Ich musste in sein Lachen einsteigen. Dann verlief sich die Konversation zu Gott und die Welt. Es war lustig! Wir plauderten und lachten, hatten Spaß und eine gute Zeit. Ich fand Gefallen an dieser ungezwungenen Art von Konversation. Er brachte mich durch das Tor des Campus. Wir wurden nicht aufgehalten. Dann hielten wir vor der Tür meines Wohnheimes. Dort entließ er meinen Arm. Ich lächelte schüchtern zur Seite: „Ähm... Danke. Für... alles.“ Er nahm meine Wange in die Hand und drehte meinen Kopf zu seinem lächelnden Gesicht: „Nicht dafür.“ Sein Daumen strich mir über die Wange und ein Hauch rosa flog mir wieder auf meine Züge: „Doch... Das ist nicht selbstverständlich...“ Er lachte: „Mach es gut. Halt die Öhrchen steif und fühle dich frei zu jeder Tages- und Nachtzeit bei mir vorbei zu schauen.“ Ich schloss die Augen, als sich meine Mundwinkel hochzogen: „Mach ich!“ Dann verschwand die Hand von meinem Gesicht: „Bis dann“, wandte er sich ab. „Tschau“, warf ich zurück. Dann ging ich ins Wohnheim. Ich verbrachte meinen Abend wie gewohnt mit Amy. Sie berichtete von ihrem Tag und schien eine Menge Spaß gehabt zu haben. Dann wollte sie wissen wie meiner war. Ich erzählte ihr, dass ich bei Undertaker Ronald getroffen hatte, wir nur geredet und eine Menge gelacht hätten. Sie schien keinen Verdacht zu schöpfen, dass ich ihr mehr als die Hälfte verschwieg. Nach dem Duschen ging ich zu Bett. Ich lag lange wach und meine Gedanken klebten unnachgiebig an dem seltsamen Mann. Das Kribbeln in meinem Bauch machte mich fast verrückt. Mir war dieses Gefühl einfach unerklärlich. Ich kannte es nicht. Irgendwann schlief ich ein und träumte von einem großen Mann mit silbernen Haaren. Ich quälte mich so durch meinen Schulalltag. Es funktionierte, aber nicht gut. Ich war unkonzentriert. Schweifte immer wieder mit den Gedanken ab. Zu dem Termin am 08.10… Zu dem großen Mann mit den silbernen Haaren und der langen Narbe im Gesicht. Irgendetwas an ihm fesselte mich. Ich wusste nicht was und ich wusste nicht wie. Ich erkannte es auch nicht. Eine morbide Mischung aus Angst und Verwirrung krempelte mir den Magen um. Essen funktionierte nicht. Irgendwann musste ich Amy beichten was in dem Brief gestanden hatte. Sie war außer sich gewesen. Hatte geschimpft und gewütet. Doch auch der Ärger der jüngsten Phantomhive konnte an der Tatsache nichts ändern. Um pünktlich in dem Büro meiner Sozialarbeiterin zu sein musste ich den Unterricht früher verlassen. Das regnerische London hatte mir heute noch keine sintflutartigen Regenfälle entgegen geschickt, doch hingen die Wolken immer noch unheimlich dunkel und tief am Himmel, während der scharfe Herbstwind um alle Häuserecken der belebten Großstadt pfiff. Mit dem Bus begab ich mich in Richtung des Jugendamtsgebäudes. Während der Fahrt spielte ich die ganze Zeit nervös mit der geflochtenen Haarsträhne. Seit ich den Bestatter das letzte Mal besucht hatte, hatte ich sie immer wider an derselben Stelle zusammen gelegt. Das Jugendamt lag mitten in der 'City of Westminster', wie alle großen staatlichen Institutionen. Ich war um 14:20 Uhr an Hemsworths Büro angekommen und trotzdem ließ sie mich eine halbe Stunde warten. Die wahrscheinlich schlimmste halbe Stunde meines jungen Lebens. Was sie machte interessierte mich nicht. Ich rieb meine schwitzigen Hände an meinem Rock trocken, als ich das Gefühl hatte mein leerer Magen koche gleich über. Ich war in meinem Leben selten so unruhig gewesen. Eine derartige Angst vor dem Ausgang dieses Gespräches surrte in mir auf und nieder, dass ich mir sicher war ich würde in Ohnmacht fallen, wenn die gute Ms. Hemsworth nicht bald die Forte zu ihrem Büro öffnen würde. Am Rande der Verzweiflung und die Handflächen schon wund vom vielen Reiben gegen den Stoff meiner Uniform, tat sich schließlich etwas. Als sich die Türe öffnete wusste ich nicht, ob mich das Geräusch erleichterte oder noch um Welten mehr ängstigte. Ms. Hemsworth lächelte mich schmal an: „Skyler. Komm doch rein.“ Ich stand mit zittrigen Knien auf: „Hallo Ms. Hemsworth...“ Ich folgte der drahtigen Frau Mitte 50, mit dem strengen, dunkelbraunen Dutt und der furchtbar schmalen Brille. In ihrem dunkelblauen Kostüm wirkte sie wie aus einem schlechten Film der 90er. Sie setzte sich an ihren penibel aufgeräumten Schreibtisch und ich mich auf den Stuhl gegenüber. Ich hasste diese Frau. Eine Theoretikerin gefangen im Evangelium der Vorschriften, flexibel wie eine Baseballschläger und ungefähr genauso sympathisch. „Nun Skyler? Wie ist deine Schule?“, fragte sie und schlug meine Akte auf. Ihr Unterton war missbilligend und nicht ansatzweise interessiert. Es war übrigens das erste Mal in den 4 Jahren, dass sie danach fragte: „Eine sehr teure Einrichtung. Sicher stellen sie hohe Ansprüche an dich.“ Ich lächelte dünn: „...Sie ist wunderbar Ms. Hemsworth“, begann ich unsicher und versuchte meine Schultern zu straffen: „Ich bin der Fag des Purple Prefect und somit die 2 höchste Schülerin meines Hauses. Die Ansprüche sind hoch, ja, aber mein Zeugnis spricht für sich.“ Sie musterte mich streng und schob seufzend ihre Brille hoch: „Ja, es ist ganz passabel. Ich kann mir trotzdem vorstellen, dass ein Mädchen wie du untergehst.“ Mich traf der Schlag. Hörte sie mir überhaupt zu? Glaubte sie mir nicht, was ich sagte? Ich hatte das ungute Gefühl, dass für sie schon feststand wie es mit mir weiter ging und dass mir das nicht gefallen würde. Nervös spielte ich wieder an dem Zopf herum. „Das ist einfach nicht deine Welt, Skyler.“ „Untergehen? Passabel? Ms. Hemsworth... ich... ich bin eine 1er Schülerin! Die Fünftbeste des ganzen Jahrgangs! Ich... ich gehe nicht unter. Ich habe Freunde und bin eine Respektsperson.“ „Du musst es nicht ausschmücken, Skyler.“ „Ich schmücke nichts aus!“, rief ich verzweifelt, als das Brennen in meinem Magen stärker wurde und er sich schmerzhaft um sich selbst krampfte. Das kann doch nicht wahr sein! Immer rastloser drehte meine Hand den kleinen Zopf: „Und darum geht es heute auch gar nicht... oder?“ „Es ist mir noch schleierhafter wie ein Kind wie du sich in dem Sozialgefüge so einer Schule behaupten will. Noten sind nicht alles. Doch nun, es stimmt. Es ist heute nicht Thema. Deine Eltern, Sky...“ Wenn die Olle keine Lust mehr auf ihren Job hat, warum kündigt sie nicht einfach? „Ich... lehne ab!“, unterbrach ich sie und versuchte bestimmt zu klingen. Das gefiel mir hier alles ganz und gar nicht. Mein Magen stimmte mir schmerzhaft zu und ich rieb mir den Bauch. Missbilligung stand in Hemsworths Gesicht: „Bitte? Dein Vater ist trocken. Resozialisiert. Sie wollen dich wiedersehen. Ich hab schon mit ihnen gesprochen. Es ist alles vorbereitet.“ Von mir aus können meine Eltern wollen was sie möchten und mein Vater könnte so trocken sein wie eine Pfütze in der Wüste! „Ich wünsche keinen Umgang, Ms. Hemsworth. Bitte versuchen sie doch zu verstehen, ich...“ „Das halte ich nicht für vernünftig“, unterbrach sie mich. „Ms. Hemsworth. Ich werde in 23 Tagen 18. Ich kann das für mich selbst entscheiden.“ „Ich bezweifele, dass du weit genug bist um selbständig zu sein.“ „Bitte?“, meine Hände fingen an zu zittern und ich ballte sie nervös zu Fäusten um es zu unterdrücken, während ich sie gegen meine Oberschenkel presste: „Wie... Wieso?“ „Die Rückführung in die Familie ist das höchste Ziel des Jugendamtes, Sky. Nur, weil du bald 18 bist, heißt das nicht, dass du auf eigenen Beinen stehen kannst.“ Ich zog die Augen ein Stück zusammen. Da lang läuft der Hase. Ich dürfte in der Wohngruppe bleiben, bis ich eine Ausbildung oder einen Studienplatz hatte. Sie wollte nicht, dass ich noch ein Jahr untergebracht werde und weitere Steuergelder in Anspruch nehme. Also wollte sie mich in mein Höllenloch von Familie stecken um Kosten zu sparen. Nervös fingen meine Beine an zu wippen: „Ms. Hemsworth, ich...“ „Vielleicht solltest du noch eine Nacht darüber schlafen. Es hat sich wirklich viel getan.“ Ich schaute ihr in ihre strengen, braunen Augen: „Ich wünsche keinen Kontakt zu meinen Erzeugern.“ „Triff dich wenigstens mit ihnen. Komm. Wir machen einen Termin für den begleiteten Erstkontakt.“ „Nein!“, wehrte ich mich vehement: „Machen sie den Termin von mir aus mit sich selbst. Ich werde nicht da sein!“, Panik mischte sich mit Wut und mir stieg die Magensäure in die Kehle. „Skyler, benimm dich!“ „Ich benehme mich, aber sie hören mir nicht zu!“ „Du bist bei dem Treffen nicht alleine. Ich werde dich begleiten.“ „Ui“, entfloh es mir sarkastischer als ich wollte: „Toll. Und beim zweiten? Und dritten? Sind sie da auch dabei?“ Hemsworth seufzte: „Ich gebe mir hier viel Mühe mit dir, Skyler. Lerne das zu schätzen. Wenn der Erstkontakt gut verläuft, ist eine weitere Begleitung nicht nötig. Wenn wir früh genug anfangen, kannst du nach dem College gleich wieder nach Hause ziehen. Viele Kinder würden sich so etwas wünschen.“ 'Viele Kinder hatten auch keinen prügelnden Vater.' „Wenn es also daran liegt, dass du zu nervös bist, können wir das ignorieren. Es wird sich erübrigen.“ Ich beugte mich vor: „Ich bin nervös, ja. Weil ich den Mann wiedertreffen soll, der mich zig Male ins Krankenhaus gebracht hat. Ich war ein kleines Kind damals.“ „Doch nun bist du eine junge Erwachsene.“ „Auf einmal?“ „Skyler, bitte. Lass uns jetzt endlich diesen Termin ausmachen.“ Ich schlang die Arme um meinen harten Bauch: „Nein... Keine Termine... Bitte... Ich will sie nicht treffen und nichts mehr von ihnen hören.“ „Skyler, jetzt stell dich nicht so an. Sie haben sich toll gemacht, du wirst begeistert sein.“ „Nein...“ „Skyler, jeder verdient eine zweite Chance.“ „Nein...“ „Jetzt hör mir zu. Ich habe dir eine Menge über deine Eltern zu erzählen. Sie sind wirklich zwei nette Menschen.“ Mein Zittern wurde stärker als die Erkenntnis wuchs, dass ich keine Chance hatte: „Sie waren nie nett zu mir...“ Warum hatte ich die Sozialarbeiterin, die keine Lust mehr auf ihren Job hatte und versuchte ihre Klienten auf biegen und brechen vom Tisch zu bekommen? Gott, warum ich?! Ich hatte doch wirklich nichts und niemandem etwas getan! Mit bleichem Gesicht lauschte ich dem Loblied, das die frustrierte Sozialarbeiterin von meinen Eltern sang. Es sei ja alles jetzt ganz toll, meine Eltern lebten in vollkommener Harmonie und mein Vater sei wie ausgewechselt. Entzug, Therapie, bla, bla, bla. Ich glaubte ihr kein Wort. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Ich war mir noch nicht einmal klar, ob wir von denselben Menschen sprachen. Hemsworth wollte mich los werden und sah nun ihre Gelegenheit. Fast eine Stunde redete sie unaufhörlich auf mich ein und brachte mich meiner innerlichen Zerreißgrenze gefährlich nah. Ich wurde auf meinem Stuhl immer kleiner. Eine Hand wanderte nach oben und spielte wieder nervös an dem Zopf herum. „Ich würde den 24.10. für den Erstkontakt vorschlagen. Ist das in Ordnung, Skyler? Dann hast du einen ganzen Tag Zeit sie neu kennen zu lernen. Umentscheiden kannst du dich dann immer noch.“ „Ich möchte nicht, Ms. Hemsworth...“, sagte ich kleinlaut und zog meine Arme enger um mich. „Ich finde das ist ein guter Kompromiss.“ „Aber...“ „Wie wäre es mit 11 Uhr hier?“ „Ms. Hemsworth, ich...“ „Wo es uns dann hin verschlägt sehen wir dann.“ „Aber...“ „Sei ein gutes Kind Skyler und sag endlich ja.“ Ich schaute sie flehend an. Sie hob nur fragend und angehend genervt eine Hand. Ich hielt das nicht mehr aus! Ich wollte hier raus! Also nickte ich. Ich kam nicht drum herum. Sie würde solange auf mich einreden bis ich ja sagte. Ihr Job war der Frau nicht wichtig. Ich war der Frau nicht wichtig. Ihre positiven Bilanzen, die waren ihr wichtig und ich sollte sie nun noch besser machen. Außerdem war jedes Kind, was die Maßnahmen verließ, offiziell nicht mehr ihr Problem. Sie drückte mir einen Zettel mit dem Termin in die Hand: „Ich freue mich über deine Vernunft. Vielleicht tut dir die Schule doch gut.“ 'Ich hoffe, du brennst in der Hölle! Langsam! Über kleiner Flamme!' surrte es durch meinen Kopf. Nach einer gemurmelten Verabschiedung verließ ich das Gebäude zügigen Schrittes. Dumme Schnalle! Auch das Nein eines Heimkindes ist ein Nein! Von mir aus könnte die 'Rückführung in die Familie' das hochgesteckteste Ziel des Jugendamtes sein, persönlich an sie weitergegeben vom fliegenden Spagettiemonster! Doch nun war alles zu spät. Ich wickelte mich in meinen Poncho während ich zwei Stufen gleichzeitig nahm und die Treppen hinunter rauschte. Tränen standen mir in den Augen. Es war alles schief gelaufen! Ich hatte mich weich kochen lassen. Nicht einmal für mich selbst sprechen konnte ich überzeugend! Ich seufzte und wollte meine Tränen, entsprungen endloser Wut, Ärger und Verzweiflung aus den Augen wischen, als ich viel zu hastig die großen Steintreppen vor dem Gebäude des Jugendamtes hinunter ging. Doofe Idee. Ich rutschte ab und fiel nach vorne. Der Zettel flog aus meiner Hand. Als ich mich schon darauf gefasst machte mir an der nächsten Stufe ein paar Zähne auszuschlagen und so meinen Tag endgültig abzurunden, stoppte mich etwas Weiches. Zwei Arme hielten mich fest. „Du bist teilweise wirklich selbst dein größter Feind, kann das sein? Hehe.“ Ich kannte die Stimme! Hastig buddelte ich mein Gesicht aus dem Stoff, in dem es gelandet war: „Undertaker?!“ Mir schien ein wohl bekanntes breites Grinsen entgegen: „Live und in Farbe, hehe.“ Dann wandte er den verhangenen Blick nach oben und streckte die Hand nach dem Zettel aus, der gemütlich zu Boden schweben wollte. Er hielt ihn nah an sein Gesicht. Ich konnte mir vorstellen, dass er gerade die Augen zusammenkniff um ihn entziffern zu können. Danach schaute er mich an: „'Termin für begleiteten Erstkontakt'?“, sein Grinsen verschwand: „Sag mir nicht du hast dich...“ Ich unterbrach den Bestatter. indem ich mich reichlich forsch aus seinem Arm befreite und ihm den Zettel aus der Hand riss. Ich schlang meine Arme um mich selbst und drehte mich halb weg. „Das geht dich nichts an!“, rief ich wütend und starrte auf den Boden. „Das stimmt“, hörte ich ihn neben mir sagen: „Aber ich habe dir etwas versprochen.“ Mein Kopf flog herum. Ich starrte ihm ungläubig ins Gesicht. Er sagte so etwas, obwohl ich ihn vollkommen ungerechtfertigt angekeift hatte? Warum? Ich hatte damit gerechnet, dass er sich einfach umdrehte und ging. „Was...“, begann ich überfordert: „Tust du hier überhaupt?“ „Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er. Er lachte nicht. Ich wusste nicht was ich davon halten sollte: „Ich habe mit so einem Ausgang leider gerechnet.“ „... Und?“, fragte ich zögerlich, als ich die Intension in diesen Worten nicht glauben konnte. Er seufzte: „Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du ganz alleine durch die große Stadt tigerst. In diesem Zustand.“ Mein Arme fielen schlaff zur Seite und ich ließ den Kopf hängen: „Ich bin ein totaler Versager, Undertaker... Ich... Sie hat die ganze Zeit auf mich eingeredet. Ich wollte... nur noch da raus. Ich war vollkommen unfähig... irgendwas dagegen zu tun...“ Eine kühle Hand hob meinen Kopf am Kinn an. Ein scharfer Wind fegte über den kleinen Platz hinweg und wehte den Pony des Totengräbers zur Seite. In den kristallklaren Augen stand eine tiefe Sorge: „Lass uns ein Stück gehen. Du stehst ja vollends neben dir.“ Ich nickte müde und schlug die Augen nieder. „Hey“, machte seine dunkle Stimme mitfühlend: „Schau mich an.“ Langsam wanderte mein Blick wider in sein Gesicht. Der Wind hatte aufgehört, aber sein Pony war nicht ganz zurück gefallen. Sanft lächelte mir der schmale Mund und ein Auge entgegen: „Wir finden einen Weg, ok?“ Ich nickte ein weiteres Mal. Dann harkte der Bestatter meinen Arm unter seinen, so wie er es beim letzten Mal auch getan hatte. Nur ließ er diesmal meine Hand nicht wieder los. Seine langen Finger waren fest mit meinen verschränkt und gaben mir ungeahnt das plötzliche Gefühl einer gewissen Sicherheit, als er langsam los ging. Seine Hände waren kräftig wie der ganze Mann, obwohl man es ihm wirklich nicht ansah. Wir gingen einige Zeit schweigend durch die Straßen der Stadt. Es war geschäftig, auch wenn der Himmel mit Regen drohte. Der kühle Wind beruhigte meine flattrigen Nerven ein wenig, doch die furchtbare Unruhe in mir wurde nicht wirklich besser. Es dauerte nicht lange und wir schlugen den Weg in einen großen Park ein. Ich kannte ihn. Es war der 'St. James Park'. Ein großer Park, in dessen Mitte der 'St. James Park Lake' lag. Hier war es weit weniger trubelig, wahrscheinlich wegen dem schlechten Wetter und den kühlen Temperaturen. Der Lärm der Straße wehte aus der Ferne zu uns herüber, als der Bestatter mich gemütlich über die laubbedeckten Wege führte. Irgendwann schaute er mich an: „Du siehst immer noch nicht besser aus.“ Ich schaute ihn kurz an und dann wieder auf meine Füße: „Es geht schon...“ Ich hörte ein bedeutungsschweres Räuspern. „Ok...“, gab ich mich geschlagen: „Es geht nicht...“ Ich hörte ein Lachen und schaute ihn böse an: „Worüber lachst du?“ Er drehte den Kopf zu mir: „Du lässt dich ziemlich schnell hängen, hm? Plan A ist zwar fehlgeschlagen, aber es gibt noch 25 weitere Buchstaben im Alphabet.“ Ich seufzte: „Ich habe so das Gefühl ich brächte mehr als 25...“ Er kicherte wieder: „Naja, es gibt ja noch 3 Umlaute, das Eszett, sowie ein paar Di-, Tri- und Tetragraphen.“ Dieser Satz klang halb wie ein Scherz und auf der anderen Hälfte sehr, sehr ernst. Irgendwie entlockte es mir ein halbes Kichern: „Das Eszett gibt es nur im Deutschen!“ „Hihihi, wer sagt, dass wir uns auf das englische Alphabet beschränken müssen?“, er streckte einen Finger in die Luft: „Es gibt noch 23 weitere, die mir gerade einfallen + Hieroglyphen! Die Auswahl ist endlos!“, er tippte mir mit dem Finger auf die Nasenspitze: „Genau wie deine Möglichkeiten.“ Ich schaute ihn an und hatte definitiv nicht das Gefühl endlos viele Optionen zu haben: „Welche hab ich denn? Wenn ich den Termin nicht wahrnehme, komm ich in Teufelsküche.“ Undertaker kicherte etwas lauter: „Hehe! Da war ich schon öfter. Ist gar nicht so übel.“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Was bringt dich denn in Teufelsküche?“ Der Bestatter hatte eine derart sorgenfreie Art an sich, dass ich mir nicht sicher war ob er es mitbekam wenn er sich Sorgen machen sollte. „Naja“, grinste er: „Das.“ Dann nahm er seinen Finger und wackelte wieder giggelnd an meiner Augenbraue. Ich patschte wieder gegen seine Hand: „Hey! Hör auf mich zu veräppeln!“ Ich knuffte ihn in die Seite. Zu meiner Verwunderung zuckte Undertaker komisch zusammen und hüpfte quiekend einen Schritt zur Seite. Da ich immer noch bei ihm eingeharkt war, stolperte ich hinterher. Dann schaute ich ihn mit schief gelegtem Kopf an: „Warum...“, dann fiel der Groschen: „Du bist kitzelig!“ Der Totengräber wirkte irgendwie ertappt. Dann nickte er grinsend: „Ähm, ja.“ Ich zog die Augen unheilverkündend zu Schlitzen: „Seeeehr kitzelig?“ Er wirkte so, als ob er gerade gerne lügen würde: „Äh... ja“, antwortete er dann aber doch ehrlich. Ein breites, fieses Grinsen erschien in meinem Gesicht, als ich einen Weg mich zu rächen gefunden hatte: „Gut zu wissen.“ „Hmhm“, machte er zustimmend durch die geschlossenen Lippen und wandte das Gesicht wieder nach vorne, wohl erkennend was diese Worte für ihn zu bedeuten hatten: „Das glaube ich dir.“ „Aber“, ich grinste weiter: „Das ist doch toll! Du lachst doch so gerne!“ Nur seine Augen wanderten wieder zu mir: „So kann man es auch sehen. Hehe.“ „Weißt du“, ich hob einen Finger: „Ich sehe das positiv!“ Ich sah durch die kleine Lücke in seinem Pony, dass seine Augenbraue nach oben wanderte: „Inwiefern?“ „Immer wenn du mich ärgerst mach ich einfach das!“, nahm ich meinen Finger und piekste ihn in seine Seite. Er hüpfte und quiekte schon wieder. „Das funktioniert ja wirklich!“, hüpfte ich wieder meinem Arm, der an dem Bestatter hing, hinterher. Er kicherte: „Hehe! Lass das!“ „Abgelehnt!“, ich piekste noch einmal zu. Dieses Quieken klingt so was von schräg: „Nicht!“ Ich konnte nicht aufhören. Es war so unheimlich lustig wie hoch der Totengräber quietschen konnte! Mickey Maus wäre blass vor Neid! Ich zog meinen Arm unter seinem weg, um ihn beidhändig besser foltern zu können. Zum ersten Mal klang Undertakers Lachen ansatzweise gequält. Ich allerdings hatte eine gewisse Freude daran, wie der Bestatter versuchte sich weg zu drehen und meinen Händen zu entkommen. Ich drehte mich immer mit und kitzelte ihn weiter. Rache ist süß! „Nein, pahahahahaha! Bitte, hahahahahaha! Lass das, wahahahahaha!“ „Oh nein, nein, nein, nein! Ich darf mich noch rächen für die Aktion im Sarg, dem Erschrecken an der Tür, die Sache mit der Augenbraue und die Kopfnuss!“ „Die Kopfnuss war ein Unfall! Hahahahahaha!“ „Und der Rest?“ „Der nicht! Ich bin geständig! Fuhuhuhuhuhu! Aufhören! Bitte!“, rief der Totengräber atemlos. „Leide!“ „Icks!“ Ich schlang mir die Arme um den Bauch, als ich mich nach vorne krümmte und laut zu lachen anfing. Undertaker hing auf einem kleinen Zaun und atmete schwer. Diesmal war ich es, auf die man warten musste bis der Lachanfall abgeebbt war. Doch immer, wenn ich auf den keuchenden Bestatter schaute, musste ich wieder anfangen los zu lachen. Irgendwann hörte ich auch Undertaker wieder lachen. Er kam die drei Schritte auf mich zu und schaute mich grinsend an: „Du bist wie ein fieser, kleiner Kobold. Ahehehehehe!“ Ich zeigte mit dem Finger auf ihn: „Du hahahahahaha! Dieses Quieken! Hahahaha!“ Ich rieb mir die Tränen aus den Augen: „Wie kann man nur solche Laute machen?“ Er lachte: „Ahehehehehe! Indem man zu Tode gequält wird! Sind wir quitt?“ Ich legte die Hand an mein Kinn und schaute gespielt überlegend nach oben: „Ich weiß noch nicht.“ Das Grinsen des Bestatters kippte ein Stück zur Seite. Ich musste wieder lachen: „Haha! Ok, ok. Sind wir.“ „Puh“, machte er. „Aber!“, ich zeigte mit dem Finger auf ihn: „Wenn du mich das nächste Mal erschreckst, gibst du mir damit die offizielle Berechtigung dich auszukitzeln!“ Er seufzte gespielt und verschränkte die Arme: „Du stürzt mich damit in eine Seienskrise, das weißt du oder? Hehe!“ Ich breitete ein Stück die Hände aus: „Nicht mein Problem.“ Er legte amüsiert den Kopf schief: „Ein kleiner, fieser, sadistischer Kobold.“ „Ich bin kein Kobold!“ „Du erinnerst mich aber an einen.“ „Bitte?!“, machte ich empört: „Ich bin doch kein kleines, grünes, haariges Männchen mit riesigen Ohren und Lendenschurz!“ „Hehehehe, nein bist du nicht“, kicherte der Bestatter und nahm dabei eine Hand vor den Mund: „Aber ein schadenfrohes, sadistisches, hübsches, junges Ding.“ Ich blinzelte irritiert, als der Totengräber mich gleichzeitig beleidigte und mir ein Kompliment machte. Er lachte lauter: „Aber wenn es dir jetzt besser geht hat sich mein Leiden ja gelohnt.“ Ich lächelte leicht beschämt als ich mir bewusst wurde, dass der Bestatter mich wieder erfolgreich von meinen schlechten Gedanken abgelenkt hatte und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Der Leichengräber ging gewohnt leichtfüßig weiter. Ich machte mich eilig daran zu ihm aufzuschließen. „Eine Frage habe ich“, sagte Undertaker nach einer Weile. Ich schaute ihm verwirrt an: „Welche?“ „Was nun?“, sein Kopf drehte sich zu mir: „Was ist dein Plan B?“ „Ich...“, ein Seufzen, als ich meine Arme um mich selbst schlang: „Ich hab keinen...“ „Nun ja. 16 Tage hast du noch um dir etwas zu überlegen.“ Ein unwillkürliches Zittern fuhr bei dem Gedanken durch meine Glieder: „Ich... Ich weiß einfach nicht...“ Eine Hand legte sich um meine Schultern. Dann zog Undertaker mich zu sich: „Du musst jetzt deinen klaren Kopf behalten und nachdenken.“ Leichter gesagt als getan. Diese Geste verursachte in meinem Kopf Purzelbäume. Der Geruch von Zucker, Gras und Zedernholz machte es nur noch schlimmer. „Was würde dich davor bewahren?“, fragte er ruhig. Ich seufzte, wehrte mich aber ein weiteres Mal nicht gegen die gesteigerte körperliche Nähe. Warum? Keine Ahnung. „Naja... Am Einfachsten wäre es, wenn meine Eltern einfach nicht auftauchen würden. Das würde sie unglaubwürdig machen und sie würden dem Amt gegenüber in Ungnade fallen.“ Der Bestatter blieb eine zeitlang stumm und schlenderte mit mir einige Runden durch den Park. „Woran denkst du?“, fragte ich irgendwann. Der Totengräber giggelte: „Ob mir eine Lösung einfällt, jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist. Hehe.“ „Zerbreche dir nicht den Kopf darüber“, seufzte ich: „Es ist nicht dein Problem.“ Er lachte: „Zerbreche du dir nicht den Kopf darüber, worüber ich mir den Kopf zerbreche, hehehe.“ Ich musste den Satz in meinem Kopf kurz sortieren: „Wenn du meinst... Naja, ich muss mir jetzt was Fixes einfallen lassen.“ „Hehe. Du solltest es dabei tunlichst vermeiden in Panik zu verfallen. Es geht dann nämlich meist prächtig daneben.“ „Das ist leichter gesagt, als getan...“ „Niemand hat mit einem Wort erwähnt es wäre einfach, liebe Sky.“ Ich seufzte. Jetzt, wo wir so ruhig durch den Park wanderten, ergriff mich eine fürchterliche Müdigkeit. Sie zog schwer in meine Glieder und in meinen Kopf: „Ich glaube heute kriege ich keinen anständigen Gedanken mehr zustande... Ich bin müde...“ „Das glaube ich dir sofort.“ Ich schaute dem Bestatter ins Gesicht. Er grinste zurück: „Ich glaube, ich habe eine Idee.“ Ich machte große Augen: „Welche?“ Er lachte laut auf: „Das ist eine Überraschung!“ „Aha?“, machte ich: „Ich hab irgendwie die Schnauze voll von Überraschungen...“ „Wie tragisch“, machte Undertaker. Ein paar Meter vor uns sah ich den Ausgang des Parks. „Überraschungen sind etwas Tolles!“, verließ der Bestatter mit mir den Park, wieder zurück auf die belebten Straßen. „Naja“, machte ich: „Der Brief war auch überraschend. Toll fand ich das aber nicht.“ „Vertraust du mir denn gar nicht?“, lachte der Totengräber. „Doch... schon...“, ich wusste nicht warum, aber es lag nicht nur an Amys Versicherungen Undertaker sei ein zuverlässiger Charakter. Ich war schon lange niemand mehr, der blind vertrauen konnte, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass man sich auf den sonderbaren Totengräber verlassen konnte. Wir gingen durch die Straßen und der Bestatter machte keine Anstalten meine Schulter los zu lassen. Er drückte mich fest an seine Seite. Ich war verwirrt, dass es mich wirklich nicht störte so nah an dem Körper des Leichengräbers zu sein. Es beruhigte mich sogar ein Stück weit, obwohl die Hand des Bestatters so furchtbar kalt war. Das war komisch. Stille fiel zwischen uns, doch sie war alles andere als unangenehm. Ich fing an das Gefühl von Sicherheit zu genießen, das der feste Griff des silberhaarigen Mannes in mir auslöste und mir gefiel es, dass keine Worte nötig zu sein schienen um sich beim anderen wohl zu fühlen. Richtig in Worte fassen konnte ich das Gefühl nicht. An einer Bushaltestelle blieb der Bestatter schließlich stehen. Ich schaute ihn fragend an. „Du solltest nach Hause“, antwortete er auf meinen fragenden Blick ohne ihn anzuschauen: „Du hattest einen harten Tag.“ Ich nickte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich könnte gerade im Stehen einschlafen. Selbst sprechen wäre gerade einfach viel zu anstrengend. Ein mitfühlendes Lachen erreichte meine Ohren. Es war wieder gemischt mit einem leichten Seufzen: „Hehe, du kleiner Unglücksrabe. Wie viel Pech man haben kann ist wirklich erstaunlich.“ Ich blinzelte ihn an. Ein leises: „Aha?“, war das Einzige, was ich hervorbringen konnte. „Nun ja, wenigstens kann es jetzt nur noch besser werden, oder?“ Ich zog eine Augenbraue hoch und schlug dann die Augen nieder. Die Aussicht meine Eltern wiederzusehen zeigt mir eher, dass alles noch viel schlimmer werden könnte. Die Hand drückte mich ein Stückchen fester: „Es wird besser, glaub mir.“ Ein müdes Nicken. Dann setzten sich die Menschen an der Haltestelle in Bewegung. Ich schaute die Straße hinunter und sah den großen, roten Doppeldeckerbus langsam auf uns zu rollen. Die Hand verschwand von meiner Schulter. Ich lächelte den Bestatter kurz an und machte mich dann auf den Weg zu der kleinen Menschentraube, die sich da aufgestellt hatte wo sie die Eingangstüre des Busses erwarteten. Doch etwas fehlte. Ich drehte mich um. Undertaker hatte sich nicht einen Schritt von der Stelle bewegt. „Fährst du nicht mit?“, fragte ich verwundert. Der Bestatter schüttelte lächelnd den Kopf: „Nein. Hehe.“ „Warum nicht?“ „Zu wenig Platz, zu viele Menschen und zu viel Muff auf einmal. Busse sind nicht meine Welt. Hehehehehe!“ Ich wusste, dass der Bestatter sehr wohl in seiner ganz eigenen Welt lebte, doch irgendwie beschlich mich das Gefühl sie passte nicht in allen Punkten mit der Richtigen überein. „Sicher?“, fragte ich noch einmal und ein kleiner Luftstoß warf meine Haare nach vorne. Der Bus hatte hinter mir gehalten und die Menschen stiegen ein: „Wie kommst du denn dann nach Hause?“ „Schusters Rappen“, lachte er. „Aber... Es ist so weit... Ich... kann mit dir gehen!“ Er schüttelte den grinsenden Kopf, griff in die Innentasche seines Mantels und schob sich einen knochenförmigen Keks in den Mund. Ich legte den Kopf schief. Hat er immer welche von den Dingern dabei? Was Ronald das letzte Mal verlauten ließ klang fast so, als hätte der Totengräber ein ungesundes Suchtverhältnis zu den Dingern. „Nein“, kaute er grinsend: „Du siehst müde aus und solltest schnell heim. Schnappe dir Amy und trinkt einen warmen Kakao. Das wird die Welt ein bisschen besser machen.“ „Ok...“, machte ich. Irgendwie flackerte eine leichte Traurigkeit in meiner Magengrube auf: „Wenn du meinst...“ Undertaker wedelte mit einer Hand: „Du solltest dich beeilen. Ansonsten fährt der Bus ohne dich.“ Ich lächelte. Es war dünn und wahrscheinlich nicht das, was Undertaker sehen wollte, aber ich konnte die Angewohnheit noch nicht so ganz ablegen. „Ok“, ich wandte mich ab und winkte ihm ein letztes Mal, als ich zu der Eingangtüre des Busses lief: „Bye!“ „Mach es gut, mach es gut“, grinste er und schob sich einen zweiten Keks in den Mund. Als ich eingestiegen war, setzte ich mich an einen Fensterplatz von dem aus ich auf den Bürgersteig schauen konnte. Undertaker stand immer noch an Ort und Stelle und mampfte grinsend die knochenförmigen Plätzchen. Mit einem kleinen Ruck setzte sich der Bus in Bewegung und ließ den Park, das Jugendamtsgebäude und den unikalen Leichenbestatter hinter mir. Amy hatte mich mit einer kräftigen Umarmung begrüßt. Ich hatte fast keine Luft mehr bekommen. Ich erklärte ihr kurz was passiert war. Auch Amy war ziemlich sprachlos und hatte so schnell keine gute Idee. Die nächsten Tage waren wir mehr mit Pläne schmieden als mit dem Unterricht, oder sonstigem anderen beschäftigt. Obwohl sich Amy als sehr kreativ bewies verwarfen wir eigentlich jede Idee. Die Tage flogen vorbei und der Herbst wurde zunehmend kühler. Die Temperaturen krochen nur noch selten über 0°C. Wenigstens verzogen sich die grauen Wolken und der goldene Oktober winkte uns zu. Eines Tages stand ich wie immer treu neben Amy im 'Swan Gazebo'. Die Prefects diskutierten über das diesjährige Sportereignis. „Auch die P4 des Jungscolleges haben sich gegen ein Kricketturnier ausgesprochen“, seufzte Annmarie. Mandy ließ ihr Buch sinken: „Ich brauche diesen ganz Kram ja gar nicht und mein Haus schließt sich mir uneingeschränkt an. Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einem Buchstabierwettbewerb oder so? Da hätten wir auch mal eine Chance.“ Lila lachte: „Stellt euch nicht so an. Das blaue Haus der Jungs gewinnt auch immer mal wieder.“ „Aber nur wenn ein Phantomhive dabei ist“, Mandy schaute Amy an. Diese winkte lächelnd. Mandy schüttelte wieder den Kopf: „Wie haben aber keine.“ Amy hob die Hände:“ Tut mir ja leid. Aber wenn es kein Kricketturnier wird. Was dann?“ „Es soll Mannschaftssport bleiben“, Annmarie nahm eine Tasse Tee von ihrem Fag entgegen: „Das ist dem Headmaster sehr wichtig. Es soll auch ein Sport sein, in dem Jungs nicht zwingend besser sind.“ „Jungs sind nie zwingend besser im Sport“, machte Mandy: „Das ist nur ein hartnäckiges Gerücht. Es gibt genug Statistiken die es entkräften.“ „Wie wäre es mit Volleyball?“, fragte Lila: „Mein Haus spielt es in letzter Zeit oft in Sport.“ „Wir auch“, pflichtete Amy bei. Ich nickte. Das stimmte. Volleyball war gerade die Sportart überhaupt. Annmarie hob lächelnd die Hand: „Mir ist das egal. Die Green Lions sind auf alles bestens vorbereitet.“ Lila lachte: „Also wenn wir Volleyball spielen, werden wir euch vernichten! Haha!“ Amy grinste: „Wir haben auch genug Mädels die gut sind. Seit euch mal nicht so sicher, dass es nur ein Wettkampf zwischen euch beiden wird.“ Mandy hob ihr Buch wieder vor die Nase: „Ich bin raus. Wir hatten nur eine Menge aufgeschlagene Knie und geschwollene Handgelenke.“ „Typisch“, lachte Annmarie. „Danke!“, antwortete die Blue Prefect bissig. Das Sportturnier war das Thema der nächsten Wochen. Es war die einzige Aktivität, die das Mädchen- und das Jungscollege gemeinsam bestritten. Jeder gegen Jeden. 8 Teams und nur einen ersten Platz. Neben einem Sportereignis fühlte ich mich jedes Jahr wie auf einem Singlebasar. Fürchterlich. Irgendwann einigten sich die P4 der Mädchen und die P4 der Jungen auf Volleyball. Da man Volleyball wunderbar in einer Halle spielen kann, wurde es auf Ende November gelegt. Die Begeisterung des violetten und blauen Hauses beider Colleges hielt sich wie üblich in Grenzen. Doch ich persönlich hatte immer noch ein viel größeres Problem als Jungs oder Volleyball. Leider kam dieses Problem auch viel zu schnell auf mich zu. Am Morgen des 24.10., einem sonnigen Samstag, weckten mich auch schon ein paar nackige Sonnenstrahlen, gefolgt von dem Alarm meines Handys. Ich hatte furchtbar schlecht geschlafen und war immer noch mehr als nur plan- und ratlos. Die letzten 4 Tage war ich nicht im Unterricht gewesen. Rasende Kopfschmerzen, ein imposanter Schlafmangel und mein auf links gedrehter, vollkommen überstrapazierter Magen machten mir zusätzlich das Leben zur Hölle. Immer wenn ich versucht hatte etwas zu essen endete ich kopfüber an der Toilette. Nachdem ich nach meinem Handy geangelt und es ausgeschaltet hatte, schlang ich meine Arme um meinen Bauch und rollte mich unter meiner Bettdecke zusammen. Da hörte ich meine Türe aufgehen: „Sky?“ „Hm?“, ich blinzelte über den Rand meiner Bettdecke. Amy kam in einer Jogginghose und einem schwarzen Top zu mir ins Zimmer und setzte sich auf die Kante meines Bettes: „Du siehst nicht gut aus.“ „Mir geht es auch nicht gut...“ „Sollen wir was frühstücken gehen?“ Ich schüttelte nur den Kopf und zog meine Beine näher zu mir. „Kaffee?“ Ich schüttelte wieder den Kopf und legte mein Kinn an meine Brust. „Ach Sky... kann ich irgendwas für dich tun?“ Wieder antwortete ich nur mit einem geschwächten Kopfschütteln. „Melde dich doch krank. Ms. Lowell bürgt sicher für dich.“ „Und was bringt mir das? Der Termin wird dann nur verschoben...“ „Aber vielleicht fällt uns dann was ein...“ „Ach Amy...“, ich schaffte es mich aufzusetzen: „Uns ist die letzten 16 Tage nichts eingefallen.“ „Ich bin immer noch der Meinung du hättest bei Undertaker vorbeischauen sollen. Vielleicht war seine Idee nicht schlecht.“ Ein komisches Gefühl surrte durch meinen eh schon aufgewühlten Bauch, als Amy den Totengräber erwähnte: „Er meinte nur es sei eine 'Überraschung'...“ „Naja. Er ist halt ein bisschen kryptisch.“ „Ein bisschen? Von dem Wort 'Klartext' hat er noch nichts gehört.“ Die Phantomhive lachte auf: „Du hast ja keine Ahnung! Wenn Undertaker anfängt Klartext zu reden, hat irgendjemand meist ein furchtbares Problem.“ „Sag mal“, entschloss ich mich schließlich eine Frage zu stellen, die mich schon seit dem Tag beschäftigte an dem der Bestatter mit mir durch die Gassen spaziert war: „Warum meidet das ganze Gesocks in den Gassen seinen Laden?“ Amy lachte wieder: „Er hat das Gesocks halt ziemlich gut im Griff.“ „Aber“, ich schaute verwirrt: „Wie? Ich meine, er ist nur ein der Welt ziemlich entrückter Bestatter. Ich kann dir Brief und Siegel darauf geben, dass jeder dieser Typen 3 Messer und 2 Knarren im Hosenbund stecken hatte. Warum ziehen sie ihm gegenüber den Kopf ein?“ Amy druckste und wackelte mit dem Kopf: „Das ist eine ziemlich komische Geschichte. Niemand hat mir das wirklich mal erklärt. Eigentlich weiß ich es selber nicht wirklich. Aber Sky: Ist das gerade wirklich dein größtes Problem?“ Ich seufzte: „Nein... Aber ich dachte ein bisschen Ablenkung wäre nicht schlecht...“ Mit einer gehörigen Portion Kopf- und Magenschmerzen streckte ich die Beine aus dem Bett. Amy legte mir die Arme um den Hals und drückte ihr Ohr an meines: „Das wird schon irgendwie. Soll ich mitkommen?“ Ich schaute sie an: „Würdest du das tun?“ „Ich habe es dir schon mindestens 5x angeboten.“ „Ja... Aber viele Leute bieten etwas an und wollen eigentlich, dass es abgelehnt wird.“ „Ich bin aber nicht wie viele“, sie drückte mich fester und wackelte mit mir von links nach rechts: „Ich komm mit dir und dann schlagen wir deine Eltern in die Flucht!“ Ich drehte meinen Kopf wieder zu ihr: „Wie?“ „Naja“, lachte Amy: „Ich erinnere mich aus einer deiner Hassreden, dass dein Vater Menschen, die mehr als 2100 £ Netto im Monat verdienen, nicht sonderlich schätzt. Mein Vater verdient viel mehr als 2100 £ Netto. Wir beide schmeißen uns in richtig schicke Sachen, halten die Nase ein Stück höher als üblich und deine Eltern werden nicht mehr im Mindesten das Bedürfnis haben dich noch einmal wieder zu sehen. Sie haben dich wie Scheiße behandelt, dann darfst du das jetzt auch.“ „Ist das wieder eine deiner spontanen Eingebungen?“ „Joa“, lachte Amy fies: „Ich finde sie gar nicht so schlecht. Ein Versuch ist es wert. Außerdem wäre das Gesicht deiner netten Sozialarbeiterin auch einen Blick wert.“ Ich musste halb schmunzeln: „Stimmt schon...“ Amber nahm mich an den Schultern und strahlte mich an: „Du gehst duschen und ich beschwöre meinen Kleiderschrank. Ich finde schon irgendetwas was dir passt.“ Ich nickte langsam: „Wenn du denkst das bringt etwas...“ „Ein Versuch ist es wert!“ Da hatte Amy wohl recht. Mehr als nichts bringen konnte es nicht. Als wir mein Zimmer verließen, trennten sich unsere Wege. Ich duschte viel zu heiß. Meine Haut brannte wie mein Kopf und mein Magen, als ich aus der Dusche stieg. Ein scharfer Schwindel zog durch meinen Kopf. Nachdem ich mir ein Handtuch um den Körper gewickelt hatte, setzte ich mich auf den geschlossenen Toilettendeckel. Der Wasserdunst zog mir in die Lungen und ich hatte das Gefühl nicht mehr richtig durchatmen zu können. Schlafmangel, viel zu wenig Essen und die viel zu hohen Temperaturen gaben sich die Hand. Mein Kreislauf verschwand irgendwo im Nichts. Irgendwann klopfte es an der Türe: „Skyler? Alles ok?“ „Ja“, antwortete ich gepresst: „Mir ist nur irgendwie schwindelig...“ „Fall mir jetzt nicht aus den Socken!“ „Ich trage noch gar keine Socken...“ „Sky!“ „Es geht scho...“, ein saures Brennen in meinem Hals unterbrach mich. Ich drückte die Hand auf dem Mund und versuchte das Unvermeidbare abzuwenden. Vergebens. Schnell sprang ich von der Toilette, klappte den Deckel auf und spuckte den nicht vorhandenen Inhalt meines Magens in die Keramikschüssel. Ein ekliger Geschmack blieb in meinem Mund zurück. Mein Magen verkrampfte sich erneut und mir entfloh ein gequältes Würgen. „Sky?!“ „Alles gut“, röchelte ich und hustete: „Passt schon.“ „Sicher?“, Amy wackelte an der abgeschlossenen Türe. 'Schöne Scheiße', fuhr es durch meinen Kopf. Ich zog ab und schloss die Türe auf. Amy sah sorgenvoll drein: „Du bist ganz blass.“ Ich schüttelte den Kopf: „Kann sein. Ich glaube ich verliere den letzten Nerv.“ Amy streckte mir ein paar Klamotten hin und grinste mir aufbauend entgegen: „Hier!“ Die Phantomhive selber trug einen modischen schwarzen Rock und eine schwarze Strumpfhose, sowie eine elegante, schwarze Bluse. Ihre dichte Mähne fiel ihr in einem dicken, geflochtenen Zopf über die Schulter und sie war behangen mit Silberschmuck. Seufzend nahm ich die Kleider entgegen: „Danke.“ Dann tauschte ich die Plätze mit meiner besten Freundin, die sich noch schminken wollte. In meinem Zimmer legte ich die Kleider auf mein Bett. Eine enge, helle Jeans mit großem Schlag und einer schwarzen Schnürung an den Seiten, sowie ein langes, enges Oberteil mit vielen Schnürungen in großen Ösen und riesiger Kapuze. Die Qualität der Kleider verrieten ihren Preis. Auf dem Oberteil lag ein Häufchen Silberschmuck. Ich kombinierte die zwei Ketten und die zwei Kreolen von Amy mit meinem Medaillon. Ich hatte es vor Jahren von meiner Großmutter bekommen. Sie war der einzige Mensch, der in meiner Kindheit für mich da gewesen war. Ein Foto von ihr und mir war darin versteckt. Ich vermisste sie furchtbar, doch sie war vor 14 Jahren gestorben. Danach war die Familienhölle erst richtig losgegangen. Seufzend zog ich sie an und nahm einen Föhn, um mir die Haare trocken zu blasen. Dann machte ich mir meine übliche Frisur. Während ich die kleine Strähne flechtete, schweiften meine Gedanken ab: 'Du musst jetzt deinen kühlen Kopf behalten und nachdenken...Du solltest es dabei tunlichst vermeiden in Panik zu verfallen. Es geht dann nämlich meist prächtig daneben.' Ja, an diesen Worten war definitiv etwas dran. Hätte ich es die letzten Tage geschafft ruhig zu bleiben, wäre mir vielleicht etwas eingefallen. Irgendein Weg, eine Option, eine Lösung! Doch ich war weder ruhig geblieben, noch hatte ich einen Ausweg gefunden: 'Du bist ein sehr dummes Stück Toast...' Frustriert malte ich mir meinen Lidstrich auf die Lieder und tuschte meine Wimpern. Meine Hände zitterten ganz fürchterlich, weswegen ich mehr als 3 Anläufe brauchte um nicht auszusehen wie ein Panda auf Crack. Amy saß im Wohnzimmer und wartete auf mich. „Nett“, lächelte sie mich an. Ich lächelte künstlich: „Ich hab das Gefühl die beiden Teile kosten so viel wie mein ganzer Kleiderschrank.“ „So schlimm wird’s nicht sein. Du kannst sie behalten.“ „Sicher?“ „Ja, sie sind mir eh zu eng. Ich hatte sie ewig nicht mehr an.“ „Dasselbe hast du zu dem Kleid gesagt...“ „Weil es so ist, Sky. Warum soll ich die Sachen wegwerfen, wenn sie dir passen“, Amy stand auf und zog sich ein paar hochhackige Stiefel an. Ich stand ein wenig ratlos vor meinen 5 Paar Schuhen. Amy griff ein paar schwarze Stiefeletten mit Schnallen und Absatz. „Sicher...?“, murmelte ich. „Jup“, grinste sie. Die Phantomhive zog ihre Lederjacke an und ich meinen Poncho. Amy hatte ihn mir letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Sie meinte, sie könne mir nicht mehr weiter beim Frieren zu sehen. Gemeinsam verließen wir das Wohnheim und machten uns auf dem Weg in die Hölle. Umso weiter der Bus über die Straße rollte, umso nervöser wurde ich. Amy redete auf mich ein, mit Nonsens. Sie versuchte mich abzulenken. Nicht mit viel Erfolg, aber ich rechnete ihr ihren Versuch hoch an. Obwohl ich dünn lächelte und nickte hörte ich von Amys Worten kaum mehr als ein surrendes, weißes Rauschen. Der Bus hielt und wir stiegen aus. Ich blieb an der Haltestelle stehen. Das Dach des Gebäudes, in dem das Büro meiner Sozialarbeiterin lag, konnte man von hier aus schon sehen und ich hatte das Gefühl ich muss mich ein weiteres Mal übergeben. Amy nahm meine Hand: „Komm.“ Ich lächelte dünn und versuchte durchzuatmen. Es schlug fehl. Kurze Zeit später war es 10:55 Uhr und wir standen vor Hemsworths Büro. Amy lächelte mich an: „Cool bleiben.“ Ich seufzte: „Leichter gesagt als getan...“ 'Niemand hat mit einem Wort erwähnt es wäre einfach, liebe Sky', surrte es durch meinen Kopf. Ich ließ die Schultern hängen: 'Undertaker nicht jetzt... verschwinde aus meinem Kopf...' 'Ich finde es gemütlich da drin. Hehe', antwortete seine Stimme in meinem Kopf wie damals in seinem Laden. Ich ließ den Kopf hängen: 'Du bist doof...' „Geht's?“, fragte Amy. Ich hob wieder den Kopf: „Joa... schon“, ich atmete schwer: „Ich komm eh um nichts mehr herum...“ Amy schaute auf ihr Handy: „Punkt Elf.“ Ich klopfte: „Ms. Hemsworth?“ „Gleich!“, rief es von innen. Ich schaute Amy an. Sie schüttelte angenervt mit dem Kopf: „Wie gleich?! Wir haben Elf Uhr! Machen sie auf!“ „Amy“, flüsterte ich: „Was machst du? Lass das!“ „Die kann mich mal!“, wisperte Amy zurück. „Du bringst mich in Teufelsküche!“ „Was ist jetzt?!“, rief die Phantomhive wieder. Die Türe ging auf: „Skyler! Also, was...“, die Sozialarbeiterin stockte irritiert, als sie Amy sah: „Wer bist du denn?“ Amy stemmte die Hände in die Hüften: „Ich bin Amber Heather Phantomhive. Skylers beste Freundin und Prefect der Violett Wolfs.“ Hemsworth schaute sie an: „Phantomhive? Die alte Adelsfamilie?“ Sie nickte: „In der Tat.“ „Und du bist Skylers Freundin?“ „Beste Freundin“, Amy schaute mich an und lachte: „Sie ist mein Fag.“ Der Blick der Sozialarbeiterin wechselte von Amy zu mir und wieder zurück: „Ihr habt euch ja mächtig raus geputzt. Aber was möchtest du hier, Amber?“ „Naja“, lachte sie: „Sky ist wie eine Schwester für mich. Meine Familie liebt sie! Jetzt wollte ich ihre kennen lernen. Schlimm?“ „Naja. Ich habe mit so etwas nicht gerechnet.“ „Mit was? Dass Sky solche Freunde hat oder dass sie mitkommen?“ „Nun. Egal. Du bist hier, dann ist das so. Kommt rein.“ Wir gingen rein und setzten uns. Stille füllte den Raum. Ich versuchte meinen Atem zu kontrollieren, damit mein Magen nicht ein weiteres Mal überlief. Die Zeit verging. 11:15 Uhr. 11:30 Uhr. 11:45 Uhr. 12:00 Uhr. Immer wieder schaute Hemsworth auf ihr Telefon und auf ihren Computer. Ich wurde immer nervöser. Flecken bildeten sich in meinem Sichtfeld und ich merkte wie mein Kreislauf ein weiteres Mal in den Keller ging. Es würde mich nicht wundern, wenn ich gleich einfach vom Stuhl in Ohnmacht fiel. Nervös spielte ich mit dem geflochtenen Zopf. 12:15 Uhr. 12.30 Uhr. Amy hatte Arme und Beine überschlagen und wackelte gelangweilt mit dem Fuß. Hemsworth wirkte nervös. „Ich glaube sie kommen nicht mehr“, sagte Amy. „Lasst uns noch etwas warten. Vielleicht stehen sie im Stau.“ „Warum rufen sie dann nicht an?“ Ein komisches Gefühl wallte in mir auf. Ich kannte es ziemlich gut. Meine ganze Kindheit war davon geprägt gewesen: Enttäuschung. Ich war erleichtert meine Eltern wahrscheinlich nicht sehen zu müssen, denn sie hatten augenscheinlich doch wieder etwas gefunden was ihnen um Längen wichtiger war. Doch irgendwie enttäuschte es mich auch. Irgendwie enttäuschten sie mich. Zum abertausendsten Male. Doch der Anflug von Erleichterung war um einiges stärker, als das kleine Ziehen in meinem Herzen. 12:45 Uhr. Amy hatte angefangen mit ihren Fingernägeln auf der Tischplatte der Sozialarbeiterin herum zu klacken. Ich verschränkte meine Beine und schlang meine Arme um meinen instabilen Magen. 13:00 Uhr. „Das bringt nichts“, Amy stand auf: „Wir gehen.“ Hemsworth schüttelte den Kopf: „Wir machen einen neuen Termin, Skyler.“ „Nein“, ich stand auf. Amy lächelte mir zu. Mit ihr an meiner Seite kam es mir viel einfacher vor zu rebellieren: „Ich habe es ihnen prophezeit. Ihnen liegt nichts an mir. Beim nächsten Termin sitzen sie hier alleine. Komm Amy.“ Wir gingen geschlossen zur Tür. „Skyler, so einfach ist das nicht!“ Ich schaute über meine Schulter: „Warum nicht?“ „Weil...“ „Weil Baum“, unterbrach ich sie: „Einen schönen Tag, Ms. Hemsworth.“ Der Sozialarbeiterin entgleisten die Gesichtszüge: „Bitte?!“ Amy winkte noch provokant und dann ließen wir eine reichlich irritierte Sozialarbeiterin hinter uns zurück. Wir verließen das Gebäude. Amy fing an zu lachen, als wir die Steinstufen vor dem Gebäude hinunter gingen: „Das Gesicht! Die Alte ist ja voll furchtbar.“ „Hab ich doch gesagt“, antwortete ich leise. „Aber du hast es geschafft!“, strahlte Amy: „Ich glaube nicht, dass du noch etwas von deinen Eltern hörst. Das die einfach nicht auftauchen. Hart! Erst so eine Welle machen und dann nichts.“ „Das ist typisch...“, gab ich wieder leise zurück. Amy schaute mich an: „Du siehst nicht besser aus...“ Ich zuckte mit den Schultern und steckte meine Hände in die Hosentaschen: „Irgendwie... bin ich enttäuscht... Das ist total schwachsinnig, aber... naja. Keine Ahnung.“ Amy harkte sich ungefragt in meinen Arm: „Ich versteh schon. Du hast deine Eltern ja mal lieb gehabt.“ Ich nickte leicht: „Ja schon... aber das ist lange her... und es ist total dämlich solche Menschen lieb zu haben.“ Amy legte den Kopf schief: „Das ich nicht dämlich. Es sind deine Eltern und sie haben dich ein weiteres Mal hängen lassen. Die sollten einfach ihr Leben lang weg von dir bleiben. Echt!“ Als ich den Mund öffnete um etwas zu sagen, spürte ich plötzlich Blicke in meinem Rücken. Ein kleiner Schauer fuhr meine Wirbelsäule herunter und ich schaute mich um. Mein Blick schweifte über die vielen Menschen, die in dicken Strömen über die Straße rauschten wie ein eiliger Bach. Ich sah eine kleine Gruppe asiatischer Touristen, die am historischen Gebäude standen und eifrig Fotos schossen. Dann machte ich große Augen, als ich eine Gestalt sah, die weit über die Köpfe der Touristen ragte. Die silbernen Haare schimmerten in der Mittagssonne und ein Grinsen lag auf dem verhangenen Gesicht unter dem großen, alten Zylinder. „Under...“, begann ich verwirrt, doch Amy unterbrach mich: „Sky?“ Mein Kopf flog zu ihr. „Was hast du?“, fragte sie sorgenvoll. „Na da!“, ich drehte meinen Kopf und zeigte mit meiner freien Hand in die Richtung der Touristengruppe. Dann stockte ich. „Das sind ein Haufen Touristen. Was soll mit ihnen sein?“ Er war weg. Als wäre er nie dagewesen. Ich blinzelte vollends perplex: „Aber...“, ich brach ab. Bin ich jetzt verrückt geworden? Vollends und endgültig wahnsinnig? Litt ich jetzt zu allem Überfluss auch noch an Halluzinationen? „Was hast du, Sky?“ Ich schaute Amber wieder ins sorgenverhangene Gesicht. Dann lachte ich süßlich: „Ach nichts. Ich hab mich nur verguckt.“ „Wie wäre es mit etwas zu essen?“, fragte Amy und lächelte mich wieder an: „Ich hätte ja mal wieder furchtbar Lust auf Italienisch! Wie wär's mit 'Giuseppes Pizza'?“ „Ich weiß ja nicht...“, murmelte ich und schaute noch einmal auf die kleine Touristengruppe. Sie waren weiter gezogen und der Platz, wo sie gestanden hatten, war nun vollkommen leer. Keine Menschenseele. Auch kein grinsender Bestatter. Amy legte mir den Kopf auf die Schulter und zog mich an dem eingeharkten Arm weiter: „Danach gibt es auch ein Softeis mit Topping! Die haben immer noch Erdbeeren im Sortiment.“ Ich schaute sie an und die Phantomhive grinste mir zurück ins Gesicht. Amy kannte meine Schwachstelle: Süßkram mit Erdbeeren. „Ok ok“, lachte ich: „Ich bin dabei.“ „Na dann! Auf geht’s!“, schlenderten meine beste Freundin und ich den Samstag Mittag, der hundertmal entspannter werden sollte als die Drei davor. Undertaker Normale Tage folgten. Das einzig nicht Normale waren die Drogentests der drei Jungen. Meine Teströhrchen schillerten in allen Farben, was mir verriet, dass die Jungen alles zwischen Speed und MDMA intus gehabt haben mussten. Dass ihr Blut immer noch rot war und nicht im Dunkeln leuchtete, wunderte mich. Alexander kam mit Sebastian vorbei. Die flachen Witze des Earls entlockten mir nicht genug, um mit den Befunden herauszurücken. Doch Sebastian regelte es wie gewohnt für ihn. Die neuen Erkenntnisse der Drogentests waren zwar nicht 100% aussagekräftig, aber er konnte damit zu Lee gehen. Der Chinese hatte vielleicht eine Ahnung in welchen Teilen der Stadt diese Kombination gängig war. Die Kugeln gaben heutzutage auch nicht mehr so viel Aufschluss wie man sich wünschte, doch ihr Kaliber war relativ ungewöhnlich. Alexander verließ meinen Laden gefolgt von seinem Butler und der Alltag hatte mich wieder. Als ich einen Kunden für seine große Gala vorbereiten wollte, fiel mir etwas auf: Meine Kühlzellen waren nicht mehr kühl und ratterten ganz komisch. Ich verdrehte die Augen: 'Och nein...' Ich schaute nach unten und stand in einer kleinen Pfütze. So praktisch diese modernen Dinger doch waren, so sehr nervte es mich wenn sie ihren Dienst quittierten. Aber die Kühlzellen halten meine Gäste so herrlich frisch! Erhalten die morbide, faszinierende Schönheit des Todes so viel länger! Vom Einbalsamieren möchte ich gar nicht erst anfangen! Selbst, wenn sie schon Monate lang in der Erde lagen, buddelte man sie wieder aus sahen sie aus wie erst von ein paar Wochen verstorben. Es war faszinierend, wie sehr sich die Menschen gegen den Verfall wehrten. Auch nach dem Tod. Als ich dachte mit der Aurora Society hätte ich das größte Aufbäumen der Menschheit gegen das Sterben schon mitbekommen, war ich ja noch vollkommen ungewahr dessen gewesen was noch kommen würde. Ich schob meinen Gast wieder zurück in die Zelle und ging zu meinem Telefon. Nach einigen Freizeichen surrte eine junge Stimme in mein Ohr: „Grim Reaper Dispatch, British Branch. Ronald Knox hier.“ „Hallo liebster Ronald!“, begrüßte ich den blonden Shinigami am anderen Ende der Leitung: „Wie geht es dir?“ „Ich habe irgendwie nicht das Gefühl, dass du mich anrufst um eine Runde locker zu quatschen. Was ist kaputt?“, antwortete die Stimme blechernd aus meinem Hörer. „Oh hehehehehe! Wie gut du mich kennst. Meine Kühlzellen haben mir den Dienst verweigert. Könntest du mir deine geschickten Hände ausborgen?“ Ein Seufzen am anderen Ende der Leitung: „Wenn ich sie an meinen Armen behalten darf...“ „Hahahaha! Von mir aus kannst du auch deine Arme mitbringen und den ganzen Rest, wenn du das für notwendig erachtest.“ „Du Scherzkeks“, machte der junge Shinigami: „Ich hab viel zu tun, aber in 2 Tagen hätte ich Zeit. Reicht dir das? Oder erstickst du vorher an deinen 'Gästen'.“ Ich lachte in den Hörer: „Natürlich reicht mir das. Ich habe kein Problem mit dem Bouquet des Todes, lieber Ronald. Sorge dich nicht um mich, hehehe!“ Stille. Es dauerte einige Sekunden bis der Jüngling wieder sprach: „Äh ja... Du hast mächtig einen an der Murmel, hat dir das schon mal jemand gesagt?“ Ich lachte noch lauter: „Oh ja, oh ja. Du zum Beispiel. Mehrfach. Und Alex und Grell und Sebastian, Will, Amy, Fred, Lee, Frank, Charlie...“ „Ist gut!“, rief der Junge: „Ich hab verstanden! In zwei Tagen um 10 bin ich da.“ „Hehehehehe, wunderbar.“ Wieder ein Seufzen: „Okay, bis dann.“ „Ich freue mich“, trällerte ich. Dann hatte Ronald aufgelegt. Ich hing den Hörer auf, schob mir einen Keks in den Mund und lehnte mich zufrieden zurück. Der feine Geruch des Vergehens erreicht meine Nase doch nur noch sehr, sehr selten. Schade eigentlich. Doch in zwei Tagen sollte sich das fürs erste ansatzweise ändern. Und das tat es. Als Ronald nach zwei Tagen mit einem großen Werkzeugkoffer in meinen Laden kam, fiel er fast rückwärts wieder hinaus und das obwohl ich meine Gäste schon alle einbalsamiert hatte. „Ach du Scheiße!“, rief er und riss ohne zu fragen die zwei Fenster auf: „Das du das aushältst!“ Ich schaute von meinem Skizzenblock auf, auf dem ich wieder die Skizzen für ein paar Särge am aufzeichnen war: „Was hast du denn Ronald? Hehehehehe!“ „Es stinkt nach Tod! Und zwar ganz übel! Riechst du das nicht?!“ Ich lachte und lehnte mich zurück: „Herrlich nicht? Dieser faulige Geruch ewiger Vergänglichkeit.“ Ronald schaut mich an als wäre ich ein Psychopath. Wahrscheinlich nicht ganz zu unrecht: „Das ist nicht dein Ernst?“ Ich lachte, sagte aber nichts. Es war Ron wohl Antwort genug. Er schüttelte den Kopf, zog Jackett, Weste und Krawatte aus und hing sie an meinen Garderobenständer: „Lass mich raten: Da wo ich hin muss riecht es noch viel, viel schlimmer.“ „Naja. So wie du es bezeichnest musst du zur Quelle des Übels. Was übrigens eine furchtbare respektlose Ansicht ist. Hahaha!“ Ronald seufzte erneut, als er die Ärmel hochkrempelte: „Na ganz toll. Du hättest wenigstens so nett sein können und schon mal lüften können.“ Ich breitete meine Hände aus: „Wie konnte ich denn ahnen, dass es dich so dermaßen stört?“ „Es stört jeden normalen Menschen! Wesen! Ach egal!“, Ronald machte sich auf den Weg in den hinteren Teil des Ladens: „Ach du meine Güte! Mein armer Magen!“ Ich musste ganz furchtbar lachen, während der Shinigami im Torbogen verschwand. Ich checkte kurz meinen Terminkalender. Ich hatte vollends vergessen, dass ich noch nach Stoffen schauen wollte. Meine kleine Polenreise war mir dazwischen gekommen. Über die Steine war ich immer noch nicht schlauer. Auch die Methoden der Grim Reaper halfen mir nicht weiter. Wahrscheinlich war ihnen einfach nichts entgegen zu stellen, außer sich auf die irdischen 5 Sinne zu verlassen. Das machte die kleinen Dinger nur noch wesentlich interessanter! Nur für heute ließ ich sie ruhen. „Ronald?“, rief ich, als ich mich von meinem Stuhl erhob: „Ich bin kurz unterwegs. Fühl dich wie zuhause. Du weißt ja wo alles ist.“ „Warte!“, der Jüngling streckte seinen Kopf durch den Torbogen, bevor ich den Laden verlassen konnte: „Ich brauch deine Hilfe!“ Ich schaute ihn ein wenig verwirrt an: „Hm?“ „Ich muss...“, er wirkte unbegeistert: „Deine Gäste aus ihren Fächern holen.“ Ich lachte: „Ahehehehehehe! Nun denn.“ Gemeinsam stapelten wir meine 8 Gäste auf die Seziertische. Dann entschwand ich und schlenderte gelassen durch die schmalen Gassen zu dem kleinen Stoffhändler meines Vertrauens. Ich war pingelig wenn es um meine Gäste ging. Also kostete der Aufenthalt mich fast 3 Stunden meiner Zeit und der herzerquickend verstörten Verkäuferin offenbar eine Menge Nerven. Beladen mit einem Stapel Stoffe entließ ich die überanstrengte Verkäuferin aus ihren Diensten. Ich hörte wie sie hinter mir die Türe abschloss und musste lachen. Ich war ein wenig überrascht als ich Schritte in meiner Gasse hörte. Offenbar von 4 Personen. Die zwielichtigen Gestalten hier mieden sie eigentlich. Aus gutem Grund. Doch drei der paar Füße verschwanden wieder in der Ferne. Nur ein Paar ging weiter. Als ich in meine Gasse einbog legte ich den Kopf schief. Eine zierliche, brünette Gestalt stand vor meiner Türe, legte immer wieder die Hand an die Türklinke und zog sie wieder zurück. Wenn das nicht die junge Skyler ist. Sie schien sich nicht so ganz sicher zu sein, ob sie die Türe öffnen sollte. Auf lautlosen Sohlen schlich ich durch die schmale Gasse und stand hinter ihr, als sie sich immer noch nicht entschieden hat ob, oder ob nicht. „Du musst sie runter drücken, hehe“, beugte ich mich ein Stück nach vorne und flüsterte in ihr Ohr. „AAAAAAAAAAHHHHHHHHH!!!!“, kreischte sie schrill und fuhr herum. Ihre herrlichen blauen Augen waren weit aufgerissen und schauten mich an als wäre ich ein gefräßiges Raubtier. Ich konnte den Herzkasper förmlich hören! Dann flog mir etwas Schwarzes auf den Kopf. Ich hörte ein Knarzen, eine weiteren spitzen Schrei, gefolgt von einem unheimlich lauten Poltern. Als ich mir das Stück Stoff vom Kopf zog merkte ich, dass es mein Mantel war. Des Weiteren sah ich eine ziemlich perplex wirkende Skyler auf dem Boden hinter der offenen Ladentür sitzen. Mir wurde klar, was passiert sein musste: Sie hatte wohl versehentlich bei dem Versuch weg zu kommen die Ladentüre geöffnet und war hinein geplumpst. Herrlich! Wie schusselig kann man sein?! „Pahahahahahahahahahahahahaha! Dein Gesicht! Herrlich! Köstlich! Possierlich!“, lachte ich und zeigte mit meinem Finger auf sie. Ihr geschwungener Mund klappte auf. Das machte den Gesichtsausdruck noch um Welten besser!: „Ahahahaha! Puhuhuhuhu! Wie amüsant! Wirklich, wirklich amüsant!“ Irgendwie tat es mir ja schon leid, dass sich das junge Ding auf die Nase gelegt hat, doch ihr geschockter Ausdruck sah mal wieder zu köstlich aus! Als Zeichen des guten Willens streckte ich ihr die Hand hin, konnte mein Pläsier aber nicht verstecken: „Du machst die besten Gesichter. Ich liebe dein Gesicht, wenn du dich so herrlich erschreckst, meine Liebe.“ Ihr Unterkiefer sackte weiter nach unten und ein sattes Rot unterstrich ihre verwirrten Augen: „Wa wa was?!“ Ich musste wieder kichern: „Ich sagte ich liebe dein Gesicht.“ Sie antwortete darauf nicht. Ihre blinzelnden Augen verrieten mir, dass sie noch versuchte mit meiner Aussage zurecht zu kommen. Wieso? Sie hatte ein schönes Gesicht und musste doch an Komplimente gewöhnt sein. „Das ist übrigens nicht gut für dich“, sah ich wie Ronald aus dem hinteren Teil des Ladens nach vorne kam. Er wischte sich seine Hände an einem Lappen ab und war ganz verschmiert. Skyler wirkte noch etwas irritierter, als sie über ihre Schulter zu dem blonden Sensenmann schaute: „Ronald?“ Er lachte: „Genau.“ „Was... ähm tust du hier?“, nach dieser Frage wirkte sie auf eine sonderbare Art aufgeregt: „Ähm... ich meine... ich.. du... du musst es mir natürlich nicht erzählen.“ Ronald lachte allerdings nur und schaute mich an. Augenscheinlich war ich nicht der Einzige, der sich an der verwirrten Tapsigkeit der jungen Dame erfreuen konnte: „Du hast es geschafft. Sie ist total durch den Wind“, Ron schaute das Mädchen wieder an: „Ich hörte ein Schreien, ich hörte ein Poltern und wollte mal schauen, ob Undertaker Besuch oder neue Arbeit hat.“ „Ahihihihi!“, entfuhr es mir auf diese Aussage. Ich hatte es zwar schon oft versucht, aber zu Tode erschreckt hatte ich noch keinen. Ich arbeitete noch dran: „Ich glaube, das ist sie öfter. Kann das sein, Skyler?“ Endlich nahm das Mädchen zögerlich meine Hand: „Ähm... Vielleicht...“ Ich zog sie hoch: „Ronald ist hier um mein Kühlregal zu reparieren. Es ist kaputt gegangen.“ „Was schlecht ist“, führte Ronald weiter aus: „Die fangen nach ein paar Tagen furchtbar an zu stinken. Ich lüfte schon seit Stunden.“ 'Man kann sich auch anstellen', dachte ich mir mit einem Augenrollen, welches außer mir keiner mitbekam: „So dramatisch ist es auch nicht. Dieses Bouquet ist wunderbar!“ Skyler verlor ein weiteres Mal die Kontrolle über ihre Kinnlade. Ich wusste wieder wofür ich lebte. Genau für solche Gesichtsausdrücke! Allerdings bezweifelte ich, dass das Mädchen in meinen Laden gekommen war um mich zu bespaßen: „Doch was tust du hier?“ „Öööööhm“, sie wirkte aus irgendwelchen Gründen ein bisschen überrumpelt: „Ich... ich... ich wollte dir nur deinen Mantel zurückbringen...“ „Ahehehehehe und deswegen nimmst du den ganzen weiten Weg auf dich? Du hättest ihn mir geben können, wenn wir uns das nächste Mal gesehen hätten.“ Ich ließ ihre Hand los und hielt sie vor meinen kichernden Mund. Verlegend faltete sie ihre Hände und schaute auf meinen staubigen Dielenboden: „Es wird kalt draußen und... und... und... Ich wollte nicht, dass du dich erkältest, weil ich deinen Mantel noch hab. Du... Du bist ja viel draußen… denke ich.“ Ronald fing zu lachen an. Ich musste mit machen. Für uns beide war es vollkommen klar, dass es ausgeschlossen ist, dass ich irgendeinem menschlichen Wehwehchen wie einer Erkältung oder Grippe unterliegen könnte. Für Skyler war es das natürlich nicht. Sie dachte schließlich sie sprach hier mit zwei Menschen. Ronald, Grell, William und ich hatten mit den Earls der Familie Phantomhive schon vor Jahrzehnten abgesprochen, dass es so für Außenstehende auch sein sollte. So süß die junge Lady auch war: Sie war eine Außenstehende. „Was ist so lustig? Ich hab mir Sorgen gemacht!“, fragte sie irgendwo zwischen verwirrt und verständnislos. Ronald lachte nur noch mehr. Ich musste ihr durch die Haare wedeln. Sie erinnerte mich irgendwie an ein beleidigtes Kätzchen: „Es ehrt mich, dass du dir Sorgen um mich machst, liebe Skyler. Doch sei dir sicher, dass dies nicht nötig ist.“ Mehr konnte ich dem jungen Ding leider nicht verraten. „Aber... es ist so kalt draußen!“, rief sie vehement. Ein warmer Funken zündete sich in meinem Bauch an. Sie machte sich tatsächlich ehrliche Sorgen um meine Gesundheit. Doch in ihren Augen stand etwas, was mir verriet, dass diese Sorgen bei weitem nicht der einzige Anlass war. Das Trüb war aufgewühlt. Ich meinte Angst und viele präsente Sorgen, einige aufgewühlte Erinnerungen darin zu sehen. Es krachte einmal hinter mir und ein zuckendes Leuchten erhellte kurz von hinter mir den Innenraum meines Shops. Dann hörte ich das Prasseln heftiger Regentropfen und sie schlugen schwer und nass gegen meinen Rücken. Kichernd blinzelte ich in die schweren, regnenden Wolken: „Ja, vielleicht hast du Recht.“ Ich trat in den Laden. Skyler ging einen Schritt nach hinten und ich konnte die Türe schließen. Dass es zweimal klickte verriet mir, dass Ronald die Fenster wieder geschlossen hatte, die er vor ein paar Stunden so empört aufgerissen hatte. Ich legte die Errungenschaften meiner kleinen Shoppingtour wie meinen Mantel auf den großen Tresen und streckte der jungen Sky meine Hand entgegen: „Lass mich dir deine Jacke abnehmen.“ „Ähm... Ich wollte nicht lange belieben, eigentlich wollte ich dir nur kurz den Mantel wiedergeben und dann wieder verschwinden...“ Ich verzog eine Schnute. Das war doch mal wieder gelogen. Sie wollte irgendetwas von mir, doch wieder schien sie sich selbst im Wege zu stehen. Was ein verwirrtes, junges Ding: „Das klingt so, als wärst du nicht gerne bei mir zu Gast. Sag, hat dir meine Gastfreundschaft in irgendeiner Form nicht zugesagt?“ „Nein, nein, nein das ist es nicht. Ich... Will dich nur nicht von wichtigen Dingen abhalten“, wedelte sie mit ihren Händen. Das Rot wurde dunkler. 'Knuffig!', kicherte ich stumm in mich hinein. Hatte ich ihr nicht zu verstehen gegeben, dass sie immer zu mir kommen konnte? Warum verstand sie es einfach nicht?: „Ich habe nichts zu tun was wichtiger wäre als du, liebe Skyler.“ Sie wirkte wieder so wunderbar überfordert. Dann wurde ihr Blick auf einmal furchtbar traurig. Mein Herz übersprang einen Schlag, als mir dieser Ausdruck gewahr wurde. Irgendetwas musste passiert sein und alles an dem Mädchen schrie, dass sie darüber sprechen wollte. Doch aus irgendeinem Grund wirkte sie, als wüsste sie nicht wie. 'Luft holen, Mund aufmachen, Sprechen“, murmelte ich in meinen Gedanken. Es war doch so einfach. Doch gerade glaubte ich meine Gedanken zu äußern würde sie nur noch mehr erschüttern und vertreiben. Sie so gehen zu lassen, unausgesprochen, widerstrebte mir in jeder Faser meines Körpers. „Aber du... hast Besuch. Ich möchte euch beide wirklich nicht stören.“ Ronald lachte: „Wie könnte so ein schönes Mädchen wie du stören.“ Ron zwinkerte Skyler zu, woraufhin sie ihr Gesicht nach unten drehte. So schüchtern und beschämt: Das Mädchen war eine Augenweide. „Ich bin nur allzu geneigt Ronald zu zustimmen“, kicherte ich und legte zwei Finger unter ihr Kinn um sie zu mir zu drehen. Sky musste den Druck in ihr drin los werden, das war so offensichtlich. Doch von alleine würde sie nicht sprechen. Warum hatte sie nur so Probleme sich mitzuteilen? Lag es an mir? Ich kicherte: „Außerdem geht draußen gerade die Welt unter, hehehe. Und ich sehe bei dir nirgendwo einen Regenschirm. Du denkst nicht wirklich, ich lasse dich in diesem Wetter nach Hause laufen, nass und wieder krank werden?“ „Genau“, unterstützte mich der junge Sensenmann: „Draußen regnet es junge Hunde. Es ist schön dich gesund und munter wiederzusehen, Sky. Geht es dir wieder gut?“ Skyler drehte ihren Kopf auf meinen Fingerspitzen ein Stück zu Ronald und sie schenkte ihm ein fruchtbar falsches Lächeln: „Ja, danke. Es geht mir wieder gut.“ Es war so fruchtbar. Es war ja noch schlimmer und schärfer als beim letzten Mal! Ronald legte den Kopf schief und schien meine Gedanken zu teilen, nur bezog er seine Auffassungen auf eine andere Situation: „Sicher? Das muss ein ziemlicher Schreck gewesen sein.“ „Ja schon... Aber ich bin wieder in Ordnung.“ Nur der Regen und der Donner unterbrachen die Stille kontinuierlich, die sich in meinem Laden ausgebreitet hatte. Körperlich schien das Mädchen wirklich wieder gesund, doch wie sah es innen aus? Es nützte niemanden etwas, wenn sie innerlich einginge und irgendwie hatte ich das unbestimmte Gefühl sie war gerade dabei: „Nun? Was ist nun? Wie wäre es mit einem warmen Tee. Es ist ja kalt draußen“, für Menschen. Shinigamis hatten damit nun wirklich kein gesteigertes Problem. Ich musterte das Mädchen: Ihr Poncho war dick und sie trug eine Strumpfhose, doch die Schuluniform war nun wirklich nicht der geeignete Aufzug für kalten Herbstregen: „Vielleicht hättest du dir etwas anderes anziehen sollen.“ „Och“, machte Ronald und grinste dreckig: „Find' ich jetzt nicht.“ Bei diesem unverblümten Ausruf ließ ich meine Hand hinunter fallen und schaute den Grim Reaper mit einer versteckten hochgezogenen Braue an: 'Deine Manieren sind erstaunlich. Wirklich.' Aus dem Augenwinkel sah ich, dass auch Skyler ihren Kopf reichlich desillusioniert zu dem Jungen drehte. Ich konnte mir wirklich nicht erklären, warum sie so komisch auf Komplimente reagierte. Dies bedarf weiterer Untersuchungen. Ich musste stumm kichern, in einer gewissen Vorfreude auf eine Menge herrlich Gesichtsausdrücke die dieses Unterfangen mit sich bringen wird. Ronald lehnte nonchalant auf meinem Tresen und musterte uns mit einem komischen Ausdruck. Was er mir damit sagen wollte begriff ich nicht ganz, doch er schien sich zu amüsieren. Das freute mich wirklich. Amüsierte und fröhliche Wesen freuten mich. Ronald hob die Hände aufgrund unserer Blicke: „Ist gut, ist gut. Ich habe nichts gesagt.“ Doch der Jüngling hatte seine Züge einfach nicht gut unter Kontrolle und sein unterdrücktes Lächeln sah aus, als litte er unter Verstopfung: „Ihr beide habt 1:1 denselben Gesichtsausdruck drauf.“ Ich schaute wieder zu der kleinen Skyler. Diese musterte mich reichlich irritiert. Ich konnte ihr ja nicht sagen, dass Ronald mich schon seit ein bisschen mehr als 100 Jahren kennt und sich somit meinen Gesichtsausdruck vorstellen kann. Generell bringt das teilweise nicht gut überlegte Geplapper mich ein bisschen in Teufelsküche. Wir müssen schließlich Stillschwiegen bewahren. Doch ich war guter Dinge Ronalds Aussprüche so drehen zu können, dass das Mädchen zwar verwirrt sein wird, aber nicht ahnte was wirklich los war. „Nun? Was ist nun?“, streckte ich ihr wieder meine Hand in der Erwartung ihres Ponchos entgegen. Sie seufzte sanft, doch unglaublich sorgenschwer: „Wenn es euch wirklich nicht stört...“ Schließlich gab sie mir endlich ihren Poncho und ich konnte ihn mit meinem wiedergewonnenen Mantel an die Garderobe zu Ronalds halbem Anzug hängen. Dieser grinste zweideutig, als er das Mädchen mit eindeutigem Interesse musterte. Dieser Ausdruck gefiel mir nicht: „Diese Uniformen sind wirklich nicht schlecht.“ Diese Aussage gefiel mir aus mir undefinierten Gründen noch viel weniger. Skyler wusste auch nicht so ganz, was sie antworten sollte: „Äh... Ja...“ „Also ich meine...“, begann Ronald wieder, doch ich konnte mir seine furchtbaren Manieren nun wirklich nicht mehr antun. Also gab ich ihm mit meinen langen Finger einen Klaps vor den Hinterkopf, als ich zur Küche wollte um Tee für uns zu kochen: „Benimm dich, du Schandmaul.“ „Aua“, machte Ronald leise und rieb sich die Stelle am Hinterkopf: „Ich hab doch gar nichts gemacht...“ Die Beleidigung in seiner Stimme gefiel mir dann doch wieder ziemlich gut: „Noch nicht, hehe.“ Als ich meinen prähistorischen Wasserkocher mit Wasser fühlte und die Teebecher vorbereitete, hörte ich Skylers und Ronalds Stimmen vor der Türe. Ich konnte nicht anders als mit großen Ohren zu lauschen. Vielleicht ließ sie ja Ron gegenüber etwas fallen. Sie müsste ihn in einem ähnlichen Alter wie sich selbst vermuten. „Warum bist du so nervös?“, sprach Ronald. Seine Stimme war gedämpft von der Türe, aber deutlich. „Ähm... Ich weiß nicht. Ich hatte einfach keinen guten Tag...“, sprach Skyler. Ihre Stimme war viel leiser und das beginnende Blubbern des Wasserkochers machte es nicht einfacher, doch ich verstand sie. „Es liegt nicht an unserem allseits geliebten Sonderling?“ Ich musste kichern. „Nein. Das glaube ich nicht.“ „Du glaubst?“ Ich zog die Augenbraue hoch, als ich Ronalds Frage beipflichtete und eine Urne mit Keksen auf das Tablett stellte. „Ja...“ Ich hörte Ronald lachen. Dann war es für eine Weile ruhig vor der Tür. „Du... kennst Amy gut?“, hörte ich Skylers Stimme nun etwas lauter als zuvor. Mein Wasserkocher klickte und ich goss das dampfende Wasser in die drei Messbecher. „Joa schon.“ „Woher?“ Ich stockte: „Sag jetzt bitte nichts Falsches“, flüsterte ich. „Och, der Arbeit wegen.“ „Okay... Als was arbeitest du? Mechaniker? Amy sagte, du bist öfter hier um etwas zu reparieren.“ Hätte ich meine Hand nicht vor meinen Mund gepresst, hätte man mein Kichern sicherlich im Verkaufsraum gehört. Sie war so herrlich unschuldig und unbedarft, was den ganzen übernatürlichen Hokuspokus anging. Es war erfrischend. Ronald lachte: „Ja, ich habe eine Zeit als etwas gearbeitet, was man als Mechaniker bezeichnen könnte.“ „Hmhm“, machte ich zu mir selbst: „Du hast an Death Scythes herumgeschraubt. Ich weiß ja nicht, ob sie so etwas meint, hehehehehe.“ Es war wirklich schwer meine Belustigung im Zaum zu halten. „Und was machst du jetzt?“ Ein kurzes Schweigen. Meine Ohren wurde größer in Erwartung nahenden Unheils: „Äh... Außendienstmitarbeiter.“ 'Gut gerettet', musste ich ihm zugestehen. „Aha. Welche Firma?“ Ich konnte mir Ronalds Verzweiflung bildlich vorstellen und fing an zu giggeln, als ich ein weiteres Mal meine Hand vor den Mund drückte. Es war ja wirklich amüsant, aber ich konnte nicht riskieren, dass Ronald am Ende doch noch etwas ausplauderte ohne es zu wollen. Also stellte ich noch schnell die Zuckerschale auf das Tablett und ging wieder zu meinen beiden atmenden Gästen. Ohne Eile stellte ich das Tablett auf den Tresen. Das Gespräch der Beiden schien dadurch unterbrochen zu sein. Als ich Ronald einen Becher gab beschaute er ihn komisch: „Da war aber nichts Unappetitliches drin, oder?“ Ich kicherte: „Ahihihi. Ich glaube nicht.“ „Ich hoffe“, sagte Ronald und süßte seinen Tee: „Formaldehyd hat einen komischen Nachgeschmack.“ Ich hielt auch Sky einen Becher hin, doch sie sah es erst nicht. Sie schaute Ronald an und versuchte augenscheinlich gerade seine Aussage zu ergründen. „Schau nicht so skeptisch, ahehehe“, unterbrach ich ihre Gedanken, die ich förmlich rattern hörte: „Es ist nichts drin, was irgendwie schädlich wäre.“ Dann machte ich meinen Tee trinkfertig. Ein Stückchen. Zwei. Drei. Vier. Fünft. Sechs. Sieben. Acht. Neun. Zehn. Elf. Zwölf. Dreizehn. Dann rührte ich um. Skyler nahm einen Schluck von ihrem mit einem nicht allzu glücklichen Lächeln. Irgendwann stecke ich sie, wenn sie dieses Gesicht machte, in einen Leichensack. Als therapeutische Maßnahme. „Nein“, machte Ronald sarkastisch und gedehnt: „Vielleicht nur ein Rest Leber oder Niere oder Herz, oder was du sonst noch so aus deinen 'Gästen' rausschnibbelst und in deinen Messbechern zwischen lagerst.“ Mein Kopf flog von Ronald weg, als Skyler in just diesem Moment einem kleinen Anfall unterlag. Ich musste lachen. Der Klassiker. Ihr Gesicht war fast so gut wie das von Lao beim ersten Mal gewesen war. Auch er hatte den Tee in die Nase gekriegt! Ich konnte mich nicht mehr halten. Old but gold! Ich haute mit meiner Hand auf den Tresen: „Herrlich! Ahahahahahahahahahaha!“ Ronald hörte ich ebenfalls kichern. Wie immer lachte ich ein wenig länger als angebracht: „Wuwuwuwuwuwu! Nein, keine Sorge. Das ist nicht der Fall.“ „Was?“, hörte ich eine junge, weibliche Stimme mit einem Hauch Sarkasmus: „Dass du deine Gäste zerfledderst oder dass du Teile von ihnen in die Messbecher wirfst, aus denen du auch deinen Tee trinkst?“ „Äh... Ehehe! Ich 'zerfleddere' sie nicht, ich seziere sie. Aber das mit den Organen stimmt schon. Irgendwo müssen sie ja bleiben, bis ich mich weiter mit ihnen beschäftigen kann. Aber die Becher sind unbedenklich. Wirklich. Oder schmeckt der Tee komisch?“ „Nun... Nein. Er schmeckt gut, danke.“ Nachdem Ronald anfing selbst seinen Tee zu trinken, wanderte mein Kopf zu ihm als er mit mir sprach: „Deine Kühlzellen funktionieren jedenfalls wieder.“ „Ich danke dir zutiefst, lieber Ronald. Sage mir Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann.“ „Oh, ich hätte was! Trainiere mit mir!“ 'Natürlich. Schreib dir doch noch Sensenmann auf die Stirn. Denk doch einmal nach, Junge...' Trotz allem legte ich lachend meinen Kopf schief. Er hat ja keine Ahnung. Man sollte immer vorsichtig mit dem sein was man sich wünscht, es könnte wahr werden: „Willst du das wirklich?“ „Ja!“, sein erfrischender jugendlicher Übermut beschwichtigte mich ein Stück. Ich konnte jetzt eh nur noch die Kohlen aus dem Feuer fischen, die Ronald mit beiden Händen hinein geworfen hatte: „Wenn ich von dem Besten lerne, komme ich vielleicht endlich an Grell und William heran! Es nervt ewig das Küken zu sein.“ „Nun, wenn du dir wirklich sicher bist. Ein Spaziergang wird es aber nicht werden, ahehehe.“ Ronald lächelte selbstbewusst: „Ich vertrag das schon.“ 'Überschätze dich nicht. Hehe. Doch egal: Ich werde meine Freude daran haben. Dafür werde ich sorgen.' „Oh“, schaute Ronald Skyler an und schien jetzt erst ans denken zu kommen: „Äh. Vergiss es einfach.“ „Ooookay“, viele Fragen huschten durch die Augen des Mädchens. Sie konnte sich augenscheinlich auf nichts einen Reim machen. Diese Jungspunde, die nun durchs Dispatch hüpfen, müssen definitiv mehr und öfter nachdenken. „Wird es nicht bald Zeit für die Jahresendabrechnung? Soll ich dir William vorbei schicken?“, fragte Ronald irgendwann als er feststellte, dass von Skyler nichts mehr kam und trank eine großen Schluck Tee hinterher. Hätte er das Thema nicht mit etwas Lustigem wechseln können? Jahresendabrechnung. So typisch Shinigami: „Naaaaaa. Erinnere mich nicht daran.“ „Wie kommst du eigentlich alleine zurecht? Ich meine du solltest nach den etlichen Jahren Bürokratie doch echt gewöhnt sein. Kannst du nicht oder willst du nicht? Sag mir nicht du lässt William immer antanzen nur weil du keine Lust hast es selber zu machen?“ „Gut“, grinste ich: „Dann sage ich nichts.“ War das nicht offensichtlich? Ich war Jahrhunderte ein Sensenmann gewesen. Wenn ich in Etwas ungeahnt viel Routine hatte die ich tragischerweise nie wieder loswerden würde, war es Papierkram. Das machte ihn nur leider nicht spannender und ich hatte ja William. Ronald lachte: „Du bist furchtbar.“ 'Du auch. Du und dein unüberlegtes, schnelles Mundwerk', bei Zeiten werde ich ihn mal drauf ansprechen ob er meinte er benutze seine grauen Zellen oft genug. Skyler wirkte so endlos fehl am Platz, dass ich mich ihrer erbarmen wollte: „Keks?“, hielt ich ihr einen meiner Lieblingsplätzchen hin. Sie waren aus Dinkelmehl mit mehren Gemüsesorten. „Oh danke“, nahm sie zögerlich den Keks. „Tu das nicht!“, rief Ronald aus als Skyler abbiss. Mir ging auf, dass ich sie nicht vorgewarnt hatte, was es für Kekse waren. Ich vergaß es tatsächlich meistens, weil es für mich so selbstverständlich war. Natürlich konnte ich mich trotzdem an ihrem angeekelten Gesichtsausdruck so gut erfreuen wie bei allen anderen auch. „Was sind das für Kekse?“, fragte sie mich, nachdem sie mehrere Minuten mit sich selbst diskutiert zu haben schien, ob sie wirklich hinunterschlucken wollte. „Was denkst du?“, fragte ich amüsiert. „Ich... weiß nicht“, musterte sie den Keks nur allzu skeptisch. Ronald legte die Hand über die Augen: „Hundekekse...“ „Bitte?“, piepste Sky. 'Hehehehehe!' Ronald schien irgendwo zwischen Mitgefühl und Amüsement zu hängen: „Das sind Hundekekse. Er isst sie ständig.“ Sky drehte irritiert den Kopf zu mir: „Ehrlich?“ Ich wackelte mit meinem. Dieser Ausdruck befriedigte meine Vergnügungssucht zutiefst: „Schmecken sie dir nicht?“ Dann nahm ich ihr das angebissene Stück aus der Hand und schob es in meinen Mund. Man soll ja nichts verkommen lassen. „Nein... Nicht mein Fall.“ „Schade.“ Ronald kippte den Rest seines Tees hinunter und schaute auf seine Armbanduhr: „Ich muss zurück. Ich hab noch Arbeit auf dem Tisch und habe keine Lust, dass mich William wieder zu Überstunden verdonnert.“ Aus dem Augenwinkel sah ich Skylers Augenbraue in die Höhe wandern. Irgendwie tat sie mir ja schon leid. Doch ich lachte: „Melde dich bei mir um dir deine Belohnung abzuholen.“ Ronald stieg ein: „Darauf kannst du Gift nehmen.“ Dann krempelte er seine Ärmel herunter und zog das Jackett über. Krawatte und Weste hielt er in der Hand. Kurz lächelte er zu Skyler: „Sky? Wir sehen uns sicher wieder. Kommst du zu Halloween?“ „Öhm“, nickte sie ein wenig aus der Reserve gelockt: „Ja, komme ich.“ „Dann sehen wir uns da“, lächelte Ronald und winkte: „Bis dann. Bye Undertaker. Wir hören uns.“ Ich winkte mit einer Hand, als er meinen Tresen passierte. „Du hast doch auch keinen Schirm dabei!“, rief Sky auf einmal. Es war teilweise wirklich schlecht, dass wir über Dinge nicht nachdachten, weil sie für uns einfach unerheblich waren. Für Menschen jedoch nicht. Ron drehte sich um und steckte seinen Zeige- und Ringfinger in die Luft: „Ich hab's nicht weit.“ Dann verschwand er aus der Hintertür. Ich wusste, dass er im Hinterhof das Tor in die Shinigamiwelt öffnen wird und trocken im Büro ankommen würde. Skyler war dies natürlich nicht klar. Sie drehte sich zu mir, wahrscheinlich in der Hoffnung auf Antworten. Ich werde sie in dem Punkt solange enttäuschen müssen, bis Alexander mir grünes Licht gab. Schließlich hatte ich mich den Phantomhives zum Gehorsam verschrieben. Nicht so bedingungslos wie Sebastian, aber ich hielt mich meistens daran. Die Earls der Phantomhives griffen die Dinge ja auch nicht aus der Luft. Mit: 'Hallo, ich bin der Tod und mehrere hunderttausend Jahre alt', stellte man sich wirklich nicht gut vor. „Weswegen bist du wirklich hier?“, fragte ich schließlich und nahm einen weiteren Schluck meines Tees. Das fand ich doch gerade wesentlich interessanter als eine Jahresendabrechnung. „Öhm... Sagte ich doch. Ich wollte dir deinen Mantel bringen.“ „Und?“ „Nichts...“, sie schaute zur Seite: „Und.“ Ich seufzte. Womit hatte ich es verdient, dass sie mich so offensichtlich mit Lügen strafte? Warum machte sie nicht einfach ihren hübschen Mund auf und sprach was sie auf der Seele hatte? Ich legte ihr wieder zwei Finger ans Kinn und drehte ihr hübsche Gesicht zu mir: „Was habe ich über Lügen gesagt, mein Liebe?“ „Ich lüge nicht...“, log sie unverfroren. Das hielt mein Grinsen nicht aus: „Also, zu lügen in dem man sagt man lüge nicht ist ziemlich dreist, oder?“ Sie drehte ihren Kopf von mir weg. Eine heftige Reaktion. Das Mädchen wirkte auf einmal vollkommen verzweifelt und endlos wütend. Sie starrte zu Boden und ich sah, dass ihre angespannten Hände und Arme zu zittern begannen. Was war bloß passiert? Ich ging um meinen Tresen herum und legte ihr die Hand auf die Schulter. Meinen Kopf neigte ich zur Seite, damit mein Pony von einem Auge rutschte und ich sie besser sehen konnte: „Was hast du, Sky? Sag nicht nichts, oder schauspielere besser.“ Sie sah mich kurz an: „Ich...“, dann schaute sie wieder auf den Boden: „Schauspielere nicht...“ Ich schüttelte kurz mit dem Kopf und drehte sie dann herum. Ihr Becher ging dabei zu Boden. Sei es drum! Das junge Ding litt aus irgendwelchen Gründen wie ein Hund und ich hatte das unmissverständliche Gefühl sie müsse endlich sprechen, ansonsten wurde sie verrückt. Mit einem Arm an ihrer Taille zog ich sie zu mir. Vielleicht merkte sie dann endlich, dass sie mir alles erzählen konnte. Ich hielt ihr Gesicht mit der anderen Hand. Sie versuchte meinen Blick auszuweichen, aber ich hielt ihr Kinn so, dass es nicht funktionierte: „Warum lügst du mich an? Vertraust du mir nicht?“ „Nein... das ist es nicht...“, sprach sie nach ein paar rasenden Gedankengängen. Ich sah sie ganz deutlich in den himmelblauen Augen. Genau wie ihr Leid und ihre Angst. „Was ist es dann?“ „Ich... kenne dich doch gar nicht richtig...“ „Warum bist du dann hergekommen? Du sagtest zu Ronald du hättest einen schlechten Tag.“ Wieder sah ich in ihren Augen, dass sie sich fragte woher ich Bescheid wusste: „Ich habe sehr gute Ohren. Doch nun erzähle.“ „Ich... Ich habe heute einen Brief bekommen...“ „Und darüber möchtest du sprechen?“ „Nein... eigentlich nicht.“ Eine Lüge! Schon wieder! Doch anstatt sauer machte mich der Ausdruck in ihren Augen eher traurig: „Sky?“ „Ja?“ „Belüge mich nicht. Du bist wirklich nicht gut darin.“ „Ich... weiß nicht ob ich lüge“, antwortete sie schließlich zögerlich und schaute dann doch weg. Dieses mal wirkte das Mädchen ehrlich und ehrlich verwirrt: „Das glaube ich dir. Aber ich bin mir sicher du tust es. Vertraue mir. Schau mich an.“ Ihre Augen wanderten langsam wieder zu mir. Ich musterte sie kurz: „Und jetzt sage mir ein weiteres Mal, dass du nicht sprechen möchtest.“ Sie blieb stumm. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass die Leute nicht mehr logen, sobald sie in meine Augen schauten. Ich wusste um ihre Wirkung, deshalb versteckte ich sie und weil natürlich jeder, der die Sensenmänner kannte, mich sofort als einen identifizieren würde. Meine Augen hatten mir schon oft gute Dienste geleistet. Sowohl damals im Dispatch, als auch bei den Menschen: „Nun?“ Ich merkte wie sie in meinem Griff zu zittern anfing. Eine furchtbare Spannung lag in ihren Augen. Ich konnte sie fast körperlich spüren. Wenn sie schon so an mir riss, wie riss sie dann an ihr? Sie wirkte in ihrem Selbst soviel unsicherer als ich in meinem: „Ich hab ein offenes Ohr für dich“, Ich lächelte wieder. Unter keinen Umständen sollte sie jetzt denken ich sei verstimmt oder sauer: „Wirklich. Vergiss nicht: Ich lüge nie.“ „Der Brief war vom Jugendamt...“ „Jugendamt?“ „Ja... Seit ich sieben bin lebe ich im Heim.“ Mit diesem Satz machte auf einmal vieles mehr Sinn. Er implizierte eine schmerzvolle Vergangenheit. Im Heim landete man nicht wegen ungefähr. Vielleicht war das Mädchen Komplimente wirklich nicht gewohnt und war oft hin und her gereicht worden. Das würde erklären, warum sie es verlernt hatte ihre Probleme anzusprechen. Vielleicht hatte sie nie jemanden zum Reden gehabt. Ich wollte das ändern! Unbedingt! Und genauso unbedingt wollte ich ihre Geschichte hören und sie endlich gänzlich zu verstehen. Dieses schöne, gebrochene junge Ding: „Warum?“ „Weil“, sie schien wieder mit ihrer Antwort zu hadern. „Hm?“, machte ich, um sie zum Sprechen zu ermutigen. Ein gequältes Durchatmen erklang: „Weil meine Eltern nicht so dolle sind.“ Ich wollte wissen inwiefern, doch ich durfte sie jetzt auf keine Fall drängen. Sollte ich heute nur an der Oberfläche ihrer Geschichte kratzen, sei es so. Ich hatte eine Menge Geduld: „Und was stand in dem Brief?“ „Das sie... Kontakt zu mir aufnehmen wollen...“ „Und das möchtest du nicht?“ Natürlich erübrigte sich die Frage eigentlich. Es war nur allzu offensichtlich, dass der pure Gedanke sie um den Verstand brachte: „Glaub mir, Sky. Ich habe viel, viel gesehen in meiner beruflichen Laufbahn. Die menschlichen Abgründe sind tief. Ich kenne sie. Ich halte sicherlich nichts was du mir erzählen würdest für zu weit hergeholt, um es dir zu glauben. So viele Kinder sind mir begegnet die gestorben sind, weil ihre Eltern sie nicht beschützt haben, wie sie sollten. In einigen Fällen waren die Eltern sogar schuld gewesen. Das ist schrecklich und ich habe diese Menschen, die sich Eltern nennen wollten, zutiefst verurteilt.“ Dass ich damit nicht meine Laufbahn als Bestatter meinte, blieb hinter geschlossenen Lippen. Doch als Sensenmann hatte ich unfassbar viel gesehen. Kinder zu holen hatte ich immer gehasst. Kinder sollten leben und viele sind wirklich sehr erbärmlich vor die Hunde gegangen. Wenn für ein Kind der Tod eine Erlösung ist, dann läuft die Welt definitiv nicht richtig. Dieser Umstand hatte sich heutzutage Gott sei Dank ein wenig geändert. Ich beglückwünschte die Menschen und auch die heutigen Reaper zu dieser Tatsache. Doch gerade schaute mich ein hübsches junges Ding so unsagbar zerstört an. Ihre Augen waren nicht nur trüb, sie lagen in Scherben. Tränen glitzerten darin wie kleine Splitter:„Ich verurteile auch deine Eltern zutiefst. Niemand sollte so traurig schauen wie du gerade.“ Urplötzlich schlug sie die Lieder zusammen und entließ so zwei große Tränen in die Freiheit, als sie gequält schluchzte. So mochte ich ihr Gesicht nicht. „Oh weh“, strich ich ihr behutsam die Tränen aus dem Gesicht. Wie viel Leid muss dieses kleine Ding ertragen haben? Warum taten sich Menschen gegenseitig so etwas an? Eltern ihren Kinder? Sie sollten sich doch gegenseitig bedingungslos lieben und vertrauen können. Es war nicht selbstverständlich Familie zu haben. Dämonen haben keine, Engel haben keine, Sensenmänner haben keine. Diesen Luxus hatten nur die Menschen. Warum traten manche ihn so mit Füßen, dass eine junge Frau vor Angst und Trauer in Tränen ausbrach wenn sie an ihre Eltern dachte? Ich legte ihr die Hand auf den Hinterkopf und zog sie in eine feste Umarmung. Sie brauchte es, ich fühlte es als ich durch ihre weichen Haare strich: „Weine, wenn du weinen musst. Du musst dich hier nicht zurückhalten und für nichts schämen.“ Sie zitterte in meinem Arm wie Espenlaub. Mein Herz wurde schwer davon: „Wenn ich etwas tun kann damit es dir besser geht, sag einfach Bescheid.“ Dann krallte sie sich in mein Oberteil. Es überraschte mich ein Stück weit, doch ich ließ meine Hand weiter durch ihre Haare geleiten. Allerdings war mir ihr Dutt dabei im Weg, also zog ich die paar Spangen heraus um freie Bahn zu haben. Eine ganze Zeit lang krallte sie eine Hand in meinen Mantel und weinte. Bitterlich. Es klang so, als ob sie noch versuchte es immer wieder zu ersticken, doch es nicht schaffte. Was gut war. Es musste raus. Diese ganze negative Spannung, sie musste raus. Irgendwann wischte sie sich durchs Gesicht: „Es tut mir leid...“ „Hehehe“, kicherte ich meinem Naturell entsprechend. Jetzt zu sehr von mir abzuweichen wäre eine neue Quelle von Verwirrung. Ich zweifelte gerade daran, dass es gut wäre: „Warum entschuldigst du dich immer?“ „Weil... Mir das peinlich ist...“ „Hahahahahaha! Warum denn?“, amüsierte es mich dann wieder ehrlicher. Sie schaute mich kurz an, schlug dann die Augen nieder: „Weil... ich dich kaum kenne und hier stehe und dir die Ohren voll heule wie ein kleines Kind. Das war sicher... nicht so toll für dich...“ Ich lachte durch die geschlossenen Lippen: „Ich hab doch gefragt. Wer fragt, muss auch den Schaden tragen. Vergessen?“ „Ja, aber...“ Ich wuschelte ihr wieder durch die Haare. Nun flogen sie ungehemmt durch die Luft und landeten auch in ihrem schönen, schmalen Gesicht. Als sie mich anschaute, versuchte sie vergebens ihre Haare aus dem Gesicht zu pusten. Es sah lustig aus und brachte mich zum Kichern. Zu meiner Erleichterung kicherte Skyler mit. Ihr Gesicht war immer noch ganz nass. Hier und da klebten ihre Haare an der feuchten Spur, die ihre Tränen hinterlassen hatten. Also zog ich ein Taschentuch aus der Tasche und hielt es ihr mit zwei Fingern vor das Gesicht. „Danke“, schob sie mit einer Hand ihre Haare aus dem Gesicht und trocknete sich dann die Augen und die Wangen. Es war mir unbegreiflich warum, aber ihr Gesicht nahm wieder einen roten Ton an und sie schaute zu Boden. „Oh!“, tat sie einen Schritt zur Seite und ich entließ sie aus meinem Griff. „Es tut mir leid!“, quiekte sie auf einmal und hob ihre Hände vors Gesicht: „Ich...“, ihre Augen flogen viel zu schnell durch meinen Laden: „Mach das sofort weg!“ Dann sah ich die Teepfütze auf den Boden und die kleine Glühbirne erhellte ein weiteres Mal meine Gedanken. Ich hielt das Mädchen am Arm, als sie Ronalds schmuddeligen Lappen greifen wollte: „Hehe. Lass nur. Ich mach das gleich.“ „Aber... ich hab ihn fallen lassen.“ „Wirklich?“ Sie zog eine Augenbraue hoch: „Äh... Ja?“ Diese Mimik war so drollig! Wie weit sie ihre Augenbraue nach oben bekam! Definitiv lag in diesem Ausdruck sehr viel Übung! „War das eine Frage oder eine Aussage?“, konfrontierte ich sie damit, dass ich das große, rote Fragezeichen sehr wohl herausgehört hatte. Es blinkte immer noch über ihrem Kopf. „Äh... Aussage?“ „Und das?“ „Öhm... Aussage?“ „Und das?“ „Ähm... Aussage?“ „Und das?“ Sie zog eine Schnute. „Ahehehehehehehehehehehe! Dieses Gesicht! Tihihihihihihi! Bezaubernd! Entzückend! Ahahahahaha!“ „Was hast du eigentlich mit meinem Gesicht?!“ Ich zog sie zu mir. Hatte ich es ihr heute nicht schon mal gesagt? Wahrscheinlich muss ich es einmal unmissverständlich machen: „Ich mag es, hehe. Deine Ausdrücke sind herrlich! So vielseitig! Und wie rot du immer wirst. Possierlich, wirklich. Hihi.“ Ein weiteres Mal musste ich aufgrund ihres Blinzelns und rotem Gesichtes kichern: „Außerdem, wenn meine Gäste anfangen bei mir zu putzen, leg ich mich selbst auf eine Bahre, ahehehehe.“ „Oooookay. Ist alles ok bei dir?“ „Fuhehehehehehe! Das fragt die Richtige!“ Sie zog wieder die Augenbraue nach oben. Mir fiel auf, dass sie es öfter tat. Der irritierte Ausdruck allerdings gefiel mir und ich lachte noch mehr. Dann hob ich einen Finger und wackelte damit an ihrer hochgezogenen Augenbraue herum: „Und diese Augenbraue! Ahahahahahaha! Ich hab die wahre Freude meines Herzen gefunden!“ Ihr Mund klappte auf. Der Gesichtsausdruck wurde immer besser, als ich an ihrer Braue herum wackelte. Herrlich! Dann klappte ich ihr den Mund zu: „Hör auf so zu schauen! Puhuhuhuhuhu! Oder ich sterbe! Das wäre Mord, hehe!“ „Klar“, nickte sie langsam: „Klingt logisch... Oder so.“ „Andererseits“, ich nahm wieder meinen Finger und bewegte ihn zu ihrer Braue: „Das sieht zu gut aus! Fu fu fu fu! Mach's doch noch mal! Tehe!“ Skyler paschte mir auf die Hand: „Hey!“ Doch so schnell ließ ich mich nicht abbringen: „Ach komm schon! Hihi!“ Sky befreite ihre andere Hand und erwehrte sich nun mit beiden: „Nein! Lass das! Hast du mal was von 'Persönlicher Komfortzone' gehört?!“ „Pahahahaha! Komfortzone! Hab dich nicht so!“, schnappte ich mir wieder ihre zweite Hand. Mit der anderen haute sie immer wieder meine, doch ich versuchte es immer weiter: 'Tehehehehehe! Herrlich!' Außerdem brauchte das junge Ding ganz dringend etwas Ablenkung. Dann lachte Sky ihr helles, leises Lachen. Sie wirkte beim Lachen immer irgendwie verhalten. Irgendwann schaffte sie es ihre Hand wieder aus meiner zu ziehen und sie drückte sie gegen meine Wange: „Haha! Jetzt hör auf damit!“ Mein Kopf wurde nach hinten gedrückt und ich musste ganz komisch schielen um Skyler noch sehen zu können. Was man so alles sehen nennen wollte: Schlechter Winkel, Haare überall und ohne Brille: Ich sah nichts. Doch ich schlängelte instinktgesteuert meine Hand an ihrer vorbei, traf aber nur ihre Nasenspitze. Das war eigentlich nicht schlecht. Dann drehte ich belustigt ihre Nasenspitze: „Tihihi! Bitte! Ich will es noch einmal sehen!“ Sie ging ein paar Schritte nach hinten: „Nein!“, lachte sie. Jetzt wo ihre Hand fehlte streckte ich meine Wirbelsäule wieder: „Bitte!“ „Haha, Nein!“ Wieder streckte ich den Zeigefinger aus und ging mit selbigem kreisend auf sie zu: „Tu mir doch den Gefallen. Hehe!“ „Hey!“, sie huschte an mir vorbei und brachte einen Sarg zwischen uns: „Nicht ins Gesicht!“ 'Flinkes Ding', mein Grinsen wuchs: „Oh, eine kleine Verfolgungsjagd. Ist eine Weile her, dass ich so etwas mit Lebenden gemacht habe.“ „Was?!“ Ihre geweiteten Augen hingen an mir, als ich mich nonchalant über den Sarg schwang. Ich muss auf Fremde wohl um einiges ungelenker wirken, als ich war. Sky blinzelte verwirrt und rannte weg, als mein Finger wieder die Jagd nach ihrer Augenbraue aufnahm. Sie zu necken war herrlich! „Haha! Hör auf!“, huschte das zierliche Ding durch den Verkaufsraum. Ohne größere Probleme folgte ich ihr und amüsierte mich köstlich über die angestrengten Ausweichmanöver. Sie schien von meinem Finger allerdings so abgelenkt, dass sie ihre Beine zu sortieren vergaß: Nach einem kurzen Straucheln stoppte sie schwankend. Sehr plötzlich. Ich stoppte nicht. „WAAAAAAA!“, schepperte es ziemlich laut. Danach brauchte meine Welt ein paar Sekunden, um sich wieder in den richtigen Winkel zu drehen. Ich realisierte den Sarg, in dem ich gelandet war. Nur nicht alleine. Ich spürte den zierlichen, warmen Körper unter mir deutlich. Dann musste ich zu lachen anfangen, als mir klar wurde was gerade passiert war und versteckte mein lachendes Gesicht in Skys Schulter. Der spontane Impuls verwirrte mich, aber ich schaffte es auch nicht dagegen zu halten. Impulskontrolle war nicht zwingend meine Stärke. Das war eine ungeahnte Wendung der kleinen Verfolgungsjagd. Auch in meinem Etablissement endet sie nicht zwangsläufig in einem Sarg. Ich hob den Kopf und musste weiter lachen, während ich Skyler in die perplexen Augen schaute. Dann holte ich mir meine rechtmäßige Belohnung und wackelte triumphierend an ihrer Augenbraue: „Hehehehehe! Gewonnen!“ Skyler wollte zwar erst seufzen, warf dann aber doch den Kopf zu ihrem wunderbaren hellen Lachen in den Nacken. Einige Zeit war Lachen das Einzige, was ich hörte. Ein äußerst erquicklicher Zustand! Ich wollte mich aufstützen und mein Gewicht von Sky nehmen, die immer noch so zerbrechlich wirkt wie eine teure Porzellanpuppe: „Hahahaha! Hach! Herrlich!“ Sie schlug ihre blauen Augen auf, doch der sofort geschockte Ausdruck ließ mich innehalten. „Vorsicht!“, rief sie plötzlich. Dann verschwand mein Sichtfeld in einem Meer bunter Sternchen. Ein harter Aufprall auf meinen Hinterkopf ließ meinen Kopf nach vorne fliegen. Darauf folgte eine Kollision meiner Stirn. „Ohhhhhh“, hörte ich Skyler machen, als ich mir die Stelle an meiner Stirn rieb, die eine Beule werden wird. Von meinem Hinterkopf möchte ich gar nicht erst reden. Als die Flecken verschwunden waren schaute ich wieder zu Skyler. Auch sie rieb sich die Stirn: 'Ups.' „Aua... Ich hasse mein Karma...“, stöhnte sie schmerzerfüllt. „Ich finde dein Karma gar nicht so schlecht. Hehehehehehe!“, lachte ich. Es war doch lustig gewesen. Schmerzhaft, aber lustig. Plötzlich merkte ich einen Druck auf meiner Nasenspitze. Etwas drückte sie ein. Als ich hinschaute sah ich die großen blauen Augen direkt vor meinen, trotz der Düsternis im Sarg. Ich merkte wie ihre Nase an meiner wärmer wurde. Das Mädchen roch gut. Nach Seife und Lavendel. Ich kicherte bei dieser Erkenntnis. Die Situation ist des Weiteren irgendwie komisch. Auf eine amüsante... und noch eine unerklärlich andere Art. Ich legte mit einem fast wohligen Gefühl meinen Kopf an ihre warme Stirn. Die Hitze ihres Gesichtes kribbelte an meiner Haut: „Das war so nicht geplant. Könnte aber schlimmer sein. Ahehehehehehe!“ Ich spürte wie die Wärme ihres roten Gesichts auf meine Wangen abstrahlte. Mit einem Schmunzeln streckte ich meinen Arm aus und hob den Sargdeckel wieder an, der mich assassinieren wollte und stützte mich endgültig auf: „Besser?“ „Öhm... ja“, machte sie verwirrt und zögerlich. „Gut. Dann hat ja alles so funktioniert wie ich wollte“, ich machte eine kleine Pause und studierte Skys Gesicht. Sie sah wieder etwas besser aus, aber der trübe Wirbel in ihren Augen hatte sich noch nicht gelegt. Wird er je? Vielleicht wird er ja wenigstens irgendwann schwächer: „Was willst du jetzt tun?“ Skyler wog den Kopf hin und her: „Ich werde die Kontaktanfrage ablehnen. Viele reden schlecht von Kinderheimen, aber meine Familie war sehr viel schlechter.“ „Willst du es erzählen?“ „Willst du es wirklich hören?“ „Warum nicht?“ „Naja... Es ist keine amüsante Geschichte.“ Ich musste lachen: „Hehehe. Die wenigsten Geschichten, die das Leben schreibt, sind wirklich lustig. Man muss für sein Pläsier meistens schon selber sorgen.“ Sie musterte mich mit skeptischen, leicht zusammengekniffenen Augen. Ein paar Gedanken huschten darin hin und her. Auf sie folgte ein hörbares Seufzen: „Mein Vater ist ein Trinker. Ex-Soldat. Für ihn hat der Krieg nie aufgehört. Auch zu Hause nicht.“ „Ich habe ein ungutes Gefühl in welche Richtung diese Geschichte geht“, brach mein Grinsen ab. Alkoholiker Vater mit Militärausbildung. Das ist nicht der Stoff, aus dem Wunschträume waren. „Wirklich?“ Ich nickte: „Du musst dem Kind keinen Namen geben. Ich habe verstanden. Deine Mutter hat nichts dagegen unternommen, schätze ich.“ Ich wollte auch nicht, dass sie die Details in Worte fasste. Ich konnte sie mir denken. Unterdrückte Wut drehte mir den Magen um. Menschen sind doch so oft so dumm und so nutzlos aggressiv. Leiden müssen aber meistens immer die Falschen. Die Anderen. Die, die nichts dafür konnten. Sky schaute unter mir zur Seite: „Nein, hat sie nicht...“ „Wirklich keine amüsante Geschichte. Daran finde selbst ich nichts zu lachen.“ An so einem Familiendrama ist auch wirklich nichts ansatzweise lustig. Darüber machte man auch einfach keine Scherze. Es war zum Kotzen, dass es so etwas überhaupt gab. Sie zuckte irgendwie schwach mit den Schultern. Es wirkte wie eine gefühlte Schwäche, eine zehrende emotionale Müdigkeit: „Es war auch nicht sonderlich amüsant.“ „Naja. Die Vergangenheit kann niemand ändern. Nicht einmal Gott wäre dazu in der Lage. Wenigstens bist du sie jetzt los und musst sie nie wieder sehen.“ „Ich hoffe...“ „Du willst nicht, also: Warum solltest du?“ „Naja... Wenn das Jugendamt entscheidet ich soll... dann muss ich...“ „Dann hör nicht auf sie“, was wollte dieser komische Komödiantenstadl denn bitte machen? Sie vierteilen? Ich verstand diese unreflektierte Autoritätshörigkeit einfach nicht: „Das Einzige was du MUSST, liebe Skyler, ist sterben.“ Skyler wirkte von mir genauso verwirrt, wie ich von ihr: „Naja... Das Jugendamt kann mir mit Sanktionen drohen...“ „Bringt dich irgendeine davon um?“ „Nein, aber...“ „Dann nichts aber.“ „So einfach ist das nicht!“ „Aha? Warum nicht?“, ich wollte das Problem wirklich verstehen. Nicht, dass ich mir vollkommen darüber bewusst wäre, dass ich unglaubliche Probleme damit hatte Autoritäten anzuerkennen. Warum sollte jemand über mein Leben entscheiden dürfen? Was gibt irgendwelchen Sensenmännern oder dahergelaufenen Menschen das Recht über andere und mich zu entscheiden? Ich tolerierte es weitestgehend. Obwohl ich schon lange hier lebte, war es nicht mehr meine Welt. Verlassen hatte ich sie vor mehr als einer Ewigkeit. Deshalb war ich hier immer noch zu Gast und die Regeln, die die Menschen für sich festlegten, galten auch für mich. Auch wenn ich sie nicht nachvollziehen konnte. „Naja weil... Weil...“ „Weil?“, mein Kopf kippte immer noch angestrengt denkend zur Seite. „Ich auf das Jugendamt angewiesen bin...“ „Und inwiefern?“ „Ich bin minderjährig. Sie sind für mich verantwortlich.“ „Das impliziert nicht im Mindesten, dass du auf sie hören musst.“ Skyler schwieg wortlos. Sie schien irgendwie mit der Wahrheit in meinen Worte und ihren gelernten Ansichten zu hadern, da sie nicht übereinstimmten. „Ich halte nicht viel von der Queen und ihren Institutionen“, erklärte ich mich ihr schließlich ein Stück weit. „Wirklich?“ „Jup. Ich finde diesen ganzen bürokratischen Kram furchtbar unwichtig. Ich meine: Das ist doch der reine Wahnsinn! Und ich bin wahnsinnig. Ich weiß also wovon ich spreche. Hehehehe!“ Jeder der den Dispatch kennt versteht mein Bürokratietrauma. Doch Skyler wirkte immer noch mit der Welt im Ungleichgewicht: „Aber... du hältst dich dran, oder? Ich meine du zahlst doch Steuern und so weiter.“ „Hehehe! Gezwungenermaßen, ja“, lachte ich darauf. Das Geld der Queen war mir immer noch ungefähr genauso wichtig wie Dreck an meinem Schuh. Es war mir reichlich Schnuppe, wo die Menschen es hingeschoben haben wollten. Ich verstand den praktischen Nutzen. Es war eine pfiffige Idee, um um das umständliche Tauschhandeln herum zu kommen, aber um ehrlich zu sein war es mir tatsächlich unbegreiflich wie man seine Welt von grün bedrucktem Papier abhängig machen konnte. Vielleicht war ich einfach zu alt für sowas. Ich lachte mehr über diesen Gedanken als über alles andere: „Doch was genau du jetzt tun willst, weiß ich immer noch nicht. Du willst ablehnen, klar, doch wie?“ „Wozu musst du das wissen?“ „Na, damit ich dir helfen kann“, versuchte ich mein Kichern zurückzuhalten. Mit mäßigem Erfolg: „Kam das jetzt wieder unerwartet?“ Sie nickte langsam. Darauf folgte ein erneutes Seufzen: „Naja... Du kannst mir nicht wirklich helfen...“ „Man kann immer helfen. Es verlangt manchmal nur nach ein wenig gesteigerter Kreativität.“ Und ich war kreativ. Mein Blick fiel ohne große Absicht auf eine Strähne ihres langen Haares, die ihr über die Schulter gefallen war. Aus einer spontanen Impression heraus griff ich sie und begann sie zu flechten. „Was machst du da?“, fragte Sky und ihr Blick huschte zwischen mir und meinen Fingern hin und her. Ich lachte: „Das wird ein Zeichen.“ „Zeichen für was?“ „Für unsere Verbundenheit.“ Sie machte wieder stumme, große Augen. Dieser Ausdruck! „Damit du nicht vergisst, dass es jemanden gibt der dir helfen möchte, wenn du Hilfe brauchen würdest“, setzte ich hinterher, als Skyler mir nun verwirrt auf meinen eigenen kleinen Zopf schaute. Die Haare des Mädchens waren so glatt und weich, dass sie mir fast aus dem Griff rutschten. Sie hinterließen ein angenehmes Gefühl zwischen meinen Fingern: „Also, wenn ich dir helfen kann zögere nicht mir Bescheid zu geben.“ „Ähm“, stotterte das junge Ding: „Danke, aber... ich werde zu dem Termin gehen, sagen dass ich den Kontakt nicht wünsche und dann... werde ich beten. Was anderes kann ich nicht tun.“ „Beten? Aha? Wenn du denkst es hilft. Hihi.“ Ich konnte ihr leider nicht von meiner eigenen Erfahrung berichten und ihr versichern, dass sie sich einen richtigen Erfolg beim Beten nicht wünschte. Engel waren nicht besser als Dämonen. Sie waren nur auf eine viel scheinheiligere Art und Weise bescheuert. Sky lachte kurz auf: „Wahrscheinlich nicht.“ „Wann hast du den Termin?“, wechselte ich das Thema um meinen Vortrag über Engel und himmlische Heerscharen für mich behalten zu können. „Am 08.10. um 14:30 Uhr...“ „Nun. Viel Glück“, griff ich in meine Tasche und band ihr eins meiner schwarzen Haargummis in die Haare. Dann ließ ich den Zopf über meine Hand streichen, wo er wieder dieses entzückende Kribbeln zurückließ und ihn danach auf ihre Schulter fallen: „Und wenn deine Eltern dein Nein nicht akzeptieren, dann bekommen sie halt ein Problem mit mir.“ „Inwiefern?“ „Mir fällt schon etwas ein. Hehehehe! Ich bin da kreativ.“ Definitiv hatte ich schon eine Vorstellung. Sie begann mit ihren Köpfen und endete mit dem Fußboden und meinem Absatz. „Klingt gut!“, wirkte Skyler irgendwie angetan. Ich bezweifele, daas sie meinen Gedankengang als so brutal erahnte. Zimperlich war ich nun wirklich nicht. Schon gar nicht wenn ich wütend war. Und auf Skys Eltern war ich wütend. Wütender als ich sein sollte. Solche Menschen machen mich rasend und legitimierten mein Vorgehen, wie damals auf der Campania, ein weiteres Mal. „Wie alt bist du, Skyler?“, wechselte ich das Thema erneut und meiner Selbstbeherrschung zu liebe. „Öhm... 17, fast 18.“ „Mein Gott, so jung“, lachte ich. „Wie alt bist denn du?“ „Äh“, gut, der Themenwechsel war vielleicht nicht ganz so elegant wie gewollt: „Hehehehe. Zu alt.“ „Wie alt?“ Ich grinste breit: „Rate, hehe.“ Für wie alt sie mich wohl als Menschen hält, ohne eine Ahnung was mein wahres Naturell versteckte? Es wissen zu wollen brannte aus irgendwelchen Gründen unter meinen Fingernägeln. „Öhm“, druckste sie komisch: „So... 32?“ „Pahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahaha!“, ich befürchtete einfach an meinem Lachanfall zu sterben und aus dem Sarg zu kippen: '32! Nur um knapp 199.968 Jahre daneben!' „32!“, ich bekam zwischen den Lachern kaum noch Luft: „Ich werd nicht mehr! Wahahahahahahahaha!“ Eines der blauen Augen zuckte komisch: „Bin ich... soweit daneben?“ Ich hörte sofort auf zu lachen als mir klar wurde, dass ich eigentlich antworten müsste. Ich log nicht, auch nicht in solchen Situationen. Doch etwas für sich zu behalten war halt keine Lüge: „Das ist ein Geheimnis. Wann hast du Geburtstag?“ „Warum?“ „Interesse.“ Sie schaute mich wieder mit diesem verspielten, provokanten Blick an den sie auch schon einmal im Auto aufgesetzt hatte. Er hatte seinen ganz eigenen Charme. „Das ist ein Geheimnis“, sagte sie schließlich süßlich. „Dann frag ich Amy.“ Als ob ich es ihr so einfach mache: 'Du solltest es jetzt schon besser wissen, kleine Sky. Hehe.' „Das ist nicht fair!“ „Ich sagte ich sei ehrlich, nicht ich sei fair. Hehehehehe! Also?“ „31. Oktober...“, seufzte sie widerwillig. „Oh! An Halloween! Wie entzückend! Dann wird es ja dieses Jahr auch noch eine Geburtstagsfeier!“ „Oh nein, nein, nein“, antwortete sie: „Ich hab meinen Geburtstag noch nie gefeiert und ich fange sicherlich jetzt nicht damit an!“ Mein Grinsen drehte sich um: „Warum nicht?“ „Naja, weil...“, sie brachte den Satz nicht zu Ende. Als der Sturm in ihren Augen wieder ein Stück stärker wurde, erschloss sich mir, dass ihrer Familie wohl an ihrem Geburtstag nie viel gelegen hatte. „Was wünscht du dir?“, beugte ich den Kopf zu ihr hinunter um die Wellen in ihren Augen besser erkennen zu können. „Komfortzone!“ „Abgelehnt“, lachte ich: „Also?“ „Also ich... weiß nicht, was ich darauf antworten soll...“ Ich konnte mich zwischen Lachen und Seufzen nicht entscheiden. Also tat ich einfach beides gleichzeitig. Skylers Verwirrtheit belustigte mich weit mehr als die der meisten Anderen, doch sie machte es mir auch nicht einfacher Antworten zu finden: „Ich habe hin und wieder das Gefühl wir würden nicht die selbe Sprache sprechen.“ „Üff...“, kam es aus ihrem peinlich berührten Gesicht: „Doch... schon...“ „Was war dann so unverständlich?“, ich wollte doch nur wissen ob sie sich etwas zum Geburtstag wünschte und sie machte aus dieser simplen Frage etwas furchtbar Kompliziertes. „Ich... dachte einfach ich habe deutlich gemacht, dass mir mein Geburtstag nichts bedeutet. Folglich wünsche ich mir auch nichts.“ „Hehehe. Dann muss ich mir selber etwas einfallen lassen.“ Sie wurde wieder rot im Gesicht: „Mach dir keine Umstände wegen mir...“ „Umstände? Ich finde Geburtstage herrlich! Mein zweitliebster Anlass zum Feiern!“ „Und was ist dein liebster Anlass?“ Ich lächelte nur weit und sah in Skys Augen, dass sie verstand: „Oh nein, sag jetzt bitte nicht...“ „Doch. Genau was du denkst.“ „Woher willst du wissen was ich denke?!“ „Skyler bitte. Ich bin sehschwach, nicht blind. Hehehehehe!“, wirklich schwer zu lesen war ihr Gesicht nun wirklich nicht. „Geh aus meinem Kopf und mach die Hintertüre zu...“, klang sie irgendwie beleidigt. „Pahahahahahaha! Nö.“ „Wie nö?!“ „Ich finde es gemütlich da drin. Hehe“, verließ ich den Sarg, ging zu meinem Tresen und schnappte mir den Lappen, den Ronald zurückgelassen hatte. Fahrig warf ich ihn auf die Pfütze, schob meine Schuhspitze unter den daneben liegenden Plastikbecher und warf in so in die Luft, dass ich ihn fing. Dann wischte ich die Pfütze unter zu Hilfenahme meines Fußes weg. Grell hätte jetzt wahrscheinlich behauptet ich wolle angeben. In Wahrheit war ich nur zu faul mich zu bücken. Deswegen warf ich auch den Lappen mit dem Fuß hoch. Ich spürte Skylers Blick in meinem Nacken und drehte mich zu ihr: „Ist irgendetwas?“ „Nein... Ich... schau nur.“ „Interessant?“, ich lachte stumm in meinem Kopf, als ich mich durch die Türe zu meiner 'Küche', einer Arbeitszeile mit Herd, Spüle, kleinem Kühlschrank und ein paar Schränken, beugte und Becher, sowie Lappen mit einem leichten Scheppern in das metallische Becken warf. Dann zog ich den Kopf wieder heraus und schloss die Türe. Ich setzte mich halb auf meinen Eichentresen und musterte Sky, die sich auch aus dem Sarg erhoben hatte und nun aus dem Fenster starrte. Nach einem kurzen Augenblick drehte sie sich wieder um und lächelte wieder so dünn. Ein kleines Surren flog durch den Raum und Sky zog mit einem entschuldigen Lächeln ein kleines Gerät aus der Brusttasche ihres Jacketts. Es war ein dieser komischen Handys. Skyler wirkte beschämt und auch ein bisschen verzweifelt, als sie auf das kleine Ding schaute. Wozu man diese 'Handys' brauchte wusste ich ja immer noch nicht. Ich hatte schon mal so ein Ding in der Hand gehabt. Sie waren auch in der Tat kurios. Vor ein paar Jahren wollte Fred mich dazu überreden mir auch eins anzuschaffen. Wie bei allen Neuheiten sagte ich nicht Nein es mir mal anzuschauen. Doch nachdem Fred 3 Stunden versucht hatte mich in die Feinheiten des digitalen Zeitalters einzuführen, haben wir gemeinschaftlich entschieden, dass mein altes Telefon reichen sollte: „Gefällt dir nicht, was deine kleine Wunderkiste dir da zeigt?“ Sky zog wieder ihre Augenbraue hoch als sie zu mir schaute. Ich hatte so drauf gehofft! „Wunderkiste?“, fragte sie unsicher. „Ja. Ich kann den Dingern nichts abgewinnen“, kicherte ich. „Ok. Gut, ist ja nicht schlimm. Aber... mir wurde eine Telefonnummer angezeigt.“ „Hö?“, machte ich reichlich dämlich: 'Wie? Was? Woooooo?' „Na.. Im Internet...“ „Aha?“, von diesem Internet war mir etwas zu Ohren gekommen und ich verstand ungefähr was es war, doch beliefen sich diese Kenntnisse auf sehr gefährliches Halbwissen. „Naja... ein Telefon hab ich...“, schaute ich auf selbiges. Sky folgte meinen Blick: „Das ist ja antik.“ „Hahahaha! Man merkt du bist mit Amy befreundet.“ „Warum?“ „Sie sagt das auch immer. Das erklärt aber alles nicht, warum du so komisch auf dein“, ich deutete mit kreisendem Zeigefinger auf den schwarzen, flachen Kasten in Skys Hand: „Dingsda schaust.“ „Handy.“ „Was auch immer.“ Skyler verzog fast amüsiert ihren geschwungenen Mund: „Amy hat mir geschrieben.“ „Aha?“, ich tippte es handelte sich um eine dieser SMS oder wie die hießen. Sky wedelte mit ihrer Hand und lachte: „Vergiss es.“ „Lachst du mich aus?“, kicherte ich. „Öhm...“, kicherte sie ein wenig verhaltener: „Ich glaub ein bisschen schon...“ Ich lachte lauter: „Hahahahaha! Dann ist gut!“ „Stört dich das denn gar nicht?“ „Nicht im Geringsten“, ich breitete die Arme aus: „Ich liebe es, wenn Leute lachen! Vor allem du.“ Beschämt hob sie eine Hand an ihr Gesicht und drehte es leicht weg, als es ein weiteres Mal zu leuchten anfing: „Wie... Wie meinst du das?“ „Du hast ein schönes Lachen“, blieb ein breites Lächeln auf meinem Mund zurück: „Vorausgesetzt es ist ehrlich.“ „Wie...?“ „Ich hasse künstliches Lächeln und gespieltes Lachen. Du musst nicht so tun als wärst du glücklich, wenn du es einfach nicht bist“, sie wusste ja nicht wie sehr ich falsches Lachen verabscheute. Das Mädchen wurde nur deswegen von mir in diesem Punkte begnadigt, da sie so wirkte als könnte sie es teilweise einfach nicht besser. Hatte es nicht gelernt oder verlernt. Daraus kann man niemanden eine Schlinge knüpfen. „Ich...“ „Mache es ständig“, beendete ich ihren Satz für sie, bevor sie sich wieder in den Versuch sich rauszureden verhedderte. Mit einem kurzen Seufzen tippte sie ihre Antwort auf das kleine Gerät. Nach einem kurzen Moment wirkte ihr Gesicht ertappt und ihre Daumen, die eben noch so routiniert getippt hatten, zeichneten ein wenig ideenlos kleine Kreise in die Luft. Das Bild brachte mich abermals zum Lachen. So schaute mich mit einem spielerisch bösen Gesichtsausdruck an. Ich legte die Finger an die Brust und breitete dann die Hände aus: „Hey! Wer den Schaden hat, brauch für den Spott nicht zu sorgen.“ „Das ist dein Spruch, oder?“ Ich streckte ihr den Finger entgegen: „Oh ja. Hehehe!“ Es entlockte ihr ein Lachen und ihr komisches Handy-Ding glitt zurück in ihre Brusttasche: „Schöne Grüße von Amy.“ „Oh wie reizend!“, winkte ich mit einer Hand: „Zurück, zurück.“ „Apropos zurück...“, mit runter hängenden Schultern sah das junge Ding noch einmal aus dem Fenster: „Ich muss so langsam. Wenn ich wieder um Punkt 22 Uhr im Wohnheim bin, dreht Ms. Lowell mich durch den Reißwolf.“ „Ich...“, begann ich lachend, doch eine hochgehaltene Hand Skys hielt mich auf: „Du fährst mich nicht schon wieder!“ „Gut, dann laufen wir. Gegen einen Spaziergang im Regen mit einer schönen Frau hab ich nichts einzuwenden“, konterte ich mit einem breiten Grinsen, das schnell in ein Giggeln überging. So große Augen hatte ich in dem Gesicht des Mädchens vorher noch nie gesehen: 'Bahahahahaha! Ne wie süß.' Sie hatte etwas von einem Teddy, den man mit der Schere drohte oder einem Hasen, der den Fuchs zu spät gesehen hatte. Warum schaute sie als ob ich sie gleich töten wolle, wenn ich ihr ein Kompliment machte? „Wa Wi Wo Wa...“, stammelte sie irgendwann überfordert. Ich freute mich diebisch. Es wurde immer besser: „Puhuhuhuhuhuhu! Hat dir noch niemand gesagt wie schön du bist?“, fragte ich insgeheim verwundert. Die Farbe in ihrem Gesicht wurde immer dunkler, während sie mich perplex anstarrte und sie piepste ein leises: „Nein!“ Ich legte lachend den Kopf schief, sodass mein Pony mir wieder etwas mehr Sicht freigab: „Eine Schande. Naja, jetzt weißt du's.“ Gelassen schlenderte ich an dem beschämten Ding vorbei und setzte mir meinen Zylinder wieder auf den Kopf. Dann begab ich mich in einer vollkommenen Ruhe zu meinem Garderobenständer und zog mir das erste Mal seit ein paar Tagen meinen Mantel und mein Tuch wieder über. Ich verschwieg immer noch, dass ich ihn eigentlich nicht zwingend brauchte. Den Menschen, die öfter mit mir zu tun hatten, fiel lediglich irgendwann auf, dass ich sowohl im Sommer und im Winter dasselbe trug. „Du... musst nicht mitkommen! Wir müssen nicht Beide nass werden!“, entgegnete mir das junge Ding ein wenig verstört, als ich ihr ihren Poncho hinhielt. Ich unterdrückte mein Kichern zu einem schmalen Schmunzeln, als ich ein weiteres Mal zu der Garderobe langte und einen großen Regenschirm hervor zog. Mit einem großen Grinsen wackelte ich einmal mit ihm und streckte Sky ihren Poncho näher vor die Nase. „Du musst wirklich ni... Au! Spinnst du?!“ Ermüdet von ihren ständigen Versuchen mir zu widersprechen, haute ich ihr ohne Vorwarnung den Regenschirm sachte auf den Kopf. Sie zog eine beleidigte Schnute, nahm ihren Poncho und zog ihn über: „Das war nicht nötig.“ 'Deine Widerworte auch nicht', ich lachte: „Wenn ich jedes mal 1 £ bekommen würde, wenn du mir widersprichst, wäre ich Millionär.“ Sie zog ihre Augen ein Stück enger: „So schlimm ist es auch nicht...“, dann winkte sie mit einer Hand. Ich brauchte einen kurzen Moment um zu verstehen was sie wollte. Doch dann legte ich ihr ihre drei Spangen in die Hand, welche ich in meinem Mantel zwischengelagert hatte. Sie war also zu eitel um mit unfrisierten Haaren vor die Türe zu treten: 'So, so. Hehehe!' Umso mehr ich über sie wusste, umso besser. Sie drehte ihre oberen Haare wieder zusammen, machte aber keine Anstalten den kleinen Zopf zu lösen. Meine Mundwinkel zuckten noch ein Stück höher. Dann seufzte Skyler, als einige Strähnen ihres Ponys wieder nach vorne fielen. Sie schien von ihrer brünetten Mähne genervt. Warum? Sie waren gut gepflegt, weich und glänzend. Was gefiel ihr daran nicht? Mich beschlich das Gefühl, ich werde einige ihrer Probleme nie verstehen. Irgendwie entlockte mir diese Erkenntnis nur ein Lachen, da mir klar war ich würde es solange versuchen bis ich es tat. Ich stieß die Türe auf, streckte den Schirm hinaus, ließ ihn aufspringen und deutete dann Sky sich bei mir einzuharken. Sie kam zwar auf mich zu, schien aber mit meiner Geste nicht anfangen zu können. Ein weiteres Mal belustigt von ihrer Verpeiltheit schüttelte ich lachend den Kopf, griff ihre Hand und zog ihren Arm unter meinen. Sie wehrte sich nicht, drehte aber den Kopf von mir weg. Sicherlich war sie wieder rot im Gesicht. Nachdem ich ihre Hand wieder entlassen hatte, schloss ich meine Ladentüre ab und ging dann die Gasse hinunter. Nur der Regen und unsere Schritte auf dem nassen Boden unterbrachen die Stille in unregelmäßigen Abständen. Sky schien verwirrt die Gestalten in den Nischen zu mustern, die ihre Köpfe einzogen sobald wir an ihnen vorbei gingen. Der Anblick ihrer eiligen Symbiose mit der schmuddeligen Umgebung ließ mich breit grinsen. Sie wussten warum: Natürlich dachte sich jeder Möchtegernmafiosi, der neu in diese Gegend kam, dass ich doch ein geschenkt leichtes Ziel wäre. Bereut hatte es bis jetzt noch jeder von ihnen und sie mieden meinen Laden tunlichst, nachdem ich die bockigen Halbwüchsigen mit ein wenig mehr Nachdruck schon etliche Male aus meiner Gasse geworfen hatte. Ich ließ doch nicht zu, dass sie die Straße vor meinem schönen Laden zu müllten! Und mich des Weiteren mit ihrem unmöglichen Benehmen belästigten. Nachdem Sky die vierte Gruppe tiefer in den Schatten verschwinden sah, musste ich lachen: „Sie sollten dich ab jetzt in Ruhe lassen.“ Ihr Kopf drehte sich mit einem großen Fragezeichen darüber zu mir: „Okay... Warum?“ „Ahihihihihi! Ich hab meinen Ruf.“ „Kein guter wie es scheint.“ Mein Lachen wurde intensiver: „Das kommt drauf an wen man fragt. Das sind hier ja alles 'ganz harte Kerle'. Es gibt Dinge, die würden die nie zugeben. Ahehehehehe! Trottel!“ Sie lachte mit mir und dann begannen wir von Hölzken auf Stöcksken zu kommen. Ich genoss mein und ihr ehrliches Amüsement. Nachdem die werten Wachtmeister mich das Campustor unbehelligt passieren ließen, brachte ich Skyler bis zu ihrem Wohnheim. Der Campus weckte immer wieder Erinnerungen in mir. Zu der Zeit in der ich mich als Headmaster versucht hatte, gab es die Mädchenschule noch nicht, aber da sie genau so gestaltet war wie das ursprüngliche Weston College verlor ich mich kurz in sehr amüsanten Erinnerungen. An der Türe zu dem Haupthaus der Wölfe drehte sich das junge Ding noch einmal zu mir: „Ähm... Danke. Für... alles.“ Ohne wirklich darüber nachzudenken nahm ich ihr Gesicht mit diesen dunklen, traurigen Schatten darauf in die Hand. Alles Lachen hatten sie doch nicht ganz vertreiben können. Sie müssen sehr tief sitzen. „Nicht dafür“, strich ich mit meinem Daumen über ihre weiche Haut. Sie wurde unter meiner Hand noch wärmer, als wieder ein rosa Schimmer in ihrem Gesicht erschien: „Doch... Das ist nicht selbstverständlich...“ Ich lachte: „Mach es gut. Halt die Öhrchen steif und fühle dich frei zu jeder Tages- und Nachtzeit bei mir vorbei zu schauen.“ Mir schien ein Lächeln entgegen welches nicht künstlich, aber deutlich von Sorgen geprägt war: „Mach ich!“ Ich nahm meine Hand wieder zu mir und drehte mich um: „Bis dann.“ „Tschau“, hörte ich hinter mir. Dann fiel die Tür ins Schloss. Ich wandte mich noch einmal um und schaute auf das Gebäude der violetten Wölfe mit seinen schiefen Zinnen und den vielen kleinen Grabsteinen im Vorgarten. In welchem Haus ich gelandet wäre, hätte ich diese Schule mal als Schüler erleben dürfen, konnte ich mir fast denken. Als ich so auf das morbide Bauwerk schaute, erinnerte ich mich unwillkürlich an Gregory, Lawrence, Edgar und Hermann. Selbst nach all den Jahren war ich mir sicher die Jungs hatten damals nichts falsch gemacht. Dereck war eine furchtbare Person gewesen. Lediglich seine Abstammung hätte ihn schützen sollen. Es hatte mir ein Stück grausame Befriedung zuteil werden lassen, als ich ein weiteres Mal Zeuge werden durfte, dass im Auge der Schnitter und des Karmas alle gleich gewesen waren. Er hatte Schüler zu seinem Pläsier gequält. Wie lange hätte es noch gedauert bis er die Folterei nicht mehr rechtzeitig stoppen konnte? Wie lange bis zu den ersten Todesfällen? Wir werden es nie erfahren, denn die Vier waren ihm zuvor gekommen. Ihm, seinen Freunden und dem Vizeheadmaster, der alles gewusst und billigend hingenommen hatte. Ja, der Vizeheadmaster. Eine meiner besten Dolls. Doch war Mord selbst als Präventionsmaßnahme gegen noch viel mehr Leid tolerierbar und akzeptierbar? War Mord schlimmer als Folter? Die Endgültigkeit schlimmer als ein Leben in ständiger Angst vor dem nächsten Tag? Da schieden sich die Geister. Ich war damals davon überzeugt gewesen, dass die vier Jungs mit ihrem seltenen schlechten Gewissen, so vollkommen voller Reue, schützenswert gewesen waren. Und ich war es heute immer noch. Doch auch die Vier waren nun an einem besseren Ort. Die Schulen gehörten jetzt neuen Schülern. Die Zukunft gehört den Toten nicht und die Uhr dreht sich weiter. Und weiter. Und weiter. Und weiter... Ich hatte einige Zeit mit mir gehadert, doch dann landete der Termin der jungen Skyler doch in meinem Terminplaner. Ich war mir nicht sicher ob die junge Frau - so erschüttert in sich selbst - anständig für sich sprechen konnte. Insgeheim hoffte ich sie nahm sich Amy als Verstärkung mit. Der jüngsten Phantomhive nahm keiner so schnell die Butter vom Brot. Doch konnte ich mir gut vorstellen, dass Skyler sich vielleicht davor zierte in Begleitung zu gehen. Sie schien den ungesunden Hang zu haben, alles alleine schaffen zu wollen. Das war nicht nötig und darüber hinaus fast unmöglich. Also lehnte ich an einem wolkenverhangenen Donnerstag um 14:10 Uhr an einer Wand des historischen Gebäudes, in dem die Mühlen der Bürokratie so emsig und unverständlich vor sich hin arbeiteten. Die Brille unter meinem Pony versteckt, hatte ich den Eingang fest im Blick und sah auch nach kurzer Zeit die junge Skyler die Steinstufen zu ihrem persönlichen Armageddon bestreiten. Sie war alleine. Ein Seufzen entfloh mir. Des Weiteren sah sie kränklich bleich aus. Zerbrechlicher als sonst. Die Art, wie sie die Arme um ihren Bauch geschlungen hatte, ließ auf körperliche Auswirkungen gesteigerter Nervosität schließen. Ihr Anblick gefiel mir nicht. So konnte sie auf keinen Fall ihre Frau stehen. Doch das zarte Ding verschwand in der großen Tür und ich warte geduldig an Ort und Stelle bis sie das Gebäude wieder verließ. Als Skyler wieder aus dem Gebäude kam wischte sie sich ermattet durch die Augen, als sie hastig die großen Steintreppen hinunter ging. Mir schwante Übles. Als hätte ich es herbei geschrien, stolperte das Mädchen. Ein Blatt Papier flog aus ihrer Hand und ich realisierte, dass sie sich nicht fangen würde. Also bediente ich mich meiner übernatürlichen Wesenheit um im selben Augenblick vor dem Mädchen zu erscheinen und sie aufzufangen, bevor sie sich ernsthaft auf den harten Stufen verletzen konnte: „Du bist teilweise wirklich selbst dein größter Feind, kann das sein? Hehe.“ Ich zog die Brille von meiner Nase und verstaute das Gestell in meiner Innentasche. Irritiert hob Skyler ihr Gesicht von meiner Brust: „Undertaker?!“ „Live und in Farbe, hehe.“ Dann segelte das Stück Papier an meinem Gesicht vorbei. Ich griff es mir und hielt es nah an mein Gesicht wo ich es mit zusammengekniffen Augen lesen konnte: »Termin für Begleiteten Erstkontakt zwischen Skyler Rosewell und den leiblichen Eltern Tonia und Graham Rosewell. Samstag, den 24.10.2015, 11 Uhr.« „'Termin für begleiteten Erstkontakt'?“, mein Grinsen verflog bei der Erkenntnis, dass meine Sorgen berechtigt gewesen waren: „Sag mir nicht du hast dich...“ Doch Skyler riss mir den Zettel aus der Hand und schlang die Arme um sich selbst, als sie sich unsanft aus meinen Armen befreite: „Das geht dich nichts an!“ „Das stimmt, aber ich habe dir etwas versprochen.“ Sky schaute mich einige Momente aus ihrem kränklichen Gesicht an. Sie schien ihren Kopf nicht auch nur ansatzweise sortieren zu können: „Was... Tust du hier überhaupt?“ „Ist das nicht offensichtlich?“, musterte ihr viel zu blasses Gesicht sorgenvoll: „Ich habe mit so einem Ausgang leider gerechnet.“ „... Und?“ Ich seufzte, als sie sich ein weiteres Mal innerlich der Bedeutung meiner Worte zu erwehren schien: „Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du ganz alleine durch die große Stadt tigerst. In diesem Zustand.“ Sie ließ schlaff und entkräftet Arme und Kopf hängen: „Ich bin ein totaler Versager, Undertaker... Ich... Sie hat die ganze Zeit auf mich eingeredet. Ich wollte... nur noch da raus. Ich war vollkommen unfähig... irgendwas dagegen zu tun...“ Dieser Anblick zündete einen schmerzhaften Funken in meinem Herzen an. Behutsam legte ich ihr die Finger unters Kinn und hob ihren gedankenschweren Kopf an, als ein kalter Windstoß über uns hinweg zog und meinen Pony zur Seite drückte: „Lass uns ein Stück gehen. Du stehst ja vollends neben dir.“ Sie wich meinem Blick aus, als sie müde nickte. „Hey. Schau mich an.“ Langsam wanderte ihr Blick wieder zu mir. Mit einem Auge lächelte ich sie an: „Wir finden einen Weg, ok?“ Nachdem sie ein weiteres Mal nur stumm genickt hatte, klemmte ich ihren Arm ein weiteres Mal unter meinen. Doch ich hielt ihre Hand, in der Hoffnung ihr ein bisschen Ruhe und Sicherheit vermitteln zu können. Auf Londons Straßen war gewohnt viel los. Der Regen schreckte die Engländer zwar nicht mehr von ihrem Tagesgeschäft ab, doch waren die Parks bei diesem Wetter relativ leer. Also führte ich Sky auf ihren wackeligen Beinen in den 'St. James Park'. Die herbstlichen Bäume wirkten wunderbar und das nasse Laub machte schlammige Geräusche unter unseren Sohlen. Irgendwann schaute ich in ihr schmales Gesicht. Ihre Augen wirkten, als seien ihre Gedanken in weite Ferne gerückt: „Du siehst immer noch nicht besser aus.“ Skyler musterte ihre Füße: „Es geht schon...“ Ich räusperte mich. Warum log sie schon wieder? Wie unempathisch musste ich eigentlich wirken, dass sie immer wieder versuchte mit schlechten Lügen um die Wahrheit herum zu kommen? „Ok...“, machte sie müde: „Es geht nicht...“ Ich musste kurz auflachen, was mir einen giftigen Blick einbrachte: „Worüber lachst du?“ Ich schaute sie an: „Du lässt dich ziemlich schnell hängen, hm? Plan A ist zwar fehlgeschlagen, aber es gibt noch 25 weitere Buchstaben im Alphabet.“ Sie seufzte: „Ich habe so das Gefühl ich brächte mehr als 25...“ Ein Kichern: „Naja, es gibt ja noch 3 Umlaute, das Eszett, sowie ein paar Di-, Tri- und Tetragraphen.“ Mit meinem amüsierten Tonfall wollte ich die Atmosphäre etwas lockern, doch meinte ich das Gesagte durchaus ernst. Es wirkte zum Teil. Skyler entfloh so etwas wie ein Kichern: „Das Eszett gibt es nur im Deutschen!“ „Hihihi, wer sagt, dass wir uns auf das englische Alphabet beschränken müssen?“, ich streckte annähernd albern einen Finger in die Luft: „Es gibt noch 23 weitere, die mir gerade einfallen + Hieroglyphen! Die Auswahl ist endlos!“, dann tippte ich ihr mit eben diesem Finger auf die Nasenspitze: „Genau wie deine Möglichkeiten.“ Ihr erschöpfter Blick lag auf mir: „Welche hab ich denn? Wenn ich den Termin nicht wahrnehme, komm ich in Teufelsküche.“ Mein Kichern schwoll an: „Hehe! Da war ich schon öfter. Ist gar nicht so übel.“ Eine Augenbraue wanderte wieder nach oben: „Was bringt dich denn in Teufelsküche?“ „Naja“, nahm ich die Gelegenheiten wie sie kamen und wackelte an besagter Augenbraue herum: „Das.“ Sie haute wieder seicht gegen meine Hand: „Hey! Hör auf mich zu veräppeln!“ Dann knuffte sie mir in die Seite. Damit hatte ich nicht gerechnet und ein Quietschen entfloh mir, als ich von einem plötzlichen Anfall unangenehmen Surrens in meiner Körperseite ergriffen wurde. Ich hüpfte ein Stück zur Seite ohne Skyler loszulassen, die ebenso überrascht ihrem Arm hinterher lief. „Warum...“, zu meinem großen Bedauern sah ich die Erkenntnis in ihrem Gesicht: „Du bist kitzelig!“ 'Oh nein...', doch ich nickte: „Ähm, ja.“ Sie zog ihre Augen zusammen. Etwas an diesem Blick gefiel mir ganz und gar nicht: „Seeeehr kitzelig?“ „Äh... ja“, antwortete ich. Mir fiel nichts ein wie ich noch um das herumkommen würde, was ich nahen sah. Ein breites, fieses Grinsen erschien in ihrem Gesicht. Ich war verwundert und verzaubert, dass sie so einen Gesichtsausdruck besaß und ihn in ihrer derzeitigen Gefühlslage zeigen konnte. Er war lebendig und dynamisch! Er bedeutete allerdings nichts Gutes für mich. „Gut zu wissen“, grinste sie weiter. „Hmhm“, ich drehte meine Kopf wieder nach vorne und fing stumm zu beten an. Leider hatte ich in der himmlischen Chefetage nicht gerade einen Stein im Brett: „Das glaube ich dir.“ „Aber das ist doch toll! Du lachst doch so gerne!“ Meine Augen wanderten zu dem jungen Ding und ich versteckte meine Vorsehung hinter einem Kichern: „So kann man es auch sehen. Hehe.“ „Weißt du“, sie hob einen Finger: „Ich sehe das positiv!“ Nun wanderte meine Augenbraue nach oben, als ich auf ihren Finger schaute: „Inwiefern?“ „Immer wenn du mich ärgerst mach ich einfach das!“, steckte sie mir den Finger in die Seite. Ich hatte das Gefühl eine Horde wild gewordener Ameisen krabbelten von ihrem Finger in alle Richtungen, nur um als wütender Mob meine Wirbelsäule hochzujagen. Ein weiteres Mal endete das Zucken in meinen Beinen und ich sprang mit einem hohen Laut zur Seite: 'Ich haaaaasse eeeeeees!' „Das funktioniert ja wirklich!“, klang das Mädchen belustigt, als wir zum Stehen kamen. „Hehe! Lass das!“ „Abgelehnt!“ 'Och nö... Hirks!', stöhnte ich in meinem Kopf, doch aus meinem Mund kam nur ein weiteres Mal der unkontrollierbare schiefe Laut, als sie mich wieder piekste: „Nicht!“ Sie stoppte nicht. Im Gegenteil: Skyler eroberte ihren Arm zurück und ihre geschickten Finger sendeten mir immer und immer wieder dieses ekelige elektrische Surren durch meine Körperseite. Durch Beide. Gleichzeitig. Ich fing unkontrolliert an zu lachen, aber nicht weil ich das so sonderlich erquicklich fand. Sky allerdings wirkte sehr angetan von ihrer spontanen Idee und lachte herzlich. Ein warmes Gefühl mischte sich in die Ameisenschwärme: „Nein, pahahahahaha! Bitte, hahahahahaha! Lass das, Wahahahahaha!“ „Oh nein, nein, nein, nein! Ich darf mich noch rächen für die Aktion im Sarg, dem Erschrecken an der Tür, die Sache mit der Augenbraue und die Kopfnuss!“ „Die Kopfnuss war ein Unfall! Hahahahahaha!“ „Und der Rest?“ „Der nicht! Ich bin geständig! Fuhuhuhuhuhu! Aufhören! Bitte!“, ich bekam kaum noch Luft und ich hatte meine Stimme, sowie meinen hin und her zuckenden Körper nicht mehr richtig unter Kontrolle. „Leide!“ „Icks!“ Ein Lachanfall von Sky unterbrach mein Leiden. Ich taumelte gegen einen kleinen Zaun und hielt mich mit rasselndem Atem daran fest. Meine Seiten taten weh. Einerseits wegen dem Mangel an Sauerstoff, andererseits weil sie immer noch von ihren Fingern sirrten und schwirrten. Ich merkte einen Schweißtropfen meine Schläfe hinunterflitzen und mein Körper fühlte sich furchtbar warm an. Skyler musste immer wieder anfangen zu lachen, wenn sie mich anschaute und krümmte sich nach vorne. Dieser Anblick machte mich irgendwie... Glücklich. Ihr Gesicht wirkte nicht mehr so sorgenschwer, das schöne Ding nicht mehr so endlos verletzt. „Du bist wie ein fieser, kleiner Kobold. Ahehehehehe!“, ging ich auf sie zu, als ich wieder atmen konnte. Sie zeigte mit dem Finger auf mich. Ihr Lachen war so heftig, dass es kaum noch zu hören war: „Du hahahahahaha! Dieses Quieken! Hahahaha!“, sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen als sie sich gefangen hatte: „Wie kann man nur solche Laute machen?“ „Ahehehehehe! Indem man zu Tode gequält wird! Sind wir quitt?“ „Ich weiß noch nicht“, tat sie überlegend. Mein Grinsen hing schief, als ich ehrlich hoffte nicht gleich die nächste Tortur durchmachen zu müssen. Wie konnte ich sie aufhalten, wenn sie sich so herrlich hell lachend an meinem Leiden labte? „Haha! Ok, ok. Sind wir.“ „Puh...“ „Aber!“, ihr Finger zeigte drohend in meine Richtung: „Wenn du mich das nächste Mal erschreckst, gibst du mir damit die offizielle Berechtigung dich auszukitzeln!“ Mit einem absichtlich künstlichen Seufzen verschränkte ich grinsend die Arme: „Du stürzt mich damit in eine Seienskrise, das weißt du oder? Hehe!“ „Nicht mein Problem.“ Ich legte amüsiert den Kopf schief: „Ein kleiner, fieser, sadistischer Kobold.“ „Ich bin kein Kobold!“ „Du erinnerst mich aber an einen.“ „Bitte?!“, sie war empört. 'Auch für mich ist Rache süß, hehe!' „Ich bin doch kein kleines, grünes, haariges Männchen mit riesigen Ohren und Lendenschurz!“ „Hehehehe, nein bist du nicht. Aber ein schadenfrohes, sadistisches, hübsches, junges Ding.“ Sie blinzelte mich an. „Aber wenn es dir jetzt besser geht hat sich mein Leiden ja gelohnt.“ Ein peinlich berührtes Lächeln erschien in ihrem Gesicht und sie drehte es weg, um es zu verstecken. Ich ging wieder weiter. Sky erschien eilig an meiner Seite und eine Zeit lang liefen wir schweigend durch den großen Park. „Eine Frage habe ich“, brach ich die Stille irgendwann. So lieb mir die etwas leichtere Atmosphäre auch war, ich wusste, dass Skylers Probleme in Angriff genommen werden mussten. Sky schaute mich fragend an: „Welche?“ „Was nun?“, ich drehte mein Gesicht zu ihr: „Was ist dein Plan B?“ „Ich...“, sie schlang die Arme um sich selbst: „Ich hab keinen...“ „Nun ja. 16 Tage hast du noch um dir etwas zu überlegen.“ Skys Schritte wurden langsamer und sie fing sichtbar an zu zittern: „Ich... Ich weiß einfach nicht...“ Ich legte einen Arm um ihre schmalen Schultern und zog das dünne, zitternde Ding an mich ran. Ich wollte ihr so ein bisschen Trost und Schutz spenden: „Du musst jetzt deinen klaren Kopf behalten und nachdenken.“ Skyler blieb stumm. Sie war nicht beschämt, nicht irritiert. Sie war einfach nur am verzweifeln. Ein so junges Wesen sollte nicht so aussehen. Wut kroch mir in die Kehle, doch ich schluckte sie hinunter. Sie hinterließ ein heißes Brennen in meinem Magen. „Was würde dich davor bewahren?“, fragte ich ruhiger, als ich mich fühlte. Die Spannung in dem jungen Ding tat fast körperlich weh. Sie hatte immer noch die Arme eng um ihren eigenen Körper gezogen, als ob sie verhindern wollte in tausend Teile zu zerspringen. Sie seufzte seicht: „Naja... Am Einfachsten wäre es, wenn meine Eltern einfach nicht auftauchen würden. Das würde sie unglaubwürdig machen und sie würden dem Amt gegenüber in Ungnade fallen.“ Langsam führte ich Sky in Richtung Ausgang. Alles, was ich gehört hatte, hatte mir klar gemacht, dass mein erster Gedanke bezüglich eines Diskurses mit Skys Eltern wahrscheinlich der Beste gewesen war. Ich hatte sicherlich die ein oder andere Möglichkeit ihnen meinen Standpunkt deutlich zu machen. In meinem Kopf formte sich langsam ein Plan. „Woran denkst du?“, fragte sie irgendwann. Ich giggelte: „Ob mir eine Lösung einfällt, jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist. Hehe.“ „Zerbreche dir nicht den Kopf darüber. Es ist nicht dein Problem.“ Ich lachte: „Zerbreche du dir nicht den Kopf darüber, worüber ich mir den Kopf zerbreche, hehehe.“ Sky schien ein bisschen zu brauchen um meinen Satz zu deuten: „Wenn du meinst... Naja, ich muss mir jetzt was Fixes einfallen lassen.“ „Hehe. Du solltest es dabei tunlichst vermeiden in Panik zu verfallen. Es geht dann nämlich meist prächtig daneben.“ „Das ist leichter gesagt, als getan...“ „Niemand hat mit einem Wort erwähnt es wäre einfach, liebe Sky.“ Das junge Ding wirkte auf einmal so furchtbar erschöpft und ermattet: „Ich glaube heute kriege ich keinen anständigen Gedanken mehr zustande... Ich bin müde...“ „Das glaube ich dir sofort.“ Ich grinste sie an, als sie mir ins Gesicht schaute: „Ich glaube, ich habe eine Idee.“ Ihre Augen wurden groß und ungläubig: „Welche?“ „Das ist eine Überraschung!“ „Aha?“, sie wirkte nicht begeistert: „Ich hab irgendwie die Schnauze voll von Überraschungen...“ Trotz dieser Aussage empfand ich es als weise, Skyler über meine Absichten im Unklaren zu lassen. Schon allein weil ich in Erklärungsnot kommen könnte. Aber einfach vom Rand zu sehen wie das junge Ding vor die Hunde ging würde ich sicherlich nicht. „Wie tragisch“, sagte ich schließlich und verließ mit ihr den Park: „Überraschungen sind etwas Tolles!“ „Naja“, machte sie: „Der Brief war auch überraschend. Toll fand ich das aber nicht.“ „Vertraust du mir denn gar nicht?“, lachte ich gespielt beleidigt. „Doch... schon...“, murmelte sie. Dann verfielen wir in ein angenehmes Schweigen. Es war nicht so, dass niemand von uns etwas zu sagen hätte. Es war eher so, als ob wir nichts zu sagen brauchten. Ich merkte wie meine Mundwinkel sich noch ein Stück weiter nach oben kräuselten. Ein interessantes Gefühl. Doch war es mir auch relativ unergründlich. Skyler sah mich mit einer großen Frage im Gesicht an, als ich an einer Haltestelle stehen blieb: „Du solltest nach Hause. Du hattest einen harten Tag.“ Das Nicken mit dem sie mir antwortete war kaum zu erkennen. Wieder mischte sich ein Lachen mit einem Seufzen. Ich war mir selber nicht ganz sicher wie ich mich fühle, aufgrund der komischen Mischung aus Wut, Mitleid und Wohlgefühl: „Hehe, du kleiner Unglücksrabe. Wie viel Pech man haben kann ist wirklich erstaunlich.“ „Aha?“, machte sie nur leise und blinzelte mich von unten an. Sie war so klein und gerade wirkte sie noch viel kleiner. Wahrscheinlich, weil sie nicht ganz gerade stand. „Nun ja, wenigstens kann es jetzt nur noch besser werden, oder?“ Nach einer hochgezogenen Augenbraue schlug sie ihre blauen Augen nieder. Mein Aufmunterungsversuch stieß wohl wieder auf innerliche Gegenwehr. Allerdings bezweifelte ich, dass es sich um eine aktive Absicht handelte. Ich kicherte fast unhörbar durch meine geschlossenen Lippen. Es wäre nicht die erste Wand, die es für mich einzurennen galt. Dann drückte ich sie ein bisschen fester an mich: „Es wird besser, glaub mir.“ Nach einem müden Nicken ihrerseits fuhr Bewegung in die kleine Menschenmenge an der Haltestelle. Ich hörte den Bus näher rollen. Skyler schaute kurz die Straße hinunter und ich nahm meine Hand von ihrer Schulter. Sie ging los und war fast in der kleinen Menschenmenge verschwunden, als sie sich noch einmal zu mir umdrehte: „Fährst du nicht mit?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein. Hehe.“ „Warum nicht?“ „Zu wenig Platz, zu viele Menschen und zu viel Muff auf einmal. Busse sind nicht meine Welt. Hehehehehe!“ Sie musterte mich und ich sah ein paar Gedanken durch die blauen Augen huschen: „Sicher?“ Ein kleiner Luftstoß fegte über uns hinweg, als der Bus hinter der jungen Frau zum Stehen kam und seine Türen öffnete. „Wie kommst du denn dann nach Hause?“, fragte sie weiter und würdigte das Gefährt keines Blickes. „Schusters Rappen“, antwortete ich amüsiert. „Aber... Es ist so weit... Ich... kann mit dir gehen!“ Ich schüttelte ein weiteres Mal den grinsenden Kopf, fischte dabei einen meiner Kekse aus meinem Mantel und schob ihn mir in den Mund. Vielleicht beruhigte das den komischen kleinen Sturm in meiner Magengegend. „Nein“, kaute ich grinsend: „Du siehst müde aus und solltest schnell heim. Schnappe dir Amy und trinkt einen warmen Kakao. Das wird die Welt ein bisschen besser machen.“ „Ok...“, schaute sie mich komisch an: „Wenn du meinst...“ Immer noch wirkte sie sehr deprimiert und in sich erschüttert, aber irgendwas anderes lag in diesem Blick. Es ärgerte mich als ich mir eingestehen musste, dass ich nicht erkennen konnte was. Ich wedelte mit einer Hand: „Du solltest dich beeilen. Ansonsten fährt der Bus ohne dich.“ „Ok“, wandte sie sich mit diesem grässlichen, dünnen Lächeln ab und winkte mir kurz zum Abschied: „Bye!“ „Mach es gut, mach es gut“, grinste ich und schob mir einen weiteren Keks in den Mund. Ich hatte das Gefühl die Wellen stiegen in meine Brust und wurden eine Ecke stärker mit jedem Schritt, den Sky sich von mir entfernte. Ich schluckte meine Verwirrung mit dem Keks herunter. Die schöne Brünette setzte sich an ein Fenster und schaute mir aus dem Bus ins Gesicht. Nach ein paar stillen gegenseitigen Blicken nahm der Bus sie mit sich. Weg von hier. Ein langer Spaziergang trennte mich von meinem bescheidenen Zuhause. Ich ließ meine Gedanken frei durch den frischen Herbstwind schweifen, als ich ohne große Eile durch die feuchten, vollen Straßen streifte. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich die Blicke der Leute fing, die an mir vorbeigingen. Doch heute interessierten sie mich noch weniger als sonst. Ansonsten machte ich mir wenigstens noch einen Spaß daraus, aber das komische Gefühl in mir beschäftigte mich zu sehr. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch neue Gefühle für mich zu entdecken gab. Das war hochinteressant! Leider hatten neue Dinge immer die Angewohnheit, dass man sie nicht richtig benennen oder einordnen konnte. Das war wiederum höchst frustrierend. Nach einiger Zeit saß ich immer noch grübelnd an meinem Tresen. Keks in der einen und einen der mysteriösen Steine in der anderen Hand, lutschte ich nachdenklich auf einem Teebeutel herum. Fast 2 Stunden unterzog ich den Stein einer weiteren intensiven Untersuchung. Zumindest war so mein Plan gewesen, doch so richtig darauf konzentrieren konnte ich mich nicht. Irgendwann warf ich resigniert den Stein in einem hohen Bogen wieder in seine Kiste im Regal. Das unstete Gefühl nervte mich. Es nervte mich furchtbar und lenkte mich zu sehr ab. Als ich weiter über dieses Gefühl philosophierte, griff ich den Hörer meines Telefons. Ich blätterte kurz durch ein kleines, dünnes Notizbuch neben ihm und wählte eine Nummer daraus. Ein schriller Laut piepste mir ins Ohr. Ich hielt den Hörer ein Stück weg. Dieses Piepen war so unsagbar unangenehm, warum haben sich die Erfinder nicht einen schöneren Ton ausgesucht? „Nǐ hǎo?“, erklang es schließlich und ich hielt das Plastikding wieder an mein Ohr: „Ahihihihhi! Guten Abend Lee.“ „Undertaker?“ „Ahehehehehe, warum so verwundert?“, nuschelte ich an dem Teebeutel vorbei. „Du hast mich noch nie angerufen. Was möchtest du?“ Ich wickelte meinen Zeigefinger geistesabwesend in das eingedrehte Telefonkabel: „Du hast mir also nicht zugetraut ein Telefon zu bedienen. Ahehehe!“ „Das hab ich nie gesagt“, lachte der junge Chinese: „Aber ich tippe du rufst nicht an, um mich zu fragen ob ich Hund oder Katze zum Abendessen hatte.“ Ich lachte: „Ahihihihi! Immer diese Kulturwitze!“ „Ich bin Chinese, ich darf das. Also?“ „Du hast Recht Lee, ich brauche etwas von dir“, ich stockte leicht als ich realisierte, dass mein Zeigefinger sich in dem Kabel verheddert hatte. Ich zerrte mit zusammengezogenen Augenbrauen an meinem Finger, doch das Kabel stellte sich als besitzergreifend heraus. „Und was?“ „Informationen“, ich nahm meinen Daumennagel zur Hilfe. Es half nur nicht. Jetzt lachte Lee: „Was für Informationen könnte der am besten vernetzte Mann in der Unterwelt von mir wollen?“ „Ahehehehehe. Welche über Lebende. Das ist nicht mein Spezialgebiet. Und schließlich bist du Teil meines Netzwerkes. Ich habe Namen und ich brauche den dazugehörigen Wohnort. Nun? Hilfst du mir?“, hielt mein Kampf mit dem Kabel an. Meine Fingerkuppe wurde langsam rot. „Naja, nachdem du mir bei der Sache mit dem 'Crossbow Cannibal' meinen Arsch gerettet hast habe ich keine Wahl oder?“ Umständlich nahm ich ein Bein hoch und streckte das Telefonkabel mit meinem Fuß, als ich ein weiteres Mal lachte: „Wenn du es so sehen möchtest. Eine Hand wäscht die andere. Hehe.“ Ein amüsiertes Seufzen kroch aus meinem Hörer. Dann plapperte der junge Chinese eine Weile über ehrbares Verhalten, wenn man jemandem einen Gefallen schulden würde. Ich versuchte immer noch angestrengt, unter Zuhilfenahme meines Fußes, meinen Zeigefinger aus dem Kabel zu ziehen, während ich sein belangloses Geschnatter ignorierte. Es hatte sich so fest um ihn gelegt, dass ich das Kabel mit meinem Bein weiter streckte und die andere Hand mit dem Hörer und meinen gefangenen Zeigefinger so weit wie möglich auseinander zog. „Lass los!“, fauchte ich das zickige Kabel an und rupfte schließlich kräftig. „Was?“, fragte Lees Stimme irritiert und leise aus meinem vom Ohr entfernten Hörer. Plöpp! Ich wedelte mit den Armen, als der Rest Schwung mich nach hinten in den alten Stuhl warf und ihn auf die Hinterbeine stellte. Der Apparat rasselte von meinem Schreibtisch. Ich schaffte es den Stuhl wieder auf alle Viere zu stellen und das Telefon mit der nun freien Hand zu fangen, bevor es endgültig zu Boden ging. „Was zur Hölle poltert da so bei dir? Sind deine Gäste wieder aufgestanden?“ Nachdem ich das Telefon wieder auf den Tresen gestellte hatte, nahm ich den Hörer wieder gegen mein Ohr: „Aheheheh nein. Nur die Tücken der Technik und ich“, ich wedelte mit meinem ramponierten Zeigefinger: „Von meinen Gästen ist schon länger niemand mehr aufgestanden. Ahehehehe!“ „Ah ja... Was?! Soll das heißen, sie SIND schon einmal wieder aufgestanden?!“ Lees geschockte Tonlage unterwarf mich einem kleinen Lachanfall: „Pahahahahahahaahaha! Willst du die Antwort, die du hören willst oder die Ehrliche?“ „... Gar keine...“ Mein Lachen verschwand fast, so schrill war es geworden: „Wuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“ „Also... Lassen wir das Thema! Ich will es wirklich nicht wissen!“, der inoffizielle König des East Ends klang, als könne er es sich denken: „Du sagtest du hast Namen und brauchst Adressen. Dann gib sie mir und ich schau was ich tun kann.“ Ich hörte ein leises Kramen im Hintergrund. Wahrscheinlich suchte der junge Mann gerade etwas, um sich mein Anliegen zu notieren. „Wunderbar! Es geht um Tonia und Graham Rosewell.“ „Aha, ok, ich...“, er stockte: „Warte! Rosewell? Heißt so nicht Amys Freundin?“ „Ahehehehe, wie aufmerksam du bist.“ „Wenn es um schöne Frauen geht.“ Ich konnte dem Drogenbaron nachfühlen: „Hihihi! Also! Hilfst du mir?“ „Wofür brauchst du die Adressen von mir?“, fragte Lee skeptisch. „Lass das meine Sorgen sein. Hehe.“ Er schwieg eine Weile: „Das klingt nicht gut. Ich habe kein gutes Gefühl dabei dir die Adressen zu besorgen. Sind sie mit dem Mädchen verwandt? Sky, oder?“ Ich lachte schrill: „Ja Sky und ja, es sind ihre Eltern.“ „Warum willst du wissen wo Skys Eltern wohnen?“ „Ich hab ein kleines Hühnchen mit ihnen zu rupfen.“ „Aha? Das beruhigt mich nicht im Geringsten. Eher das genaue Gegenteil.“ „Ich hab der Kleinen ein Versprechen gegeben, aber dafür brauche ich die Adresse.“ „Der Tatsache, dass du mich fragst und nicht sie, entnehme ich sie hat keine Ahnung was du vorhast.“ Ein Kichern: „Gegen deinen Schneid ist kein Kraut gewachsen, Lee.“ „Was muss man tun, damit der Legendäre Death god ein Hühnchen mit einem rupfen will? Das klingt so, als besorgst du dir im selben Zug neue Kundschaft.“ „Ich bin doch kein Mörder!“, entfuhr es mir gespielt empört. „Sprach der Sensenmann“, konterte Lee. „Touché “, antwortete ich: „Ich tue nichts Schlimmes.“ „Sicher?“ „Habe ich dich je angelogen?“ Lee schien zu überlegen: „Nein... Ok, ich mach's. Ich vertraue dir. Bring mich nicht dazu es zu bereuen!“ „Im Leben nicht, liebster Lee! Ich bin dir zu tiefem Dank verpflichtet. Sage mir Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann.“ „Wie gesagt: Das hattest du noch gut bei mir. Wir sind quitt.“ „Ich stehe dir trotzdem mit Rat und Tat zur Seite. Gegen die übliche Gebühr. Hehe!“ „Ich hab schon ein Witzbuch über schwarzen Humor in meinem Schrank stehen. Ich ruf dich an, sobald ich etwas weiß.“ „Wenn du mir zutraust, dass ich den Hörer abnehmen kann. Ahehehehehe!“ Ein lachender Seufzer: „Dein Selbsthumor ist unschlagbar. Bis dann.“ „Bis dann“, hing ich den Hörer auf. Nachdem ich aufgestanden war warf ich den Teebeutel in den Müll und begab mich zu meiner Lieblingsbeschäftigung. Meine wunderbaren Gäste schafften es immer wieder mich prächtig abzulenken. Lee rief mich am Mittag des nächsten Tages wieder an. Skys Eltern lebten im East End, sogar im schlechtesten Winkel davon, weshalb Lee keine großen Schwierigkeiten gehabt hatte sie zu finden. Für ein Kind war es definitiv kein guter Ort. Als die Herbstsonne untergegangen war verließ ich meinen Laden. Im Schein des vollen Mondes schwirrte ich als schwarzer Schatten über die Dächer Londons. Sehen tat mich niemand. Für das menschliche Auge war ich zu schnell. So trennte mich nicht viel Zeit von meinem Ziel im East End und ich landete in der Hocke auf der Mauer eines kleinen Küchenbalkons im 4. Stock eines schmuddelig aussehenden Hauses. Es brannte Licht in dem Raum hinter der Balkontür. Die hellblauen Küchenmöbel waren leicht angegraut, aber alles in allem sauber. Die Küche war lediglich ein wenig kürmelig. „Tonia!“, sickerte es durch die geschlossene Glastür zu mir: „Bring mir ein Bier mit!“ Meine Augenbraue wanderte unangetan nach oben. Eine brünette, kleine Frau erschien in der Küche. Ihr Gesicht war eingefallen und die dünnen Haare zu einem Dutt zusammengebunden. Ihre Kleider waren nicht die Neusten, aber im Großen und Ganzen ordentlich: „Du sollst doch nichts mehr trinken! So bekommen wir Sky nie wieder!“ „Ach! Das Balg soll sich nicht so anstellen und die bescheuerte Sozitussi auch nicht.“ Die Frau schüttelte müde mit dem Kopf: „Ich finde das nicht gut!“ „Jetzt mach, Tonia!“ 'Was ein Herzchen...', surrte es wütend durch meinen Kopf. Ich merkte die Wut wieder aufwallen, die sich in den letzten 24 Stunden wenigstens ein bisschen gesetzt hatte. Die Frau, Tonia, griff in den Kühlschrank und holte einen kleinen Plastikbecher und eine braune Glasflasche heraus. Dann verschwand sie aus der Küche und löschte die Lampe. Dünnes, buntes Licht flackerte in der Dunkelheit durch den Türrahmen der Küche und ich verließ meine Position auf der kleinen Mauer. Die Tür war natürlich abgesperrt, als ich das erste Mal dagegen drückte. Mit einem leisen Kichern legte ich meinen Zeigefinger an das Schloss und die Türe schwang mit einem leisen Klicken auf. Auf lautlosen Sohlen schlich ich in die kleine Wohnung. Gedämpfte Stimmen halten durch die Wohnung. Immer noch ohne ein Geräusch erreichte ich das kleine Wohnzimmer. Auch hier hielt sich das Chaos in Grenzen. Nur der gläserne Couchtisch in der Mitte der kleinen Sitzgruppe aus altem, braunem Leder war übersät mit leeren Glasflaschen. Ich konnte den Geruch von schalem Bier bis zu meiner Position im Türrahmen riechen. Die dünne Frau saß auf der Couch und aß einen Jogurt. Neben ihr saß ein Kerl Mitte 40 in schmuddeliger Jeans und T-Shirt, unordentlichem blonden Haar und Dreitagebart. Doch man sah ihn an, dass er ein Soldat gewesen war. Er war muskulös und wirkte kräftig. Er hob eine weitere Glasflasche an den Mund und nahm einen tiefen Schluck. Die Wut in meiner Magengegend wurde heißer und ich musste mich mühsam an das Versprechen erinnern, was ich Lee gegeben hatte. Skys Eltern schauten einen Kriegsfilm im Fernsehen und hatten mich nicht ansatzweise bemerkt. Eine diebische Vorfreude mischte sich in die Wut und kräuselte meine Mundwinkel nach oben, als ich unentdeckt in das von künstlichem Licht und Lärm erfüllte Wohnzimmer schlenderte. Ich lehnte meine Ellenbogen neben Skys Vater auf die Couchlehne. „Interessant“, sagte ich, als ich mein grinsendes Gesicht in die Hände stützte und den flimmernden Kasten beschaute. Die Köpfe von Skys Eltern flogen herum. Tonia krabbelte mit einen spitzen Schrei auf die Armlehne und Graham sprang auf: „Wer zur Hölle bist du?!“ Ein amüsiertes Lachen entfloh meinem zahnvollen Grinsen. Dann richtete ich mich wieder auf und verbeugte mich spöttisch korrekt: „Nur ein bescheidener Bestatter. Man nennt mich 'The Undertaker'.“ „ The... the Undertaker... aber... aber wie...?!“, stammelte Skys Mutter panisch. „Wie man dich nennt geht mir am Arsch vorbei! Was willst du hier?!“, brüllte Skys Vater mit alkoholschwerer Stimme. Seine stinkende Fahne flog mir entgegen und ich wedelte sie mit einer Hand aus meinem Gesicht: „Hui! Ahehehehe! Das war aber nicht das erste Bier.“ Der Mann musterte mich so fassungslos, dass es den Ärger fast gänzlich aus seinem Gesicht vertrieben hatte: „Was zur... Was willst du von uns?! Wie kommst du in unsere Wohnung?!“ Ich hob immer noch lachend die Hände: „Ahahahahahahahahaahaha! Na wie wohl? Durch die Türe!“ „Verpiss dich!“ „Na“, machte ich grinsend und legte den Kopf schief: „Noch nicht.“ „Was... Was wollen sie denn?!“, die ausgemergelte Frau hatte vor Angst zu zittern begonnen. 'Hach herrlich', sättigte das schadenfrohe Pläsier über ihre Reaktionen wenigstens ein bisschen die hungrige Wut in meinem Bauch: „Ahehehehehehe! Ich bin wegen Skyler hier.“ Die Mutter der jungen Dame setzte sich ein Stück auf: „Wegen Skyler? Was ist mit ihr?“ „Oh, hehehe, es ging ihr gut. Dann kamt ihr.“ „Spuck's endlich aus! Was ist mit unserer Tochter?!“ Mein Grinsen drehte sich um und ich schaute den betrunken grölenden Mann missbilligend an: „Du hast keinerlei Recht dazu sie deine Tochter zu nennen.“ „Wie ich meine Tochter nenne geht dich einen Scheißdreck an!“ „Oh doch, oh doch. Ich bin ein Freund von ihr und was ich sah und hörte gefiel mir gar nicht.“ „Ein... ein Freund... von Sky?“, die Brünette legte ungläubig die Hand auf den Mund. „Was dir gefällt schert mich auch nicht! Verschwinde aus meiner Wohnung!“ Es klirrte, als Skys Vater seine Bierflasche an einem alten Holzschrank zerschlug. Platschend ging der Rest ihres Inhaltes zu Boden. Meine Augen zuckten kurz, als das spitze Ende auf mich zu kam. Nonchalant drehte ich mich aus der Schlagrichtung und endete hinter dem Betrunkenen, der so tollkühn sein Heim verteidigen wollte. 'Trottel!', dachte ich abfällig, als ich ihn meinen Schuh in den Rücken rammte und ihn endgültig aus der wackeligen Balance brachte. Er ging zu Boden. „Graham!“, rief es hinter mir. Dann hatte ich auf einmal die Frau am Arm: „Lassen sie meinen Mann in Ruhe!“ Mein Mund verzog sich zu einem bedrohlichen Lächeln, als ich das Gesicht zu ihr drehte: „Willst du das wirklich tun? Mich aufhalten?“ Sie ließ geschockt meinen Arm wieder los und stolperte nach hinten: „Nehmen Sie was sie wollen! Aber wir haben kein Geld!“ Ich lachte, nur war es alles andere als fröhlich: „Ahahahahahaha! Das Einzige was ich von euch haben wollen würde ist euer Leben. Aber keine Sorge: Ein paar Versprechen binden mir die Hände. Leider.“ Ihre braunen Augen schauten mich panisch an. Vor mir rappelte sich ihr Mann wieder auf: „Du kleiner, kranker Pisser!“ Er schlug nach mir. Ich fing seine Faust in der Luft: „Ah ah ah. Das ist nicht sehr nett. Hehe.“ Dann zog ich ihn zu mir und griff mir mit der anderen Hand den Kragen seines schmuddeligen T-Shirts: „Du solltest jetzt gut die Ohren spitzen, bevor ich dich zwinge es zu tun, klar?“ Der Mann griff meinen Arme und versuchte sich zu befreien: „Nimm deine dreckigen Pfoten von mir!“, grölte er mit einem leichten Lallen. „Hehe! Sagt der Richtige“, dann landete mein Knie in seinem Magen. Er ging in die Knie, der Oberkörper nur gehalten von meiner Hand: „Habe ich jetzt deine Aufmerksamkeit?“ Skys Vater hustete. „Gut“, sagte ich mit einem gefährlich dunklen Unterton, ohne dass er mir geantwortet hatte: „Ich sage das alles nur einmal, also hör mir sehr, sehr gut zu.“ „Was willst du?!“ „Ihr werdet jeden Brief vom Jugendamt ignorieren. Ihr werdet selbst keine mehr schreiben und Skyler in Ruhe lassen. Klar?“ „Und was willst du tun wenn nicht?! Das Balg ist MEINE Tochter! Ich bestimme, was mit ihr passiert!“ 'Balg?!', dieser Ausdruck brachte mich an den Rand einer Explosion. Wie kann man so über das eigene Kind sprechen?! Ich machte meinem Ärger Luft, in dem ich die Hand von seinem Kragen nahm und in derselben Bewegung meinen Handrücken hart durch sein Gesicht zog. Der Kerl kippte nach hinten. Nur um ihm dieses Mal mit beiden Händen am Kragen zu packen, ging ich auf ein Knie. Ich zog seinen Oberkörper ein Stück hoch und beugte den Kopf zu seinem Gesicht hinunter. „Solltet ihr mir zuwiderhandeln“, hauchte ich ihm leise entgegen. Sein Gesicht wurde bleich in der Anwesenheit meines unheilverkündenden Untertones: „Werdet ihr das bitterlich bereuen. Denn dann komme ich wieder. Erst werde ich ein paar Wochen euer schlimmster Albtraum sein. Dann werdet ihr spurlos verschwinden. Ich habe einige Mittel und Wege damit euch nie wieder irgendjemand findet. So oder so: Ihr werdet Skyler in Ruhe lassen. Ob ihr das tot oder lebendig tut überlasse ich euch.“ Ein dunkles Lachen unterstrich meine Aussage und ich ließ den Kragen des Typen wieder los, als ich mich aufrichtete und an seiner Frau vorbei wollte. „Sky ist unsere Tochter“, hielt mich ihre Stimme auf: „Wir lieben sie!“ Ich schaute die Frau über meine Schulter an: „Aha? Zeigt man das heutzutage durch Krankenhausbesuche?“ Skys Mutter wirkte sprachlos: „... Aber.. das waren... Unfälle!“ Ich nickte sarkastisch: „Natürlich und ich bin der Papst.“ Ich sah, wie Skys Vater sich ein weiteres Mal aufrappelte: „Was für ein bekloppter Psycho bist du denn?! Brichst in unser Haus ein! Bedrohst uns!“ „Jeder bekommt was er verdient. Hehe. Ich habe alles gesagt. Ich gebe euch des Weiteren mein Versprechen mich daran zu halten. Wählt selbst. Wählt weise. Tahehehehe!“, verließ ich die kleine Wohnung wieder durch die Balkontür in die Nacht und war verschwunden. Der Tag an dem Sky ihre Eltern treffen sollte war ein sonniger Samstag. 2 Stunden zu früh hatte ich wieder an der Wand des großen Gebäudes gelehnt und mit meiner Brille bewaffnet die Treppe im Auge behalten. Die Straßen waren voll, doch auf den Steinstufen gab es fast gar keinen Personenverkehr. Deswegen fielen mir die beiden jungen Frauen bei ihrer Ankunft auch sofort ins Auge. Amy war für ihre Verhältnisse viel zu schick gekleidet und auch Sky trug ein sehr ansprechendes Assemble von Kleidung um den dünnen Körper, als sie gemeinsam die Steinstufen beschritten. Es erleichterte mich ungemein, dass Skyler sich dieses Mal Amy zur Unterstürzung mit gebracht hatte. Nachdem die beiden jungen Damen in der Glastüre verschwunden waren, welche das historische Gebäude so furchtbar verunstaltete, musterte ich die Treppe weiter aufmerksam. Sollten Skys Eltern meine Warnung ignorieren, würden sie ihr blaues Wunder erleben. Doch die Zeit verging. Stunde um Stunde. Ich sah die Rosewells nirgendwo. Irgendwann erschienen auch Sky und Amy wieder vor dem Gebäude. Amy wirkte sauer, als sie sich in Skys Arm einharkte. Das brünette junge Ding hatte einen zerrissenen Gesichtsausdruck. Sie wirkte aus irgendwelchen Gründen nicht gänzlich erleichtert. Ich stieß mich von der Wand ab, als eine kleine Touristengruppe anfing eifrig mit vielen blitzenden Apparaten und wildem Geschnatter Fotos von dem Gebäude zu schießen. Doch mein Blick verließ das zerbrechliche, junge Ding nicht eine Sekunde. Nach kurzer Zeit drehte sich ihr Blick zu mir. Sky sah mich und wirkte mehr als irritiert. Dann sprach Amy die Schülerin an und sie wandte ihren Kopf wieder ab um ihrer Freundin zu antworten. Ich entschied mich die beiden Mädchen heute nicht weiter zu behelligen. In echter Freundschaft kann die Welt genesen, dazu brauchten sie mich nicht. Mein Teil war getan. Der Sturm in meinem Inneren flaute wieder auf ein unterschwelliges Maß ab, als ich mich auf den Weg gen Heimat machte. Kapitel 5: Ferien im Gruselkabinett ----------------------------------- Sky Am nächsten Morgen wurde Amy von Sebastian abgeholt. Die Herbstferien standen vor der Tür und würden uns eine Woche vor dem Unterricht bewahren. Bald wird diese Schule furchtbar leer sein. Eigentlich blieben nur die Stipendiaten in den Ferien in der Schule und selbst davon nicht zwingend alle. Das große Grundstück der Wölfe werde ich mir bald mit nur 2- 3 Gestalten und den Angestellten teilen. Amy bat mir zwar an mit ihr zu kommen, doch ich schlug aus. Eigentlich war es nie eine schlechte Zeit und nun, da ich Fag eines Prefects war, treten mir die Schüler anders gegenüber. Ich hatte irgendwie im Gefühl es könnten sehr gute Ferien werden. Vielleicht finde ich ja endlich eine Fag unter der Handvoll verbliebener Schüler. Der Montag war schleppend angebrochen. Ziemlich ideenlos was ich mit mir anstellen sollte warf ich mich in eine grauen, weiteren Pulli mit schwarzen Totenköpfen und eine stumpfe, schwarze Jeans, sowie meine Segeltuchschuhe. Ein Aufzug, der ungefähr genauso kreativ war wie meine Tagesplanung. Nachdem ich mich geschminkt hatte ließ ich die Haare einfach offen, doch der kleine Zopf fiel mir über die Schulter. Ich beschaute ihn kurz und ein komisches Gefühl knistert in meinem leeren Magen hin und her. Es huschte von links nach rechts wie eine Horde fetter, flauschiger Hummeln. Ich konnte nicht anders: Während ich den kleinen Zopf befühlte schwirrten einige Szenen durch meinen Kopf. Ich kannte den Bestatter noch nicht lange. Getroffen hatte ich ihn bis jetzt nur 5-mal. Trotzdem hatte ich das Gefühl in diesen fünf Begegnungen war unglaublich viel passiert, obwohl wir bei der ersten noch nicht einmal miteinander gesprochen hatten. Jede Begegnung war so präsent in meinem Kopf. Einen solchen Mann vergaß man nicht. Egal wie sehr man es versuchte. Des Weiteren war Undertaker irgendwie immer genau dann da, wenn ich eine helfende Hand gebrauchen konnte und streckte sie mir in vollkommener Selbstlosigkeit entgegen. Er hatte nichts davon, doch er wirkte nicht als ob ihn das interessierte. Seufzend verließ ich die stille Wohnung, in der ich viel zu viel Raum zum Nachdenken hatte. Ich dachte nämlich viel zu viel nach in letzter Zeit. Nicht über Klausuren oder Unterricht oder meine Abschlussprüfung, wie ich es vielleicht langsam mal tun sollte. Nein. Ich dachte über ein breites Grinsen nach oder über das immer größer werdende Gefühl endloser Enttäuschung. Das komische warme Gefühl in mir kribbelte auf wenn ich über den Bestatter nachdachte und brach in sich zusammen sobald ich an das Theater dachte, was meine Eltern veranstaltet hatten. Es war gut, dass sie geblieben waren wo der Pfeffer wuchs, doch... Ich zwang mich selbst den Gedanken abzubrechen. 'Undertaker hat mir wirklich ziemlich oft geholfen', schaffte ich es mich mal wieder erfolgreich mit den Gedanken an zwei funkelnde, grüne Augen abzulenken: 'Ich sollte mich irgendwie erkenntlich zeigen.' In dem Moment hatte ich auch schon eine Idee und ging durch zum Frühstück. Wir waren 4 Schüler. 3 Stipendiaten saßen schon an einem Tisch, als ich mich dazusetzte, aßen und redeten. Die aus dem ersten, zweiten, vierten und ich aus dem fünften Jahr. Die Anderen beschauten mich fast ehrfürchtig, als ich Platz nahm. Ich war die erste Stipendiatin, die es zum Prefect Fag geschafft hatte. Doch irgendwie entfernte es mich auch ein bisschen von ihnen. Sie überlegten was sie sagten, wie sie es sagten. Das Gefühl war nicht schlecht, aber komisch. In den großen Schülermassen fiel es einem meistens nicht so auf, vor allem da ich oft mit Amy unterwegs war. Natürlich war sie die Prefect und die Schüler wurden in ihrer Gegenwart aus Respekt schon einmal 50 cm kleiner. Doch dass sie es auch vor mir wurden, war mir bis jetzt nicht aufgefallen. Trotz allem war die Atmosphäre sehr entspannt. Die Angestellten und auch Ms. Lowell saßen mit an dem gedeckten Frühstückstisch und unterhielten sich mit uns. Ich setzte mich neben Lola Smithers, unsere Küchenchefin. Eine nette Dame Anfang 60, etwas korpulenter, doch mehr als rüstig. Sie saß in ihrem blassblauen Kleid mit weißer Schürze, welche hier und da ein paar Soßenflecken hatte und dem friedhofsblonden Dutt auf ihrem Stuhl und lächelte jeden durch ihre nur unten gerahmte Brille freundlich an. Sie war meine Tante Amanda, eine der nettesten Menschen die ich kannte. Wenn ich auch oft nicht wusste was ich in meinen Ferien tun sollte, war mir immer klar, dass ich auf jeden Fall ein bis zwei Mal mit ihr backen würde. Lola schaut mich an: „Guten Morgen Sky. Was hast du? Nicht gut geschlafen?“ Ich nickte müde. Obwohl ich die letzten Wochen so gut wie nichts gegessen hatte, suchte ich mein Hungergefühl mehr als nur vergeblich. Ich lächelte sie durch meine dezente Gefühlslage an: „Ja. Ich weiß nicht warum. Ich hab auch nicht wirklich Hunger.“ „Iss zumindest ein bisschen, Liebes“, legte mir Lola ein Brötchen auf den Teller: „Du wächst doch noch.“ „Ich bin fast 18, Lola. Ich wachse nicht mehr.“ „Ha!“, lachte sie: „Ich habe hier schon Mädchen gesehen, die gingen in die Ferien und kamen 15 cm größer wieder zurück und das im vierten Jahr.“ Ich seufze ansatzweise amüsiert: „Aber ich mag eigentlich nichts essen.“ Lola schüttelte mitfühlend den Kopf: „Das eine Brötchen. Tu mir den Gefallen.“ Ich seufzte wieder: „Ok, ok. Wenn du mich so bittest“, schnitt ich den Teigling auf und bestrich ihn mit Butter: „Sag mal, Lola? Hast du die Tage Zeit für mich?“ Lola biss von ihrem Brötchen und kaute kurz zu Ende, bevor sie mich anlächelte: „Natürlich Liebes! Was brauchst du?“ „Ich“, strich ich mir etwas Erdbeerkonfitüre auf mein Brötchen: „Möchte gerne backen...“ Lola lachte: „Wie jedes Mal! Du weißt doch, dass du immer in der Küche vorbei schauen kannst. Warum fragst du also so explizit danach?“ „Es... es ist mir wichtig, dass es auf jeden Fall funktioniert... Sehr wichtig sogar.“ Lola lachte wieder: „Ah! Also ein Geschenk!“ Ich nickte kauend: „...Ja...“ Die Köchin funkelte mich wissend an und zwinkerte mir zu: „Es geht doch nicht etwa um einen Jungen, oder?“ Das Brötchen in meiner Kehle wurde spontan zu einer gefährlichen Waffe. Ich verschluckte mich und hatte das Gefühl der Krümel verstopft meinen Hals komplett, als mich Lolas Worte vollkommen unerwartet wie ein Baseballschläger ins Gesicht trafen. Meinen heißen Kaffee kippte ich in einen Zug hinunter. Nachdem das Brennen in meinem Mund und Hals nachgelassen hatte, konnte ich wieder halbwegs atmen. „Nein!“, rief ich aus: „Wie kommst du denn darauf?!“ Lola lachte nur wieder: „Ich glaube dir kein Wort. Erzähl! Ist er nett?“ „Es geht um keinen Jungen!“ „Wen möchtest du denn dann beschenken?“ „Einen...“, ich suchte verzweifelt nach einem Wort: „... Freund... Er hat mir ausgeholfen und ich möchte mich bedanken.“ „Also doch ein Junge.“ „Er ist kein Junge!“ „Er?“ Ich schaute weg und wurde rot im Gesicht: „Ja, er. Ein Freund... halt.“ „Aber du kennst ihn nicht durch die Schule.“ „Nein... Durch Amy. Er ist ein Freund ihrer Familie und ich hab mich auch mit ihm angefreundet. Ist das schlimm?“ Lola lachte. Ich hatte immer noch das ungute Gefühl sie beharrte auf ihrer Einschätzung: „Natürlich nicht! Heute muss ich noch die Küche für die nächsten Tage organisieren, aber morgen nehme ich mir gerne etwas Zeit für dich. Weißt du schon was?“ „Nein...“, antwortete ich ehrlich: „Noch nicht. Ich dachte vielleicht hast du eine Idee.“ „Hab ich tatsächlich“, zwinkerte mir Lola wieder zu. Es gefiel mir nicht: „Ich hab letztens ein Rezept für Dessertpreussen gefunden. Ich wollte es eh mal ausprobieren. Lass uns ein paar davon machen und du nimmst einfach welche für deinen 'Freund' mit.“ Die Art wie sie das Wort 'Freund' aussprach gefiel mir auch nicht, aber ich entschloss mich es nicht weiter auszudiskutieren. Nach dem Frühstück versuchte ich bis zum Mittagstee zu zeichnen, doch es kam nur Gekrakel auf mein Blatt. Irgendwie war mein Kopf von Samstag noch viel zu voll. Ich hatte seitdem äußerst schlecht geschlafen, was schlecht war, da ich ja auch die Wochen davor nur sehr spärlich geschlafen und gegessen hatte. Irgendwie war ich viel zu zwiegespalten über das Nichterscheinen meiner Eltern. Es war gut, dass ich sie nicht gesehen hatte, doch in den ganzen Tagen die ich meine Gedanken wegen dem Termin beim Jugendamt hin und her geworfen hatte, hatte irgendetwas ganz weit hinten in meinem Kopf angefangen Hemsworth zu glauben. Irgendetwas in mir wollte immer noch, dass ich meinen Eltern vielleicht nicht so ganz egal war, dass sie sich doch noch ändern könnten. Doch was war schmerzhafter?: Die Enttäuschung, dass sie nicht auftauchten oder die Enttäuschung nach der ersten Ohrfeige? Ich bin mir sicher, dass Zweiteres bei weitem mehr wehtun würde und ich war mir genauso sicher, dass mein Vater nicht aufhören würde sie zu verteilen. Mit einem Kopfschütteln stand ich von meinem Schreibtisch auf. Ich war rastlos. Kreative Energie steckte in mir fest, aber konnte aus irgendeinem Grund nicht hinaus. Das Gefühl war schrecklich. Vielleicht brauchte ich nur etwas frische Luft. Ich steckte meine Federmappe in die Kampftasche und wollte meinen Block zuschlagen. Ich erwischte nur nicht alle Blätter, so dass sich das Bild aufschlug welches ich bei meinem letzten Friedhofsbesuch gezeichnet hatte. »How sad would it be, should laughter dissapear?« Ich beschaute es einige Zeit. Es war fertig. Genauso wie ich es haben wollte. Undertaker wollte es sehen, das wusste ich noch. Er war darauf, also hatte er jedes Recht dazu. Vielleicht nehme ich es mit, wenn ich ihm das Gebäck gebe was ich für ihn backen wollte. Ich meine: Es ist doch nur ein kleines Dankeschön. Das ist doch nett, oder? Es gehört sich doch so, oder nicht? Ich war mir nie so ganz sicher, was der Bestatter über Dinge dachte. Er war wirklich schwer einzuschätzen. Ich musste es wohl oder übel probieren, auch wenn die Gefahr besteht, dass es daneben geht. Mit einem Seufzen klappte ich den Block endgültig zu und steckte ihn ebenfalls in meine Umhängetasche. Nachdem ich mich in meinen Poncho gewickelt und meine Kopfhörer in meine Ohren gesteckt hatte, verließ ich den Campus. Gemütlich schlenderte ich durch den kühlen, goldenen Oktober. Die Sonne lachte über London als wolle sie mir ein bisschen Last von dem Herzen nehmen. Die Themse glitzerte als hätte jemand viele kleine Diamanten in den großen Fluss geworfen. Ich wechsle meine Musik von schwer und düster zu leichter, heller, mystischer. Sie war ein bisschen gypsy. Der glitzernde Fluss und die strahlende Sonne hatte mir Lust darauf gemacht. Etwas leichteren Fußes beschritt ich meinen Weg zum alten Friedhof, begleitet von der hellen Herbstsonne. Ich schwebte durch das alte Tor und der Geruch des Friedhofs flog mir in die Nase. Beflügelt von der Musik in meinen Ohren summte ich leise mit und tänzelte über die alten Wege auf die Kathedrale zu. Die Gräber wurden älter, der Geruch von Zeit wurde schwerer und mein Herz immer leichter. Der Wind blies mir in den Rücken und schob mich sacht voran, als wäre ich auf den Weg genau dahin wo ich hin sollte. Mein Tänzeln wurde Tanzen, mein Summen ein Mitsingen, als in meinem Kopf eine angenehme Gedankenleere einsetzte und die Musik, der Geruch des Friedhofs und das aufbauende Gefühl von Wind in meinem Rücken durch mich hindurch zog. Für einen kurzen Moment war die Welt wie sie sein sollte. Immer noch irgendwo zwischen tanzen und gehen erreichte ich leise singend den alten Teil des Friedhofs am hinteren Ende. Die Umgebung zog an mir vorbei: Ein Grabstein, ein bisschen Wiese, noch ein Grab, ein großer Steinengel, ein altes gotisches Mausoleum, ein grinsender Undertaker der reichlich belustigt mit verschränkten Armen auf einem Grabstein lehnte, noch ein Mausoleum, ein weiteres Grab... Die verzögerte Erkenntnis traf mich hart und erbarmungslos, als ich in meinem tänzelnden Schritt einfror und sich die Musik in meinem Kopf schrill zurückspulte: Ein grinsender Undertaker?! Ich wirbelte herum und riss mir dabei die Kopfhörer aus den Ohren. Mit großen ertappten Augen starrte ich den breit grinsenden Totengräber an, der mich mehr als nur amüsiert musterte. 'Verdammt! Oh nein! Wie peinlich!', ich merkte wie mir die Schamesröte sofort ins Gesicht schoss. Total eingefroren konnte ich nur ein paar Mal mit den Lidern klimpern. Doch es half nichts: Undertaker lehnte immer noch auf dem Grabstein und begann zu giggeln. Er war tragischerweise kein Hirngespinst: „Ehehehehe. Hast du öfter so gute Laune und ich treffe dich immer an den falschen Tagen, oder ist irgendetwas Tolles passiert und ich habe es verpasst?“ Ich konnte ihm nicht antworten. Mir war das alles viel zu peinlich. Undertaker lachte: „Hihihihihi! Du machst schon wieder dein Teddybärgesicht.“ Mein Schockstarre löste sich ein Stück: „Teddy... bär... gesicht?“, stammelte ich fragend. Der Totengräber lachte weiter: „Ja, ja. Das Gesicht was ein Teddybär machen würde, wenn man ihm mit einer Schere zu nahe käme. Pass auf, dass dir nicht die Knopfaugen herausfallen. Ehehehehe!“ Mein Kiefer klappte auf: „I-i-i-i... So schaue ich gar nicht!“ Das Lachen des Totengräber wurde schriller: „Ehihihihi! Doch, genauso schaust du.“ Ich streckte die zu Fäusten geballten Hände nach unten und kniff die Augen in meinem immer wärmer werdenden Gesicht zusammen: „Da-da-da-das stimmt gar nicht!“ „Stimmt!“, der Bestatter legte den Kopf schief: „Ich hab noch nie einen Teddybär gesehen, der so rot werden kann. Ehehehe!“ Ich verschränkte die Arme, drehte mich halb weg und kniff meine Augen fester zusammen. Ich wollte wütend wirken, doch in Wahrheit wollte ich nur meine Schamesröte verstecken: „Ich hasse es, wenn du sowas machst!“ „Hihi! Was mache ich denn?“ „Du ärgerst mich!“ „Wirklich? Das ärgert dich schon?“, ein weiteres schrilles Lachen: „Bist du aber zart besaitet. Ahehehehe!“ Verärgert drehte ich mich nach vorne und riss die Augen auf. Dann stolperte ich erschrocken mit wedelnden Armen einen Schritt nach hinten. Der Bestatter stand auf einmal genau vor mir. Ich hatte seine Schritte nicht ansatzweise gehört! Ein Gedanke stolperte unkoordiniert über den nächsten: „WA! Was zur...?! Wie...?! Meine Güte! Was machst du hier überhaupt?!“ Er legte leise kichernd den Kopf schief: „Hihihi. Also es gibt nun wirklich überraschenderes als einen Bestatter auf einem Friedhof, oder?“ 'Mist!', mein Kopf ratterte und mein Gesicht drohte in Flammen aufzugehen: „I-i-i-i-ich meine so weit hinten! Hier gibt es keine frischen Gräber!“ „Du weißt doch, dass ich hier hinten unterwegs bin, hehe.“ 'Maaaaaaaaan!', ich wedelte mit den Armen: „Aber! Aber!“ Der Totengräber packte lachend meine wedelnden Handgelenke: „Ahahahaha! Beruhige dich! Du hebst noch ab! Warum bist du denn so aufgeregt? Ist es dir peinlich, dass ich dich gut gelaunt durch die Gegend tanzen gesehen habe?“ '100 Gummipunkte...', ich schaute weg: „Ähm... vielleicht?“ „War das eine Frage oder eine Aussage?“ Ich schaute wieder zu ihm: „Fang nicht wieder damit an!“ Er lachte weiter: „Ahahahaha! Wie knuffig!“ „Ich bin nicht knuffig!“ „Tihi! Doch, bist du.“ Warum konnte ich nicht einfach vom Blitz getroffen werden? Gab es den keinen Gott, der sich meiner erbarmen möchte? Nur einen? Ich atmete tief durch: „Bist du fertig damit mich zu quälen?“ Undertaker entfuhr ein weiteres schrilles Lachen. Anscheinend war er nie damit fertig mich auszulachen: „Ich dich quälen?! Ahehehe! Sowas würde mir nie in den Sinn kommen!“ „Warum... tust du es dann?“ „Tue ich nicht!“, jetzt wirkte der Leichengräber ansatzweise empört: „Was denkst du von mir?!“ „Nur das Beste...“, antwortete ich sarkastisch, wenn auch nicht ganz unehrlich. Ich dachte ja wirklich gut von Undertaker. Er war eigentlich echt nett... Wenn er einen klaren Moment hatte. Er ließ mein Hände los. Er lachte nicht mehr, doch das breite Grinsen war unzerstörbar: „Ich habe dir nun wirklich keinen Grund gegeben schlecht über mich zu denken, oder?“ „Ich!“, ich räusperte mich und versuchte meine Stimme zu beruhigen: „Ich denke nicht schlecht über dich! Aber ehrlich: Was tust du hier?“ Der Bestatter lachte wieder: „Thihi. Ich bin öfter in meiner Freizeit hier und kümmere mich um die Gräber.“ Ich legte den Kopf schief: „Warum machst du in deiner Freizeit nicht Dinge, die normale Menschen auch tun?“ „Hehe. Was tun denn 'normale Menschen' in ihrer Freizeit?“ „Naja... Hobbys nachgehen, sich entspannen. Sowas halt und nicht arbeiten.“ Er lachte schriller: „Aber genau das tue ich doch!“ Mir klappte der Mund ein Stück auf: „Du willst mir also erzählen... Grabpflege ist dein Hobby und entspannt dich?“ „Aber natürlich!“, Undertaker legte grinsend die Fingerspitzen zusammen: „Es bringt die Gedanken auf Linie und die herrliche Atmosphäre der Vergänglichkeit salbt die Seele. Außerdem habe ich einige Gefallen einzulösen.“ Ich legte den Kopf schiefer: „Was für Gefallen?“ Er wandte den Kopf herum. Ich folgte seinem Blick. Zumindest schaute ich dahin wo ich dachte, dass seine verhangenen Augen hin schauten. Es waren die paar Gräber, die mir schon beim letzten Mal aufgefallen waren. Die, die so gut gepflegt waren. Eine schwarze Ledertasche stand dazwischen. Gartenwerkzeuge schauten aus ihr heraus und neben ihr türmte sich ein beachtlicher Berg weißer Blumen: Weiße Lilien, weißer Callas und weiße Chrysanthemen. Die Blumen, die immer mal wieder auf den vergessenen Gräbern lagen. Legte Undertaker immer wieder Blumen auf die verwaisten Gräber? Warum sollte er? Ich schaute ihn an: „Warum kümmerst du dich um diese alten Gräber?“ Er sagte nichts. Undertaker lachte nur leise und winkte mich mit sich. Neugierig ging ich hinter ihm her. Er schlängelte sich durch die paar Gräber zu dem rechten Mausoleum. Als wir davor standen zog er einen alten Schlüssel heraus. Ein Wappen hing daran. Ich meine ich hatte es schon mal gesehen, aber gerade wusste ich nicht wo. Und warum hatte er einen Schlüssel, der offensichtlich zu einem alten Mausoleum gehörte? Mit einem leisen Klicken schob sich der Riegel zurück und Undertaker schob die Steintüre mit einem Finger auf. Das Innere des Mausoleums war düster und wunderbar gestaltet. Es war nicht ganz dunkel, denn Sonnenlicht sickerte in schwachen, aber schillernden Farben durch die großen aufwendig gestalteten Buntglasfenster. Große Säulen stützten das gewölbte Dach und ein großer Torbogen mit einem großen Steinschild an der oberen Strebe trennte den kleinen von Grabkerzen gesäumten Eingangsbereich von dem großen Raum mit den Einbuchtungen in den Wänden. Darin lagen viele prunkvolle Steinsärge. Unter ein paar Särgen blitzte ein metallisches Schild. In der Mitte des Raumes, im Zentrum aller bunten Lichtstrahlen, standen frei dreie Särge. Sie waren um Längen aufwendiger als die Anderen. Am Fußende der Särge glänzte ebenfalls ein Schild. In der Mitte der im Dreieck angeordneten Särge stand die Statue eines großen Engels mit nach unten gebrochenen Flügeln. Schöne Handwerkskunst, doch war das Motiv ein wenig verstörend. „Warum zeigst du mir das?“ Undertaker giggelte nur und zeigte auf das große Steinschild am Torbogen. Ich las es mit großen Augen: »If it's your wish we will follow you everywhere. Even if your throne crumbles and your shiny crown turns to rust. Beside you as you lie, softly down, we will be. Until we hear the words, 'checkmate'. The Fallen will rise! Long lives the Phantomhive's!« Natürlich! Das Wappen an dem Schlüssel war dasselbe, wie das Wappen in der Eingangshalle der Phantomhives! Verwundert schaute ich wieder zu dem Totengräber: „Das ist das Mausoleum von Amys Familie?“ Er nickte giggelnd: „In der Tat, tihi. Ich pflege es seit langem. Genauso wie die Gräber draußen und das zweite Mausoleum. Es sind die Gräber von Freunden der Phantomhives. Das andere Mausoleum gehört den Midfords. Eine ihrer Töchter hat mal einen Earl geheiratet. Amys Ururgroßvater.“ Ich nickte anerkennend: „Du kennst dich aber aus.“ Er giggelte wieder: „Ich bin gewissenhaft, hehe.“ Es würde mich brennend interessieren warum die drei großen Särge einzeln standen. Definitiv gehörten sie zu Leuten, die wichtig gewesen waren. Doch ich traute mich nicht weiter hinein. Ich hatte irgendwie das Gefühl ich steckte meine Nase in Amys Privatangelegenheiten. „Tehe. Geh ruhig durch“, durchschaute mich Undertaker ohne mich einen Blickes zu würdigen: „Die Toten stören sich nicht mehr an Besuch.“ „Aber... ich weiß nicht, ob es Amy recht wäre...“ „Was sollte sie dagegen haben? Und selbst wenn sie etwas dagegen hätte, wer sollte dich verraten? Die Toten fallen einem nicht mehr in den Rücken.“ „Naja... Was ist, wenn es dir oder mir rausrutscht?“ Er lachte: „Ehehe! Bin ich genauso dran wie du. Ich hab dich doch hier hergebracht. Nun geh. Sei neugierig. Das ist eine wunderbare Eigenschaft.“ Zögerlich ging ich an dem Bestatter vorbei. Ich schlich zu den drei Särgen, als könnte ich die Toten aufwecken. Das war natürlich Blödsinn. Nichts in der Welt bringt Tote dazu aufzustehen. Zombies waren unmögliche Fiktion. Auf den Särgen standen drei Aufschriften: »Countess Cloudia Phantomhive 1830 - 1866: A Woman can build A Woman can rule A Woman can conquer A Woman can destroy« »Earl Vincent Phantomhive 1851 - 1885: Love is a magnificent thing, but, incidentally, it can also give birth to a dreadful tragedy… Surely a demon couldn’t have guessed that, could he?« »Earl Ciel Phantomhive 1875 - 1948: But this world is no chess game, where one cannot win if not playing by the rules. Without fail, players will break the rules . . . and chessmen will betray the players. And if I'm to play games with their like on equal footing, I'd have no chance at victory if I didn't break the rules myself, right? On this chessboard of Great Britain that we call our home, letting one's guard down immediately amounts to . . . checkmate.« Ich kannte keine Geschichte von ihnen. Wahrscheinlich waren sie Vorfahren von Amy die irgendwas Großes für die Familie bewirkt haben. Doch ihre Zitate hatte die Weisheit von großen Charakteren. Das musste ich neidlos zugeben. Nachdem ich mich ausführlich umgesehen hatte, drehte ich mich um. Undertaker war verschwunden. Verwirrt wanderten meine Augen durch den leeren Raum. Niemand nirgendwo. Eine kleine Panik gluckerte in meinem Magen, als ich zu der großen Tür lief. Ich zog daran. Ich dachte erst sie sei wieder verschlossen und zerrte fester. Doch es quietschte leise. Sie ging einfach furchtbar schwer auf! Ich hing mich nach hinten an den großen Knauf, dann bewegte sie sich endlich. Wie zur Hölle hatte Undertaker sie mit nur seinem Zeigefinger aufgeschoben?! Ich verschwand hastig aus dem Mausoleum. Draußen sah ich den Totengräber. Er schnitt gerade einen Efeu an einem Grabstein bei. Ich lief zu ihm: „Hey!“ Er schaute auf: „Hm?“ „Warum bist du einfach abgehauen?! Ich hab mich fürchterlich erschreckt!“ Er lachte: „Abgehauen? Tehehe! Ich bin vielleicht 15 Meter weg gegangen.“ „Tr...“, ich stockte. Ganz unrecht hatte er nicht: „Trotzdem!“ Er warf den abgeschnittenen Zweig in einen kleinen Sack voll gestutzter Pflanzen: „Ich möchte das hier heute noch zu Ende bringen, hehe. Verzeih mir.“ „Oh!“, machte ich. Natürlich. Der Bestatter war nicht hier um mich zu beglucken: „Kann... ich dir irgendwie helfen?“ Er grinste mich an und stand auf: „Natürlich! Du kannst mit mir die Sträuße verteilen und die Kerzen anzünden.“ Ich nickte: „Klar! Auf jeden einen?“ „Exakt. Streichhölzer hab ich“, er durchsuchte seine Taschen. Dabei kramt er sämtliches hervor: Eine Schere, Haargummis, Schlüssel, noch ein Schlüssel, noch ein Schlüssel. Was will ein Mann mit so vielen Schlüsseln? Seine silberne Taschenuhr, Skalpelle. Warum auch immer er die in der Tasche hatte. Eine Urne. Ich erkannte sie: Er hat bei sich zuhause auch so eine für seine Kekse. Eine Handvoll zerknüllter Zettel. Schließlich fand er drei Streichholzbriefchen: „Aha! Hier! Ehehe!“ Er hielt mich einen Streichholzbrief hin. Zögerlich nahm ich es entgegen und schaute mit hochgezogenen Augenbrauen auf den Inhalt seiner Taschen: „Du solltest öfter deine Taschen leeren...“ Er giggelte, als er das ganze Zeug wieder in irgendwelche Taschen stopfte: „Ehehehe! Ja, wahrscheinlich hast du recht.“ Ich lachte. Dann griff ich dem Bestatter unter die Arme. Bei einem Grab stockte ich, als ich die Grabkerze anzünden wollte. Der Name auf dem Grabstein kam mir entfernt bekannt vor: „Öhm Undertaker?“ „Hm?“, machte der Bestatter und drehte den Kopf halb von einem Grab weg. „Lau und Ran Mao Feng... Sie... sind nicht zufällig mit Lee verwandt, oder?“ Undertaker lachte kurz: „Doch, doch. Sie sind seine Urururgroßeltern. Hehe!“ „Warum liegen sie hier? Sie sind doch Chinesen, oder?“ Der Totengräber lachte wieder: „Ahahahaha! Die Fengs sind bei weitem britischer als sie zugeben möchten! Sie sind schon lange Verbündete der Phantomhives. Wie alle die hier liegen.“ „Ok“, machte ich. 'Verbündete' war irgendwie ein komisches Wort. Das klang ja fast nach Komplott oder Kartell! Doch ich schüttelte eigentlich unsinnige Gedanken weg und schaute noch mal auf den Grabstein. Darauf stand eine kleine chinesische Geschichte: »Eines Nachts, Zhuang Zhou träumte er war ein Schmetterling. Er war ein glücklicher flatternder Schmetterling. Er hatte so viel Spaß. Er konnte hinfliegen wo er wollte. Und er dachte nicht daran Zhou zu sein, aber auf einmal wachte er auf und war erschrocken, dass er nun Zhou war. Er konnte sich nicht entscheiden: War er Zhou, der träumte ein Schmetterling zu sein oder war er ein Schmetterling, der träumte Zhou zu sein? Zwischen Zhou und dem Schmetterling zu sein muss es sicherlich einen Unterschied geben. Das nennen wir die 'Transformation der Dinge'.« „Diese Menschen müssen hier alle sehr weise und bewandert gewesen sein.” Undertaker lachte schrill: „Ahehehehehe! Wenn sie einen guten Tag hatten.“ „Bitte?“ „Ach nichts, hehe!“ Wieder schüttelte ich den Kopf und schaut nochmal auf die Geschichte. Ich seufzte: „Die Geschichte ist schön...“ Ich hörte Schritte und der Bestatter kniete sich neben mich. Er zupfte ein paar Blätter aus der Graberde: „In der Tat, in der Tat“, er schaute mich warm lächelnd an, eins seiner Augen lugte interessiert aus einer kleinen Lücke in seinem Pony hervor: „Was ist mit dir? Zhou? Oder Schmetterling?“ „Uff...“, machte ich leise. Zhou oder Schmetterling? Also das was ich wirklich bin, oder das von dem ich träumte zu sein? Ich überlegte eine Weile. Der Bestatter zupfte weiter an dem grünen Grabschmuck herum und wartete geduldig auf meine Antwort. „Schmetterling“, sagte ich schließlich. An meinem Zhou fand ich jetzt nichts, was sonderlich toll oder erstrebenswert wäre. „Schade“, machte Undertaker. „Bitte?“, fragte ich erneut und schaute ihn verwirrt an. „Ich mag Zhou“, lächelte er mich durch die kleine Lücke an. Beiläufig zog er eine der schönen, prächtigen Lilien aus dem Blumenstrauß, den ich auf das Grab der Fengs gelegt hatte. Mein Herz blieb stehend und ich schaute ihn mit großen Augen an, als er sich mit einem warmen Lächeln den geflochtenen Zopf nahm und begann die reinweiße Blüte im unteren Viertel festzustecken. „Weißt du“, sagte er, als er mit geschickten Fingern die große Blume justierte: „Ich widerspreche dieser Geschichte in Teilen.“ Ich wusste nicht mehr was mich mehr verwunderte: Die unerwartete Geste oder die Aussage, dass er die Geschichte nicht als richtig empfand: „In welchen Teilen?“ Er lachte als er die Finger aus dem Zopf nahm: „Es klingt so als wären Zhou und der Schmetterling etwas Grundverschiedenes. Etwas, was nie übereinkommen könnte. Doch Zhou ist meiner Ansicht nach erst auf dem Weg ein Schmetterling zu werden. Der Schmetterling ist sein Ziel und Zhou ist unzufrieden in seinem engen, dunklen Kokon. Doch es ist der Weg, den er beschreiten muss. Ohne Fleiß keinen Preis. Ohne Anstrengungen kommt man nicht ans Ziel. Lehrjahre waren noch nie Herrenjahre. Doch viele nehmen den Weg viel zu schwer. Gestalten ihn viel zu anstrengend. Das ist Unsinn, denn gewissermaßen ist unser Weg auch immer ein Stück unser Ziel. Hehe.“ Ich klimperte ihn an. Diese Worte waren.... umwerfend! Bis ins Letzte durchdacht, unendlich stimmig und hörten sich mehr als nur wahr an. Mir fiel ein weiteres Mal auf, dass der Bestatter bei weitem mehr war als ein lachender, vergnügungssüchtiger Sonderling. Er hatte die Welt verstanden. Auf eine Art und Weise wie ich es noch nie erlebt hatte. Er stand auf. Ich tat es ihm gleich. 15 Minuten später lag auf jedem Grab ein Strauß Blumen und eine Kerze flackerte bedächtig vor sich her. Undertaker lachte: „Ahehehe! Wunderbar! Ich danke dir, liebe Sky.“ Ich lächelte ein wenig beschämt in sein Gesicht und verschränkte die Arme hinter dem Rücken, als ich nervös meinen Fuß auf dem Rasen drehte: „Ach... nicht dafür.“ Der Totengräber klaubte sein Gartenwerkzeug zusammen und verstaute es in der Tasche: „Was wolltest du eigentlich hier? Außer tanzen“, grinste er schelmisch. Ich wurde wieder ein wenig rosa im Gesicht: „Eigentlich wollte ich zeichnen...“ „Warum hast du es nicht getan?“ „Na, weil ich dich getroffen hab.“ Undertaker kicherte wieder: „Ich wäre der Letzte gewesen, der dich aufhält.“ „Ja, aber... Ich kann dich doch nicht einfach links liegen lassen...“ „Hehe. Warum nicht?“ „Das gehört sich nicht! Man kann doch jemanden den man mag nicht einfach ignorieren!“ „Hehe. Du magst mich also, ja?“ Ich schaute zur Seite, als mein Gesicht wieder so unangenehm warm wurde: „Äh... Ja... schon...“ „Das freut mich. Wirklich. Hehehehe!“, lachte der Totengräber. Ich schaute ihn an. Er lächelte zu mir herunter. Wieder dieses ehrliche, nicht alberne Lächeln: „Hast du es dabei?“ „Was?“, fragte ich reichlich dämlich. Ich mochte ihn, nicht seine plötzlichen Themenwechsel. Ich kam mir immer vor wie ein Idiot, wenn er das machte und ich die Kurve nicht bekam! Er lachte: „Na, das Bild vom letzten Mal!“ Ich schaute zu Boden: „Joa... schon...“ „Oh!“, der Bestatter griff vollkommen ungeniert einfach in meine Tasche: „Das muss ich unbedingt sehen!“ „Hey!“, ich griff mit wedelnden Armen nach meinem Block. Undertaker streckte allerdings einfach seinen Arm nach oben. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und hüpfte, doch der silberhaarige Mann war einfach zwei Köpfe größer als ich! Ich hielt mich irgendwann an seinem Mantel fest und versuchte so höher zu hüpfen. Keine Chance. Triumphierend lachend hielt er meinen Block erfolgreich von mir fern. Als er erkannte, dass meine Gegenwehr nicht aufhören würde bis ich meine Ansammlung von Papier zurück erobert hatte, legte er die Arme einfach um meine Schultern und schlug hinter meinem Rücken den Block auf. Aber auf die Distanz konnte er wohl nicht viel erkennen. Also zog er den Block zu seiner Nase, ungeachtet der Tatsache, dass ich immer noch dazwischen stand. Mein Gesicht verschwand in seinem Mantel und ich konnte nichts mehr sehen. Überrascht wedelte ich mit den Armen und wollte protestieren, doch aus dem langen schwarzen Stoff kam lediglich ein ersticktes: „Mhhhh! Hmmmm!“ Der Geruch von Zucker, Gras und Zedernholz war wieder da. Ein weiteres Mal überwältigt davon vergaß ich meinen Protest und ließ die Arme ein Stück sinken. Irgendwann lachte der Bestatter: „Hehehe! Es ist wirklich wundervoll!“ „Hm?“, kam es fragend aus seinem Mantel, da der Stoff meine Wörter zu sehr dämpfte. Er giggelte: „Es gefällt mir ausgesprochen gut!“ „Hm?!“, ich hob einen Arm, ertastete seine Schulter und tippt darauf herum. Langsam wurde die Luft doch ein bisschen knapp. „Oh! Ehehe!“, er nahm mich an den Schultern und drückte mich ein Stück nach hinten. „Haaaaa!“, atmete ich durch: „Willst du mich loswerden?! Ich kann auch einfach gehen! Du musst mich nicht umbringen!“ Er lachte weiter: „Hahahaha! Das war nicht mein Plan! Wirklich.“ Ich schüttelte den Kopf. Dann schaute ich ihm ins Gesicht: „Gefällt es dir wirklich?“ „Natürlich!“, er lachte mich an: „Auf deinem Bild sehe ich besser aus als im Spiegel! Ahehe!“ „Es ist doch nur dein Rücken...“ „Das ändert nichts an der Tatsache!“ Ich musste sanft kichern: „Wenn du möchtest kannst du es behalten.“ Er legte den Kopf schief: „Warum?“ „Naja... Du bist drauf und es gefällt dir.“ „Willst du es wirklich weggeben?“ Ich nickte zögerlich: „Ja... an dich schon.“ „Nur an mich?“ Ich nickte ein weiteres Mal verhalten: „Nun... ja. Nur an dich.“ Er schaute nochmal auf meinen Block: „Hmmm. Es wäre mir eine Ehre!“ Ich legte den Kopf schief: „Ehre?“ Er legte mir lachend einen Arm um die Schulter. Zusammen schauten wir auf das Bild in seiner Hand: „Hehe. Ja, eine Ehre. Es ist eine schöne Erinnerung an eine wertvolle Begegnung.“ „Wertvolle Begegnung?“ Er drehte den Kopf zu mir: „Natürlich. Du bist eine sehr wertvolle Begebung.“ „Ach“, machte ich: „An mir ist doch nichts besonders... wertvoll.... oder so.“ „Nun. Da haben wir beide wohl sehr gegensätzliche Ansichten. Hehe.“ Ich blinzelte ihn an, doch ich schaffte es nicht weiter nachzufragen. Er drehte den Kopf zu mir und gab mir den Block wieder: „Was tust du jetzt?“ Ich zuckte mit den Schultern: „Naja, ich hab Ferien. Amy ist nach Hause gefahren. Eigentlich hab ich echt nichts zu tun...“ Undertaker lachte: „Wenn dir langweilig ist, ziere dich nicht dir bei mir ein bisschen die Zeit totzuschlagen. Hehe.“ „Eh... ehrlich?“, nahm ich den Block entgegen und steckte ihn in die Tasche. Der Bestatter lachte und griff Tasche und Sack: „Aber natürlich!“ Er ging los, wandte sich aber um als ich stehen blieb: „Nun?“ Ich überlegte kurz. Dann zuckte ich die Schultern: „Warum nicht.“ Ich schloss zu ihm auf und wir wanderten ein bisschen über den Friedhof. An einem großen Komposthaufen hielt der Bestatter. Er wollte gerade den Sack voll Pflanzenschnipsel hinein schütten, da drang ein helles Krähen an unser Ohr. Undertaker stockte. Kurz sahen wir uns an. Ich trat näher an den Haufen und Undertaker stellte den Sack wieder ab. Uns bat sich ein erbarmungswürdiger Anblick, als wir in den Komposthaufen schauten: Ein kleiner Rabe saß darin, hüpfte hin und her und krächzte verzweifelt. Er wackelte mit einem Flügelchen. Das andere stand ganz komisch von dem kleinen Körper. Das Vögelchen sah aus wie ein gefiederter Ball, an den man einen noch kleineren Ball mit Knopfaugen und einen kleinen Schnabel geklebt hatte. Es war so süß! Offensichtlich war der kleine Rabe noch sehr sehr jung. „Oh nein!“, ich schlug eine Hand vor dem Mund: „Wie süß! Aber sein Flügelchen scheint gebrochen zu sein!“ Undertaker legte den Kopf schief: „Es sieht so aus, aber ich sehe nirgendwo Anzeichen, dass seine Eltern es füttern.“ „Wie?“ Der Bestatter lachte nicht mehr. Er grinste auch nicht mehr. Er schaute ernst auf den kleinen Vogel: „Das ist ein kleiner Kolkrabe. Er ist offensichtlich noch keine 45 Tagen alt. Raben sind Nesthocker, das heißt er hätte sein Nest eigentlich gar nicht verlassen sollen. Er kann wahrscheinlich noch nicht mal fliegen. Und selbst wäre ein Unfall passiert würden seine Eltern sich weiter um ihn kümmern. Aber ich sehe nirgendwo Futterreste oder Fußspuren. Vielleicht...“, Undertaker lehnte sich hinunter und roch an dem kleinen Vogel. Ich beschaute ihn verwundert. Was will er denn damit bezwecken? „Wie ich dachte“, er hob den Kopf wieder: „Er riecht nach Menschen. Wahrscheinlich ist er aus dem Nest gefallen und irgendjemand hat ihn einfach auf den Kompost geworfen, wie Biomüll. Dadurch haben seine Eltern ihn verstoßen.“ Das konnte er riechen?! Ich wusste ja nicht, ob ich beeindruckt oder verstört sein sollte. Ich war etwas von beidem. Der kleine Rabe hüpfte vor uns auf und ab und krähte ganz herzzerreißend. Ich hielt eine Hand vor den Mund und merkte wie meine Augen feucht wurden, als der verwaiste kleine Vogel um Hilfe schrie: „Auf den Kompost geworfen... Wie grausam! Oh, mir wird schlecht bei sowas!“, unwillkürlich und ohne nachzudenken griff ich Undertaker am Arm und zupfte aufgeregt an ihm herum: „Wir können ihn doch nicht einfach seinem Schicksal überlassen! Er wird sterben!“ Der Bestatter schaute mich einen Moment an. Dann lächelte er wieder, griff in den Kompost und hob behutsam den kleinen schwarzen Federball auf seine lange Hand. Es wackelte immer noch mit dem gesunden Flügel und krähte hell. „Shhhhh“, machte Undertaker: „Jetzt wird alles gut.“ Ich schaute den kleinen Raben an und kraulte mit einem Finger seine Stirn. Er drehte das Köpfchen genüsslich darunter und wackelte noch schneller mit dem Flügelchen: „Ohhhh wie süß!“ Undertaker lachte und nahm eine meiner Hände mit seinen kalten Fingern. Bei der Berührung fuhr ein kribbelndes Rauschen durch meine Finger in meinen Arm und die Härchen an meinem Unterarm und in meinem Nacken stellten sich auf. Dann setzte er das Vögelchen hinein: „Halt ihn kurz.“ Anschließend kippte er seine Pflanzenreste in den Kompost und verstaute den Sack ebenfalls in der schwarzen Tasche. Der kleine Vogel hatte sich erleichtert in meine Handkuhle gekuschelt und die erschöpften Äuglein geschlossen. Undertaker legte den Kopf schief: „Er scheint sich bei dir wohlzufühlen.“ Ich lachte: „Denkst du?“ Undertaker lachte ebenfalls: „Wer würde sich in den zarten Händen einer schönen Frau nicht wohlfühlen! Also ich kann ihm nachfühlen. Tehehehe!“ Ich wurde rot und schaute zur Seite: „Ach hör auf damit...“ Undertaker lachte und wollte irgendwas sagen, doch ein Knall unterbrach ihn. Wir schauten in den Himmel. Blitze zuckten durch schwarze Wolken. Von jetzt auf gleich hatte es sich bedrohlich zugezogen. Irgendwie knisterte die Luft und das Gewitter wirkte auf eine Art und Weise bedrohlich, die außerirdisch war. Ein Tropfen landete auf meiner Stirn: „Oh oh“, brach ein fürchterlicher Regenschwall los. Ich hatte die andere Hand über dem Vögelchen um es trocken zuhalten, während mir die ersten Haare schon nass im Gesicht klebten. „Was ein Wetter“, lachte Undertaker. Dann hatte ich auf einmal etwas vor den Augen. Es roch süß und erdig. Der Bestatter schob mir kurz den Mantel meinem Gesicht, den er mir über den Kopf geworfen hatte, so das er wie eine Kapuze über meinen Kopf fiel. „Komm schnell! Hehe!“, er nahm mich am Handgelenk und lief los. Langsam war der Mann wirklich nicht und ich hatte Mühe meine Beine schnell genug zu bewegen: „Halt unseren kleinen Freund unter dem Mantel.“ Dann liefen wir über den Friedhof und über Londons Straßen zu dem Laden des verrückten Totengräbers. Doch der Weg war lang und bald ging mir die Puste aus: „Ich... ha... ha... kann nicht mehr...“ Der Bestatter lachte. Dann verlor ich den Boden unter den Füßen. Der große Mann hatte mich mühelos und ungefragt auf den Arm genommen. Er drückte mir seinen Zylinder in die freie Hand, den er bis eben in seiner getragen hatte, da er ihm irgendwann beim Laufen von seinem Kopf geweht war. Obwohl der Mantel mich trocken hielt pfiff der Wind ganz furchtbar um meine Ohren. „Was machst du?“, fragte ich irritiert und schaute ihm ins Gesicht. Kristallklare grüne Augen lächelten mich durch seinen tropfenden Pony an, der ihm schwer und nass im Gesicht hing. Zwei Tropfen flitzten über seine Wange und tropften von seinem Kinn. Diese Anblick bannte mich mehr als er sollte und mein Herz übersprang einen Schlag, um dann 5 auf einmal zu nehmen: „Ich will nicht, dass du nass und wieder krank wirst.“ Die Kleidung des Totengräbers hatte an den Schultern schon ganz dunkle, nasse Schatten: „Und du?!“ Undertaker fing wieder an zu rennen: „Hehe! Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komm zurecht.“ Der Wind pfiff schneller um meine Ohren. Der Bestatter war ziemlich gut zu Fuß! Ich war ebenfalls verwundert als er mich beiläufig mit einem Arm hielt, um vor seinem Laden den Haustürschlüssel aus den viel zu vollen Taschen zu kramen und die Türe aufzuschließen. Absetzten tat er mich erst im Verkaufsraum. Seine langen Haare klebten überall an seinem Körper und er tropfte den Boden voll, als er mir den nassen Mantel vom Kopf zog. Zu meiner Verwunderung schien er nicht ansatzweise außer Atem, obwohl er gerade einen Minimarathon im Sprint mit über 48 kg Zusatzgewicht hinter sich gebracht hatte. Ich war zum größten Teil trocken. Das Vögelchen zwitscherte aufgeregt in meiner Hand. Der Totengräber grinste. „Du bist total nass!“, rief ich aus. Undertaker lachte und wischte sich den langen, klatschnassen Pony aus dem Gesicht: „Tehehe. Augenscheinlich.“ Er wollte mir das Vögelchen aus der Hand nehmen: „Lass uns dem Kleinen etwas zu essen suchen und den Flügel schienen.“ Ich drehte den Vogel von ihm weg: „Erst ziehst du dich um und trocknest dich ab! Der wird in der Zeit nicht verhungern!“ Undertaker lachte weiter: „Es ist alles ok. Wirklich, hehehe!“ „Nein, nein, nein!“, ich tippte ihn vor die Brust: „Umziehen! Jetzt!“ Er breitete die Hände aus: „Ok, wenn du drauf bestehst. Hehe!“ „Pronto!“ Lachend verschwand er in der versteckten Tür. Ich hing meinen Poncho an die Garderobe, setzte mich auf einen Sarg und schaute das Vögelchen an: „So ein Knilch! Er ist ein Knilch. Sag er ist ein Knilch“, das Vögelchen krähte zustimmend und wackelte hüpfend mit dem Flügel: „Armes kleines Ding. Wer macht so etwas?“, ich kraulte ihn wieder: „Werfen dich weg wie ein Stück Müll. Dafür bist du doch viel zu süß!“, wieder drehte er sich um meinen Finger: „Noah! Ja, mein kleiner Spatz! Du bist ja so knuffig!“ Die Türe ging auf. Ich schaute hoch... und schluckte mit großen Augen. Undertaker hatte sich die nassen Haare und den Pony zu einem hohen Zopf zurück gebunden. Er trug eine schwarze Jeans, dazu nur graue Socken und ein schwarzes T- Shirt. Der etwas jugendlichere Aufzug stand ihm echt nicht schlecht und machte ihn spontan fünf Jahre jünger... wenn nicht mehr. Des Weiteren wirkten die Sachen relativ ungetragen. Sie lagen wahrscheinlich relativ weit hinten in seinem Schrank, da sie nicht so ganz zu seinem üblichen Aufzug passten. Wegen dem T- Shirt sah man genau, dass auch seine Unterarme hoffnungslos vernarbt waren. Was hatte er gemacht? Hat er diese Narben überall? Warum? Ich wurde mir plötzlich gewahr, dass mein Puls an Tempo zunahm und ich hörte das Klopfen meines Herzens in meinen Ohren, spürte es in meiner Kehle und merkte die Hitze in meinem Gesicht. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie wurde ich bei diesem Anblick ungeahnt verlegen. Der Totengräber konnte wirklich ziemlich gut aussehen wenn er denn wollte. Ich drehte meinen roten Kopf schräg zu Boden. Meine grundlose Schamesröte war beschämend. Meine Gedanken krachten ineinander, überschlugen sich und wurden zu einem wirren Haufen aus dem ich keinen klaren fischen konnte. Der Totengräber blieb vor mir stehen: „Was hast du? Hehe?“ „Ähm nichts...?“ „Du bist ganz rot im Gesicht. Sag nicht du hast schon wieder Fieber?“ Er streckte seine Hand zu mir und ich wedelte sie mit meiner freien Weg: „Nein, es ist nur warm hier drin!“ Naja, es war warm, aber nicht so warm, dass man rot im Gesicht würde. Aber da ich selbst nicht wusste warum ich rot wurde, war das meine beste Ausrede. Mir war das alles wieder furchtbar peinlich. „Soll ich ein Fenster aufmachen?“ „Du trägst nur ein T-Shirt!“ „Und? Schlimm? Hehe!“ „Öhm nein... nein... es... ähm steht dir“, schaute ich betont zu Boden und das Rot wurde dunkler. Dann fiel mir siedend heiß und extrem peinlich auf, dass es darum wahrscheinlich in seiner Frage NICHT ging: „... A-a-aber nicht, dass du frierst... Ich meine, äh, du, du bist nass geworden... ich nicht!“ „Ehehehehe! Danke, danke. Sollte ich das öfter tragen?“, stieg er voll auf meine Aussage ein und grinste schelmisch. Mein Gesicht wurde noch dunkler und ich kraulte nervöse das kleine Vögelchen: „Scho... schon... wie gesagt... es steht dir...“ Er lachte: „Ich überlege es mir, ahehehehehe! Wenn ich dann öfter Komplimente von schönen Frauen bekomme.“ Ich hatte das Gefühl ich falle gleich tot um. Warum war ich so beschämt? Warum war ich so rot, verdammt! Er war nur ein Typ im T-Shirt!! Ein gut aussehender Typ... im T-Shirt...:'Arg!' Er öffnete giggelnd ein Fenster. Eine frische Brise fegte durch den Raum und streichelte mir sanft über die heißen Wangen: „Tihhihi! Und mache dir um mich keine Sorgen. Ich friere nicht“, nahm er mir anschießend das Vögelchen aus der Hand. Der Totengräber beschaute es mitfühlend: „Armes kleines Ding. Du bist ja halb tot.“ Es fiepte. Undertaker lachte: „Dann wollen wir dich mal auf Vordermann bringen“, ging er zu seinem Tresen, setzte sich in den alten Stuhl und den Vogel auf die Tischplatte. Er kramte eine Bambusstock, zum Stützen von Pflanzen, und einen Verband aus der Schublade. Knackend brach er den Stock in kleinere Teile. Ich lehnte mich ebenfalls auf den Tisch: „Kannst du das?“ „Joa“, giggelte der Bestatter und befühlte den abstehenden Flügel: „Ist nicht so kompliziert. Hehe. Es tut mir leid, mein geflügelter kleiner Freund, aber das wird ein bisschen wehtun.“ Dann zog er einmal ruckartig an dem gebrochenen Flügel. Es krachte ganz furchtbar trocken und der kleine Vogel krächzte und strampelte vor Schmerzen. „Was machst du?!“, kreischte ich auf. Undertaker lachte: „Seinen Flügel richten. Ahehehe. Oder soll er so schief zusammen wachsen?“ Ich war sprachlos. Wenn er Recht hatte, hatte er einfach Recht. Der Flügel lag wieder in einer gesund wirkenden Position und Undertaker strich dem Babyvogel sanft über den Schnabel: „Shhhh mein Kleiner, hehe. Jetzt ist es vorbei.“ Wie auf Kommando beruhigte sich der kleine Vogel und Undertaker wickelte die Bandage um den Flügel und die Stöckchen. Dann zog er einen Keks aus der Urne, die auf dem Tresen stand und zerkrümelte ihn auf der Tischplatte. Der kleine Rabe hüpfte zu dem Häufchen, beschaute ihn erst ein bisschen skeptisch, pickte aber dann doch begierig die Krümmel auf. Undertaker zerkrümelte einen Zweiten und steckte sich selbst den Dritten in den Mund. „Hmmm...“, machte er kauend und nachdenklich: „Er braucht einen Namen...“ „Merkenau!“, sprach ich meinen spontanen Gedanken aus. Undertaker schaute mich amüsiert mit seinen leuchtend grün-gelben Augen an: „Wie in Goethes Fabel 'Fuchs Reineke'? Hehe! Grandiose Idee! Aber war Merkenau nicht die Krähe?“ „Ja schon...“, sagte ich: „Aber der Rabe heißt Pflückebeutel. Das klingt ziemlich dämlich und naja... Krähen und Raben sind Artverwandte, also...“ Undertaker nickte: „Wo du Recht hast. Gut“, Undertaker kraulte den futternden Raben am Kopf: „Willkommen kleiner Merkenau. Hehehehe! Fühl dich wie Zuhause.“ Der kleine Rabe Merkenau krähte fröhlich mit vollem Schnabel. Als sich das Wetter etwas beruhigt hatte, legte ich Undertaker das Bild auf den Tresen und verabschiedete mich von ihm und dem kleinen Merkenau, um pünktlich im Wohnheim zu sein. Tiere waren leider nicht erlaubt, doch ich konnte das kleine Vögelchen ohne schlechtes Gewissen bei dem Bestatter lassen. Ich wäre gern länger geblieben, doch Ausgangssperre war auch in den Ferien Ausgangssperre und Ms. Lowell wird gerade in den Ferien nicht verträglich, wenn man sie missachtete. Doch morgen wollte ich ja schon wieder kommen, um Undertaker die Dessertpreussen vorbeizubringen, die ich mit Lola backen wollte. Das machte den Abschied etwas leichter. Ich wusste nur nicht warum er mir so schwer fiel. Ich behielt für mich, dass ich plante wieder zu kommen. Ich wollte ihn ja schließlich überraschen. Am nächsten Morgen erfasste mich eine ungeahnte Motivation. Irgendwie konnte ich dir ganze Nacht nicht richtig schlafen. Aber nicht, weil ich über meine Eltern nachgedacht oder bis spät abends mit Amy gechattet hatte. Es ging ihr gut und der Familie auch. Sie ließ mich schön grüßen und ich grüßte zurück. Ich war nur irgendwie aufgeregt und musste immer wieder an das Denken, was der Bestatter gesagt hatte und wie liebevoll er mit dem kleinen Vogel umgegangen war. Meine Gedanken rasten und ließen den Tag immer und immer wieder Review passieren. Mein Blick wanderte auf die Lilie, die ich gestern Abend in ein Trinkglas mit Zuckerwasser gestellt hatte, nachdem ich aufgestanden war. Sie blühte prächtig. Sie strahlte förmlich durch mein kleines Zimmer mit ihrem Reinweiß und sang mir ein stummes: „Guten Morgen!“ „Guten Morgen!“, antwortete ich enthusiastisch, ohne mir bewusst zu sein wie bescheuert das war. An meinen kleinen Kleiderschrank stand ich plötzlich vor einer gigantischen Aufgabe: 'Was zieh ich an...?' Unwillkürlich erinnerte ich mich an den Bestatter, der gestern Abend so leger unglaublich gut ausgesehen hatte. Mein Herz tuckerte kurz schneller und verwirrte mich: 'Es war doch nur ein T-Shirt.' Die Blume lachte mich stumm aus. Ich seufzte und versuchte etliche Kombinationen aus. Irgendwann lagen fast alle meine Klamotten auf dem Bett. Ich seufzte und stemmte die Hände in den Hüften: 'Es soll doch nur ein bisschen schicker sein. Aber nicht zu sehr... Eher so alltagstauglich... aber ansehnlich...' Da ich selbst nicht sonderlich ansehnlich war, stand ich vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Doch irgendetwas musste ich ja schließlich anziehen. Letztendlich zog ich mein langes Netzoberteil an und darüber meinen schulterfreien, schwarzen Pulli mit den ¾ Ärmeln. Er warf mehr Falten um meinen dünnen Körper als sonst. Ich hatte noch mehr abgenommen: 'Oh ne...' Doch wenn man sich nicht ganz sicher war sollte man sich auf Bewährtes verlassen. Ich zog eine dicke, schwarze Strumpfhose und eine kurze, schwarze Jeans und meine schon relativ abgelaufenen, schwarzen, wadenlangen Bikerstiefel an, unter denen dunkelviolette Wollstulpen über die Knie schauten. Dazu schlang ich mir meinen vierreihigen Nietengürtel um die Hüfte, mein Medaillon um den Hals und ein paar Lederarmbänder um die Handgelenke. Ich drehte meine oberen Haare zum Dutt und schminkte mich. Ich beschaute mich im Spiegel. Nicht perfekt, aber in Ordnung und das Beste, was ich zustande brachte. Ich ließ meinen Klamottenberg wo er war und lief zum Frühstück. Mein Magen knurrte. Ich hatte furchtbaren Hunger! Drei Brötchen und vier Tassen Kaffee später ging es mir noch viel besser. „Du hattest aber Hunger“, lachte Lola. „Jup“, lehnte ich mich zurück. Lola lachte: „Nicht, dass mich das stören würde. Noch eins?“ Ich winkte ab: „Puuuuh! Nein! Ich bin voll!“ Lola lachte: „Wann willst du denn backen?“ Ich setzte mich wieder auf: „Jetzt!“ Lola blinzelte kurz und lachte dann: „Na dann komm!“ Wir ließen das Abräumen die Anderen erledigen und gingen in die Küche. Lola hielt mir ein Schürze hin: „Damit du dir nicht dein schickes Outfit versaust“, zwinkerte sie. Dieses Zwinkern gefiel mir immer noch nicht. Doch ich zog die Schürze an. Keine Minute später machte ich mit Lola den vierlagigen Blätterteig. Dann bestreuten wir ihn mit Zimt und Zucker. Zu guter Letzt schmolzen wir Zartbitterschokolade. Ich musste kichern, als ich das Logo der Funtomcompany auf der Schokoladentafel erkannte. Großzügig begossen wir die zahllosen Bleche mit Blätterteig mit der Schokolade. Lola und ich unterhielten uns und lachten. Es war ein guter Vormittag und die Schwere der letzten Tage war weg, als hätte die glitzernde Themse sie gestern einfach mitgenommen. Nach weit weg. Nach nirgendwo. Da konnte sie bleiben. Für immer. Nachdem wir den, zu doppelten Schnecken gedrehten, Blätterteig nach 15 Minuten aus der Kühltruhe holten konnten wir ihn schneiden. Ich hielt ein abgeschnittenes Stück hoch: „Die sehen aus wie das Band in einer Kassette!“, grinste ich und zeigte auf die zwei Schnecken. „Ja, nicht?“, lachte Lola zurück und wir schoben 5 Bleche der kleinen Dinger in den Ofen. Der Teig brauchte gerade mal 15 Minuten und es roch herrlich nach Zucker, Zimt und Herrenschokolade. Schließlich dippte ich die fertigen Teilchen, die Lola mir an gab mit einer Schnecke in weitere Schokolade und Kokosraspeln. Dann legte ich sie zum Trocknen wieder auf ein Stück Backpapier. Danach kamen sie zehn Minuten in die Kühltruhe um schneller fest zu werden. Ich schleckte genüsslich den noch warmen Schokoladenlöffel ab, als Lola mit ein Stück durchsichtige Folie und rotes Geschenkband gab: „Zum Einpacken von deinem Geschenk.“ Ich lege den Löffel weg und grinste: „Sind sie denn schon fertig?“ In dem Moment klingelte Lolas Eieruhr. Sie reichte mir einen vollen Bogen Backpapier und ich wickelte die kleinen Teilchen gewissenhaft in die Folie. Nachdem ich eine große, bauschige Schleife darum gebunden hatte war ich mehr als zufrieden mit mir selbst. Die Küchenchefin und ich probierten ein 'Schweineöhrchen', wie die Deutschen sie wohl nannten. Sie schmeckten herrlich! Auch wenn das Rezept nicht so ganz original war: Sei's drum! Das Original konnte nicht besser schmecken! „Wir sind gut“, rief Lola und wir schlugen ein. „Und jetzt lauf“, lachte sie und biss noch einmal ab: „Du sitzt doch auf heißen Kohlen.“ Ich nickte eifrig und hing die Schürze an den Nagel. Lola reichte mir eine schwarze Stofftasche und ich steckte den viel größer als geplant ausgefallenen Präsentbeutel hinein. Aus irgendwelchen Gründen war ich furchtbar aufgeregt als ich mich in den Poncho warf und meine Gypsymusik anschaltete. Ich hoffte sie schmeckten ihm auch! Und das er sich freute! Ich hoffte so sehr er freut sich! Das Gewitter von gestern war verschwunden als wäre es nie da gewesen und die Sonne schien mir den Weg in mein Lieblingsgruselkabinett. Undertakers Laden war ein Gruselkabinett, doch ich fühlte mich irgendwie wohl dort. Als ich so durch die kleinen Gassen streifte, fielen mir wieder die vielen zwielichtigen Gestalten auf. Doch sie machten nicht auch nur den Anschein mir irgendetwas tun zu wollen. Sie drehten ihre Köpfe weg und taten so als wäre ich nicht da. 'Sie sollten dich ab jetzt in Ruhe lassen', lachte es durch meinen Kopf. Der Bestatter hatte Recht. Als ich meine Musik vorsichtshalber ausschaltete ertönten keine Schritte hinter mir. Ich tat es mit einem Schulterzucken ab. Wahrscheinlich hatte der Totengräber schon jegliches Aufbäumen aus ihnen heraus gegruselt. Dass er das schaffte, unterschrieb ich ohne Zweifel. Vor der altbekannten Türe zu dem kleinen, schrägen Laden atmete ich kurz durch. Mein Herz raste wie verrückt und ich hatte schwitzige Hände. Ich hoffte so so sehr, dass er an meinem kleinen Geschenk Gefallen fand! Ich drückte die Klinke hinunter und schob die knarzende Türe auf: „Undertaker? Bist du da?“ „ZZZZZzzzzzz....“, begrüßte es mich. Ein leises Schnarchen schwirrte durch den kleinen Laden. Ich blinzelte und schloss leise die Tür. Es funktionierte nur nicht, da man sie ganz dringend mal ölen müsste. In dem Zwielicht des düsteren Ladens suchte ich die Quelle des Schnarchens. Der Stimmlage nach müsste es Undertaker sein: „Undertaker? Huhu?“ Doch bevor ich den Bestatter fand, fiel mein Blick auf einen silbernen Bilderrahmen in einem Regal. Die Regalbretter waren staubig, ausgenommen dessen mit dem Bilderrahmen. Darin klemmte mein Bild. Irgendwie wurde mir warm ums Herz. Es war auch ein wenig peinlich, denn es war für wirklich jeden gut zu sehen. Mein Blick fiel schließlich auf den Tresen. Dann musste ich furchtbar lachen: Undertaker lag mit dem Gesicht auf dem Eichentresen und hatte einen Arm darunter geklemmt. Der andere lag einmal über den ganzen Tisch und hing an der anderen Kante schlaff herunter. Er trug immer noch das T-Shirt, was mich ein wenig wunderte. Ich war mir sicher gestern die Andeutung verstanden zu haben, dass er so etwas eigentlich nie trug. Seine silbernen Haare verteilten sich über die ganze Tischplatte. Doch das Beste war Merkenau. Er schlug den schnarchenden Bestatter um Längen! Denn der kleine Rabe saß auf seinem Kopf und hatte sich aus seinen langen Haaren ein kleines Nest gebaut. Ich musste kichern: 'Viel Spaß beim Kämmen, Undertaker.' Er hatte sicherlich viele, viele furchtbare Knoten in den vielen langen Haaren. Doch der kleine Rabe schlummerte genauso selig wie der Bestatter, den er sich als neues Nest auserkoren hatte. Die Beiden waren ein Bild für die Götter! Ich tippte vor die runter hängende Hand: „Hey! Schlafmütze! Es ist halb zwei!“ „ZZZzzzzz...“, schnarchten Vogel und Bestatter um die Wette. „Hey!“, ich zog an einem Finger. „ZZZzzzzz...“ „Ja, das gibt‘s doch nicht! Der pennt ja wie ein Toter!“ Ich stellte meine Tasche auf den Tresen und zog an einer Strähne seines Ponys: „Jetzt steh auf!“ Ich wich seiner wedelnden Hand aus: „ZZZzzzzz... narf... nüff... ZZZzzzzz...“ Ich räusperte mich und schaute mich um. Dann sah ich eine kleine schwarze Feder auf dem Tresen liegen. Wahrscheinlich hatte Merkenau sie irgendwann verloren. Ich schnappte sie mir, ging vor dem Tresen in die Knie und lehnte mein Kinn auf einen Arm auf die Tischplatte. Dann schob ich sie durch den dichten silbernen Vorhang aus Haaren. Ich brauchte ein paar Anläufe, doch irgendwann traf ich wohl seine Nase. Sein Kopf zuckte. Die Hand wedelte. Merkenau öffnete ein Auge, als sein Nest zu hüpfen anfing. „Ha!“, hörte ich es. Ich drückte meine Hand vor den Mund als ich kichern musste, doch kitzelte ich ihn weiter. „Haaaaa!“, machte es lauter. Das unterdrückte Prusten quoll durch meine Finger, doch ich konnte nicht aufhören. „HATSCHIE!“, der Kopf und die endlos langen Haare flogen mit einem Ruck zurück. Als gerechte Strafe peitschten sie mir durchs Gesicht. Das unerwartete Niesen warf den Bestatter mit Schwung in seinen alten Stuhl. Merkenau flog mit einem spitzen Laut von seinem Kopf. Mit so einer heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet, doch ich schaffte es den kleinen Raben zu fangen. Undertaker kippte mit seinem Stuhl nach hinten und wedelte mit Armen und Beinen: „Woah! WA!“ Dann verabschiedete sich seine Balance mit einem Krachen und der Totengräber verschwand mit einem spitzen Laut hinter seinem Tresen. Ich schaute Merkenau an. Der kleine Rabe war vor Schreck total aufgeplustert und musterte mich vorwurfsvoll. „Ups...“, machte ich unbeholfen. Wer konnte denn ahnen, dass sowas passiert? Den kleinen Merkenau setzte ich auf den Tresen und beugte mich darüber. Der Bestatter lag mit ausgebreiteten Armen auf den Boden. Sein Gesicht sah ich nicht, denn seine Beine waren darüber gefallen und die Pose, die an ein Klappmesser erinnerte, sah nicht gerade gemütlich aus. Seine langen Haare lagen überall. „Alles ok?!“, fragte ich. Ein Lachen flog durch den Laden: „Ahehehehe! Wie gemein du bist!“ Undertaker entfaltete sich und stand auf. Ich richtete mich ebenfalls auf und schüttelte den Kopf: „Neben dir könnte auch eine Bombe explodieren, oder?“ Undertaker gähnte und streckte sich: „Ich hab nicht gut geschlafen. Der kleine Piepmatz hat ein riesiges Theater gemacht...“ Er kratzte sich am Hinterkopf. Dann stockte er und zog seine Haare auseinander: „Was zur...?!“ Ich kicherte: „Es scheint, als habe sich Merkenau ein kleines Nest in deinen Haaren gebaut.“ „Was?!“; Undertaker zog eine Hand aus den Knoten und wischte sich den Pony aus dem Gesicht. Er blinzelte mir mit großen Augen und ungläubigem Gesichtsausdruck entgegen. Ich hatte die schmalen Augen des Bestatters noch nie so groß gesehen: „Bitte?! Das ist nicht dein Ernst!“ Ich musste weiter kichern: „Ähm... Hihi! Doch.“ Undertaker ließ die Schultern mit einem annähernd genervten Gesichtsausdruck hängen: „Oh man...“ Dann versuchte er wieder und wieder sich mit seinen langen Fingern durch seine Haare zu kämmen: „Narf! Verdammt!“ Ich kicherte weiter, während der Bestatter verzweifelt versuchte seine Haare zu entwirren. Ich entschied mich mich seiner zu erbarmen. „Zeig mal“, stellte ich mich hinter ihn. Er drehte mir den Hinterkopf zu. Ich seufzte und stupste ihm mit meinem Knie in seine Kniekehle: „Du muss schon in die Knie gehen. Ich bin klein!“ Undertaker lachte und tat wie befohlen. Ich sortierte kurz ein paar hoffnungslos verknotete Haarsträhnen. Obwohl sie so verworren waren, waren sie ganz weich und kitzelten ganz angenehm an meinen Fingerkuppen. Mir fiel des Weiteren auf, dass die Haare des Bestatters gestuft waren. Zumindest hatte er eine kurze Stufe direkt am Scheitel, die so lang war wie sein Pony. Leider machte das die Sache nur schwieriger: „Ach du heiliges. Hast du eine Bürste?“ „Natürlich“, lachte der Bestatter. „Dann hol sie. Ich schau was ich retten kann.“ Der Bestatter verschwand kurz und reichte mir dann eine große Bürste. Mit einem kleineren Exemplar kämme man bei diesem Wust an Haaren wahrscheinlich auch nicht weit. Undertaker setzte sich auf einen Sarg: „Das musst du nicht machen, ich krieg das schon alleine hin. Hehehe!“ Ich stellte mich hinter ihn und griff die Haarsträhnen so weit oben wie ich konnte, damit ich sie ihm nicht schmerzhaft herausriss: „Aber so geht es einfacher, oder?“ Undertaker lachte: „Definitiv, definitiv. Hehe.“ Ich brauchte ein bisschen, doch ich bekam die Haare entwirrt. Nach fast 25 Minuten lagen sie wieder wie gewohnt auf seinem Hinterkopf. Ein kleines Teufelchen erschien auf meiner Schulter als ich Undertaker sagen wollte ich sei fertig und riet mir ihm doch einen kleinen Streich zu spielen. Ich konnte irgendwie nicht widerstehen. „Hmmmm“, ich legte den Kopf schief: „Ich komm nicht durch. Ich glaub wir müssen deine Haare abschneiden.“ „WAAAAAAAAAAAS?!“, Undertaker sprang auf, wirbelte herum, nahm seine Haare nach vorne und umarmte sie schützend: „Bist du denn des Wahnsinns?! Lass meine Haare in Frieden, du arme Irre! Ich warne dich!“ Ich presste meine Hand vor den Mund, aber ich konnte nicht anders und musste schallend anfangen zu lachen. Undertaker schaute als verstünde er die Welt nicht mehr. Ich konnte es ihm auch nicht erklären, denn ich hielt mir meinen vom Lachen krampfenden Bauch und zeigte auf ihn, während mein Pläsier so schrill wurde, das man es teilweise nicht hörte. Lachtränen liefen mir über die Wangen. Erkenntnis kroch in seinen verwirrten Gesichtsausdruck. Wie er schaute war einfach zu herrlich! „Wie geil!“, japste ich schrill: „Dein Gesicht! Hahahaha!“ Langsam legte er eine Hand auf seinen Hinterkopf und befühlte seine Haare. Er ließ sie herunterfallen, den Kopf hängen und fing ebenfalls an zu lachen. Ich schloss die Augen und schlang beide Arme um den Bauch. Ich hatte das Gefühl ich müsste bald sterben. Auf jeden Fall würde ich einen Muskelkater zurückbehalten. „Hehehe“, lachte er. Es war dunkel, fast gefährlich: „Du raffiniertes, kleines Miststück!“ Ich hörte mit einen mal auf zu lachen. Meine Augen sprangen auf und das Lachen rieselte wie Glasscherben meine Wirbelsäule hinunter. Alle meine Härchen standen zu Berge: 'Wie hatte er mich genannt? Miststück?' Mein Atem setzte aus, genau wie mein Herz. Eine Hand bog meinen Kopf fast schon grob nach oben. „Hey!“, entfuhr es mir. Er hatte mir nicht wehgetan, aber einfühlsam ging auch anders. Ich bereute meinen Ausruf augenblicklich, als ich in zwei dunkel funkelnde, grüne Augen schaute. Mein Herz klopfte 2 Mal ganz schnell und blieb dann einfach stehen. Das Blut verschwand aus meinem Gesicht und mir wurde furchtbar kalt. „Hehehehe“, lachte er wieder so grausam dunkel durch die geschlossenen Lippen. Er hatte den freien Handrücken an die Hüfte gestemmt: „Hast du Spaß?“ Ich fing furchtbar an zu zittern. Ich hätte nie gedacht, dass eine Frohnatur so schauen konnte. Das war diabolisch! Die Wörter steckten in meiner Kehle. „Hm?“ Tränen stiegen mir in die Augen. Ich hatte auf einmal furchtbare Angst: „I- Ich...“ Auf einmal schloss der Bestatter seine Augen. Seine Mundwinkel zogen sich in ein übliches Grinsen und er fing schrill an zu lachen: „Ahihihihihhihi! Mein Gott! Schau nicht so! Mir klappte der Mund auf. Mein Herz quittiert immer noch den Dienst. Ich erstickte fast an meinen festhängenden Worten. Er tippte mir auf die Nasenspitze: „Ahehehehe! Angeschmiert!“ „Du Arschloch!“, ich stieß eine Hand nach vorne und boxte ihn in den Bauch. Meine Finger knackten und ein pochender Schmerz zog durch meine Hand. Der Bauch des Totengräbers war bretthart: „Au!“ Ich zog die Hand zurück und wedelte sie hin und her. Undertaker war zwar mit einem leisen „Uff“ ein Stück nach vorne gegangen, doch er hielt sich die Stelle an seinem Bauch lachend. Ich hatte mir wohl mehr wehgetan als ihm. Er lachte und richtete sich wieder auf: „Wer austeilen kann, muss auch einstecken können. Ehehehehe!“ „Du! Du! Du!“, stammelte ich: „Das war der totale Killerblick! Ich hab gedacht ich muss sterben!“ „Wuhuhuhu! So dramatisch war es nun auch nicht.“ „Willst du mich eigentlich verarschen! Mir ist das Herz in die Hose gerutscht!“ „Ja, mir auch!“, er streichelte sich fast ein bisschen beleidigt durch die Haare: „Weißt du wie lange ich die wachsen lassen musste?“ Ich rieb mir die Finger. Sie pochten immer noch. Undertaker nahm lachend meine Hand: „Das kommt davon, wenn man gleich handgreiflich wird, hehe.“ Dann pustete er über meine Finger. Sein Atem war so kalt wie seine Hand und kribbelte wie viele kleine Ameisen durch meine Finger. Das Blut kam ihn Überzahl in mein Gesicht zurück. „Geht es?“, fragte er. Ich nickte: „Passt schon.“ Er ließ meine Hand los. Dann wickelte er mich einfach und ungefragt aus meinem Poncho: „Warum ziehst du ihn eigentlich nie aus wenn du reinkommst? Hehe!“ „Nun ja... ich hab's einfach vergessen...“ Er musterte mich kurz. Dann hing er meinen Poncho weg und ging um den Tresen herum. Er stellte seinen Stuhl wieder hin. Merkenau hatte uns auf dem Tresen sitzend beobachtet. Vor ihm lag ein angeknabberter Keks. Raben waren schlau. Er musste ihn sich selbst geholt haben. Undertakers Blick fiel auf meine Tasche auf dem Tresen. Ein bisschen irritiert hob er sie hoch. „Das... das ist meine“, sagte ich zögerlich. „Oh“, er wollte sie wieder zurückstellen. „Nein nein“, ich ging zum Tresen. Nun war ich doch ein bisschen verlegen. Kurz haderte ich ob ich sie ihm wirklich geben sollte, doch ich wollte mich doch so unbedingt bedanken: „Das... da drin ist für dich.“ „Für mich?“, der Bestatter legte den Kopf schief und schaute auf die schwarze Tasche in seiner Hand: „Warum?“ „Ein kleines Dankeschön... Du hast mir in letzter Zeit so oft geholfen. Da... da dachte ich, ich sollte mich erkenntlich zeigen... Ich hoffe sie... schmecken dir...“, stieg mir noch mehr Blut ins Gesicht. „Schmecken?“ Ich nickte: „Schau rein...“ Er griff in den Stoffbeutel und zog das Geschenk in Plastikfolie heraus. Seine Augen wurden größer und er schaute von dem Päckchen zu mir, wieder zurück und wieder zu mir: „Hast du die selber gemacht?“ Ich nickte: „Mit Hilfe... aber ja... Deswegen sehen sie nicht ganz so toll aus.“ Die 'Schweineöhrchen' hatten teilweise eine recht eigenwillige Form. Undertaker lachte warm: „Wow. Hehe! Nicht ganz so toll? Die sehen herrlich aus!“ Ich drehte mein rotes Gesicht weg: „Ach... du musst es nicht schön reden...“ Zwei Finger unter meinem Kinn drehten mein Gesicht herum. Diesmal um einiges sanfter. „Ich rede nichts schön“, funkelten mir die grünen Augen diesmal ganz weich entgegen. Mein Blut hämmerte durch meine Venen. Trotzdem hatte ich das Gefühl mir blieb das Herz stehen. Er nahm seine Hand wieder weg und musterte die Teilchen ganz begeistert: „Tihi! So viel Mühe hat sich noch nie jemand für mich gemacht.“ Ich blinzelte: „Echt... Echt nicht?“ Er schüttelte grinsend den Kopf: „Es ist auch nicht nötig. Eigentlich helfe ich gerne. Hehe.“ Ich kratzte mich am Hinterkopf: „Es sollte nur eine kleine nette Geste sein...“ „Na, das ist dir gelungen! Ich bin überwältigt!“ „Du... Du hast sie doch noch gar nicht probiert...“ „Na. Die sind auch fast zu schön zum Essen. Thihi.“ „Dann hätte ich mir aber die ganze Mühe umsonst gemacht.“ „Touché“, Undertaker nahm mit spitzen Fingern die Schleife: „Darf ich wirklich?“ „Klar!“, sagte ich: „Es sind deine! Ich hoffe sie schmecken dir!“ Gewissenhaft zog er das rote Band ab. Die Ecken der Folie klappten auf und offenbarten das Häufchen Gebäck. Der Leichengräber nahm Eins in das obere Ende seiner Finger. Er schien ihnen nicht skeptisch gegenüber zustehen. Eher wirkte es, als sei diese Art zu Greifen einfach sein Habitus. Wie viele ungewöhnliche Dinge an ihm. Er steckte ein Teilchen in den Mund und kaute. Dann schaute er mich an. Sein Grinsen wurde breiter und seine Augen leuchteten. „Die sind fabelhaft!“, nuschelte er mit vollem Mund und schob einen weiteren hinterher, kurz nachdem er den Ersten heruntergeschluckt hatte: „Hinreißend! Die sind einfach unglaublich!“ Mein Kopf wurde wärmer und ein warmes Gefühl flackerte in meinem Bauch an: „Schön, dass sie dir schmecken.“ „Und die sind sicher alle für mich?“, fragte er ungläubig. Ich lachte zurück: „Ja, die sind alle für dich.“ Er lachte: „Du meinst es gut mit mir!“ Dann hielt er mir eins hin. Ich schüttelte den Kopf: „Das sind dei...?!“ Kaum hatte ich angefangen zu protestieren, schob er mir das Teilchen einfach in den Mund: „Zusammen Essen schmeckt aber besser.“ Ich lachte. Er lachte. Und der Tag wurde gut. Genau wie der Rest meiner Ferien. Ich besuchte den Leichengräber täglich. Spätestens ab 14 Uhr stand ich bei ihm auf der Matte und es schien ihn nicht zu stören. Im Gegenteil. Wir lachten so viel, dass ich 4 von 7 Tagen mit Muskelkater im Bauch durch die Gegend lief. Auch Merkenau machte sich prächtig. Schnell hatte der Bestatter den kleinen Raben wieder auf ein gesundes Maß gefüttert. Am 30. 10. kam Amy wieder ins Wohnheim. Ich wusste nicht warum sie unbedingt zurückkommen wollte, obwohl wir morgen wieder zu ihr fuhren. „Ich sterbe...“, warf sich Amy neben mir auf die Couch, als sie einen Tag vor Halloween wieder ins Wohnheim zurückkehrte: „Räche meinen Tod...“ „Gott, du Dramaqueen“, seufzte ich, als ich in meiner langen, violetten Jogginghose und dem schwarzen Spaghettietop auf der Couch lag und von meinem Buch aufschaute, aus dem ich es tatsächlich geschafft hatte etwas zu lernen. Irgendwie fühle ich mich in den letzten Tagen viel besser, gesetzter und sortierter. Nur Amy sah nicht ganz so ausgeruht aus. „Ehrlich“, keuchte Amy: „Wenn ich noch einmal mit Sebastian Aufschläge trainieren muss, sieht Undertaker mich bald wieder. Aber anders als ihm lieb ist.“ „Warum musstest du mit Sebastian Aufschläge trainieren?“ Irgendwie schwirrte immer ein komisches Gefühl durch meinen Magen, wenn der Name des Bestatters fiel und mein Kopf spielte wie auf Kommando die ein oder andere Szene ab. Ich war diesem Gefühl immer noch nicht annähernd auf die Schliche gekommen, doch das Gesicht und das Gekicher des wahrscheinlich morbidesten Mannes Großbritanniens steckten in meinem Kopf fest. Ich habe mir unfreiwillig die ein oder andere Nacht um die Ohren geschlagen, in der mich das Gesprochene des Leichengräbers unnachgiebig verfolgt hatte. Entweder blubberte er den totalen Schwachsinn oder gab die wohl besten Ratschläge, die mir je zu Ohren gekommen waren. Der Mann war komisch, auf die eine und die andere Weise. Amy setzte sich auf: „Wie auch immer... ich hoffe nur es war ein einmaliges Erlebnis...“ Ich blieb liegen: „Soll ich schon mal Skizzen machen?“ „Für was?“ „Deinen Sarg.“ Amy lachte. Dann erhob sie sich und hielt sich den Rücken: „Ich fühl mich nicht wie 18, sondern eher wie 81. Heilige Scheiße... Ich wusste nicht, dass man aus Volleyball einen Extremsport machen kann.“ „Apropos Alter“, ich schwang mich in den Sitz: „Kann ich dich was fragen?“ Amy blinzelte: „Klar.“ „Wie alt ist Undertaker?“ Sie blinzelte mich perplex an. Ihr Mund verzog sich ganz komisch und ich sah es in ihren Augen rattern. „Also“, begann sie schließlich irgendwann: „Wenn ich ehrlich bin hab ich keine Ahnung.“ Ich zog ungläubig eine Augenbraue hoch und die andere runter: „Was?!“ Sie hob sich ergebend die Hände: „Wirklich! Ich weiß es nicht! Ich habe ihn nie gefragt. Es war mir eigentlich auch immer egal. Warum fragst du?“ „Ich“, ich seufzte: „Habe ihn gefragt...“ „Warum fragst du dann nochmal mich?“ „Weil ich keine Antwort bekommen hatte.“ Aus irgendwelchen Gründen wirkte Amy davon nicht im Ansatz überrascht: „Nun. Vielleicht will er es einfach nicht erzählen.“ „Aber warum? Das war genau dasselbe wie mit Ronald!“ „Was war denn mit Ronald?“ „Ich wollte wissen für welche Firma er arbeitete, aber er hat einfach nichts gesagt.“ Amy wackelte mit dem Kopf. Ihr Gesicht sah irgendwie mitleidig aus: „Jaaaaaaa. Ronald redet nicht gerne über die Arbeit.“ „Aber Grell und William sind seine Kollegen oder?“ Amy nickte langsam, doch schien ihr mein Nachfragen irgendwie nicht wirklich zu gefallen: „Woher weißt du das?“ „Naja... Ronald meinte, wenn er mit dem Besten trainiert, käme er an Grell und William heran. Er meinte auch, dass William ihm Überstunden aufdonnert, wenn er mit der Arbeit nicht fertig wird.“ „Wie? Mit wem trainieren?“ „Mit Undertaker!“, antwortete ich: „Das wollte er als Dankeschön für das Reparieren von Undertakers Kühlzellen. Aber worin könnte Undertaker so gut sein, dass es ihn helfen würde Grell und William das Wasser zu reichen?“ Amy schaut zur Seite. Meine Augen zogen sich zusammen. Ich hatte irgendwie das Gefühl sie verheimlichte mir etwas. „Ich“, druckste sie: „Weiß nicht so genau was er damit meinen könnte.“ Missfallen und ein Hauch Enttäuschung surrten durch mein Herz: „Amy? Du weißt es.“ „Nein!“, meinte sie dieses Mal fester. Ich merkte wie das Missfallen langsam in eine schwere Traurigkeit kippte und die Enttäuschung größer wurde: „Du... lügst mich an.“ Amy ging vor mir in die Hocke und nahm beide meiner Hände in ihre. Sie lächelte mich an, doch wirkte sie nicht glücklich dabei: „Hör zu Sky: Wenn die Beiden dir etwas nicht erzählen möchten, gibt es Gründe dafür. Ich kenne sie gut. Sie werden gute Gründe haben. Ich kann ihnen nicht in den Rücken fallen und es dir einfach erzählen. Das müssen sie schon selber tun. Es tut mir leid. Ich hätte nicht lügen sollen. Aber die Wahrheit ist, dass ich nicht hinter ihrem Rücken etwas erzählen werde von dem sie offensichtlich wollen, dass es ein Geheimnis bleibt.“ Die Trauer und die Enttäuschung schwanden augenblicklich einem unangenehm starken schlechten Gewissen und einer großen Portion Scham. Ich ließ den Kopf hängen: „Nein, du musst dich nicht entschuldigen. Du hast Recht. Es war falsch von mir mir die Informationen durch dich erschwindeln zu wollen.“ Amy lächelte nun wieder gewohnt federleicht: „Ach Schwamm drüber! Ich versteh dich ja. Und jetzt keine schweren Gesichter mehr! “ Dann drückte mich die Phantomhive kurz. Wir unterhielten uns noch kurz über unsere Ferien. Amy hatte viel mit Sebastian für das Volleyballturnier trainiert. Laut dem Butler muss der Prefect ein Vorbild für die Anderen sein. Aber abgesehen davon waren die Ferien bei ihrer Familie wohl sehr lustig gewesen. Ich erzählte ihr von meinen Ferien. Amys Blick wurde irgendwie komisch amüsiert. Als ich ihr von Merkenau und Undertakers Haarunfall erzählte grinste sie breit. Irgendwann stand sie auf: „Ich geh kurz duschen, ok?“ Ich sprang auf als Amy aus der Türe verschwand: „Hey! Ich hatte schon angekündigt, dass ich duschen gehen will!“ „Prefect vor Fag!“, lachte Amber aus dem Flur und ich hörte die Türe zum Badezimmer ins Schloss fallen. Ich seufzte. Quiiiiiieeeeeeeeetsch! Dann ergriff mich auf einmal ein endlos kalter Luftzug. Er zehrte unangenehm an meinen nackten Armen und eine fiese Gänsehaut kroch über meinen nur mit den recht dünnen Sportsachen bekleideten Körper, als ich meine Arme um mich schlang. Ich drehte mich um. Das Fenster stand weit offen. Verwundert blinzelte ich es an. Es war bis eben noch geschlossen gewesen, dessen war ich mir ganz sicher. Zögerlich ging ich durch unsere kleine Stube und beugte mich hinaus. Es war alles wie gehabt, wohin ich auch schaute. Mit einem Kopfschütteln schloss ich das Fenster wieder. Wahrscheinlich hatte jemand von uns es beim letzten Mal nicht ordentlich geschlossen und der Wind hatte es aufgedrückt. Ich ging zu dem kleinen Kühlschrank neben der großen 3er Couch und wollte mir etwas zu trinken herausnehmen. Quiiiiiieeeeeeeeetsch! Ich schaute auf. Der pure Unglaube kehrte in mein Gesicht zurück, als das Fenster schon wieder offen stand: 'Was zur Hölle?' Ich lehnte mich nun weiter heraus. Nichts. Lediglich die Äste der großen Trauerweide von unserem Fenster wackelten im Wind, als würde sie mich auslachen wollen. „Ich brauch 'nen Kaffee...“, schloss ich das Fenster ein weiteres Mal. Nachdem ich kurz zur Kontrolle daran gerappelt hatte, ließ ich das Fenster wieder Fenster sein, in der Gewissheit es war nun wirklich geschlossen. Der kleine Kühlschrank war in einem kleinen Schrank versteckt, auf dessen Platte eine Kaffeemaschine, ein Wasserkocher und ein Toaster standen. In einem Hängeschrank darüber war ein wenig Geschirr. Eine gute Notlösung für die Tatsache, dass unser Apartment keine eigene Küche hatte. Nachdem ich auf den Powerknopf gedrückt hatte, erwachte die Kaffeemaschine sirrend zum Leben. Quiiiiiieeeeeeeeetsch! Mein Kopf flog herum und war im selben Moment sicher ich verlor meinen kleinen Rest Verstand. Das Fenster stand wieder offen! Aber ich hatte es doch überprüft! Es war fest zu gewesen! Ich kratzte mich an der Schläfe, bevor ich das Schloss des Fensters unter die Lupe nahm. Nichts. Die Riegel bewegten sich auf das Drehen der Klinke wie sie es tun sollten und auch bei ihrem Gegenstück war nichts abgeschliffen oder herausgebrochen. Mir war die Sache unerklärlich. Ein leichter Grusel mischte sich mit der Verwunderung und ließ mich schaudern. Ich schloss das Fenster ein drittes Mal und blieb ein paar Minuten davor stehen. Nichts. Brav blieb das Fenster geschlossen und ich schob das Vorgefallene auf meine fehlende Konzentration, resultierend aus meinen außergewöhnlichen Ferien. Seufzend stellte ich eine Tasse unter die Kaffeemaschine und drückte einen weiteren Knopf. Mit einem weiteren Surren machte sie sich fleißig an die Arbeit. Mit einem weiteren leisen Seufzer verschränkte ich einen Arm unter meiner Brust und wollte mit der anderen Hand gerade meinen Kaffee trinken. Quiiiiiieeeeeeeeetsch! Ich wirbelte herum: „Was?!“ Dass das Fenster nicht lautstark begann mich auszulachen, war das Einzige was fehlte: „Das gibt's doch nicht!“ Wieder fegte eine Böe des frostigen Herbstwindes durch die kleine Stube und ließ die Seiten des Buches geräuschvoll umblättern, welches ich auf den Couchtisch gelegt hatte. Perplex blinzelte ich mit weit geöffnetem Mund auf das Fenster. Das war jetzt doch unglaublich gruselig und ich fühlte mich wie die unfreiwillige Hauptperson in einem Horrorstreifen. Es ging in solchen Filmen doch immer 3 x gut und beim 4x wird man von irgendwas gefressen. Mir war vollkommen bewusst wie irrational diese Angst war, doch ich musste mich überreden ein weiteres Mal zu dem Fenster zu gehen und es zu schließen. Als ich meine Courage gesammelt hatte, stellte ich meine Tasse neben die Kaffeemaschine und huschte zu dem Fenster. „Du Frostbeule lüftest bei diesen Temperaturen?“, hörte ich von hinten. Amys Stimme ließ mich zusammen zucken und ich drehte mich um. Ich atmete ein wenig schwerer, als die Phantomhive mit immer noch feuchten Haaren und unserer üblichen 'After-School'- Montur aus Jogginghose, Flauschesocken und Spagettitop ins Wohnzimmer kam und mich irgendwo zwischen verwundert und besorgt beschaute. Ein Seufzen mischte sich in ein tiefes Durchatmen: „Das Fenster geht immer wieder auf. Es muss kaputt....“ Amys Augen wurde ungläubiger, als sie auf etwas hinter mir fielen und sie hob eine Hand um mich zu unterbrechen: „Geh vom Fenster weg und mache keine hastigen Bewegungen.“ „Amy?“, fiepste ich in einer mittelschweren aufkommenden Panik. Ich war wie versteinert und ein bedrohliches elektrisches Gefühl sprang meine Wirbelsäule auf und nieder, als mir klar geworden war, dass Amy irgendetwas hinter mir gesehen hatte. Ich hatte keine Lust darauf Protagonist in einem Horrorfilm zu sein! Meine Hände wurden schwitzig und fingen an zu zittern, genau wie meine Knie die mir den Dienst versagten. Amy streckte eine Hand aus. Jetzt wirkte sie irgendwie, als ob sie gleich lachen müsste: „Komm einfach schnell her.“ Verwirrung mischte sich in meine Minipanikattacke. Dann flauschte auf einmal irgendetwas von hinten meine locker zusammengebundenen Haare. Mit einem spitzen Schrei fuhr ich herum und rammte intuitiv meine Faust nach vorne. Erst als sie ihr Ziel gefunden hatte, sah ich was es war... oder eher wer. Über die bleiche Nase, die ich hart getroffen hatte zog sich eine lange Narbe und das von silbernen Haaren verhangene Gesicht flog nach hinten. Undertaker, der im Fensterrahmen gehockt hatte, wedelte mit beiden Armen als er krampfhaft versuchte seine Balance zu halten. Geistesgegenwärtig griff ich nach dem Tuch, welches er immer um Brust und eine Schulter gebunden hatte und wollte ihm davor bewahren aus dem dritten Stock zu fallen. Wie kam der denn hier hoch?! Und warum?! Doch irgendwie griff ich das Tuch nicht richtig und es zog sich dem Bestatter nur über den Kopf, als er hinterrücks aus dem Fenster rasselte. Es polterte fürchterlich, während der Totengräber seinen unfreiwilligen Weg nach unten hinter sich brachte. Ich hatte geschockt eine Hand vor den Mund gepresst, in der anderen hielt ich sein Tuch und mit großen Augen starrte ich aus dem Fenster: „Ach du Scheiße...“ Amy fing hinter mir grölend an zu lachen. Ich steckte meinen Kopf aus dem Fenster: „Undertaker?!“ Das war so nun wirklich nicht geplant gewesen! Warum hatte er das gemacht?! War er denn vollends lebensmüde?! Ich hoffe er hat sich dabei nicht sämtliche Knochen gebrochen! Und warum lachte Amy so dämlich?! Ich sah einen schwarzen Schuh aus dem großen Rosenbusch unter unserem Fenster schauen. Dann wirbelte ich herum, ließ das Tuch fallen und griff Amy am Handgelenk, die immer noch so viel lachte, das es fast aus dem Bereich des Hörbaren verschwand: „Komm! Wir müssen ihm helfen!“ „Hahahahaha! Ich fass' es nicht! Voll auf die Zwölf! Alle Neune! Mitten ins Schwarze!“, doch die Phantomhive lief mir hinterher aus der Türe. Im Sprint ließen wir das Treppenhaus hinter uns und rannten durch die Eingangshalle, hinaus in den Garten. „Undertaker!“, rief ich ein weiteres Mal, als wir um die Ecke des Gebäudes gerannt kamen. Der schwarze, mit Schnallen verzierte Lackstiefel lugte immer noch aus dem dornigen Buschwerk und zuckte ganz komisch. Sein Zylinder war ein paar Meter vom Busch entfernt zu Boden gegangen. Die Landung in dem stacheligen Gestrüpp muss eben so unerquicklich gewesen sein wie der Abflug an sich. „Amy!“, rief ich und ging nach unten. Ich rutschte die letzten paar Zentimeter auf meinen Knien zu dem Buschwerk: „Ruf einen Arzt!“ Ein komisches Geräusch erreichte meine Ohren, als ich an dem Rosenbusch angekommen war und gerade die ersten Äste gegriffen hatte um sie weg zu biegen. Es klang wie ein Schluchzen. Ich hielt inne. Weinte der Totengräber? Er war aus dem dritten Stock geflogen und in einem großen Rosenbusch gelandet. Verübeln konnte man ihm es wohl nicht. Doch irgendwie passte das nicht zu ihm. Ich hörte genauer hin... er... er lachte! Tatsächlich! Ich schüttelte mit einem fast fassungslosen Unglauben meinen Kopf und hörte ein weiteres Mal gründlich hin. Doch, es war wahr: Der Totengräber schien sich in dem Rosenbusch dumm und dämlich zu lachen. Trotz allem bog ich hastig die Äste auseinander. Nur weil er lachte hieß es nicht, dass er sich nicht doch verletzt haben könnte. Irgendwann hatte ich sein lachendes Gesicht ausgebuddelt. Er hatte die Augen geschlossen und die Arme um seinen Bauch gelegt. Er wackelte leicht von rechts nach links und seine Beine zuckten unter seinem kleinen Lachanfall. Er schien unverletzt zu sein. Der Typ muss mehr als einen Schutzengel haben. „DU TROTTEL!“, entfuhr es mir wütend, als meine geschockte Sorge einem komischen Anflug von Wut wich. Ich merkte wie meine Hände anfingen zu zittern und die Blätter des Rosenbusches deswegen leise zu rascheln begannen: „ICH HABE MICH ZU TODE ERSCHRECKT WEGEN DIR!“ Der Bestatter öffnete eins seiner kristallklaren Augen. Eines dieser Augen, die mich seit Nächten verfolgten. „Ich weiß. Ahehe!“, lachte er mir entgegen. Mir klappte der Mund auf und ich schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf. Undertaker nahm die Beine zu sich um Schwung zu holen und sich in seinem Busch aufzusetzen. Er grinste mich an: „Dein Gesicht war ein weiteres Mal hinreißend, liebe Sky.“ Ich merkte in meinem Kopf eine Sicherung springen. Empört und wütend griff ich ihn an der Schulter und schüttelte ihn ausladend nach vorne und hinten: „ICH GLAUB DU HAST SIE NICHT MEHR ALLE! WEIßT DU EIGENTLICH NOCH WO DER FROSCH DIE LOCKEN HAT?! ICH HÄTTE DICH FAST UMGEBRACHT!!“ Er lachte weiter, während sein Kopf locker von vorne nach hinten wippte: „Aheheheheheheheheehehehehehehehehe! Aber nur fast!“ Ich stoppte, schaute ihm ins Gesicht und zog wieder meine Augenbraue hoch: „Bitte?!“ Er lachte und streckte seinen Finger aus. Ich wusste genau was er tun wollte. Doch dieses Mal fing ich seinen Zeigefinger ab, indem ich meinen eigenen um ihn klemmte und ihn nach unten zog. Ich streckte ihm wütend meine Nase ins Gesicht: „Wenn du meine Augenbraue nicht in Frieden lässt, werde ich dich irgendwo festbinden, mir eine Pinzette schnappen und dir jedes Härchen deiner Eigenen einzeln ausreißen. Haben wir uns verstanden?“ Er lachte dunkel durch die geschlossenen, aber breit grinsenden Lippen. Mein Herz übersprang unwillkürlich einen Schlag und hing schwer in meiner Brust. Auch er streckte seine Nase mehr in mein Gesicht. Hätte er sie nicht neben meiner platziert, wären sie an einander gestupst. Ich sah durch eine kleine Lücke in seinem Pony einen Teil seiner leuchtenden Pupille. „Oh, natürlich habe ich das verstanden“, grinste er irgendwie anders als sonst und sein Flüstern hatte eine ganz komischen Unterton, als es sanft über meine Lippen rollte und ein Knistern hinterließ: „Aber vielleicht sollten wir nochmal darüber diskutieren was nach dem Festbinden alles folgen sollte. Hehe.“ Als eine ungeahnte Hitze in mein Gesicht schoss, riss ich die Augen auf und mein Herz blieb endgültig stehen. Ich ließ seinen Finger los und plumpste nach hinten: „WAS?!“ Sein Grinsen drehte sich um und mit einem fast gelangweilten Gesichtsausdruck legte er den Kopf schief: „Mein Gott, bist du prüde.“ „Bitte?!“, bei allem in der Welt, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet! Das war doch ein eindeutiges Angebot, oder?! ODER?!: 'AAAAAHHHHHHHHH!' Undertaker lachte wieder wie gewohnt und schien alles erreicht zu haben was er wollte, als er sich hinstellte. Es wunderte mich ein weiteres Mal, dass der Mann vollkommen in Ordnung zu sein schien, als er sich nonchalant ein wenig Staub von den Klamotten klopfte. Dann grinste er mich wieder an: „Du solltest ganz dringend die Idee loswerden ich sei ein kleines Unschuldslamm, liebe Skyler.“ Mit einem großen Schritt verließ er den Busch und schaute mich von oben an. Er rümpfte ein wenig sein Nase: „Aber dein rechter Harken ist ganz passabel, das muss man dir lassen. Hehe!“ Immer noch um Fassung ringend schaute ich ihn von unten an: „Du hast jetzt vollkommen den Verstand verloren, oder?“ „Ahwuwuwuwu! Nein, das habe ich schon länger. Noch nicht aufgefallen?“ Ich stand auf und verschränkte die Arme: „Was sollte die Aktion?!“ „Du hast doch vo festbinden angefangen“, machte er verständnislos, aber amüsiert. Mein Kopf wurde noch wärmer und ich wandte ihn von der einen zur anderen Seite, unsicher wo ich hin schauen sollte: „Nicht das! Und das habe ich doch nicht ernst gemeint!“ „Schade. Ich schon.“ Ich starrte ihn mit hochrotem Kopf ins Gesicht und drehte mich dann halb weg: „Lass das verdammt!“ Er fing an laut zu lachen. Im selben Moment ließ mich ein weiteres Lachen aufschauen. Amy war zu uns getreten: „Hahaha! Ich frage mich gerade wer hier wen fast umbringt.“ Undertaker grinste die Phantomhive an: „Hallo Amy. Na, ich habe keine Intension dieser Art. Hehe.“ „Dann solltest du ganz dringend aufhören. Sie ist nämlich wirklich furchtbar prüde.“ „Hey!“, machte ich beleidigt und schaute Amy an. Sie lachte immer noch: „Ach du meine Güte! Alles wird gut, Sky. Du bist heute nicht zur Mörderin geworden und deine Unschuld ist auch nicht in Gefahr.“ Mein Mund klappte auf, als mir meine reichlich amüsierte Freundin in den Rücken fiel. Ich schüttelte den Kopf, stammelte zusammenhanglos etwas vor mich hin und mein Gesicht wurde immer wärmer: „Ihr seid ein Fluch! Beide!“ Die Beiden lachten im Chor. Amy rubbelte sich über die Arme: „Lasst uns rein gehen. Es ist furchtbar kalt.“ Just in dem Moment wo sie es erwähnte merkte ich wie sehr ich fror. Wir hatten gerade mal 0°C und ich trug nur eine, wenn auch lange, Jogginghose und ein dünnes Top. „Gute Idee“, pflichtete ich ihr bei. Amy schaute ihren alten Freund an: „Kommst du mit uns? Durch die Türe?“ Er lachte ein weiteres Mal so unsagbar schrill: „Aber sicher, wenn du mich so darum bittest.“ Einen Moment später saßen wir auf unserer Sitzecke. Amy hatte sich auf den 3er Sofa breit gemacht und ich hatte mir meinen Kaffee geschnappt und mich in meinen Sessel gesetzt, nachdem ich dieses verfluchte Fenster geschlossen hatte! Undertaker setzte sich mit verschränkten Beinen und Armen auf die 2 Personen Couch, da sie als einzige frei geblieben war. „Was möchtest du hier?“, fragte Amy. „Und warum musstest du durchs Fenster kommen?“, nuschelte ich meine Tasse. Undertaker lachte: „Dein Vater schickt mich, Amy. Und das mit dem Fenster. Hehehehehe. Es wird nicht gerne gesehen wenn Männer in die Wohnheime der Mädchen kommen. Eure Lehrerin hätte mich wohl wieder hinausgeworfen.“ Das klang tatsächlich nicht ganz unlogisch. Ms. Lowell war nicht begeistert gewesen als wir mit Undertaker im Schlepptau durch die Tür gekommen waren, aber Amy hatte ihn als ihren Onkel vorgestellt und so hatten wir es geschafft ihn mit ins Wohnheim nehmen zu dürfen. „Wie bist du überhaupt da rauf gekommen?“, fragte ich skeptisch. „Ich kann halt gut klettern. Hehe.“ Auch das glaubte ich ihm eigentlich sofort. Dann fiel mir etwas anderes ein: „Das Fenster ist nicht kaputt. Das warst du oder?“ Er lachte schriller: „Ahihihihihihi! Ja, war ich.“ „Wie?“, schüttelte ich den Kopf. Er konnte ja schließlich die Klinke nicht von außen drehen. Er beschrieb mit seinen ausgebreiteten Händen einen Bogen in der Luft. „Magie“, lachte er. „Aha. Natürlich. Wie?“ Er hob seine Hand und schüttelte amüsiert den Kopf und einen Finger: „Ein guter Magier verrät nie seine Tricks.“ „Ah ja“, machte ich und überschlug meine Beine: „Jobbeschreibung: Bestatter aus Leidenschaft und passionierter Aushilfshoudini.“ Amy und Undertaker lachten. Dann schaute Amy wieder zu dem Bestatter mit den Silberhaaren: „Papa schickt dich. Wieso?“ Er griff in seine Manteltasche. Es klimperte kurz und er zog zwei silberne Ketten hervor. An ihnen hingen zwei große, silberne Pentagramme in dessen Streben kleine Symbole eingearbeitet wurden. Wo sich die Streben überschnitten leuchteten kleine Steine. Bei dem Einen von einem fast giftigen Grün mit schwarzer, linearer Maserung. An dem anderen waren die Steine von einem satten Dunkelgrün. Seine Maserung wirkte wie die Wellen, die ein einzelner Tropfen auf der Wasseroberfläche schlug. Irgendwas an dieses Ketten war komisch. Mit dem Finger konnte ich nicht darauf zeigen, doch irgendwie hatte ich das Gefühl die Luft um sie herum surrte leicht und sickerte in das silbernen Pentagramm. Gierig wirkte das schön gearbeitete Stück Silber. Gierig und unersättlich. Er hielt mit einem breiten Grinsen die Ketten zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe: „Die hier sollte ich euch geben.“ Ich zog eine Augenbraue an und stellte meine Füße auf die Kante meines Sessels: „Warum?“ „Es ist ihm und mir ein Anliegen.“ „Ihm und dir?“, selbst Amy wirkte etwas verwundert. Undertaker nickte grinsend: „Vertraut uns einfach und macht uns eine Freude. Tragt sie immer. Egal wohin ihr geht.“ Er stand auf und legte Amy die Kette mit den blauen Steinen in die Hand. Dann stand er vor mir. Ich blinzelte aus meinem Sessel zu ihm hoch und er streckte mir die andere Kette hin. Sie war außergewöhnlich hochwertig gefertigt. Jede Gravur saß, man sah nicht einen Fehler und die Steine glänzten herrlich in der goldenen Oktobersonne. Ich schaute schräg nach unten und merkte wie der rosa Schein wieder auf mein Gesicht zurückkehrte: „Das... ist wirklich nicht nötig... Gib sie jemandem, zu dem sie besser passt...“ Es war mir ja schon furchtbar unangenehm, dass Amy mir immer etwas schenken musste, doch von dem Bestatter konnte ich noch viel weniger Geschenke annehmen. Das kribblige Gefühl kehrte in meinen Bauch zurück und fuhr mir durch Arme und Beine in Finger und Zehen. Ich schüttelte mich unwillkürlich und zog meine Arme und Beine etwas näher zu mir, als ich meine Kaffeetasse fester hielt. Ich hörte ihn seufzen: „Es gibt niemanden, zu dem sie besser passt.“ Ich schaute wieder zu ihm hoch. Sein Lächeln war verschwunden. „Wa...Warum?“, fragte ich zögerlich. „Weil ich sie für dich gemacht habe.“ Meine Augen wurden größer und ich schaute wieder auf dieses silberne Stück Handwerkskunst, dann wieder in sein Gesicht: „Das warst du?“ Er nickte: „Gefällt sie dir etwas nicht?“ In seiner ruhigen Stimme klang ein kleiner Schatten mit. Ich wusste nicht genau was es war, aber er verursachte mir ein furchtbar schlechtes Gewissen: „Nein! Nein! Sie ist wunderschön! Wirklich!“ Sein Lächeln kehrte wieder ein Stück zurück, wenn auch sehr schmal: „Also?“, hielt er die Kette etwas näher vor meine Nase. „Ich... kann das nicht annehmen! Ich... ich... kann dir nichts dafür geben!“ Er seufzte wieder. Dann nahm er die zweite Hand zur Kette und öffnete den Verschluss. Als er sich zu mir hinunter beugte, verschwand die Welt ein weiteres Mal hinter einem dichten Vorhang aus silbernen Haaren und ich spürte das Gewicht der Kette, die er mir um den Hals gelegt hatte. Wo sie meine Haut berührte knisterte sie leicht und ich hatte das Gefühl sie wurde dort ein bisschen kälter. Die Härchen auf meinen Armen stellten sich aus irgendwelchen Gründen auf. Sein Gesicht lächelte mich aus der Nähe an: „Doch, kannst du.“ Ich schlug peinlich berührt die Augen nieder: „Was denn?“ „Lächle für mich.“ Mit großen Augen schaute ich ihm wieder ins Gesicht. Er hatte wieder dieses weiche Lächeln auf den Lippen, welches so unschuldig und vogelfrei wirkte. Mein Herz klopfte einen Takt schneller, als ich den Blick von seinen Lippen nahm und ihm in die Augen schaute. Da sich der große Mann so weit nach vorne beugen musste um mich in meinem Sessel zu erreichen, lag sein Pony nicht mehr in seinem Gesicht und ich konnte sehen wie seine fluoreszierenden grünen Augen mit dem Lächeln um die Wette strahlten. Das Kribbeln stieg in meine Kehle. Ich ließ meine Mundwinkel sich nach oben kräuseln, nachdem das Kribbeln mein mittlerweile stehengebliebenes Herz reanimiert hatte. Er lachte und schloss dabei kurz die Augen: „Hihi. Wunderbar.“ Dann richtete er sich wieder auf und ging Richtung Tür: „Myladys? Ich muss mich entschuldigen. Es ruft noch ein wenig Arbeit nach mir.“ Im Türrahmen drehte er sich nochmal um und verbeugte sich formvollendet mit abgezogenem Zylinder: „Wir sehen uns Morgen. Und nicht vergessen: Tragt die Ketten immer bei euch. “ „Bye 'Onkelchen' “, lachte Amy. Auch Undertaker kicherte kurz. Ich wedelte nur immer noch ein wenig überfordert mit der Hand. Kichernd wedelte Undertaker zurück und war dann verschwunden. Amy schaute mich lachend an: „Festbinden, ja?“ Ich nahm die Beine wieder vom Sessel und beugte mich wütend nach vorne: „Nicht so! Ich hab ihm damit gedroht ihm seine Augenbrauen auszureißen!“ Amy wackelte bedeutungsschwer und abwägend mit dem Kopf herum: „Ich weiß nicht, ob du ihn mit Folter abschrecken kannst.“ Ich stockte: „Was soll ich denn sonst damit bewirken?!“ „Naja“, machte Amy. Die Erkenntnis traf mich bevor sie weitersprach. Ich versteckte mein Gesicht hinter einer Hand: „Oh mein Gott Amy! Was denkst du denn?!“ Amy lachte: „Hahaha! Er hat dich auf jeden Fall ziemlich gut gekontert!“ „Halt die Klappe!“ „Hahahahaha!“ Ein Sofakissen flog in ihr Gesicht und sie kippte auf die Couch. Sie nahm es immer noch lachend von ihrem Gesicht: „Du hättest dein Gesicht sehen müssen!“ Ich kippte den Rest Kaffee hinunter und stand auf: „Ich geh duschen!“ Amy lag immer noch lachend auf dem Sofa als ich mich unter die heiße Dusche stellte. Nachdem ich geduscht hatte, hörte ich aus dem Wohnzimmer die gedämpften Stimmen irgendeines Programms aus dem Fernseher. „Ich bin in meinem Zimmer“; rief ich aus dem Flur und verschwand durch meine Türe. Als ich in meinem Zimmer saß, setzte ich mich im Schneidersitz auf mein Bett und schnappte mir einen dünnen, weißen Laptop. Es war ein Abgelegter von Amy. Sie hatte ihn mir gegeben, nachdem sie ein neueres Model bekommen hatte. Nicht, dass das Ding alt gewesen wäre. Teilweise hatte ich das Gefühl Amy besorgte sich neue Dinge nur, um die alten an mich abtreten zu können, weil sie wusste, dass ich sie mir selber nicht leisten konnte. Irgendwann, das hatte ich mir geschworen, werde ich mich für das alles revanchieren. Die Freundschaft mit Amy bedeutete die Welt für mich. Ohne sie wäre alles so furchtbar leer. Ich seufzte und surfte ein wenig sinnlos durch das Internet. Ich fand nichts sonderlich Interessantes und die Stille um mich herum ließ meine Gedanken schon wieder zu dem silberhaarigen Mann abschweifen, der heute mal wieder den Vogel abgeschossen hatte: 'Klettert durchs Fenster, pfffff. Der hat doch wirklich einen an der Murmel.' Aber irgendwie brachte mich der Gedanke auch zum Lachen. Meine Reaktion darauf tat mir allerdings furchtbar leid. Ich wollte ihm wirklich nicht wehtun, geschweige denn ihm aus dem Fenster im dritten Stock werfen. Aber er muss mich ja auch immer ärgern! Irgendwie war er schon selber Schuld gewesen. Wahrscheinlich war ich gar nicht schuld, sondern sein Karma! Ich seufzte: 'Hör auf es dir ausreden zu wollen. Es war deine Faust in seinem Gesicht. Es war deine Schuld.' Wie es dann weitergegangen war brachte mich wieder dazu einen hochroten Kopf zu bekommen. 'Oh, natürlich habe ich das verstanden, aber vielleicht sollten wir nochmal darüber diskutieren was nach dem Festbinden alles folgen sollte. Hehe', was sollte das?! Er... Er kann doch nicht gemeint haben, was ich denke er gemeint haben wollte... sollte... könnte... keine Ahnung...! Ich versteckte mein Gesicht in beiden Händen. Aber sein Tonfall war so komisch gewesen und meinte er nicht immer er lüge nie? 'Er wollte dich nur ärgern... Er wollte dich nur ärgern... Er wollte dich nur ärgern.... AAAAAHHHHHHHH! Dieser VOLLIDIOT! Sagt mir ich solle nicht denken er sei ein Unschuldslamm und grinst mich keine 10 Minuten später mit einem Lächeln an, welches selbst aus Hitler einen besseren Menschen gemacht hätte!' Ich schaute an die Decke: 'Und warum philosophiere ich jetzt schon wieder so viel darüber....?' Ablenkung! Ich brauchte Ablenkung! Also langte ich neben mein Bett. Dort standen zwei Ständer: Eine kleine schwarze Violine samt Bogen auf dem einen und eine schwarze Akustikgitarre auf dem anderen. Gitarre war ein Pflichtfach im violetten Haus. Dazu musste ab dem zweiten Jahr Gesangsunterricht und ab dem dritten ein weiteres Instrument belegt werden. Zur Auswahl standen Violine, Piano, Cello, Dudelsack, Trompete, Querflöte und Klarinette. Amy spielte Piano und ich Violine. Doch gerade griff ich nach der Gitarre. Ich schlug sie an und musste sie erst einmal stimmen. Nachdem sie nicht mehr kreuz und quere klang, spielte ich wahllos ein paar Akkorde. Irgendwann wurde daraus eine ganz passable Melodie. Ich spielte sie weiter, baute sie etwas aus und begann irgendwann gedankenlos dazu zu singen. Meine Gedanken sponnen alles zusammen, was mir so in Bauch und Seele kribbelte. Alles, was sich so vor und während der Ferien angestaut hatte. Es war befreiend und ich legte irgendwann die Gitarre beiseite und begann es aufzuschreiben. Es war mitten in der Nacht, als ich fertig war und nach hinten in mein Bett kippte. Die Türe ging auf und Amy streckte ihren Kopf durch: „Was war das für ein Lied?“ Ich setzte mich ächzend wieder auf: „Hab ich mir gerade ausgedacht...“ „Das war toll!“, sie setzte sich auf meine Bettkante: „Spiel es mir vor!“ „Okay...“, nahm ich meine Gitarre und zeigte ihr die Früchte meiner Arbeit. Amy wackelte mit dem Kopf zum Rhythmus. An ein paar passenden Stellen klinkte sie sich einfach ungefragt mit ein und begleitete mich als Hintergrundstimme. „Das ist voll gut!“, rief sie begeistert und klatschte in die Hände als ich geendet hatte: „Das musst du Halloween allen vorspielen!“ „Was?!“, fragte ich erschrocken: „Oh nein. Ich spiele und singe nicht gut genug dafür!“ „Skyler, du bist die Beste... In beiden Kursen.“ „Noten sind nicht alles!“ „Aber du bist einfach gut!“ „Nein!“ „Bitte! Tu's für mich!“ Ich schaute sie leidend an und seufzte schwer: „Ok... aber nur einmal...“ Undertaker Mein Sonntag verging normal und ohne großes Aufsehen. Ich äscherte ein paar Gäste ein und zimmerte zwei Särge. In letzter Zeit war es eher ruhig. Irgendwie gefiel mir diese Ruhe nicht. Oliver und Claude hatten nun einen unglaublichen Vorteil und nutzten ihn nicht? Komisch. Die Trancys mussten irgendetwas vorhaben. Ich war mir sicher Sebastian war an der Sache dran und solange ich nichts von den Phantomhives hörte war alles in Ordnung. Ich begleitete die Beerdigung der drei Bandenjungen am Sonntagabend. Ihre komische Bande war ziemlich zerpflückt. Man sah ihnen an, sie hatten Besuch bekommen. Ich lachte, wie immer, weswegen die Jungen keinen Verdacht schöpften wer sie verpfiffen hatte. Auch am Montag führte mich mein Weg über den Blumenladen zum alten Friedhof. Ich kümmerte mich um die Gräber von Madame Red, Lau und Co. Ich war fast fertig, da ließ mich ein leises Singen aufschauen: Die kleine Skyler tänzelte über die alten Wege und sang leise etwas vor sich hin. Ich sah diese weißen Knöpfe in ihren Ohren, durch die die Menschen seit ein paar Jahren immer Musik hörten. Ich fand sie furchtbar laut und unangenehm, doch vor allem die jungen Leute wuchsen schon fast damit auf. Ich lehnte mich mit verschränkten Armen auf einen Grabstein und musterte das Mädchen. Diese federleichte Art stand ihr gut. Sie war so leicht wie ein Mädchen in ihrem Alter sein sollte. Ich hatte sie so noch nie gesehen und irgendwie machte mich dieser Anblick glücklicher als ich dachte. Ein warmes Kribbeln surrte durch meinen Bauch. Nur wenig später drehte sie sich ruckartig zu mir um und riss sich mit fast geschockten Augen die Stöpsel aus den Ohren. „Ehehehehe. Hast du öfter so gute Laune und ich treffe dich immer an den falschen Tagen, oder ist irgendwas Tolles passiert und ich habe es verpasst?“, lachte ich. Sie antwortete nicht. Sie starrte mich nur stock und steif an. Ich lachte noch mehr: „Hihihihihi! Du machst schon wieder dein Teddybärgesicht.“ „Teddy... bär... gesicht?“, stammelte sie fast krampfhaft hervor. Ein weiteres Lachen: „Ja, ja. Das Gesicht was ein Teddybär machen würde, wenn man ihm mit einer Schere zu nahe käme. Pass auf, dass dir nicht die Knopfaugen herausfallen. Ehehehehe!“ Ihr klappte die Kinnlade auf: „I-i-i-i... So schaue ich gar nicht!“ „Ehihihihi! Doch, genauso schaust du.“ Sie streckte die Fäuste nach unten und kniff die Augen in ihrem knallroten Gesicht zusammen: „Da-da-da-das stimmt gar nicht!“ „Stimmt!“, ich legte den Kopf schief: „Ich hab noch nie einen Teddybär gesehen, der so rot werden kann. Ehehehe!“ Sie verschränkte ihre Arme und drehte sich weg. Ihre gespielte Wut war so einfach zu durchschauen: „Ich hasse es, wenn du sowas machst!“ „Hihi! Was mache ich denn?“, auf leisen Sohlen ging ich zu ihr und schaute ihr in das rote angespannte Gesicht. Ich verstand ihre Steifheit nicht. Es war doch gut, wenn sie gute Laune hatte. „Du ärgerst mich!“, rief sie aus. „Wirklich? Das ärgert dich schon? Bist du aber zart besaitet. Ahehehehe!“ Sie drehte sich zu mir und stolperte mit wedelnden Armen und einem irritierten Gesichtsausdruck nach hinten: „WA! Was zur...?! Wie...?! Meine Güte! Was machst du hier überhaupt?!“ Ich legte leise kichernd den Kopf schief: „Hihihi. Also es gibt nun wirklich überraschenderes als einen Bestatter auf einem Friedhof, oder?“ Ihre Anspannung stieg mit ihrer Schamesröte: „I-i-i-i-ich meine so weit hinten! Hier gibt es keine frischen Gräber!“ „Du weißt doch, dass ich hier hinten unterwegs bin, hehe.“ „Aber! Aber!“ Ich packte lachend ihre wedelnden Handgelenke: „Ahahahaha! Beruhige dich! Du hebst noch ab! Warum bist du denn so aufgeregt? Ist es dir peinlich, dass ich dich gut gelaunt durch die Gegend tanzen gesehen habe?“ „Ähm... vielleicht?“, schaute sie so herrlich beschämt zur Seite. „War das eine Frage oder eine Aussage?“, grinste ich. „Fang nicht wieder damit an!“, verarbeitete sie ihr kleines Déjà vu. Ich lachte weiter: „Ahahahaha! Wie knuffig!“ „Ich bin nicht knuffig!“, rief sie irgendwie schrill. „Tihi! Doch, bist du“, triezte ich sie weiter. Sie holte tief Luft und beruhigte sich wieder: „Bist du fertig damit mich zu quälen?“ „Ich dich quälen?!“, ich konnte mir ein schrilles Lachen einfach nicht verkneifen: „Ahehehe! Sowas würde mir nie in den Sinn kommen!“ „Warum... tust du es dann?“ „Tue ich nicht! Was denkst du von mir?!“, zog ich eine Schnute. „Nur das Beste...“ 'Oho! Sarkasmus! Wie herrlich!', dachte ich mir, während ich ihre Hände entließ und mein Lachen zu einem breiten Grinsen schwand: „Ich habe dir nun wirklich keinen Grund gegeben schlecht über mich zu denken, oder?“ „Ich!...Ich denke nicht schlecht über dich! Aber ehrlich: Was tust du hier?“, hielt sie sich die Hand vor den Mund als sie sich räusperte. Ich lachte wieder. Das Mädchen war so amüsant! Auch wenn ich ihre Leichtigkeit jetzt schon wieder vermisste. Schmerzlich vermisste. Komisch: „Thihi. Ich bin öfter in meiner Freizeit hier und kümmere mich um die Gräber.“ Sie legte den Kopf schief: „Warum machst du in deiner Freizeit nicht Dinge, die normale Menschen auch tun?“ „Hehe. Was tun den 'normale Menschen' in ihrer Freizeit?“, lachte ich. Sie hätte doch mittlerweile wirklich mitbekommen müssen, dass ich alles andere als normal war. „Naja... Hobbys nachgehen, sich entspannen. Sowas halt und nicht arbeiten.“ „Aber genau das tue ich doch!“ Ihr Mund stand offen in Unglauben: „Du willst mir also erzählen... Grabpflege ist dein Hobby und entspannt dich?“ „Aber natürlich!“, legte ich grinsend die Fingerspitzen zusammen: „Es bringt die Gedanken auf Linie und die herrliche Atmosphäre der Vergänglichkeit salbt die Seele. Außerdem habe ich einige Gefallen einzulösen.“ Ihr Kopf wurde schiefer: „Was für Gefallen?“ Ich schaute zu den Gräbern. Meine Arbeitsutensilien und der riesige Busch von Blumen lagen immer noch dazwischen. Sie folgte meinem verhangenen Blick und wandte sich wieder zu mir: „Warum kümmerst du dich um diese alten Gräber?“ Schweigend, doch grinsend winkte ich die kleine Sky mit mir. Warum sollte ich es ihr nur erzählen, wenn ich es ihr zeigen konnte? An dem Mausoleum der Phantomhives angekommen schloss ich die große Steintür auf und schob sie mit dem Zeigefinger auf. Ich kannte das große Mausoleum auswendig. Schließlich hatte ich es vor rund 130 Jahren auf Ciels Wunsch gebaut. Ich war stolz auf meine Arbeit. Ich fand es irgendwie schade nicht ein bisschen damit angeben zu können. „Warum zeigst du mir das?“, fragte sie, nachdem sie sich mit großen himmelblauen Augen umgeschaut hatte. Ich zeigte giggelnd auf das Steinschild am Torbogen. Es war ein Zitat von Sebastian, welches ich Stückweise umgeschrieben hatte. Der Earl Phantomhive hatte nicht nur seinen Butler. Er hatte die Fengs, die Hermanns, die von Steinen und mich. Auch die anderen drei Sensenmänner waren ihnen treuer als der gute Will zugeben wollte. „Das ist das Mausoleum von Amys Familie?“ „In der Tat, tihi. Ich pflege es seit langem. Genauso wie die Gräber draußen und das zweite Mausoleum. Es sind die Gräber von Freunden der Phantomhives. Das andere Mausoleum gehört den Midfords. Eine ihrer Töchter hat mal einen Earl geheiratet. Amys Ururgroßvater.“ „Du kennst dich aber aus.“ „Ich bin gewissenhaft, hehe“, verschwieg ich ein weiteres Mal mehr als nur die halbe Wahrheit. Sie ahnte nichts davon. Skyler wippte auf ihren Füßen irgendwie rastlos von vorne nach hinten. Neugier stand in ihrem Blick. „Tehe. Geh ruhig durch. Die Toten stören sich nicht mehr an Besuch.“ „Aber... ich weiß nicht ob es Amy recht wäre...“ „Was sollte sie dagegen haben? Und selbst wenn sie etwas dagegen hätte, wer sollte dich verraten? Die Toten fallen einem nicht mehr in den Rücken.“ Es war herzerquickend wie viel Skyler an ihrer Freundin lag. Die beiden Mädchen hatten ein sagenhaftes Glück sich zu haben. Ich merkte, dass sie es genau wussten und ihre spezielle Verbindung bis ins Letzte schätzten. „Naja... Was ist, wenn es dir oder mir rausrutscht?“ „Ehehe! Bin ich genauso dran wie du. Ich hab dich doch hier hergebracht. Nun geh. Sei neugierig. Das ist eine wunderbare Eigenschaft.“ Zögerlich ging sie in den großen, von buntem Licht erhellten, Raum. Ich verschwand. Ich kannte diese ganzen Geschichten. Ich kannte die Leute, die dort lagen. Im Mausoleum hatte ich heute nichts zu tun, also kümmerte ich mich weiter um die Gräber vor dessen Türe. „Hey!“, ließ mich Skys Stimme nach ein paar Minuten herumfahren, als ich mich um Madame Reds Grab kümmerte: „Hm?“ „Warum bist du einfach abgehauen?! Ich hab mich fürchterlich erschreckt!“ Ich musste lachen. Wie ängstlich kann man sein?: „Abgehauen? Tehehe! Ich bin vielleicht 15 Meter weg gegangen.“ „Tr...“, sie schaute nervös durch die Gegend: „Trotzdem!“ Ich warf den abgeschnittenen Zweig den ich in der Hand hatte in meinen Sack mit Kompost: „Ich möchte das hier heute noch zu Ende bringen, hehe. Verzeih mir.“ „Oh!“, machte sie nervös: „Kann... ich dir irgendwie helfen?“ Grinsend stand ich auf: „Natürlich! Du kannst mit mir die Sträuße verteilen und die Kerzen anzünden.“ Irgendwie strahlte sie: „Klar! Auf jeden einen?“ „Exakt. Streichhölzer hab ich“, ich kramte angestrengt durch meine Taschen. Ich hatte viel zu viel Kram dabei und legte das ganze Zeug auf einen Grabstein, bis ich endlich die Streichhölzer in der Hand hatte und ihr hinstreckte: „Aha! Hier! Ehehe!“ Sie nahm sie mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen: „Du solltest öfter deine Taschen leeren...“ Kichernd steckte ich den ganzen Kram wieder in meine Taschen: „Ehehehe! Ja, wahrscheinlich hast du recht.“ Eine Zeitlang huschten wir schweigend durch die Gräber und ich versank Stück für Stück in eine melancholische Nostalgie. So viele Abenteuer mit so vielen Gesichtern. Ich werde keins davon je vergessen. „Öhm Undertaker?“, weckte mich Skys Stimme. „Hm?“, ich sah, dass sie vor Laus Grab saß. „Lau und Ran Mao Feng... Sie... sind nicht zufällig mit Lee verwandt, oder?“ „Doch, doch. Sie sind seine Urururgroßeltern. Hehe!“ „Warum liegen sie hier? Sie sind doch Chinesen, oder?“ „Ahahahaha! Die Fengs sind bei weitem britischer als sie zugeben möchten! Sie sind schon lange Verbündete der Phantomhives. Wie alle die hier liegen.“ „Ok“, sagte sie, doch irgendetwas ratterte in ihrem Kopf. Sie musterte den Stein. Es stand eine kleine chinesische Geschichte darauf. Lau liebte sie, deswegen hatte ich sie in seinen Stein gemeißelt. „Diese Menschen müssen hier alle sehr weise und bewandert gewesen sein.” Ich musste lachen. Hätte sie sie doch nur gekannt: „Ahehehehehe! Wenn sie einen guten Tag hatten.“ „Bitte?“ „Ach nichts, hehe!“, dieses Mal war mir fast etwas herausgerutscht. Die Leute hier waren wirklich alle ganz einzigartig gewesen. Weise auf ihre eigene Weise, doch auf dieselbe nur allzu verrückt. Sie seufzte seicht: „Die Geschichte ist schön...“ Damit hatte sie Recht. Sie hatte Charme, doch so ganz gefiel sie mir nicht. „In der Tat, in der Tat“, hockte ich mich neben sie und zupfte ein paar Blätter von dem Grab, bevor ich sie durch meinen Pony anlächelte: „Was ist mit dir? Zhou? Oder Schmetterling?“ „Uff...“, entfuhr es ihr und sie schwieg. Ich war neugierig auf ihre Antwort. Sie würde sehr tief blicken lassen. Deshalb wartete ich geduldig und pflegte mit ein paar Handgriffen das alte Grab. Ich hatte Lau sehr gerne gemocht. Wir hatten so viel zusammen gelacht. „Schmetterling“, sagte sie irgendwann. Ich hatte leider damit gerechnet: „Schade.“ „Bitte?“ „Ich mag Zhou“, lächelte ich und begann eine Lilie aus Laus Strauß in den Zopf zu binden. Der Chinese hätte sicher nichts dagegen. Im Gegenteil: Er hätte gezwinkert und lachend mit der Hand gewunken. Sky trug den Zopf immer noch. Das warme Gefühl wurde intensiver. Irgendwie machte mich diese Erkenntnis außerordentlich glücklich. Sie nahm es wohl so ernst wie ich es gemeint hatte. „Weißt du“, begann ich immer noch mit ihrem Zopf und der Blume beschäftigt: „Ich widerspreche dieser Geschichte in Teilen.“ „In welchen Teilen?“ Ich legte den Zopf behutsam auf ihre Schulter: „Es klingt so als wären Zhou und der Schmetterling etwas Grundverschiedenes. Etwas, was nie übereinkommen könnte. Doch Zhou ist meiner Ansicht nach erst auf dem Weg ein Schmetterling zu werden. Der Schmetterling ist sein Ziel und Zhou ist unzufrieden in seinem engen, dunklen Kokon. Doch es ist der Weg, den er beschreiten muss. Ohne Fleiß keinen Preis. Ohne Anstrengungen kommt man nicht ans Ziel. Lehrjahre waren noch nie Herrenjahre. Doch viele nehmen den Weg viel zu schwer. Gestalteten ihn viel zu anstrengend. Das ist Unsinn, denn gewissermaßen ist unser Weg auch immer ein Stück unser Ziel. Hehe.“ Eine Zeit lang schaute sie mich an und schien angestrengt nachzudenken. Ich würde manchmal so gerne in ihrem Kopf Mäuschen spielen. Wir standen auf und 15 Minuten später strahlten die alten Gräber so prächtig wie einst ihre Bewohner es getan hatten: „Ahehehe! Wunderbar! Ich danke dir, liebe Sky.“ Sie drehte ihren Fuß auf dem Rasen und schaute mich mit verschränkten Armen an: „Ach... nicht dafür.“ Ihr schüchternes Verhalten ließ mein Grinsen immer breiter werden. Es war nicht schüchtern, weil sie wie alle anderen verstört von mir war. Es war irgendwie anders. Nur ich wusste nicht inwiefern. Lau hätte mir sicher helfen können. Ein stummes Seufzen fuhr durch meinen Kopf. Ich vermisste die alten Leute schon. „Was wolltest du eigentlich hier? Außer tanzen“, fragte ich als ich mein Werkzeug zusammen suchte. Ein Hauch Rosa erschien in ihrem peinlich berührten Gesicht: „Eigentlich wollte ich zeichnen...“ „Warum hast du es nicht getan?“ „Na, weil ich dich getroffen hab.“ „Ihihihi! Ich wäre der Letzte gewesen, der dich aufhält.“ Ich mochte wie sie zeichnete. Sie wirkte dabei so vollkommen fokussiert und vollkommen ausgelastet. „Ja, aber... Ich kann dich doch nicht einfach links liegen lassen...“ „Hehe. Warum nicht?“ „Das gehört sich nicht! Man kann doch jemanden den man mag nicht einfach ignorieren!“ „Hehe. Du magst mich also, ja?“ Sie schaute wieder weg: „Äh... Ja... schon...“ Ich erkannte langsam ein Muster wann sie mich anschaute und wann betont weg. Immer wenn sie sich unsicher war, floh sie meinem Blick: „Das freut mich. Wirklich. Hehehehe! Hast du es dabei?“ „Was?“ „Na das Bild vom letzten Mal!“ Skyler schaute wieder zu Boden. Warum war sie sich denn jetzt unsicher? Die Frage war doch ganz einfach und vollkommen unverfänglich: „Joa... schon...“ „Oh!“, griff ich in ihre Tasche, in der ich den Block vermutete und wollte sie so aus ihrer Unsicherheit reißen: „Das muss ich unbedingt sehen!“ „Hey!“, hüpfte und angelte sie, als ich den Block aus ihrer Griffweite zog. Sie war so possierlich klein! Irgendwann legte ich die Arme um ihre Schulter. Doch aus der Entfernung sah ich nur einen verschwommenen Fleck. Also zog ich das Bild zu meiner Nase... und die junge Skyler gleich mit: „Mhhhh! Hmmmm!“ Nach ein paar Sekunden ließ sie aus irgendeinem Grund die Arme sinken. Irgendwann lachte ich: „Hehehe! Es ist wirklich wundervoll!“ „Hm?“ „Es gefällt mir ausgesprochen gut!“ „Hm?!“, sie tippte mir gegen die Schulter. Ich merkte, dass ich sie ziemlich fest in den Stoff meines Mantels drückte: „Oh! Ehehe!“, ich drückte sie an den Schultern aus meinem Mantel. „Haaaaa! Willst du mich loswerden?! Ich kann auch einfach gehen! Du musst mich nicht umbringen!“ „Hahahaha! Das war nicht mein Plan! Wirklich.“ Sie schüttelte den Kopf, bevor sie mein Gesicht ein wenig skeptisch musterte: „Gefällt es dir wirklich?“ „Natürlich!“, es war atemberaubend! Das Mädchen hatte ein ungeahntes künstlerisches Talent: „Auf deinem Bild sehe ich besser aus als im Spiegel! Ahehe!“ „Es ist doch nur dein Rücken...“ „Das ändert nichts an der Tatsache!“ Warum wollte sie jedes Kompliment schlecht reden? Das ist ja furchtbar! Doch sie kicherte: „Wenn du möchtest kannst du es behalten.“ Ihr Kichern ließ mein Herz ein bisschen höher schlagen und ich legte den Kopf aufgrund eines unbeschreiblichen Wohlgefühls schief: „Warum?“ „Naja... Du bist drauf und es gefällt dir.“ „Willst du es wirklich weggeben?“ Sie nickte zögerlich: „Ja... an dich schon.“ „Nur an mich?“, das verwunderte mich ein Stück: Was war an mir so besonders, dass ich eines ihrer Bilder haben durfte und andere nicht? Sie nickte wieder schüchtern: „Nun... ja. Nur an dich.“ Ich schaute wieder auf das düstere Bild mit dem pastellfarbenen Himmel: „Hmmm. Es wäre mir eine Ehre!“ „Ehre?“ Ich legte der zierlichen Sky meinen Arm um die Schulter und zog sie an mich, als wir gemeinsam auf das Bild in meiner Hand schauten: „Hehe. Ja, eine Ehre. Es ist eine schöne Erinnerung an eine wertvolle Begegnung.“ „Wertvolle Begegnung?“ Lange schaute ich sie an: „Natürlich. Du bist eine sehr wertvolle Begebung.“ „Ach, an mir ist doch nichts besonders... wertvoll.... oder so.“ „Nun. Da haben wir beide wohl sehr gegensätzlich Ansichten. Hehe.“ Es war tragisch, sehr tragisch, dass sie so minderwertig über sich dachte und es schmerzte irgendwo ganz tief in mir ziehend. Das Mädchen war gar wundervoll! Und ich wollte, dass sie das endlich wusste und annahm. Ich gab ihr ihren Block: „Was tust du jetzt?“ Skyler zuckte mit den Schultern: „Naja, ich hab Ferien. Amy ist nach Hause gefahren. Eigentlich hab ich echt nichts zu tun...“ „Wenn dir langweilig ist“, lachte ich: „Ziere dich nicht dir bei mir ein bisschen die Zeit totzuschlagen. Hehe.“ „Eh... ehrlich?“ Ich packte meine sieben Sachen und ging los: „Aber natürlich!“, doch ich merkte, dass Sky stehen blieb und mich anschaute: „Nun?“ Dann zuckte sie halb lächelnd mit den Schultern: „Warum nicht“, lief sie auf mich zu. An einem großen Komposthaufen wollte ich die Pflanzenteile loswerden, doch ein spitzes Krähen stoppte mich. Ich schaute Skyler an und dann in den Kompost. Darin saß ein kleiner Rabe. Gerade kein Küken mehr, doch zu jung zum Fliegen. Des Weiteren stand ein Flügel ab. Er war offensichtlich gebrochen. „Oh nein!“, Skyler schlug eine Hand vor den Mund: „Wie süß! Aber sein Flügelchen scheint gebrochen zu sein!“ In mir wallte Wut auf den herzlosen Trottel, der das Tier dort rein geworfen hatte und Wohlgefallen über Skylers Mitgefühl auf. Ihr tat der kleine Vogel furchtbar leid und sie war aufgrund der Unmenschlichkeit, die sich uns bot genauso empört wie ich. 'Hand aufs Herz, liebe Menschen: Wo will diese Welt hin, wenn der Tod menschlicher ist als die Menschen selbst?' „Es sieht so aus“, begann ich ruhig, doch konnte nicht verstecken, dass ich merklich auf den falschen Fuß erwischt wurde: „Aber ich sehe nirgendwo Anzeichen, dass seine Eltern es füttern.“ „Wie?“ „Das ist ein kleiner Kolkrabe“, mit Symbolik rund um den Tod kannte ich mich aus und Tiere waren oft Inhalte von Symbolik: „Er ist offensichtlich noch keine 45 Tagen alt. Raben sind Nesthocker, das heißt er hätte sein Nest eigentlich gar nicht verlassen sollen. Er kann wahrscheinlich noch nicht mal fliegen. Und selbst wäre ein Unfall passiert würden seine Eltern sich weiter um ihn kümmern. Aber ich sehe nirgendwo Futterreste oder Fußspuren. Vielleicht...“, der dünne Geruch, der von dem Vogel in meine trainierte Nase stieg war der eines Menschen. Sehr aufdringlich sogar. Minzig: 'Na fabelhaft... Aftershave. Nicht gut...' „Wie ich dachte. Er riecht nach Menschen. Wahrscheinlich ist er aus dem Nest gefallen und irgendjemand hat ihn einfach auf den Kompost geworfen, wie Biomüll. Dadurch haben seine Eltern ihn verstoßen.“ Der kleine Vogel bettelte uns verzweifelt um Hilfe an. Er war so dünn. Lange schaffte er es alleine nicht mehr. „Auf den Kompost geworfen... Wie grausam! Oh, mir wird schlecht bei sowas!“, Skyler griff in meinen Ärmel und flehte mich fast verzweifelt an: „Wir können ihn doch nicht einfach seinem Schicksal überlassen! Er wird sterben!“ Wie konnte ich nein sagen? Der kleine Vogel konnte noch nichts getan haben um so einen Untergang zu verdienen und die junge Skyler schaute mich mit einem Gesichtsausdruck an, der mir fast das Herz zerriss. Sie hatte ein Paar unglaublicher blauer Augen. Ich konnte ihnen den Gefallen einfach nicht abschlagen. Mit einem Lächeln hob ich den Vogel aus seinem stinkenden Grab. Heute sollte nicht sein Tag sein, wenn ich es verhindern konnte. Er krähte mir entgegen. Dankbar. Als würde er mir schwören sich zu revanchieren. „Shhhhh“, ich lachte dabei in mich hinein: „Jetzt wird alles gut.“ Skyler kraulte den schwarzen Federball in meiner Hand. Er drehte das Köpfchen genüsslich darunter und wackelte noch schneller mit dem Flügelchen: „Ohhhh wie süß!“ Nonchalant griff ich ihre Hand und legte das Tierchen hinein. Er akzeptierte das junge Ding sofort. Ich stockte kurz: Raben und Krähen waren Wappentiere des Todes. Ich hatte von Natur aus einen Draht zu ihnen, aber Menschen? 'Komisch... Interessant, aber komisch', eigentlich waren die Tiere schlau und recht scheu: „Halt ihn kurz.“ Als ich den Biomüll auf den Kompost geworfen und alles verstaut hatte, sah ich Skyler mit einem breiten Lächeln und den sich in ihre Hand schmiegende kleinen Vogel. Er schien dem Mädchen vollends verbunden. Meine Augenbraue wanderte kurios unter meinen Pony nach oben: „Er scheint sich bei dir wohlzufühlen.“ Sie lachte: „Denkst du?“ Ich lachte ebenfalls: „Wer würde sich in den zarten Händen einer schönen Frau nicht wohlfühlen! Also, ich kann ihm nachfühlen. Tehehehe!“ Verschämt schaute das Mädchen zur Seite: „Ach hör auf damit...“ Ein Donnergrollen unterbrach den Gedanken, den ich gerade aussprechen wollte. Ein bedrohliches Surren ging durch meinen Körper, als ich den zugezogenen Himmel sah. Er war viel zu plötzlich zugezogen und die Luft knisterte angespannt. 'Sebastian', wurde mir das Gefühl gewahr: 'Er muss auf Claude gestoßen sein und das nicht weit von hier.' Ein: „Oh oh“, ertönte und der Regen rasselte auf uns hinunter. Die Präsenzen der beiden Dämonen waren stark genug um das Wetter durcheinander zu würfeln. Claude muss so viel Kraft aufwenden, dass es sein Stein nicht mehr schlucken konnte. Ich musste Skyler wegbringen! Die Beiden waren viel, viel zu nah! „Was ein Wetter“, lachte ich und überspielte meine ungute Erkenntnis. Ich warf der jungen Dame meinen Mantel über den Kopf und legte ihr Gesicht frei, bevor ich sie an der Hand nahm: „Komm schnell! Hehe! Halt unseren kleinen Freund unter dem Mantel.“ Wir liefen zu meinem Laden. Er war wahrscheinlich einer der sichersten Orte Londons, wenn es um Übernatürliches und Okkultismus ging. Doch Skyler, dieses dünne Ding, hatte nicht genug Atem um den ganzen Weg zu rennen. Daran hätte ich früher denken können. „Ich... ha... ha... kann nicht mehr...“, keuchte sie. Lachend hob ich sie von den Füßen, immer noch die dämonische Doppelpräsenz im Rücken. Ich gab ihr meinen Zylinder. „Was machst du?“ Ich schaute sie lächelnd durch meinen nassen Pony an. Ich war jetzt schon klatschnass. Besser ich als sie: „Ich will nicht, dass du nass und wieder krank wirst.“ „Und du?!“, musterte sie mich so possierlich sorgenvoll. Es gab mir immer ein warmes Gefühl, wenn sie sich um mich sorgte. Alle die mich kannten taten es nicht. Sie machten es nicht aus böser Absicht. Es gab ja einfach keinen Grund dafür. Doch es tat gut gezeigt zu bekommen, dass man jemandem am Herzen lag. Egal wie mächtig man war. „Hehe! Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komm zurecht“, rannte ich weiter. Hastig schloss ich meine Türe mit einer Hand auf, da ich Skyler in der anderen hatte. Die junge Lady wog einfach nichts! Sie war so zierlich, dünn und leicht. Ich stellte sie im Verkaufsraum auf den Boden und zog den nassen Mantel von ihrem Kopf. Sie musterte mich mit einem komischen Ausdruck, während der kleine Vogel so aufgeregt krähte: „Du bist total nass!“ Ich wischte mir beiläufig den Pony aus dem Gesicht: „Tehehe. Augenscheinlich.“ Ich wollte ihr den Vogel abnehmen: „Lass uns dem Kleinen etwas zu essen suchen und den Flügel schienen.“ Doch sie drehte ihn weg: „Erst ziehst du dich um und trocknest dich ab! Der wird in der Zeit nicht verhungern!“ Ich musste lachen: „Es ist alles ok. Wirklich, hehehe!“ „Nein, nein, nein!“, sie tippte mir energisch vor die Brust: „Umziehen! Jetzt!“ Ich hob mich ergebend die Hände: „Ok, wenn du drauf bestehst. Hehe!“ „Pronto!“ Hinter der Türe pellte ich mich aus meinen nassen Klamotten. Sie klebten unangenehm an meiner Haut. Mit einer hochgezogenen Augenbraue stand ich vor meiner Garderobenstange mit dem einsamen Regalbrett darüber, wo sich meine ganze Kleidung befand. Viel davon hatte ich jetzt nicht und nur wenig davon war mir gerade gemütlich genug. Mein gemütlichstes Assembler tropfte halt gerade über der Couchlehne so vor sich hin. Also griff ich eine - ich meine Ron nannte sie Jeans - und ein T-Shirt. Der blonde Shinigami hatte mir die beiden Teile mal gegeben falls ich mal 'nicht mehr aussehen möchte wie von vorvorvorvorvorgestern'. Respektloser Bengel: 'Freue dich auf dein Training, hehe!' Für den Moment funktionierte es. Es war trocken und gemütlicher als Hemd und Anzugshosen. Nachdem ich mir die Haare in einen Zopf gebunden hatte, ging ich zurück zu Skyler und unserem kleine Findelkind. Das Mädchen schaut zu mir und verstummte prompt. Sie starrte mich irritiert an. Dann fing ihr Gesicht an zu leuchten. Auch der kleine Rabe tat nichts und starrte mich an. Ich zog die Augen kaum merklich zusammen: 'Spiegelt er gerade ihre Gefühle?' Eigentlich machten das Raben nur bei einer speziellen Art von Menschen. Doch der kleine Vogel hatte Sky sofort akzeptiert und nun schien er ihr 1:1 nachzufühlen. Interessant. 'Könnte es sein, dass....?' Ich entschied mich den Gedanken erst zu formulieren, wenn ich ihn bejahen oder verwerfen konnte: „Was hast du? Hehe?“ „Ähm nichts...?“ „Du bist ganz rot im Gesicht. Sag nicht du hast schon wieder Fieber?“, streckte ich meine Hand zu ihr, doch sie wedelte sie weg: „Nein, es ist nur warm hier drin!“ „Soll ich ein Fenster aufmachen?“ „Du trägst nur ein T-Shirt!“ „Und? Schlimm? Hehe!“ „Öhm nein... nein... es... ähm steht dir“, ich legte den Kopf schief und sie drehte den Kopf weg wie vom Blitz getroffen. Der kleine Vogel versteckte sein Gesicht unter dem heilen Flügel: „... A-a-aber nicht, dass du frierst... Ich meine, äh, du, du bist nass geworden... ich nicht!“ „Ehehehehe! Danke, danke. Sollte ich das öfter tragen“, verstand ich ihre Worte und musste sie mit ihrer offensichtlichen Verschämtheit ein bisschen ärgern. Anderen Komplimente zu machen war ein netter Zug und nichts zum Schämen. Ich fühlte mich in den ungewöhnlichen Kleidern ein bisschen besser, doch meine Lieblingsstücke werden sie wohl nie. Sky kraulte rastlos das Vögelchen. Es 'opferte' sich: „Scho... schon... wie gesagt... es steht dir...“ „Ich überlege es mir, ahehehehehe! Wenn ich dann öfter Komplimente von schönen Frauen bekomme.“ Der kleine Vogel in ihrer Hand fiel einfach um. Ich unterdrückte mein Lachen. Fühlte sie sich gerade so? Wie pläsierlich! „Tihhihi! Und mache dir um mich keine Sorgen. Ich friere nicht“, öffnete ich das Fenster. Die Präsenzen rauschten immer noch vor dem Fenster, doch das Grollen war fern genug. Ich nahm den kleinen Vogel. Er war zu schwach um Skylers beinah Herzinfarkte weiter zu verkraften: „Armes kleines Ding. Du bist ja halb tot.“ Es fiepte. „Dann wollen wir dich mal auf Vordermann bringen“, setzte ich mich an meinen Tresen und den Vogel vor mich. Ich zerbrach einen Bambusstock, die ich eigentlich für Blumengestecke und grünen Grabschmuck benutzte und holte eine Bandage hervor. Sky lehnte sich ebenfalls auf den Tisch: „Kannst du das?“ „Joa“, tastete ich giggelnd den Flügel ab. Die Knochenteile hatten sich übereinander geschoben. Heilten sie so wäre das Tier auf ewig verkrüppelt: „Ist nicht so kompliziert. Hehe. Es tut mir leid, mein geflügelter kleiner Freund, aber das wird ein bisschen wehtun.“ Ich zog an dem Vogel und knackend schob sich der Knochen in die angestammte Position. Natürlich tat es weh und der Vogel protestierte laut. „Was machst du?!“, litt Sky mit dem Tier. „Seinen Flügel richten. Ahehehe. Oder soll er so schief zusammen wachsen?“ Sie musterte mich und das Tier fürsorglich und ich kraulte bedächtig seinen kleinen Schnabel: „Shhhh mein Kleiner, hehe. Jetzt ist es vorbei.“ Der Vogel wurde ruhig, wohl erkennend, dass ich gerade half und ich schiente seinen kleinen Flügel. Dann zerkrümelte ich ihm einen Keks auf der Tischplatte. Es wurde heikel. Verweigerte der Vogel das Essen konnte ich doch nichts für ihn tun. Nachdem er aber das Futter angenommen hatte, zerkrümelte ich ihm erleichtert einen Zweiten. Der Dritte wanderte in meinen Mund: „Hmmm...Er brauch einen Namen...“ „Merkenau!“, rief Sky ohne zu zögern. Ein Lächeln flog auf mein Gesicht. Sie war also belesen. So, so: „Wie in Goethes Fabel 'Fuchs Reineke'? Hehe! Grandiose Idee! Aber war Merkenau nicht die Krähe?“ „Ja schon...“, antwortete sie: „Aber der Rabe heißt Pflückebeutel. Das klingt ziemlich dämlich und naja... Krähen und Raben sind Artverwandte, also...“ Ich nickte amüsiert: „Wo du Recht hast. Gut: Willkommen kleiner Merkenau. Hehehehe! Fühl dich wie Zuhause.“ Kurze Zeit später ebbte der Sturm ab und die Präsenzen verschwanden. Ich konnte Skyler nach Hause gehen lassen. Sie verabschiedete sich und ließ mich und den kleinen Vogel zurück. Ich verstaute Skylers Bild in einen Rahmen und wischte über eins meiner Regale. Eine große Staubwolke ließ mich niesen. Dann stellte ich den Rahmen auf ein hohes Regalbrett und beschaute das Bild erneut: 'So ein kleines talentiertes Ding.' Ins geheim hoffte ich Sebastian hat seinen Zusammenstoß gut hinter sich gebracht. Ihn jetzt zu verlieren wäre ungut. Wäre Sky nicht dagewesen, wäre ich wahrscheinlich vorbei gegangen. Doch der Butler war eh nur immer beleidigt, wenn man ihm die helfende Hand reichte. Vielleicht hat er sich ein paar Trachten Prügel schon redlich verdient. Dieser eitle, alte Dämon: 'Hehe!' Kaum war Sky verschwunden probte der kleine Vogel einen Aufstand vom allerfeinsten und brachte mich - ein Wesen mit der Geduld von Jahrhunderten - an den Rand meiner Tierliebe. Irgendwann wollte auch ich schlafen und nicht, dass mich ein paar verschämte blaue Augen wach genug hielten, nein, saß auch der kleine Merkenau auf meinem Tresen und krähte und zeterte wie ein Weltmeister. Irgendwann räumte ich eine Schublade frei und warf drei Kekse hinein und eine kleine Schale mit Wasser. Dann setzte ich den Raben dazu und schob sie zu. Ich seufzte, als das Gezeter nun um einiges leiser war. Vielleicht brachte die Dunkelheit das kleine Tier endlich zum Schlafen. Auch Tierbabys missten ihre Eltern. Eigentlich wusste das kleine Tier nur nicht wo er war und hatte wahrscheinlich Angst. Dann ging auch noch meine Türe auf. Ein zerrupfter Butler kam hinein. „Sebastian?“, machte ich verwirrt: „Hehe! Wer hat dich denn durch den Wolf gedreht?“ „Claude und Hannah“, seufzte er genervt: „Ich bin aufgeflogen als ich ihre Villa beobachtete.“ Ich legte den Kopf schief. Die Steine müssen noch so viel verschluckt haben, dass ich zwei unterdrückte Präsenzen als eine gewertet hatte. Interessant!: „Nun, hehe, deine Präsenz ist auch nicht versteckt.“ Der Butler setzte sich auf einen Sarg. Sein Frack war total zerstört: „Genau da ist das Problem... Was ist das für ein penetrantes Geräusch?“ „Frag nicht“, lachte ich. Dann kam mir eine Idee: „Was wäre, wenn sie es wäre? Hehe.“ „Wenn was, was wäre?“, fragte der weichgeklopfte Butler erst. Dann ging ihm ein Licht auf: „Ah. Das würde für Chancengleichheit sorgen.“ Meine Augen wanderten zu der kleinen Kiste mit den Steinen: „Ich hätte einen für jeden. Tihi.“ Der Butler nickte: „Schaffst du es daraus ein Medaillon zu fertigen?“ Ich legte fast beleidigt den Kopf schief und verschränkte die Arme: „Also wirklich, Butler! Ist der Himmel blau? Ist das Gras grün? Welch eine dummdreiste Frage! Ahehehehehe!“ Der Butler justierte seine zerstörte Krawatte: „Hast du Nadel und Faden?“ „Hehe! Natürlich“, beschaute ich seine Wunden: „Dämonenschwert?“ „ Zwei Stück.“ „Wie viele haben sie?“ „Ich weiß jetzt von Zweien.“ Dämonenschwerter, Death Scythes und die Rapiere der Engel waren die einzigen Waffen, die wirklich effektiv gegen übernatürliche Wesen waren. Der Vorteil der Shinigami war, dass eigentlich jeder im Außeneinsatz eine Death Scythe besaß. Doch nicht jeder Engel oder Dämon hatte ein Rapier oder Schwert. Wenn sowohl Claude, als auch Hannah ein Schwert besaßen und wir sie nicht spüren konnten, wurde die Situation noch eine Spur verzwickter. Die Trancys müssen gesammelt haben über die Generationen. Ich wage zu bezweifeln, dass wir nun alle Überraschungen kannten. Drei Dämonen hatten sie schließlich noch und Sebastian besaß zum Beispiel kein Schwert. Seine Buttermesser konnte er dagegen wirklich in der Schublade lassen. „Na fein. Hehehe! Das kann ja heiter werden“, suchte ich Nadel und Faden für den Dämon heraus. Er nähte zumindest die großen Wunden und entschuldigte sich dann. Ich arbeite schon einmal an den Medaillons, da Merkenau immer noch nicht den Schnabel hielt. Irgendwann holte ich den Vogel wider aus der Schublade und setzte ihn auf den Tisch. Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und schaute ihn an: „So läuft das nicht, kleiner Mann“, seufzte ich: „Ahehehehehe! Wenn du dich nicht benimmst, werfe ich dich raus!“ Das Vöglein verstummte und irgendwann schlief ich einfach mit den Kopf auf dem Tisch ein. Ich spürte ein Ziehen an meinen Haaren und eine dumpfe Stimme flog in meinen teerschwarzen Kopf: „Jetzt steh auf!“ Ich wedelte mit der Hand. Ich war müde: „ZZZzzzzz... narf... nüff... ZZZzzzzz...“ Ich driftete wieder langsam in mein Traumschwarz, da spürte ich etwas an meiner Nase. Ein Zucken ging durch meinen Körper: „Ha!“ Keine 3 Sekunden später wieder ein Kitzeln: „Haaaaa!“ Beim dritten Kitzeln brach der Damm: „HATSCHIE!“ Ich flog nach hinten und merkte wie ich nach hinten kippte. Mit Armen und Beinen rudernd war ich sofort wach: „Woah! WA!“ Alle Bemühungen waren vergebens. Ich kippte mit dem Stuhl nach hinten und bunte Sternchen flogen durch meine Welt, als ich mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug. Die Beine kippten mir übers Gesicht und alles drehte sich. „Alles ok?!“, fragte eine Stimme. 'Sky?', ich schaffte ein Lachen, während mein Kopf noch vor sich hin pochte: „Ahehehehe! Wie gemein du bist!“ Ich kippte die Beine nach vorne und stand auf. Und tatsächlich: Hinter meinen Tresen stand Skyler und wirkte ansatzweise belustigt: „Neben dir könnte auch eine Bombe explodieren, oder?“ Ich streckte mich und gähnte müde: „Ich hab nicht gut geschlafen. Der kleine Piepmatz hat ein riesiges Theater gemacht...“ Ich kratzte mich am Hinterkopf und fuhr mir müde durch die Haare, doch schnell blieben meine Finger stecken. Ein Ziehen surrte durch meinen lädierten Kopf und durch meine trägen, noch halb schlafenden Gedanken: „Was zur...?!“ Skyler kicherte leise: „Es scheint als habe sich Merkenau ein kleines Nest in deinen Haaren gebaut.“ „Was?! Bitte?! Das ist nicht dein Ernst!“, ich wischte mir den Pony aus dem Gesicht um ihres zu studieren. Sie veräppelte mich oder? Doch sie wirkte amüsiert, aber ehrlich: 'Das ist jetzt ein schlechter Scherz...' Die Belustigung des Mädchens hielt an: „Ähm... Hihi! Doch.“ Skys Amüsement und Gekicher zündete wieder diesen warmen Funken an, doch der Piepmatz nervte mich gerade ein wenig: „Oh man...“ Ich konnte versuchen was ich wollte. Meine Haaren waren vollkommen verknotet und unterbreiteten mir diese Tatsache schmerzvoll und unmissverständlich, als ich mit den Fingern hindurch wollte: „Narf! Verdammt!“ Skyler lachte, doch stellte sie sich hinter mich: „Zeig mal.“ Obwohl ich ihr den Hinterkopf zudrehte knuffte sie mich in die Kniebeuge: „Du muss schon in die Knie gehen. Ich bin klein!“ Mit einem Lachen folgte ich. Sie untersuchte kurz meine Haare und seufzte dann: „Ach du heiliges. Hast du eine Bürste?“ „Natürlich.“ „Dann hol sie. Ich schau was ich retten kann.“ Ich holte flott eine Bürste aus dem Bad und setzte mich auf eine Sarg: „Das musst du nicht machen, ich krieg das schon alleine hin. Hehehe!“ Doch Sky nahm die Bürste und versuchte sich dann als Retter für meine Frisur: „Aber so geht es einfacher, oder?“ Ich lachte: „Definitiv, definitiv. Hehe.“ Die Tortur dauerte fast 25 Minuten. Es zog und zerrte. Zippte und riss. Doch ich blieb stumm. Obwohl meine Kopfhaut irgendwann ganz unangenehm brannte, huschten die geschickten Finger des Mädchens so angenehm durch meine langen Haare. Ein komisches Gefühl von Wohligkeit und Frieden legte sich auf mein Gemüt. „Hmmmm“, machte es irgendwann: „Ich komm nicht durch. Ich glaub wir müssen deine Haare abschneiden.“ „WAAAAAAAAAAAS?!“, ich sprang auf sobald das Gesagte verarbeitet war. Ich brachte dafür keine Sekunde. Schützend umklammerte ich meine Haare. Sie waren mir heilig! Ich stellte sie nicht über alles andere, aber wenn es sich verhindern ließ kam ihnen sicher keine Schere zu nah! Sie waren eins meiner Markenzeichen: „Bist du denn des Wahnsinns?! Lass meine Haare in Frieden, du arme Irre! Ich warne dich!“ Sky schaute mich einen Moment an und krampfte sich dann nach vorne. Eine Hand um den Bauch, die andere vor dem Mund begann sie so wunderbar glockenhell zu lachen. Tränen rannen über ihr Gesicht und ihr Lachen verschwand in unhörbare Höhen. So sehr ich dieses Lachen auch mochte, es geschah etwas sehr seltenes. Eigentlich hatte es Premiere, was mich insgeheim zutiefst verstörte: Ich verstand den Witz nicht. Ich hatte keinen Schimmer worüber sie lachte. Wir hatten über meine Haare geredet und dann...: 'Nein!' Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich befühlte meinen Hinterkopf: Alle Knoten waren raus gekämmt. „Wie geil!“, japste sie schrill: „Dein Gesicht! Hahahaha!“ Sie hatte mich veräppelt! Sie hatte mich erfolgreichst reingelegt! Nach allen Regeln der Kunst! 'Das gibt Krieg, hehe! Lege dich nicht mit dem Meister an!' „Hehehe“, lachte ich dunkel. Es kroch tief aus meiner Kehle und ließ sie vibrieren: „Du raffiniertes, kleines Miststück!“ Sky erstarrte. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie wurde leichenblass: 'Hehe!' Ich bog ihren Kopf etwas rabiater nach oben, doch war ich bedacht ihr nicht weh zu tun, als ich meinen anderen Handrücken in die Hüfte stemmte und meine Wirbelsäule straffte. Sie knackte. „Hey!“, rief sie aus, doch dann erstarrte sie wie eine Maus, die der Schlange in den Schlund schaute. Ich genoss die Früchte meiner Rache ein wenig: „Hehehehe! Hast du Spaß?“ Sie begann in meiner Hand zu zittern. „Hm?“, trieb ich das Spiel ein wenig weiter. Paniktränen standen in ihren Augen: „I- Ich...“ Ich schloss meine Augen und zog meine Mundwinkel in die gewohnten Falten, als ich lachte. Das Spiel ging weit genug. Dass sie anfing zu weinen, wollte ich nicht: „Ahihihihihhihi! Mein Gott! Schau nicht so!" Fassungslos starrte sie mich an, als ihr aufging, dass ich sie ebenfalls verschaukelt hatte. Ich tippte ihr auf die Nasenspitze: „Ahehehehe! Angeschmiert!“ „Du Arschloch!“, boxte sie mir aufgeregt in den Bauch. „Uff“, ging ich überrascht mit dem Oberkörper ein Stück nach vorne. Die Kleine kann ja richtig aufmüpfig werden: 'Steht ihr! Hehe!' Doch wusste sie nicht, dass ich ein gut trainierter Kämpfer war. „Au!“, folgte es auf den Fuß und sie wedelte mit ihrer Hand. Ich lachte und richtete mich wieder auf: „Wer austeilen kann, muss auch einstecken können. Ehehehehe!“ „Du! Du! Du!“, machte sie unsortiert und irgendwie tief erschüttert. Vielleicht war es doch ein wenig zu viel des guten gewesen. Ich unterschätzte meine Augen manchmal doch, weil ich sie immer versteckt hielt und die Leute so nicht auf sie reagieren konnten: „Das war der totale Killerblick! Ich hab gedacht ich muss sterben!“ „Wuhuhuhu! So dramatisch war es nun auch nicht.“ „Willst du mich eigentlich verarschen! Mir ist das Herz in die Hose gerutscht!“ „Ja, mir auch!“, ich fuhr mir absichtlich eitel durch die Haare: „Weißt du wie lang ich die wachsen lassen musste?“ Sie rieb sich die pochende Hand. Ich nahm sie mir lachend: „Das kommt davon, wenn man gleich handgreiflich wird, hehe.“ Dann pustete ich über ihre roten Finger. Ich schaute zurück in ihr mittlerweile satt rotes Gesicht: „Geht es?“ Sie nickte überfordert: „Passt schon.“ Ich ließ von ihr ab und zog ihr ohne zu fragen den dicken Poncho aus: „Warum ziehst du ihn eigentlich nie aus, wenn du reinkommst? Hehe!“ „Nun ja... ich hab's einfach vergessen...“ Mein Blick blieb kurz auf ihr hängen. Sie trug eine fast verruchte Kombination aus Netz und Schwarz. Es stand ihr. Es war ein bisschen elegant und ein bisschen urban. Ich zwang mich sie nicht weiter zu bemustern und hing ihren Poncho an meine kleine Garderobe. Danach stellte ich meinen Stuhl wieder hin. Merkenau musterte uns vom Schreibtisch aus. Er hatte sich einen Keks zum Frühstück erobert. Dann fiel mir eine fremde Tasche auf. Ich hob sie an und wollte schauen zu wem sie gehörte. Nicht, dass Sebastian irgendwas vergessen hatte, was vielleicht wichtig war. „Das... das ist meine“, sagte Sky zögerlich. „Oh“, ließ ich den Beutel sinken, bevor ich reingeschaut hatte. „Nein nein“, sie kam zu mir und wirkte wieder ein bisschen zögerlich: „Das... da drin ist für dich.“ „Für mich?“, mit schiefem Kopf musterte ich den Beutel: „Warum?“ „Ein kleines Dankeschön... Du hast mir in letzter Zeit so oft geholfen. Da... da dachte ich, ich sollte mich erkenntlich zeigen... Ich hoffe, sie... schmecken dir...“, wurde sie wieder so prächtig rot. „Schmecken?“ „Schau rein...“ Ich griff in den Stoffbeutel, erfühlte etwas aus Plastik und zog es heraus. Meine Augen wurden größer, als ich auf das große Päckchen voll Gebäck schaute. Sie sahen prächtig aus und aufwendig! Und das sollte für mich sein? Wieso? Ich schaute ein wenig überfordert und über alle Maßen berührt zwischen Sky und dem Gebäckbeutel hin und her. Der warme Funken wurde ein heißes Flackern: „Hast du die selber gemacht?“ Sie nickte kurz: „Mit Hilfe... aber ja... Deswegen sehen sie nicht ganz so toll aus.“ 'Nicht so toll?! Wie bitte? Skyler, du kleines, komisches Mädchen!' Das Flackern in Brust und Bauch zogen meine Mundwinkel weiter nach oben und ich lachte warm: „Wow. Hehe! Nicht ganz so toll? Die sehen herrlich aus!“ Sie drehte ihr rotes Gesicht weg: „Ach... du musst es nicht schön reden...“ Mit Zeige- und Mittelfinger drehte ich ihr süßes Gesicht zu mir: „Ich rede nichts schön.“ Sky schaute mich einen Moment stumm an. Ich schaute zurück. Die Zeit ran mir aus den Fingern. Gerührt von der lieben Geste, erschüttert davon wie schlecht Skyler sie darstellte. Selbst, wenn die Teilchen aussehen würden wie Grell nach dem Aufstehen, würde es die Wärme nicht im Geringsten mindern. Der Gedanke war bezaubernd! Die hineingesteckte Mühe war spürbar! Mein Herz hüpfte komisch auf und ab. Das Gefühl irritierte mich im hohen Maße, doch wurde mein Grinsen nicht kleiner: „Tihi! So viel Mühe hat sich noch nie jemand für mich gemacht.“ „Echt... Echt nicht?“, wirkte sie verwundert. Ich schüttelte grinsend den Kopf: „Es ist auch nicht nötig. Eigentlich helfe ich gerne. Hehe.“ 'Und die Leute mussten halt bezahlen. Auch du bezahlst mich ständig. Du weißt es nur nicht! Im Leben gibt es nichts umsonst.' Das dünne Mädchen kratzte sich am Hinterkopf: „Es sollte nur eine kleine nette Geste sein...“ „Na, das ist dir gelungen! Ich bin überwältigt!“, rief ich aus. Und das war auch so. Sie hatte mich damit vollkommen unerwartet und auf eine Art und Weise erwischt, die ich... einfach nicht kannte. „Du... Du hast sie doch noch gar nicht probiert...“ „Na. Die sind auch fast zu schön zum Essen. Thihi.“ „Dann hätte ich mir aber die ganze Mühe umsonst gemacht.“ „Touché“, ich nahm die Schleife: „Darf ich wirklich?“, wollte ich mich noch einmal rückversichern. „Klar! Es sind deine! Ich hoffe sie schmecken dir!“ Ich öffnete das Päckchen und die Folie offenbarte mir einen Geruch nach Zucker, Zimt und Schokolade. Ich steckte ein Teilchen in den Mund und kaute. Sie waren süß. Ich kannte das Gebäck von Charlie, doch ihre Version schmeckte um Längen besser. Ich wollte fast behaupten sie waren mit einer großen Portion Liebe gebacken worden. Auf jeden Fall mit viel Passion. Irgendwie hörte sich das Wort 'Liebe' auf eine ganz komische Art und Weise merkwürdig an. Ich schaute Sky an, als der süße Geschmack nach Zucker, Zimt und Zartbitterschokolade meine Lippen hochzog und in meinen Augen leuchtete. „Die sind fabelhaft!“, kaute ich reichlich unmanierlich: „Hinreißend! Die sind einfach unglaublich!“ Man sah ihr ihre verhaltene Freude an. Das Mädchen war kein Typ für sprudelnde Emotionen, doch ich sah, dass es ihr wichtig war, dass es mir schmeckte. Und das tat es! „Schön, dass sie dir schmecken“, lächelte sie wunderbar. Mein Herz hüpfte von links nach rechts und wieder zurück. „Und die sind sicher alle für mich?“, fragte ich ungläubig. Sie lachte mir so herrlich glockenhell entgegen: „Ja, die sind alle für dich.“ Ich musste mit lachen: „Du meinst es gut mit mir!“ Dann hielt ich ihr eins hin. Doch Skyler schüttelte den Kopf: „Das sind dei...?!“ Beiläufig erstickte ich ihren Protest mit Gebäck: „Zusammen Essen schmeckt aber besser.“ Sie lachte kauend und ich musste einfach mit machen. Als sie gegangen war, blieb ich mit einem Berg von Gebäck und einem hin und her hüpfenden Herzen zurück. Meine Gefühle schlugen hohe Wellen und die ganzen Begegnungen mit der junge Skyler rasten in mir auf und nieder und lösten so viel gleichzeitig in meiner alten Seele aus. Ich kannte nichts davon. Skyler kam täglich vorbei. Sie war mir ein immer gern gesehener Gast. Es war das erste Mal, dass ich mit meiner Arbeit in Zugzwang geriet. Wenn das Mädchen mich besuchte, ließ ich meine Gäste in ihren Fächern und auch Holz und Steine ließ ich Holz und Steine sein. Es freute mich, dass sie so viel Freude an dem kleinen Raben fand. Die Beiden waren ein Herz und eine Seele und auch ich gewann das treue Tier stetig lieb. Auch der kleine Merkenau gewöhnte sich bei mir ein und ließ mich schlafen, wenn ich meine Nachtschichten beendet hatte, die ich einlegen musste um die tagsüber ignorierte Arbeit zu erledigen. Nur wenn eine Beerdigung anstand verblieb das Mädchen allein mit dem Vogel in meinem bescheidenen Laden. Ich hielt meinen Zeitplan trotz allem. Auch die Medaillons bekam ich fertig. Das Material dafür hatte ich sehr früh morgens besorgen müssen. Des Weiteren feilte ich noch an Skylers Geburtstagsgeschenk. Langeweile hatte ich wirklich nicht und es war gut so! Selten fühlte ich mich ausgelasteter! Jedes Steinmedaillon bekam die Form eines Pentagramms. Dem traditionellsten Schutzzeichen, das es gab. In die Streben arbeitete ich etliche andere schutzbedeutende Symboliken aus aller Welt ein. Dem Zufall überließ ich nichts. Dinge, die an Auren und Präsenzen wirken, mussten funktionieren oder sie bringen das Wesen aus dem Gleichgewicht. Das kann übel enden. Jedes Einzelne überzog ich mich Silber. Ihm wurde im Okkultismus Schutz und Reinigung zu gesagt. Des Weiteren bekam jede Kette kleine Steine, die dem Zodiac des späteren Besitzers entsprach, zwischen die Streben gesetzt: Serpetin für Amber Malachit für Skyler Roter Jaspis für Frederic Rubin für Lee Aquamarin für Charlie Amazonit für Frank Tansanit für Alexander Honigcalcit für Heather Bei Sebastian und den Shinigami stand ich vor einer Aufgabe. Sie hatten keine Sternzeichen und auch keine Verbindung zur Astrologie. Also wählte ich für Grell, Ronald, William und mich Granat, da er im viktorianischen England gerne als Grabschmuck verwendet wurde und so einen Todesaspekt innehatte. Für Sebastian hatte ich etwas ganz Besonderes: Ich war vor Jahrzehnten mal an Höllenstein gekommen. Gestein entsprungen der Hölle selbst. Es war kein großer Brocken, doch ich opferte das meiste davon für das Medaillon des Dämons. Er wird mit ihm wunderbar harmonieren. An den Ketten verbrachte ich mehrere Abende. Umso stolzer war ich, als ich fertig war und sie verteilen ging. Die Idee war schon durch Sebastian an die Anderen getragen worden. Sie stieß vor allem bei Alex auf Anklang, der um seine leibliche und vererbte Familie mehr als besorgt war. Denn das waren die Aristokraten des Bösen und die drei Shinigami mittlerweile: Eine Familie. Mit allen Höhen und Tiefen. Doch jeder war akzeptiert. Egal, wie schräg oder schwierig er war. Untereinander hielten wir viel von den Anderen und allen Verschrobenheiten, die ihn ausmachte. Wir hielten eng zusammen, gegen alles und gegen jeden. Auch wenn es die ganze Welt oder das Schicksal selbst sein sollte. Denn diese Menschen und Wesen, hier und jetzt, auf diesem Fleck: Das war Schicksal. Und dieses Gefühl blieb mit jeder neuen Generation. Im Büro der Shinigamis traf ich prompt auf William. Er wollte mich schleunigst wieder loswerden. Bearbeitete mich mit Vorschriften und Paragraphen. Ich drohte im Stehen einzuschlafen. Also tat ich ihm, oder eher mir, den Gefallen schnell ihr, und eigentlich auch mein Reich, wieder zu verlassen. Ich gab William die drei Ketten. Er verstand ihren Nutzen und wird sie zuversichtlich an Ronald und Grell weiterreichen. Die Shinigami hatten als letztes Lust in einer Falle der Trancys zu landen. Ich schritt zurück in die Menschenwelt und erwehrte mich einem kurzen Anflug von Heimweh: Die Welt der Shinigami... War sie meine? Oder war sie es nicht mehr? Manchmal kam ich ins Stocken bei der Frage wo ich hin gehörte. Doch die Antwort, die kannte nach all den Jahren nicht mal mehr der Wind. Lee besuchte ich rasch im East End. Der geschäftige Jungunternehmer war eigentlich unpässlich, nahm aber die Kette mit den roten Steinen dankbar entgegen. Charlie und Frank fand ich bei den Phantomhives, wo ich auch bis auf 2 alle Ketten loswerden konnte. Auch Sebastian sah nicht mehr ganz so zerstört aus. Man merkte, dass der Dämon an seiner Rache feilte. Fred berichtete mir, dass Amy wieder im Wohnheim bei Skyler war. Nachdem mich Alexander zum Mittagstee eingeladen und wir uns ein paar Runden gepflegt unterhalten hatten, machte ich mich auf den Weg zu den beiden Mädchen. Zu den beiden Mädchen zu kommen war allerdings auch die größte Kunst an diesem sonnigen Oktobermittag. Durch die Türe würden mich die Lehrerinnen nicht lassen. Aber wo Gott eine Türe schließt, öffnet der Teufel ja bekanntlich ein Fenster! Also hockte ich in der großen Trauerweide, die Brille auf der Nase, und beschaute die Mädchen durch ihr Wohnzimmerfenster. Skyler wirkt in den letzten Tagen so herrlich entspannt. Auch jetzt war es eher Amy, die ein wenig zerrupft wirkte. Alex erzählte schon, dass Sebastian ein bisschen seine Aggressionen an ihr ausgetobt hatte. Nicht, dass es dem Dämon gereicht hätte. Unter der glatten Maske schäumte er vor Wut! Der Anblick war herrlich! Die Mädchen führten ein nicht ganz so entspanntes Gespräch. Ich hatte gute Ohren, aber durch die dicken, alten Wände drang kein Ton zu mir. Dieses Mal blieb ich wohl unwissend. Fürs Erste. Irgendwann verschwand Amy. Skyler stand mit ihrem Rücken zum Fenster und schüttelte, die Hände in die Hüften gestützt, den Kopf. Ich balancierte auf das vordere Ende eines Astes. Mit einem Tippen meines Fingers schwang das Fenster auf: Quiiiiiieeeeeeeeetsch! Die kleine Sky begann in ihrer dünnen Kleidung zu frösteln. Sie schaute sich perplex im Zimmer um. Obwohl ich ihre Mimik nur halb erhaschte brachte sie mich zum Kichern. Ich entschied mich spontan zu einer kleinen Racheaktion für die Sache mit meinen Haaren und zog mich stumm kichernd in das dichte Blätterwerk der Weide zurück. Zögerlich streckte das hübsche Ding ihre bleiche Nase aus dem Fenster. Auch hier suchte sie relativ ratlos nach der Ursache des plötzlich offenstehenden Fensters. Die skeptische Verwunderung auf ihren dünnen Zügen verlangte mir eine Menge Selbstbeherrschung ab. Doch ich hielt es zurück, bis sie kopfschüttelnd das Fenster wieder geschlossen hatte. Kichernd huschte ich wieder auf die Spitze des alten, dicken Astes. Das junge Ding beugte sich zu einem Kühlschrank. Ich kicherte schelmisch. 'Einmal noch!', tippte ich wieder gegen das Fenster: Quiiiiiieeeeeeeeetsch! Als sie ungläubig zu dem Fenster schaute, verschwand ich wieder leichtfüßig zwischen den Schatten der Blätter. Sie streckte sich halb aus dem Fenster. Ich hatte fast Sorge sie fiel heraus. Ihr Blick fiel in meine Richtung. Ich dachte erst sie hatte mich entdeckt, doch war es nur der Wind der die Blätter rascheln ließ und ihre Aufmerksamkeit auf den Baum lenkte. Sie konnte mich auch nicht bemerken. Ich trug drei der Steinmedaillons bei mir und war geübt darin in Schatten zu verschwinden. Wollte ich es nicht, fand mich niemand. „Ich brauch 'nen Kaffee...“, hörte ich sie seufzen und sie schloss das Fenster wieder. Ich sah sie durch die Scheibe am Fenster rütteln um sicher zu gehen, dass es nun geschlossen war. Ich konnte einfach nicht anders: Quiiiiiieeeeeeeeetsch! 'Nochmal!', verschwand ich ein drittes Mal. Der verdutzte Gesichtsausdruck der jungen Dame war goldwert! Ich drückte die Hand vor den Mund um mein Lachen zu ersticken und sah durch die Blätter wie sie das Schloss des Fensters einer genauen Untersuchung unterzog. In ihrem Gesicht stand die pure Erklärungsnot als ihr aufging, dass mit dem Fenster alles in bester Ordnung war. Sie schloss es und der Wind nahm mein leises Kichern mit sich. Skeptisch stand die schöne Brünette vor dem Fenster und beschaute es in einer einzigartig, skeptischen Ideenlosigkeit. Ich sah selbst auf die Entfernung und die Fensterscheibe die Gedanken hinter ihren Augen rattern. Mit einem Seufzen ging sie zurück zu ihrer Kaffeemaschine. Mir den Rücken zugewandt nippte sie an ihrer Tasse. 'Man dreht einem widerspenstigen Fenster doch nicht den Rücken zu! Hehehehehe! Du wärst keine gute Besetzung für einen Horrorfilm!' Quiiiiiieeeeeeeeetsch! „Was?!“, hallte es durch das Loch in der Wand, als ich mich wieder versteckt hatte: „Das gibt's doch nicht!“ Sie stand eine Zeitlang wie angewurzelt im Raum. Ich wackelte auf meinem Ast mit den Beinen, als ich die Hand so fest ich konnte vor meinen Mund drückte um mein Lachen unter Kontrolle zu halten. Dieses Gesicht: 'Ahehehehehehehe!' Zögerlich stand Sky nach ein paar Minuten wieder im Fensterrahmen. Da erschien Amy in der Tür: „Du Frostbeule lüftest bei diesen Temperaturen?“ Skyler fuhr erschrocken herum. Ich atmete tief durch, brauchte aber noch ein bisschen um das penetrante Giggeln loszuwerden. Das junge Ding atmete einmal durch. Sie zitterte ein wenig: „Das Fenster geht immer wieder auf. Es muss kaputt....“ Ich balancierte wieder über den Ast und schwang mich lautlos in die Hocke in den Fensterrahmen. Die kleine Skyler bemerkte mich nicht. Amy sah mich allerdings sehr wohl: „Geh vom Fenster weg und mache keine hastigen Bewegungen.“ „Amy?“, Sky klang, als erwartete sie den Leibhaftigen hinter sich. Ich gab zu, dass Amys Ausspruch wirklich nicht gerade dazu beitrug sie zu beruhigen. Sollte es auch nicht: Ich wusste wie schadenfroh die junge Phantomhive war. Ich legte einen Finger an meine Lippen und grinste. Amy grinste zurück und hielt Skyler fast lachend eine Hand hin: „Komm einfach schnell her.“ Das Mädchen reagierte aus irgendeinem Grund nicht. Ich konnte selbst an ihrem Rücken sehen wie erstarrt sie war. Mit spitzen Fingern fuhr ich durch das seidenweiche Haar. Mein Karma fand mich und traf mich hart. Das Mädchen schrie als ob man sie gerade aufspießen würde. Ich wollte anfangen zu lachen, da nahm die ganze Sache eine doch eher... ungeplante Wendung. Ein dumpfer Schmerz gefolgt von vielen, vielen bunten Sternchen fuhr durch mein Gesicht. Vollkommen überrascht flog mein Kopf nach hinten. Mein Oberkörper folgte. Ich wurde mir dem Unvermeidbaren noch bewusst und kämpfte mit rudernden Armen dagegen an, als ich das Gleichgewicht verlor. Doch die Schwerkraft war ja bekanntlich der Feind allem Bösen. Ich sah noch Skylers geschocktes Gesicht durch die vielen bunten Sterne. Dann griff die Kleine mein Tuch um mich von meinem Abflug zu retten. Ich wusste wie leicht sie war. Retten tat sie niemanden. Sie stürzte höchsten mit mir ab. Also drehte ich meinen Hals so, dass mir das Tuch von Körper rutschte und beging meinen Absturz alleine. Mir wird nichts geschehen. Sie hätte sich schrecklich verletzen können. Hinter mir ging es acht Meter in die Tiefe. Die Welt schlug vor meinen Augen Purzelbäume, als ich die Hauswand entlang hinunter purzelte. Hut und Brille fielen von meinem Kopf. Bis hier stimmte ich meinem Karma zu: Das hatte ich wahrscheinlich verdient. Der Rosenbusch, der mich so liebevoll mit seinen dornigen Ärmchen fing, der stand zur Diskussion. Grüne Blätter wackelten vor meinen Augen, als ich unsanft auf dem Boden angekommen war und sich die Dornen der biestig schönen Pflanze in meine Kleider harkten. Trotz allem: Ich musste lachen als ich mir bildlich vorstellen konnte wie schön dämlich mein Abflug gewesen war. Selbsthumor war eine Kunst, die ich genauso perfektioniert hatte wie Schadenfreude. „Undertaker!“, hörte ich eine helle Stimme durch mein Lachen näher kommen. Der zurückgehaltene Anfall ergriff mich als ich mich Skys perplexen Augen erinnern musste: „Amy! Ruf einen Arzt!“ Mein Lachen wurde schriller. Bei mir half auch kein Arzt mehr! Licht fiel durch die Zweige und meine geschlossenen Lider. Ich öffnete nur eins davon und schaute in zwei endlos besorgte Augen, umrahmt von feinen, braunen Haaren. Sie schimmerten ganz wunderbar mit der Sonne im Rücken. Ihr geschwungener Mund klappte ein Stück auf, als sie realisierte, dass ich lachte. „DU TROTTEL!“, schrie sie auf einmal. Damit hatte ich nicht gerechnet: „ICH HABE MICH ZU TODE ERSCHRECKT WEGEN DIR!“ „Ich weiß. Ahehe!“, 'Das war der Plan', setzte ich in meinen Gedanken hinzu. Sie schüttelte den Kopf als ich mich in den Sitz schwang: „Dein Gesicht war ein weiteres Mal hinreißend, liebe Sky.“ Noch unerwarteter als der laute Ausruf waren ihre zarten Hände in meinem Hemd, die mich vor und zurück warfen: „ICH GLAUB DU HAST SIE NICHT MEHR ALLE! WEIßT DU EIGENTLICH NOCH WO DER FROSCH DIE LOCKEN HAT?! ICH HÄTTE DICH FAST UMGEBRACHT!!“ „Aheheheheheheheheehehehehehehehehe!“, war ich wie immer nicht geschickt darin mich meinen Amüsement zu erwehren: „Aber nur fast!“ Sie zog wieder ihre geschwungene, dünne Braue hoch: „Bitte?!“ Voller Vorfreude streckte ich meinen Zeigefinger aus, doch das Mädchen hielt mich mit ihrem eigenen auf und beugte sich zum ersten Mal selbstständig in mein Gesicht. Mein Herz ratterte plötzlich furchtbar in meiner Brust. Ich hatte in meinem Leben noch nie Herzrasen gehabt. Egal, wie gefährlich oder erfreulich eine Situation gewesen war: Der Takt meines Herzens war beständig gewesen. Doch die besorgte Wut der jungen Künstlerin brachte es aus seinem Rhythmus: „Wenn du meine Augenbraue nicht in Frieden lässt, werde ich dich irgendwo festbinden, mir eine Pinzette schnappen und dir jedes Härchen deiner Eigenen einzeln ausreißen. Haben wir uns verstanden?“ 'Ohohoho! Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Hehehehe!', lachte ich in mich hinein, ein bisschen überrascht von dieser doch arg sadistischen Drohung. Es sollte eigentlich in meinen Gedanken bleiben, doch es gelang nicht. Ich brachte mein eigenes Gesicht zu ihrem und lachte weiter durch meinen geschlossenen Mund, während ich sie mit einem Auge durch einen Spalt in meinen Pony fixierte. Ich wollte nicht einen ihrer geschwungenen Züge verpassen, wenn sie das hörte was folgen sollte: „Oh, natürlich habe ich das verstanden. Aber vielleicht sollten wir nochmal darüber diskutieren was nach dem Festbinden alles folgen sollte. Hehe.“ Sie leuchtete sofort auf wie ein chinesischer Lampion. Perplex fiel sie zurück und löste unsere verschlungenen Finger: „WAS?!“ Ich seufzte. So ganz ohne Ernst war das Gesagte nicht gewesen. Der Gedanke mit ihr in einem kuscheligen Sarg zu verschwinden war jetzt nicht der Schlechteste: „Mein Gott, bist du prüde.“ „Bitte?!“, rief sie schrill und vollkommen aus dem Häuschen. Ich lachte. Zumindest ihre Reaktion war so herrlich pikiert, dass sie mich zu genüge unterhielt. Nachdem ich mich endlich erhoben hatte, klopfte ich mir Sand und Dornen aus dem Mantel. Ich grinste das immer noch auf dem Boden lehnende Mädchen an: „Du solltest ganz dringend die Idee loswerden ich sei ein kleines Unschuldslamm, liebe Skyler“, und verließ dann mit einem ausladenden Schritt und rümpfender Nase den Busch: „Aber dein rechter Harken ist ganz passabel, das muss man dir lassen. Hehe!“ „Du hast jetzt vollkommen den Verstand verloren, oder?“ „Ahwuwuwuwu! Nein, das habe ich schon länger. Noch nicht aufgefallen?“ Sie stand mit verschränkten Armen auf: „Was sollte die Aktion?!“ „Du hast doch von festbinden angefangen“, ritt ich noch ein bisschen auf der, ihr mehr als nur augenscheinlich peinlichen, Situation herum. Sie wandte den hochroten Kopf hin und her: „Nicht das! Und das habe ich doch nicht ernst gemeint!“ „Schade. Ich schon“, antwortete ich wie immer vollkommen wahrheitsgemäß belustigt. Sie starrte mich kurz an und drehte sich dann hastig weg: „Lass das verdammt!“ Ein weiterer Lachanfall kam über mich. „Hahaha! Ich frage mich gerade wer hier wenn fast umbringt“, gesellte sich dann die junge Phantomhive zu uns. Ich grinste das Mädchen breit an, das ich schon ihr ganzes Leben kannte: „Hallo Amy. Na, ich habe keine Intension dieser Art. Hehe.“ „Dann solltest du ganz dringend aufhören. Sie ist nämlich wirklich furchtbar prüde.“ „Hey!“, rief Sky ihrer Freundin entgegen. Amy war ebenfalls furchtbar schadenfroh. Sie wird zu ihrer Freundin stehen, aber nicht ganz selbstlos. Amy lachte immer noch und es kam wie von mir prophezeit: „Ach du meine Güte! Alles wird gut, Sky. Du bist heute nicht zur Mörderin geworden und deine Unschuld ist auch nicht in Gefahr.“ Skyler stammelte empört etwas vor sich her, als sie den Verrat ihrer Freundin zu verarbeiten versuchte: „Ihr seid ein Fluch! Beide!“ Die Phantomhive und ich lachten: 'Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Hehehehehehe!' Amy rubbelte sich über die Arme: „Lasst uns rein gehen. Es ist furchtbar kalt.“ „Gute Idee“, tat es ihr Skyler gleich. „Kommst du mit uns? Durch die Türe?“, fragte mich Amy grinsend. „Ehihihihihihihihi! Aber sicher, wenn du mich so darum bittest.“ Skyler schloss mit einem betonten Blick zu mir fast schon provokant das Fenster, als wir in der Stube angekommen waren, bevor sie mit einer Kaffeetasse in der Hand auf den Sessel fiel. 'Wie kann man diese bittere Brühe nur trinken?', fragte ich mich verständnislos, während ich mich auf eine Zweipersonencouch setzte, die als einzige frei blieb. Auf der 3-Personen Couch lümmelte Amy. „Was möchtest du hier?“, fragte Amy. „Und warum musstest du durchs Fenster kommen?“, wirkte Skyler immer noch ein bisschen angefressen. Ich lachte auf: „Dein Vater schickt mich, Amy. Und das mit dem Fenster. Hehehehehe. Es wird nicht gerne gesehen, wenn Männer in die Wohnheime der Mädchen kommen. Eure Lehrerin hätte mich wohl wieder hinausgeworfen.“ „Wie bist du überhaupt da rauf gekommen?“, fragte Sky mehr als skeptisch nach einer kurzen Denkpause. „Ich kann halt gut klettern. Hehe.“ „Das Fenster ist nicht kaputt“, fuhr sie weiter aus: „Das warst du oder?“ „Ahihihihihihi! Ja, war ich.“ „Wie?“, machte das hübsche Ding ideenlos. „Magie“, lachte ich. „Aha. Natürlich. Wie?“ Ich malte mit meinen Händen einen Bogen in die Luft: „Ein guter Magier verrät nie seine Tricks.“ „Ah ja“, machte Sky ironisch und überschlug die endlos langen Beine: „Jobbeschreibung: Bestatter aus Leidenschaft und passionierter Aushilfshoudini.“ Amy lachte mit mir. Dann schaute die Schwarzhaarige zu mir: „Papa schickt dich. Wieso?“ Ich zog die beiden verbliebenen Ketten aus meinem Mantel und hielt sie gut sichtbar für die Beiden in die Luft. Die Steine blitzten in der Sonne: „Die hier sollte ich euch geben.“ Sky zog ihre Beine zu sich, als sie ihre Braue hochzog. Irgendwie wirkte sie unglaublich unsicher: „Warum?“ „Es ist ihm und mir ein Anliegen“, kaschierte ich das komische Gefühl in meinem Magen. Ich dachte eigentlich das Mädchen wäre mir gegenüber nach den ganzen Tagen gänzlich offen, aber als ich die Ketten hinausgezogen hatte, hatte sich irgendetwas an ihr verändert. Sie lösten irgendetwas in ihr aus. Eine schon mal beiseitegeschobene Ahnung regte sich kurz. Doch die Indizien waren immer noch zu undeutlich. „Ihm und dir?“, selbst Amy wirkte etwas verwundert. Ich nickte grinsend: „Vertraut uns einfach und macht uns eine Freude. Tragt sie immer. Egal wohin ihr geht“, legte ich Amy ihre Kette in die Hand. Sie beschaute sie kurz und legte sie um. Dann stand ich vor Sky, die mich noch viel unsicherer anblinzelte als vorher: 'Warum?' Sie musterte die Kette skeptisch, analytisch und ausgiebig. Irgendetwas beschäftigte sie daran, doch das Mädchen schien es nicht eindeutig erkennen zu können. Ich konnte den Gedanken, dass man magisch bewandert sein muss damit sich diese Ketten komisch anfühlten, nicht mehr zurückhalten. Das Mädchen war aber nicht magisch bewandert. Das war offensichtlich. Es war Intuition. Eine gute übersinnliche Intuition bei Menschen war nicht unmöglich, aber eher sehr selten. Dann musterte sie mich mit einem rosa Schimmer auf den fein definierten Wangenknochen:“ Das... ist wirklich nicht nötig... Gib sie jemandem, zu dem sie besser passt...“ Sie zog ihre Beine und Arme in einem Anflug von offensichtlichem Unwohlsein näher zu sich. Mein Herz zog sich aufgrund der Ablehnung ein schmerzliches Stück zusammen. Meine Gedanken kamen deswegen ins Stocken: 'Warum? Was ist das?' Ich konnte mein Seufzen gerade so davon abhalten frustriert zu klingen: „Es gibt niemanden, zu dem sie besser passt.“ Ein dunkler Schatten huschte durch das roserne Gesicht, als sie mich musterte: „Wa...Warum?“ „Weil ich sie für dich gemacht habe.“ Mit geweiteten Augen wechselte ihr Blick zwischen der Kette und mir: „Das warst du?“ Ich nickte: „Gefällt sie dir etwas nicht?“, und hatte irgendwie ein komisches Gefühl als ich auf die Antwort wartete. „Nein! Nein! Sie ist wunderschön! Wirklich!“ Ein schmales Lächeln schlich sich auf meinen Mund und vertrieb die Schwere ein Stück aus meinem komisch zuckenden Herzen, als ich ihr die Kette ins Gesicht hielt: „Also?“ „Ich... kann das nicht annehmen! Ich... ich... kann dir nichts dafür geben!“ Ich seufzte wieder. Sie hatte mir in den letzten Tagen doch so viel gegeben: Lachen, Zeitvertreib, Gespräche, Gesellschaft. Sie hatte sogar für mich gebacken. Das war alles so viel mehr wert, als alles Materielle dieser Welt. Ich öffnete den Verschluss der Kette und legte sie ihr um den ansehnlichen schlanken Hals, als ich mich zu ihr beugte: „Doch, kannst du.“ Sie wich beschämt meinem Blick aus: „Was denn?“ „Lächle für mich.“ Einige Sekunden starrte Skyler mich perplex an. Doch dann drehten sich ihre geschwungenen Lippen zu einem puren Lächeln und ihre Augen begangen kurz heller zu funkeln, als die Edelsteine in dem Medaillon. Mein Blick huschte auf das Medaillon, das sie schon trug. Es muss ihr wichtig sein. Nie hatte ich sie ohne gesehen. Es hatte ein außergewöhnliches Design. Es kratze irgendwo hinten in meinen Erinnerungen. Doch ich verlief mich in ihnen regelmäßig. Ich hatte zu viele davon. Mein Record ist ein Irrgarten. Selbst jetzt trug sie es, wo sie offensichtlich gemütliche Kleidung nur für Zuhause trug. Selbst in diesem nicht ansatzweise hergerichteten Zustand: Das Mädchen war in meinen Augen ein exzellenter Anblick. Ich schloss die Augen als mein Herz einen Schlag übersprang und durch meine Brust surrte: „Hihi. Wunderbar.“ Dann wurde es Zeit für mich zu gehen. Schließlich musste ich liegen gelassene Arbeit nach holen. Ich bereute es nicht: „Myladys? Ich muss mich entschuldigen. Es ruft noch ein wenig Arbeit nach mir.“ Ich verbeugte mich im Türrahmen: „Wir sehen uns morgen. Und nicht vergessen: Tragt die Ketten immer bei euch.“ „Bye 'Onkelchen' “, lachte Amy. Sky winkte stumm. Irgendwas stimmte bei ihr immer noch nicht. Aber es wirkte verwirrt, nicht akut. Ich winkte lachend zurück und entschwand. An diesem Abend, nach getaner Arbeit, lehnte ich an der Wand neben meiner Ladentür. Ein Fuß tippte unruhig gegen die Wand, an der ich ihn hochgestellt hatte. Die Arme verschränkt schweiften meine Augen durch den klaren Sternenhimmel. Merkenau saß gelassen auf meiner Schulter und schaute mit mir in die vielen leuchtenden Stecknadelköpfe auf dem schwarzen Samt der Nacht, während die Finger einer meiner Hände gedankenverloren über seinen kleinen Schnabel strichen. Das kleine Tier an meiner Seite, es war irgendwie schön, dass es da war. Treu, ohne jede Bedingungen. Dankbar, ohne jeden Hintergedanken. Meine Gedanken klebten an dem jungen Ding, welches morgen offiziell erwachsen werden sollte. An Halloween. Ihr Geschenk, ein Kalligraphieset, hatte mich etwas an Mühe gekostet, doch lag nun mit einer grauen Schleife in meiner Schublade. Es war still in den dunklen Gassen und kurz schwankten meine Gedanken weg von dem faszinierenden Mädchen. Ab in ältere Zeiten. Zu einem alten, guten Rat von einem alten, toten Freund, der von Gefühlen so unendlich viel verstand: ‚Wenn dein Geist ohne dich tanzt. Wenn er brennt und vibriert und du nur noch an ihre Augen denken kannst. Wenn dir spontan ihr Seelenheil einfach das Wichtigste ist‘, hatte mir Vincent einmal irgendwie aufgeregt und voller Passion bei einer Partie Schach erzählt, kurz nachdem er Rachel getroffen hatte: ‚Dann bist du verliebt. Das Gefühl ist überwältigend! Pass bloß auf, Undertaker! Dir kann so etwas auch passieren!‘ Ich hatte gelacht: ‚Ahehehehe! So etwas hat das Leben für mich nicht übrig!‘ Vincent hatte den Kopf schief gelegt: ‚Irgendwann und wenn es noch hundert Jahre dauert, mein Freund. Irgendwann kommt eine Frau und die schaut hinter dein Grinsen. Dann wird sie erkennen wer du wirklich bist.‘ ‚Ich bin nicht viel mehr. Hehe!‘ ‚Natürlich bist du mehr! Du bist ein guter Freund. Treu und loyal ins Letzte. Fürsorglich und aufmerksam. Irgendwann kommt Jemand und der rennt nicht schreiend vor dir weg. Wenn es stimmt, merkt man es, Adrian. Dann rennt man nicht weg, egal, wie komisch du wirkst.‘ Ich verlor den Blick in den Sternen als mein Lächeln zwar nicht meine Lippen, aber meine Augen verließ. Ich war noch nie verliebt. Das hatte sich auch bis jetzt nicht geändert. Doch irgendwie fehlte es doch, wenn man erfüllt leben wollte. Auch ich wünschte mir ein warmes Herdfeuer und jemanden zum Zusammensein. ‚Denkst du?‘, hatte ich schließlich gefragt, nicht davon überzeugt, dass es irgendwann so Jemanden geben sollte. Ich war in keiner Welt von dieser Welt. Wo sollte ich also so ein Wesen finden? ‚Ich weiß es! Und wie gesagt: Irgendwann. Wenn auch erst in hundert Jahren. Du hast ja Zeit.‘ Ich lachte jetzt wie damals und kraulte Merkenau gedankenverloren am Kopf, während Skylers lachendes Gesicht wieder so deutlich vor meinem inneren Auge stand. Ein sanfter Luftzug zog durch meine langen Haare, die Skyler so selbstlos gerettet hatte. Der Vincent in meinem Kopf lachte und verschränkte die Arme bedeutungsschwer, während er vieldeutig mit dem Kopf zu dem Abbild dieses faszinierenden Wesens nickte. Ich lachte geschlagen: „126 Jahre, alter Freund. Aber deine Schätzung war gut.“ Ich fuhr mir durch den Pony, als ich zum Himmelszelt und dem Vincent in meinem Kopf lachte. Er setzte mich auf dem Brett Schachmatt. Ich war gefangen in diesen himmelblauen Augen, die sich in meine Seele gebrannt hatten. Die ich so gerne immer glücklich sehen wollte: „Hehe... Checkmate!“ Kapitel 6: Halloween -------------------- Sky Am nächsten Morgen weckte mich meine aufspringende Türe. „Happy Birthday to You! Happy Birthday to You! Happy Birthday Dear Skyler! Happy Birthday to You!“, sang Amy grinsend und kam mit einem Tablett zu meinem Bett. Ich setzte mich auf. Die schwere Silberkette rutschte dabei zurück in meinen Ausschnitt. Ich habe es irgendwie nicht mal beim Schlafen übers Herz gebracht sie auszuziehen. Verschlafen schaute ich Amy an: „Hö?“ Amy setzte sich auf mein Bett. Auf dem Tablett lag eine Biskuitrolle gefüllt mit Sahne und Erdbeeren. Mein Lieblingskuchen! Drei Kerzen brannten darauf: „Wünsch dir was!“ Ich stockte: 'Was denn?' Überlegend wog ich meinen Kopf hin und her. Das Kribbeln kehrte in meinen Bauch zurück. Es wirkte so, als sei darin mein eigentlicher, mein wirklicher Wunsch versteckt, doch ich konnte ihn nicht fassen. In meinem Kopf formte sich etwas, was der Sache am nächsten kam. 'Ich wünsche mir mich... gut zu fühlen! In Bezug auf meine Eltern... und in Bezug auf... neue Bekanntschaften!', ich pustete. Die Kerzen erloschen. Amy grinste: „Ich hoffe so sehr er geht in Erfüllung!“ Ich nickte: „Ja, ich auch.“ Dann gingen wir in die Stube und ich schnitt den Kuchen an. Er war gut! Ich wusste nur, dass Amy leider gar nicht backen oder kochen konnte. Unsere liebenswerte Küchendame wird sie tatkräftig unterstützt haben. „Also“, machte Amy und schluckte ein Stück Kuchen hinunter: „Zu heute Abend. Es gibt einen kleinen Abendplan.“ Ich nickte: „Der wäre?“ „Der erste Teil der Feier findet im Garten statt. Um 17 Uhr kommen die Kids. Die Firma meines Vaters stellt Süßigkeiten. Jeder von uns bekommt einen kleinen Korb voll. Die Kinder müssen dann zu jedem hingehen, 'Süßes, oder Saures!' rufen oder ihm einen Streich spielen. Es gibt ein großes Buffet. Um 22 Uhr lassen wir kleine Schiffchen mit Papierlampions unseren kleinen Bach runter fahren. Es ist eine asiatische Tradition. Ein Hausverwalter hat sie vor etlichen Jahren mal mit eingebracht. Man erzählt sich, dass das Licht die Wünsche zu den Geliebten und Verstorbenen ins Jenseits bringen. Danach gehen die Kinder wieder nach Hause und die Erwachsenen feiern drinnen weiter. Ach ja!“, sie zeigte mit der Kuchengabel auf mich: „Sei auf der Hut vor Undertaker. Der wird an Halloween wieder zum 12-Jährigen und spielt Streiche wie ein junger Gott. Die sind auch teilweise echt fies und er erweist sich jedes Jahr als äußerst kreativ darin. Er bekommt einfach jeden ran.“ Ich blinzelte aufgrund der Informationsflut: „Okay... Hab verstanden“, 'Das kann ja heiter werden...' Amy lachte: „Schau nicht so! Das wird gut! Und seine Streiche sind echt lustig! Naja... natürlich solange man nicht unmittelbarer Gegenstand darin ist.“ Ich nickte ein weiteres Mal. Das konnte ich mir lebhaft vorstellen: „Wann müssen wir denn hier los?“ „Sebastian kommt um halb sieben und holt uns ab.“ „Warum so spät? Ich hab außerdem noch gar keine Ahnung, was ich anziehen soll...“ „Na, wir müssen ja noch los und dir was holen!!“ „Wie...?“ „Dein Geburtstagsgeschenk von mir! Einen Nachmittag shoppen, bis der Arzt kommt!“ „Aber...“ Amy nickte und hüpfte vom Sofa: „Ich dusch' zuerst!“ „Prefect vor Fag“, seufzte ich. Amy lachte und verschwand ins Bad. Nachdem ich den Rest Kuchen vernichtet hatte, machte ich mir einen Kaffee und lehnte mich an das Fenster, aus dem ich gestern den Bestatter geworfen hatte. Irgendwie war ich furchtbar nervös. Ich konnte mir wirklich sehr gut vorstellen, dass der Totengräber ein exzellenter Scherzkeks und Fallensteller war, natürlich vollkommen ungeachtet aller Empfindlichkeiten. Da ich eh schon immer Gegenstandes seines äußerst merkwürdigen Pläsiers wurde, schwante mir Übles. Viel Übles. Während ich meinen Kaffee trank, bekam ich die Gedanken nicht so recht von dem Bestatter weg. Irgendwann hörte ich Amys Stimme: „Du kannst!“ Ich stellte die leere Tasse ab und stellte mich unter die Dusche. Das warme Wasser entspannte mich etwas. 'Ich bin nun 18', schwirrte es durch meine Kopf: 'Das heißt, der Griff des Jugendamtes wird ein bisschen lockerer...' Ich hoffte dadurch würde einiges ein bisschen leichter werden. 1 Stunde später zog mich Amy mit einem Coffee-to-go in unseren Händen durch die Oxford Street. Ich nippte an meinem Kaffee, während Amy sich in meinem Arm geharkt über unsere Nachmittagsplanung ausließ. Sie wollte in etliche Shops. Wir waren auf dem Weg unsere Halloweenkostüme für heute Abend zu besorgen. Ich hatte versucht zu diskutieren, aber Amy bestand darauf mir auch eins zu holen. Natürlich, ein paar Pfund mehr oder weniger machten ihr nichts aus. Mir aber schon. Irgendwie fühlte ich mich immer wie ein kleiner Parasit. Doch ich hatte die Diskussion mal wieder verloren. Sie meinte einfach ich solle es als Geburtstagsgeschenk betrachten. Ich hasste meinen Geburtstag. Doch sowohl Amy, als auch ein gewisser Bestatter wollten davon nichts hören. Ich war geliefert. Amy bugsierte mich durch sämtliche Läden. Doch der Phantomhive gefiel nichts. Irgendwann hing die Sonne schon in den Seilen und eine satte Abendröte zog sich über den wolkenleeren Himmel Londons. Dann blieb Amber vor einem großen Laden stehen. Es war ein Shop für Gothic Clothes. „Das sieht doch nach was aus!“, zog sie mich hinein. Tatsächlich konnte ich mich nicht gegen das Gefühl erwehren im Land der auf Stoff gebannten Träume gelandet zu sein. Amy und ich sahen uns an, grinsten und wuselten dann vom Shoppingfieber gepackt durch den Laden. Wir probierten unzählige Kleidungsstücke an. Amy sah in allen umwerfend aus. Mir gefielen die Teile nicht mehr sobald ich sie an mir im Spiegel sah. Ich war einfach zu dünn. Einem Gerippe wie mir konnte man nichts Schönes anziehen. Ich hing die letzte Fuhre Klamotten wieder auf den Harken: „Das wird nix, Amy.“ „Aber das sah doch gut aus!“, die Phantomhive redete sich den Mund fusselig seit wir hier waren. Laut ihr stand mir alles wunderbar, ich fühlte mich eher wie ein abgenagtes Skelett, das man in ein rosa Tütü stecken wollte. „Find' ich nicht“, seufzte ich: „Hast du dich entschieden?“ „Ja ich glaub schon, aber ich brauch noch mal deine Meinung.“ „Klar.“ Sie verschwand in der Kabine. Hinaus kam sie in einem kurzen kurzen Pixierock. Er erinnerte mich an den eines furchtbar stereotypischen 'Zigeuners'. Viele blaue und grüne Lagen lagen übereinander, alle unterschiedlich lang und schief geschnitten, hier und da große goldene Nieten. Dazu trug sie ein braunes, enges, gerafftes Oberteil überzogen mit schwarzer Spitze und langen Ärmeln. Um die Beine zog sich eine braune Perlonstrumpfhose mit floralem Muster und sie trug ein paare schlichte schwarze Stiefel. „Was sagst du?“, fragte sie und wuschelte sich durch ihr Haar, damit es unordentlicher aussah. Ich legte den Kopf schief: „Zigeuner?“ Sie nickte grinsend: „Gut?“ Ich lächelte dünn: „Steht dir!“ „Super!“, sie verschwand wieder in der Garderobe um sich umzuziehen. Ich schlenderte durch den Laden und meine Augen fielen auf eine dicke, blass fleischfarbene Leggins. Sie hatte ein komisches Design. Ich nahm sie in die Hand. Wenn man sie anzog sollte sie die Illusion erwecken man hatte die Beine einer alten Porzellanpuppe. An den Knien waren die Details des Kugelgelenks sehr schön ausgearbeitet und so gut schattiert, dass die Illusion durchaus realistisch war. An den Oberschenkeln wirkte es so, als blätterte die Farbe von der dreckig gestalteten Haut. „Cool“, machte Amy über meine Schulter: „Die ist echt fancy!“ „Ja nicht?“, das Ding gefiel mir ausgesprochen gut. „Oh warte! Ich hab was gesehen!“, Amy rannte zu einem Regal und zog ein paar Handschuhe heraus. Sie kam wieder zu mir. Die Handschuhe waren aus dicken Elasthan und gehörten definitiv zu der Leggins. An den Finger- und Handgelenken, sowie am Ellbogen waren die Details des Puppengelenks ebenso sorgfältig herausgearbeitet. Amy grinste mich an. Ich grinste zurück: „Hast du dieselbe Idee wie ich?“ „Oh ja“, machte die Phantomhive: „Das wird der Knaller!“ 'Ob die Idee wohl Under... Halt! Stop!', ich stoppte den Gedanken, als er mir unwillkürlich durch den Kopf schießen wollte. Warum sollte es ihm gefallen müssen?! Gehirn, was tust du?! „Nur“, ich schaute mich im Laden um: „Was dazu?“ Amy wuselte mit mir einige Minuten durch die Laden. Mit einigen Sache schickte sie mich in die Kabine. Ich zog die Leggins und die Handschuhe an. Ich weiß nicht ob es gut war, dass sie fast genau meinen Hautton hatten. Schließlich fiel meine weitere Auswahl auf eine Bondagehose. Sie war schwarz, kurz und mit vielen Nieten, Schnallen und absichtlich zerschlissenen Stofffetzen auf Endzeitatmosphäre getrimmt. Ein paar Ketten hielten die Hosenbeine an dem Stück Stoff. Sie begannen unter den Knien, waren erst eng doch endeten dann in einem großen Schlag und hatten eine Schnürung an der Seite. Auch hier Nieten, Schnallen und Stofffetzen. Über das rechte Knie und den linken Oberschenkel zog sich sogar ein Stück Netzstoff. Dazu suchte ich mir ein schulterfreies, schwarzes Top mit kurzen Ärmeln aus. 5 große Schnallen verzierten mittig Brust und Bauch und ein verspielter Rüschenrand zierte die Enden oben wie unten. Hinten war es geschnürt und hier und da hatte es einige flache Nieten. Die Kombination fand ich abgefahren und sie wirkte ein bisschen wie aus 'Mad Max'. Als ich in den Spiegel schaute, gefiel ich mir tatsächlich. Ich kam aus der Kabine. Amy klappte der Kiefer runter: „Alter! Wie geil!“ Ich verschränkte die Arme hinter dem Rücken: „Gut so?“ „Aber hallo! Warte...“, sie hob einen kleinen Haarreif an, auf dem ein kleiner Zylinder verziert mit ein paar Spinnenweben und einer violetten Schleife saß und steckte ihn mir auf die Haare: „Perfekt! Kauf es! Kauf es!“ „Sicher?“, irgendwie wackelte ich doch wieder innerlich: „Ich weiß nicht. Ist das nicht... zu viel?“ „Nein! Kauf es!“ „Aber...“ „Mein Gott! Zieh dich um! Ich kauf es dir! Du hast keine Wahl!“ Ich lächelte ein wenig beschämt und zog mich wieder um. Als ich aus der Kabine kam hatte ich schon den Mund geöffnet um noch einmal zu widersprechen, doch Amy nahm mir einfach die Kleider aus den Händen und rannte zur Kasse. Mit gepackten Tüten verließen wir den Laden. „Man!“, lachte Amy: „Den Anderen werden die Augen ausfallen!“ „Anderen...?“, fragte ich zögerlich. „Ja man! Ronald, Fred, Lee, Charlie, Undertaker, meinen Eltern, vielleicht sogar Sebastian und William.“ Bei dem Namen 'Undertaker' stoppte ich kurz im Schritt. Irgendwie war mir die Vorstellung das in seiner Gegenwart zu tragen ein wenig peinlich. Warum? Amy drehte sich um als ich zurückgefallen war: „Alles ok bei dir?“ Ich lächelte dünn und schloss zu ihr auf: „Ach ja.“ Amy verdrehte lachend die Augen: „Ihm wird’s gefallen. Vertrau mir. Er mag Puppen, er mag Wicked, er mag dich.“ Ich schaute Amy mit zusammen gekniffenen Augen an: „Hö? Wer? Wem?“ „Na Undertaker!“ Mir klappte der Kiefer auf: „Wie kommst du denn jetzt darauf?“ „Ich hab dein Gesicht gesehen. Ich finde es übrigens schon ein bisschen komisch, dass du nach dem Gespräch von gestern eine Hose gekauft hast, die vom Stil an Bondage angelehnt ist. Hihi! Bindet euch bitte in einem separaten Zimmer an!“ Meine Gesichtszüge entgleisten als meine Haut wieder zu brennen begann: „Wa-wa-wa-wa-was ist denn bei dir kaputt?! Man! I-i-i-i-ich hab das so nicht gemeint!“ Amy lachte: „Lustig ist es trotzdem.“ Ich schnaubte: „Amy?“ „Ja?“ „RENN!“ Mit einem belustigten Schrei lief die Phantomhive davon und ich jagte hinterher. Zuhause schlüpfte ich in das Kostüm. Ich fand es toll, doch so ganz sicher war ich mir noch nicht. Trotz allem schminkte ich mir Gesicht und Ausschnitt bleicher, sodass sie zu der Leggins und den Handschuhen passte. Es fehlte nicht mehr viel dazu. Dann verpasste ich mir Smokey Eyes, einen dickeren Lidstrich und zog mit meinem Eyeliner Linien an mein Kinn und die Augenlider. Ich schattierte sie mit braunem und schwarzem Lidschatten, um die Illusion von Puppengelenken zu perfektionieren. Ich puderte mir vorsichtig etwas dunkleres Rouge ins Gesicht, damit es alt und verschmutzt wirkte und ließ dann an meiner Wange den Anschein von abplatzender Farbe entstehen. Schließlich drehte ich mir einen unsauberen Dutt, setzte den kleinen Haarreif auf und flechtete mir wieder die Strähne ins Haar. Nachdem ich mir kleine Kreolen in die Ohren und mein Medaillon, sowie die Silberkette um die Hals gelegt hatte, war ich fertig. Mein Make up hatte mich fast eine Stunde gekostet. Sebastian würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Als ich durch den Flur ging zog ich mir die Schuhe von Amys Geburtstagsfeier an die Füße und setzte mich zu ihr ins Wohnzimmer. Sie sah mich an. Ein wenig Neid stand in ihrem Gesicht: „Noah wie cool! Ich bekomm' so ein Make up gar nicht hin!“ Sie hatte sich zu ihrem Kostüm einen blau- grünen Lidschatten aufgelegt. Ihre Haare waren buschig und es saß eine Haarband mit großer, blauer Schleife darin. Ihr Kostüm stand ihr ausgesprochen gut: „Du siehst fabelhaft aus, Amy. Es steht dir.“ Amy lachte geschmeichelt. Dann unterhielten wir uns noch eine Weile. Meine Nervosität wuchs. Gott sei Dank wusste niemand, dass ich heute Geburtstag hatte. Niemand außer... Amy und Undertaker... Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel als ich hoffte, sie hielten sich geschlossen. Nur einmal. Irgendwann stand Amy auf: „Schnapp' dir deine Gitarre, Sky! Wir müssen!“ Ich nickte ein wenig widerwillig, ging aber auf dem Weg zu meinem Poncho an meinem Zimmer vorbei und verstaute die Westerngitarre in ihrer Tragetasche. Dann wickelte ich mir den Poncho um und wir verließen den Campus. Vor den Toren stand wieder die Limousine und davor der eifrige düstere Butler. Er trug seinen Frack, doch eine Hälfte seines Gesichtes war als ein sehr realistischer Totenschädel geschminkt. Er verbeugte sich: „Myladys? Ihr seht fabelhaft aus.“ „Danke...“, schaute ich geschmeichelt und beschämt zur Seite. Irgendwie fühlte ich mich komisch in der Nähe des Butlers. Nicht, dass er unhöflich war oder irgendwie unsympathisch geartet. Er hatte einfach etwas an sich, was mir intuitiv die Nackenhaare hochstellte. Das Kribbeln war wieder da. Seine Augen waren hart wie Stein, unendlich distanziert von allem und jedem und keine ehrlich positive Gefühlsregung lag darin. Das schmale Lächeln wirkte irgendwie furchtbar kalt. Es war so falsch, es schlug meins um Längen. Nur sah man dem Butler an, wie er sich gar keine Mühe gab es ehrlich wirken zu lassen. Er trug diese Falschheit sogar eher stolz wie ein Pfau sein prächtiges Gefieder. Es wunderte mich, dass Undertaker ihn für dieses Lächeln noch nicht die Nase gebrochen oder den Joker aus ihm gemacht hatte. Es wunderte mich auch, dass ich jetzt aus heiteren Himmel über so etwas nachdachte: 'Grah!' „Danke Sebastian! Du auch!“, rief Amy. Der Butler hielt uns die Türe auf und wir stiegen ein. Wie beim ersten Mal auch dauerte es einige Zeit, bis wir die mysteriöse Villa der Phantomhives erreichten. Der Butler führte uns durch die Eingangshalle und dann durch ein paar Türen. Den großen Garten hatte ich bis jetzt nur durch die Fenster gesehen. Ich war bei meinem letzten Besuch zu schwach gewesen um draußen zu sein. Er sah schon von meinem Zimmer damals so wunderbar aus und als wir dort ankamen war er noch viel überwältigender. Es war eine riesige Grünfläche. Viele Beete, hohe Hecken und Bäume mit verschiedenen Blüten standen überall. Ein paar Meter von uns entfernt öffnete sich der Eingang zu einem großen Irrgarten. Zu meiner Rechten plätscherte ein naturbelassener Bach und füllte einen großen Teich mit verschiedenen Wasserpflanzen. Überall hingen Girlanden mit orangenen, roten, schwarzen und weißen Lampions. Viele Bänke waren aufgestellt, einige Feuerstellen erhellten den düsteren Garten und etliche Skelette, große Spinnen und Särge, sowie Grabsteine verliehen ihm den richtigen Flair. An der Hauswand standen einige liebevoll hergerichtete Tische, bestückt mit makaber angerichteten Leckereien. Neben einer Feuerstelle standen drei Gestalten. Eine trug ein blutrotes, enges Kleid und lange Handschuhe. Sein Saum war zerfleddert und zog sich über den Boden. Am Rücken war das Kleid weit aufgeschnitten und ein großer, roter Hexenhut saß auf zusammengeflochtenen roten Haaren. Grell war wirklich nicht zu übersehen und es irritierte mich ein bisschen, dass er ein Kleid trug, war er doch sehr eindeutig ein Mann. Noch mehr verwirrte mich, dass es ihm so gut stand. Seine rote Hexe überzeugte. Er richtete gerade lachend Williams Krawatte, aber nicht damit sie ordentlicher lag. Im Gegenteil: Er zog den Knoten nach unten und pflückte sie aus dem Jackett. William sah eigentlich aus wie immer, nur war sein Gesicht in einem außerordentlichen Maße missbilligend. Er trug einen vollkommen zerfetzten Anzug. Ich fragte mich was er darstellen wollte. Eigentlich sah er nur aus wie unter einen Rasenmäher gekommen. Ronald stand neben den Beiden und lachte. Er trug eine weite graue Stoffhose, an der ein Hosenbein fehlte, dazu Sandalen. Seine Beine, Arme und Oberkörper, sowie ein Teil von Gesicht und Haaren waren dicht in Bandagen eingewickelt. Die Mumie erkannte man sofort. Keiner der Dreien trug eine Brille. Wahrscheinlich trugen sie wieder Kontaktlinsen wie beim letzten Mal. Ich legte den Kopf schief. Irgendwas an ihnen... war heute anders. Ich hatte keine Ahnung was, obwohl es mir sofort ins Auge fiel. Irgendwas... irgendwas an ihnen unterschied sie von allen anderen. Als gehörte es nicht so ganz hier her. Ich schüttelte den Kopf und das komische Gefühl weg. Auf zwei Bänken ein paar Meter weiter saßen Lee, Fred, Charlie und Frank. Lee und Fred trugen beide eine total zerrissene, blutige und dreckige Schuluniform. Lee in schwarz grün, ich erkannte sie als eine der Green Lions, und Fred in schwarz blau, eindeutig von den Sapphire Owls. Jeweils eine ihrer Pupillen versteckte sich hinter einer weißen Kontaktlinse und sie hatten viele blutige Löcher geschminkt, sowie Laub in den Haaren. Sie sollten wohl zwei Zombies darstellen. Lee fiel des Weiteren ein langer, dünner, geflochtener Zopf über die Schulter. Beim ersten Ball hatte ich ihn gar nicht gesehen. Ich hatte immer gedacht der Asiate hatte kurze Haare. Frank sah normal aus. Er war nur von oben bis unten mit Kunstblut zugeschmiert. Irgendwie wirkte der Mann nicht ganz glücklich und ziemlich angesickt. Charlie trug einen schwarzen Anzug auf dem in weiß das menschliche Skelett abgedruckt war. Er hatte sich einen Totenschädel ins Gesicht geschminkt. Er war ein Skelett, ohne Frage. In einer Ecke unterhielten sich Alex und Heather. Sie trugen ein Partnerkostüm als Frankenstein und Frankensteins Braut. Es liefen noch einige andere Gäste herum. Wahrscheinlich der übliche Schmahn mit Geschäftspartnern von Amys Vater. Alle hatten sie einen Korb in Form einer Kürbislaterne gefüllt mit Süßigkeiten und trugen teure Kostüme. Auch liefen viele, viele Kinder lachend durch den Garten. Sie trugen alle ganz liebevolle selbstgemachte Kostüme und wirkten so ausgelassen und glücklich mit ihren Tüten in der Hand. Ich schaute mich um. Einen hatte ich noch nicht gesehen. Von dem Bestatter fehlte jede Spur. Amy lief davon: „Mum! Dad!“, winkte sie ihren Eltern zu. Ich ging langsamer hinterher. Die Drei unterhielten sich kurz, aber ich konnte nicht hören worüber. Als ich dazu gestoßen war, lächelte Alex mich an: „Hallo Skyler! Es ist mir eine Ehre und unsagbare Freude, dass du auch gekommen bist. Du siehst gut aus.“ „Ganz vorzüglich sogar“, lachte Heather: „Du stellst uns noch alle in den Schatten.“ „Dabei haben wir uns so viel Mühe gegeben!“, ergänzte ihr Mann amüsiert. Die Phantomhives lachten. Ich kratzte mir ein wenig beschämt den Hinterkopf: „Oh danke... Aber hier sind so viele wirklich gute Kostüme. Ich glaube nicht, dass ich hier irgendjemand in den Schatten stelle.“ Heather lächelte mir mütterlich entgegen: „Nicht so bescheiden, junge Dame!“ Ich lachte: „Ihr seid zu gütig.“ „Du.“ „Okay, du bist zu gütig.“ Amy kicherte, dann schaute sie sich um: „Wo ist Undertaker?“ Heather lachte: „Ich habe keine Idee. Aber er ist hier.“ „Das weißt du weil?“, fragte Amy. Alex schüttelte belustigt den Kopf: „Ich gebe dir einen Tipp: Als Frank und William hier aufgetaucht sind, sahen sie ganz normal aus.“ „Oh“, machte ich und musterte Williams drangsalierten Anzug und Franks blutige Aufmachung. Deswegen schauten die Beiden so genervt! Der Bestatter hatte sie schon angeschmiert! Amy lachte: „Es ist jedes Jahr das Selbe! Wenn sie einfach verkleidet kommen würden, würden sie sich so viel ersparen.“ „Aber“, ich war ein wenig irritiert: „Wie hat er das gemacht?“ „Oh“, kicherte Heather: „Also Frank das habe ich gesehen! Er ist durch eine Türe gegangen, als er auf die Toilette wollte. Die Tür stand ein Spalt offen und... Haha! Als er sie ganz geöffnet hatte, kam ihm ein Eimer entgegen.“ „William war viel besser!“, lachte Alexander schadenfroh: „Seht ihr den Galgen da drüben?“ Amy und ich drehten uns und folgten Alexanders Hand. „Ja“, machte ich, als ich das große Stück Dekoration erblickte. Der Galgen war originalgetreu: „Und?“ Alex musste wieder leise lachen: „William ist daran vorbeigegangen und schwups! Hing sein Fuß in einer Schlinge und er kopfüber in der Luft! Dann kam Undertaker... Mit einer Schere in der Hand und Williams Leiden ging erst so richtig los.“ Ich musste lachen, als ich mir vorstellte wie sich William mit all seinen Kräften dieser Schere erwehren wollte. Es war nicht von Erfolg gekrönt gewesen, das war nur allzu offensichtlich. „Aber wo er gerade ist?“, Heather schüttelte belustigt den Kopf: „Ich weiß es nicht. Ihn an Halloween aus den Augen zu verlieren ist nicht gut. Haltet euch von allem fern was potenziell zu Scherzen einlädt.“ Ich schaute mich um. Hier lud alles potenziell zum Scherzen ein. „Wir sind verloren“, sagten ich und Amy im Chor. Heather und Alex drückten uns beide einen Kürbiskorb in die Hand. „Komm“, machte Amy: „Ich zeig dir, wo du deine Gitarre abstellen kannst.“ Alex musterte mich wohlwollend: „Gitarre?“ „Ja!“, antwortete Amy für mich: „Sky spielt uns was vor.“ Ich versuchte zu lächeln. Heather lachte wieder: „Schatz, ich habe irgendwie das Gefühl es war deine Idee, nicht ihre.“ Amy nickt: „Jap, sie hat keine Wahl.“ Dann zog sie mich weg, bevor ihre Eltern mich retten konnten. Ich stellte die Gitarre gegen die Wand zwischen die Buffettische und einem großen Sarg. Unsere Körbe landeten daneben. „Ich hab Hunger!“, sagte Amy: „Du auch?“ Ich schüttelte den Kopf. Irgendwie brannte mein Magen in Anbetracht der Menschenmassen. Amy seufzte: „Gut... ich bin gleich zurück.“ Als die Adelstochter fröhlich durch die Leckereien schaute, lehnte ich mich mit einem sanften Seufzen gegen die Wand und schlang meine Arme fest um meinen rebellierenden Magen. Ich ließ meinen Blick über den nächtlichen Garten schweifen. Die Phantomhives hatten wirklich keine Kosten und Mühen gescheut, um ihre Halloweenfeier so richtig herauszuputzen. Auf einmal packte mich etwas am Arm. Ich war total überrumpelt und konnte nicht reagieren. Mein Sichtfeld wurde aufgrund der Geschwindigkeit zu bunten Schlieren und meine Füße kamen nicht hinterher, als ich einfach weg gezogen wurde. Mein kleiner Schrei wurde von einer undurchsichtigen Düsternis und einem komischen Klacken erstickt. Wo auch immer ich plötzlich gelandet war, es war eng. Sehr eng. Kühle Wände drückten gegen meine Schultern und Rücken, doch vor meine Brust drückte etwas Weicheres. Das Etwas verschwand von meinem Arm. Ein anderes Etwas legte sich um meine Taille und drückte mich näher an das Weiche. In Ermangelung an Platz legte ich meine Hände dagegen. Mein Kopf wanderte unruhig herum und ich versuchte mich zu drehen und von dem Weichen weg zu drücken, als mich eine kleine Panik ergriff. Wo war ich?! Und warum?! Dann erschien das Etwas wieder unter meinem Kinn, beruhigte gezwungener Maßen meinen rastlosen Kopf und schob ihn nach oben: „Happy Birthday. Ahehehehe!“ Ein grün leuchtendes Auge strahlte mir entgegen. Es war nah. Mir ging aufgrund des fehlenden Platzes auf, dass ich in dem Sarg gelandet sein musste neben dem ich eben noch an der Wand gelehnt hatte. Ich hatte die Auswahl aus gefühlt Hunderten von Särgen, doch erwischte gerade den Belegten: 'Danke Karma! Du mich auch!' Mein Herz schlug schneller als ich das Auge vor mir erkannte. Diese schimmernde Iris zog meine Gedanken wie Kaugummi. Ich hatte dieses Schimmern schon einmal gesehen, doch ich hatte es matter in Erinnerung. Bestimmt spielt mein Kopf mir Streiche, als ich merkte wie mein Körper in seiner Position einfror: „Underta...?!“ Die Hand wanderte von meinem Kinn und drückte mir den Mund zu: „Nicht so laut, mein hübsches Geburtstagskind“, flüsterte er und sein Atem streifte über meine Wangen. Sie vibrierten mit einen mal ganz sonderbar: „Du verschreckst noch meine Opfer. Ahihihihihi!“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Undertaker nahm die Hand von meinem Mund und legte einen Finger an seine grinsenden, geschwungenen Lippen um mir verständlich zu machen ruhig zu bleiben. Dann drehte er mich im Sarg herum, aber ohne seinen Arm von meiner Taille zunehmen. Ich erkannte auch erst jetzt, dass es sein Arm war und mein Herz hüpfte ganz kurios in meiner Brust herum. Ich spürte den Körper des Totengräbers nur überdeutlich in meinem Rücken und eine silberne Haarsträhne fiel an den Rand meines Sichtfeldes, als er den Sargdeckel ein Stück aufschob. Durch den kleinen Spalt sah ich Amy, die mit einem Teller immer noch an den Tischen entlang schlenderte. Ich spürte ein spitzes Kinn auf meiner Schulter. Der Bestatter hatte ohne zu fragen seinen Kopf darauf abgelegt. Mein Herz übersprang mehr als nur einen Schlag. Ich schaute ihn tadelnd an: „Amy? Ernsthaft?“, flüsterte ich leise. Er lachte genauso leise zurück: „Schau hin und genieße. Hehe.“ Ich schaute wieder zurück. Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meine Brust und schickte mir wieder das Blut ins Gesicht. Es rauschte und klopfte wild in meinen Ohren, doch die Umarmung des Bestatters war alles andere als unangenehm. Sie war wahrscheinlich eh nur dem Platzmangel geschuldet. Genau wie beim letzten Mal nach unserem Sargunfall... Amy blieb vor einer Süßspeise aus Gelatine stehen, die aufgemacht war wie eine geöffnete Marzipanleiche. Sie nahm ein kleines Messer und schien sich ein Stück herausschneiden zu wollen. Kaum hatte sie das erste Mal in die glibberige Gelatine geschnitten rächte sich das Gericht: Viele feine, rote Fäden sprühten aus dem Essen und Amy fiel der Teller herunter, als sie sich schützend mit einem kleinen Schrei die Hände vors Gesicht hielt. „Undertaker!“, kreischte sie schrill: „Du Arschloch!“ Mir klappte der Mund auf, während Amy verzweifelnd mit ihren Händen wedelnd von der Süßspeise versaut wurde. Ihre Kleider waren schon ganz rot. Ich spürte wie der Oberkörper hinter mir zu beben anfing und Undertaker drehte sein Gesicht in meine Schulter, um sein Lachen in meinem Stoff zu ersticken. Ich wollte nicht, aber ich musste mitlachen. Amy stellte sich schon schön perplex dämlich an. Ich drückte eine Hand vor meinen Mund, um mein Lachen zurückzuhalten. Doch als dem Bestatter meine Reaktion auffiel fing er nur noch lauter an zu lachen. Es steckte mich an und schon bald waren wir in schallendes Gelächter ausgebrochen. Natürlich bemerkte uns Amy, denn auf einmal ging der Sargdeckel auf: „Undertaker! Du bist so ein kleiner...!“, Amy stockte und schaute mich verwirrt an: „Sky?!“ Ich wedelte mit den Händen: „Ich bin unschuldig! Ich bin unfreiwillig hier! Ich wurde gezwungen!“ „Aha“, machte Amy, immer noch die Hand am Sargdeckel: „Ich sehe wie sehr du dich wehrst.“ Ich wurde rot und schluckte mit großen Augen in totaler Sprachlosigkeit. Undertaker lachte weiter, lehnte sich gegen die Rückseite des Sarges und wischte sich durchs Gesicht. Er ließ meine Taille immer noch nicht los und ich musste mich ein Stück mitdrehen. So schaute ich meiner verärgerten besten Freundin nun frontal ins Gesicht. Jetzt, wo das Licht der Feuerstellen in den Sarg sickern konnte, sah ich, dass auch der Bestatter kostümiert war. Er trug einen altertümlichen, grauen Herrenrock mit großem, silbern gesäumtem Revers. Das Ding wirkte verdammt teuer und verdammt alt. Unter dem offenen Herrenrock sah man ein reinweißes Hemd, dessen Rüschenärmel unter den Ärmeln des Rockes herausschauten und um die untere Partie seines Halses lag eine Ascot Krawatte mit spitzen Rand in zwei Lagen. Ihr Saum war zerschlissen und ein wenig dreckig. Sie war mit roten Punkten gesprenkelt, Kunstblut, welches aus den Mundwinkeln und von dem Kinn des Bestatters getropft war. Er hatte spitze Schneidezähne und dunkle Schatten unter die schmalen Augen geschminkt. Wahrscheinlich sollte er ein Vampir sein. Seine Haare trug er wie üblich offen, doch an der linken Seite locker hinter sein Ohr gekämmt. Eine schlichte schwarze Hose und ein paar polierte Lackschuhe rundeten die Erscheinung ab. Es stand ihm gut. Verdammt gut. Außerordentlich... verdammt gut. Ich wurde dunkler und drehte den Kopf ein wenig hilflos wieder zu Amy. Von ihr war nur gerade keine Hilfe zu erwarten. „Wi-wirklich!“, brachte ich schließlich hastig heraus, als ich mich von dem Anblick des Bestatters losreißen konnte und wedelte weiter mit den Händen: „Ich wurde da wortwörtlich mit reingezogen! Ich bin eine Gefangene! Ich werde gezwungen!“ Undertakers Lachen wurde so schrill, dass es fast verschwand. Er schien dieses Gespräch besser zu finden als den Streich an sich. Amy legte den Kopf schief und stemmte eine Hand in die Hüfte: „Gezwungen? Wozu denn? Zum Lachen und zum Kuscheln?“ „Ku-ku-ku-ku-ku-wa-wi-wi-wi“, mein Kopf war wie leergefegt und mein Herz klopfte in meinem Hals: „Wir kuscheln nicht!“ „Was mach ihr denn dann?“ Amy zog eine Augenbraue hoch: „Schach spielt ihr nicht.“ Der Bestatter ließ mich los, aber nur weil er erstickend an der Wand des Sarges herunterrutschte. Sein Lachen war nicht mehr zu hören und er hatte den Kopf auf die angewinkelten Knie gelehnt und wedelte hilflos mit den Armen. Ich drehte mich ein Stück weg: „Ich... ich glaube er stirbt gerade...“ Amy schnaubte: „Zu Recht! Ich bin total versaut!“ „Ich...“, der Bestatter japste und schaute mit vor Tränen glitzernden Augen zu ihr hoch: „Hahahahahahahaahaha! Würde so gerne sagen... Ahahahahaha! Das es mir leid tut.... Ahehehehehe! Aber das wäre gelogen... Wuhuhuhuhuhu!“, er lehnte seinen Kopf gegen die Rückwand und atmete schwer durch: „Deine wedelnden Arme! Fu fu fu! Zu herrlich!“ Er stellte sich wieder hin: „Wuhuhu. Schau nicht so böse. Du lachst immer am Lautesten, wenn mir jemand zum Opfer fällt.“ Amy seufzte: „Du bist scheiße.“ „Das meinst du nicht so, ahehehehe!“ Dann lachte sie: „Tu ich auch nicht. Aber warum ich?! Ich dachte wir sind Partner?!“ 'Ah', machte ich in meinem Kopf: 'Da lang läuft der Hase in den Bau.' Undertaker kratzte sich lachend an der Nase: „Es war Zufall. Wer darein tappt konnte ich nicht planen, aber ich hatte eigentlich mit Charlie oder Ronald gerechnet.“ „Verrechnet!“ Er lachte weiter: „Ahehehe! Och, nur so halb. Deine Reaktion war vielleicht noch besser“, dann nahm er grinsend den Sargdeckel in die Hand: „Und nun entschuldige mich. Hier ist geschlossene Gesellschaft.“ Mein Gesicht entgleiste: „Was?!“ Doch das Licht ging schon wieder aus, als der Deckel zu klackte. Ich drehte meine Kopf zu ihm: „Geschlossene Gesellschaft?! Was soll das denn heißen?!“ Mein Herz lief einen Marathon. Ach Quatsch! Zwei! Mein Gesicht wurde wieder unsagbar heiß, als ich mich zu dem Bestatter drehte. Amy lachte vor dem Sarg: „Ok, ok ich sehe ich bin unerwünscht. Soll ich euch ein Seil bringen? Oder habt ihr alles?“ „Wir sind versorgt!“, lachte der Bestatter. „Ok“, machte Amy: „Bye!“ Das schwache Licht seiner Augen ließ mich sein Grinsen sehen. Ich hatte den Atem angehalten. Er hatte nicht wirklich ein Seil dabei, oder? Ich hoffte nicht! Undertaker lachte: „Hehe! Du siehst schon wieder aus wie ein schockierter Teddybär.“ „Ich bin kein Teddybär!“, machte ich empört: „Was soll das hier?!“ Er lachte weiter und beugte sich in mein Gesicht: „Du hast doch keine Angst vor mir, oder?“ Ich stockte. „Nein“, piepste ich schließlich, um es mir selber einzureden: „Habe ich nicht... Du hast nicht wirklich ein Seil dabei, oder?“ Er lachte schriller: „Ahehehehehe! Nein!“, dann stützte er eine Hand neben mein Gesicht an die Wand des Sarges und beugte sich noch näher zu mir. Ich wollte ausweichen, doch ich hatte nach nicht mal einem Schritt ebenfalls den Sarg im Rücken. Unsere Körper trennte nicht mal mehr ein Zentimeter und irgendwie hatte ich das Gefühl die Luft in dem engen Sarg begann zu knistern: „Aber wenn du drauf bestehst kann ich improvisieren.“ In mir kollabierte alles. Mein Herz rutschte mir in die Hose und schnackte schmerzhaft zurück in mein Brust: „N-n-n-nein!“ Er seufzte lachend: „Hehe! Schade.“ „Was?!“ Er lachte: „Jetzt bekomme keinen Herzinfarkt! Ahehehehe! Wie kann ich aufhören dich zu ärgern, wenn du dich so wunderbar pikierst?“ 'Er... er verarscht mich! Klar... was auch sonst!', ich atmete durch: „Mach das nie wieder!“ „Was?“ „Na... das!“ Er kicherte: „Ich habe so das Gefühl du weißt es selber nicht.“ „Ääääääähm... Hör auf mich zu verarschen!“ Er kicherte lauter. „Und was sollte das mit der geschlossenen Gesellschaft?!“ „Nun“, er legte den Kopf schief: „Du hast Bauchweh, oder? Ich tippe weil hier so viele Leute sind. Du wirkst irgendwie immer ein bisschen verstört in großen Menschenmassen.“ Ich schaute beschämt zur Seite: „Ein bisschen... vielleicht...“ „Wir können hier drin bleiben so lange du willst“, sein Lächeln war wieder so verständnisvoll und mitfühlend. Die Albernheit war daraus verschwunden und es wirkte warm und ehrlich. Der Bestatter war wirklich emotionsflexibel. In einem Moment gruselte er einem die Seele aus dem Leib und lacht einen aus, dann im anderen Moment schafft er es mit einem Lächeln die Welt zu retten. Ein heißer Funken zündete sich in meinem Herzen an, als ich auf dieses geschwungene Lächeln schaute. „Nun?“, fragte er leise. „Ähm... das wird nicht nötig sein. Wenn wir zu lange hier bleiben dann...“ „Kommen die Anderen auf falsche Gedanken. Warum ist dir das so wichtig? Hehe, lass sie doch denken was sie wollen.“ Ich kniff die Augen zusammen: „Aber...“ „Aaaaber?“ „Ich...“ „Weiß selber nicht was ich will“, beendete er zum zweiten Mal einen Satz für mich. Tragischerweise lag er gefährlich nah an der Wahrheit. Ich zog meine Augen zu Schlitzen: „Ich kann selber reden...“ „Tihi! Dann tu es auch.“ „Warte!“, mir fiel etwas ein: „Du hast mich erschreckt!“ Sein Lächeln brach ein: „Nein, das tust du nicht...“ Ich kicherte: „Und du hast mich gestern auch erschreckt.“ „Du hast mir eine auf die Nase gegeben und mich aus dem dritten Stock in einen Rosenbusch geworfen! Ich glaube eher wir sind quitt, junge Dame. Hehe!“ „Warte, warte, warte! Du hast mich mit dem Fenster wissentlich um den Verstand gebracht, Houdini!“ Er lachte: „Gut, damit fällt die Faust in meinem Gesicht weg. Zwei hab ich noch gut.“ „Du hast mich ohne Vorwarnung in einen Sarg gezogen!“ Er lachte wieder: „Das wiegt sich mit einem Freiflug aus 8 Metern Höhe auf. Hihi.“ Ich blieb stumm: 'Verdammt!' Er grinste breit: „Wenn du nichts mehr findest hab ich noch einen gut.“ „Du... du hast mich vor Amy wie einen treulosen Trottel dastehen lassen!“ Er lachte: „Hihihi. Lass ich gelten, weil ich nett bin. Wir sind quitt.“ Ich seufzte: „Nie darf ich meinen Spaß haben...“ „Ahehehe. Was würde dir denn Spaß machen?“ Ich schaute ihm mit großen Augen ins Gesicht: „Ähhhhm... weiß nicht?“ Er schüttelte lachend den Kopf: „Hehe. Du bist wirklich unbeschreiblich“, dann hob er den Kopf wieder und steckte eine Hand in seine Manteltasche: „Also? Raus oder hier bleiben?“ Meine Gedanken ratterten in meinem Kopf. Warum fällt mir die Antwort auf diese Frage so schwer? „Ähm“, machte ich schließlich und wollte weiter reden, da ging der Sargdeckel plötzlich wieder auf. Eine rot behandschuhte Hand packte dem Bestatter am Schlafittchen und zog ihm aus dem Sarg: „Was machst du da?!“ Es war Grell. Er hatte den Bestatter am Kragen und schüttelte ihn von vorne nach hinten: „Du hast nicht einen Hauch von Anstand! Was auch immer du mit dem armen Ding vorhast, lass es bleiben!“ Ich beschaute die Szenerie aus dem Sarg fassungslos. Ich hatte keine Ahnung wovon Grell sprach. Es erschloss sich meinen überforderten Gedanken auch nicht. Doch Undertaker lachte nur sein übliches schrilles Lachen, während Grell wild an ihm herum schüttelte. Auf einmal gab es ein leises Krachen. Alle unsere sechs Augen schauten zu Boden auf ein kleines, dunkles Holzkästchen was Undertaker aus der Manteltasche gefallen war. Es hatte Rosenranken eingraviert und eine grau-lilane Schleife war darum gebunden. Grell schaute Undertaker wieder an, an dessen Kragen er noch beide Hände hatte: „Oh ist das...?“ „Ja“, nickte Undertaker und schaute den Mann im Kleid wieder an: „Ich wollte es ihr gerade geben, dann kamst du.“ Grell nahm seine Arme weg: „Oh... Ups.“ Undertaker lachte: „Für wie unmöglich hältst du mich eigentlich?“ „Du kennst die Antwort. Es ist Halloween.“ „Ja, hehe!“, lachte er: „Ist es.“ Grell wedelte ausschweifend mit den Armen und verschränkte sie dann hinterm Rücken: „Nun denn, dann bist du dir unserem Problems ja vollkommen bewusst. Ich bin mal weg.“ Mit großen Schritten verzog er sich wieder zu Ron und William. Undertaker bückte sich und hob das kleine Kästchen auf. Ich ging einen Schritt aus dem Sarg auf ihn zu: „Was ist das?“ Er lächelte mich an und hielt es mir hin: „Alles Gute zum Geburtstag, meine schöne Puppe.“ Ich schaute ihn erst verwirrt an. Dann schaute ich weg und verschränkt die Arme hinter meinem Rücken, als ich mich erinnerte, dass ich als Puppe verkleidet war. Aber etwas in meinen Gedanken stockte: 'Seine schöne Puppe?' Das klang irgendwie nach einer Art von Besitzanspruch. Aber er nannte mich auch hin und wieder 'meine Liebe'. Es war also eher seine antiquierte Redensart: 'Oder?' Ich war mir irgendwie nicht sicher wie ich mich bei diesen Gedanken fühlte. Beide alternativen fühlten sich so komisch an. „Es steht dir. Ausgesprochen gut sogar.“ Ich schaute ihn wieder an und machte den roten Lampions Konkurrenz: „Danke...“ „Nun“, sagte er: „Möchtest du es nicht?“ Ich schaute wieder auf das kleine Kästchen mit der Schleife. War das wirklich ein Geschenk? Für mich? Ich drehte nervös meinen Fuß auf dem Rasen: „Aber... du hast mir doch schon etwas geschenkt...“ „Die Kette?“, er lachte: „Hehe! Jeder, der mir etwas bedeutet, hat so eine Kette bekommen.“ Ich schaute ihm wieder ins Gesicht: „Jeder?“ „Ja“, er nickte: „Jeder: Du, Amy, Grell, Ronald, William, Alexander, Heather, Frederic, Sebastian, Lee, Frank und Charlie. Selbst ich habe eine. Aber das“, er nahm meine Hand und legte mir das Kästchen hinein. Dann nahm er die Andere und legte sie darauf: „Das ist nur für dich.“ Ich lächelte verhalten: „Sicher?“ Er nickte lächelnd: „Sicher.“ Ich nahm den Kasten richtig in die Hände und musterte ihn. Undertaker lachte: „Hehehe! Nun mach schon auf.“ Ich schaute noch einmal zu ihm, dann wieder auf das Kästchen und zog zögerlich die Schleife ab. Als ich das Kästchen öffnete blieb mir die Luft weg. Es war ein Kalligraphie Set! Ein langer Federhalter lag darin in einem Bett aus schwarzem Samt. Sein dunkler Holzgriff verschwand in einer großen schwarzen Feder und eine kleine schwarze Schleife war darum gebunden. Die Spitze war silbern, filigran und hatte ebenfalls ein feines florales Muster eingeätzt. In dem Kästchen lag noch ein Tintenfässchen aus schwarzem Stein und vier weitere Federn. Alle mit einem anderen Muster und verschieden geformten Spitzen. Ich schaute ihn an: „Das ist wunderschön! Danke!“ Sein Lächeln wurde breiter: „Es freut mich, dass es dir gefällt.“ Ich schaute noch einmal auf das Set. Es sah unsagbar teuer aus: „Aber... bist du sicher, dass du es verschenken willst...?“ „Warum sollte ich nicht sicher sein?“ „Naja... das sieht sehr, sehr teuer aus und...“ Er lachte: „Hehe! Es war nicht teuer! Nur der Rabe, dem ich die Feder geklaut habe, der schmollt glaube ich noch ein bisschen.“ „Feder geklaut?“, ich schaute ihn an. Dann machte es Klick in meinem Kopf: „Du hast das selber gemacht?!“ Er lachte: „Ich mache meine Geschenke immer selbst. Hat mich ein bisschen Zeit gekostet, aber wenn es dir gefällt hat es sich gelohnt.“ Ich war sprachlos. Diese Federn waren ein Meisterwerk! Der Bestatter muss goldene Hände haben! Er lachte wieder: „Hehe. Was hast du?“ „Ich...“, ich schüttelte ungläubig und vollkommen ergriffen den Kopf: „Ich kann es... nur nicht fassen... Das ist... wirklich wunderschön!“, ich hob den Federhalter an und beschaute ihn genau: „Und das ist eine Rabenfeder? Außergewöhnliche Idee!“ Undertaker wackelte amüsiert mit dem Kopf: „Nicht so außergewöhnlich. Ich habe gerade Krabat gelesen.“ „Krabat?“, ich erinnerte mich. Der Protagonist schenkt seiner Liebsten als Andenken eine Rabenfeder. Aber... er schenkte sie seiner Liebsten... und das war ich für Undertaker sicher nicht... Dafür war ich viel zu unaufgeregt und ordinär... Irgendetwas in mir zog sich zusammen. Ihm muss wohl beim Lesen einfach aufgefallen sein, dass Rabenfedern schön sind. Er zeigte auf das Holz des Halters: „Kirschholz. Die Federn sind aus Silber.“ Ich schaute ihn an: „Silber?“ Er nickte: „Ich habe eh Silber für die Ketten gebraucht, also habe ich die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und einfach mehr besorgt. Wie gesagt, so kreativ war die Idee leider doch nicht. Hehe!“ Ich legte die Feder zurück, schloss das Kästchen und legte es gerührt an meine Brust: „Ich... weiß nicht wie ich dir danken soll...“ Undertaker lachte und zog mir mit spitzen Fingern das Geschenkband aus meiner Hand. Er trat einen Schritt näher und hob die Hände um die Bände locker um meinen großen Dutt zu binden. Ich schaute ihn perplex von unten an, als er sich mit seinem üblichen Grinsen an meinen Haaren zu schaffen machte. Der Bestatter nahm die Hände wieder zu sich und lächelte mich mit einem Auge an. Dann schwirrte mir ein Gedanke durch den Kopf. Irgendwie konnte ich ihn nicht verscheuchen. Er musste raus: „Es ist nicht viel, aber... darf... darf ich dich zum Dank umarmen?“ Undertaker lachte seicht und breitete die Arme aus: „Aber natürlich.“ Zögerlich legte ich die Arme um seinen Hals und drückte ihn. Er drückte mich zurück. In den Geruch von Zucker, Gras und Zedernholz hatte sich das Odeur von Mottenkugeln gemischt. Wahrscheinlich kam er von dem alten Herrenrock. Vielleicht war er ein Erbstück. Wenn hatte er gut auf ihn Acht gegeben. Ich wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grund ließen wir einander nicht gleich wieder los. Irgendwann brachte der Bestatter wieder Platz zwischen uns. Ich erschrak mich fast, als ich Sebastian neben ihm stehen sah. „Es tut mir leid euch stören zu müssen“, lächelte der Butler vieldeutig: „Doch wir bräuchten Miss Rosewell für einen Moment. Und dich auch.“ Undertaker lachte: „Oh, ist es soweit?“ Der Butler nickte: „In der Tat. Nach mir bitte.“ Ich schaute Undertaker an: „Was ist los?“ Der Bestatter lächelte breit und nahm mich einfach bei der Hand: „Das wirst du sehen! Komm! Hehe!“, dann zog er mich hinter sich her. Wir folgten Sebastian zu einem Kreis von Leuten. Ich sah Amy, ihre Eltern und ihren Bruder, Lee, Charlie Frank, Ron, Will und Grell. Sebastian stellte sich dazu und ich mich neben Amy. Undertaker zwischen mich und Ronald. Alexander räusperte sich: „Wie mir zu Ohren kam, haben wir heute einen ganz besonderen Gast in unserer Runde.“ Mir stockte der Atem: 'Oh nein...' „Und zwar“, der Earl Phantomhive zeigte auf mich: „Feiert die liebe Skyler heute ihren 18. Geburtstag!“ 'Nicht wenn es nach mir geht...' Ein Raunen und heiteres Geschnatter halte kurz durch die Runde. Alexander hob die Hände: „Bitte, bitte meine Damen und Herren.“ Die Runde verstummte, nur Grell nicht. „Und Herrinnen“, setzte Alexander lachend hinzu. Grell rieb sich schuldbewusst und lächelnd den Hinterkopf, während Sebastian seufzte. Die Szenerie hatte etwas unglaublich Vertrautes an sich. Die Leute in dem Kreis wirkten alle mit ihren grundverschiedenen Charakteren so unsagbar harmonisch zu einander. Der Earl schüttelte lachend den Kopf: „Leider erreichte mich die Information etwas spät. Deswegen lasst uns etwas improvisieren! Erheben wir unsere Gläser und geben der lieben Skyler in Form eines Ständchens unsere besten Wünsche mit auf den Weg.“ Sebastian ging herum und verteilte einige Gläser. Er schien für jeden das Lieblingsgetränk auf dem Tablett zu haben, denn die Gläser und der Inhalt sahen bei allen verschieden aus. Ich bekam eine Champagnerflöte in die Hand. Ich lächelte schief und in hohem Maße überfordert. Amy legte mir die Arme um den Hals. Dann fing die Runde mit erhobenen Gläsern an zu singen: „Happy Birthday to You! Happy Birthday to You! Happy Birthday Dear Skyler! Happy Birthday to You! From good friends and true, From old friends and new, May good luck go with you, And happiness too! How old are you?! How old are you?! How old, How old How old are you?!“ Ich merkte wie mir wieder die Röte ins Gesicht stieg, als mir jeder noch einmal lose Glückwünsche zu rief. „Danke!“, sagte ich schüchtern und mir hochrotem, puckerndem Kopf: „Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll!“ Alexander und Heather schüttelten mir die Hand. Lee und Fred drückten mich kurz mit einem lächelnden Glückwunsch. Mein Herz wurde immer schneller. Noch nie haben mir so viele Menschen gratuliert. Grell kam auf mich zu, schlang die Arme ungefragt um mich und hob mich drehender Weise von den Füßen: „AAAAAH! 18! Herzlichen Glückwunsch!“ Irgendwann bekam er von William einen gegen den Kopf: „Benimm dich, Sutcliff!“ Dann gab er mir die Hand: „Skyler Rosewell. Meine Glückwünsche.“ „Danke sehr, William“, lächelte ich mit immer noch drehendem Kopf und schüttelte dem strengen Mann die Hand. Er hatte einen strammen Händedruck. Mein Kopf surrte so komisch wegen Grell und dieser ganzen Aufmerksamkeit. Ronald drückte mich: „Noah! Alles Gute!“ „Danke sehr“, tätschelte ich scheu seinen Rücken. Auch Charlie und Frank beglückwünschten mich kurz persönlich. Ich drehte mich zu Amy: „Du hast gepetzt.“ Sie nickte: „Joa“, sie grinste mich an: „Mir fällt gerade ein, wir haben noch was vor!“ Ich blinzelte sie an: „Nein...“ „Oh Doch!“ „Nein...“ „Do~och!“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Ne~ein“, gab ich im selben Singsang wieder zurück. Eine Stimme hinter mir: „Bitte, Mylady.“ Sebastian hielt mir meine Gitarre hin. Ich blinzelte. Dann sah ich wie Amys Familie, Lee, Frank und Charlie, sowie Ronald, William, Grell und Undertaker die freien Bänke um uns herum besetzten. Irgendwie flatterte mein Herz wieder ganz komisch, als mich der Bestatter von weiter weg angrinste. Er hatte die Beine überschlagen und hielt das Glas leger am oberen Rand in seiner locker hängenden Hand. Diese unnatürliche Haltung wirkte an ihm nur allzu natürlich. Amy lachte: „Ich hab übrigens alles gepetzt.“ „Ich hasse dich...“, ließ ich mich auf eine Bank fallen. „ Alle da?“, fragte Amy, packte meine Gitarre für mich aus und legte sie mir in die Arme. Nicken und zustimmendes Gemurmel aus einigen erwartungsvollen Gesichtern. Ich schaute nervös zur Seite. Die vielen Augen auf mir machten mich nervös. Verzweifelt versuchte ich die Hände zu sortieren, doch ich hatte noch etwas in der Hand. Ich schaute auf den kleinen Kasten, dann unwillkürlich zu dem Bestatter. Er grinste mich immer noch an. Irgendwie erwartungsvoll, doch vollends gelassen. Als habe er keinen Zweifel, dass das was folgen würde gut werden würde. Dann nickte er mir zu. Mein Herz wurde ganz warm und hüpfte hin und her, als ich ein noch weit aus wärmeres Gefühl auf meinen Wangenknochen spürte. Ich streckte Amy das Kästchen hin. Sie verstand grinsend und packte es für mich in die Gitarrentasche. Dann verspielte ich mich zweimal vor Nervosität, doch irgendwann traf ich endlich die Töne die ich wollte: „Because of you my whole world started to stand upside down, importance disappearing, grins are innocent, smirks no more tied down to the facts. I learned some heavy lessons out of anger, thought the world was grey and cold. But you cross my way, surprisingly and without any word. But heavy is the core in my heart, still painful the thoughts I want to hide Bright and pure sounds the laugh that you share! A black one brings some colors into my lacklustre World. I am so terribly lost if this weird smile is not for me, my friend. If you turn your grin away, then tell me that you will come back, so it remains! Round the clock the people yell and lie! But you don't and I believe that you show me the right Path! If you only exist in my dreams then let me stay fallen asleep! I don't want to live an icy hell! Should I turn right where nothing's left, or left where nothing's right? Give me a word I can believe in! (Amy & Sky) Discern my tricks instantly at the first sign With a broken spine, I was just about to hide. You just look simply right behind my gloomy shine In contrast to the other you don't let it work this Way, because Carefree is the world you want to show. I have learned to to create and adorn every lie I need to use. The reality hides between the lines, truth is not good enough to share. That is how it works in here, sick twisted smiles are everywhere! But the truth, it disappears (Amy: Lies stay in the way!) Difficult are the riddles that live give me, when no one thinks about a word they say They don't think that a word could ever hurt anyone, but they mistaken 'cause they shatter souls and minds! They kill me right away! If you turn your grin away, then tell me that you will come back, so it remains! Round the clock the people yell and lie! But you don't and I believe that you show me the right Path! If you only exist in my dreams then let me stay fallen asleep! I don't want to live an icy hell! Should I turn right where nothing's left, or left where nothing's right? Give me a word I can believe in! (Amy & Sky) Discern my tricks instantly at the first sign With a broken spine, I was just about to hide and you just look simply right behind my gloomy shine In contrast to the other you don't let it work this Way, because Carefree is the world you want to show. The world you want to show. The world you want to show. The world you want to show. (Amy & Sky Kanon) Is it the sorrow or the sadness, you see? Through my pokerface, you just blink so easily. You're hilarious and crazy, odd like no one else! But what I see is someone stunning, kind as no one else ever could be. (Amy & Sky) Kind as no one else ever could be! Haha dadadada dadadada! Haha dadadada dadada dadada! Haha dadadada dadada! (Amy & Sky) If you turn you grin away, then tell me that you will come back, so It remains! (3x Amy & Sky) If you turn you grin away, then tell me that you will come back, so It remains!” Ich nahm zögerlich die Hand von den Seiten. Amy hatte mich wie schon Zuhause bei ein paar Parts stimmlich begleitet, doch die Leute um mich herum blieben stumm und taten nichts. Auch wenn ich jetzt erst merkte das sich viele der Gäste, die ich nicht kannte, und einige Kinder um uns gescharrt hatten. Ich schaute Amy an, sie schaute zurück und wirkte auch irgendwie nervös. Ich ärgerte mich innerlich über mich selbst und ließ den Kopf hängen. Wie hatte ich nur hoffen können, dass irgendjemanden der Mist gefällt, den ich mir zusammen geschrieben hatte? „Fabulös!“ hörte ich plötzlich. Mein Kopf zuckte nach oben. Grell war aufgestanden und hielt sein Glas in die Luft: „Diese leichten Akkorde in Kontrast zu dieser melancholischen Thematik! Ein Ohrenschmaus! Wie das Drama von Romeo und Juliette! Herzerquickend!“ Mit einem breiten Grinsen stellte Undertaker langsam sein Glas auf die Lehne der Bank und klatschte bedächtig und bedeutungsschwer in die Hände. Mein Herz rutschte nach unten. Auf einmal rauschte es los. Ich machte große Augen und konnte meine Verwunderung nicht zurück halten, als plötzlich alle anfingen zu applaudieren. Es war laut! Ich sah so viele Gesichter und die Luft vibrierte durch das Zusammenschlagen der vielen Hände. Undertaker, Ronald, Charlie, Fred und Lee standen sogar beim Klatschen auf. Die Kinder hüpften auf und ab. Ich grinste Amy an. Sie grinste zurück und hob die Hand. Überschwänglich schlug ich ein. Nachdem ich meine Gitarre weg gestellt hatte, hatten mich so viele Leute angesprochen, dass ich nicht wusste wo mir der Kopf stand. Alle redeten auf mich ein und stellten mir Fragen: Wer ich sei, was mich zu dem Lied inspiriert hatte. Immer und immer wieder liefen Kinder auf uns zu, riefen: „Süßes oder Saures“, um so viele Süßigkeiten von den vielen versammelten Erwachsenen abzustauben. Amy wich nicht von meiner Seite, wohl wissend wie überfordert ich war. Irgendwann schaffte ich es aus der Menschentraube zu schlüpfen, die sich um mich gescharrte hatte, weil Amy es gekonnt gedeichselt hatte die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ich huschte an den Gästen vorbei. Mein Kopf schwirrte furchtbar laut und die vielen Fragen surrten darin wie ein Schwarm wütender Wespen. Auf leisen Sohlen schlich ich in einen dunkleren Teil des Gartens. Ich folgte einer Zeit lang dem Lauf des kleinen Baches, bis kein Lichtpegel der Laternen mehr den Boden erreichte. Mit einem angestrengten Seufzer stellte ich mein geplündertes Körbchen ab und setzte mich an das Ufer des kleinen Baches. Ich zog die Beine an mich heran. Meine Gedanken schwirrten zurück zu dem Moment, an dem ich aufgehört hatte zu spielen. Es war überwältigend gewesen und vieles war sicherlich in meinen überfluteten Sinneseindrücken untergegangen. Doch ich erinnerte mich so genau an das Grinsen des Bestatters, als er sein Glas beiseite gestellt hatte um mir zu applaudieren. Er war sogar aufgestanden! Ich versteckte den Kopf hinter meinen Händen, als ich nicht verhindern konnte, dass eine Miniversion von mir selbst mit einem breiten Grinsen in meinem Kopf freudig auf und ab hüpfte. Das Grinsen des Mini-me's schlich sich auch auf mein Gesicht. Dann sickerte ein orangener Schein durch meine Finger und Lider. Ich nahm die Hände herunter und staunte. Unzählige kleine Schiffchen mit Papierlampions glitten gemächlich über das klare Wasser des ruhigen Baches. Sie spiegelten sich in der galten Wasseroberfläche wie große Sterne. „Wow“, machte ich leise. „Schön nicht?“ Mein Kopf wirbelte zu meiner Seite. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich nicht alleine war. Ein grünes Auge lächelte mich an silbernen Haaren vorbei an. Ich blinzelte: „Öhm... Hi?“ Undertakers Kopf drehte sich noch ein Stück zu mir und er winkte grinsend mit einer Hand. In seinem freigelegten kristallklaren Auge sah ich die leuchtenden Reflektionen der kleinen Schiffchen vorbei gleiten. Das Funkeln der Kerzen leuchtete mit seiner fluoreszierenden Iris um die Wette. Ich vergaß aufgrund dieses Lichtspiels das Atmen. Irgendwann zwang ich mich, mich wach zublinzeln: „Öhm... Was tust du hier?“ Er grinste: „Hehe. Naja, ich hab gesehen wie sich unser kleiner Superstar davongeschlichen hat.“ Ich drehte meinen Kopf weg: „Ach, ich bin doch kein Superstar...“ „War es von dir?“ Ich drehte meinen Kopf doch wieder zu ihm: „Was?“ „Das Lied.“ Ich stockte kurz: „Ja... war es.“ Er lachte, aber nicht albern oder schrill: „Haha! Wie viele Talente du hast! Zeichnen, Gitarre spielen, Lieder schreiben, eine Mimik vom Feinsten!“, er legte den Kopf schief und stützte ihn in eine Hand. Ein Arm lag auf seinen halb angewinkelten Knien, den Anderen hatte er mit den Ellbogen abgestützt, um seinem Kopf darin ablegen zu können: „Kenne ich sie jetzt alle oder hab ich noch etwas, worauf ich mich freuen kann?“ Ich merkte ein Brennen in meinem Gesicht und schaute nach unten, als ich irgendwie beschämt und ein wenig überfordert meine Arme um meine Knie schlang: „Ich weiß nicht... Ich bin ja auch in dem was du aufgezählt hast nicht wirklich gut...“ „Natürlich und ich bin total humorlos“, konterte er mich mit einem sarkastischen Unterton im Lachen. Ich schaute ihn an. Er hatte immer noch den Kopf auf die Hand gelehnt und beide Augen leuchteten nun mit den vorbei segelnden kleinen Sternen um die Wette, da ihm sein Pony aus dem Gesicht fiel: „Es war wunderbar.“ „Was? Das Lied?“ „Das Lied. Deine Stimme. Deine flinken Finger auf den Seiten und dein faszinierend passionierter Gesichtsausdruck.“ Mein Rot wurde dunkler und ich schaute wieder beschämt nach schräg unten: „Ach... du übertreibst...“ „Vergiss nicht: Ich lüge nie. Hehe!“ Irgendwie war mir das Lob ein bisschen unangenehm, deswegen versuchte ich das Thema zu wechseln: „Willst du kein Schiffchen fahren lassen?“, fragte ich. Irgendetwas in Undertakers Blick veränderte sich. Sein Grinsen blieb an Ort und Stelle, aber das Lächeln in seinen Augen verschwand und kippte komplett. Die nun traurig funkelnden Augen wandte er halb zu dem Bach, ohne den Kopf aus der Hand zu nehmen: „So viele Schiffchen wie ich wollte, kann ich nicht fahren lassen.“ „Inwiefern?“, meine Blick klebte an diesem traurigen Grinsen und den erinnerungsschweren Augen. Auch dieser Gesichtsausdruck war einfach... ganz besonders! Er hatte dieselbe jahrzehntealte melancholische Ausstrahlung wie damals auf dem Friedhof. Ihm einfuhr ein leises Seufzen, dann ein Lachen was nicht gespielt, aber traurig klang: „Ich habe schon viele, viele Freunde verloren.“ „Oh...“, machte ich: 'Ja, Skyler! Super gemacht! Volltreffer!' Ich kratzte mich an der Schläfe: „Es... tut mir leid... ich wollte nicht, dass du...“ Undertakers Augen wanderten wieder zu mir und er lächelte mich an: „Alles gut. Das konntest du ja nicht wissen. Hehe.“ Doch irgendwie war ich neugierig: „Was ist denn mit deiner... deiner Familie?“ Er lachte komisch: „Ich habe keine.“ Mir klappte der Mund auf: 'Super Sky! Andere treten ins Fettnäpfen, aber du? Du machst den Moonwalk durch Fritteusen!' Er nahm mit einem sanften Lachen den Arm, der locker auf seinen Knien gelegen hatte, streckte ihn zu mir und klappte mir mit einem Finger den Mund zu, bevor er ihn wieder auf seine Knie legte. Wir saßen nicht annähernd eine Armlänge entfernt. Unsere Schultern berührten sich fast. Wie war er bloß hier hingekommen, ohne dass ich es bemerkt hatte? „Schau nicht so. Das musst du nicht.“ „Warum? Ich hab mich ja voll in die Nesseln gesetzt! Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht an sowas erinnern!“ „Ich erinnere mich gerne an meine Freunde. An eine Familie kann ich mich nicht erinnern, weil ich nie eine hatte. Also, hehe: Keine Sorge.“ Ich drehte meinen Kopf zu dem kleinen Bach und wackelte nervös mit meinen angezogenen Füßen. Undertaker lachte wieder neben mir: „Hehe! Du hast jetzt nicht wirklich ein schlechtes Gewissen, oder?“ Ich wackelte ein bisschen mit dem Kopf: „Doch... schon...“ Ein langer Finger an meinem Kinn drehte mein Kopf wieder zu dem kuriosen Leichengräber: „Brauchst du aber nicht.“ Ich legte den Kopf schief, als mich diese in so vielen Art und Weisen leuchtenden Augen anlächelten und mein Herz erhörte seinen Takt: „Ja vielleicht, aber ich kann es nicht ändern...“, dann musste ich aus irgendeinem Grund lächeln: „Du hast jetzt auf jeden Fall wieder einen gut bei mir!“ Er lachte. Sein Gesicht wirkte wieder wie gewohnt: „Hahahaha! Doch nicht für so etwas. Das ist ja gemogelt!“ „Warum? Ich biete es dir doch an.“ „Dann lehne ich es halt ab.“ Ich schüttelte den Kopf: „Warum? Du magst es doch gar nicht ausgekitzelt zu werden.“ Er giggelte wieder: „Ehehe! Tu ich auch nicht, aber wenn es dir Spaß macht ist es das wert.“ Meine Gedanken krachten ineinander wie ein paar LKWs auf der Autobahn: „Hö?“ Er lachte wieder, streckte ein weiteres Mal seinen Finger aus und ließ ihn auf meiner Nasenspitze kreisen: „Thihihi! Naja, so wie du im Park gelacht hast und da du eben im Sarg meintest du dürftest nie deinen Spaß haben, folgere ich du hast Freude daran mich zu kitzeln.“ Ich grinste und schaute schräg nach oben: „Naja, ich hab Spaß daran wenn du quiekst und durch die Gegend hüpfst.“ Er nahm die Hand aus meinem Gesicht und lachte. Es steckte mich an. Eine kurze Weile hörte ich wieder nur unser gemeinsames Lachen. Dann zog Undertaker etwas aus seinem Herrenrock. Er hielt es mir hin. Es war zusammengefaltet. Unsicher nahm ich es an und beschaute es: Es war eines der kleinen Schiffchen. „Warum gibst du mir das?“, fragte ich verwirrt. Er lächelte weiter: „Ich wusste nicht, ob du jemanden hast dem du Gedenken und ein paar liebe Grüße schicken willst.“ Ich schaute auf das gefaltete Schiffchen. Dann griff ich unwillkürlich an mein Medaillon: „Doch schon...“, 'Oma...' „Na dann“, er hielt mir ein Teelicht und ein Streichholzbriefchen hin: „Tu es.“ Bedächtig faltete ich das Schiffchen auseinander. Dann nahm ich das Teelicht und ein Streichholz und zündete die Miniaturkerze an. Obwohl ich sie vorsichtig in das Schiffchen stellen wollte, verbrannte ich mir die Hand. Sie zuckte auf, doch das Teelicht landete wie gewollt in seiner Halterung. Ich wedelte mit meiner verbrannten Hand: „Aui...“ Undertaker schnappte sie bedächtig aus der Luft und drehte meine Handfläche nach oben. Es war keine große Stelle, doch sie leuchtete rot. In meinem Handschuh war ein kleines Brandloch. „Du Schussel“, lachte Undertaker sanft. Ich ließ den Kopf hängen: „Und ich kann's noch nicht mal auf mein Karma schieben...“ Wir schauten uns an und fingen wieder synchron an zu lachen. Er hielt meine Hand immer noch fest als wir uns beruhigt hatten. Dann dachte ich, ich müsste gleich sterben. Denn der Bestatter nahm meine Hand nach oben und drückte einen kleinen Kuss auf die verbrannte Stelle. Seine Lippen waren ganz weich und so unsagbar kalt! Alles! Und ich meine wirklich ALLES! hatte aufgehört: Denken, Herzschlag, Atmung, die Welt. Es funktionierte NICHTS mehr! Ich starrte einfach nur auf das Gesicht des Bestatters, der es mittlerweile wieder hochgenommen hatte. „Besser?“, fragte er. Ich schaffte es irgendwie zu nicken. Es tat nicht mehr weh, denn ein Kribbeln hatte sich von der Stelle ausgebreitet und schwirrte wild durch meine Nerven. Durch alle Nerven. Gleichzeitig. „Geht es dir nicht gut?“ „D-d-doch!“, schaffte ich es irgendwie: „Bei mir ist... ist alles ok!“ „Dann“, Undertaker ließ meine Hand los: „Lass es fahren.“ Ich konnte nicht aufstehen. Das Gefühl in meinen Beinen war auf das Kribbeln beschränkt und ich fühlte meine Knie nicht mehr. Ich räusperte mich und zwang mein Körpergefühl zu mir zurück zu kehren. Etwas umständlich krabbelte ich auf meine Füße und endete auf meinen wackeligen Knien. Auch Undertaker erhob sich. Vorsichtig ging ich endgültig zu dem kleinen Bach und setzte behutsam den leuchtenden Lampion ins Wasser. „Für dich Oma“, flüsterte ich: „Ich hoffe es geht dir gut, da wo du bist. Mir... mir geht es gut.“ Dann segelte es mit den vielen Anderen nach irgendwo. Ich schaute dem kleinen Schiff mit einer gewissen Melancholie hinter her. Mir wurde gerade wieder bewusst, dass ich meine Oma furchtbar vermisste. Ich hätte so gerne, dass sie bei meiner Einschulung gewesen war. Dass ich in den Ferien zu ihr fahren und mit ihr backen könnte, während ich von meinem guten Zeugnis erzählte und den vielen tollen Sachen die mir passiert waren. Ich hätte ihr gerne Amy vorgestellt. Sie hätten sich sicher so gut verstanden. Ich hätte ihr so gern stolz erzählt, dass ich der Fag eines Prefects bin. Ich hatte noch so viel mehr was ich ihr erzählen wollte. Zwei Arme falteten sich um meine Schultern und ich merkte den Druck von etwas Spitzem auf meinem Kopf. „Sie weiß das alles“, sagte eine Stimme von oben. Es irritierte mich, dass der Bestatter mich von hinten umarmte und genau zu wissen schien, was ich dachte: „Woher...?“ „Intuition und Erfahrungswerte. Wenn ich mit atmenden Menschen zu tun habe. sind es zu 95% trauernde Angehörige. Ich weiß wie sie schauen. Ahehehehe!“ Worüber er lachte fragte ich nicht. Es gehörte einfach zu ihm. Wenn er nicht grinste oder lachte war die Welt einfach nicht richtig. Ich drehte mich um. Nun wo wir nicht mehr seitlich, sondern ich mit dem Rücken und er mit dem Gesicht zu den kleinen Kerzen standen, war das Funkeln in seinen Augen überdeutlich. Nur seine Pupillen schienen es gierig zu verschlucken. Sie leuchteten einfach heller als die Teelichter auf dem Wasser. Er legte mir seine Hand an die Wange während sein Lächeln wieder Welten rettete. Sie war so kalt auf meiner roten Haut und lies eine Gänsehaut über meinen Körper rieseln. Ich spürte den Körper des Leichengräbers überdeutlich. Meine Gedanken wurden ein weiteres Mal einfach fort gewischt. Was ich dachte und was um uns herum passierte war gerade einfach nicht wichtig. Diese grünen Augen. Die waren wichtig. Wie auf Kommando legte er mir die andere Hand um die Hüfte und zog mich zu sich. Zwischen unsere Körper passte nun nicht mal mehr ein Blatt Papier. Ich merkte wie mein Herz gegen seinen Körper schlug und Seins gegen meinen. Sie hatten denselben Takt. Aus einem spontanen Impuls heraus legte ich eine Hand an seine Schulter und fuhr mit der anderen seinen Hals hinauf bis sich meine Finger in seinen langen, weichen Haaren verhedderten. Der Totengräber wehrte sich nicht. Ich ertrank in seinen Augen, denn atmen konnte ich nicht mehr. Sein Daumen strich über meine Unterlippe und setzte die Stellen die er passiert hatte unter Strom. Ich sah am Rand meines Sichtfeldes, dass sein Lächeln breiter wurde: „Ich hab es noch nie erlebt, dass jemand ein Lied über mich schreibt.“ „Wer sagt, dass es von dir handelt?“, neckte ich ihn leise. Er lachte: „Hehe! 'You're hilarious and crazy, odd like no one else'. Über wen denn sonst? Meinen weniger psychotischen Zwillingsbruder? Oh warte, hehehehe, ich hab ja keinen! Ehrlich meine schöne Puppe. Ich bin blind, nicht taub. Selbst William hat es verstanden und der hat nun wirklich gar keinen Sinn für blumige Ausschmückungen.“ Ich lachte mit: „Sonst sagst du immer, du seist sehschwach und nicht blind.“ „Ehehehehe stimmt, stimmt. Aber blind ist schneller gesagt als sehschwach.“ Ich schloss meine Augen und wir lachten kurz. Dann merkte ich etwas Kühles gegen meine Stirn. Als ich meine Augen wieder öffnete hatte der Bestatter seine Stirn gegen meine gelehnt und immer noch die Augen geschlossen: „Denkst du so über mich?“ „Ja“, sagte ich ohne zu überlegen. Denken konnte ich gerade eh nicht mehr. Mein logischer Verstand war irgendwo mit dem Schiffchen in der Ferne verschwunden: „Tue ich.“ Die Kälte seiner Haut traf in einem sirrenden Knistern auf die Wärme meiner. Meine Gedanken vibrierten und wurden zu zähen Schleiern. „Wenn du dich da mal nicht verschätzt.“ „Das glaube ich nicht.“ Der Totengräber lachte durch die geschlossenen Lippen und seine Hand fuhr über meine Wange in meine Haare, als er meinen Körper noch fester an sich drückte. Ich hob meinen Kopf ein Stück, er schlug die Lider auf und unsere Nasenspitzen berührten sich zum ersten Mal. Mein Herz setzte aus, doch das bekam ich nur am Rande mit. Ich sah nichts mehr außer den schmalen leuchtenden Augen. Ich musste auch nicht mehr sehen. Sie waren alles, was ich sehen wollte. Doch dann verschwanden sie, genau wie die Berührung seiner Stirn. Seine Nase war allerdings immer noch dort wo sie gewesen war, als er sein Gesicht ein Stück drehte. Ich spürte seinen Atem auf meinen Lippen und sein Herz schlug irgendwie schneller gegen meinen Körper. Mein Eigenes erwachte in einer rasenden Geschwindigkeit wieder zum Leben, als er sein Gesicht nach vorne recken wollte und ich die Augen schloss... „Süßes oder Saures!“, grölte es in einem mehrstimmigen Kinderchor zu uns herüber. Ich riss die Augen auf. Der Kopf des Totengräbers fuhr herum. Meiner tat es ihm gleich. Eine Schar Kinder kamen mit ihren Tüten auf uns zu gerannt. Mit einem Schlag kam die Welt zurück und ich war fast mit ihr überfordert. Ich blinzelte Undertaker an. Er lachte und ließ mich los. Also ließ auch ich, mit einem gewissen inneren Widerstand, meine Hände von ihm abfallen. Ein scharfes Gefühl surrte durch meine Brust, doch ich lächelte und ging hinter dem großen Mann die kleine Anhöhe hoch. Wir packten unsere Körbchen und verteilten die Süßigkeiten an die sich freuenden Kinder. Der Bestatter zeigte sich ungeahnt gekonnt in dem Umgang mit den Kleinen. Lachte, brachte sie zum Lachen. Wuschelte ihnen liebevoll durch die Haare. Das scharfe Gefühl wurde bei diesem Anblick ein wenig besser, ging aber nicht wirklich weg. „Tschö!“ „Bis zum nächsten Jahr!“ „Macht es gut!“, riefen die Kinder, nachdem sie unsere Körbe fast leer gefegt hatten und liefen zu ihrer Aufsichtsperson um sich für die Heimreise fertig zu machen. Ich seufzte. Das Surren hatte aufgehört. Doch nun lag eine Last schwer auf meiner Seele und ich hatte das Gefühl sie drückt mein Herz zu Boden. Ich schaute zu Boden, als dieses Gefühl mein Gemüt hinunter zog. Weit hinunter. Auf einmal hatte ich einen pinken Lutscher vor der Nase. Meine Augen wanderten an der Süßware entlang, über die langen Finger mit den schwarzen Krallen die sie hielten und dem Arm im alten Männerrock hoch bis zu dem grinsenden Gesicht des Totengräbers. „Hehe. Lolly?“, fragte er giggelnd und wedelte mit dem Zuckerklümpchen vor meinem Gesicht. Ich seufzte. Dann entfuhr mir trotz der Schwere in meiner Brust ein Lachen, als ich den weißen Stiel griff: „Hihi, danke.“ Ich steckte ihn nicht sofort in den Mund, sondern hielt ihn mit beiden Händen vor meine Brust und starrte ihn an. Dieses schwere Gefühl kannte ich nur zu gut: Es war Enttäuschung. Das Rascheln von Plastik ließ mich hoch schielen. Undertaker hatte sich selber einen ausgepackt, die Folie in das Körbchen geschmissen und ihn in seinen Mund gesteckt. Sein Grinsen wurde irgendwie selig und entlockte mir ein Kichern. Dann wanderten seine Augen zu mir. Hastig schaute ich weg und die Röte, die die ganze Zeit nur auf ihren Auftritt gewartete hatte, traf mich mit voller Wucht. Mit einem weiteren Lachen nahm der Leichengräber mir den Lutscher wieder aus der Hand und steckte ihn beiläufig in meinen Mund. Ich blinzelte mit gestopftem Mund zu ihm hoch. Sein Lutscher dämpfte sein Lachen ein wenig. Dann drehte er die Süßigkeit einmal genüsslich in seinem Mund und nahm sie heraus: „Sollen wir zu den anderen? Nicht, dass noch jemand nach dem Geburtstagskind sucht. Hehe!“ Ich lachte dumpf und nahm ebenfalls den Lutscher aus dem Mund: „Können wir. Ich weiß zwar nicht wer nach mir suchen würde, aber naja.“ Undertaker setzte sich in Bewegung: „Hehehehe! Machst du Witze! Amy, Fred, Ronald. Eigentlich alle! Da sie mich auch aus den Augen verloren haben denken sie wahrscheinlich, ich foltere dich gerade mit einem meiner Halloweenscherze zu Tode. Tihihihihihihi!“ Ich schloss zu ihm auf: „So schlimm können deine Scherze nicht sein.“ „Och“, machte er lachend: „Ehehe! Kommt drauf an, ob ich die Person mag die sie treffen.“ Mit einem heiteren Lachen ließen wir die kleinen Schiffchen hinter uns. Der Garten war schon um einiges leerer, als wir wieder zu der eigentlichen Party kamen. Es war spät und die Kinder waren verschwunden, sowie ein Großteil der anderen Gäste. Sie hatten ihren Ruf mit ein bisschen Charity aufpoliert und sahen wohl keinen Grund mehr zu bleiben. Lee, Fred und Amy kamen auf uns zu gelaufen: „Sky?! Geht es dir gut?“ Ich schaute sie etwas verwirrt an und nahm den Lutscher aus dem Mund: „Ja klar, warum sollte es mir nicht gut gehen?“ Ihre Augen wanderten synchron zu Undertaker. Dieser lachte: „Ehehe! Ich habe nichts getan.“ Ihre Augen wanderten zu mir. Ich nickte: „Er hat recht.“ Die Drei atmeten im Chor durch. Ich schaute den Bestatter an: „Du bist an Halloween wirklich ein Albtraum, oder?“ Er hob die Schultern: „Ehehehehe! Ich hab ne Menge Spaß.“ „Das glaube ich“, machte Fred: „Weißt du wie viele Gäste in deine Fallen getappt sind?“ „Hehehehe! Ich hoffe einige.“ „Ja!“, rief Fred fast gereizt. Lee kicherte: „Und es war lustig.“ Ich steckte mir meinen Lutscher wieder in den Mund und beschaute die Szenerie schweigend. Amy nickte eifrig: „Die haben blöd geschaut. Als der Einen das Skelett um die Ohren geflogen ist! Aber die ist auch eine blöde Schnalle! Hat sie voll verdient“ „Oh oh“, machte Lee und zeigte auf Amy: „Oder der steife Typ, der von der Riesenspinne assassiniert wurde!“ „Oder oder!“ Fred hebt die Hände und unterbrach Amy: „Es reicht!“ „Aber es war lustig“, sagten Amy und Lee im Chor. Undertaker lachte: „Hihihi! Und ich hab's verpasst.“ „Wo warst du eigentlich?“, fragte Amy: „Ich habe es noch nie erlebt, dass du es verpasst dir deinen Triumph abzuholen.“ Er giggelte: „Ich hatte etwas Besseres zu tun.“ Ich stockte und blinzelte zu ihm hoch. Ich merkte drei paar Augen auf mir. Also drehte ich meinen Kopf zur Seite und versuchte mein Rosa daran zu hindern nicht in einem satten Rot zu enden. Ein Klimpern lenkte mich ab. Als ich hoch schaute sah ich, dass Sebastian mit ein paar Mägden angefangen hatte das Essen rein zutragen. Amy lachte: „Es geht wohl jetzt drinnen weiter. Kommt!“ Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Dann stoppte uns ein großer Knall, gefolgt von einem spitzen: „IIIIIIHHHH!“ Amy, Lee und Fred wirbelten herum. Ich blieb stocksteif an der Stelle stehen. Undertaker presste die Hand vor den Mund und hielt sich mit der anderen den Bauch. Diese Reaktion gab bei mir Entwarnung. Es schien, als habe nur ein weiterer seiner Streiche gefruchtet. „UNDERTAKER!“, keifte es von hinten: „Wenn ich dich in die Finger bekomme, bist du tot! Hast du gehört?! TOT!“ Ich drehte mich herum. Grell stand vor einem Dekoskelett und hielt die Arme von seinem Körper. Er war über und über bedeckt von blauem Glibber. Undertaker drehte sich um und verlor jegliche Selbstbeherrschung als er Grell erblickte: „Pahahahahahaahahahahahahaahaha! Nein! Ausgerechnet du! Ahihihihihihihhihi! Das ist ja wie Weihnachten und Neujahr am selben Tag!“ Grell hob den Kopf und sah den lachenden Bestatter. „DU!“, rief er: „RENN UM DEIN ERBÄRMLICHES DASEIN!“ Dann sprintete der Mann in Rot los. Es überraschte mich, dass er in dem langen, engen Rock so ungestört und schnell rennen konnte. Undertaker schaute mich kurz an: „Äh... Ehehe! Ich muss kurz weg!“ Dann nahm der Bestatter seine Beine in die Hand und rannte schrill lachend in Richtung Gebäude. Dabei rannte er Sebastian fast um den Haufen, als er an ihm vorbei in einer Türe verschwand. Der Butler schaute mit klimpernden Augen in unserer Richtung. Grell rauschte wütend und mit erhobener Faust an uns vorbei: „BLEIB STEHEH, DU AUSHILFSPAUSENCLOWN!“ Sebastian hob das Tablett mit Essen über seinen Kopf und presste sich gegen eine Wand, um Grell Platz zu machen, der in seiner Wut die Übersicht über die Umgebung verloren zu haben schien. Als dem Butler aufging was passiert war, drückte er seine behandschuhte Hand vor den Mund und lachte Grell leise, aber mit einigem Pläsier, aus. Amy, Lee, Fred und ich tauschten kurz ein paar stumme Blicke und mussten dann anfangen zu lachen. „Willkommen bei den Phantomhives“, grinste Fred zu mir, als wir uns beruhigt hatten. Ich nickte und lächelte breit. Ich war gerne hier. Schließlich hatte wir es endlich geschafft den Ballsaal zu betreten. Wir unterhielten uns locker, als wir in den großen Raum kamen.  Doch das kribbelige Gefühl - welches mich mal wieder den ganzen Abend verfolgte und nur am Bach fast nicht mehr zu merken gewesen war – stob wieder auf und war intensiver, als den vorangegangenen Abend. Ein kleiner Tumult stoppte allerdings unsere Konversation und meine Grübeleien, über das Kribbeln. Ich sah Alex, Heather, Frank und Charlie beieinander in einer Ecke stehen. Sie lachten amüsiert. Nur Frank hatte die Hände in den Hosentaschen und rollte unaufhörlich mit den Augen. „LASST MICH LOS! Das wird er mir büßen! Das war ein Designerstück! Hörst du?! EIN DESIGNERSTÜCK!“ Unsere Köpfe drehten sich zu dem Geschreie. Grell hatte eine große Schüssel Bowle in den Händen. Sie faste sicherlich 10 Liter und er hielt sie bemerkenswert unangestrengt über seinen Kopf. Undertaker lag vor ihm auf den Boden und starb einen seiner üblichen lachenden Tode. An einem Arm von Grell hing Ronald, an dem anderen William. Sebastian hielt von vorne gegen die große Schüssel. „Sutcliff!“, rief der strenge Schwarzhaarige: „Lass die Bowle sinken! Ich warne dich! Du bist eine Schande für die ganze Dispatch Association!“ „Grell!“, zurrte Ronald an seinem Arm: „Beruhige dich! Es ist doch nur Götterspeise! Das kann man waschen!“ „NIEMALS! Er wird leiden! Hört ihr?! LEIDEN!“, Grell versuchte sich nach vorne zu beugen, doch Ronald und William hielten ihn davon ab. „Ich warne dich Grell!“, schnaubte der Butler wütend: „Wage es dich und ich werde dein schlimmster Albtraum!“ Ich war der festen Meinung Undertaker würde Grells Rache eh nicht mehr miterleben. Vorher unterlag er seinem Lachanfall. Nachdem mein Unglaube überwunden war, musste ich lachen. „Ich versuch mal die Situation zu retten“, seufzte Fred. Lee hielt ihn zurück: „Oh nein, nein, nein! Ich will wissen, ob er sein Fett weg kriegt!“ Fred seufzte wieder: „Du trägst ihm die Sache mit der Farbbombe vom letzten Jahr immer noch nach, oder?“ „Ja!“, machte Lee: „Aber natürlich!“ Fred kratzte sich am Kinn: „Wo bin ich hier gelandet?“ Lee lachte: „Sag du es mir. Ist dein Haus.“ „Ja“, machte Fred: „Ich lebe in einem Irrenhaus...“ Ich musste kichern. Amy stimmte ein. Grell versuchte immer noch in rasender Wut Undertaker die Bowle über den Kopf zu schütten. Sebastian, William und Ron riefen ihn Dinge zu, doch der Mann in Rot hatte komplett dicht gemacht und war nur noch auf die Vollendung seiner Rache fixiert, womit er sein Ziel augenscheinlich nur noch mehr amüsierte. Auch diese Szene hatte trotz allem ihre ganz eigene Idylle und Harmonie. So geht man nicht mit Menschen um, die man nicht mag. Das war ein Hahnenkampf unter Freunden. Und ich. Ich stand in einer kleinen Gruppe von Gleichaltrigen, mit der ich mich gemeinsam amüsierte. Eine nicht gekannte Leichtigkeit fuhr durch mein Herz. Ich fühlte mich akzeptiert. Ich hatte das Gefühl meine Anwesenheit war gut und richtig. Freds Stimme weckte mich: „Es reicht. Das geht ja nicht vor und nicht zurück.“ Amys älterer Bruder machte sich auf den Weg zu den Streithähnen. Lee stöhnte: „Och nein! Es ist doch grad' so lustig!“ Fred warf nur abwertend eine Hand zu ihm über die Schulter und ging weiter: „Komm runter Grell!“ „SAGT MIR NICHT WAS ICH TUN SOLL!“ Fred diskutierte mit Grell um die Wette. Irgendwann setzte sich Undertaker in den Schneidersitz und legte den Kopf schief, als er die Szenerie beschaute. Nicht, dass er sie hätte auflösen können indem er einfach weggehen würde. Doch das tat er nicht. Er hatte offensichtlich viel zu viel Spaß. Nach ein paar Sekunden fing er an sich grübelnd mit dem Zeigefinger an die Lippe zu tippen. Ich sah die kleine Glühbirne förmlich über seinem Kopf anspringen, als er ein weiteres Mal lachte. Was folgte erntete meinen ehrlichen Respekt. Undertaker stellte die Hände hinter seinen Rücken auf den Boden und sprang vorne auf die Füße. Dann stoß er sich mit den Füßen ab und machte einen Handstand. Sein Fuß wandte sich an dem schwarzhaarigen Butler vorbei und trat vor die Bowle. Die Schüssel kippte nach hinten. Der Butler konnte sie nicht schnell genug fassen und sie ergoss ihren Inhalt auf den wütenden Mann in Rot. Die Krempe seines großen Hutes klappte nass nach unten und Sebastian, Ronald sowie William huschten schnell zur Seite um der roten Flüssigkeit zu entkommen. Als Undertaker in der Hocke gelandet war, bewahrte Fred die große Glasschüssel von der Kollision mit dem Boden und Grell stand wie ein begossener Pudel, vollgesaut mit Bowle und Glibber in der Gegend. Ich musste neidvoll zu gestehen: Der Stunt hatte Stil. Viel davon. Sebastian legte die Hand an die Stirn und stemmte die andere in die Hüfte: „Warum? Warum hast du das getan? 1.700 Pfund... einen ganzen Vormittag Vorbereitung und nun ist es Parfüm für einen roten, begossenen Pudel...“ William seufzte und legte eine Hand vor die Augen: „Drama in...3...2...1...“ „RUINIERT!“, Grell ging in die Knie, schlug die Hände vors Gesicht und fing lautstark an zu flennen: „Warum?! Oh warum ich?! Was, oh Welt, habe ich dir angetan?! Mein schönes Kleid! Oh mein schönes Kleid!“ Lees, Amys und mein Kopf kippten gleichzeitig zur selben Seite, als Grell so bitterlich um seine Garderobe weinte. Von hinten hörte ich Amys Eltern und Charlie lachen. Auch Sebastian schüttelte amüsiert den Kopf, als er Fred die Schüssel abnahm und Ronald hatte sich, die Hand auf den Bauch, vor Lachen vorgebeugt. William schüttelte mit verschränkten Armen den Kopf. Undertaker stand auf und ging die zwei Schritte zu Grell, der schluchzend in seiner Pfütze saß. Mit einem seiner langen Zeigefinger hob er ein Bröckchen der blauen Götterspeise von Grells Schulter als er sich hinunter beugte. „Hmmm Blaubeere mit Erdbeerbowle. Ahehehehehe. Köstlich“, lachte er, als er sich das kleine Bröckchen in den Mund geschoben hatte. Grell griff ihn am Hemd und schüttelte ihn: „Wie konntest du nur?! Wie konntest du nur?! Ich dachte wir sind Freunde und gehen durch dick und dünn?!“ Undertaker lachte, während er wieder nach vorne und hinten geworfen würde: „Tun wir. Ahehehehe! Durch dick, dünn und blaue Gelatine! Pahahahaha!“ „DU HAST MICH GAR NICHT GERN!“ Undertaker lachte weiter: „Awahahahahaha! Natürlich habe ich dich gern! Hätte ich dich nicht gern, hätte ich blauen Tapetenkleister genommen! Tihihihihihi!“ „ICH HASSE DICH!“ William ging die Hutschnur hoch. Er riss Sebastian, der die Szenerie mehr als perplex verfolgt hatte, die große Schüssel aus der Hand und zog sie Grell über den Hinterkopf: „Es reicht!“ Grell kippte an Undertaker vorbei und blieb mit einem zuckenden Bein liegen. Lachend stand der Bestatter auf und William klemmte die ovale Schüssel unter seinen Arm: „Tat das denn wirklich Not, Undertaker?“ Dieser lachte immer noch: „PAHUHUHUHUHUHUHU! Voll auf die 12! WAHAHAHAHAHA!“ William seufzte, stellte die Schüssel wieder auf den Tisch, packte dann Grell am Kragen und zog seinen halbohnmächtigen Kollegen einfach über den Boden aus dem Raum. Ich schaute Amy an: „Sind die...“ „Ja“, machte sie, ohne dass ich ausreden musste: „Das ist der ganz normale Wahnsinn“, lachend breitete sie die Arme aus: „Willkommen bei den Phantomhives!“ Ich lachte mit. Eine Magd kam mit einem Wischtuch und nahm sich der Bowlenpfütze an. Jemand seufzte neben mir. Es war Sebastian. Der Butler schaute uns mit einem großen Schweißtropfen an der Stirn an: „Darf ich euch eure Jacken abnehmen?“ Kichernd gaben wir dem Butler unsere Jacken. Dann ertönte moderne Musik. Eine Mischung aus Rock, Pop und Electronic. Sie war ziemlich flott. Lee streckte Amy eine Hand hin: „Oh, das Lied hab ich mir gewünscht! Darf ich bitten?“ Amy legte ihre Hand hinein. Ich sah einen kleinen rosa Schlimmer auf ihrem Gesicht: 'Aha? Solche Typen magst du also.' Ich war mir ganz sicher, dass sie letztes Mal bei Ron nicht rot geworden war. Lee zog Amy auf die Tanzfläche. Was sie aufs Parkett legten war nicht wirklich einer Tanzart zuzuordnen, aber es sah gut aus und die Beiden hatte sichtlich Freude. Auch Ron hatte keine Probleme aus den übrig gebliebenen, unbekannten Gästen eine schöne Tanzpartnerin zu finden. Selbst Fred nahm sich eines Mädchens an und führte sie auf die Tanzfläche. Alex hatte die Hand seiner Frau genommen und die Beiden wirbelten über die Tanzfläche. Ich blieb alleine zurück und legte den Kopf schief, während ich den Anderen beim Tanzen zuschaute. Nun wo mich nichts mehr ablenkte, schwebten meine Gedanken ein paar Minuten zurück zu dem kleinen Bach. Was war dort passiert? Oder eben nicht? Wäre etwas passiert? Mein Herz klopfte schneller, als ich an die Situation dachte und ich verschränkte meine Hände hinter dem Rücken, als ich den Kopf hängen ließ. Wahrscheinlich wäre nichts passiert. Wollte ich, dass etwas passierte? Und wenn.... was? Ich hatte wieder 2 Stimmen in meinem Kopf: Die Eine war sich sicher zu wollen, dass etwas passierte. Die Andere fragte mich, ob ich etwas Schlechtes gegessen hatte und wie ich denn bitte auf den Gedanken der puren Möglichkeit kommen würde. Ich schabte gedankenverloren mit meinem Fuß über den glatten Marmorboden. Was soll denn bitte ein Mann wie er an mir gut finden? Ich habe sicher... Ich musste das falsch interpretiert haben. Ich wusste ja noch nicht einmal wie ich es interpretierte! Er wollte mich sicher nur irgendwie ärgern... Wahrscheinlich hatten mich die Kinder vor einem Streich gerettet. Einen Piks mit einem dieser Scherzelektroschocker oder so... „Willst du nicht tanzen?“, fragte eine Stimme neben mir. Ich schaute hoch in ein vernarbtes Gesicht: „Öhm...“, dann schaute ich wieder zu Boden: „Ich kann nicht gut tanzen.“ Undertaker lachte: „Ahehehehehe! Du bist im violetten Haus. Natürlich kannst du tanzen.“ Ich schüttelte den hängenden Kopf: „Nein... Ich hab in Tanzen gerade mal eine Drei...“ „Noten sind nicht alles. Tihi!“ „Kannst du tanzen?“ „Machst du Witze?“, lachte der Bestatter: „Ich liebe es! Hehe! Und ich möchte einfach mal von mir selbst behaupten ich bin ziemlich gut darin!“ Ich legte den Kopf schief und schielte zu ihm hoch: „Warum tanzt du dann nicht?“ Eine Hand erschien vor meiner Nase: „Meine Tanzpartnerin hat noch nicht ja gesagt.“ Ich zog den Kopf ein Stück zurück und schaute ungläubig von seiner Hand in sein Gesicht: „Was meinst du?“ Sein warmes Lächeln war wieder erschienen: „Darf ich um diesen Tanz bitten?“ Ich zögerte. Irgendwie war ich mir nicht mehr sicher wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Die Situation am Bach stand ungeklärt wie eine dicke Wand zwischen mir und dem hochgewachsenen Mann. Ich war weder sicher was ich wollte, noch konnte ich irgendwelche Schlüsse ziehen was er darüber dachte. Er benahm sich eigentlich, als wäre es nie passiert. Vielleicht überdenke ich das alles auch nur und für ihn war es irgendwas vollkommen Unverfängliches gewesen. Schließlich sah der Totengräber Dinge einfach ganz anders als alle anderen. Ich seufzte. „Sky?“, hörte ich seine Stimme. Ich blinzelte zu ihm hoch: „Hm?“ „Ist irgendetwas?“ Ich zuckte mit den Schulter: „Ich... weiß nicht.“ „Willst du reden?“ Ich schüttelte den Kopf: „Ich sag dir Bescheid wenn ich wirklich weiß was. Dann kann ich dir sagen ob.“ Der Bestatter wackelte mit den Kopf: „Wie du möchtest. Nun? Was sagst du?“ Mir fiel auf, dass er mir immer noch seine Hand hinstreckte. Ich musterte sie kurz überlegend. Was nützt es mir jetzt mich davon aus der Bahn werfen zu lassen? Zumindest von seiner Warte aus schien ja zwischen uns alles völlig in Ordnung zu sein. Außerdem hatte er mir schon so oft geholfen. Eigentlich war ich es ihm schuldig. Also nickte ich knapp und legte ein wenig zögerlich die Hand in Seine. Seine kalten, langen Finger schlossen sich um meine eigenen und er zog mich mit sich. Das Lied wechselte, als wir auf der Tanzfläche angekommen waren, zu einer schnellen Discomusik. Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass es die Musik des Bestatters war. Andererseits wenn man wirklich gerne tanzte fraß in diesem Punkte wohl der Teufel Fliegen. Ich wusste nicht wirklich wie ich anfangen sollte. Meine Scheu den Bestatter anzufassen war ungeahnt groß geworden. Des Weiteren war er so groß! Ich endete an seinem Schlüsselbein! Meinen Zaudern wohl gewahr nahm der Bestatter das Zepter in die Hand. Er legte meine Arme um seinen Hals und dann seine Hände links und rechts an meine Taille. Wir begangen uns im Rhythmus der Musik zu drehen. Das Einzige, was nicht annähernd im Takt war, war mein Herz. Es klopfte viel zu schnell und drohte mich immer wieder aus dem Rhythmus zu werfen. Doch der Totengräber führte mich mit einer ungeahnten Routine über die Tanzfläche. Mir war natürlich schon aufgegangen, dass der Leichengräber alles andere als ungeschickt oder ungelenk war, aber ich hatte ihm irgendwie nicht zugesprochen, dass er gut tanzen könnte. Wenn einer von uns beiden viele Talente hatte dann er und nicht ich. Irgendwann schubste er mich sachte weg, packte dabei meine Hand und wir drehten uns halb auseinander. Dann wieder zurück. Er nahm meine andere Hand, ließ die Erste los und wir drehten uns wieder ein Stück auseinander. Als er meine zweite Hand wieder griff hörte ich ihn lachen. Es schien ihm Freude zu machen und diese Erkenntnis mogelte ein leichtes Lächeln in meine Züge. Ich konzentrierte mich furchtbar genau auf meine Füße. Ich wollte auf keinen Fall wieder auf der Nase landen, oder ihm auf die Füße treten. Meine 10cm Plateauabsätze machten es leider nicht einfacher. Es irritierte mich immer ein wenig, wenn er eine Hand los ließ um eine Figur zu drehen. Ob er mich nun um mich selbst drehte, oder von ihm weg. Doch nach dem ersten Lied hatte meine Scheu einem amüsierten Pläsier Platz gemacht. Die Freude des Bestatters war ansteckend. Ansteckend wie sein Lachen. Es war einfach nicht möglich sich in seiner Anwesenheit dauerhaft schlecht zu fühlen. Wenn auch im positiven Sinne: Dieser Mann war furchtbar manipulativ! Ich hatte die Lieder, die wir auf der Tanzfläche verbrachten, nicht mit gezählt. Es waren viele gewesen! Lange drehten wir uns und tanzten. Ich gewann durch die führenden Hände des Totengräbers immer und immer mehr an Sicherheit bei dem, was ich tat und irgendwann war die ganze Anspannung von mir abgefallen. Ich fing an zu lachen und zu lächeln. Genau wie der große Mann direkt vor mir. Er hatte nicht gelogen: Er war ein unglaublich guter Tänzer. Er hatte mit seiner Aussage er sei 'ziemlich gut darin' eigentlich sogar eher untertrieben. Seine großen, runden Bewegungen waren instinktiv und in einem hohen Maße elegant. Doch irgendetwas in meinem Kopf sagte mir, dass er sich nicht gänzlich wie ein Tänzer bewegte. Ich hatte das Gefühl seine Körpergefühle und -beherrschung hatten noch einen anderen Ursprung. Nur konnte ich nicht sagen welchen. Als Undertaker mich wieder einmal um mich drehte sah ich Grell auf der Tanzfläche. Er trug seinen roten Anzug und tanzte ausgelassen neben Ronald. Die Beiden tanzten ohne Partner. Auch sie hatten ihre Körper exzellent unter Kontrolle. Undertaker nahm wieder meine zweite Hand und in der Drehung huschten meine Augen über Amy, Fred und Lee. Auch die beiden Jungs bewegten sich einzigartig beherrscht, doch nicht so wie Amy, die wirklich nur wie eine gute Tänzerin wirkte. Irgendwo her kam mir diese Art sich zu bewegen bekannt vor. Dann machte es Klick: Die Kampfsportler aus dem grünen Haus bewegten sich ähnlich. Sie hatten Bewegungsabläufe aus dem Training instinktiv in ihren Körpertonus übernommen. Aber... war es möglich, dass sie alle auf irgendeine Art und Weise im Kampfsport bewandert waren? Lee war es. Er hatte in den lockeren Plaudereien fallen lassen, das er Prefect des grünen Hauses gewesen war und seine Schulkameraden furchtbar lachen mussten, als er als Chinese Kung Fu als Hauptsportart gewählt hatte. Bei Fred konnte ich es mir auch vorstellen. Kampfsport war ein beliebtes Hobby für junge Menschen. Dasselbe galt vielleicht auch für Ron. Aber Grell und Undertaker? Sie wirkten beide nicht, als seien sie der Typ dafür. Die Musik wechselte zu einer Ballade und Undertaker warf mich aus meinem Gedanken, als er seine Hände an meine Hüften nahm und mich zu ihm ran zog. Instinktiv legte ich die Hände um seinen Hals und wir begangen zu schunkeln. Seine grünen Augen schauten mich an: „Hast du Spaß?“ Ich nickte eifrig und konnte das breite Grinsen nicht von meinem Gesicht verbannen. Er lachte: „Haha! Das freut mich!“ Dann legte er vollkommen ohne Vorwarnung seine Stirn auf meine und schloss mit einem zufriedenen Grinsen die Augen. Obwohl mein Gesicht wieder so furchtbar warm wurde und ich einen kleinen Flashback zurück zum Bach unterlag, schloss ich meine ebenfalls und begann die Situation zu genießen. Meine inneren Mauern waren zerbröckelt. In mir wollte sich nichts mehr wehren und eine angenehme Wärme stieg von meinen Bauch in meine Brust. Just in diesem Moment ging splitternd die Welt unter... Schreie. Überall. Menschen rannten durcheinander. Chaos. Panik. Ein fürchterliches Krachen hatte unsere Köpfe herumfahren lassen. „Vorsicht!“, hatte jemand gerufen. „Alle von den Fenstern weg!“, ein anderer. Die Splitter der berstenden Fensterscheiben flogen glitzernd durch den Raum und auf die Menschen darin. Mir war, als krieche der Hauch der Verdammnis durch die kaputten Fenster. Er füllte den Raum in Sekundenschnelle und schnürte mir mit einem unangenehmen Kribbeln unter der Haut die Brust zu. Mich ergriff das unwillkürliche Gefühl jemand beobachtete uns aus sicherer Entfernung durch die kaputten Fensterscheiben. Erst waren zwei Fenster weiter weg zu Bruch gegangen. Die Welt erfasste ich für einen überforderten Moment nur in abgehackten Sequenzen, die keinen Sinn ergaben. Mit einem lauten Krachen folgte das Fenster direkt neben uns. Glas rieselte durch die Luft und fiel wie ein Regen aus feinen Kristallen auf den Boden. Auch auf den Bestatter und mich. Mir entfloh ein Schrei. Er mischte sich unter die Panik der Anderen, als ich den Kopf unter meine Arme und auf meine Brust drehte um die Splitter nicht ins Gesicht zu kriegen. Eine Hand packte mich und zog mich herum. Als ich aufschaute sah ich Undertaker, der mich hinter sich zog. Dann folgte ein schneidendes Geräusch und ein... Winseln? Die Zeit spulte sich mit einem mal wieder in ihrem eigentlichen Tempo ab, als ich hinter dem Rücken des Totengräbers zum Stehen kam. Ich traute meinen Augen nicht. Was ich sah lag jenseits meiner Vorstellungskraft. Die Bilder krochen schwer durch meine geschockten Gedanken. Schützend vor mir stand der Totengräber. Doch was er in der Hand hielt, wollte ich erst nicht erkennen. Ich tat es, doch konnte es nicht glauben. Wo kam sie her? Verstecken konnte man so etwas nicht! Sie war viel zu groß! Das Winseln wurde zu einem Knurren. Ein gigantischer schwarzer Hund sprang auf den Bestatter zu. Und ich meine gigantisch! Seine Schulterhöhe schlug locker die eines ausgewachsenen Kaltblüters um die Hälfte. Das Tier fletschte seine abscheulich spitzen Zähne und wollte sie zielgerichtet in den Bestatter bohren. Der Körper des Tieres schnitt durch die Realität wie ein Brieföffner durch weißes Papier und zog eine unsichtbare Spur aus Unheil hinter sich her. Doch Undertaker lachte durch seine geschlossenen Lippen. Dunkel. Gefährlich. Mit einem Streich der großen Sense, die er von irgendwo her hatte, fiel das Tier nach hinten. Eine Blutsichel flog von der Spitze der silbernen Waffe durch die Luft. Er führte seine Sense so natürlich, als wäre sie ein verlängerter Arm. Dieses Ding war anders als alles, was ich bisher gesehen hatte: Der Griff war größer als der Bestatter selbst. Ich schätzte ihn auf ungefähr 2.10 Meter. Sie hatte eine lange geschwungene Klinge, die aussieht als würde sie aus einem Schädel wachsen, um den eine dornige Rebe gewickelt war. Das aus einem Brustkorb und dem Schädel bestehende Miniatur-Skelett schmückt das obere Ende der Sense. Die Wirbelsäule des Skeletts verschwand in dem langen Griff, der in einem unteren Rückgrat endete. Sie sah erstaunlich aus. Ich musste des Weiteren zugeben, dass sie prächtig zu dem morbiden Mann passte. Doch die große Waffe passte nicht in diese Welt. Irgendetwas waberte um sie herum, zu gleichen Teilen überdeutlich wie unsichtbar. Aus der Wunde des Hundes platzten etliche Streifen eines alten Super 35 Films. Sie schwirrten durch die Luft. Mit einer Handbewegung des Bestatters verschwanden sie wieder. Das Tier zuckte nicht mehr und blieb einfach liegen. Undertaker drehte sich zu mir um. Ich wollte etwas sagen. Ihn Dinge fragen, aber das Aufheulen eines Motors ließ meinen Kopf herumschnacken. Ein weiterer Hund sprang auf Grell zu. Er hatte eine rote Kettensäge in der Hand, deren Griff goldene Ornamente aufwies. Auch sie wirkte, als habe man sie ausgeschnitten und in ein Bild mit falschem Stil geklebt. Mit einer gekonnten Bewegung zerfiel das Tier in Zwei. Blut schwabbte über den Boden. Wieder flogen Filmstreifen durch den Saal, die Grell ebenfalls mit einer wischenden Bewegung verschwinden ließ. Ein weiterer Motor. Mein Kopf flog zur anderen Seite. Ronald flog durch die Luft und hatte einen... Rasenmäher... in den Händen. Ich schüttelte perplex den Kopf. Doch spätestens als er das kreisende Blatt mit einem viel zu hohen Sprung auf den Kopf des Hundes vor ihm steckte und ihn so das Gesicht und die Schnauze zerfetzte, war mir bewusst, dass so etwas ordinäres wie ein Rasenmäher in den Händen des Jünglings eine gefährlich Waffe war. Des Weiteren wirkte auch dieser Rasenmäher auf irgendeine Art und Weise ganz und gar nicht ordinär! Die Szenerie mit den Filmstreifen wiederholte sich ein weiteres Mal. Auch der blonde Jüngling verbannte sie mit einer Geste seiner Hand nach irgendwo. Ein langer, metallischer Stab schwirrte durch mein Sichtfeld als ich Ronald beschaute und ließ die Wirklichkeit verwischen. Eine Astschere bohrte sich durch den ganzen Rum in das Gesicht eines dieser scheußlichen Viecher. Das andere Ende hatte William in der Hand. Er zog sie wieder heraus, die Astschere fuhr ineinander, nur, um sich über seinem Kopf zu drehen und sich gleich wieder auszufahren, als er sie nach vorne stieß und den nächsten Hund erdolchte. Bei seinen Gegnern fuhren ebenfalls super 35 Filme aus den tiefen Wunden auf den strengen Mann zu. Er ließ sie durch zwei Finger fahren und wenn der Film sie passiert hatte, zerfiel er zu braun glitzerndem Staub. Was war hier los? Wo kamen diese ganzen Dinge her? Eine riesige Sense, diese lange Astschere, ein großer Rasenmäher und eine schwere Kettensäge! Sie hatten nichts davon irgendwo vorher bei sich getragen. Und nichts davon versteckte man in seiner Hosentasche! Die Zeit war auch viel zu kurz gewesen um sie zu holen! Sie waren einfach auf einmal da! Und diese Filme? Was waren sie?! Woher kamen sie?! Ich wusste nicht wo ich hin schauen sollte. Etliche schwarze Monsterhunde rauschten durch den Ballsaal. Ihre  getöteten Kameraden zerfielen zu schwarz glänzendem Staub und machten so Platz für die Neuankömmlinge. Filme schwirrten durch die Luft. Blut überflutete den polierten Marmorboden. Das Blut der Hunde... und das Blut der Menschen, die ihnen hilflos zum Opfer fielen, wenn sie nicht schnell genug hinter die 4 Männer gekommen waren. Schreie und Gekläffe surrten durch die Luft und erfüllten sie gänzlich. Silberne Schatten flogen an meinen Augen vorbei. Ich folgte ihnen, als sie einen weiteren Hund an mehreren empfindlichen Stellen trafen und ihn niederstreckten. Das waren... Silbermesser! Ganz normale Silbermesser! Das Filmstreifenspektakel blieb schon fast zu meinem Verwundern aus. Ich drehte die Augen in die Richtung, aus denen sie gekommen waren. Sebastian rannte durch den Raum und warf das Tafelsilber wie Dolche. Er traf mit jedem Wurf. Der Mann war schnell. Ich konnte ihn kaum sehen. Wieder dieses grässliche Reißen und ein Winseln hinter mir. Undertaker hatte einen weiteren Hund mit der großen Sense ins Nirwana geschickt. Ich sah drei Weitere auf ihn zu springen. Das schafft er nicht! Ich hatte keine Ahnung woher er mit dem Ding so gut umgehen konnte, doch drei waren definitiv zu viel. Das war unmöglich! „Undertaker!“, kreischte ich. Dann setzte sich ein riesiger Kloß in meine Kehle und ich starrte ungläubig auf eine Szenerie, an die ich in meinen schlimmsten Albträumen nie zu glauben gewagt hätte: Der Bestatter duckte sich nonchalant unter dem ersten Hund hinweg und rammte ihm sein Sensenblatt in den Bauch. Er zog es der ganzen Länge nach durch den Hund und sein Innerstes platschte schwer, nass und blutig auf den Boden. Mit einer drehenden Bewegung seiner Waffe köpfte er den Anderen, um dann die Sense über seinen Kopf mit beiden Händen zu packen und in der Stirn des Dritten zu versenken. All das war in einer einzigen Bewegung und weniger als einer Minute über die Bühne gegangen. Ich hing irgendwo zwischen tiefem Schock, totalem Unglauben und ehrfürchtigem Erstaunen. Der Totengräber sprang zurück zu mir. Er landete neben mir, griff mich an den Schultern und zog mich in seinen Arm. Schützend brachte er das geschwungene Blatt vor uns und ich verlor den Boden unter meinen Füßen, als er mit einem langen Sprung mehr Distanz zwischen uns und die Fenstern brachte, durch die immer mehr dieser monströsen Hunde sprangen. Rückwärts legte er den gesamten Raum mit einem einzigen Sprung zurück und landete neben Amy und ihrer Familie, so wie Lee, Charlie und Frank. Undertaker setzte mich neben meiner besten Freundin ab: „Bleib hier!“ Er wollte sich wieder umdrehen und zurück ins Gefecht welches Grell, Ronald, William und Sebastian so eisern mit ihren außergewöhnlichen Waffen fochten. Doch ich griff seinen Arm, mit dem er diese vollkommen überproportionale Sense führte: „Bist du verrückt?! Du kannst da nicht wieder hin! Hast du dir mal diese Monster angesehen?! Die sind riesig!“ Sein Kopf zuckte zu mir: „Ehehehehe! Ich weiß, aber ich muss den Anderen helfen.“ „Das ist Selbstmord!“, ich begann zu zittern und merkte einige Tränen meine Wangen runter kullern: „Die bringen dich um! Die zerreißen dich! Ich will nicht, dass dir etwas passiert!“ Ein mitfühlendes Lächeln erschien in seinem Gesicht. Er legte die freie Hand auf meinen Hinterkopf. Dann blieb mir das Herz stehen, als er mir mit seinen weichen, kalten Lippen einen schnellen Kuss auf die Stirn drückte. Er wischte mir mit dem Daumen die Tränen aus dem Gesicht. Vollkommen überwältigt und unvorbereitet getroffen rutschten meine Hände von seinem Arm. „Mir passiert nichts. Hehe! Es braucht schon etwas mehr als ein paar Straßenköter, um mich in einen Sarg zu bringen!“, lächelte er mir selbstsicher und irgendwie amüsiert entgegen. Ich konnte sein Amüsement nicht im Geringsten nachvollziehen. Überall starben Menschen und tobten irgendwelche Monster um uns herum. „Aber!“ „Bleib hier, damit ich mir keine Sorgen um dich machen muss. Fred! Lee! Frank! Charlie! Alex! Ich verlasse mich auf euch!“ Dann verschwand er einfach. Von jetzt auf gleich war er einfach nicht mehr da. Ich zitterte und merkte heiße Tränen meine Wangen herunterlaufen. Ich hatte furchtbare Angst! Amy legte mir die Arme um den Hals: „Alles wird gut Sky! Uns passiert nichts! Sie passen auf uns auf!“ „Aber!“, sah ich sie an: „Wer passt auf sie auf?!“ „Sieh selbst“, Heather hatte sich zu uns herunter gebeugt und legte schützend die Arme um ihre Tochter und mich: „Ihnen wird nichts passieren. Sie sind exzellente Kämpfer. Die Besten.“ Fred, Lee, Frank, Charlie und Alex stellten sich vor uns. Jeder von ihnen hatte ein Schwert in der Hand. In den Schneiden prangten einige Runen und filigran hinein gearbeitete Symbole aus allen Religionen. „Sebastian!“, rief Alexander erbost: „Bereite dem ganzen Spektakel ein Ende! Das ist ein Befehl!“ Der Butler lachte dunkel und zückte mehr Messer und Gabel, bevor er los sprang: „Ja, mein Lord!“ Ich verstand die Welt nicht mehr, als Sebastian mit einem gezielten Wurf den nächsten Hund ins Jenseits schickte. Ein Aufschrei erreichte meine Ohren und ließ meinem Blick von dem Butler wegfahren. Ronald flog durch die Luft. Blut spritzte aus seiner Brust und von den scharfen, erhobenen Krallen eines Hundes. Das Vieh muss ihm frontal die grässlichen Klauen in den Oberkörper gerammt haben. Krachend ging Ron mit seinem Rasenmäher zu Boden. Der Hund holte über ihm aus und ich schlug die Hände vor den Mund. Amy zog mich näher zu sich: „Ron!“ Das Heulen der Kettensäge erlösten den Hund von seiner grauenhaften Tatze. Dann von seinem Kopf. Der Rothaarige half dem Blonden auf, während die braunen, glänzenden Filme um sie herum schwirrten. Ronald stand, was mich zutiefst verwunderte. Die vier tiefen Wunden bluteten. „Geht's?“, fragte Grell und schnipste die Filme weg. Ronald nickte: „Alles ok!“ 'Alles ok?!', ich verstand die Welt nicht mehr. Niemand! Wirklich niemand wäre nach so einem Treffer einfach wieder aufgestanden! Doch der Blonde stand und packte seinen Rasenmäher, während er auf den nächsten Hund zu sprang und sich für seine Verletzung bitterlich rächte. Die 5 Männer waren so unsagbar schnell. Teilweise sah man sie gar nicht mehr. Sie verschmierten die Realität wie Wasser auf frischer Ölfarbe. Grell drehte sich um und erschrak ein Stück: „Undertaker!“ Mein Kopf fuhr wieder herum. Undertaker stand auf einem Bein zwischen drei Hunden. Dem einen hatte er mit dem Kopf auf seiner Sense das Maul gestopft. Obwohl die Kiefer der Hunde beachtlich kräftig seien müsste erlitt seine Sense nicht mal die Idee eines Schadens. Dem Zweiten hielt sein Fuß und den Dritten seine Hand an den Schnauzen auf Abstand. Obwohl die Tiere mit aller Kraft dagegen drückten, wirkte der Totengräber noch nicht einmal angestrengt. Im Gegenteil. Er lachte. “Ahehehehehehe! Mir geht es prächtig!“ 'Prächtig?!', unumstößliche gute Laune und positive Weltsicht in allen Ehren: Die Situation war einfach nicht mehr komisch und er in mächtigen Schwierigkeiten! Ich merkte erst in welchen Schwierigkeiten er wirklich steckte, als die drei Monster tief Luft holten. Ein furchtbar greller, orangener Schein tauchte den ganzen Raum in ein grässliches Licht. Hitze flog uns entgegen und brannte in meinen ungläubigen Augen. Doch schließen konnte ich sie nicht. Mein ganzer Körper fror für einen Moment ein. Mein Herz ging in die Brüche. Mein Kopf kam mit dem Denken nicht mehr hinter her. „UNDERTAKER!“, kreischte ich dann vollkommen hysterisch, als der Totengräber in einer Horde heißer, roter Flammen verschwand. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Ich sackte mental, wie körperlich vollkommen in mir zusammen. In dem Moment, in dem Undertaker von dem Feuer verschluckt worden war, spürte ich mein gesamte Welt in sich zusammenfallen. Es konnte doch nicht... Er kann doch nicht einfach tot sein! Er konnte nicht einfach so in meine Welt platzen, sie vollkommen auf den Kopf stellen und dann einfach wieder verschwinden! Für immer! Das konnte er nicht! Er hatte mir doch versprochen immer da zu sein! Und er log doch nie! Die Tränen, die über meine Wangen rannten, waren bei weitem nicht nur dem Brennen in meinen Augen geschuldet. Amy hielt mich fest: „Sky, bleib ruhig! Es ist alles ok!“ „Alles ok!“, mein Oberkörper schnellte hoch und ich griff Amy an den Schultern: „Er ist tot, Amy! TOT!“ „Nein, Nein!“, Heather drückte uns fester: „Ihm geht es gut!“ „WAS?!“, meine Stimme war schrill vor Überforderung und Panik und so viel, so viel Trauer. Meine Nerven hatten ihr Ende schon weit überschritten und nun war auch noch Undertaker den Monstern endgültig zum Opfer gefallen. „So schau doch!“ Auf die Aussage von Amys Mutter hin, drehte ich meinen Kopf wieder zum Ort des Geschehens. Als müsse ihre Aussage unterstrichen werden, flog einer der Hunde durch den halben Saal. Der Bestatter sprang lachend aus dem roten Feuerball und landete auf der Schnauze des Hundes, den er vorher mit seiner Hand zurückgehalten hatte. Er riss dem Anderen die Sense aus dem Maul und versenkte sie in seiner Schläfe. Sein grauer Herrenrock war vollkommen ruiniert, doch der Bestatter abgesehen von ein paar rußverschmierten Stellen vollkommen in Ordnung. Nicht, dass ich das schlecht fand. Doch nun war ich vollends ratlos. Ich hatte das Gefühl, ich hatte nichts von der Welt verstanden. Denn ich kannte keine Welt, wo man drei Feuersäulen überlebte und danach heiter lachend nonchalant ein paar Monster verkloppte. Doch genau das geschah gerade. Denn Undertaker sprang von dem Kopf des Hundes ab, drehte sich und tötete Monster Nr. 2 ebenfalls mit der Sense in der Schläfe. Es war eine absurd beschauliche Szenerie, als der Bestatter zwischen Blut und Filmstreifen leichtfüßig auf dem Boden landete. Seine Sense hing an seinem lockeren Arm und er wischte sich lachend mit der anderen Hand den langen Pony in die Haare. Ich traute meinen weit aufgerissenen Augen nicht mehr im Geringsten. Ich musste träumen! Genau! Sicherlich wachte ich gleich auf, lag in meinem Bett und Amy erzählte mir, dass ich auf der Halloweenfeier zu viel getrunken hatte und vom Alkohol ausgeknockt worden war. Das war alles nur ein vollkommen abgedrehter, böser Traum! Nur ein böser Traum! Monster Nr. 3 sprang auf ihn zu, doch eine Astschere in der Kehle schickte ihn vorher an einen besseren Ort. Noch mehr Film. Undertaker schaute William an: „Hehe! Mach mein Spielzeug nicht kaputt!“ 'Bitte was?!' William teilte meinen Unglauben, als er mit Undertaker in dem rotierenden Ball aus Filmstreifen stand: „Ich habe dir geholfen!“ „Was nicht nötig ist. Ehehehehe!“ „Du bist unverbesserlich!“ Die Beiden töteten jeweils einen weiteren Hund, der ihnen in den Rücken springen wollten, ohne auch nur hinzusehen. Der braune Ball wurde dichter und drehte sich schneller, als er mit noch mehr Filmstreifen angefüllt wurde. Die Luft zirkulierte mit ihm und fuhr mir scharf durch die Haare. Die beiden Männer schnipsten. Der Ball zerbarst in einer riesigen Staubwolke und rieselte zu Boden. Die Luft beruhigte sich. Undertaker drehte sich um: „Ehehehe! Wie ich mir dachte!“ „Was?“, fragte William genervt. Die Beiden erwehrten sich eher nebenbei eines weiteren Hundes, als der Bestatter fortfuhr: „Ehehehehehe! Hey Butler! Hinter den Fenstern ist ein Portal!“ Sebastian, der als schwarzer Schatten durch die Luft gesprungen war und mit dem Tafelsilber ebenfalls einige Hunde zu Tode geworfen hatte, landete neben ihm: „Wo genau?“ Die Sense des Totengräbers deutete aus dem Fenster. „Hihi“, giggelte Undertaker: „Schließe es doch bitte. Mir wird langweilig. Diese armseligen Viecher sind keine adäquaten Gegner für uns.“ Der Butler verschwamm zu einer schwarzen Schliere. Doch kurz vor dem Fenster stoppten ihn einige Hunde, die in den Raum sprangen. Die Bestien schickten auf dem Butler einige lodernde Flammensäulen entgegen. Doch der schwarzhaarige Mann zog einen Handschuh aus. Ein grelles violettes Licht erschien und die Flammen der Biester folgten der Hand des Butlers. Er schickte sie einem von ihnen entgegen und versenkte ihn in einem Flammenmeer. In dem Moment waren auch schon Grell, Undertaker, Ronald und William an seiner Seite erschienen und schickten die anderen Hunde mit einem beherzten Schlag ihrer kuriosen Kampfwerkzeuge wieder aus dem Fenster. Sebastian sprang den Hunden hinterher. Ronald, Grell, William und Undertaker erlegten noch 5 übrig gebliebenen Monstrositäten. Eine davon schaffte es vor seinem Ableben durch William, Grell eine tiefe Wunde am Arm zu verpassen. Dann... Kehrte Stille ein. Träge bewegten sich die zerrissenen Spitzengardinen in dem Luftzug, der durch die gesprungenen Fenster in den Raum zog. Das borstige Fell der toten Hunde wehte darin sachte. Dann nahm die Brise die Kadaver als schwarzer Staub mit sich. Sebastian stieg durch eines der Fenster wieder in den Raum: „So. Das müsste es gewesen sein“, der Butler schaute sich mit in die Hüfte gestützten Armen in dem zerstörten Ballsaal um: „Herrje. Was ein Chaos.“ Die restlichen Gäste begannen zu kreischen, als sie ihre Schockstarre überwunden hatten und flüchteten durch Türen und Fenster. Nur die Toten und wir blieben zurück. William seufzte: „Knox! Sutcliff!“ Auf sein Kommando erschien in den Händen der drei Männer ein dickes Buch. Aus den Seiten lugten hier und dort bunte Klebezettel. Jeder der drei Männer begab sich zu einer Leiche und Schnitten eine kleine Wunde mit ihren Gartenwerkzeugen hinein. Wieder platzten die Super 35 Filme aus den blutigen Löchern. Sie studierten sie einige Zeit gründlich, schlugen dann ihr Buch auf, blätterten hindurch und drückten einen Stempel auf die Seite. Routiniert gingen die Männer die Leichen ab. Was sie da taten erschloss sich mir nicht. Die Luft frischte wieder auf. Erst nur lau, doch dann zog sie schwer an meinen Haaren. Immer noch in der schützenden Umarmung meiner besten Freundin und ihrer Mutter hielt ich mit einer Hand meine Haare aus meinem Gesicht und es wandte sich zu dem Zentrum des kleinen Vortex. Es war Undertakers Zeigefinger. Der braune Staub der Filme und der schwarze Staub der Hunde stoben vom Boden auf, verfingen sich in der Wirbelschleppe und drehten sich wie die Spiralarme einer braun-schwarz glitzernden Galaxie um den Finger des Totengräbers. Er öffnete die Hand. Die Luftzirkulation nahm rapide zu und alles, was in dem Raum nicht festgemacht war, kippte hinunter und polterte um. Der glitzernde Staub sammelte sich in seiner Hand zu einem großen Ball. Seine Sense zersprang wie Glas und es wirkte, als splitterte an dieser Stelle kurz die Wirklichkeit. Dann drehte sich Undertaker einmal um die eigene Achse, stieß den Arm mit Schwung nach vorne und der Ball pfiff um Haaresbreite an Sebastians Ohr vorbei durch das Fenster hinter ihm. Die Augen des Butlers zuckten kurz und verblieben ein wenig größer in seinem Gesicht, als der Ball ihn ohne Vorwarnung knapp verfehlte. Er zerplatze in viele Funken und kurz flackerte die Silhouette einer männlichen Gestalt hinter dem Fenster auf. Im selben Moment war sie wieder verschwunden. Sebastian starrte auf die Stelle wo die Gestalt kurz erschienen war und drehte sich dann zum Bestatter: „Claude?“ Dieser nickte schrill kichernd:“ Ehehehe! Claude.“ „Das erklärt einiges. Du konntest ihn spüren?“, ging Sebastian zu dem Totengräber. „Nein“, giggelte er: „Ich hab ihn gehört.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. Undertaker stand in der Mitte des Ballsaals in der Größe dreier Fußballfelder und will jemanden vor dem Fenster, also in rund 100 Metern Entfernung, durch all den Tumult gehört haben? Und was zum Teufel meinte der Butler mit 'spüren'? Ich verstand die Welt nicht mehr. Was gerade passiert war, passte einfach nicht in sie hinein. Mein Puls raste immer noch in meinen Venen, als die Männer vor uns ihre Schwerter auf den Boden legten. Obwohl sie bewaffnet waren, hatten sie nicht eingegriffen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Grell, Ronald und William erschienen bei Undertaker und Sebastian. Buch und Waffen waren verschwunden. Undertaker schaute sich um: „Scheint, als habe ich ein bisschen Arbeit gewonnen. Ehehehe!“ William seufzte: „Wie auch immer. Unsere ist getan.“ Der Bestatter wendete sich zu dem Butler: „Ich darf mir doch sicher euren Kühlraum leihen, oder? Hehe.“ Der Butler nickte langsam: „Ja, darfst du. Ich habe keine Lust, dass sie anfangen uns die ganze Villa zu zu stinken. Dieser Geruch geht nie wieder aus den Textilien.“ „Dann geh mir doch bitte zur Hand. Ehehehehe!“ Als wäre nichts passiert schulterten der Butler und der Bestatter jeweils 2 Leichen. Sie verschwanden und kamen irgendwann wieder, um die Nächsten abzuholen. So brachten sie die 15 Verblichenen nach und nach aus dem großen Raum. Es war ein Wunder, dass es so wenige waren. Es war ein Wunder, dass wir noch lebten. „Ist bei euch alles ok?“, fragte Heather sorgenvoll, als Undertaker und Sebastian mit der zweiten Fuhre Toter verschwunden waren. Amy nickte: „Ja alles gut.“ Ich antwortete nicht. Ich wusste einfach nicht was... was gerade überhaupt passiert war! Die Hölle war los gebrochen und 5 Männer hatten sich zahlloser Monster erwehrt. Drei davon ohne, dass ihnen ein Haar in der Frisur verrutscht war und die zwei Lädierten standen, als habe sie eine Mieze gekratzt und nicht ein riesiger Monsterhund mit geschätzten 220cm Schulterhöhe! „Skyler?“, hörte ich Heathers besorgte Stimme: „Bist du in Ordnung? Du blutest.“ Mein Kopf drehte sich zu ihr und ich suchte dann hastig meinen Körper ab. Ich hatte eine große Schnittwunde am Oberarm. Wahrscheinlich von den gesplitterten Fensterscheiben. Nichts Bedrohliches, aber sie hatte mir den linken Arm voll geblutet. Jetzt, wo ich sie sah, brannte die Stelle ganz furchtbar. Doch ich drehte meinen Kopf zu Amys Mutter und nickte hastig: „Äh ja. Das ist... glaube ich nichts Schlimmes.“ Die Frau drückte Amy und mich erleichtert an sich: „Gott sei Dank!“ Als sie ihre Umarmung gelockert hatte wischte Amy mir durchs Gesicht: „Du bist total verheult. Ich kann dich verstehen! Geht es dir wirklich gut?“ Ich realisierte erst jetzt, dass meine Tränen zwar stumm gewesen, doch die ganze Zeit weiter meine Wangen herunter gerannt waren. Mein Herz klopfte immer noch viel zu schnell. Ich hatte Angst es blieb stehen. „Ich...“, begann ich und unterdrückte ein Schluchzen mit meiner Hand. Mein Körper begann unkontrolliert zu zittern: „Habe mich furchtbar erschreckt!... Was... was ist passiert?“ Lee hatte sich neben uns auf den Boden gesetzt und legte mir die Hand auf die Schulter: „Es ist vorbei. Niemandem passiert mehr etwas.“ Fred schaute seinen Vater an: „Wir müssen sie einweihen.“ Alexander nickte seinem Sohn beipflichtend zu: „Das sehe ich ebenso. Aber erst einmal sollten wir uns beruhigen und die Verwundeten verarzten.“ Auch Charlie und Frank saßen auf dem Boden und nickten angestrengt. Sie hatten zwar nichts getan, doch sahen sie erschöpft aus. Man sah die Alarmbereitschaft förmlich bei ihnen abfallen. Bei Lee, Fred und Alex wirkte es ähnlich. Heather stand auf. Amy zog mich auf die Füße. Die Countess Phantomhive lächelte mich und Amy mütterlich an: „Wie wäre es, wenn ihr ein Bad nehmt, um euch wieder zu beruhigen? Danach werden wir sprechen.“ „Aber...“, machte Amy, doch ihre Mutter unterbrach sie: „Schatz, ich verstehe dich. Aber wir müssen uns erst einmal kurz sortieren, ok? Wir sind genauso überrascht wie ihr.“ Amy schaute mich an. Erschöpft nickte ich. Was mit mir geschah war mir eigentlich egal. Mein Kopf raste wie mein Herz und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Heather führte uns, die eine Hand an meinem, die Andere an Amys Rücken aus dem zerstörten Ballsaal. Sie sprach eine Magd im Flur an. Die Frau wirkte etwas verstört, aber einigermaßen gefasst und eilte davon um ein Bad fertig zu machen. Schweigend gingen wir durch den düsteren Flur der Villa. Heather nahm ihre Hand nicht von unserem Rücken. Sie vermittelte mir eine warme Sicherheit. Ich hatte das Gefühl sobald diese Hand verschwand würde ich zusammenbrechen. Dann hallten zwei Stimmen durch das Düster. Als wir um die Ecke bogen, kamen uns Sebastian und Undertaker entgegen. Sie waren von den Schultern an total blutverschmiert. Der Butler wirkte ernst, doch der Bestatter giggelte wie gewohnt. Als ich den silberhaarigen Mann erblickte, fasste ich den ersten halbwegs klaren Gedanken nach einer gefühlten Ewigkeit. Er war trotzdem weit von überlegt entfernt. Eine Kurzschlussreaktion. „Undertaker!“, ich lief aus dem plötzlichen Impuls heraus los. Der Kopf des Totengräbers flog herum und ich hörte ein leises „Uff!“, als ich ohne zu bremsen meine Arme um seine Taille schlang. Ich spürte eine Hand um meine Schultern und eine andere, die mir sanft den Kopf tätschelte. Ich nahm den Kopf von seiner Brust und schaute ihm ins Gesicht: „Gott, hab ich mich erschreckt! Bist du denn vollkommen verrückt geworden?! Hast du endgültig den Verstand verloren?!“ Undertaker lachte, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. Ich löste die Umarmung, griff den Revers seines verschmorten Herrenrocks und schob ihn auseinander. Ich untersuchte und befühlte sorgfältig seinen Oberkörper nach eventuellen Blessuren, wollte sichergehen, dass das Blut nicht sein eigenes war und suchte nach den Brandwunden, die der Totengräber haben musste! Doch es gab keine. Der Leichengräber war vollkommen unverletzt, roch lediglich nach Eisen und verbranntem Stoff: „Geht es dir wirklich gut? Du bist doch nicht verletzt, oder?!“ Er nahm mich an den Schultern und schob mich ein Stück weg, um mir besser ins Gesicht schauen zu können: „Es geht mir gut. Ich habe dir doch gesagt mir passiert nichts“, dann nahm er meinen blutverschmierten linken Arm. Ein komischer Schatten flog durch seine grünen Augen, die noch deutlich zu sehen waren, da sein Pony immer noch in seine langen Haare geschoben war: „Im Gegensatz zu dir.“ Ich schaute kurz auf meinen Arm: „Oh das... Das ist nichts! Hätte Heather nichts gesagt, hätte ich es gar nicht bemerkt. Aber du... du... du...“, ich konnte meine rotierenden Gedanken und unverarbeiteten Eindrücke nicht in Worte fassen. Doch mein Herz beruhigte sich wieder, als ich mir sicher war, dass dem Bestatter nichts zugestoßen war. „Ich habe nicht einen Kratzer. Habe ich dir nicht gesagt, du musst dir keine Sorgen um mich machen? Hehe.“ „Hör auf zu lachen!“, kreischte ich: „Das das das das das... war alles einfach so ganz und gar nicht lustig! Dir hätte sonst was passieren können! Da waren Monster! Und Blut! Und T...To...Tot...Tote...“, ich hatte vorher noch nie einen toten Menschen gesehen. Schon gar keinen, der in purer Todesangst zu Grunde gegangen war. Ihre seelenlosen... ihre gedankenlosen, leeren Augen hatten aufgerissen in die Luft gestarrt. Der stumme Hilfeschrei hatte noch deutlich ihr Gesicht verzerrt, als sie mit aufgerissenen Körpern, abgerissenen Körperteilen und furchtbaren Verstümmlungen vollkommen blutverschmiert und schlaff auf dem hellen Marmor gelegen hatten. Ich versteckte mein Gesicht in den Händen, als mir ein Schluchzen entfuhr und ich wieder zu zittern begann. Was war nur passiert?! Ein Paar Arme umfingen mich aufmunternd: „Es ist vorbei, meine schöne Puppe.“ Ich legte die Arme um seinen Hals und drückte ihn feste an mich: „Erschrecke mich nie wieder so!“ „Das... könnte schwierig werden.“ „Nein! Nein, das ist überhaupt nicht schwierig! Tu so etwas nie, nie, nie, nie, nie wieder!“ Ich vergrub mein Gesicht in seiner Schulter, als meine Apartheit von Panik zerschlagen wurde welche sich in vielen heißen Tränen und endlosem Geschluchze ergoss: „Was ist passiert?! Was war das?! Was zur Hölle war das?!“ Ich wusste nicht nach wie viel Zeit, aber irgendwann hatte ich eine dritte Hand auf der Schulter: „Komm Sky. Evelyn hat ein Bad für uns vorbereitet. Das wird dir gut tun. Danach erklären wir dir alles. So kannst du eh nichts aufnehmen“, hörte ich Amys einfühlsame Stimme. Undertaker legte mir die Hände auf die Schultern und drückte mich weg und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht: „Sie hat recht. Geh mit ihr.“ „Aber... aber du...!“ „Bist der Letzte, um den du dir jetzt Sorgen machen musst. Geh mit Amy, damit ich mir keine mehr um dich machen muss, ok? In echter Freundschaft kann die Welt genesen. Auch nach so etwas. Amy wird auf dich aufpassen. Das weiß ich. Es gibt niemanden, dem ich dich mit besserem Gewissen mitgeben könnte. Wenn es dir besser geht komm zu uns und wir erzählen dir die Wahrheit.“ „Die Wahrheit? Worüber?!“ „Über uns“, sprach der Bestatter ruhig: „Doch jetzt geh.“ Amy nahm meine Hand und zog mich mit sich. Heather nickte den Beiden kurz zu. Sie nickten verstehend zurück und dann kam die Countess Phantomhive hinter uns her. Ich schaute über meine Schulter zu dem Bestatter, der mit Sebastian weiter Richtung Ballsaal ging. Heather führte uns in ein riesiges Badezimmer. Wäre ich nicht so verstört gewesen hätte ich den komplett mit weißen Marmor verkleideten Raum, in dessen Mitte eine riesige Wanne eingelassen war, sicherlich bestaunt. Dampf füllte das Bad und mir stieg der Duft von Lavendel in die Nase. Ich mochte Lavendel. Er roch so gut. Doch auch das machte mich gerade nicht glücklich. Amys Mutter verabschiedete sich und Evelyn, eine junge Magd die ich schon von meinem letzten Aufenthalt kannte, kam mit zwei Stapeln Kleidern und zwei Tassen Tee in das Badezimmer. Sie stellte die Tassen auf den ebenerdigen Badewannenrand und verschwand mit einem aufbauenden Lächeln. Amy zog sich aus. Ich stand in der Gegend herum. „Komm Sky“, sagte Amy, als sie mit einem leisen Platschen ins Wasser glitt. Mit einem Seufzen zog ich mich aus und stieg zu meiner besten Freundin in die Badewanne. Das warme Wasser tat furchtbar gut. Meine Muskeln entspannten sich ein bisschen, als ich mir die zwei Geschenkbänder aus den Haaren band und die Spangen herauszog. Nur der geflochtene Zopf blieb unangetastet. Ich tauchte mein Gesicht unter Wasser und rubbelte mir das zerstörte Make up aus dem Gesicht und das trockene Blut von meinem Arm. Ich wollte kein Blut mehr sehen! Die toten Augen der armen Seelen im Ballsaal spukten durch meine Gedanken und jagten mir immer wieder eine Heidenangst ein. Amy und ich sprachen nicht. Auch die Phantomhive schien nicht ganz ohne mentale Blessuren aus der Situation gekommen zu sein. Sie versuchte trotz allem irgendwann mit mir zu sprechen, doch ich antwortete nur einsilbig, beschäftigt mit den jüngsten Ereignissen. Was als schöner Abend begonnen hatte, war in einer Horrorshow geendet. Nachdem die Teetassen leer, wir sauber und die Nerven nicht mehr ganz so blank waren, zogen Amy und ich die schlichten schwarzen, langen Kleider und unsere Schuhe an. „Bist du bereit?“, fragte Amy, bevor wir das Bad verließen. Ich nickte. „Sicher? Das... wird alles nicht so leicht zu glauben sein.“ „Amy“, sagte ich stumpf: „Ich glaube es gibt mittlerweile wenig, was ich nicht mehr glaube.“ Sie nickte bedächtig: „Wahrscheinlich hast du recht. Ich tippe trotzdem es hält die ein oder andere unangenehme Überraschung bereit.“ „Ich will es wissen“, sagte ich mit fester Stimme. Das Einzige dessen ich mir sicher war, war, dass ich Antworten wollte. Amber nickte: „Gut, dann komm.“ Ein paar Minuten folgte ich Amy durch die Flure. Ich hatte ein komisches Gefühl im Nacken. Irgendwie zerrte an mir das Gefühl wir waren nicht alleine. Doch immer, wenn ich mich umdrehte, lag der Flur düster und leer hinter uns. Ich schüttelte beim gefühlt hundertsten Mal den Kopf und schnaubte. Ich war jetzt, glaube ich, endgültig paranoid. Ich konnte mir einreden so oft ich wollte, dass dort niemand war: Das Gefühl es blieb beständig. Amy drehte sich um: „Was hast du?“ Ich wandte mich zu ihr und schloss auf: „Ach nichts. Nur eine blühende Paranoia.“ Amy wackelte mit dem Kopf: „So ganz kann ich es dir nicht verübeln.“ Ich seufzte. Mitleid brauchte ich jetzt wirklich nicht. Dieser Wirbelsturm an furchtbaren Empfindungen in meinem Inneren machte es auch nicht besser: „Wie weit müssen wir noch?“ „Wir müssen in den Südflügel. Es ist noch ein Stück.“ „Wozu braucht man so ein großes Haus?“ „Frag meine Vorfahren“, antwortete die Phantomhive: „Die haben es gebaut. Statussymbol tippe ich. Die Zeiten waren früher anders.“ Das Gefühl brannte in meinem Nacken. Ich drehte mich wieder um: Niemand. Wenn Undertaker mich jetzt wieder verarschen wollte, hatte der Typ ein riesiges Problem mit mir! Aber irgendwie glaubte ich das nicht. Er mochte es, wenn ich mich gruselte. Doch gerade ging das Gefühl in Richtung Todesangst. „Sky?“ Ich drehte den Kopf wieder: „Ich bin verrückt geworden...“ „Umso besser passt du hier rein. Glaub mir.“ Wir gingen weiter. Unsere Schritte halten laut durch die leeren, langen Flure. Denn er war leer! Wann begriff ich das endlich?! „Du erzählst mir nichts?“, fragte ich und rieb mir meinen unangenehm kribbelnden Nacken. Amy schüttelte den Kopf: „Mein Vater erklärt es dir.“ Ich seufzte und nickte, als ich einen weiteren Impuls mich umzudrehen widerstand. Dann zog sich das Kribbeln plötzlich blitzschnell meine Wirbelsäule entlang und ließ mich unwillkürlich meinen Rücken straffen. Für 2 Sekunden war ich meinen Taten nicht mehr Herr. „Vorsicht!“, rief ich. 'Wovor?', fragte ich mich gleichzeitig. Ich wusste nicht warum ich es tat, aber das Kribbeln und Surren war in meiner Wirbelsäule so heiß und schneidend. So brennend, dass mein Körper sich wie davon geleitet drehte. Ich schubste Amy gegen die Wand. Die Welt zog sich wie Kaugummi und gleichzeitig raste die Zeit vorbei. Ich taumelte selber nach hinten. Ein Schatten flog zwischen mir und Amy hindurch. Er wäre in uns rein gerast, ständen wir noch dort, wo wir eben gestanden hatten. Amy starrte mit großen Augen auf den Schatten und dann auf mich. Ein kratzendes und schleifendes Geräusch schabte über den breiten Läufer auf dem Flurboden. Der Schatten war ein Mann geworden. Er hockte nach vorne gebeugt auf dem Boden und hatte mit seiner in den Teppich festgekrallten Hand den Läufer zerrissen. Die Gestalt des Mannes traf mich wie ein Schlag. Diese stufigen, schwarzen Haare, der Frack, goldene Augen hinter einer eckigen Brille. Es war der Butler meines blonden Angreifers vom letzten Monat. Claude Faustus. Ein knisterndes, vollkommen überfordertes Schweigen brach fast schreiend zwischen uns Dreien aus. Amy öffnete den Mund. Der Mann verschwand und riss Amy von der Wand. Sie wollte schreien, doch die weiß behandschuhte Hand des zweiten Butlers ließ sie stumm bleiben. Er presst sie so fest auf ihren Mund, dass sie keinen Ton herausbrachte. Als er Amy in seinen Klammergriff nahm, erkannte ich die Gelegenheit: „Was willst du?! Lass sie gehen! Hilfe!“ Etwas bohrte sich in meine Brust. Es riss mich von den Füßen. Zu Boden. Ich knallte auf den Rücken und griff an die schmerzende Stelle. Unter meinem linken Schlüsselbein steckte ein goldenes Messer. Der schneidende Schmerz erschwerte mir das Atmen. 'Amy!', raste es durch meinen Kopf, als ich vom Boden aus ihre wild strampelnden Füße sah. Ich durfte jetzt nicht schlapp machen! Sie braucht mich! Die Anderen waren sicher noch viel zu weit entfernt! Ich rappelte mich auf und schaffte es unter großen Schmerzen Luft zu holen. Der Butler muss einen Nerv oder zumindest einen sehr empfindlichen Punkt getroffen haben. Ich schrie so laut ich konnte: „Verschwinde! Lass uns in Ruhe! Hil.... IRGS!“ Claude unterbrach mein Gebrüll mit einem Schuh an meiner Schläfe. Mein Kopf schnackte nach hinten und riss mich wieder zu Boden. Die Welt drehte sich. Schwarze Ränder krochen bedrohlich in mein Sichtfeld. 'Amy...', krochen meine Gedanken in weite Ferne, als mir unendlich kalt wurde: 'Halt durch...' Amy kämpfte in den Armen des Butlers wie eine Löwin. Doch sie hatte keine Chance. Ich kann mich an den eisernen Griff dieses Mannes noch nur allzu gut erinnern. Mehr instinktiv als denkend stützte ich mich auf die Ellbogen. Mein Kopf wurde leerer, als hätte er dank Claude einen Sprung durch den die Gedanken hinaus sickernden. Doch in diesem Moment traf etwas hart meinen Magen und ließ mich in mir zusammenbrechen. Ich wehrte mich gegen die Ohnmacht. Sie griff mit eiskalten Fingern nach mir. Mein Kopf schmerzte dumpf und pochend heiß, genau wie mein Magen. Die Stelle, wo das Messer steckte, surrte fürchterlich schmerzhaft. Kleine Blutstropfen fielen von meiner Schläfe und der Wunde in meinem Torso auf den Teppich. Einen Wimpernschlag, bevor ich das Bewusstsein verlor, erhaschte ich einen verschwommenen Blick auf ein paar silberne Haarsträhnen. 'Amy... hilf ihr... Bitte...', waren meine letzten abgehackten Gedanken. Dann ging die Welt aus. Undertaker An Schlaf war nicht zu denken. Die herrlich blauen Augen hielten meine Gedanken gefangen und ich war mir meinem komischen Gefühl zwar nun bewusst, doch... wie ich damit umgehen sollte erfuhr ich daraus nicht. Ich war eher noch ratloser als vorher. Das junge Ding war, mittlerweile, zarte 18 Jahre alt. So faszinierend sie war, so jung war sie auch. Sie war ein Mensch und ich... ein zum immer Weiterleben verdammter Schnitter in Frührente. Merkenau stolzierte zu mir über den Tresen und legte eines von den Teilchen, die Skyler für mich gebacken hatte, neben meinen vor sich her dampfenden Teebecher. Der kleine Rabe legte den Kopf schief, als wisse er genau was los sei. Das junge Ding... Es hatte sich so viel Mühe gegeben und ein Geschenk für mich gebacken. Für mich war es alles andere als eine Kleinigkeit. Merkenau nahm das Teilchen und legte es in meine auf dem Tisch liegende Hand. Ich nahm es: „Was möchtest du mir damit sagen, kleiner Mann?“ Er krächzte mir etwas zu und wackelte mit einem Flügelchen. Ich verstand ihn wohl. „Und wie?“, legte ich mein Gesicht in die andere Hand und beschaute gedankenverloren das kleine Stück Süßgebäck. Merkenau legte mit einem einzelnen Krächzen und verständnislosem Ausdruck den Kopf schief. Ich seufzte: „Gut. Ich weiß es auch nicht. Ich bin nur ein von jeglicher geistiger Gesundheit verlassener Ex-Sensenmann.“ Der Rabe krächzte noch einmal, dieses Mal um Längen verständnisloser als vorher. „Ehehehe! Ich rede gerade mit einem Raben. Ist das nicht Beweis genug?“ Merkenau schüttelte ein wenig beleidigt sein Gefieder und setzte sich an Ort und Stelle. Ich biss endlich von dem Teilchen ab. Es war süß, doch nicht zu süß. Es war perfekt, auch wenn die Formen der Teilchen hier und da ein wenig eigen aussahen. Wie das junge Wesen, das es gebacken hatte. Es war perfekt, weil es eben nicht perfekt war. Ich schüttelte den Kopf, steckte das letzte Stück des Teilchens in meinen Mund und spülte es mit Tee hinunter. „Sie hat mich heute aus dem Fenster geworfen“, lachte ich zu Merkenau. Er schaute mich vielsagend mit nur einem Auge an. Ich lachte: „Ehehehehe! Und wie ich das verdient hatte!“ Der Rabe schloss das Auge wieder und krächzte. Ich stupste ihn vor den Schnabel. Er schlug fast erschrocken mit dem Flügel und wackelte dann betont mit seinem kleinen Hinterteil, als er sich reichlich aufgeplustert und fast beleidigt wieder setzte. Ich lachte wieder: „Hehehehe! Und sie hat Recht, du bist wirklich knuffig.“ Immer noch den Kopf in meine Hand gestützt schaute ich aus einem meiner Fenster. Die Nacht lag ruhig davor. Kein Anzeichen dafür, dass irgendetwas geschehen würde. Irgendwann war ich auf meiner Hand eingedöst. Meine halb schlafenden Gedanken repetierten etliche Szenarien, in denen ich das junge Ding getroffen hatte. Sobald sie meine Ladentür öffnete ging für mich die Sonne auf. Dieses Gefühl war komisch... Gerade, als ich daran dachte, riss mich das Poltern eben dieser Türe aus meinem Halbschlaf. Mein Kopf zuckte hoch. Merkenau krächzte verstört vor mir auf dem Tisch und lief mit einem flatternden Flügel erschrocken darauf herum. Ich blinzelte zu meiner Türe. „Undertaker!~♥“ Ich seufzte und schnappte mir den vollkommen erschrockenen Vogel. Mit diesem Besuch hatte ich wirklich nicht gerechnet. Ich sollte aufhören an meinem Schreibtisch zu schlafen. Es endete irgendwie immer damit, dass jemand reichlich ungewöhnlich in meinen Laden polterte. „Grell“, antwortete ich lachend und streichelte den kleinen Raben über das vor Schreck explodierte Gefieder: „Hehe, welch Überraschung. Was kann ich für dich tun?“ Der rote Sensenmann setzte sich wie üblich mit verschränkten Armen auf meinen Tresen: „Ich habe heute frei, da dachte ich schau mal vorbei.“ Ich lachte weiter: „Ehehehe! Du kannst immer vorbeischauen, das weißt du.“ Er breitete die Arme aus: „Wie du siehst. Hier bin ich“, dann verschränkte er sie wieder und legte den Kopf schief: „Alles ok bei dir?“ Ich nickte grinsend: „Aber natürlich. Warum fragst du?“ „Du siehst müde aus.“ „Ich hab nur schlecht geschlafen, hehe!“ „Warum?“ Ich zuckte mit den Schultern: „Das klingt ja, als sei ich der Einzige der schlecht schläft, ehe.“ „Bei weitem nicht. Du kennst doch William. Der schläft konsequent schlecht und hat dann furchtbar schlechte Laune. Den darf man nicht ansprechen, wenn er weniger als eine Stunde im Büro ist. Aber warum schläft jemand wie du schlecht?“ Ich streichelte weiter Merkenau: „William sollte man nie ansprechen. Hehe!“ Grell wollte etwas erwidern, doch sein Blick legte sich auf den kleinen Raben in meiner Hand: „Och ne!“ Der rote Reaper sprang auf und legte sein Gesicht auf die Arme auf meinen Tresen, um den kleinen Raben besser betrachten zu können: „Wer bist du denn? Du süßer kleiner Scha... Au!“ Merkenau pikste ihn mit seinem Schnabel in die Nase. Grell schnellte wieder hoch und hielt sich besagte Nase mit beiden Händen: „Wofür war das denn?!“ „Das ist Merkenau und er hat geschlafen, als du meintest es sei eine vorzügliche Idee wie ein Elefant durch meine Türe zu krachen. Ehehehehehe!“ „Wie ein Elefant?!“, empört stemmte Grell seine Hände in die Hüften und streckte selbige zur Seite heraus: „Du vergleichst mich mit einem Elefanten?!“ „Ihr seid zumindest ähnlich subtil, hehe!“ Grell schüttelte den Kopf: „Wie gemein! Und ich wollte meinen freien Vormittag mit dir verbringen!“ „Vormittag?“, ich konnte meine Verwunderung nur halb verstecken: „Wie spät ist es?“ „11 Uhr. Du weißt nicht wie spät es ist?“ „Oh. Naja, hehe! Ich habe gerade etwas gedöst und dann kam der Elefant. Hehe!“ „Ich bin kein Elefant!“ „Dann reiß meine Türe nicht immer so auf. Wuhuhu!“ Grell zu ärgern machte den Tag gleich etwas besser. Es lenkte mich auf jedenfalls ein wenig von meinen komischen Gedanken ab. Ich mochte es nicht, etwas einfach nicht sortiert oder einsortiert zu bekommen. Es nicht beim ersten Mal zu können war herrlich! Dann konnte man rätseln und forschen! Doch ich rätselte jetzt schon seit knapp 6 Wochen an diesem Gefühl und nur, weil es jetzt einen Namen hatte, hieß es nicht, dass ich damit weiter gekommen war. Grell legte den Kopf schief: „Nun erzähl schon.“ Ich setzte Merkenau auf den Tresen. Der Rabe hüpfte provokant ignorant in eine kleine mit Heu ausgestopfte Schachtel, die ihm als Nest diente. „Na“, machte ich und stützte mein Gesicht in meine Hand. Mir war eigentlich nicht danach Jemanden in meine durcheinander geratene Gefühlswelt einzuweihen: „Ich hatte ungewohnt viel Besuch in letzter Zeit. Da blieb die Arbeit liegen. Hehehehehe!“ Grells Augen wurden riesig hinter seiner roten Brille: „Das geht? Man kann dich dazu bringen nicht zu arbeiten?“ Ich lachte wieder: „Ihihihihi! Aber natürlich!“ „Bei mir hörst du nie auf!“, Grell setzte sich wieder auf den Tresen und seufzte lautstark: „Ich muss mir das immer alles mitansehen. Was mach ich falsch? Bist du krank?“ Ich zog eine Augenbraue unter meinem Pony hoch und musste lachen: „Ahehehehehehe! Gar nichts! Du kannst das was du hier siehst einfach nur vertragen. Und wie soll ich krank werden, lieber Grell? Ich bin ein Shinigami genau wie du. Wir werden nicht krank.“ „Naja... ich rede nicht von einer Erkältung... Du bist alt, Undertaker... Wir haben uns schon öfter gefragt, warum du ausgestiegen bist. Nicht nur wir, sondern der ganze Dispatch. Einige Gerüchte kursieren du hättest... naja... dass du... ähm ja... dass du unter Umständen... und deswegen vielleicht...“ Ich legte meinen Kopf auf meiner Hand schief: „Ich hab die Dornen des Todes nicht. Ich bin ausgestiegen, weil ich irgendwann das Bedürfnis hatte mich mit den Records selbst zu erwürgen. Hehe. Es war einfach furchtbar langweilig und so unsäglich monoton.“ Grell seufzte erleichtert: „Puuh... Das wäre echt keine schöne Sache gewesen. Aber erstaunlich, dass du nach all den Dienstjahre nicht daran erkrankt bist.“ Ich lachte wieder: „Fu fu fu! Wer es kann der kann es, Grell. Selbst weinende Kinder gaben mir ihre Seele ohne zu zögern, jede wütende Furie wurde ein sanftes Kätzchen. Wo keine rasende Seele, da keine Infektionsgefahr. Hehehehehe!“ Grell nahm eine Hand an seine Wange und legte verträumt den Kopf schief als er mich musterte: „Diesen Augen würde ich auch meine Seele geben...~♥“, dann besann er sich wieder: „Äääääähm... aber was meinst du mit 'Ich kann das was ich hier sehe vertragen'?“ Ich lachte wieder und nahm die Hand runter: „Tihihihi! Mein Besuch der letzten Tage könnte es nicht.“ Grell ballte die Hände zu Fäusten und wackelte ungeduldig mit der Hüfte: „Jetzt red nicht weiter um den heißen Brei, spuck's endlich aus! Ich platze gleich!“ „Hmmmm, tihihi! William würde auf ewig in meiner Schuld stehen, würde es dazu kommen! Ehehehehehehe!“ „Du Arschloch!“, kreischte Grell empört: „Das stimmt gar nicht! Willi würde bitterlich um mich trauern! Er liebt mich und kann es nur nicht zugeben!“ Ich lachte weiter: „Ahahahahaha! Das Liebe durch den Magen geht, das habe ich ja schon gehört! Aber durch Schläge? Das wäre mir neu! Tihihihihihihi!“ „Hey!“, Grell drehte sich beleidigt weg: „Willi und ich haben halte eine... ganz besondere Beziehung! Ach! Du hast von solchen Dingen einfach keine Ahnung!“ Da hatte Grell recht. Ich verstand von solchen Dingen wirklich nur sehr, sehr wenig. Genau dieser Umstand stellte sich für mich im Moment als eher problematisch heraus: „Wie recht du hast, lieber Grell. Hehe. Aber jeder, dem du bis jetzt deine Liebe gestanden hast, versucht dich umzubringen. Fuhuhuhuhu!“ Grell fing an vor Wut zu schäumen: „Oh du....! Du Bastard! Ich fass' es nicht! Du kleiner blöder Arsch! Ehrlich! Ich sollte dich...!“ „Du solltest mich was?“, lachte ich. Der Sensenmann schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme: „Hach, vergiss es! Du bist einfach furchtbar! Aber jetzt erzähl: Welches paradoxe Seelchen besucht dich zwar regelmäßig, verträgt aber deine Arbeit nicht?“, der Sensenmann lehnte sich auf den Tresen und drückte meine Nase mit seiner platt: „Wir reden doch nicht etwas von einer Frau, oooooder?“ Ich lachte: „Doch tun wir, hehe. Ich wüsste nur nicht, warum das wichtig ist.“ Grell seufzte seicht: „Oh das lässt hoffen! Es wäre so romantisch, wenn es endlich mal jemand schaffen würde dir dein Herz zu klauen.“ „Tihihi! Wieso?“, das interessiert mich jetzt doch brennend. „Das ist doch offensichtlich!“, stützte sich Grell wieder auf und hob einen Zeigefinger: „Ich kenne dich nur knapp 130 Jahre, in denen du konsequent mehr als nur eigenbrötlerisch unterwegs warst. Das ist im Vergleich zu deiner Lebensspanne ein schlechter Scherz, ich weiß! Aber auch bei den Shinigamis gibt es keinen Anhaltspunkt darauf, dass du mal eine Freundin gehabt hättest! Die Gute wäre mindestens halb so berühmt gewesen wie du selbst!“ Ich seufzte und lachte gleichzeitig. Diese ganze Idolverehrung ging mir mächtig auf den Zeiger. Ich war alles andere als ein vorzeigbarer Grim Reaper gewesen. Machte ich meine Arbeit zwar immer gewissenhaft, ich war ein bürokratischer Alptraum! Nicht ganz unabsichtlich, zugegeben. Ich lachte bei dem Gedanken an viele verärgerte Manager, die fast einen Schreikrampf bekommen hatten, wenn ich - mal wieder - durch wiederholte Regelverstöße in ihrem Büro gelandet und meinen Report mit zwei oder drei Zeilen vorgelegt hatte. Nur, was hätten sie machen können?: 'Nichts. Ahahahahaha!' Trotz allem war es gut, dass nur Grell, Ron und Will wussten wer ich wirklich bin. Für die Shinigami war ich irgendwann einfach verschwunden und es wäre mir sehr lieb, wenn es so bliebe. Amüsiert durch diese kleinen Erinnerungen verschränkte ich die Arme und legte den Kopf schief: „Es stimmt auch. Ich hatte nie eine, hehe!“ „Aber das ist doch nicht lustig!“, meinte Grell schrill: „Das ist unglaublich tragisch! Seit über 200.000 Jahren streifst du alleine durch die Welt. Sobald wir deinen Laden verlassen bleibst du alleine zurück, umgeben von den Toten und Verdammten! Kein Wunder, dass du sie nicht mehr alle hast!“ Ich breitete die Hände aus: „Hehe. Ich mag mein Leben, Grell. Genauso wie es ist. Ich mache das Beste daraus.“ Grell seufzte gedehnt: „Du redest mit Leichen... Aber wenn du es sagt, Undertaker. Doch erzähl mir trotzdem wer dich besuchen kommt!“ Ich lachte und erhob mich:“ Erst mache ich mir einen Tee. Möchtest du auch einen? Ahehehehehe.“ „Jetzt schinde keine Zeit!“ „Ich schinde keine Zeit. Ich möchte es uns lediglich ein bisschen gemütlich machen. Hehe.“ Grell verschränkte wieder die Arme: „Nun gut. Ich nehme einen. Aber aus einem frischen Becher!“ Ich lachte und verschwand zu meiner Küchenzeile. Keine fünf Minuten später kam ich mit zwei Messbechern voll New-Moon-Drop wieder. Grell stand vor einem Regal und musterte den silbernen Rahmen mit Skylers Bild. Er drehte den Kopf zu mir, als ich das Tablett auf den Tresen abstellte: „Das Bild ist herrlich! Aber warum zeichnest du dich selbst?“ Ich lachte: „Hehe! Das ist nicht von mir. Es ist ein Geschenk!“ Grell legte den Kopf schief, als er wieder auf das Bild schaute: „Aber das ist deine Schrift!“ „Ich habe es trotzdem nicht gezeichnet. Ahehehe. Das liegt weit über meinen Fähigkeiten.“ „Nun“, Grell setzte sich auf einen Sarg und nahm einen Becher von mir entgegen: „Deine Skizzen sind nicht schlecht.“ Ich warf mir eine Hand voll Zucker in den Becher: „Aber bei weitem nicht so akkurat, hehe. Es ist nicht von mir.“ „Von wenn dann?“, Grell nahm einen Schluck Tee und ich setzte mich auf einen Sarg ihm gegenüber: „Von Skyler. Hehe!“ „Skyler? Amys Freundin?“ Ich nickte: „In der Tat. Ein bezauberndes junges Ding, findest du nicht?“ Grell nickte: „Schon. Ein sehr schüchternes junges Ding. Ein wenig arg unsicher in sich selbst. Sie war gar herzzerreißend!“ Anschließend wurden seine Augen groß. Die Erkenntnis kroch aus dem hinteren Ende seiner Gedanken in seine Augen. Ihm klappte der Mund auf. Ich lachte in Zustimmung. Und ja, der Gesichtsausdruck amüsierte mich auch in hohem Maße! Grell schüttelte den Kopf: „Das ist nicht dein Ernst! Amys kleine Freundin war die letzten Tage bei dir zu Besuch?!“ „Hehe. Doch, genau so war es. Jeden Tag.“ Grell schaute mich an, als sei ich ein Alien: „Warum?“ Mein Blick wanderte aus dem Fenster: „Eine gute Frage, mein lieber Grell. Laut ihr hatte sie Ferien, Langeweile und nichts zu tun, da Amy nach Hause gefahren ist. Also bot ich ihr an, sich hier die Zeit zu vertreiben.“ „Und wie habt ihr euch die Zeit vertrieben?“ Ich giggelte: „Hihi! Naja wir haben geredet, viel gelacht, kleine Raben gerettet.“ „Klingt ja gar nicht mal so schlecht“, dann seufzte Grell: „Trotzdem hatte ich irgendwie gehofft dir ist die einzig Wahre über den Weg gelaufen...“ In meinem Kopf stockte es: 'Vielleicht... war es auch so...' Doch so hundertprozentig konnte ich diese Aussage nicht bestätigen oder verneinen. Dieses Gefühl hatte eine ganz unangenehme Komik an sich. Des Weiteren fand ich es irgendwie erstaunlich und äußerst interessant, dass die Tatsache, dass es die junge Skyler war die mich besuchte, für Grell sofort auszuschließen schien er könnte mit seinem Verdacht im Recht liegen. „Was schaust du so seltsam?“, riss mich Grell aus meinen Gedanken. Ich legte den Kopf schief: „Ich frage mich die letzten Tage nur, warum so ein junges Ding ihren Geburtstag partout nicht feiern will. Hehehehe!“ Ich hatte ihren Geburtstag noch zwei Mal gegenüber Sky angesprochen. Wenn sie davon sprach wirkte es, als redete sie über eine tödliche und hochansteckende Krankheit. Ich hatte es weder geschafft ihr Lust darauf zu machen, noch weniger wollte sie, dass ich gegenüber den Phantomhives auch nur ein Wort darüber fallen lasse. Sehr komisch. Sehr schade. Grell blinzelte mich an: „Wie? Ich kenne kein junges Mädchen, was nicht gerne ihren Geburtstag feiert. Wann hat die Kleine denn?“ Ich seufzte und starrte in meinem Becher: „Heute.“ „Was?!“, Grells Stimme war fast aufgeregt: „Heute?! An Halloween?! Ist sie bei den Phantomhives dabei?“ Ich nickte: „Ja ist sie.“ Grell seufzte ebenfalls: „Oh man! Die Sache ist zum Heulen! Dagegen müssen wir was tun! Das muss eine unglaubliche Feier werden!“ Ich warf meinen Kopf zur Seite, damit mein Pony aus dem Gesicht fiel. Dann zog ich gut sichtbar für Grell eine Braue hoch: „Sie hat mir damit gedroht sich irgendwo einzuschließen und nie wieder heraus zukommen, sollte irgendjemand großes Aufsehen deswegen machen.“ Grell stockte. Hinter seinem Augen ratterte es: „Was? Was ein komisches Mädchen. Also... keine tolle Feier?“ Ich nahm einen tiefen Schluck Tee, stellte meinen Becher auf den Sarg und schüttelte den Kopf: „Nein Grell, keine tolle Feier.“ Grell seufzte abermals: „Noah. Da ist sie die beste Freundin einer Phantomhive und nutzt es nicht!“ Ich verschränkte die Arme: „So scheint es.“ Grells Augenbraue wanderte nach oben: „Irgendwie bist du heute komisch.“ Ich lachte und nahm einen weitere Schluck aus meinem fast leeren Becher: „Ich bin immer komisch. Hehehe!“ Grell schüttelte den Kopf: „Nein, du bist komischer als sonst!“ „Ich verstand das nur nicht so ganz. Du weißt wie sehr ich es hasse etwas nicht zu verstehen, hehehehe!“ „Haaaa...“, Grell schaute mich an: „Die Phantomhives haben halt einfach ein Händchen dafür sich die... extravaganten Individuen herauszusuchen.“ Ich wackelte mit dem Kopf und musste lachen: „Hehehehe! Wenn ich mir unseren kleinen Bekanntenkreis so ansehe bin ich geneigt dir zu zustimmen.“ „Hey!“, stemmte Grell die Händen in die Hüften: „Was soll das heißen?!“ Ich musste kichern und hob meinen Ärmel zum Mund: „Hihihihi! Hast du dich mal in unserem Freundeskreis umgeschaut? Jeder Psychiater hätte an uns seine liebe Mühe.“ Grell kicherte mit: „Liebe Mühe? Hihi! Der wird nach 10 Minuten seines Kollegen bester Kunde! Aber der Dachschaden zieht sich auch sehr Konsequent durch die Generationen unserer paar Lieblingsmenschen, das ist dir bewusst, ja?“ „Ich weiß das sehr gut. Hehe! Ich hole schließlich regelmäßig ihre Seelen und beerdige sie dann. Ehehehehe!“ „Warum du das nicht uns machen lässt ist mir eh ein Rätsel!“ „Ich bin es ihnen schuldig. Das ultimative und letzte Dankeschön für eine Freundschaft.“ „Und ein hohes Maß an Selbstfolter!“ „Man gewöhnt sich an alles, ehehehehe!“ Grell schüttelte den Kopf: „Manchmal machst du dir selbst das Leben sehr sehr schwierig.“ Ich schaute ihn an und zog meine Mundwinkel ein Stück höher: „Mit Nichten. Irgendetwas schwer zu nehmen habe ich schon lange aufgegeben. Aber ich habe Prinzipien, lieber Grell. Wenn auch ganz eigene. Ich erwarte nicht, dass du sie verstehst.“ Grell seufzte: „Tu ich nicht. Mach dir keine Sorgen“ Das war nur halb die Wahrheit. Grell war das Denken zu anstrengend. Schlau genug wäre er: „Du bist einfach nur zu faul. Ehehehehehe!“ „Jup“, Grell nahm einen Schluck Tee: „Arbeite mal unter William. Danach hast du keine Lust auch noch in deiner Freizeit irgendetwas zu tun, was auch nur ansatzweise anstrengend wäre.“ „Fu fu fu! Keine Sorge, Grell. Nie würde ich dich zum Denken zwingen. Ehehehehehe!“ „Mit deinen verdammten kryptischen Aussagen tust du es ständig!“ Ich blinzelte lachend: „Ehehehehehehe! Ein bisschen Spaß musst du mir schon lassen!“ Grell stemmte die Hände in die Hüfte und schaute mich an: „Ich bin doch nicht deine Witzfigur!“ „Aber natürlich nicht! Du bist mein guter alter Freund, der es doch sehr hoch schätzt mich glücklich zu machen, oder nicht? Ahehehehe!“ „Ach!“, machte Grell: „Hör auf mich gegen mich selbst auszuspielen!“ „Nun“, lachte ich: „Ehehe! Es macht aber so viel Spaß!“ Grell nahm einen Schluck von seinem Tee: „Warum gebe ich mir eigentlich so viel Mühe mit dir?“ „Hehehehe!“, lachte ich wieder und zwinkerte ihm mit einem Auge zu: „Weil du mich magst.“ „Nah!“, machte Grell und strampelte mit den Beinen: „Oh diese Augen!!“ Ein lautes Lachen brach aus meinem Mund, als alles so lief wie ich es geplant hatte. Grells Kopf kippte zur Seite: „Haaaaaaaaaaa... Denen kann doch wirklich niemand widerstehen...“ „Denkst du? Hehe.“ „Natürlich! Warum hab ich dir sonst die Kontaktlinsen vorbei gebracht?! Trag sie! Trag sie!“ Ich unterhielt mich lange mit Grell. Über alles und über jeden. Er redete und redete. Er redete so viel, dass ich schon meinen 4en Becher Tee getrunken hatte und Grells Erster kalt und verlassen immer noch neben ihm stand. Aber der Vormittag war alles andere als unangenehm. Irgendwann schaute der rote Reaper auf seine Armbanduhr: „Uh! Schon halb drei! Ich muss mich noch fertig machen!“, er erhob sich: „Als was gehst du dieses Jahr?“ Ich legte den Kopf schief: „Ehehehehe! Habe ich mir noch keine Gedanken zu gemacht.“ „Oh nein, das geht nicht! Du musst dich hin und wieder schon ein bisschen in Schale werfen! Du könntest ein richtiges Schnuckelchen sein, wenn du nicht immer diese furchtbaren Klamotten tragen würdest!“ „Ich mag sie. Hehehehehe!“ Ungefragt ging der Reaper durch die Türe in meine zwei kleinen Privaträume, nachdem er ausgiebig mit dem Kopf geschüttelt hatte. Nach 10 Minuten kam er mit ein paar Klamotten und einen Paar Schuhen auf dem Arm wieder zu mir und legte sie auf den Tresen. Er ging zu dem Tisch. Es war mein alter grauer Herrenrock, den ich mir irgendwann 1800- schlag- mich- tot gekauft hatte. Wann wusste ich gar nicht mehr genau. Ein weißes Rüschenhemd, ähnlich alt, und eine schwarze Anzughose, die Schuhe waren meine alten Lackschuhe die ich schon als Shinigami getragen hatte. Grell kramte in seiner Tasche und legte mir ein kleines Plastikpäckchen auf den Tisch. Darin waren zwei Fangzähne zum Ankleben. Er legte den Kopf schief: „Zieh das an und geh als Vampir! Vergiss die Kontaktlinsen nicht und nimm sie dieses mal raus bevor du schlafen gehst! Kunstblut hast du ja in Hülle und Fülle“, das Letzte kam reichlich vorwurfsvoll: „Ich kann mir nur lebhaft vorstellen, was du damit vor hast...“ Ich breitete lachend die Hände aus und wackelte damit: „Süßes oder Saures! Hehehehehe!“ Grell schüttelte den Kopf: „Wie 200.000 benimmst du dich wirklich nicht...“ „Den Geist jung zu halten ist eine Kunst und eine Tugend, lieber Grell. Du benimmst dich auch nicht wie fast 300. Hehehehehe!“ „Sprich mein Alter nicht aus!“, Grell befühlte sein Gesicht: „Nur bei dem Klang dieser Zahl bekomme ich Falten!“ Ich lachte nur noch mehr. Dann verabschiedete sich der Reaper. Ich schaute auf das Assembler, was er mir rausgesucht hatte. Grells Modegeschmack war eigentlich verlässlich. In mehr als der optischen Hinsicht war er heute doch eine kleine Hilfe gewesen. Merkenau war wieder auf dem Tresen aufgetaucht und legte seinen kleinen Kopf schief. Ich kraulte ihn: „Hehehehe! Das Leben ist ein Spiel, schauen wir mal was es uns noch so zu bieten hat und wohin es uns treibt, ihihihihihi! Aufregend ist es ja schon.“ Dann verschwand ich unter der Dusche und machte mich ausgehfertig. Als ich mich umgezogen, die kleinen durchsichtigen Dinger in meine Augen und die kleinen spitzen Dinger irgendwie an meine Zähne verfrachtet hatte, ging ich zu meinem kleinen Herd. Ich hatte noch viel vorzubereiten! Schließlich hatte ich wie jedes Halloween wieder eine Menge vor. Mit reichlich viel Vorfreude verstaute ich 16 Kilo Wackelpudding in allen Farben und um die 25 Liter Kunstblut, gefolgt von Kleinkram wie Sprungfedern, Stöckchen, Seil, Kordel und Faden in meinen Kofferraum und fuhr zur Villa Phantomhive. Um 16:04 Uhr streunte ich durch ihren Garten. Sebastian hatte, wie jedes Jahr, beständig diskutierend an meinen Fersen gehangen, während ich hier und dort meine Fallen am Aufstellen war: „Undertaker! Bitte nur ein Jahr! Sabotiere nur ein Jahr nicht meine ganzen Bemühungen!“ Ich lachte, als ich gerade den großen Dekogalgen präparierte, an dem Grell jedes Jahr mit William ein Foto machen wollte. Zum Foto kam es nie, aber er schleifte ihn jedes Jahr dorthin. William war ein furchtbarer Spielverderber. Er verkleidete sich genauso wenig wie er lachte. Mehr Spaß für mich: „Ahehehehehe! Hör auf zu betteln Butler! Ich sabotiere nichts! Streiche gehören zu Halloween! Ich gebe deinen Bemühungen lediglich den letzten Schliff!“ „Wo hast du meine Dessertleiche hin getan?“, legte der Butler unbegeistert den Kopf schief und stemmte die Hände in die Hüften. „Sie ist in der Küche, hehehe!“, schwang ich mich von den Galgen und machte mich auf den Weg zu meiner nächsten Schandtat. Der Butler folgte mir auf dem Fuße: „Warum?“ „Ich habe Pläne mit ihr, hihihihi!“ „Bitte! Wenn du dich an der Deko zu schaffen machst, kann ich das ja noch tolerieren, aber vergehe dich nicht an meinem Dessert!“ „Meine Güte! Ahehehehehe! Weißt du was, Butler? Wenn du mir so emsig hinterherläufst und dich so wunderbar aufregst, wird Halloween schon zu einem guten Tag, bevor meine erste Falle überhaupt zugeschnappt hat. Tihihihihi!“ „Ich renne nicht zu deiner Belustigung hinter dir her, Shinigami!“, fauchte der Sebastian unbegeistert: „Ich gehe nur sicher, dass deine Streiche niemanden enthaupten, oder erdrosseln, oder vergiften, oder um Gliedmaßen erleichtern, oder...“ Ich hob die Hand: „Erstens, Butler, nenne mich nicht Shinigami. Zweitens, ehehehehehe! Haben meine Scherze noch nie zu ernsthaften Blessuren geführt!“ Es knarzte, als ich einen Stuhl heran zog und mich darauf stellte, um einen Eimer voller Kunstblut auf einer halb geschlossenen Tür abzustellen, wohl wissend, dass auch Frank sich nicht verkleiden würde und immer als erste Amtshandlung, nachdem er Alexander begrüßt hatte, durch eben diese Tür auf Toilette ging: „Oder haben sich der Earl und die Countess je über mich beschwert?“ „Nun“, der Butler stockte: „Nein und ich möchte verhindern, dass es soweit kommt.“ Ich hüpfte von meinem Stuhl und ging weiter: „Es wird nicht soweit kommen, ehehehehe! Meine Streiche sorgen jedes Jahr für eine Menge Belustigung!“ „Und einer ungeahnten Paranoia unter den Gästen...“, seufzte der dämonische Butler genervt. „Ach! Ahahahahahaha! Die sollen sich alle nicht so anstellen, hihihihi!“ „Du bist ein Fluch, Undertaker! An Halloween bist du schlimmer als jeder Dämon, den ich kenne!“ „Oh danke, danke“, grinste ich Sebastian entgegen: „Du machst mich ja ganz verlegen, ehehehehehe!“ „Das war kein Kompliment!“ Alexander kam auf uns zu: „Ich sehe euch beide diskutieren. Was hast du wieder vor, Undertaker?“ Ich lachte amüsiert: „Ihihihihihihi! Ein Menge, mein lieber Earl!“ „Dein Tatendrang ist unbeschreiblich“, lachte Alexander: „Treib es nur nicht zu bunt.“ „Schade“, giggelte ich: „Tihi! Dabei hab ich mir dieses Jahr mit den Farben so viel Mühe gegeben!“ Der Earl schüttelte lächelnd den Kopf: „Du weißt genau was ich meine.“ Ich lachte weiter: „Hehehe. Habe ich euch je Anlass gegeben euch Sorgen um die Gesundheit eurer Gäste zu machen?“ „Nein“, stemmte Sebastian eine Hand in die Hüften: „Aber ich kenne deinen Sinn für Humor.“ „Ach wie wo!“, sagte ich und hob den Stofffetzen an einem Dekoskelett an um eine blaue Gelatinebombe darin zu verstecken: „Sag nicht, du bist immer noch beleidigt wegen der Campania. Ehehehehehe!“ Der Butler verschränkte die Arme: „Beleidigt ist das falsche Wort. Allerdings war deine diebische Freude an dieser morbiden Szenerie mehr als bedenklich!“ Ich schaute ihn über das Skelett an: „Puhuhu! Freust du dich etwa nicht, wenn ein Plan funktioniert?“ „Das nennst du funktionieren?!“ „Aber natürlich! Ich habe eine Menge Herzblut in die Sache gesteckt! Ahahahahaha!“ „Auf dein schlechte Gewissen kann ich lange warten, oder?“, seufzte Sebastian kopfschüttelnd. Herrlich! Ist unser kleiner dämonischer Butler nicht einfach herrlich? „Ich korrigiere dich nur ungern, Sebastian, aber“, ich musste wieder lachen: „Puhuhu! Darauf kannst du ewig warten, wenn du denn möchtest. Ehehehehe!“ Sebastian seufzte: „Ich fasse es nicht...“ Ich steckte einen Zettel an das Skelett und ging weiter. Nun liefen Sebastian und Alexander hinter mir her. Ich drehte mich im Laufen um: „Seit ihr nun meine persönlichen Babysitter? Ehehehehehe!“ „Nein“, sagte die Beiden im Chor. „Ich vertraue dir nur nicht“, fuhr Sebastian weiter aus. „Das wird sich auch nicht mehr ändern, oder? Ihihihihi!“ Der Dämon schüttelte den Kopf: „Nicht in diesem Leben.“ „Fuhuhu! Nun ja, es sind deine Nerven die dabei drauf gehen, nicht meine. Ehehehehehe!“ „Bassy!“, schrie es auf einmal hinter uns. Sebastian stolperte ein paar Schritte nach vorne, als Grell sich die Wirkungen seiner Kette zunutze machte. In der Gewissheit, dass der Butler ihn nicht spüren konnte, sprang er ihn an und legte ihm seine Arme fest um den Brustkorb: „Oh mein Heißgeliebter! Wie geht es dir? Hast du mich vermisst? Ich habe dich furchtbar vermisst! Ahhhh! Sag, dass du mich vermisst hast!“ Sebastians Gesicht war mehr als nur unbegeistert, während der rote Reaper ihn umklammerte, sich an ihn kuschelte und durch die Gegend quietschte. Irgendwann rangelten die Beiden, als Sebastian versuchte sich zu befreien. Will und Ron tauchten hinter ihnen auf. Ich lachte: „Ihr habt keinerlei Intensionen ihm zu helfen oder? Hehe.“ „Wem?“, fragte die laufende Mullbinde, die der junge blonde Reaper war: „Grell oder Sebastian?“ Ich zuckte giggelnd mit den Schultern: „Irgendeinem von ihnen, Ehehehe!“ „Nicht im Geringsten“, William verschränkte die Arme. Missbilligend stellte ich fest, dass ihm zwar die Brille fehlte, er aber mal wieder nicht verkleidet war. Ich giggelte. Wenn William so um Hilfe für sein Kostüm bettelte, dann will ich mich seiner doch erbarmen! Wie jedes Jahr! Ich freute mich jetzt schon auf diesen Moment! Den Garten der Phantomhives hatte ich mittlerweile schon gründlich vermint. Grell flog mit einem spitzen Schrei durch mein Sichtfeld, als Sebastian sich befreien konnte. William hätte seinen Kollegen fangen können... aber er machte lieber einen großen Schritt zur Seite. Ich schaute auf meine Taschenuhr: 17:09 Uhr. Ein wenig verwirrt musterte ich den Butler: „Wie kommt es, dass du noch hier bist?“ Sebastian richtete seine Krawatte: „Die junge Lady erbat heute später dazu stoßen zu dürfen. Sie wollte ihrer Freundin wohl noch ein Geburtstagsgeschenk machen. Sie erscheinen um 19 Uhr.“ Ich lachte. Ich hatte mir fast gedacht, dass Amy nicht verschwiegen bleiben würde: „So so, ihr seid also bestens informiert. Hehe!“ Sebastian nickte: „Die junge Lady bat ihren Vater kein großes Aufsehen zu machen. Aber komplett ignorieren können wir ein Geburtstagskind natürlich nicht.“ Ich lächelte breit: „Oh, da wird sie sich aber freuen. Hehe!“ „Wenn ihr mich entschuldigt“, legte der Butler seine rechte Hand auf die Brust: „Ich muss die Gäste bewirten.“ „Aber!“, Grell setzte sich auf dem Boden auf: „Aber Bassy!“ „Wir sehen uns“, verschwand der Butler. Ich musste kichern. Grell schaute mich böse an: „Lach mich nicht aus!“ Ich lachte lauter: „Pahahahaha! Wie könnte ich denn, lieber Grell! Ich lache dich höchsten an! Ihihihihihihihihi!“ Der Garten füllte sich. Sebastian verteilte die mit Süßigkeiten gefüllten Kürbislaternen an die Partygäste. Ich verschwand in die Küche und präparierte das Dessert, jetzt wo Sebastian beschäftigt war und mir nicht mehr dazwischen funken konnte. Still und heimlich landete es wieder auf dem Buffet. Eine Stunde später erschienen die Kinder in dem großen aufwendig dekorierten Garten. Es war ein herrliches Bild wie immer. Die Kinder flitzten hin und her und niemand war vor ihnen sicher. Selbst ich nicht. Ich saß auf einer Bank und trank schon seit einer halben Stunde genüsslich an demselben Glas irischen Whiskys, als ich die amüsierten Kinder beschaute, ihnen Süßigkeiten in die Hand drückte oder lautstark den ein oder anderen Gast auslachte, der mir vollkommen ahnungslos in die Falle gegangen war. Einer dieser Gäste war tatsächlich Frank. Er bemerkte mich, bevor ich ihn bemerkte. Zumindest erzählte ihm der Eimer voller Kunstblut, der ihm so liebevoll Hallo sagte, von meiner Anwesenheit. Als ich das Poltern hörte sah ich noch Franks Kopf hoch zucken, aber er hatte nur noch die Zeit große Augen zu machen und Luft zu holen um etwas zu rufen. Riesige Augen um genau zu sein! Nicht mal mehr die Arme konnte er pünktlich heben. „UNDERTAKER!“, schallte mein Name durch den ganzen Garten. Ich hörte ihn selten so oft wie an Halloween! Als ich diese Szenerie erblickte, konnte ich nicht mehr. Ich musste so schallend anfangen zu lachen, dass ich ein weiteres Mal meine Körperbeherrschung verlor. Ich merkte wie ich von der Bank rutschte, konnte mich aber nicht dagegen wehren. Auf dem Boden lachte ich einfach weiter. Franks Gesicht war einfach zu genial gewesen! Zwei Hände packten mich, während ich lachend auf dem Boden lag. Ich öffnete die Augen und erkannte den total zugeschmierten Frank durch meine Lachtränen. Er schüttelte mich: „Du kleiner Verrückter! Warum ich?! Warum jedes verdammte Jahr ich?!“ Ich konnte ihm nicht direkt antworten. Mein Lachen erstickte jedes Wort, das ich hätte sagen wollen. Nach ein paar Minuten hatte ich mich ansatzweise beruhigt: „Wuhuhuhuhuhuhuhu! Weil du dich nie verkleidest! Das ist doch wirklich jammerschade! Also denke ich mir jedes Jahr, du brauchst ein bisschen, ehehehehehehehe, Hilfe!“ „Ich will deine Hilfe nicht!“, rüttelte Frank mich weiter: „Ich habe dich nie darum gebeten!“ „Ahahahahahaha! Liebster Frank! Ich höre auch die stummen Hilfeschreie der Spielverderber und Humorlosen!“ „Du kleiner Freak!“, er ließ mich los und ich kippte in einem weiteren Lachanfall nach hinten. „Ich bin total vollgesaut wegen dir!“ Ich hatte das Gefühl ich würde nie wieder Luft bekommen: „Pahahahahahahahahaha! Das war der Plan! Ahahahahahahahahaha!“ Frank ging kopfschüttelnd weg: „Idiot!“ „Wuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“ „Geht es dir gut?“, hörte ich eine helle Stimme über mir. Ein kleiner blonder Junge in einem Vampirkostüm beugte sich über mich und schaute mich mit schief gelegtem Kopf an. Ich atmete tief durch und setzte mich auf: „Aber natürlich kleiner Mann. Ahehehehehehe! Mir geht es prächtig!“ „Du lagst auf dem Boden“, sagte der Kleine: „Ich dachte, du hast dir vielleicht weh getan.“ Ich grinste breit. Kinder können so knuffig sein. Sie sind noch so vorurteilsfrei. Ich wuschelte ihm durch die zerzausten, schwarz eingesprühten Haare: „Ahehehehehe! Es geht mir bestens. Ich habe mir nicht wehgetan.“ Ich langte in meine Kürbislaterne und warf dem Jungen eine Handvoll Bonbons in die Tasche: „Hier. Du bist ein sehr aufmerksamer junger Mann. Ehehehe!“ Der Junge lachte: „Danke Mister!“ Dann lief er zurück zu seinen Freunden und ich erhob mich. Im selben Moment hörte ich von hinter mir einen weiteren Aufschrei. Mehr als nur zufrieden erkannte ich die Stimme noch bevor ich mich umgedreht hatte: Auch unser lieber William war mir wie geplant in die Falle gegangen. „William!“, rief Grell. „Hör auf so blöd zu schauen!“, rief der Aufsichtsbeamte dem Rothaarigen zu: „Hol mich hier runter, verdammt! Bevor der Verrückte hier auftaucht!“ William baumelte kopfüber einen halben Meter über dem Boden. Grell hob gerade die Hände um etwas zu unternehmen, da musste ich meine Chance wahrnehmen. Ohne Vorwarnung stand ich zwischen den Beiden. Grell hielt ich mit meinem Knie auf Abstand: „Der Verrückte ist schon da, tihihihihihihihihihihihi! Tut mir Leid, liebster Grell, ich habe hier noch etwas zu erledigen. Hehehehe!“ In Williams Gesicht stand die Realisierung des absoluten Grauens: „Wage es dich, Undertaker! Lass mich in Ruhe!“ Ich griff in meine Manteltasche und zückte eine große Storchschere. William bekam suppentellergroße Augen: „Was hast du vor?! Zur Hölle, pack' die Schere weg!“ „Ahehehe! Aber jetzt wird es doch erst richtig lustig!“ „Nein!“, William wich dem ersten Schnitt aus: „Lass das bleiben! Hey! Das ist gefährlich, verdammt!“ „Du bist ein Shinigami und hast Angst vor einer Schere? Ahahahaha!“ William wedelte meine Hand weg: „Was hast du damit vor?! Wenn du mir an die Haare gehst, werde ich furchtbare Rache nehmen! Hey!“, ich erwischte William am Arm und er hatte einen großen Schnitt im Sakko: „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?! Sutcliff!“ Doch Grell hatte immer noch mein Knie im Gesicht und ich verhinderte es tunlichst, dass er daran vorbei kam: „Ich versuch's ja, Willi!“ „Wozu bist du eigentlich gut?! Und nenn mich nicht Willi! Ah, Verdammt! Mein Jackett! Lass mein Jackett in Ruhe!“ Ich packte mit der freien Hand Williams Hände und tat mich mit der Anderen ausgiebig an seinen Ärmeln gütig: „Hab dich nicht so! Es ist Halloween! Da kannst du doch nicht rumlaufen wie der letzte Spießer! Pahahahahahahahaha!“ „Bist du denn des Wahnsinns?!“, keifte William, nachdem ich seine Sakko- und Hemdärmel ausgiebig durchlöchert hatte. Ich sprang hoch, griff das Seil an dem William hin und her baumelte und machte mit dem Rest seines Anzugs weiter: „Natürlich bin ich das! Fu fu fu fu!“ Grell wollte seinem anderen Geliebten zu Hilfe eilen, doch ich streckte zur rechten Zeit mein Bein aus und er rasselte vor meinen Fuß. „Sutcliff! Du Trottel!“, William trat nach mir, hatte aber nur dezenten Erfolg und konnte seine Hose genau so wenig retten wie seine Ärmel. „Wuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“, lachte ich ausgelassen: „Dieses Geschrei! Es ist Musik in meinen Ohren!“ „Lass ab von mir!“, rief William erbost. „Ok“, grinste ich und schnitt das Seil durch. William rasselte überrascht mit einem spitzen Laut auf den Rasen. Ich landete neben ihm. „Besser“, grinste ich dem strengen Shinigami in seinem zerstörten Anzug an: „Du siehst gut aus William. Thihihihi!“ Der Schnitter warf mir einen Blick zu, der auch ohne Death Scythe hätte töten könnte: „Du bist eine Schande. Für jeden Shinigami der lebt, je gelebt hat und je leben wird!“ Ich lachte weiter: „Genau was ich erreichen will! Vielleicht reißt ihr dann endlich diese dämliche Statue ein. Nehehehehe!“ William wischte sich durch die Haare: „Niemals! Das ist die Statue eines großen Mannes, der leider zu einem armen Irren geworden ist! Du bist schon lange nicht mehr der Mann, der dort verewigt wurde!“ Ich legte grinsend einen Finger an die Lippen und blitzte William mit meinem einen freigelegten Auge an: „Sicher? Hmhmhmhm!“ William seufzte: „Zumindest nicht mehr gänzlich.“ „Woher willst du das wissen? Du bist viel zu jung! Ahehehehehe! Ich war schon immer ganz anders als die Andern!“ „Die meisten Shinigami denken eh, dass du mittlerweile das Zeitliche gesegnet hast“, antwortete William streng: „In unserer Welt ist nichts mehr außer weit erzählten Legenden von dir übrig.“ „Tihi! Perfekt!“ „Wie bitte?“ „Genau was ich erreichen wollte. Ahehehehehehe!“ William schüttelte den Kopf: „Du bist... einfach... unbeschreiblich...“ „Oh wie liebenswürdig“, grinste ich: „Das ist, glaube ich, das Netteste was du in knapp hundert Jahren zu mir gesagt hast, liebster William.“ „Nenn mich nicht Liebster! Und ich habe deine Taten mal hochgelobt. Du weißt selber, was ich von dir als Dankeschön bekommen habe!“ Ich lachte wieder: „Nimm doch nicht alles so furchtbar Ernst, William. Tehehehehehe!“ Ich wandte mich um. Mein Werk war getan und William hatte mich gewohnt gut unterhalten. Doch sein Gemecker fing schon wieder an nervig zu werden. Genau wie die Lobrede, die er mal meinte vor Ciel und Sebastian über mich halten zu wollen. Ich wollte kein Lobpreisungen, wann kapierten die Shinigami das denn endlich? Ich habe nichts dafür getan um 'Berühmt' oder ein 'Idol' zu werden. Wenn sie an jemanden glauben wollten, dann doch bitte an sich selbst und nicht einen Sensenmann, der sich schon gefühlte 100 Mal selbst überlebt hatte. Sie sollen ihre eigenen Geschichten schreiben, anstatt meiner verstaubten hinterher zu jagen. Sie machen sich des Weiteren gar kein Bild darüber wie unerfreulich die Unfähigkeit zu sterben ist. Die Shinigami ließen mich ziehen. William war für den Rest des Abends eh nicht mehr gut auf mich zu sprechen und Grell hielt treu zu ihm, egal wie oft er von ihm geschlagen wurde. Ich entschied mich des Weiteren für eine kleine Auszeit von dem ganzen Trubel um mich herum. Die Feier florierte. Wie von den Phantomhives zu erwarten war. Schlendernden Schrittes machte ich mich auf zu einem großen Sarg, der mir gemütlich erschien und den ich sicherlich irgendwann auch mal selbst geschreinert hatte, genau wie jeden anderen Sarg in diesem Garten. Er stand direkt neben den Buffettischen und ich hatte die wunderbare Chance während meiner Auszeit auch das Dessert im Auge zu haben, was ich trotz Sebastians überdeutlichen Wiederwillens in den Hauptbestandteil einer meiner Streiche verwandelt hatte. Entspannt lehnte ich mich ins halbdunkel und lugte durch den einen Spalt offen stehenden Sargdeckel in den Garten hinaus. Wenig später fielen meine Augen auf einen äußerst erfreulichen Anblick: Amy war erschienen, ihre beste Freundin treu an ihrer Seite. Amy trug ein für sie ungewöhnlich buntes Assemble an verkommen wirkender Kleidung. Es stand der jungen Phantomhive nicht schlecht, war sie doch genau so ein hübsches Ding wie alle anderen Frauen und Mädchen in ihrer Familie. Doch als ich die junge Skyler sah, konnte ich meinen Kiefer nicht davon abhalten ein Stück aus seinen Angeln zu rutschen: Das hübsche Ding war als Puppe verkleidet. Als eine zerfallene Porzellanpuppe. Ihre schwarze Hose war ein sehr außergewöhnliches Model, kurz, der Schlag an ihren Unterschenkeln nur durch ein paar Ketten befestigt und offenbarte so die gut designten Puppengelenke an ihren Knien. Sollte wohl von Werk aus eher zerfallen wirken und spannte sich äußerst ansehnlich um ihre endlos langen, dünnen und von den hohen Absätzen noch zusätzlich gestreckten Beine. Obwohl Ihr Poncho das Kostüm an ihrem Oberkörper verdeckte, konnte ich genau die schön gestalteten Puppengelenke an ihren Fingern, sowie den kleinen Zylinder in ihrem locker gebundenen Dutt und das außergewöhnlich gekonnte Make up in ihrem Gesicht erkennen. Sie war eine beachtliche Künstlerin und das anscheinend nicht nur auf dem Papier. Mein Blick klebte an der junge Brünetten, denn zwei Tatsachen holten mich gerade ein: Ich hatte eine Schwäche für Verfallenes und ich hatte eine Schwäche für Puppen. Dazu stand ihr Kostüm der jungen Skyler auch noch unbeschreiblich gut. Noch besser als das hübsche Kleid von der letzten Feier. Sie bewegte sich auch sicherer in diesem Aufzug. Nicht gänzlich sicher, aber es schien ihr deutlich angenehmer als das schwarze Ballkleid zu sein. Sie hatte eine Gitarrentasche über der schmalen Schulter.  Ich kam nicht drumherum mich zu fragen, warum sie das Instrument dabei hatte. Die beiden Mädchen unterhielten sich kurz mit Alex und Heather und bekamen von ihnen ebenfalls zwei Kürbislaternen mit Süßigkeiten in die Hände gedrückt. Dann winkte Amy ihre Freundin mit sich und die beiden Mädchen gingen genau in meine Richtung. Eigentlich zog es die junge Phantomhive wie gewohnt zum Buffet. 'Oh...', machte es in meinem Kopf. Das kleine Detail war mir heute irgendwie hinten über gefallen: Die junge Amy aß gerne. Vor allem aß sie gerne süße Dinge. Ich presste die Hand gegen meinen Mund, als ich kichern musste. Das war wohl einfach Pech, aber verhindern konnte... ok, wollte... ich das, was jetzt kommen sollte, auch nicht mehr. Skyler stellte sich genau neben meinen Sarg. Sie schlang die Arme um ihren dünnen Leib und sah irgendwie wieder etwas überfordert und angeschlagen aus. Sie war wohl wirklich kein Typ für so viel Trubel. Ich erkannte das Schicksal mit dem Zaunpfahl winken. Ich hieß weder Ciel, noch Grell und brauchte es von daher auch nicht, dass das Schicksal mich mit dem ganzen Zaun niederschlug. Leise streckte ich also einen meiner Arme aus meinem Sarg und öffnete ihn geräuschlos ein Stück weiter. Ohne ein Wort der Warnung packte ich das zierliche Ding am Arm und zog sie in mein dunkles Versteck. Ihre Füße versuchten Balancen zu halten, doch es gelang ihr nicht, noch war es nötig: Sobald ich sie an mich heran gezogen hatte, schloss ich den Sargdeckel gänzlich, sodass die junger Sky nicht mehr hätte umfallen können, selbst wenn sie es gewollte hätte. Doch zur Sicherheit schlang ich einen meiner Arme um ihre dünne Taille und zog sie zu mir. Das hübsche Ding hatte teilweise ein so unsägliches Pech und so ungeschickte Füße, da konnte ich es mir sehr gut vorstellen, dass sie es trotz allem schaffte sich den schlanken Hals zu brechen. Ich merkte wie sie sich wand und den Kopf hin und her warf, offensichtlich desorientiert von ihrem unvorhergesehenen Positionswechsel. Ihre zarten Hände legten sich an meine Brust und sie versuchte sich wegzudrücken. Doch das zarte Ding war so possierlich schwach! Sachte griff ich ihr kleines Kinn und drehte ihren Kopf zu mir: „Happy Birthday. Ahehehehe!“ All ihre Bewegungen erstarrten abrupt, als sie mir mit großen Augen entgegen schaute. “Underta...?!“, erkannte sie mich schließlich und ihre Stimme flog durch den engen Sarg. Ich schob meine Hand nach oben und bedeckte ihren Mund: „Nicht so laut, mein hübsches Geburtstagskind. Du verschreckst noch meine Opfer. Ahihihihihi!“ Sie zog wieder eine ihrer geschwungenen Augenbrauen hoch. Ich entließ ihren Mund und legte stumm meinen Zeigefinger an meine Lippen. Anschließen drehte ich sie halb um sich selbst und schob den Sarg ein Stück auf, sodass ihr Blick auf ihre beste Freundin fiel, die immer noch den Buffettisch auf und ab ging, unschlüssig, was von den vielen von Sebastian vorbereiteten Köstlichkeiten sie essen sollte. 'Vielleicht geht es ja doch gut. Tehe!', lachte ich durch meine Gedanken und legte mein Kinn ohne zu überlegen auf Skylers Schulter ab. Doch der Geruch von Seife und Lavendel vertrieben schnell den Gedanken daran, dass Amy wirklich nicht primär Ziel meiner Streiche war. Sie war eher eine Art... hilfreicher Handlanger. Die jugendliche Phantomhive und ich teilten uns einen unsagbar herrlichen Charakterzug im Übermaß: Schadenfreude! Sky drehte den Kopf so gut es ging zu mir: „Amy? Ernsthaft?“, flüsterte sie etwas ungläubig und noch nicht so ganz begeistert. Sie muss vorgewarnt worden sein. Zumindest schien sie genau zu ahnen, was ihrer Freundin bevor stand. Ich lachte leise zurück: „Schau hin und genieße. Hehe.“ Ihre Augen wanderten wieder zurück und hingen an Amy, als diese voller Tatendrang in natürlich genau eben dieses Dessert schnitt, welches ich zur Falle auserkoren hatte. Sofort bespuckte die Süßspeise sie mit dem rot gefärbten Zuckerwasser. „Undertaker!“, kreischte Amy schrill. Das Zeug würde wenn es trocken war ganz furchtbar kleben: „Du Arschloch!“ Während der jungen Sky der Mund aufklappte, versteckte ich mein Gesicht in dem Stoff ihres Ponchos um nicht jetzt schon quer durch den ganzen Garten zu grölen und mein Versteck an Jedermann zu verraten. Außerdem wollte ich die junge Skyler ja ein wenig von der Menge fern halten, bevor sie einen Magendurchbruch bekam. Zwar brauchte es ein paar Sekunden, aber dann merkte ich ein sanftes Zittern in meinen Armen und hört das zarte, helle Prusten des Geburtstagskindes neben meinem Ohr. Es kam, wie es immer kam: Sobald wir nebeneinander standen und auch nur einer anfing zu lachen, schaukelten wir uns hoch und brachen irgendwann in vollends sinnfreies Gelächter aus. Amy war weder taub, noch dumm und kam bestimmten Schrittes auf unser Versteck zu. Ich wusste nicht genau was jetzt geschehen würde, aber ich war mir sicher es würde amüsant werden, als Amy mit der Miene eines sehr unfreiwillig begossenen Pudels den Sarg aufriss: „Undertaker! Du bist so ein kleiner...!“, die Adelstochter brach ab, sobald sie ihre beste Freundin in meinen Armen sah: „Sky?!“ Eben diese wedelte fast schon verzweifelt mit den Händen: „Ich bin unschuldig! Ich bin unfreiwillig hier! Ich wurde gezwungen!“ „Aha“, machte Amy und wirkte nicht ansatzweise überzeugt. Ihre Augenbraue zuckte sogar ein Stück nach oben: „Ich sehe wie sehr du dich wehrst.“ Skyler traf dieser Ausspruch wohl wie eine Abrissbirne und ließ sie alles was sie sagen und denken wollte hinunter schlucken, als ihr Gesicht ein so tiefes Rot annahm, dass ich mir nicht sicher war ob es nicht sogar der dunkelste Farbton war, den ich bis jetzt in ihrem Gesicht gesehen hatte. Ich konnte aufgrund dieser Szenerie nicht anders, lachte weiter, lehnte mich gegen die Rückseite des Sarges und wischte durch mein Gesicht. „Wi-wirklich!“, wedelte Sky weiter: „Ich wurde da wortwörtlich mit reingezogen! Ich bin eine Gefangene! Ich werde gezwungen!“ 'Eine Gefangene! Ahehehehehe! Natürlich!', verschwand mein Lachen in unhörbare Höhen und mir stiegen ein weiteres Mal an diesem Tag die Lachtränen in die Augen: Ich liebe Halloween! Amy legte den Kopf schief und stemmte eine Hand in die Hüfte: „Gezwungen? Wozu denn? Zum Lachen und zum Kuscheln?“ „Ku-ku-ku-ku-ku-wa-wi-wi-wi“, stammelte Sky sichtlich überfordert und ein weiteres Mal von der unnachgiebigen und direkten Ehrlichkeit ihrer Freundin hart getroffen: „Wir kuscheln nicht!“ „Was mach ihr denn dann?“, fragte Amy vollkommen absichtlich unempathisch und von der Scham ihrer Freundin unberührt: „Schach spielt ihr nicht.“ Ich ließ die junge Skyler los, als sich mein Bauch so verkrampfte, dass auch meine Knie den Dienst ein Stück weit quittierten. Ich rutschte erstickend am Sarg nach unten und wedelte mit den Armen um die positive Anspannung irgendwie aus meinem Körper zu lassen. „Ich... ich glaube er stirbt gerade...“, hörte ich Skyler durch mein Lachen. Amy schnaubte: „Zu Recht! Ich bin total versaut!“ „Ich...“, versuchte ich mit Amy zu sprechen, doch es gelang mir nicht ganz: „Hahahahahahahaahaha! Würde so gerne sagen... Ahahahahaha! Das es mir leid tut.... Ahehehehehe! Aber das wäre gelogen... Wuhuhuhuhuhu!“, irgendwie schaffte ich es zu verschnaufen und stellte mich wieder auf die Füße: „Deine wedelnden Arme! Fu fu fu! Zu herrlich! Wuhuhu. Schau nicht so böse. Du lachst immer am Lautesten, wenn mir jemand zum Opfer fällt.“ Amy verschränkte die Arme: „Du bist scheiße.“ „Das meinst du nicht so, ahehehehe!“ Dann lachte sie: „Tu ich auch nicht. Aber warum ich?! Ich dachte wir sind Partner?!“ Ich kratze mich lachend an der Nase: „Es war Zufall. Wer darein tappt konnte ich nicht planen, aber ich hatte eigentlich mit Charlie oder Ronald gerechnet.“ „Verrechnet!“ „Ahehehe! Och, nur so halb“, packte ich den Sargdeckel und zwinkerte Amy schelmisch entgegen: „Deine Reaktion war vielleicht noch besser. Und nun entschuldige mich. Hier ist geschlossene Gesellschaft.“ „Was?!“, quiekte Sky, sichtlich unbegeistert, dass sie bei dieser Entscheidung kein Mitspracherecht zu haben schien. Hatte sie auch nicht, denn ohne weiter auf ihren pikierten Ausruf einzugehen schloss ich den Deckel. „Geschlossene Gesellschaft?!“, quietschte sie fast hysterisch und vollkommen überfordert: „Was soll das denn heißen?!“ Außen hörte ich Amy lachen: „Ok, ok ich sehe ich bin unerwünscht. Soll ich euch ein Seil bringen? Oder habt ihr alles?“ 'Thehehehe, das wird ein... wie hieß das noch mal... genau! Das wird ein 'Running Gag'! Wuhuhu!', blieb mein Lachen nicht lange in meinem Kopf: „Wir sind versorgt!“ „Ok, bye!“, verschwanden Amys Schritte. Es war eng in dem Sarg und ich sah in zwei weit aufgerissene, blaue Augen die mich vollkommen schockiert musterten, ohne zu blinzeln. Doch ich hörte die junge Skyler nicht mehr atmen: 'Hat sie die Luft angehalten? Hihi!', wieder fand das Lachen seinen Weg nach außen: „Hehe! Du siehst schon wieder aus wie ein schockierter Teddybär.“ „Ich bin kein Teddybär!“, rief sie empört: „Was soll das hier?!“ Ich lachte weiter und beugte mich in ihr schönes Gesicht: „Du hast doch keine Angst vor mir, oder?“ Sie klimperte mit den Augen: „Nein... Habe ich nicht... Du hast nicht wirklich ein Seil dabei, oder?“ Das schrille Lachen kam wie von selbst: 'Ein Seil! Pahahahahaha! Natürlich! Ich habe immer ein Seil in der Hosentasche! Man weiß ja nie wofür man es braucht! Kleines, du machst mich fertig! Tehehehehe!' Ich legte den Kopf lachend schief: „Ahehehehehe! Nein!“, dann stützte ich eine Hand neben sie an den Sarg und beugte mich daran näher zu ihr herunter. Sie wollte nach hinten ausweichen, doch der Sarg hielt sie auf. So konnte sie nicht verhindern, dass wir bald sehr nah beieinander standen. Ein angenehmes Knistern fuhr durch meine Nerven, als ich ihre Augen von so nah betrachten durfte: „Aber wenn du drauf bestehst kann ich improvisieren.“ „N-n-n-nein!“ „Hehe! Schade“, lachte und seufzte ich vollkommen wahrheitsgemäß. Ihre Schüchternheit war einerseits unglaublich süß, andererseits stand sie aber dem ein oder anderen Abenteuer im Weg. „Was?!“ Ich lachte weiter. In erster Linie war ihre Verschämtheit aber unglaublich amüsant: „Jetzt bekomme keinen Herzinfarkt! Ahehehehe! Wie kann ich aufhören dich zu ärgern, wenn du dich so wunderbar pikierst?“ „Mach das nie wieder!“ „Was?“ „Na... das!“ 'Die Aussage des Tages, kleine Sky!', ein Kichern kroch durch meine Lippen: „Ich habe so das Gefühl du weißt es selber nicht.“ „Ääääääähm... Hör auf mich zu verarschen!“ Ich kicherte lauter. „Und was sollte das mit der geschlossenen Gesellschaft?!“ „Nun“, fiel mein Kopf zur Seite und meine Augen musterten sie eindringlich. Ihr Aufenthalt hier, bei mir, war ja nicht nur Scherz, Spaß und Lachen: „Du hast Bauchweh, oder? Ich tippe, weil hier so viele Leute sind. Du wirkst irgendwie immer ein bisschen verstört in großen Menschenmassen.“ Sie schaute beschämt zur Seite: „Ein bisschen... vielleicht...“ „Wir können hier drin bleiben so lange du willst“, lächelte ich ihr entgegen. Sie sollte sich die Zeit nehmen, die sie brauchte. Sie hatte Geburtstag! Und den sollte sie nicht mit Bauchweh und Magenzippen in Erinnerung behalten. Nach 17 verkorksten Geburtstagen hatte ich mir vorgenommen den Heutigen zu einem guten werden zu lassen: „Nun?“ „Ähm... das wird nicht nötig sein. Wenn wir zu lange hier bleiben dann...“ „Kommen die Anderen auf falsche Gedanken. Warum ist dir das so wichtig? Hehe, lass sie doch denken was sie wollen.“ Sie kniff wieder ein wenig in ihrer Weltsicht erschüttert die Augen zusammen: „Aber...“ „Aaaaber?“ „Ich...“ „Weiß selber nicht was ich will“, lachte ich. Dass ich ihre Sätze beende, ist mittlerweile ein inoffizielles Spiel zwischen uns geworden. Ihre Augen wurden zu Schlitzen: „Ich kann selber reden...“ „Tihi! Dann tu es auch.“ „Warte!“, erschien eine strahlende Erkenntnis in ihrem Gesicht. Der schelmische Glanz in ihren Augen war so bezaubernd... wie unglücksverheißend: „Du hast mich erschreckt!“ „Nein, das tust du nicht...“, wusste ich ganz genau worauf diese Aussage hinaus laufen würde. Das hatte sie zu einem inoffiziellen Spiel zwischen uns gemacht. Sie kicherte: „Und du hast mich gestern auch erschreckt.“ „Du hast mir eine auf die Nase gegeben und mich aus dem dritten Stock in einen Rosenbusch geworfen! Ich glaube eher wir sind quitt, junge Dame. Hehe!“, so sehr ich ihr ihre Freude gönnte: Spiele spielt man fair. Das gilt auch für junge, hübsche Mädchen. Ihre Rache hatte sie schon gehabt. „Warte, warte, warte! Du hast mich mit dem Fenster wissentlich um den Verstand gebracht, Houdini!“ 'Houdini! Ich hab also schon meinen ganz persönlichen Spitznamen, hehe', irgendwie wurde mir warm bei diesem Gedanken: „Gut, damit fällt die Faust in meinem Gesicht weg. Zwei hab ich noch gut.“ „Du hast mich ohne Vorwarnung in einen Sarg gezogen!“, rief sie aus. „Das wiegt sich mit einem Freiflug aus 8 Metern Höhe auf. Hihi.“ Sie verstummte. Hinter ihren Augen sah ich ihre Gedanken verzweifelt nach einer weiteren Situation suchen, mit der sie mich ausmanövrieren kann. 'Herrlich!', das junge Ding stellt sich doch teilweise als ernstzunehmende Gegnerin heraus! Es gibt nicht viele Menschen oder Wesen, die mir Paroli bieten (können) und ein breites Grinsen erschien auf meinen Lippen: „Wenn du nichts mehr findest hab ich noch einen gut.“ „Du... du hast mich vor Amy wie einen treulosen Trottel dastehen lassen!“ „Hihihi. Lass ich gelten, weil ich nett bin. Wir sind quitt.“ Sie seufzte: „Nie darf ich meinen Spaß haben...“ „Ahehehe. Was würde dir denn Spaß machen?“ Ihr Gesicht entgleiste ein Stück: „Ähhhhm... weiß nicht?“ Ich schüttelte lachend den Kopf: „Hehe. Du bist wirklich unbeschreiblich“, man sah ihr zumindest genau an, wann ihre Gedanken wie ein Kartenhaus zusammen fielen. Ein Gesichtsausdruck für die Götter. Generell fühlte ich mich wegen ihrer vollkommen unkontrollierten und überforderten Mimik des Öfteren wie Gott in Frankreich. Ich griff in meine Manteltasche und meine Hand fand die kleine Holzkiste, in der sich Skylers Geburtstagsgeschenk versteckte. Ich war mir sicher es gefiel ihr, trotzdem glomm in meiner Brust ein schwacher Schein von hoffen und bangen auf. Das war ungewöhnlich wie irritierend, doch ich schaffte es seine Anwesenheit nach außen zu kaschieren: „Also? Raus oder hier bleiben?“ „Ähm“, kam es nach einem Moment des Schweigens. Ich wollte eigentlich geduldig weiter auf ihre Antwort warten, doch der Sarg ging auf, das plötzliche und unerwartete Licht blendete mich und ein roter Handschuh zog mich von Skyler weg: „Was machst du da?!“ 'Grell...', stöhnte ich in meinen Gedanken: 'Du Trottel mit deinem unglaublich schlechten Timing!' Die Ketten, die ich für alle meine Freunde gefertigt hatte, offenbarten gerade einen großen Nachteil: Wir spürten uns gegenseitig auch nicht mehr. Grell muss von Amy erfahren haben was los war und wo Skyler und ich versteckt waren. Er schüttelte mich: „Du hast nicht einen Hauch von Anstand! Was auch immer du mit dem armen Ding vorhast, lass es bleiben!“ Doch im Endeffekt musste ich aufgrund von Grells schlechten Benehmens doch wieder heiter lachen. Plötzlich spürte ich, wie das Gewicht aus meiner Manteltasche schwand. Ich wollte das Kästchen greifen, doch Grell rüttelte so heftig an mir herum, dass ich es nicht zu fassen bekam. Mit einem kleinen Krach ging es zu Boden und unsere Augen senkten sich darauf, als auch Grell aufhörte mich zu schütteln. Er schaute mich wieder an: „Oh ist das...?“ „Ja“, nickte ich: „Ich wollte es ihr gerade geben, dann kamst du.“ Grell nahm seine Arme von meinem Revers: „Oh... Ups.“ Ich lachte: „Für wie unmöglich hältst du mich eigentlich?“ „Du kennst die Antwort. Es ist Halloween.“ „Ja, hehe! Ist es.“ 'Und ein gewisses Mädchen mit braunen Haaren ist die Einzige, die heute keinen Streich fürchten muss... zumindest keinen geplanten... Thihi!' Grell wedelte ausschweifend mit den Armen und verschränkte sie dann hinterm Rücken: „Nun denn, dann bist du dir unseres Problems ja vollkommen bewusst. Ich bin mal weg.“ Er eilte zurück zu den beiden anderen Shinigami. William warf mir einen scharfen Blick zu. Ich winkte ihm grinsend zurück. Er drehte seufzend den Kopf weg. 'Sturer, alter Esel, hehe!' Ehrlich. Der altersschwache Esel, denn ich um 1890 vor meinen kleinen Karren gespannt hatte, hatte mehr Humor gehabt als William. Dann hob ich das kleine Geschenk vom Boden auf und hörte auch schon Skylers Stimme neben mir: „Was ist das?“ Lächelnd hielt ich es ihr entgegen, doch irgendwie unterschwellig nervös: „Alles Gute zum Geburtstag, meine schöne Puppe.“ Ihre großen Augen schauten reichlich irritiert aus dem schön geschminkten Gesicht. Sie sah wirklich fabelhaft aus! Als hätte dieses Kostüm nur darauf gewartet, dass sie es trug. Doch sie schien sich ihrer Aufmachung immer noch nicht ganz sicher zu sein: „Es steht dir. Ausgesprochen gut sogar.“ Ihr Gesicht hatte einen satten Rotton, doch zu meiner Überraschung schaute sie mich an anstatt noch weiter weg: „Danke...“ „Nun“, hielt ich ihr das Kästchen näher hin: „Möchtest du es nicht?“ Sie beschaute es und drehte ihren Fuß auf dem teuren Rollrasen: „Aber... du hast mir doch schon etwas geschenkt...“ „Die Kette? Hehe! Jeder, der mir etwas bedeutet, hat so eine Kette bekommen.“ Sie wirkte etwas unsicher: „Jeder?“ „Ja“, nickte ich: „Jeder: Du, Amy, Grell, Ronald, William, Alexander, Heather, Frederic, Sebastian, Lee, Frank und Charlie. Selbst ich habe eine. Aber das“, ich nahm ihre Hände und legte das Geschenk in sie hinein: „Das ist nur für dich.“ Sie lächelte verhalten und so endlos schüchtern: „Sicher?“ Dieses Lächeln lässt mein eigenes weiter werden, als ich nickte: „Sicher.“ Dann musterte sie den kleinen Kasten gründlich. Sie wirkte immer noch so, als sei sie sich nicht ganz sicher, dass es jetzt wirklich ihr gehörte. Ich konnte es ihr nachfühlen. Mit dem Süßgebäck war es mir ähnlich ergangen. Also lachte ich: „Hehehe! Nun mach schon auf.“ Nach einem weiteren zögerlichen Blick in mein Gesicht band sie die Schleife ab und öffnete den Kasten. Lange ruhte ihr Blick auf dem Schreibwerkzeug, das ich in einigen Stunden Arbeit zusammengestellt hatte: „Das ist wunderschön! Danke!“ Mein Lächeln wurde breiter und mein Herz unwillkürlich einen Schritt schneller: „Es freut mich, dass es dir gefällt.“ Skyler beschaute das Set ein weiteres Mal: „Aber... bist du sicher, dass du es verschenken willst...?“ „Warum sollte ich nicht sicher sein?“ „Naja... das sieht sehr, sehr teuer aus und...“ „Hehe!“, lachte ich. Solche Gedanken kamen wirklich nur Menschen, die nichts hatten. Skyler war so ein Mensch. Eigentlich mittellos war sie sehr bescheiden geworden. „Es war nicht teuer!“, beruhigte ich sie: „Nur der Rabe, dem ich die Feder geklaut habe, der schmollt glaube ich noch ein bisschen.“ „Feder geklaut?“, es dauerte ein bisschen, bis die Erkenntnis ganz durchgedrungen war: „Du hast das selber gemacht?!“ „Ich mache meine Geschenke immer selbst. Hat mich ein bisschen Zeit gekostet, aber wenn es dir gefällt hat es sich gelohnt.“ Skyler antwortete nicht. Sie schaute mich nur an. Selbst das Blinzeln schien sie vergessen zu haben: „Hehe. Was hast du?“ „Ich...“, schüttelte sie reichlich sprachlos und berührte den Kopf. Diese Reaktion zeigte mir, dass ich mit meinen Vermutungen richtig lag: Es gefiel ihr. „Ich kann es... nur nicht fassen... Das ist... wirklich wunderschön!“, sie hob den Federhalter an und beschaute ihn genau: „Und das ist eine Rabenfeder? Außergewöhnliche Idee!“ Ich wackelte amüsiert mit dem Kopf: „Nicht so außergewöhnlich. Ich habe gerade Krabat gelesen.“ „Krabat?“, wieder huschten viele Gedanken durch ihre Augen und schienen sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Ich zeigte auf das Holz des Halters, um sie aufzuwecken: „Kirschholz. Die Federn sind aus Silber.“ Skyler blinzelte: „Silber?“ Ich nickte: „Ich habe eh Silber für die Ketten gebraucht, also habe ich die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und einfach mehr besorgt. Wie gesagt, so kreativ war die Idee leider doch nicht. Hehe!“ Sie legte die Feder bedächtig zurück, schloss das Kästchen und legte es gerührt an ihre Brust: „Ich... weiß nicht wie ich dir danken soll...“ Aus einem spontanen Impuls, von dem ich auch nicht genau wusste woher er kam, nahm ich das Geschenkband und band es in ihr weiches Haar. Ich mochte ihre Haare. Ich mochte das Gefühl von ihnen an meinen Fingern. Vielleicht hatte mein Unterbewusstsein es nur als schlechten Vorwand vorgeschoben, um ihre Haare berühren zu können. Als ich damit fertig war, ging ich wieder einen halben Schritt zurück und lächelte sie mit einem angenehm warmen Gefühl in meiner Brust und meinen immer kalten Fingern an. Dann musterte mich das schöne Ding wieder etwas schüchtern und beschämt: „Es ist nicht viel aber... darf... darf ich dich zum Dank umarmen?“ Diese Bitte traf mich auf eine komische Art und Weise. Es war eine gewisse Art von... Schock... aber keiner, der als unangenehm zu bezeichnen wäre. Er entlockte mir ein Lachen und nur als zu bereitwillig öffnete ich meine Arme für diese kleine, hübsche, schüchterne Puppe: „Aber natürlich.“ Zögerlich legte sie die Arme um meinen Hals und drückte mich an sie. Ich drückte sie zurück, vorsichtiger als von mir gewohnt. Sie wirkte für mich irgendwie immer noch wie aus dünnem Glas. Auf keinen Fall wollte ich, dass ihr Inneres oder Äußeres einen Sprung bekam. Ihre weichen Haare an meiner Wange, roch ich wieder die Seife und den Lavendel. Der Duft der kleinen, lilanen Blume passte so unaussprechlich gut zu ihr. Es widerstrebte mir das dünne Ding wieder los zulassen. Also tat ich das, was ich immer tat wenn mir etwas widerstrebte: Ich tat es einfach nicht. Ich hielt sie fest. Gerade fiel mir nichts ein was ich lieber täte, als sie im Arm zu haben. Dann tippte mir jemand auf die Schulter. Meine Augen wanderten zur Seite und fanden Sebastian, der mich ganz komisch angrinste. Ronald hatte bei seinem letzten Besuch ein ähnliches Grinsen gezeigt. Ich konnte damit genauso wenig umgehen, wie mit meinen Gefühlen der hübschen Sky gegenüber. Und eigentlich hatte ich keine Probleme damit Lachen und Grinsen zu deuten. Ich verwirrte mich ein weiteres Mal selbst und schob mit einem gewissen Widerwillen die hübsche Sky von mir weg. „Es tut mir leid euch stören zu müssen“, lächelte der Butler vieldeutig: „Doch wir bräuchten Miss Rosewell für einen Moment. Und dich auch.“ Ich lachte: „Oh, ist es soweit?“, konnte ich mir denken was folgte: Alex blies zum Geburtstagsangriff. Der Butler nickte: „In der Tat. Nach mir bitte.“ Skyler schaute mich verwirrt und vollkommen ahnungslos an: „Was ist los?“ Ich lächelte breit, dem gewahr was folgen würde und nahm sie einfach bei der Hand mit mir mit: „Das wirst du sehen! Komm! Hehe!“ Wir folgten Sebastian zu dem Kreis von Leuten, in dem ich jeden sah den die junge Skyler bis jetzt kennen gelernt hatte. Es schien, als wollten alle bereitwillig ihren Geburtstag mit ihr feiern. Wir stellten uns zwischen Amy und Ronald in den Kreis. Frank und William mieden meinen Blick partout und so unglaublich provokant, dass ich kichern musste: 'Jeder eitle Pfau würde bei euch noch blauer vor Neid, tihihihi!“ Alexander räusperte sich: „Wie mir zu Ohren kam, haben wir heute einen ganz besonderen Gast in unserer Runde.“ In Skylers Gesicht erschien eine mittelschwer schockierte Erkenntnis. „Und zwar“, der Earl Phantomhive zeigte auf das junge Ding: „Feiert die liebe Skyler heute ihren 18. Geburtstag!“ Alex unterbrach das kurz aufflackernde Raunen und Reden mit seinen Händen: „Bitte, bitte meine Damen und Herren.“ Nur Grell konnte seinen Mund nicht sofort halten. Es war wie immer. „Und Herrinnen“, lachte der Earl. Er zeigte damit nicht nur, dass Grell jetzt den Mund halten sollte. Er schätzte damit gleichzeitig seine Eigenart. Er war ein wunderbarer Redner. Grell rieb sich schuldbewusst und lächelnd den Hinterkopf, während Sebastian seufzte. Es fühlte sich wie immer gut an Teil dieser äußerst außergewöhnlichen Bande zu sein. Der Earl schüttelte lachend den Kopf: „Leider erreichte mich die Information etwas spät. Deswegen lasst uns etwas improvisieren! Erheben wir unsere Gläser und geben der lieben Skyler in Form eines Ständchens unsere besten Wünsche mit auf den Weg“, log er vollkommen unverfroren und extrem gekonnt. Er wusste schon länger Bescheid, doch Amy hatte ihn ja gebeten keine große Show zu veranstalten. Also verpackte er es als spontanen Einfall: 'Nicht dumm, hehe!' Sebastian ging herum und verteilte einige Gläser. Ich nahm mir meinen Whisky vom Tablett. Skyler wirkte nicht so ganz glücklich. Ihr schief hängendes Lächeln war noch nicht mal wirklich gekonnt gespielt und man sah ihr an, wie wenig sie mit der Situation umgehen konnte. Amy legte ihr die Arme um den Hals um sie mental zu unterstützen, als der ganze Kreis ihr ein sehr kurzes und äußerst traditionelles Geburtstagsständchen sang. Nach dem Ständchen flogen ein paar Glückwünsche durch die Runde und schickten Skyler einen roten Schein ins überforderte Gesicht. „Danke!“, lächelte sie schüchtern und so furchtbar rot: „Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll!“ Das glaubte ich ihr auf Anhieb. Sie hatte wirklich keine Ahnung was sie jetzt tun sollte. Mehr unbeholfen schüttelte sie Alexander und Heather die Hand. Auch Lee und Fred drückte sie eher verstört als gekonnt. Grell hob die junge Skyler von den Füßen, als kenne er sie schon ewig und drehte sie herum und herum: „AAAAAH! 18! Herzlichen Glückwunsch!“ Irgendwann brachte William ihn mit einem Schlag auf den Hinterkopf zum Stehen: „Benimm dich, Sutcliff!“, anschließend gab er Sky die Hand: „Skyler Rosewell. Meine Glückwünsche.“ „Danke sehr, William“, lächelte sie so gut sie konnte, als sie seine Hand schüttelte. Sie konnte es nur leider nicht gut. Ronald drückte sie überschwänglich: „Noah! Alles Gute!“ „Danke sehr“, lachte sie vollkommen überfahren von so viel Herzlichkeit. Ja, die Leute hier waren schon alle ein Fall für sich. Charlie und Frank beglückwünschten sie eher kurz, was dem jungen Ding sehr entgegen zu kommen schien. Als Sky sich zu ihrer Freundin drehte, flüsterten die Beiden. Ich wollte lauschen, doch Ronald sprach mich an: „Irgendwie scheint sie ein bisschen verstört zu sein.“ Ich lachte: „Hehehe. So ganz verübeln kann man es ihr wohl nicht. Bei dem Haufen.“ „Du bist Teil des Haufens!“ „Und jeden Tag dankbar dafür, hehehehe!“ Ronald seufzte lächelnd, verschränkte die Arme und beschaute die Leute, die alle beisammen standen und redeten: „Ich mag solche Tage“, sagt er irgendwie sentimental. Doch ich musste ihm in jedem Punkt zustimmen: „Da wirkt die Welt nicht mehr ganz so öde, tehe!“ „Und nicht mehr ganz so schlecht“, fuhr der Jüngling weiter aus. Ich schaute ihn an und zog die sichtbare Augenbraue hoch: „In deinem Alter sollte die Welt noch nicht schlecht sein, Ronald. Hehe.“ „Und in deinem?“ Giggelnd drehte ich wieder meinen Kopf zu den Leuten. Wie lange blieben sie? Das werde ich sehen. „Hört man auf, sich über so etwas Gedanken zu machen.“ „Weißt du?“, Ron verschränkte die Arme: „Manchmal würde ich echt gerne wissen, worüber sich so ein 'Legendärer Todesgott' den ganzen Tag Gedanken macht.“ „Hehe! Dann musst du einen fragen.“ „Antwortest du mir?“ „Dann fragst du den Falschen“, kicherte ich: „Hihihi. Ich bin kein Todesgott mehr. Es ist wie William sagt: Ich bin ein armer Irrer. Alles andere habe ich zurück gelassen.“ „Vermisst du es?“ Mein Auge wanderte zu Ronald und ich legte einen Zeigefinger an meine Lippen: „Das weiß nur der Wind.“ Die Wahrheit war, dass manchmal nein und manchmal ja. Ich mochte meine Ruhe, hatte keine Lust mehr auf hunderte Seiten Regelwerk, doch... ich war in der Welt der Shinigami mal Zuhause gewesen. Ein bisschen Heimweh hatte wohl jeder mal. „Oh doch!“, schallte es plötzlich von Amy zu uns herüber. „Nein...“, nuschelte Skyler extrem unbegeistert und missmutig. „Do~och!“, singsangte Amy. “Ne~ein“, gab es ihr Sky in selben Tonfall wieder. Nur irgendwie spöttischer. Ich zog wieder die Augenbraue hoch, als ich doch wissen wollte worüber Amy und Skyler, ein Herz und eine Seele, diskutierten und so gänzlich anderer Meinung zu sein schienen. Sebastian gab Sky ihre Gitarrentasche und ein Licht ging mir auf. „Bitte, Mylady“, grinste der Butler, wohl wissend, dass er gerade alles andere als eine gute Tat beging. Alex lief an mir und Ronald vorbei und winkte uns mit sich: „Kommt schnell! Setzen wir uns.“ Wir taten wie geheißen und die ganze Gruppe versammelte sich um die beiden Mädchen. Skyler fühlte sich sichtlich nicht wohl in ihrer Hauptrolle, was Amy ein bisschen amüsierte. Ein Teil dieses Amüsement war definitiv die süße Rache dafür, dass Skyler sie ausgelacht hatte. Nicht, dass Amy sie viel ungenierter ausgelacht hätte, wäre die Rollenverteilung andersherum gewesen. Ich überschlug die Beine auf meiner Bank und hielt mein Glas wie gewohnt am obereren Ende in der locker hängenden Hand. Ronald setzte sich neben mich: „Was das wohl gibt?“ Ich legte einen Finger an die Lippen: „Shhh! Sonst verpasst du es.“ „Ist ja gut, ist ja gut“, lachte Ron. Doch ich schaute ihn schon nicht mehr an. Ich schickte dem so verlorenen aussehenden Ding ein Lächeln quer durch den größeren Kreis aus Bänken. Amy lachte: „Ich hab übrigens alles gepetzt.“ „Ich hasse dich...“, seufzte Skyler, als sie sich setzte. Ich war mir ja nicht ganz schlüssig, ob Amy ihr mit solchen Aktionen irgendwie helfen wollte, oder es sie einfach belustigte. Zweiteres war eigentlich gar nicht so ausgeschlossen, sie war immer noch eine Phantomhive. Und die Phantomhives waren immer noch keine normalen oder 100% guten Menschen. Sie konnten sehr sehr grausam werden. Anders hielt man eine Machtposition und ein Netzwerk wie die 'Nobelmänner des Bösen' nicht. Doch hier ging es um Skyler. Vielleicht sah Amy diese Maßnahmen doch als irgendwie therapeutisch wertvoll an. „Alle da?“, fragte Amy und reichte Sky ihre Gitarre. Einen Raunen und Gemurmel ging durch den Kreis. Doch es erstarb von selbst, in Erwartung dessen was folgen sollte. Selbst Grell hielt sofort wieder seinen Mund. Sky schaute nervös zur Seite. Nicht richtig wissend wohin sie ihre schönen Augen drehten sollte, wackelte sie mit den Händen. In einer hielt sie immer noch mein Geschenk. Sie betrachtete es kurz und ihre himmelblauen Augen hoben sich in meine. Ich war mir sicher, egal zu was sie Amy gerade zwang, Amy tat es nicht würde sie wissen, dass es zum Scheitern verurteilt war. Was auch immer die kleine Sky tun sollte, ich war mir sicher es wird fabelhaft. Ich legte eben diese Gewissheit in das Lächeln welches ich ihr bereitwillig ein weiteres Mal schenkte. Sky schaut wieder weg, als ihr ein Hauch rot auf das schmale Gesicht flog: 'Wie süß...' Dann gab sie Amy den Kasten mit den Federn, welche diese für sie in die Gitarrentasche packte. Jetzt, wo sie die Gitarre in der Hand hatte, war ich neugieriger auf das was sie damit vorhatte als vorher. Ich nippte genüsslich an meinem Whisky, als sie die Seiten anspielte. Doch dann unterdrückte ich das Zucken meines Auges: Der Ton war schief. Grässlich schief. Schon fast entmutigt schüttelte Sky den Kopf und ich sah ihre Hände sachte zittern. Doch sie schlug ein zweites Mal an: Wieder schief. 'Beruhige dich doch...', surrte es mitfühlend durch meinem Kopf. Ich war mir irgendwie sicher, eigentlich konnte sie es. Als habe sie es gehört, atmete sie einmal tief durch und die folgenden Töne hallten herrlich durch die mittlerweile schwarze, nur durch das Flackern der Feuerstellen erhellte, Nacht. Das Lied lehnte an der Zigeunermoll Tonleiter und wehte trotz der eigentlich schweren Akkorde ungewöhnlich leicht durch die Nacht. Es tanzte mit den Flammen der Feuerstellen hin und her, begleitet von einem festen Mezzosopran, dem ich dem sonst so unsichereren Ding fast nicht zugesprochen hätte. Was ich hörte gefiel mir mehr als ausgesprochen gut und ich merkte, wie mein Herz wieder aus dem Takt geriet und einen Schritt schneller schlug. Der Text verwunderte mich allerdings. Es war auf jeden Fall kein Cover. Bei der ein oder anderen Stelle hörte ich doch zweimal hin, war mir aber trotz allem nicht ganz sicher, ob ich wirklich verstanden hatte was der jungen Frau in ihrer herrlichen Stimmlage über die Lippen rollte. 'Bright and pure sounds the laugh that you share!'; 'I am so terribly lost if this weird smile is not for me, my friend'; 'If you turn your grin away, then tell me...'; 'You're hilarious and crazy, odd like no one else!' Das Lied handelte ohrenscheinlich von schlechten Erfahrungen und einem Grinsen und Lachen, welches ein Stück Hoffnung in eine zerstörte Welt bringt: 'Singt sie von...?' Doch der Gedanke blieb bei der Hälfte in irgendetwas in meinem Kopf stecken. Ich blinzelte unwillkürlich und spürte dann ein paar Augen auf mir. Als ich hochschaute traf mein Blick den von Ronald, Grell und William. Die Drei hatten einen ähnlichen Ausdruck aufgelegt und musterten mich vielsagend. Doch Grell lachte, augenscheinlich davon überzeugt und amüsiert richtig zu hören. Ich schickte ihnen ein stummes Lachen mit einem breiten Grinsen entgegen. 'Es wäre schön wenn...', flog es mir durch den Kopf. Mein Unterbewusstsein hatte schon lange alles ausgesprochen, was mein aktives Bewusstsein nicht einmal über die inneren Lippen brachte, als ich meinen Kopf wieder zu Skyler drehte. Die Unsicherheit vom Anfang hatte sie verloren. In der Kunst, ob visuell oder auditiv, schien sie so aufzugehen, dass sie alles andere vergaß. Ein wundervoller Anblick. Sie lächelte und ihre Augen funkelten, als sie in die Seiten griff. Sie verspielte sich nicht mehr ein einziges Mal und strahlte ihre Freundin an, die sie hier und da stimmlich begleitete. In der Menge, die immer größer wurde, herrschte Stille. Sky nahm die Hand hinunter als die letzten Töne ausgeklungen waren, doch die Leute blieben stumm. Die Atmosphäre war mehr als komisch. Irgendwie waren mir meine Gedanken mit einem breiten Grinsen aus der Reihe getanzt. Die Mädchen schauten sich nervös an. Als Sky den Kopf hängen ließ, hatte sie einen fast schmerzlichen Gesichtsausdruck. Dieser Ausdruck surrte ziehend durch mein Herz und meinen Magen, in der einen Sekunde in der ich ihn sah. „Fabulös!“, rief es, bevor ich etwas tun konnte. Grell hatte schneller geschaltet als ich, war aufgestanden und hatte sein Glas gehoben: „Diese leichten Akkorde in Kontrast zu dieser melancholischen Thematik! Ein Ohrenschmaus! Wie das Drama von Romeo und Juliette! Herzerquickend!“ Viel besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Skyler blinzelte Grell fast fassungslos an. Mit einem breiten Grinsen stellte ich mein Glas zur Seite und klatschte in die Hände. Skys Gesicht wurde noch ungläubiger und ein verhaltenes, kleines Lächeln erschien in ihrem Gesicht, als sie zu mir schaute. Dann ging mein Klatschen im Tosen etlicher anderer Handpaare unter. Ich stand auf, Ronald, Charlie, Fred und Lee folgten meinem Beispiel und wir klatschten weiter. Sky musterte uns erst fast perplex, dann grinste sie Amy an. Die jungen Dinger strahlten um die Wette, als sie eine Hand zusammenschlugen. Kaum hatte Skyler die Gitarre weg gestellt und sich mit Amy von der Bank erhoben, schwappte die Besuchertraube wie eine wütende Welle über den Mädchen zusammen. So kam ich nicht an das Mädchen heran. Doch aus den Augen ließ ich Sky auch nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie es toll fand von so vielen Menschen umringt zu sein. Amy wich nicht von ihrer Seite, was auch mich beruhigte. Ronald und Charlie verfingen mich in ein Gespräch, dessen ich nur halb zugewandt war. Mit einem Ohr hörte ich wie Sebastian und einige Hausangestellte knisternd die zusammengefalteten Papierschiffe herausstellten, mit einem Auge hing ich bei den zwei Mädchen. Während man Amy ihre Routine mit großen Menschenmassen ansah, sah man Sky ganz deutlich ihre Überforderung an. Sie lächelte und lachte ganz grässlich falsch, kalt und scharf und rieb sich ständig die Arme und den Hinterkopf, während sie ihre Antworten den verkorksten englischen Ladys und Gentlemen mehr als verhalten entgegen lachte und wirkte, als würde ihre Knie sie nur deswegen noch tragen, weil sie zu viel Scham hatte umzufallen. Irgendwann schlüpfte die schöne Brünette aus der Menge und eilte fast im Laufschritt dem Bach entlang. Es dauerte nicht lange und sie war aus dem Licht der Gartenlaternen und Feuerstellen verschwunden. Ich entschuldigte mich von Charlie und Ron und schlenderte ihr hinterher den Bach hinunter. Beiläufig griff ich mir eins der Papierschiffe und ein Teelicht und ließ beides in meinem Herrenrock verschwinden. Die schöne Brünette fand ich wenig später mit angezogenen Beinen am Ufer des kleinen Baches sitzen. In diesem Teil des Gartens war es ruhig. Nur der kleine Wasserlauf plätscherte fast meditativ vor sich her. Ich legte den Kopf schief, während mein Grinsen noch ein Stück breiter wurde. Das junge Ding hatte die Hände auf das Gesicht gedrückt und wedelte auf einmal leise quietschend mit den Füßen in der Luft herum. Irgendetwas schien sie sichtlich zu freuen oder etwas war ihr furchtbar peinlich. Durch das zugehaltene Gesicht konnte ich mich weder 100% für A, noch 100% für B entscheiden. Vielleicht war ihr gerade erst die Erkenntnis über ihren Erfolg gekommen. Oder sie ärgerte sich, dass sie sich in der Menschenmasse nicht sicherer angestellt hatte. Ihr könnte die Situation natürlich auch vom Ständchen bis zur Belagerung durch die anderen Gäste einfach durchgehend peinlich sein. Auf lautlosen Sohlen ging ich neben die junge Frau, welche gerade so gänzlich mit sich selbst beschäftigt war und setzte mich stumm direkt neben sie ins Gras. Ich legte meine Arme ausgestreckt auf meine halb angewinkelten Knie und beobachtete weiter schweigend, wie das Mädchen gerade mit unbeholfenem Zucken von wedelnden Füßen und Kopf ihren bisherigen Abend zu verarbeiten schien. Keine 10 Zentimeter von ihrer Schulter entfernt konnte ich aber das Geräusch was sie machte definitiv als Kichern identifizieren. Unsicher und irgendwie debil, aber immerhin ein Kichern. Ich grinste. Wahrscheinlich war es dreist sie einfach dabei zu bespannen, doch es war mindestens genau so dreist ungefragt Bilder von jemandem zu zeichnen. Dann brachte mich ein warmes Licht dazu meinen Kopf zu dem Bach zu drehen. Es muss 22 Uhr sein. Viele weiße Papierschiffe segelten sachte den ruhigen Bach entlang und brachten sein klares Wasser zum Glitzern. Ich mochte dieses Bild. Ich konnte jedes Gebet förmlich hören. Die vielen Gedanken, das viele Unausgesprochene was los geschickt wurde in der naiven Hoffnung es erreichte doch auch über die Grenze des Lebens sein Ziel. Ob es das tat. Wer weiß. Ich wusste es nicht. Vor einigen Jahren hatte auch ich noch Schiffe losgeschickt. Es wurden irgendwann immer mehr... und mehr... und mehr... Doch nachdem Ciels Sohn gestorben und ich die dritte Generation der 'Aristokraten des Bösen' überlebt hatte, habe ich damit aufgehört. Ich gab meine ganzen vielen Gebete dem Wind auf die Schultern. Jeden Tag. „Wow“, hörte ich leise neben mir. Sky hatte die Hände wieder heruntergenommen und schaute mit großen, blauen Augen auf die leuchtenden Schiffchen, die in einer vollkommenen Seelenruhe über den kleinen Bach glitten. „Schön nicht?“, grinste ich und beschaute die kleinen Papierschiffe. Schlagartig fuhr Skys Kopf herum und sie blinzelte mich ein paar Wimpernschläge nur an, als überlege sie ob ich wirklich da war oder nur eine Einbildung sei. „Öhm... Hi?“, fragte sie schließlich mehr, als das sie mich begrüßte. Nur ein kleines Stück drehte ich meinem Kopf zu ihr und ließ meine Augen zu ihr herüber wandern. Sie starrte mir ins Gesicht, vollends in irgendwelchen Gedanken verloren. Der Schein der kleinen Schiffe segelte durch ihre Augen wie durch ein großes himmelblaues Meer und erleuchtete jeden Gedanken darin. Doch trotzdem konnte ich sie nicht ganz lesen. Ich merkte nur, dass ihre Augen beständig auf meins starrten. Ich fragte mich, was Interessantes sie dort sah und was sie darüber wirklich dachte. Irgendwann blinzelte sie: „Öhm... Was tust du hier?“ Ich grinste: „Hehe. Naja, ich hab gesehen wie sich unser kleiner Superstar davongeschlichen hat.“ Peinlich berührt wandte sie sich von mir ab: „Ach, ich bin doch kein Superstar...“ „War es von dir?“ Fragend wandte sie sich wieder zu mir: „Was?“ „Das Lied.“ Sie überlegte einen Augenblick. Wahrscheinlich wägte sie zwischen Wahrheit und Lüge ab: „Ja... war es.“ Ich lachte seicht, zufrieden, dass sie sich für die Wahrheit entschieden hatte: „Haha! Wie viele Talente du hast! Zeichnen, Gitarre spielen, Lieder schreiben, eine Mimik vom Feinsten!“, ich stemmte den Kopf in meine Hand und legte ihn schief: „Kenne ich sie jetzt alle oder hab ich noch etwas, worauf ich mich freuen kann?“ Skyler schlang die Arme um die Knie, als ihr Gesicht rot wurde und sie schräg zu Boden schaute: „Ich weiß nicht... Ich bin ja auch in dem was du aufgezählt hast nicht wirklich gut...“ „Natürlich und ich bin total humorlos“, ich musste zwar weiter lachen, aber mein Sarkasmus wird meine Meinung über ihre Aussage deutlich machen. Skyler starrte mir stumm und ein bisschen von ihrer Sprache im Stich gelassen ein weiteres Mal in die Augen. „Es war wunderbar“, ergriff ich wieder das Wort, als sie stumm blieb. „Was? Das Lied?“ „Das Lied. Deine Stimme. Deine flinken Finger auf den Seiten und dein faszinierend passionierter Gesichtsausdruck.“ Die junge Frau drehte ihr Gesicht wieder nach unten, welches tatsächlich noch ein bisschen dunkler werden konnte: „Ach... du übertreibst...“ „Vergiss nicht: Ich lüge nie. Hehe!“ Sie druckste. In ihrem halb abgedrehten Gesicht sah ich wieder die Gedanken rasen. Sie dachte viel über meine Worte nach, doch ich war mir aufgrund der Sprechpause schon fast sicher, dass sie es nicht schaffen wird diese Gedanken auch in Worte zu packen. „Willst du kein Schiffchen fahren lassen?“, wechselte sie ohne Übergang das Thema und bestätigte mich. Doch bei dieser Frage pikste etwas in meiner Brust und ich schaute den kleinen Bach hinunter. Meine Augen hingen an den leuchtenden kleinen, eifrigen Seglern vollbeladen mit Wünschen, Gedanken, Gedenken und Erinnerungen. Ich stellte mir jedes Jahr dieselbe Frage. Jeder der Leute, die ich jetzt nur noch auf dem Friedhof besuchen konnte, hätte ein Schiffchen und einen Gedanken verdient: „So viele Schiffchen wie ich wollte, kann ich nicht fahren lassen.“ „Inwiefern?“, fragte Sky, irgendwo zwischen ratlos und neugierig. Ich mag neugierige Wesen. Sie vertrieben die Langeweile viel besser. Ich musste lachen, als ich an all die alten Leute dachte. Auch sie waren alle so wunderbar neugierig, wissbegierig und voller Tatendrang gewesen: „Ich habe schon viele, viele Freunde verloren.“ „Oh...“, schaute mich die junge Dame mit großen Augen an. Mit dieser Aussage hatte sie nicht gerechnet. Warum und woher auch? Sie kratzte sich unbeholfen und grübelnd an der Schläfe: „Es... tut mir leid... ich wollte nicht, dass du...“ Nur mit den Augen sah ich sie an und zog mein Lächeln für sie ein bisschen höher, als ich das schlechte Gewissen in ihrem Gesicht erblickte: „Alles gut. Das konntest du ja nicht wissen. Hehe.“ „Was ist denn mit deiner... deiner Familie?“, fragte sie trotz aller Scham und Schande in ihrem Gesicht. Ich lachte auf: „Ich habe keine.“ Shinigami werden nicht geboren, folglich haben sie auch keine Familie. Genau wie Engel und Dämonen. Ein weiteres Mal musste ich daran denken, wie wissentlich die Menschen dieses Privileg eine Familie zu haben doch manchmal weg warfen. Die junge Sky war ein Paradeopfer für die Dummheit dieser Menschen und ich konnte mir nicht im geringsten vorstellen, dass sie es verdient hatte oder irgendwann verdient haben wird, so zu leben wie sie gelebt haben musste. Doch gerade konnte das Mädchen es noch irgendwie verhindern, dass ihr Kiefer gänzlich aus allen Wolken fiel. Sie versuchte meine Aussage gerade in ihre naive Annahme zu verflechten ich sei ein Mensch, wodurch sie mir sicherlich eine viel tragischere Lebensgeschichte zusprach als ich wirklich hatte. Dieser Gedanken ließ mich doch wieder wie gewohnt lachen und eher beiläufig klappte ich ihren schönen offenstehenden Mund zu: „Schau nicht so. Das musst du nicht.“ „Warum? Ich hab mich ja voll in die Nesseln gesetzt! Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht an sowas erinnern!“ „Ich erinnere mich gerne an meine Freunde. An eine Familie kann ich mich nicht erinnern, weil ich nie eine hatte. Also, hehe: Keine Sorge.“ Grübelnd schaute sie zu dem kleinen Bach und wackelte nervös mit ihren Füßen. Ich lachte wieder: „Hehe! Du hast jetzt nicht wirklich ein schlechtes Gewissen, oder?“ Sie wog kurz ihren Kopf hin und her ohne mich anzuschauen. In ihren abgewandten Augen huschten die vielen kleinen Flammen vorbei und das Rot, gemischt mit ihrem Himmelblau, erinnerte mich an einen Himmel in Abendröte. „Doch... schon...“, sagte sie schließlich zögerlich. Mit einem weiteren leisen Lachen drehte ich ihr Kinn zu mir, damit ihre abendroten Augen mich anschauen mussten: „Brauchst du aber nicht.“ Sie schauten mich an, als sie ihren Kopf auf meinem Finger schief legte: „Ja vielleicht, aber ich kann es nicht ändern...“, dann fing sie an zu lächeln, als ich einen spontanen Gedanken durch das Abendrot tanzen sah: „Du hast jetzt auf jeden Fall wieder einen gut bei mir!“ Ich lachte und die ganzen alten Leute verabschiedeten sich grinsend in meinem Kopf von mir, als sie mich wieder der Situation überließen: „Hahahaha! Doch nicht für so etwas. Das ist ja gemogelt!“ „Warum? Ich biete es dir doch an.“ „Dann lehne ich es halt ab.“ Verständnislos und fast empört schüttelte Skyler den Kopf: „Warum? Du magst es doch gar nicht ausgekitzelt zu werden.“ Ich giggelte wieder: „Ehehe! Tu ich auch nicht, aber wenn es dir Spaß macht ist es das wert.“ „Hö?“ Ich ließ meinen Finger auf ihrer Nasenspitze kreisen. Sie hatte mittlerweile aufgehört ihren Kopf vor meinen Fingern weg zu ziehen, es sei denn ich wollte an ihre Augenbraue. Die war tabu, wodurch ich es natürlich bei jeder Gelegenheit versuchte. Ein bisschen Spaß muss ja schließlich bleiben: „Thihihi! Naja, so wie du im Park gelacht hast und da du eben im Sarg meintest du dürftest nie deinen Spaß haben, folgere ich du hast Freude daran mich zu kitzeln.“ Sie grinste ertappt und schaute schräg nach oben: „Naja, ich hab Spaß daran wenn du quiekst und durch die Gegend hüpfst.“ Ich legte meine Hand wieder auf die Knie und lachte. Zu meiner Freude lachte die junge Sky mit mir und wir füllten die Luft um den kleinen Bach mit unserem spontanen freudigen Ausbruch. Dann zog ich das Papierschiffchen heraus und hielt es dem jungen Ding hin. Mittlerweile war ich mir sicher, dass ihr Medaillon ein Geschenk von jemand war, der Skyler mal sehr wichtig gewesen war. Deswegen trug sie es auch immer und ständig. Aber es war nicht von Amy. Es war älter. Jemand hatte ein altes Andenken verschenkt. Ich tippte auf eine familiäre Angelegenheit. Jemand, der für Sky die lieblosen Eltern ein Stück weit ersetzt hatte. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass sie sich so gut entwickeln konnte. Der Aufenthalt im Weston College startete mit 13. Alles hätte er nicht retten können, wäre sie schon verkorkst gewesen. Doch sie redete nie über ihr Leben vor dem College. Ich tippte, dieser Mensch war auf irgendeine Art und Weise nicht mehr da. Ich hatte auch leider eine Ahnung auf welche. Deswegen konnte ich mir gut vorstellen, dass die junge Skyler auch Wünsche und Grüße für jemand auf der anderen Seite der Existenz hatte. Sky nahm mir das Schiffchen aus der Hand und beschaute es etwas verwirrt: „Warum gibst du mir das?“ Ich lächelte ihr entgegen: „Ich wusste nicht, ob du jemanden hast dem du Gedenken und ein paar liebe Grüße schicken willst.“ Skyler schaute wieder auf das Bötchen und griff sich an den alten, silbernen Anhänger. Mein Verdacht war bestätigt. „Doch schon...“, hauchte sie und sah unendlich traurig auf das Stück Papier. Damit bestätigte sich auch meine zweite Vermutung. „Na dann“, hielt ich ihr Teelicht und Streichhölzer hin: „Tu es.“ Zögerlich nahm sie die beiden Teile aus meiner Hand und faltete mit gedankenschweren Fingern das Schiff auseinander. Sie zündete die Kerze an und konzentrierte sich das Teelicht in die kleine Halterung zu bringen. Doch ihre Hand zuckte plötzlich weg und sie wedelte damit: „Aui...“ Ich seufzte innerlich: 'Dieser kleine Unglücksrabe.' Dann griff ich ihre wedelnde Hand aus der Luft und beschaute den kleinen Brandschaden. Es war nichts Dramatisches. Lediglich ein kleines Loch im fleischfarbenen Elasthan über ihrer wunderbar warmen Hand und eine kleine rote Stelle. Mein Lachen kam vollkommen intuitiv und unüberlegt: „Du Schussel.“ Sie ließ das schöne Köpfchen hängen: „Und ich kann's noch nicht mal auf mein Karma schieben...“ Dann schauten wir uns an und ein weiterer kleiner Lachanfall überrollte uns aus dem Nichts. Ich wusste noch nicht einmal wieso wir lachten. Wir lachten einfach. Und es war herrlich! Als wir uns wieder gefangen hatten, nahm ich ihre Hand hoch und hauchte einen kleinen Kuss auf die lädierte Stelle. Ich berührte ihre Hand nur knapp, doch die Kunstfaser fühlte sich trotz allem auf meinen Lippen komisch an. Ich fand es bedauerlich nicht ihre Haut zu fühlen. Doch die Wärme ihres schlanken Körpers kroch trotz allem durch das Elasthan auf meine Lippen. „Besser?“, fragte ich, als ich den Kopf wieder hochgenommen hatte und schaute ihr in die ungläubigen Augen. In dem immer unterschwellig trüben Himmelblau stand deutlich die Frage, ob ich das gerade wirklich getan hatte. 'Tihi', lachte ich stumm: 'Ja, habe ich. Warum auch nicht?' Sie nickte und irgendwie wurde ihr Gesicht blass statt dunkel. „Geht es dir nicht gut?“, fragte ich doch ein bisschen irritiert, als das Knallrot ausblieb und sich so gänzlich ins Gegenteil drehte. „D-d-doch!“, stammelte sie überfordert: „Bei mir ist... ist alles ok!“ „Dann“, ließ ich ihre Hand los: „Lass es fahren.“ Sie reagierte nicht sofort. Ein paar Sekunden musterte sie mich noch stumm und die Frage verblieben in den an mich gehefteten Augen. Doch schließlich stand sie auf. Sie stand nur alles andere als stabil, weswegen auch ich mich auf die Füße stellte. So konnte ich sie fangen, sollten ihre wackeligen Knie und ihr Pech ungünstig miteinander korrespondieren und versuchen, sie im Bach zu ertränken. Doch blieb ich eine Armlänge entfernt stehen, um ihr Freiraum in dem intimen Moment der Trauer und des Gedenkens zu geben. „Für dich Oma“, flüsterte sie leise, für normale Menschen sicherlich auf die Entfernung nicht hörbar: „Ich hoffe es geht dir gut, da wo du bist. Mir... mir geht es gut.“ Dieser Satz löste in mir tatsächlich gemischte Gefühle aus: Einerseits wirkte er ehrlich, was mich endlos zu freuen begann. Andererseits klang es, als ginge es ihr erst mittlerweile gut und es schmerzte, als ich mir wieder bewusst wurde, dass das junge Ding schon einiges erlebt haben musste. Ihre Melancholie ergriff mich und ich legte ihr meine Arme um die Schultern. „Sie weiß das alles“, sagte ich als ich mein Kinn auf ihrem Kopf ablegte. Ein wenig belustigt stellte ich in meinen Gedanken fest, dass sie genau die richtige Höhe dafür hatte. „Woher...?“, begann Skyler verwundert, doch ich unterbrach sie, als ich mit den Augen ebenfalls ihrem kleinen Schiffchen folgte, das mit den anderen Bötchen zu vielen leuchtenden Punkten am dunklen Horizont verschwommen war: „Intuition und Erfahrungswerte. Wenn ich mit atmenden Menschen zu tun habe sind es zu 95% trauernde Angehörige. Ich weiß wie sie schauen. Ahehehehe!“ Eher unfreiwillig löste ich meine Umarmung, denn Skyler drehte sich zu mir herum. Ihr Gesicht lag ein Stück im Schatten, doch das Licht der Kerzen flackerte durch ein paar im sachten Wind wehenden Haarsträhnen. Sie legte ihr Köpfchen schief, als sie mir tief in die Augen schaute. Wieder mit dem Blick einer Künstlerin. Ich erkannte, dass sie etwas in meinen Augen sah. Ich erkannte nur nicht was. Doch ihre Augen musterten meine unnachgiebig. Bis in kleinste Detail erfassten sie alles, was darin zu sehen war und nahmen sich dafür die Zeit, die sie brauchten. Dieser Blick war so wunderbar. Er war fast klar, das Trübe soweit in den Hintergrund gerückt, dass es nur noch ein ganz blasser Nebelschleier in dem strahlenden Hellblau war, welches aus ihrem schattierten Gesicht wie ein Nachthimmel zu mir aufschaute. Unwillkürlich legte ich meine Hand an ihre Wange, während ich merkte wie sich meine Mundwinkel weiter nach oben zogen. Jetzt spürte ich ihre Haut. Sie war weich. Sie war warm. Ganz anders als die Haut, die ich sonst berührte. Nicht so schlaff und nicht so kalt. Das Leben knisterte durch meine Finger, die sonst doch nur den Tot berührten. Und ihre Augen waren so voller Gedanken, dass ich nicht aufhören konnte hinein zu schauen. Sie flogen vorbei, ein paar verweilten einen Moment und wurden dann von anderen hinfort geschubst, wie Wasserströme in einem kleinen Wirbel. Ich nahm ihre Hüfte mit dem anderen Arm und zog sie an mich ran. Sofort schickte ihre Körperwärme ein unvergleichbares Wohlgefühl durch die vielen Stellen an dem mein Körper ihren berührte. Ich spürte ihren Herzschlag gegen meinen Körper pochen. Kräftig, schnell und voller Leben. Dieses Gefühl vibrierte durch mein eigenes und ließ es ihren Rhythmus annehmen. Das schöne Ding legte mir eine Hand an die Schulter. Kurz wallte in mir die Befürchtung auf, sie würde versuchen mich wegzustoßen. Doch das tat sie nicht. Im Gegenteil. Zu meiner Verwunderung legte sie ihre andere Hand an meinen Hals und ließ sie meinen Nacken hochfahren. Eine Gänsehaut blieb an den Stellen zurück, die ihre Hand berührt hatte, bis sich ihre flinken Finger in meinen vielen Haaren verfingen. Sie hatte nicht einen Moment von meinen Augen weggeschaut und musterte sie immer noch bis ins letzte Detail. So wie ich ihre. Ich ließ meinen Daumen über ihren Mund fahren, neugierig darauf wie sich solche Lippen anfühlten. Sie waren genau so warm und weich wie ihre Haut und ihre Haare. Der Geruch von Lavendelseife stieg mir abermals in die Nase und ließ mein Lächeln weiter werden: „Ich hab es noch nie erlebt, dass jemand ein Lied über mich schreibt.“ „Wer sagt, dass es von dir handelt?“, lächelte sie neckisch. Ich werde dieses Lächeln nie wieder vergessen. Es war unsagbar verspielt und so wunderschön. Ich lachte, weil ich nun einmal so war: „Hehe! 'You're hilarious and crazy, odd like no one else'. Über wen denn sonst? Meinen weniger psychotischen Zwillingsbruder? Oh warte, hehehehe, ich hab ja keinen! Ehrlich, meine schöne Puppe. Ich bin blind, nicht taub. Selbst William hat es verstanden und der hat nun wirklich gar keinen Sinn für blumige Ausschmückungen.“ Spontan musste ich mir kurz vorstellen, dass Grell mich wahrscheinlich geschellt hätte in solch einer Situation zu scherzen. Doch wie gesagt: Ich war nun einmal so. Jeder in meiner Umgebung wird damit leben müssen. Denn ändern wollte ich mich nicht und verstellen noch viel weniger. Wenn man den Anderen nicht akzeptieren konnte wie er war, war jede Beziehung, egal wie geartet, doch einfach nichts wert. Ich hatte kein Problem damit die junge Skyler zu akzeptieren wie sie war. Diese bizarre Mischung aus Lebensgeist und unsagbar viel Schmerz. Diesem paradoxen Wanken zwischen Lügen und ungeschönter Ehrlichkeit. Mit all ihrer Verschämt- und Schüchternheit. Mit ihrem Sarkasmus und dem Humor, den man immer und immer wieder aus ihren schlechten Empfindungen ausgraben musste. Mit der ganzen unbegründeten Unsicherheit und der übersprudelnden kreativen Ader. Sie lachte mich an: „Ansonsten sagst du immer, du seist sehschwach und nicht blind.“ „Ehehehehe stimmt, stimmt. Aber blind ist schneller gesagt als sehschwach.“ Sie schloss ihre großen Augen und lachte mir so wunderbar glockenhell und ehrlich entgegen. Mein Herz tat einen Satz zur Seite, als ich einstimmte, ebenfalls die Augen schloss und meine Stirn an ihre legte. „Denkst du so über mich?“, fragte ich leise. Ich konnte immer noch nicht ganz glauben, dass sie von mir gesungen hatte. Das war mir noch nie passiert. Ich war zwar sehr lange in aller Munde gewesen, doch nie hatte jemand ein Lied über mich geschrieben. Und seit ich bei den Menschen lebte und mehr als nur seltsam geworden war, schon gar nicht. „Ja“, sagte sie prompt und fest: „Tue ich.“ „Wenn du dich da mal nicht verschätzt.“ Ich wollte ihren Anforderungen so gerne gerecht werden, doch ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich konnte. Im Endeffekt war alles was ich bin nur ein komischer, morbider, alter Kauz. „Das glaube ich nicht“, rollten die Wörter in einem Schwall warmen Atem über mein kaltes Gesicht und ließ es knistern wie Kaminfeuer nach einem kalten Wintertag. Dieses Gefühl ließ mich lachen ohne den Mund zu öffnen. Ich zog sie noch fester an mich, als ich meine Hand in ihren Haaren verschwinden ließ. Das Heben ihres Kopfes ließ mich meine Augen wieder öffnen und im selben Moment tippte meine Nasenspitze gegen ihre und diese herrlichen blauen Augen schauten mich von ganz nah an. Sie füllten mein ganzes Sichtfeld mit einem neuen, einem mehr scheinenden Glanz. Ich schloss die Augen, als mein Herz urplötzlich in meiner Brust zu rasen anfing. Das Gefühl ließ meinen Atem stocken und meine Gedanken innehalten. Für ein paar erschrockene Sekunden war ich mit dieser Empfindung fast überfordert, doch dann schlich sich meine Neugier wieder von hinten an und rüttelte die Verwirrung aus meinen Gliedern und Gedanken. Es war wieder eher mein Unterbewusstsein, was genau wusste was jetzt zu tun war und mehr intuitiv als überlegt nahm ich meine Stirn von ihrer herrlich warmen Haut und legte mein Kopf zur Seite um sie... küssen zu können. Ich war mir aus irgendeinem Grund so sicher, dass es nichts Richtigeres gab was ich in diesem Augenblick tun konnte, dass mein aktives Bewusstsein es endlich schaffte das in Worte zu fassen, was mein Unterbewusstsein mir schon lange entgegen schrie: Ich hatte mich verliebt. In ein wunderbares, junges Menschending. Ein paar blaue Augen hatten mir mein Herz gestohlen. „Süßes oder Saures!“, rissen mich Kinderstimmen aus meinen Gedanken und meiner Aktion, bevor ich sie zu Ende bringen konnte. Mein Kopf sprang schon fast ertappt herum. Aus dem Augenwinkel sah ich Skylers Kopf dasselbe tun. Zum letzten Angriff blasend kam eine große Kindergruppe mit wehenden Süßigkeitenbeuteln auf uns zu gerannt. Ich schnaubte, irgendwo zwischen frustriert und amüsiert. Auch Skyler hatte mich losgelassen. Irgendwie kam ich mir... verlassen vor, doch ich legte mein Grinsen auf die Lippen, als ich den kleinen Hang hoch ging und meine Kürbislaterne zur Hand nahm. Das junge Ding muss meine Gefühlslage nun wirklich nicht sehen. Skyler erschiene ohne Verzögerung neben mir und wir leerten unsere Körbe fast gänzlich in die Tüten der Kinder. Kurz lenkten mich die kleinen Menschen mit ihrer übersprudelnden, reinen Freude, dem breiten Grinsen und Lachen tatsächlich ab. Ich mochte Kinder. Ich mochte es wie sie lachen konnten und wie leicht sie waren. Noch so vollkommen unangetastet von dem Ernst der Welt, gegen den ich nur noch lachend rebellieren konnte. Sie ignorierten ihn einfach. Für sie war er einfach nicht da. „Tschö!“ „Bis zum nächsten Jahr!“ „Macht es gut!“, liefen die Kinder schließlich zurück zu ihrer Aufsicht. Für die Kleinen war es Zeit den Heimweg anzutreten. Ich überlegte kurz ebenfalls den Heimweg anzutreten, doch ein Seufzen neben mir ließ mich meinen Plan sofort wieder über den Haufen werfen. Als ich zur Seite schaute zog sich mein Herz ein Stück weit zusammen. Die junge Skyler sah alles andere als glücklich aus, als sie ihren Kopf halb hängen ließ. Ich konnte ihre Augen zwar nicht sehen, aber ich konnte mir aufgrund des Seufzens vorstellen wie furchtbar schlammig sie aussehen müssen. Und es war meine Schuld. In der Ermangelung eines besseren Einfalls nahm ich einen der wenigen übriggebliebenen Lollies, packte ihn aus und hielt ihn dem traurigen Ding mit einem gewohnten Giggeln vor die zarte, kleine Nase: „Hehe. Lolly?“ Sie schaute mich an. Ihre Augen waren wirklich furchtbar fahl geworden, als sie noch einmal sanft durch die Nase seufzte. Doch dann kicherte sie. Verwundert sah ich den Schlamm ein wenig aus ihren Augen weichen, als sie die Süßigkeit am Stiel griff: „Hihi, danke.“ Doch sie hielt den Lutscher eine zeitlang fest und musterte weiter mit einem schweren Ausdruck den Boden. Diesen Ausdruck... vertrug ich nicht. Er schmerzte mir. Verursachte mir ein endloses schlechtes Gewissen, als ich den Weg zum Garten hinunter schaute und mir selbst eines der pinken Zuckerdinger in den Mund schob. Als ich Skys Augen auf mir ruhen spürte, ließ ich mein Grinsen animiert von dem leckeren Zuckerding in meinem Mund wieder erscheinen. Ich schaute sie an, woraufhin sie sofort weg schaute und rot wurde. Ich kicherte weiter als endlich die Reaktion eintrat, auf die ich schon die ganze Zeit gewartet hatte. Ich nahm ihr den Lutscher wieder aus der Hand und steckte ihn ihr in den Mund. Ein wenig überfahren blinzelte sie mir mit einem komisch verzogenen Lollymund entgegen und ließ mich lachen, was aber von meinem eigenen Lutscher etwas erstickt wurde. Also nahm ich ihm zum Reden aus dem Mund: „Sollen wir zu den Anderen? Nicht, dass noch jemand nach dem Geburtstagskind sucht. Hehe!“ Auch sie lachte ein wenig erstickt durch die Süßigkeit und nahm ihn heraus: „Können wir. Ich weiß zwar nicht wer nach mir suchen würde, aber naja.“ Ich ging los. Amys Anwesenheit wird Skylers Gemütslage sicher etwas retten können: „Hehehehe! Machst du Witze! Amy, Fred, Ronald. Eigentlich alle! Da sie mich auch aus den Augen verloren haben, denken sie wahrscheinlich ich foltere dich gerade mit einem meiner Halloweenscherze zu Tode. Tihihihihihihi!“ Kurz in einen kleinen Laufschritt verfallen erschien Skyler wieder neben mir: „So schlimm können deine Scherze nicht sein.“ „Och“, lachte ich wieder vollkommen ehrlich: „Ehehe! Kommt drauf an, ob ich die Person mag die sie treffen.“ Wir lachten. Denn eigentlich wollte ich doch nur, dass sie glücklich ist. Als wir wieder am Ort des Geschehens angekommen waren, war der Garten schon halb leer gefegt. Die Kinder waren wieder Zuhause und auch viele der Gäste verschwanden, nachdem die Augen der Öffentlichkeit nicht mehr auf das Event der Phantomhives gerichtet waren. Jedes Jahr wurde von der Halloweenfeier in der 'Times' berichtet. Doch auch die Reporter folgten den Kindern meist auf dem Fuße. Kaum waren wir wieder im Schein der Feuerstellen angekommen, liefen uns die Geschwister Phantomhive und Lee entgegen: „Sky?! Geht es dir gut?“ Das junge Ding nahm den Lutscher aus dem Mund und musterte ihre besten Freundin, samt Anhang ein wenig perplex: „Ja klar, warum sollte es mir nicht gut gehen?“ Langsam und vollkommen synchron richteten die Drei ihre Augen auf mich. Ich lachte nur: „Ehehe! Ich habe nichts getan.“ Ihre Augen wanderten immer noch vollkommen synchron zurück zu Skyler. Diese nickte immer noch etwas irritiert: „Er hat Recht.“ Dann atmeten die Drei durch. Mit einem amüsierten Gesichtsausdruck musterte mich die junge Brünette: „Du bist an Halloween wirklich ein Albtraum, oder?“ Ich zuckte lachend mit den Schultern: „Ehehehehe! Ich hab ne Menge Spaß.“ „Das glaube ich“, Fred schüttelte den Kopf: „Weißt du, wie viele Gäste in deine Fallen getappt sind?“ „Hehehehe! Ich hoffe einige“, grinste ich dem, mir fast etwas zu ernsten, Noch-Teen entgegen. „Ja!“, rief der ältere Phantomhive genervt. Lee kicherte allerdings: „Und es war lustig.“ Amber stimmte dem Chinesen nickend zu: „Die haben blöd geschaut. Als der Einen das Skelett um die Ohren geflogen ist! Aber das ist auch eine blöde Schnalle! Hat sie voll verdient!“ „Oh oh“, Lee zeigte mit wackelnden Zeigefinger auf Amy: „Oder der steife Typ, der von der Riesenspinne assassiniert wurde!“ „Oder oder!“ Fred hob die Hände und unterbrach seine Schwester und seinem besten Freund: „Es reicht!“ „Aber es war lustig“, sagten Amy und Lee im Chor. Ich musste wieder lachen: „Hihihi! Und ich hab's verpasst.“ „Wo warst du eigentlich?“, fragte mich Amy ein wenig irritiert: „Ich habe es noch nie erlebt, dass du es verpasst dir deinen Triumph abzuholen.“ „Ehihi! Ich hatte etwas Besseres zu tun.“ Skyler blinzelte mich an. Lee, Fred und Amy blinzelten Skyler an. Ich lachte und sah im Augenwinkel wie Skyler ihr Gesicht wegdrehte, welches schon wieder ein paar Farbtöne dunkler geworden war. Begleitet wurde die ganze Szenerie von dem Klimpern von Geschirr. Der Butler hatte sich daran gemacht die Feier nach innen zu verlegen. Amy lachte: „Es geht wohl jetzt drinnen weiter. Kommt!“ Wir gingen los, doch nach 3 Schritten knallte und schrie es hinter uns. Ich erkannte den spitzen Schrei sofort. So schrie nur einer. Und der würde mächtig sauer auf mich sein. Ich versuchte mein Lachen in meiner Hand zu ersticken, als mir wohl bewusst wurde, dass ich mit meinem Scherz die EINE Person erwischt hatte... Die mich dafür wahrscheinlich wirklich töten würde. „UNDERTAKER!“, schrie es wutentbrannt durch den ganzen Garten: „Wenn ich dich in die Finger bekomme bist du tot! Hast du gehört?! TOT!“ Ich drehte mich synchron mit Skyler herum. Als ich dann tatsächlich sah was ich schon ahnte, brachen alle Dämme und mein Lachanfall drohte mich vor meinem Opfer zu erlegen: „Ahihihihihihihhihi! Nein! Ausgerechnet du! Pahahahahahaahahahahahahahahaha! Das ist ja wie Weihnachten und Neujahr am selben Tag!“ Natürlich erkannte Grell mein Lachen sofort und natürlich stand auf dem blauem Glibber, der ihm aus dem Skelett entgegen gekracht war und nun von oben bis unten zuschmierte, auch nur allzu deutlich mein Name. „DU!“, rief der rote Reaper außer sich: „RENN UM DEIN ERBÄRMLICHES DASEIN!“ Dann preschte Grell auch schon auf mich los. Ich hoffe, dass er sich wenigstens so weit im Griff behielt, dass er seine Death Scythe stecken ließe. Ich schaute kurz zu Skyler und gluckste: „Äh... Ehehe! Ich muss kurz weg!“ Dann machte ich mich aus dem Staub. Natürlich wusste ich, dass Grell zumindest schnell genug war, um mit mir mit zu halten. Mir stand auch nicht der Sinn danach wirklich zu entkommen. Eher war mir nach einem kleinen Fangenspiel. Nach einer kleinen Hasenjagd. So als Tribut auf alte Zeiten. Der Butler wich mir aus, als wir beide gleichzeitig auf die Idee kamen durch dieselbe Tür zu gehen. „BLEIB STEHEN, DU AUSHILFSPAUSENCLOWN!“, schrie es hinter mir und mein Lachen wurde schriller, als es von den fast leeren Fluren hin und her geworfen wurde. Schließlich endete ich im Ballsaal. In dem großen Saal angekommen drehte sich ein Skelett mit blondem Pferdeschwanz zu mir um: „Hey Undertaker! Wer schreit denn da... WA!“ Ich tat einen großen Sprung über den blonden Mann hinweg, welcher sich intuitiv zusätzlich duckte: „Tut mir leid Charlie! Ich kann gerade nicht! Ehehehehehehehehehe!“ „Was ist denn bei euch los!“, fragte Alex relativ irritiert. „Tihihihihihihihihihi! Später!“ „HALTET IHN! Haltet diesen miesen kleinen Verbrecher, damit ich ihm die Fresse polieren kann!“ In Franks Gesicht sah man, dass er seinen großen Moment kommen sah. „Liebend gern!“, streckte er plötzlich den Fuß aus. Ich konnte nicht mehr bremsen. Die Rache des Deutschen ließ mich stolpern und auf den Boden krachen. Ich wälzte mich lachend über selbigen: „Pahahahahahahahahahaha! Seht ihr und so schnell kann man euch alle glücklich machen! Ehehehehehehehehe!“ „Was zum Henker ist denn hier los?“, hörte ich Ronalds Stimme über mir. Dann klimperte etwas. „Grell!“, hörte ich Sebastian: „Bist du denn jetzt vollkommen übergeschnappt?! Das ist eine Erdbeer-Rosen-Bowle mit 'Chateau Coutet '! Aufgegossen mit 'Dom Perignon'! Angemacht mit hauseigenen Rosenblüten, Rosenwasser und Erdbeeren aus dem Wintergarten! Du hältst über 1700 Pfund in deinen Händen!“ Ich schlug die Augen auf und sah, wovon der Butler sprach: Grell hatte die große 10 Liter Bowlenschüssel über den Kopf gehoben und es gab nur eine Sache, die er damit hätte tun können wollen. Sie mir über den Kopf kippen. „Meine Rache wird furchtbar sein! Hörst du! FURCHTBAR!“ Ich schlang die Arme um meinen Bauch und fing noch lauter an zu lachen: „Ja! Wahahahahahahahahaha! Furchtbar komisch! Fuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“ „Oh! Du! HEY!“, ich öffnete meine Augen wieder ein Stück und sah, dass mir Ron und William zu Hilfe geeilt waren. „Grell, hör auf!“, rief Ronald, als er Grells Arm griff: „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ „Und wie es das ist! LASS MICH LOS!“ „Hörst du wohl auf damit!“, ächzte William und warf sich auf den anderen Arm: „Hör auf uns ständig zu blamieren!“ „Blamieren?! Ich euch blamieren?! HAST du dir mal ANGESCHAUT wie ich AUSSEHE?!“ Sebastian erschien bei der Szenerie und hielt von vorne gegen die Bowle: „Ich sage es zum letzten Mal: Lass die Schüssel runter!“ „Nahahahahahaha!“, japste ich auf den Boden: „Wie herrlich! Ihr solltet euch alle ein Mikrofon schnappen und Stand- up Comedians werden! Tahahahahahaha!“ Durch die Schreie der vier Männer und mein schrilles Lachen hörte ich weiteres Gekicher im Ballsaal. „LASST MICH LOS! Das wird er mir büßen! Das war ein Designerstück! Hörst du?! EIN DESIGNERSTÜCK!“ „Sutcliff!“, rief William wieder: „Lass die Bowle sinken! Ich warne dich! Du bist eine Schande für die ganze Dispatch Association!“ „Grell!“, Ronald wollte seinen Arm zurück zehren: „Beruhige dich! Es ist doch nur Götterspeise! Das kann man waschen!“ „NIEMALS! Er wird leiden! Hört ihr?! LEIDEN!“, Grell versuchte sich nach vorne zu beugen, doch Ronald und William hielten ihn davon ab. „Ich warne dich Grell!“, keifte Sebastian erbost: „Wage es dich und ich werde dein schlimmster Albtraum!“ Mein Lachkrampf wurde immer schlimmer. Von allen Streichen war dieser doch der mit Abstand Beste des Abends. Ach Quatsch! Der letzten Jahre! Ich hörte drei weitere Lachen mit einstimmen. Sie klangen jünger als die Anderen. Als ich meinen lachenden Kopf zur Seite drehte und die Augen öffnete sah ich Sky, Amy und Lee heiter lachen. Fred stand daneben und hatte sich die Hand vor den Kopf geschlagen. Die Situation wurde um Längen besser als ich das junge, brünette Ding sah. Wie sie sich amüsierte. In Mitten der drei anderen jungen Leute wirkte sie so natürlich und federleicht, als ihr glockenhelles Lachen zu mir herüber wehte. Sebastian, William und Ron riefen nach Grell, doch der rote Reaper dachte nicht im Traum daran mich ungeschoren davon kommen zu lassen. Er war der Erste, der tatsächlich versuchte mich für einen Streich zu lynchen. Natürlich wusste Grell, dass ich ihm niemals ernsthaft schaden würde. Sollte er es schaffen mir meinen Streich zurück zu zahlen, dann war es so. Wahrscheinlich hatte er es sich dann sogar redlich verdient. Ich konnte damit mehr als gut leben, soviel wie ich in diesem Moment zu lachen hatte. „Komm Runter Grell!“, hörte ich bald Freds Stimme, der sich wohl dazu berufen fühlte die Familienfeier zu retten. Ihm hätte auffallen können, dass es seinen Vater nicht im geringsten zu stören schien, denn den Earl Phantomhive hörte ich im Hintergrund mit seiner Frau und Charlie fleißig mitkichern. „SAGT MIR NICHT WAS ICH TUN SOLL!“ Fred diskutierte mit Grell minutenlang. In der Zeit klang mein Lachanfall auf ein Kichern ab und ich schwang mich in den Schneidersitz. Mit schief gelegtem Kopf beschaute ich die, mittlerweile 5, heiß diskutierenden Männer. Ganz so schnell wollte ich die Situation doch nicht enden lassen. Grell wünschte sich ein Bowlebad? Das konnte er haben. Ein schelmisches Lachen flog aus meinem Mund, als ich mich entschied an meiner fixen Idee festzuhalten. Also stellte ich die Hände hinter meinen Rücken und schwang mich auf die Füße. Im selben Atemzug sprang ich in einen Handstand. Neben den Händen des Butlers traf mein Absatz die große Schüssel. Sie geriet aus ihrer Balance und kippte nach hinten. Sebastian hatte mit solch einer Wendung nicht gerechnet und schaltete deswegen tatsächlich eine Sekunde zu spät. So kam es, dass sich die teure, teure Bowle über unseren lieben Grell ergoss und die Krempe seines großen Hutes nass über seine Augen klappen ließ. Der Dämon und die beiden Reaper konnten nur noch zusehen nicht ebenfalls gebadet zu werden. Ich landete lachend in der Hocke und sah noch, wie Fred die große Schüssel fing. Der Dämon legte die Hand an die schüttelnde Stirn und seufzte: „Warum? Warum hast du das getan? 1700 Pfund... einen ganzen Vormittag Vorbereitung und nun ist es Parfüm für einen roten, begossenen Pudel...“ William seufzte ebenfalls und versteckte seine Augen vor dem, was kommen sollte: „Drama in...3...2...1...“ Grell ging bitterlich weinend in die Knie und versteckte das Gesicht in den Händen: „RUINIERT! Warum?! Oh warum ich?! Was, oh Welt, habe ich dir angetan?! Mein schönes Kleid! Oh mein schönes Kleid!“ Das Lachen im Ballsaal wurde lauter. Selbst Sebastian konnte sein Amüsement nicht verstecken, als er kopfschüttelnd Fred die Schüssel abnahm. Auch Ronald lachte seinen Kollegen ziemlich ungeniert aus. Nur William schüttelte mit verschränkten Armen den Kopf und seufzte. 'Alter Esel, tehe!', lachte ich in meinem Kopf über Williams Humorlosigkeit und ging auf Grell zu. Wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott ja bekanntlich nicht mehr zu sorgen und wer sich mit dem Meister anlegte sollte sich vorher reiflich überlegt haben, ob er ihm die Bowle reichen konnte. „Hmmm Blaubeere mit Erdbeerbowle. Ahehehehehe. Köstlich“, schob ich mir ein Bröckchen Götterspeise in den Mund, das ich von Grells Schulter gehoben hatte. Grell griff mich schüttelnd am Kragen: „Wie konntest du nur?! Wie konntest du nur?! Ich dachte wir sind Freunde und gehen durch dick und dünn!“ Natürlich brachte mich das nur wieder zum Lachen. Wie könnte ich denn nicht, bei so viel hilfloser Wut und Ärger?: „Tun wir. Ahehehehe! Durch dick, dünn und blaue Gelatine! Pahahahaha!“ „DU HAST MICH GAR NICHT GERN!“, flennte der rothaarige Sensenmann durch den großen Raum. Ich musste nur immer weiter lachen, umso schriller Grell schrie und weinte: „Awahahahahaha! Natürlich habe ich dich gern! Hätte ich dich nicht gern, hätte ich blauen Tapetenkleister genommen! Tihihihihihi!“ „ICH HASSE DICH!“ William hatte offenbar genug von dem Theater, was wirklich schade war. Ich hätte noch Stunden weiter machen können! Und ich hätte auch Grell noch Stunden provoziert bekommen. William war sich dessen wohl ebenso bewusst, weshalb er dem Dämon die Schüssel entriss und Grell kurzer Hand damit einfach ausknockte: „Es reicht!“ Grell fiel um und blieb liegen. William musterte mich verständnislos: „Tat das denn wirklich Not, Undertaker?“ „PAHUHUHUHUHUHUHU! Voll auf die 12! WAHAHAHAHAHA!“ Sichtlich weniger amüsiert als ich seufzte William, stellte die Schüssel wieder auf den Tisch, packte dann Grell am Kragen und zog ihn hinter sich her. Mit einem vielsagend unbegeisterten Gesichtsausdruck deutete Sebastian einer Magd an die Pfütze aufzuwischen. „Danke“, sagte er sarkastisch, als er an mir vorbei ging: „Aber du trittst meine Bemühungen ja nie mit Füßen.“ Ich giggelte: „Hihi! Nur, wenn es so viel versprechend lustig ist, Butler!“ Mit verdrehten Augen und einem genervten Seufzen verschwand der Dämon. Auch ich machte mich auf dem Weg zu meinem üblichen Platz an der Wand, neben den Fenstern. Doch meine Augen folgten dem Dämon. Er nahm den 4 Teens die Jacken ab. Nun sah ich Skys Kostüm komplett. Ihre Handschuhe verschwanden in dem Schulterfreien Oberteil, verziert mit Schnallen und Nieten, und mogelten auch an den Ellbogen einige wunderbare Puppengelenke. Ich konnte nur immer wieder betonen, wie unsagbar gut ihr diese Aufmachung stand. Ich drehte halb lachend, halb seufzend mein Gesicht weg, bevor ich wieder vergaß es zu tun und die junge Frau wieder schamlos über Minuten musterte. Irgendwo hörte ich mein Karma leise lachen. Dann ertönte moderne Musik. Die Mischung aus Rock, Pop und Electronic war wirklich nicht meine Welt. Doch schnell erblickte ich Amy und Lee auf der Tanzfläche. Da mein Musikgeschmack bei den normalen Gallen eigentlich immer gewann, gönnte ich der Jugend ihre komische Musik. Es war schön zu sehen wie die jungen Leute lebten, lachten und Spaß hatten. Auch Ron und Fred erschienen irgendwann, ein junges Ding an der Hand auf der Fläche. Nur eine sah ich nicht. Als meine Augen durch den Saal wanderten fand ich Skyler dort stehen, wo Lee, Fred und Amy sie verlassen hatten. Erst hatte sie den Kopf schief gelegt, dann kippte er vorne über. Die Leichtigkeit war verflogen. Ihre Schwere kroch auch in meine Brust, als ich das junge Ding musterte wie sie zu Boden starrte, die Hände hinter dem Rücken versteckt und so endlos einsam und verlassen. Ein weiteres Seufzen. Ich konnte sie nicht so verwaist und beschwert dort stehen lassen. Ich konnte es einfach nicht. „Willst du nicht tanzen?“, fragte ich, als mich meine Füße lautlos zu ihr getragen hatten. Sie schaute mich an und dann sofort wieder zu Boden: „Öhm... Ich kann nicht gut tanzen.“ Ich lachte wie gewohnt, obwohl ich mich nicht wie gewohnt fühlte: „Ahehehehehe! Du bist im violetten Haus. Natürlich kannst du tanzen.“ Sie schüttelte nur kurz den hängenden Kopf: „Nein... Ich hab in Tanzen gerade mal eine Drei...“ „Noten sind nicht alles. Tihi!“ „Kannst du tanzen?“, fragte sie und nahm den Kopf ein Stück hoch und schief, als sie die Paare auf der Tanzfläche musterte. „Machst du Witze?“, lachte ich. Ich hatte so verdammt viel Zeit gehabt, ich konnte vieles ziemlich gut. Einfach, weil ich es aus Langeweile und Interesse gelernt hatte. So auch tanzen. Damals, 1800, war es eine existenzielle Fähigkeit in höheren Kreisen gewesen: „Ich liebe es! Hehe! Und ich möchte einfach mal von mir selbst behaupten ich bin ziemlich gut darin!“ Sie legte den Kopf endgültig schief und schaute zu mir hoch: „Warum tanzt du dann nicht?“ Ich streckte ihr meine Hand entgegen: „Meine Tanzpartnerin hat noch nicht ja gesagt.“ Ihr Kopf ging ein Stück nach hinten und ihre Augen wanderten von meiner Hand in mein Gesicht: „Was meinst du?“ Bei der Aussicht mit ihr tanzen zu dürfen erschien ein Lächeln auf meinem Gesicht und das komische Gefühl in meiner Brust kippte von bedrückt in eine ungewohnte Art von Aufregung: „Darf ich um diesen Tanz bitten?“ Unschlüssig schaute sie mich an. So viele schwere Gedanken rasten viel zu schnell durch ihre blauen Augen und dieser trübe Schleier, er war wieder voll da. Ich konnte mir denken was sie aufhielt. Auch ich fühlte mich aufgrund der Situation, einige Momente vorher, irgendwie komisch. Doch wenn ich eins wusste, dann dass alles vielleicht nie wieder wie gewohnt und in Ordnung werden würde, vermittelte ich ihr jetzt nicht, dass alles wie gewohnt und in Ordnung war. Dass es nie mehr wie vorher wurde wollte ich nicht. Das wollte ich überhaupt nicht. „Sky?“, weckte ich sie nach ein paar Minuten. Sie blinzelte mich aus ihren Gedanken gerissen an: „Hm?“ „Ist irgendetwas?“ Doch sie zuckte nur mit den Schultern: „Ich... weiß nicht.“ „Willst du reden?“, fragte ich besorgt. Vielleicht sollten wir über die Situation sprechen. Vielleicht sollten wir sie tot schweigen. Ich konnte nicht sagen, was nun richtig war. Doch sie schüttelte eh den Kopf und entschied so für uns beide: „Ich sag dir Bescheid wenn ich wirklich weiß was. Dann kann ich dir sagen ob.“ Ich wackelte mit dem Kopf. Die Fragen blieben also alle weiter im Raume stehen. Ich wusste selber nicht, wie viele ich davon hätte wirklich beantworten können. Also wechselte ich das Thema wieder: „Wie du möchtest. Nun? Was sagst du?“, hielt ich ihr immer noch meine Hand hin. Mit einem schnellen Nicken legte sie ihre Finger mehr als nur unsicher in meine Hand. Ich griff sie fest. Ihre Wärme rieselte durch meine Nerven, als ich sie auf die Tanzfläche führen durfte und mich freute wie schon lange nicht mehr. Auf der Tanzfläche angekommen wechselte die Musik zu Disko. Ich seufzte innerlich. Ich war sehr versiert in Standard und Latein. Selbst Rock 'N' Roll hatte ich gelernt! Doch Disko Fox hatte ich schon geschwänzt und das, was die jungen Leute heute so als 'tanzen' bezeichneten, wirkte selbst bei den erfahrenen Tänzern eher wie ein Zitteraal mit schweren epileptischen Anfällen. Auf mein innerliches Seufzen folgte ein leises Lachen: Das Leben war halt ein Spiel und nun stand Improvisation auf meiner Aktionskarte. Zurück konnte ich eh nicht mehr. Sky zauderte. Sie hob die Arme ein Stück und senkte sie wieder, als sie zu überlegen schien wie sie mich anfassen sollte und ob überhaupt. Eigentlich war sie mir gegenüber nicht mehr so schüchtern gewesen. Dass sie es jetzt wieder war, fachte ein komisches und unangenehmes Gefühl in mir an. Ich hoffte so inständig dieses Verhalten war nur temporär. Ich nahm ihre Arme und legte sie mir um den Hals. Dann legte ich meine Hände an ihre Taille und drehte das viel zu leichte Ding im Rhythmus der Musik. Oder dem, was man so alles Rhythmus nennen wollte. Sky stellte sich bei weitem nicht so schlimm an, wie sie es hinstellen wollte. Zwar drohte sie hier und da mal auszubrechen, doch es war nichts, was ich nicht mit einer beherzten Voll- oder Halbdrehung retten oder kaschieren konnte. Schnell war dieses komische Gefühl verflogen. Ich mochte es zu tanzen und heute fühlte es sich irgendwie noch besser an als sonst. Denn ich hatte eine liebreizende Partnerin! Meine gute Laune schlug sich in einem heiteren Lachen nieder. Auch Sky sah ich lächeln, obwohl sie immer noch so angestrengt konzentriert ihre Füße sortierte. Das Lied war ziemlich schnell. Für einen nicht ganz so geübten Tänzer war es also sicherlich schon eine kleine Herausforderung mir zu folgen. Doch selbst wenn sie mir auf die Füße treten oder stolpern sollte, es würde mich nicht interessieren. Auch, wenn wir für die Leute um uns herum vollkommen bescheuert aussehen würden, mir wäre es egal. Die Reaktionen würden sich wahrscheinlich auch nicht viel von denen unterscheiden, denen ich so alltäglich begegnete. Der jungen Sky war das alles nur ganz und gar nicht egal und das wusste ich. Also setzte ich alles daran ihr Vertrauen in ihre Tanzfertigkeiten Tanzschritt für Tanzschritt aufzubauen. Und es funktionierte! Nach dem ersten Lied war sie schon viel lockerer und entspannter. Sie konnte nun endlich damit beginnen an sich Selbst und der Situation Freude zu haben. Lieder kamen, Lieder gingen, doch weder Sky noch ich machten Anstalten uns von der Tanzfläche zu bewegen. Das junge Ding strahlte mittlerweile. Kicherte und lachte mit mir, wie vorher. Erleichterung stellte sich ein und verscheuchte den schweren Dunst der dunklen Befürchtung endgültig aus meiner Magengegend. Nach endlosen Minuten amüsierten Tanzens legte ich den Kopf schief und lächelte ihr in das feine Gesicht: „Hast du Spaß?“ Sie grinste so herrlich breit und ehrlich als sie mir zu nickte. „Haha! Das freut mich!“, lachte ich ihr ehrlichst entgegen. Sie wirkte wieder leicht wie eine Daunenfeder im Wind. Den Impuls meine Stirn an ihre zu legen versuchte ich gar nicht erst zu widerstehen. Ich hätte es eh nicht gekonnt. Mit einem breiten Lächeln schloss ich die Augen, als die Musik zu einer Ballade wechselte und wir langsam hin und her schunkelten. Doch mit einem lauten Splittern sollte der schöne Teil des Abends endgültig vorbei sein. Die Menschen um uns herum begannen zu schreien und zu kreischen. Mein Kopf flog zu den gesplitterten Fenstern. Es sickerte ein schweres, ungutes Grauen durch die zerschlagenen Fensterscheiben. Ein beklemmendes schweres Gefühl nicht von aus dieser Welt. Die Atmosphäre der Hölle. Die Biester, die ich dadurch in den Raum springen sah, erkannte ich sofort: Teufelshunde. Minder-intelligente, niedrige Bewohner der Hölle. Ich war ein wenig verwundert, denn eigentlich agierten Teufelshunde nicht von selbst. „Vorsicht!“, hörte ich Charlies Stimme durch den vollen Saal. „Alle von den Fenstern weg!“, schrie Frank und die Aristokraten versuchten winkend so viele Menschen wie möglich aus dem Raum zu lotsen. Menschen stürzten aus dem Raum, schubsten und drängelten um schnell aus den Türen zu kommen. Einige gingen zu Boden und wurden fast niedergetrampelt. So schafften es die Wenigsten aus dem großen Raum. Die Aristokraten hatten schon bald die Hoffnung verloren und brachten sich selbst in Sicherheit. Von der verständlichen Panik abgesehen, stoß diese Szenerie bei mir auf höchste Missbilligung. Sollten diese ganzen selbstsüchtigen Gestalten hier sterben, waren sie nicht nur selber schuld. Sie hatten es verdient. Wer so wenig Respekt vor dem Leben Anderer und so wenig Kooperationsfähigkeit zum Erhalt Aller zeigte, brauchte wirklich kein Mitleid erwarten. Neben mir sprang ebenfalls ein Fenster und ich hörte Skyler schreien. Scharf flogen die Splitter durch die Luft. Ich hob einen Arm vor mein Gesicht und merkte wie sie sich in meinen Haaren und Kleidern verfingen. Für Sky würde jetzt bald eine Welt untergehen, doch das konnte ich nicht mehr verhindern. Ich konnte aber wohl verhindern, dass ihr etwas passierte. Und das würde ich. Keiner dieser ekelhaften Dämonenviecher würde auch nur eine Strähne ihrer Haare erhaschen. Auch nicht das große Vieh, was direkt durch das Fenster auf uns zu sprang. Ich griff Skyler am Arm und zog sie hinter meinen Rücken. Im selben Moment erschien meine Death Scythe in der anderen Hand. Ich konnte das Versprechen gegenüber den Phantomhives nicht länger halten. Ronald, Grell und William auch nicht. Griffen wir jetzt nicht ein, würde der ganze Ball in Blut und Leiden untergehen. Denn diese Teufelshunde waren so dermaßen rasend, von sich aus würden sie erst stoppen wenn jeder tot und gefressen war. Also krachte der Kopf meiner Sense gegen den Kopf des Hundes und warf ihn zu Boden. Er winselte kurz, rappelte sich aber sofort wieder auf und sprang erneut auf mich zu. Ein dunkles Lachen kroch aus meiner Kehle und den geschlossenen Lippen. Ich hatte schon lange nichts mehr zum Spielen gehabt. Ein gewisses Entzücken konnte ich mir also in dieser Situation nicht absprechen. Diese Monster würden ihr blaues Wunder erleben und darauf freute ich mich diebisch. Mit einem Streich meiner großen Sense schnitt ich dem Teufelshund die Kehle durch. Sein rotes Blut spritze durch die Luft und ließ mich lachen. Tot und geschlagen blieb das Höllentier liegen. Teufelshunde waren zwar gefährlich, doch kamen sie nicht an uns heran. Der Cinematic Record des Biestes wirbelte aus seiner Wunde und um mich und die junge Frau herum. Ich verbannte ihn schnell ins Nichts. Die Erinnerungen dieses Tieres interessierten mich nicht. Ich wandte mich zu Skyler. Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Panik und tiefer Schock standen gepaart mit einer verängstigten Verwirrung in ihrem Himmelblau. Was sie wohl jetzt gerade von mir dachte? Wie würde sie wohl mit mir umgehen, wenn die Katze aus dem Sack war? Ich begrüßte, dass sie die Wahrheit wissen würde. Dass wir bald auf einer gänzlich ehrlichen Basis miteinander agieren könnten. Doch... würde sie überhaupt noch etwas mit mir zu tun haben wollen, wenn sie wusste, dass ich kein Mensch war? In ihren Augen stand die blanke Angst. Natürlich hatte sie Angst. Sie wird bis zu diesem Moment nicht im Traum daran gedacht haben, dass es solche Monster gibt... Und sie wird im Traum nicht daran gedacht haben, dass ich stärker war als sie. Und ich war viel stärker, viel älter und viel seltsamer als diese schnöden Monster. Skyler öffnete den Mund, doch das Aufheulen von Grells Kettensäge stoppte sie bevor sie etwas sagte und sie riss den Kopf herum. Sie musterte Grell mit nicht weniger panischem Unglauben als mich. Dann flog ihr Kopf zu Ronald, anschließend zu William und zum Schluss zu Sebastian. Ich hätte sie in dem Moment so gerne in den Arm genommen und ihr zu geflüstert, dass alles gut wird. Dass wir wohlgesonnene Wesen sind und dass diese Hunde niemanden in die Fänge bekommen werden, den wir mochten. Dass sie sich nicht zu fürchten brauchte. Doch ein weiterer Teufelshund verlangte nach meiner Aufmerksamkeit. Ich streckte ihn mit einem Streich meiner Sense ebenfalls nieder. Skyler war noch viel zu nah am Gefahrenherd, als das ich es mir jetzt schon erlauben konnte zu spielen. Erst musste ich sie in Sicherheit bringen. Ich erhaschte einen Blick auf Alex und die Anderen. Sie hatten sich in einer Ecke versammelt und mit Ritualschwertern bewaffnet, die Sebastian und ich vor einigen Jahren in mühevoller Kleinarbeit gefertigt hatten. Diese Waffen waren nicht im Geringsten so effektiv wie unsere Death Scythes, doch mit ihnen konnten sich die Menschen im Fall der Fälle zumindest Zeit erkaufen. Dort war Skyler im Moment wesentlich besser aufgehoben. Aber die Hunde gönnten mir keine wirkliche Pause. Drei weitere kamen auf uns zu geprescht. Erst einmal musste ich mir die Zeit erkaufen das junge Ding aus der Schusslinie zu bringen. „Undertaker!“, kreischte sie hinter mir. Dieser Aufschrei war getragen von so viel Angst... und er war voller Sorge. Sorge... um mich. In Kontrast zu all diesen Menschen, die nur darauf bedacht waren sich selbst in Sicherheit zu bringen und damit kopflos ihr Schicksal besiegelten, hatte das junge Ding ohrenscheinlich mehr Sorge um mich als um sich selbst. Irgendwie beflügelte mich diese Erkenntnis in einer ungekannten Art und Weise, als ich einem Hund mit meiner Sense den Bauch der Länge nach aufschlitzte. Den Anderen köpfte ich und versenkte mit beiden Händen meine Sense im Kopf des Dritten. Kurz und schmerzlos waren die drei Hunde tot zusammengebrochen. Mit einem Sprung landete ich neben Skyler und nahm sie mit mir. Nun hatte ich um uns so viel Platz geschaffen das ich sie zu den anderen bringen konnte. Ich landete bei den Menschen und stellte Sky neben Amy wieder auf ihre Füße: „Bleib hier!“ Ich drehte ich um und wollte wieder zu Grell und Co, doch vollkommen unerwartet griff mich etwas am Arm und hielt mich fest. „Bist du verrückt?! Du kannst da nicht wieder hin! Hast du dir mal diese Monster angesehen?! Die sind riesig!“, hörte ich Skylers panisch besorgte Stimme hinter mir. Ich drehte den Kopf zu ihr: „Ehehehehe! Ich weiß, aber ich muss den Anderen helfen.“ „Das ist Selbstmord!“, ich stockte, als ich das Zittern dieser jungen Hände an meinem Arm spürte und Skyler Träne um Träne die Wangen hinunter liefen: „Die bringen dich um! Die zerreißen dich! Ich will nicht, dass dir etwas passiert!“ Ich zog sie mit meiner freien Hand zu mir heran. Ihr weinendes Gesicht schmerzte mir immer wieder. Also wischte ich die Tränen mit meinen Daumen von ihren schreckensblassen Wangen. Ich war mir nicht sicher ob das Gesicht, was sie bei einem Weinen aus Angst machte, mir näher ging als das, welches sie beim Weinen aus Trauer machte. Sie war so furchtbar aufgeregt und verschreckt. Trotz allem machte sie sich Sorgen um mich. Das berührte mich tief. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn um sie zu beruhigen: „Mir passiert nichts. Hehe! Es braucht schon etwas mehr als ein paar Straßenköter, um mich in einen Sarg zu bringen!“ Ich lächelte ihr entgegen und lachte stumm dabei. „Aber!“, starrte sie mich an und ließ die Hände sinken. „Bleib hier, damit ich mir keine Sorgen um dich machen muss. Fred! Lee! Frank! Charlie! Alex! Ich verlasse mich auf euch!“, ich nahm die Hand von ihrem Kopf und erhob mich. In einem Wimpernschlag stand ich wieder vor einer Gruppe Teufelshunde und machte ihnen den Gar aus. „Sebastian!“, schrie der Earl in traditioneller Phantomhivischer-Butler-herumkommandier-Manier: „Bereite dem ganzen Spektakel ein Ende! Das ist ein Befehl!“ Ebenso traditionell hallte das Lachen des Dämons zurück: „Ja, mein Lord!“ Das Auftauchen der Hunde nahm kein Ende. Mein Spaß von daher auch nicht. Zwar wollte ich die ganze Angelegenheit der kleinen verstörten Sky zuliebe nicht so furchtbar in die Länge ziehen, doch ein Teil von mir, der Shinigami, genoss es mal wieder seine Sense in der Hand zu haben und das zu tun, wofür er geboren wurde: Töten. Ich hörte Ronald schreien und wandte dem Kopf zu ihm. Ein Hund hatte ihn getroffen und er war auf dem Rücken gelandet, doch Grell war sofort bei dem Jüngling und so wurde meine Wenigkeit dort nicht gebraucht. Ich war außerdem eh gerade selbst ein wenig beschäftigt. Die drei Hunde auf Abstand zu halten war für mich nun wirklich kein Hexenwerk, aber gerade brauchte ich meine Koordination doch ein wenig für mich. „Undertaker!“, hörte ich Grells Stimme. „Ahehehehehehe! Mir geht es prächtig!“, lachte ich als Antwort. Dann wurde die Welt orange und ziemlich warm, als mir die drei Hunde gleichzeitig ihren feurigen Atem entgegen spuckten. „UNDERTAKER!“, hörte ich panisch und vollkommen hysterisch die Stimme der kleinen Skyler durch den Saal kreischen. Ich seufzte. Sie muss sich aufgrund der Szenerie furchtbar erschreckt haben. Sie wusste schließlich noch nicht, dass es keinen Grund zur Panik gab. Ich trat den Hund vor mir weg und sprang mit einem Satz aus der Feuersalve. Nachdem ich auf der hässlichen Schnauze einer der Hunde gelandet war, entriss ich dem anderen meine Sense und schickte ihn Selbige in die Schläfe. Er brach tot zusammen. Mit einer Drehung schickte ich den zweiten Hund hinterher und landete auf dem Boden. Die Records der Hunde flogen durch die Luft. Eher nebenbei wischte ich mir den Pony aus dem Gesicht und wartete lachend auf das dritte Monster, doch William nahm mir den ganzen Spaß, indem er ihm mit seiner Schere aufspießte. Ich schaute zu dem humorlosen Reaper: „Hehe! Mach mein Spielzeug nicht kaputt!“ William schüttelte den Kopf: „Ich habe dir geholfen!“ „Was nicht nötig ist. Ehehehehe!“, lachte ich ihm entgegen. „Du bist unverbesserlich!“, seufzte William. Immer und immer mehr Records flogen durch den Saal, als William und ich neben unserem kleinen Geplänkel jeweils einen weiteren Hund erlegten. Mit einem synchronen Schnipsen barsten die Filmstreifen zu braunem Staub. Ich drehte mich zu dem Fenster. Ein schwacher violetter Schein fiel durch die Fenster: „Ehehehe! Wie ich mir dachte!“ „Was?“, machte Will gereizt und wir töteten einen weiteren Hund. „Ehehehehehe!“, lachte ich und William verdrehte die Augen: „Hey Butler! Hinter den Fenstern ist ein Portal!“ Sebastian stieß sich von der Decke ab und landete neben mir: „Wo genau?“ Ich deutete mit meiner Death Scythe auf das Schimmern des Höllenportals vor dem Fenster und giggelte amüsiert: „Hihi! Schließe es doch bitte. Mir wird langweilig. Diese armseligen Viecher sind keine adäquaten Gegner für uns.“ Des Weiteren hatten mir die Viecher meinen schönen Herrenrock ruiniert und ich wollte verhindern, dass die vollkommen unbedarfte Skyler noch länger der Szenerie ausgesetzt war. Es reichte. Sebastian machte sich auf den Weg zu dem Loch zwischen den Dimensionen. Ein Portal öffnete man nicht einfach so. Nicht jeder war dazu in der Lage und niemand ohne weiteres. Irgendjemand muss hier sein, der dazu in der Lage war und er musste es geschafft haben einige Zeit von uns unentdeckt zu bleiben. Ich spürte jetzt immer noch niemanden, der stark und bewandert genug wäre ein solches Portal zu öffnen. Doch manchmal war die Abwesenheit von etwas der größte Hinweis: 'Die Trancys... Claude oder Hannah.' 5 Hunde stoppten den dämonischen Butler auf seinem Weg das Tor zur Hölle wieder zu versiegeln. Auch ihm spuckten sie den für Teufelshunde typischen Feueratem ins Gesicht. Doch auch im Vergleich zu Sebastian waren diese Viecher ein nur mehr als schlechter Scherz. So machte sich der Butler ebenfalls seine unmenschliche Natur zu nutzen, bündelte die Feuersäulen und schickte sie den Hunden selbst entgegen. Einen Hund verbrannte er ins Unkenntliche. Die restlichen 5 beförderten Grell, Ronald, William und meine Wenigkeit ebenfalls wieder aus dem Fenster. Der Butler verschwand hinter dem gesprungenen Glas und kurze Zeit später verschwand das unangenehme, bedrückende Gefühl der Anwesenheit der Hölle. Im letzten Zug des Kampfes wurde Grell zwar noch am Arm verletzt, doch wir schickten die Teufelshunde allesamt zurück in die Hölle und das definitiv ohne ein Portal zu benutzten. Nachdem der letzte Hund zu Grunde gegangen war, betrat der Butler durch das Fenster wieder den Raum: „So. Das müsste es gewesen sein. Herrje.... Was ein Chaos.“ Die Gäste, die den Raum nicht verlassen konnten und denen ihr Glück heute hold geblieben war, flohen schreiend aus Fenstern und Türen. 15 Menschen hatten ihr Glück wohl schon vorher gänzlich aufgebraucht. Sie lagen tot und verstümmelt am Boden. In den roten Lachen spiegelten sich träge die Lichter des Kronleuchters und der Wind fuhr durch den Raum und ließ Gardinen und das Fell der toten Hunde wehen. William seufzte und schüttelte den Kopf: „Knox! Sutcliff!“ Die Drei zückten ihre Todeslisten. Sobald ihr Job getan war, konnte ich mit meinem beginnen. Doch vorher zuckte mein Ohr. Ich hörte die Steinchen, die überall verstreut in der Wiese um den großen Brunnen im Vorgarten der Phantomhives lagen, unter Schuhsohlen knacken. Doch die Schritte waren nicht hetzend. Sie gehörten nicht zu den fliehenden Galagästen. Sie gingen ruhig und bestimmt vor dem Fenster her. Doch ich spürte keine Präsenz dazu. „Ehehehehehehehe“, lachte ich leise zu mir selbst: „Du kleines Würmchen!“ Ich hob meinen Zeigefinger. Es dauerte nur ein paar Sekunden und der Staub der Hunde und der Records erhoben sich und sammelten sich um meine Fingerspitze. Es wäre doch unhöflich dem Trancy Diener, welcher es jetzt auch war, die Überreste seiner fluffigen Freunde nicht wieder zu geben, oder? Ich öffnete die Hand und der Staub ballte sich in meiner Handfläche zusammen. Meine Death Scythe entließ ich aus ihrem Dienst. Sie wurde nicht mehr gebraucht. Dem Dämon hinter dem Fenster würde gleich auf ganz andere Art und Weise die Ohren klingeln. Ich drehte mich, um dem Ball den nötigen Schwung mitzugeben. Dann pfiff er an Sebastian vorbei aus dem Fenster. Der Butler schaute kurz etwas irritiert, doch dann hörte er den erstickten Aufprall der Kugel hinter ihm. In den Funken des Staubballs sah ich ganz eindeutig eine männliche Gestalt aufflackern. Der Gedanke es könnte Hannah sein, konnte ich also verwerfen. Die Schritte entfernten sich nun schnell von dem Gebäude und waren kurz darauf verhallt. Sebastian drehte sich wieder zu mir: „Claude?“ Ich nickte kichernd: „Ehehehe! Claude.“ „Das erklärt einiges. Du konntest ihn spüren?“, kam Sebastian auf mich zu. Claude war definitiv dazu in der Lage das Tor zu öffnen und den Teufelshunden Befehle aufzubürden. „Nein“, giggelte ich vollkommen ehrlich: „Ich hab ihn gehört.“ Der Butler seufzte nur. Auch die anderen Shinigami kamen zu uns herüber und ließen Buch und Waffe in dem Nichts verschwinden, aus dem sie gekommen waren. Ich lachte, als ich mich noch einmal umschaute: „Scheint, als habe ich ein bisschen Arbeit gewonnen. Ehehehe!“ William seufzte: „Wie auch immer. Unsere ist getan.“ Ich schaute Sebastian an: „Ich darf mir doch sicher euren Kühlraum leihen, oder? Hehe.“ Dieser nickte langsam: „Ja, darfst du. Ich habe keine Lust, dass sie anfangen uns die ganze Villa zu zu stinken. Dieser Geruch geht nie wieder aus den Textilien.“ „Dann geh mir doch bitte zur Hand. Ehehehehe!“ Der Butler assistierte mir bereitwillig und wir brachten Leiche um Leiche in den Kühlraum der Phantomhives. Als wir durch die dunklen Flure gingen, um die nächste Fuhre meiner neuen Gäste abzuholen, legte Sebastian überlegend die Hand an das Kinn. „Was grübelst du, Butler? Hehe.“ „Ich frage mich, warum Claude den Aufwand betrieb ein Höllentor zu öffnen. Er muss doch wissen, dass diese Hunde keine Gegner für uns sind.“ „Vielleicht... Wollte er uns nur die Party ein wenig“, ich lachte: „Interessanter gestalten. Hehehehehehe!“ Der Butler seufzte: „Wenn die Trancys uns nur ärgern wollten, gäbe es doch einfachere Mittel und Wege.“ Ich hob lachend die Hände: „Was willst du von mir hören, Sebastian? Immerhin besteht der Trancy Haushalt zu rund 80% aus Dämonen. Also sag du mir, was sie denken. Tihihihi!“ „Genaugenommen besteht der Trancy Haushalt zu 100% aus Verrückten. Also dachte ich, ich frage einen anderen Verrückten nach seiner Meinung“, konterte der Butler mit einem dunklen Lachen. „Touché. Touché. Ehehe!“, lachte ich. „Undertaker!“, rief es kurz vor der nächsten Ecke. Amber und Skyler kamen uns geführt von Heather entgegen, doch die junge Brünette verließ die schützende Gesellschaft der zwei Ladys Phantomhive und rannte auf mich zu. Kurz sackte mein Herz ein Stück ab. Die junge Frau war bleich wie die Wand und wirkte gestresst und verstört bis ins Letzte. Doch sie bremste nicht und warf mir die Arme um die Taille. Das junge Ding zitterte. Ich legte ihr einen Arm um die Schultern und strich ihr mit den Fingern meiner freien Hand durch das weiche Haar. Etwas, was sich wie Erleichterung anfühlte, breitete sich in meiner Brust aus und vertrieb ein wenig die Befürchtung sie könnte sich nun vor uns Allen, und auch vor mir, zu Tode fürchten. Denn sie drückte mich so fest wie vorher noch nie. Sky hob ihren Kopf und ihre blauen Augen schauten ganz verweint und so vollkommen voller Sorgen zu mir hoch: „Gott, hab ich mich erschreckt! Bist du denn vollkommen verrückt geworden?! Hast du endgültig den Verstand verloren?!“ Ich lachte und wollte ihr antworten, doch sie nahm die Arme von meiner Taille und schob meinen lädierten Herrenrock auseinander. Ihre Augen und eine Hand huschten über meinen Oberkörper und tasten ihn ab: „Geht es dir wirklich gut? Du bist doch nicht verletzt, oder?!“ Ich schob sie an den Schultern eine Armlänge weg und schaute ihr in das Gesicht, mit dem von Tränen zerstörten Make Up: „Es geht mir gut. Ich habe dir doch gesagt mir passiert nichts.“ Mein Blick wanderte auf ihren linken Arm. Das Blut darauf war schon verkrustet, doch eine tiefe Schnittwunde leuchtete mir entgegen. Sie hatte also doch etwas abbekommen, auch wenn es nichts Dramatisches war. Ich unterdrückte die hochkochende Wut. Das wird Claude mir bei der nächsten Begegnung definitiv büßen: „Im Gegensatz zu dir.“ „Oh“, schaute sie auf ihren Arm: „Das... Das ist nichts! Hätte Heather nichts gesagt, hätte ich es gar nicht bemerkt. Aber du... du... du...“, Skyler fing vollkommen überfordert an zu stottern und brach ab. „Ich habe nicht einen Kratzer. Habe ich dir nicht gesagt, du musst dir keine Sorgen um mich machen? Hehe“, lachte ich ihr wie gewohnt entgegen und wollte damit eigentlich signalisieren, dass alles in Ordnung war. Doch stieß mein Lachen dieses Mal bei Skyler nicht gerade auf Beifall: „Hör auf zu lachen! Das das das das das... war alles einfach so ganz und gar nicht lustig! Dir hätte sonst was passieren können! Da waren Monster! Und Blut! Und T...To...Tot...Tote...“, ihre Stimme, die in einem aufgeregten Kreischen begonnen hatte, wurde mit jedem Wort etwas leiser bis sie schließlich stotternd verebbte. Durch ihre Augen huschten so viele Gedanken und so viel Schreck. Eher unüberlegt nahm ich sie in die Arme: „Es ist vorbei, meine schöne Puppe.“ Doch das junge Ding legte mir ebenfalls die Arme um den Hals und drückte mich zurück: „Erschrecke mich nie wieder so!“ „Das...“, stockte ich: „Könnte schwierig werden.“ „Nein! Nein, das ist überhaupt nicht schwierig! Tu so etwas nie, nie, nie, nie, nie wieder!“, versteckte sie ihr Gesicht in meiner Schulter. Wenn sie erst einmal alles wusste, würde sie begreifen, dass es sehr wohl sehr schwierig werden könnte. Die junge Frau zitterte und schluchzte in meinen Armen: „Was ist passiert?! Was war das?! Was zur Hölle war das?!“ Doch ich konnte ihr nichts erklären. Alexander hatte mir dazu noch kein grünes Licht geben können. Außerdem wollte der Earl diesen Part eigentlich immer selbst übernehmen. Amy erschien an Skys Seite. „Alles ok bei euch?“, flüsterte sie so leise, dass Skyler es nicht hören konnte. Ich nickte grinsend. Sebastian nickte ebenfalls. „Komm Sky“, legte Amy nach einem erleichterten Seufzen ihrer aufgewühlten Freundin die Hand auf die Schulter: „Evelyn hat ein Bad für uns vorbereitet. Das wird dir gut tun. Danach erklären wir dir alles. So kannst du eh nichts aufnehmen.“ Doch das Mädchen machte erst keine Anstalten sich zu bewegen. Also nahm ich sie an den Schultern, schob sie ein Stück weg und wischte ihr ein weiteres Mal die Tränen aus dem Gesicht: „Sie hat recht. Geh mit ihr.“ „Aber... aber du...!“ „Bist der Letzte, um denn du dir jetzt Sorgen machen musst“, sagte ich ihr eindringlich: „Geh mit Amy, damit ich mir keine mehr um dich machen muss, ok? In echter Freundschaft kann die Welt genesen. Auch nach so etwas. Amy wird auf dich aufpassen. Das weiß ich. Es gibt niemanden, dem ich dich mit besserem Gewissen mitgeben könnte. Wenn es dir besser geht komm zu uns und wir erzählen dir die Wahrheit.“ „Die Wahrheit? Worüber?!“, rief sie viel zu laut, als für sie gewöhnlich. „Über uns“, antwortete ich ruhig: „Doch jetzt geh.“ Dann nahm Amy sie an der Hand und zog sie mit sich. Ich stand auf und begab mich mit Sebastian wieder auf den Weg zu meinen anderen Gästen. Der Butler lachte. Meine Augen wanderten zu ihm, als unsere Schritte durch den stillen Flur hallten: „Was lachst du, Butler?“ Der Dämon lachte wieder: „Die junge Miss Rosewell scheint einen Narren an dir gefressen zu haben.“ Ich entgegnete ebenfalls lachend: „Tehehehe! Und das weißt du woher?“ „Es muss ziemlich offensichtlich sein, wenn es selbst einem Dämon auffällt. Meinst du nicht auch?“ „Ehihihi! Oder du bist schon so lange bei den Menschen, dass du sensibel wirst.“ Das Lachen des Dämons verebbte: „Beleidige mich nicht, Undertaker.“ „Oh“, machte ich ironisch: „Ich habe ganz vergessen wie zart besaitet ihr Dämonen manchmal seid.“ Nachdem wir alle Verblichenen in den Kühlraum getragen hatten, endeten wir mit den Anderen in dem Salon im Südflügel. Die Kostüme hatten alle mittlerweile abgelegt. Selbst die Shinigami waren wieder in ihren üblichen Anzügen zu sehen. Ronald, Fred, Lee, Charlie und Frank spielten gerade eine Runde Pool, während die 'Aristokraten des Bösen' und die Shinigami ihre Gedanken wälzten. Sie kamen auch nicht wirklich weiter. Keiner konnte sich so ganz erklären, was der Butler der Trancys damit bezwecken wollte. Ich legte meinen vollkommen zerstörten Herrenrock über eine Sessellehne und Heather reichte mir ein Feuchttuch. Ich wischte mir die Schminke aus dem Gesicht, während die Anderen sprachen. „Wahrscheinlich“, stieß Charlie die weiße Kugel an und sie rollte klackend gegen einige andere Kugeln: „Wollten sie euch nur in Misskredit bringen.“ „Aber warum so kompliziert?“, sprach William als Verfechter des Weges des geringsten Wiederstandes. „Weil Oliver ein ganz mieser, kleiner, verrückter Scheißer ist“, fauchte Fred und wechselte mit Charlie den Platz: „Der kommt auf Ideen jenseits von Gut und Böse.“ „Wohl wahr“, seufzte Sebastian und war mit einem Tablett Getränke erschienen: „Aber eigentlich hält Claude ihn ganz gut auf dem Boden der Tatsachen.“ „Vor allem“, lachte ich und warf das Tuch in den Müll: „Ehehehehe! Wenn er sich selber so in die Waagschale werfen muss.“ „Das des weiteren“, pflichtete mir der Butler bei. „Abgesehen davon“, wechselte Heather, Vollblutmutter wie sie war, das Thema: „Was machen wir jetzt mit dem Mädchen?“ Alex schüttelte den Kopf: „Fred hat schon recht. Wir müssen ihr alles erzählen. Es sei denn jemandem fällt jetzt die beste Lüge des Jahrhunderts ein.“ Ich kicherte laut: „Tihihihihihi! Damit bin ich raus.“ Auch Sebastian schüttelte den Kopf. Ronald lachte auf: „Eine Lüge, die 4 Shinigamis und einen Dämon in Aktion weiter als Menschen erklärt? Derjenige der das schafft, dem geb' ich einen ganzen Abend lang Drinks aus.“ „Wie schade“, machte Lee: „Das Angebot hätte ich nur allzu gerne angenommen, doch auch ich bin vollkommen ratlos.“ Wenn Lee nicht mehr wusste wie man lügen sollte, gab es einfach keine Plausible mehr. Denn der junge Chinese war nicht nur ein anerkannter Drogen-, sondern auch ein mindestens genauso berüchtigter Lügenbaron. „Dann“, seufzte Alexander: „Werden wir der guten Skyler einiges zu erklären haben.“ „Viel Spaß mein lieber Earl“, grinste ich ihm entgegen. Alexander zog nur eine Augenbraue hoch. Dann flog mein Kopf herum. „Was willst du?!“, drang eine Stimme leise an mein Ohr. Sie musste sehr weit weg sein und schreien wie verrückt. Ich zog die Augen zusammen, als ich genauer hinhörte: „Lass sie gehen!“ Ich kannte die Stimme. „Hilfe!“ Ich riss die Augen auf: 'Sky!' Mit einem Satz war ich aus der Salontür. „Hey!“, hörte ich Grell: „Undertaker, was ist los?!“ Doch ich antwortete nicht. Ich stoppte auch nicht. „Sebastian!“, hörte ich Alex Stimme hinter mir: „Folge ihm!“ Der Butler erschien in dem Moment neben mir: „Was ist in dich gefahren?“ „Sch!“, machte ich scharf. Die Mädchen trugen ebenfalls Ketten, ich konnte sie also nicht aufspüren. Ich musste mich an ihren Rufen und ihren Geräuschen entlang hangeln. Irgendwo im Westflügel polterte es ganz komisch. „Verschwinde!“, hörte ich wieder Skylers Stimme und schlug hart um die Ecke. Ich nahm die Kurve zu plötzlich und musste gegen die Wand springen um sie zu bekommen. „Lass uns in Ruhe!“ Es wunderte mich, dass Skyler zwar immer schrie man solle 'uns in Ruhe lassen', doch ich Amy nicht hörte. Die Stimme der Phantomhive erhaschte ich weder laut noch leise. „Was ist los?“, fragte Sebastian gereizt und mir auf dem Fuß folgend: „Wo willst du so eilig hin?“ „Jetzt halt doch den Mund!“, fauchte ich ebenso gereizt: „Ich höre sonst nichts!“ „Was hörst du denn?!“ „SCHT, verdammt!“ „Hil.... IRGS!“, erreichte ein Schmerzensschrei nun wesentlich lauter mein Ohr, als wir den Westflügel erreicht hatten. Mein Herz schlug einen Schritt schneller, als ich Skylers schmerzverzerrte Stimme hörte. Der Butler und ich kamen um die Ecke. Wir erblickten Claude. Der Butler der Trancys hatte die junge Phantomhive im Haltegriff und drückte ihr Mund und Nase zu. Deswegen hatte ich sie nicht gehört! Die Schwarzhaarige wehrte sich, doch langsam wurden ihre Bewegungen träger. Der Butler schien ihr langsam aber sicher die Luft abzuschnüren. Vor den Füßen der Beiden rappelte sich Skyler auf die Ellbogen. Kleine Blutstropfen fielen auf den Läufer. Ich merkte sehr wohl wie in meinem Kopf die Sicherung herausflog, doch ich hatte nicht den geringsten Antrieb es zu unterdrücken. Alles, was ich spürte, war eine sengende und brennende Wut. Auf Claude. Und die kleine Mistratte stand auch noch genau vor mir. Meine Sense erschien wieder in meiner Hand, als ich hoch sprang und sie in der Schulter des dämonischen Butlers versenkte. Erst als ich ihn traf, schien Claude zu realisieren, dass wir angekommen waren. Überrumpelt ließ er Amy los und das Mädchen taumelte hustend zu Boden. Faustus Cinematic Record erschien im selben Moment, in dem der Butler der Trancys den Fuß des Butlers der Phantomhives mit einer Menge Schwung genau auf die Nase bekam. Er taumelte, wollte zurückweichen, doch meine in seine Schulter geharkte Sense hielt ihn davon ab. Mit einem Ruck zog ich ihn wieder zu uns. Synchron und in einer perfekten Harmonie schlugen der Butler und ich ihm unsere Fäuste ins Gesicht. Der zweite Dämon flog durch den Flur und knallte bei der nächsten Biegung gegen die Wand. „Was willst du hier?“, keifte Sebastian unangetan von dem wiederholten Auftauchen seines Erzfeindes. „Diese dumme Göre, wie konnte sie nur!“, fauchte Claude leise. Ich lachte durch die geschlossenen Lippen. Sebastian schaute mich kurz mit einem zwiegespaltenen Gesichtsausdruck an, als ich die Stimme erhob. Er wusste, dass auf diesen Tonfall nie etwas Gutes folgte: „Welche Göre konnte was, Dämon?“ Claude stellte sich wieder auf die Füße: „Eure Fragen werde ich ganz sicher nicht beantworten!“ „Gut“, machte ich und justierte meinen Griff an meiner Death Scythe: „Dann bist du zu nichts zu gebrauchen. Eigentlich ist was genau du vorhattest auch egal. Hehe!“ Mit einem Satz wollte ich dem zweiten Dämon weiter zusetzten. Auch Sebastian war wieder mit von der Partie. Doch ein weißer Schwall unterbrach uns aus heiterem Himmel. Ich hatte das Gefühl tausend kleine Messer bohrten sich in meinen Körper und einer erwischte mich scharf am linken Wangenknochen. Die unerwartete Wucht holte uns zwar aus der Luft, doch wir konnten sicher landen. „Was zur...!“, fauchte ich mehr als nur gereizt und zupfte eins der kleinen Messer aus meinem Oberkörper. Ich hielt nur kein Messer in der Hand. Sondern eine reinweiße, mit meinem Blut besprenkelte Feder. Ich schaute Sebastian an. Sebastian schaut mindestens ebenso verwirrt zurück zu mir: „Ist das...?“ Ich nickte verwundert: „In der Tat. Eine Engelsfeder.“ Wir schauten zurück zu der Wand, in der Claude gelandet war. Sie war eingedrückt, aber der andere Butler war verschwunden. „Was zur Hölle tut ein Engel hier?“, fragte Sebastian was auch mir auf der Seele brannte: „Und warum rettet er einen Dämon?“ „Ehehehehe! Frage mich etwas Leichteres“, gab ich lachend zurück. Diese unerwartete und äußerst paradoxe Wendung versprach doch eine Menge Spaß und Aufregung für die Zukunft. „Was auch immer du jetzt lustig findest, Undertaker“, gab Sebastian trocken zurück. „Sky!“, hörte ich auf einmal Amys Stimme von hinter uns. Die Verwunderung hatte mich für einen Moment vergessen lassen, warum ich hierher geeilt war. Ich wirbelte herum und sah Amy ihre Freundin am Boden schütteln: „Wach doch auf!“ Ich verzog den Mund im Aufwallen eines weiteren Stoßes heißer Wut. Claude sollte sich gut vor dunklen Gassen in Acht nehmen. Jetzt und für den Rest seiner Tage. Denn abgegolten wird das, was er heute getan hat, nie sein. Ein dünnes Blutrinnsal schlängelte sich von Skylers Schläfe in das zur Seite gekippte Gesicht und von einer Wunde unter ihrem Schlüsselbein über ihre Schulter. Unter ihrem Schlüsselbein steckte ein goldenes Messer. Der Anblick ihres Blutes vertrieb die sengende Wut mit einer brennenden Sorge. Ich lief zu den Mädchen und ging auf die Knie. „Sky?“, hielt ich ihr meine Finger an den Hals. Ihr Puls klopfte regelmäßig und beständig gegen meine Fingerkuppen. Ihre Brust hob sich sachte unter ihren Atemzügen, doch sie antwortete nicht. Sie war wohl ohnmächtig. „Amy?“, drückte ich zwei Finger neben das Messer auf Skylers Haut und zog es vorsichtig heraus: „Was ist passiert?“ „Ich... ich weiß nicht!“, begann die Phantomhive aufgeregt: „Wir kamen aus dem Bad und wollten zu euch. Sky hat sich... immer wieder umgedreht und meinte sie litt unter Paranoia! Irgendwann schubste sie mich gegen die Wand und Claude preschte an uns vorbei! Ich hatte keine Ahnung..., dass er da war! Er war nicht zu hören und nicht zu sehen! Doch... Sky wusste irgendwie..., dass er da war! Er packte mich und bewarf Sky mit diesem... Ding! Sie hat gerufen und geschrien, da hat er ihr gegen den Kopf getreten und in den Bauch! Ich hab versucht los zu kommen, aber ich hab es nicht geschafft!“, ein paar Tränen rollten über Amys Gesicht. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. Was Amy erzählte war doch sehr interessant. Woher konnte Skyler gewusst haben, dass Claude da war? Er trug doch einen 'Fessless Stone' bei sich, der seine Präsenz verschluckte. Keiner von uns hätte sagen können, wo er war und wo nicht. Skyler war doch nur ein ganz normaler Mensch: '...Oder?' „Ruhig Amy“, lächelte ich ihr entgegen: „Ist dir etwas passiert?“ Sie schüttelte hastig den Kopf: „Nein! Nein, mir geht es gut!“ Mittlerweile hatte sich Sebastian zu uns herunter gebeugt und einen erste Hilfe Kasten in der Hand: „Nur die Ruhe, Mylady. Hauptsache euch ist nichts passiert“, sagte er und beschaute kurz die Wunden der Brünetten. Amys Stimme fuhr empört nach oben: „Bitte? Und was ist mit Sky?! Ist das total egal oder was?!“ „Euer leibliches Wohl hat für mich Vorrang, Mylady. Des Weiteren hat Claude bei eurer Freundin nichts angerichtet, was lebensgefährlich wäre“, konterte der Dämon: „Sie wird ein wenig Kopfschmerzen haben, doch bald wieder aufwachen.“ Der Dämon zog Nadel und Faden aus dem Kasten. Sein Gesicht wanderte zu mir: „Würdest du mir eine helfende Hand reichen?“ „Natürlich. Tehe!“ Amy schaute etwas verstört zu, wie ich die Haut an der Brustverletzung zusammenschob und Sebastian sie mit ein paar Stichen nähte. Dasselbe an ihrem Arm. Mit meinem Taschentuch rubbelte ich behutsam das Blut aus Skylers sauberen Gesicht und ihrer Schulterpartie. Sebastian klebte ein Pflaster auf die Wunden: „Claude hätte sie leicht töten können. Warum hat er es nicht getan?“ Ich schüttelte nur den Kopf und nahm die ohnmächtige junge Frau auf den Arm: „Schrei es bitte nicht herbei, Butler. Thehehe. 15 Tote sind ein guter Schnitt für einen Tag, denkst du nicht?“ „Habt ihr Beiden sie noch alle?!“, fuhr Amy hoch: „Es kann doch nicht sein, dass jedes Mal wenn Skyler mich besuchen kommt, sie ohnmächtig im Krankenbett endet! Oh! Ich fahr noch eigenhändig zu der Villa Trancy und drehe Oliver sein erbärmliches Makkaronihälschen um! Dieser kleine, kranke Spinner! Diese verdammte, kleine Made! Dieser...!“ Sebastian hob die Hand: „Diese Gossensprache geziemt sich nicht für eine Dame, Mylady! Unterlasst es! Unverzüglich!“ Amys Unterlippe bebte vor Wut. „Trotz allem hat sie Recht“, gab ich der jungen Phantomhive Schützenhilfe: „In zwei Monaten dreimal kalt erwischt zu werden und davon zweimal am selben Abend wird peinlich. Findest du nicht, Butler? Tehehehe!“ Sebastians Mund wurde zu einem schmalen Streifen. „Ich werden den Earl unterrichten“, sagte der Butler und übersprang meine bissige Bemerkung: „Ich kann doch die junge Miss Rosewell guten Gewissens in deinen Händen lassen oder ist sie dafür noch nicht kalt genug?“ Ich lachte: „Ihihihihi! Achte auf deine spitze Zunge bevor sie dir einer abbeißt, Dämon. Achte darüber hinaus, dass es nicht du selber bist, wenn du ein weiteres Mal über Claudes Füße stolperst. Ehehehehehe!“ Der Dämon warf mir einen vernichtenden Blick zu. „Kommt, Mylady. Ihr müsst euren Vater euer kleines Abenteuer erklären“, sprach er schließlich gezwungen ruhig. Amy schaute über die Schulter und sah mich leidend an, als sie sich gezwungenermaßen aufmachte Sebastian zu folgen. Ich lächelte ihr zu: „Ich passe auf sie auf.“ Amy nickte, hauchte mir ein stummes: „Danke“ entgegen und verschwand mit dem Butler um die Ecke. Ich brachte Sky in das Gästezimmer, welches sie schon letztes Mal zugeteilt bekommen hatte. Nachdem ich ihr die Schuhe ausgezogen hatte, deckte ich das junge Ding zu. „Es tut mir leid...“, seufzte ich geschlagen. Ich hätte besser auf sie achten müssen. Ich hätte dafür sorgen müssen, dass ihr so etwas nicht passierte. Das schlechte Gewissen entfachte ein schweres Bedauern in meinem Herzen, als ich der schlafenden Schönheit ein paar Strähnen aus dem Gesicht wischte. Kapitel 7: Von Dämonen, Menschen und Sensenmännern -------------------------------------------------- Sky Es pochte. Meine Schläfe pochte ganz furchtbar. Nur langsam krochen so etwas wie Gedanken in die große Leere in meinem Kopf. Wo auch immer ich war, es war warm und weich. Gemütlich. Wäre der klopfende Schmerz nicht, der durch meine Stirn knisterte. Ein leises Stöhnen fuhr aus meinen geschlossenen Lippen, als ich mit immer noch geschlossenen Augen die puckernde Stelle an meinem Kopf befühlte. Ich fühlte so etwas wie Stoff anstatt meiner Haut. Zögerlich fuhr ich mit den Fingern ein weiteres Mal darüber. Es war... ein Pflaster. Was machte es dort? Warum war es da? Wo... war ich? Mit der ersten Regung meiner Kognition fiel ein schwacher, orangener Schein durch meine geschlossenen Lider. Vollkommen unvorbereitet schickte der Schein eine Erinnerungen durch meinen lädierten Kopf: 'UNDERTAKER!' Ich sah den Totengräber vor meinem inneren Auge in einer Feuersalve untergehen und riss mit einem verkrampften Einatmen die Lider auf. Ich schnellte in den Sitz und atmete schwer, hart getroffen von meinen Erinnerungen. Denn sie kamen mit einem Mal alle wieder. Ich keuchte. Meine wirren, aufgewirbelten Gedanken schickten mir ein Knistern nach dem anderen die Wirbelsäule hinunter. Einem mit jeder so surrealen Erinnerung. Große Hunde. Feuer. Schreie. Blut. Undertaker, Ronald, Grell, William und Sebastian... Sie hatten... gekämpft.... Und uns das Leben gerettet. Ich hielt mir meinen pochenden und vollkommen überstrapazierten Kopf. Das war doch alles nicht wirklich passiert... Ich muss geträumt haben. Doch unwillkürlich fiel mein Blick auf meinen linken Arm und dem Pflaster darauf. Dem Pflaster auf dem Schnitt, den ich aus dem Ballsaal zurückbehalten hatte. Ich fuhr kurz mit meiner Handfläche darüber. Es knisterte unterschwellig schmerzhaft. 'War das alles wahr?... Wirklich passiert?... Aber...Wie?' Mein Blick flog durch den Raum. Ich kannte ihn. Das letzte Mal, als ich die Phantomhives besuchte, war ich auch hier aufgewacht. Ich hoffte inständig, dass es nicht zur Tradition wurde. Von schräg hinter mir fiel mir weiter dieser orangene Schein ins Auge. Ich drehte meinen Kopf zu ihm und stockte verwundert, als ich ein paar Mal blinzelte um sicher zu gehen, dass ich richtig sah. Der Schein gehörte zu einer großen Kerze auf einem filigranen, gusseisernen Ständer. Sie stand auf der dunklen Kommode neben dem dunklen Nachttisch. Neben der Kerze stand eine kleine, leere Teetasse mit blauem floralem Muster und einem einsamen, nassen Teebeutel auf der Untertasse. Vor der Kommode stand ein alter Ohrensessel aus braunem Leder. Der große silberhaarige Mann darin hatte die Beine überschlagen und eine Hand lag locker in seinem Schoss. Darin ein aufgeschlagenes Buch. Die Seiten raschelten leise unter der sich sachte hebenden Brust. Den zerstörten Herrenrock hatte er abgelegt und trug ein schlichtes weißes Hemd. Sein Kopf lehnte gegen eine der Kopfstützen und auf seiner zweiten Hand, sodass der lange Pony seitlich aus seinem Gesicht fiel. Dunkle Schatten zeichneten seine geschlossenen Augen hinter der silbernen Brille und das blasse, vernarbte Gesicht wirkte unsagbar müde und unschuldig bis in den letzten glatten Zug. Über die Lehne des Sessels hing sein langer Mantel. Schlafend wie er da saß, wirkte Undertaker unendlich erschöpft. Ich hatte den ganzen Abend über gedacht, die dunklen Schatten unter seinen Augen wären Make up gewesen, doch nun war ich eines besseren belehrt. Denn der Totengräber hatte sich definitiv abgeschminkt. Trotz allem strahlte dieser Anblick eine gewisse Art von Frieden aus. So ruhig und entspannt wirkte er in seinem Sessel. Ich schob die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und legte den Kopf schief, als ich weiter die schlafende Gestalt des Bestatters musterte. Er saß da. Treu und geduldig wie ein Hund, der Wache hält. Hatte er die ganze Zeit dort gesessen? Hatte er vielleicht sogar Bettwache gehalten? Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich unendlich sicher in seiner Gegenwart. Immer wenn ich seine Hilfe brauchte war er zur Stelle, als würde er mich nie wirklich aus den strahlend grünen Augen lassen. Doch... wer war er wirklich? Er war mehr als der schräge Vogel für den ich ihn immer gehalten hatte. Er war charakterlich mehr als das und aufgrund der neusten Ereignisse, auch auf eine ganz andere Art und Weise, die ich mir nur nicht erklären konnte. Mein Blick fiel auf einen Kratzer, der sich über seinen kompletten linken Wangenknochen zog. Wo kam der denn her? Ich erinnerte mich genau, dass er vollkommen unverletzt gewesen war, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Leise stand ich auf und legte meine Hand auf seine Wange. Ich strich mit dem Daumen sanft über die kleine Schramme, die so fehl am Platz aus seinem schönen Gesicht leuchtete. „Dir ist also doch etwas passiert...“, seufzte ich schwer und leise, als ich ihm mit dem Daumen gedankenverloren über seine kalte Wange strich: „Ich wollte doch nicht, dass dir etwas passiert...“ Ich ließ die Hand hinunterfallen und den Kopf ein Stück hängen. Er muss sich die Schramme abgeholt haben, als er Amy und mich vor Claude gerettet hatte. Denn aus dem Ballsaal hatte er die Blessur nicht. Ich erinnerte mich des Weiteren genau, dass ich seine Haare gesehen hatte, bevor alles schwarz wurde. Sie waren unverwechselbar. Definitiv ein Markenzeichen. Das hieß auch, dass ich indirekt an der Wunde schuld war. Amy war zwar in der Bredouille gewesen, aber sie war im Gegensatz zu mir nicht ohnmächtig geworden. Wache Mädchen konnten wenigstens weg laufen. Ohnmächtige nicht. Ich wischte Undertaker behutsam ein paar der im Kerzenschein schimmernden Haarsträhnen aus dem Gesicht: „Es tut mir leid... Es tut mir so leid. Ich muss eine echte Plage sein...“ „Wie kommst du denn auf diesen vollkommen unsinnigen Gedanken?“, zog sich der eben noch entspannte Mund zu einem Grinsen. Doch seine Stimme kratzte verschlafen. Ich zuckte erschrocken zusammen. Meine Hand und mein Oberkörper wollten zurück zucken, als der Bestatter die leuchtend grünen Augen aufschlug: „Du bist wach?“ Doch seine Hand schnappte mein Handgelenk, bevor ich meine Hand zurückziehen und mich aufrichten konnte. Er zog daran. Reichlich überrascht kippte ich nach vorne. Ich hörte das Rascheln von Papier, als mich etwas halb drehte und ich auf etwas Weichem zum Sitzen kam. „Jetzt ja. Tehe“, streckte er mir seine Nase in Gesicht, als ich auf seinen Beinen gelandet war und grinste breit. Ich blinzelte ihm ein paar Mal überrascht entgegen und merkte die Hitze meine Wagen hoch kriechen. „Ich“, senkte ich den Kopf und wusste nicht so ganz wie ich mit der Situation umgehen sollte: „Wollte dich nicht wecken... tut mir leid...“ Er reckte seinen Rücken und die langen Arme ausgiebig. Es knackte mehrere Male ganz ungesund. Ich blinzelte zu ihm hoch. In der Linken hielt er das alte Buch, was in seinem Schoss gelegen hatte. Im seichten Kerzenlicht schimmerten die silbernen Lettern 'Krabat' auf dem Buchrücken auf. Dann fielen sie hinunter und das Buch landete in meinem Schoss, als der Totengräber seine Arme locker um meine Hüfte fallen ließ. Ich merkte zwar wie rot ich war und mein Herz hämmerte wieder förmlich gegen meine Rippen, doch ich... wollte nicht aufstehen. Ich fühlte mich wohl, da wo ich jetzt war. Auf seinem Schoss. In seinem Arm. Warum? „Ach, wie wo“, grinste er mich weiter und noch nicht ganz wach an: „Geht es dir gut?“ Ich nickte eifrig mit meinem hängenden Kopf: „Ja, ja. Mir... ich hab nur ein bisschen Kopfschmerzen... Es tut mir leid...“ „Was denn?“, fragte der Totengräber immer noch mit schlafschwerer Stimme. „Naja... dass ich... mal wieder... einfach... umgefallen bin...“, schaute ich kleinlaut weg. Zwei Finger erschienen unter meinem Kinn und hoben meinen Kopf soweit an, dass ich dem Bestatter ins Gesicht schauen musste. Seine geschwungenen Lippen und die unterränderten Augen lächelten mir warm entgegen: „Du bist aber schon ein bisschen bekloppt, oder? Dass du 'mal wieder einfach umgefallen' bist? Du hast eine Menge ausgehalten. Du bist der Grund warum Amy nichts passiert ist.“ „Ich bin... was?“ „Ich hab dich rufen hören“, lächelte der Bestatter mir entgegen, ohne die Finger von meinem Kinn zunehmen: „Ohne dich hätten wir nicht mitbekommen, dass Claude Amy gehascht hat.“ „Du hast... du hast mich rufen hören? Aber ihr wart doch im... im Südflügel.“ Der Bestatter lachte seicht, aber ein wenig heiser: „Ich könnte am anderen Ende der Welt sein. Ich würde dich immer rufen hören.“ Ein komisches warmes Gefühl flackerte in meiner Brust und ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Lippen zu einem Lächeln verzogen. Anbei wischte es alle Gedanken aus meinem Kopf und ließ meine Wangen mal wieder heißer werden. „Das ist... süß von dir“, sagte ich schließlich, als meinem blank geputzten Gehirn einfach nichts Besseres einfiel. Das Lächeln des Totengräbers wurde kurz ein wenig weiter, dann fiel es ein größeres Stück zusammen: „Außerdem muss ich mich entschuldigen.“ „Wofür?“ Er nahm die Finger von meinem Kinn und fuhr mir an der unterschwellig immer noch pochenden Stelle an meinem Kopf durch die Haare. Mein Herz wurde noch schneller als es eh schon war und Schwindel zog in meinen angeschlagenen Kopf. „Deswegen“, sprach er leise und irgendwie traurig: „Trotz allem war ich zu spät und du bist verletzt.“ „Hast du sie noch alle?“, entfuhr es mir in vollkommenem Unverständnis: „Du rettest mir am laufenden Band das Leben und entschuldigst dich?“ Nichts in mir zweifelte daran, dass Claude mich getötet hätte. Wahrscheinlich hatte Undertaker mal wieder das Schlimmste verhindert. „Das hätte nicht passieren dürfen“, entgegnete er ernst und ohne zu lächeln: „Des Weiteren wurde dir deine Geburtstagsfeier gesprengt. Ich wollte eigentlich dafür sorgen, dass sie besser wird als die anderen.“ Dieser Ausdruck schickte ein komisches Surren durch mein Herz und meinen Magen und ich musste schlucken. „Ach Quatsch! Es geht mir doch gut! Das wird schnell wieder verheilt sein und des Weiteren“, machte ich, als ich mich gefangen hatte: „War das nicht meine Geburtstagsfeier! Es war nur zufällig am selben Tag und deine Schuld war das ganz sicher nicht!“ Undertaker lachte, doch war es viel zu leise: „Du kennst Amy und denkst das wirklich?“ „Aber... Alex meinte...“ „Alex ist ein verdammt guter Lügner. Wie die ganze Bande. Sie wussten alle Bescheid. Wir wollten, dass du eine schöne Feier hast, doch leider... kam uns da etwas in die Quere...“, seufzte der Bestatter schon fast resigniert und schlug die Augen nieder. Ein kalter Schauer rieselte bei diesem Geräusch und dem dazu gehörigen Gesichtsausdruck durch meinen Rücken. Das sah so falsch aus... „Trotz allem! War das die beste Geburtstagsfeier meines Lebens! Ich hatte so viel Spaß! Und das zum größten Teil dank dir!“, lachte ich und lächelte schief, als der Totengräber mir wieder ins Gesicht schaute: „Ich danke dir, Undertaker!“ Sein Lächeln kehrte wieder zurück und etwas flatterte und hüpfte durch meinen Magen, als dieses Lächeln einen Erfolgsmoment sondergleichen für mich einläutete: 'Yiepi! Njaaaaa! Er lacht wieder!' Ich stockte aufgrund der Stimme in meinem Kopf. Doch Undertaker unterbrach mein Denken, bevor ich mich weiter hinterfragen konnte. „Doch nicht dafür“, lächelte er breit und legte mir die Hand auf die Wange. Sanft strich sein kalter Daumen über meine viel zu warme Haut. Diese Berührung ließ mich kurz angenehm schaudern. „Oh doch! Aber...“, ich legte den Kopf schief und zeigte auf sein Gesicht: „Was ist mit deiner Wange passiert?“ Er lachte und wackelte ein wenig mit dem Kopf: „Hehe. Denk nicht darüber nach. Das ist nun wirklich nichts Gravierendes.“ „Das war Claude, oder?“ „Nein“, schüttelte er den Kopf und seufzte: „Das war nicht Claude.“ „Bitte?“, ich blinzelte ihn mit großen Augen an: „Wer dann?“ Seine Hand fiel herunter. Undertaker seufzte wieder. Er seufzte fast nie, weshalb es mich ein wenig verstörte, dass er es nun zweimal hintereinander tat: „Das... ist nicht ganz einfach erklärt.“ Ich schüttelte den Kopf und schaute auf das Buch in meinem Schoss: „Weil du mir erst erklären müsstest was gestern im Ballsaal passiert ist, oder?“ „Ja“, antwortete er immer noch viel ernster als ich von ihm gewohnt war. Ein Schaudern fuhr durch meine Glieder, als ich an das Ende des Abends dachte. Panik gluckerte in meinem Bauch auf, während mir die Gestalt dieser grausigen Hunde wieder in den Kopf stieg. Ich schlang unwillkürlich meine Arme um meinen rebellierenden Magen. Undertakers Hand ließ das Buch los. Dann drückte er mich fest an sich: „Es tut mir leid, meine schöne Puppe. Du hättest das nicht sehen sollen.“ Ich legte meinen Kopf gegen seine Schulter und schüttelte den Kopf: „Auch das war nicht deine Schuld. Wärst du nicht da gewesen, wäre ich jetzt nicht mehr da.“ „Das würde ich nie zulassen.“ Mir wurde bewusst, dass ich das schon wusste. Mir war unterschwellig immer klar gewesen, dass Undertaker auf mich aufpasste, seit ich ihm das erste Mal wirklich begegnet war und er mich aus dem Brunnen gehoben hatte. Des Weiteren wusste ich seitdem, dass dieser Angriff nur die Spitze des Eisbergs war. Die Trancys, oder wie auch immer die Familie um Claude noch mal hieß, fingen gerade erst an. Undertaker fuhr mir durch die Haare: „Worüber denkst du nach?“ „Über Gestern“, seufzte ich: „Ich versteh das alles nicht. Aber ich habe das Gefühl... Es war erst der Anfang...“ Ich merkte wie Undertaker mit dem Kopf schüttelte: „Diese Fehde zieht sich schon über Generationen. Oliver fängt gerade erst an. Doch die Trancys, die versuchen schon seit Jahren die Phantomhives auszuschalten.“ Meine Füße wippten. Ich merkte wie ich unruhig wurde. „Wirst du es mir erklären?“, fragte ich mit zittriger Stimme: „Alles? Über die Trancys und die Phantomhives? Über die Hunde? Über... über dich?“ Jetzt merkte ich wie er nickte: „Wenn du das wirklich wissen willst.“ Ich hob den Kopf und schaute ihm ins Gesicht: „Ja. Ich will das wissen.“ „Dann bleibt noch die Frage, ob du mir das alles auch glauben wirst.“ Ich lachte leise: „Undertaker. Ich wurde von riesigen, Feuer spuckenden Hunden angegriffen. Die haben dich nebenbei auch eigentlich geröstet und du müsstest tot und gut durch sein. Es gibt, glaube ich, nicht mehr viel was ich nicht glaube.“ „Nun gut“, Undertaker legte den Kopf schief und musterte mich: „Dann stell mir Fragen und ich antworte dir.“ „Warum so plötzlich?“, meine Füße wippten heftiger und die Unruhe in mir schlug in eine seichte Übelkeit um, jetzt wo ich der Wahrheit näher kam. Jetzt, wo die ganzen vielen Fragen von gestern Abend beantwortet werden sollten. „Ich hab jetzt die Erlaubnis dazu.“ 'Erlaubnis?', fragte ich mich stumm. Der Bestatter war nun wirklich niemand, der sich einfach so etwas vorschreiben ließ: „Von... wem?“ „Alexander.“ „Amys Vater?“, meine Verwirrung wurde nicht kleiner. Warum konnte Amys Vater ihm etwas vorschreiben? „Genau.“ „Aber... aber...“, ich wedelte kurz mit den Händen, fuhr mir durch die Haare und stand dann doch auf. Meine Beine standen unter einer ganz komischen Anspannung, als die vielen Szenen, die vielen Hunde, das viele Blut, die vielen Toten in meinem Kopf auf und ab geisterten. Und auch die seltsamen Waffen, mit denen die 5 Männer unser liebes Leben verteidigt hatten. „Ist... alles in Ordnung?“, fragte Undertaker fast zögerlich. Ich schüttelte mit dem Kopf, als ich im Zimmer auf und ab wanderte: „Ich... Ich weiß nicht... Ich... versteh das alles einfach nicht und... bin nervös... unruhig... ich kann gerade einfach nicht sitzen.“ Undertaker stand auf, legte das Buch mit einem leisen Geräusch auf die Kommode und hielt mich an den Schultern fest. „Frische Luft?“, lächelte er mich aufmunternd mit schief gelegtem Kopf an. Ich nickte: „Das ist vielleicht... keine schlechte Idee...“ „Was hältst du von einem nachmitternächtlichen Spaziergang im Garten? Er hat viele schöne Ecken.“ Ich blinzelte zu ihm hoch: „Wie spät ist es?“ „Drei Uhr früh“, grinste er. „Oh“, machte ich. Der Bestatter sah mit seinen Schatten unter den Augen immer noch reichlich müde aus: „Bist du... nicht müde?“ Er lachte auf: „Nehehehe! Ich brauche nicht so viel Schlaf.“ „Du siehst zumindest nicht so aus, als hättest du davon in letzter Zeit viel gehabt...“ „Das stimmt“, grinste er weiter: „Doch das ist gerade nicht wirklich wichtig, oder?“ „Für mich schon“, konterte ich: „Im Moment siehst du aus wie die Leute, um die du dich kümmerst.“ „Naja“, lachte er auf: „Wenn ich nach dem gehe, was ich sonst alles zu hören kriege, sehe ich ihnen generell recht ähnlich. Tihihihi.“ Meine Augenbraue wanderte nach oben. Sein Finger auch. Ich räusperte mich und er ließ den Finger mit einem enttäuschten Ausdruck wieder sinken. „Warum?“, fragte ich schließlich. Warum der Totengräber so müde wirkte interessierte mich mindestens genauso sehr, wie die Geschichte hinter gestern Abend. „Hehe. Interessiert dich das gerade wirklich?“, lachte er mir entgegen: „Ist das gerade wirklich, was du fragen möchtest?“ „Ja“, ich legte den Kopf schief, während ich ihm in das grinsende Gesicht schaute: „Habe ich nicht die Zeit beides zu fragen? Du läufst mir ja nicht weg...“, ich stockte, als eine Minipanikattacke mein Herz mit klammen Fingern griff. Schlagartig wurde mir bewusst, dass mir in meinem Leben ohne den morbiden Bestatter etwas fehlen würde. Egal was die Geschichte hinter gestern Abend war. Ich würde es unendlich vermissen bei ihm und Merkenau vorbei zu schauen. Mein Leben wäre wirklich einfach... langweilig und ich hätte viel weniger zu tun und vor allen Dingen zu lachen. „...Oder?“, vollendete ich schließlich den Satz, nachdem mich die kalte Hand an meinem Herzen wieder atmen ließ. Undertakers Lächeln wurde breiter und wärmer, als er mir ein weiteres Mal die kalten Hand an die Wange legte: „Natürlich hast du das! Und natürlich tue ich das nicht!“ Ich seufzte und schaute nach unten: „Naja... so natürlich ist das gar nicht.“ Schließlich waren schon viele Menschen in meinem Leben einfach weggegangen. „Für mich schon“, antwortete der Totengräber und weckte mich so aus ein paar schlechten Erinnerungen. Ich lächelte ihn dünner an, als ich wollte. Was er sagte wirkte ehrlich, doch meine Erinnerungen hallten in meinem Lächeln nach, dass sah ich an dem Blick mit dem mich der Bestatter musterte. Es war der Blick, den er immer aufsetzte, wenn mein Lächeln ihn nicht überzeugte. Er sagte nichts mehr dazu, aber ich sah ihm sein Missfallen immer deutlich an. Seine Hand verschwand von meinem Gesicht und er bückte sich. Ich wollte gerade fragen, was er da tat, da hatte ich schon meine Schuhe vor meiner Nase baumeln: „Sollen wir?“ Ich nickte und bemühte mich um ein besseres Lächeln, als ich ihm meine Schuhe aus der Hand nahm. Er seufzte, woran ich erkannte, dass meine Bemühungen vergebens waren. Ich schlüpfte in die unsäglich hohen Schuhe und Undertaker nahm seinen Mantel von der Stuhllehne. Er hielt mir den Ellbogen hin. Mittlerweile verstand ich diesen Wink und harkte mich bei ihm ein. Wir schlenderten durch die ruhigen Flure. Die Villa Phantomhive schlief noch. „Also“, sagte ich leise, als Undertaker mich zum Garten führte. Alleine würde ich mich in der riesigen Villa vermutlich hoffnungslos verlaufen: „Warum bist du so müde?“ Er lachte: „Tihi. Ich bin nicht müde.“ Ich zog wieder die Augenbraue hoch: „Aha? Deshalb auch die Augenringe. Weil du nicht müde bist.“ Er lachte wieder: „Nur weil ich nicht so viel geschlafen habe, heißt es nicht ich sei müde.“ „Aber... warum hast du so wenig geschlafen?“ „Nun ja“, begann er immer noch grinsend und ohne mich anzuschauen: „Ich hatte die letzten Tage öfter Besuch, weswegen ich meine Arbeit zu etwas unüblicheren Zeiten vollrichten musste.“ Ich blieb stehen und blinzelte ihn an. Er drehte fragend den Kopf zu mir, als er ebenfalls einen Schritt nach mir stehen blieb. „We... Wegen mir? Warum... hast du nichts gesagt?! Dann hätte ich dich in Ruhe gelassen!“ Ich wollte doch nicht, dass Undertaker sich wegen mir die Nächte um die Ohren schlug, weil er sonst seine Arbeit nicht fertig bekam. Doch Undertaker lachte mich an: „Genau das hatte ich befürchtet und deswegen geschwiegen. Hehe.“ Meine Verwirrung wuchs wieder: „Wie... meinst du das?“ Er grinste mir zahnvoll entgegen. Mit diesem Grinsen wie es sonst nur Kinder hatten. Durch und durch ehrlich und so federleicht: „Ich habe dich gerne bei mir. Ich wollte nicht, dass du weg bleibst. Die letzten Tage waren mit die Besten des ganzen Jahres!“ Ich wurde wieder rot, als ich geschmeichelt lächeln musste: „Wirklich?“ Undertaker lachte leise und zog mich weiter durch die Flure: „Du weißt doch, ich lüge nicht. Auch nicht um jungen, schönen Mädchen ein Kompliment zu machen.“ Mein Rot wurde noch dunkler. Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass mich der hochgewachsene Totengräber wirklich für schön hielt. Doch nachfragen konnte ich nicht. Etwas in mir wollte es glauben und hielt mich davon ab diese Illusion zu zerstören. Undertaker öffnete eine große Glastür und kalter Wind schlug mir entgegen. Ich trug nur ein dünnes Kleid und fröstelte sofort als der Wind über meine nackten Arme strich. „Ich muss noch mal zurück“, seufzte ich erkennend: „Ich habe meine Jacke vergessen...“ Doch der Leichengräber warf mir einfach seinen Mantel über die Schultern. Ich schaute ihn an: „Und du?“ „Ich brauche ihn eigentlich gar nicht“, grinste er und wir taten den ersten Schritt in den Garten. „Aber“, wollte ich rebellieren: „Du trägst doch nur ein Hemd! Frierst du nicht?“ „Nein“, lachte Undertaker: „Tihihihi! Und wenigstens ist es mehr als ein T-Shirt oder?“ Ich fühlte mich irgendwie ertappt und beschämt entschloss ich mich den Kampf aufzugeben. Mir flog unwillkürlich durch den Kopf, dass er vielleicht wirklich einfach nicht fror. Er zitterte nicht im Geringsten und wirkte von den Außentemperaturen vollkommen unbegeistert. Hatte das vielleicht mit gestern zu tun? Er war auf keinen Fall so ganz normal. Das war deutlich geworden. Also... noch deutlicher als vorher. Ich seufzte, als mir der kalte Wind über das Gesicht strich. „Nun“, machte Undertaker und wandte sein Grinsen zu mir: „Was willst du zuerst wissen?“ Ich wog den Kopf hin und her. Ich hatte so viele Fragen. Deswegen entschied ich mich mit dem Offensichtlichsten anzufangen: „Was waren das für Hunde... Viecher?“ „Teufelshunde“, antwortete er sofort: „Die Bewacher der Hölle.“ Ich blinzelte ihn an: „Hölle?“ Er nickte: „Ja, Hölle. Wird es jetzt schon schwer mir zu glauben? Tehehehe.“ Normalerweise hätte ich ja gesagt. Doch normalerweise spuckten Hunde auch kein Feuer: „Nein... Eigentlich noch nicht. Es klingt nur komisch. Doch... Wo kamen sie her?“ „Nun, aus der Hölle natürlich“, lachte Undertaker irgendwie schelmisch: „Aber um genauer zu sein: Claude hat ein Tor zur Hölle vor den Fenstern des Ballsaals geöffnet und uns die Viecher auf den Hals gehetzt.“ „Claude? Wie?“ „Teufelshunde tun eigentlich nur wenig aus eigenem Antrieb. Sie sind stark, aber nicht sonderlich schlau. Wesen die stärker sind als sie, gehorchen sie aufs Wort. So auch Claude.“ „Wie? Wesen?“ Undertaker lachte, aber irgendwie anders als gewohnt: „Ah, ahehehehehe! Hier wird die Sache für dich erst richtig spannend. Claude ist kein Mensch.“ Ich blieb sofort stehen: „Wie? Kein Mensch?“ „Claude ist ein Dämon“, Undertaker drehte sich halb zu mir, betrachtete aber an mir vorbei den wolkenleeren Sternenhimmel. Er war voller leuchtender Punkte und sah herrlich aus. Doch ich hatte da gerade kein Auge für übrig. Claude soll ein Dämon sein? Hält Undertaker mich eigentlich für blöd? „Das ist nicht der Zeitpunkt mich zu verarschen, Undertaker. Ehrlich jetzt: Was ist mit Claude?“ Undertaker wandte nun das Gesicht zu mir und grinste breiter: „Wie ich schon sagte: Claude ist ein Dämon.“ „Natüüüürlich“, erwiderte ich und zog meinen Arm aus seiner Armbeuge. Ich stemmte beide in die Hüften: „Und ich der Papst. Echt jetzt: Warum konnte er diese Dinger befehligen? Ist er ein... Hexer oder so?“ Undertaker lachte schon wieder: „Ahehehehehe! Nein. Er ist ein Dämon.“ „Verarsch' mich nicht!“ „Tue ich nicht!“, er verschränkte die Arme. Ich zog eine Augenbraue hoch: „Du glaubst was du mir da erzählst, oder?“ „Ich habe dich noch nie belogen, warum sollte ich jetzt damit anfangen?“, Undertaker verzog den Mund ganz komisch: „Ich sagte dir doch, dass es schwer zu glauben wird. Und das alles ist gerade mal die Spitze des Eisbergs. Aber das du mir unterstellst ich würde dich belügen enttäuscht mich, kleine Sky.“ Das schlechte Gewissen traf mich mitten ins Gesicht. Ich ließ Kopf und Arme hängen: „Ich... wollte dir nicht unterstellen, dass du lügst...“ „Sondern?“ „Ich“, mein Kopf zuckte hoch: „Das klingt so... abstrus! Claude soll ein Dämon sein? Das muss ich erst mal schlucken.“ „Du solltest vorher gut kauen“, grinste Undertaker und tippte mir auf die Nase: „Wie gesagt, es folgt noch Einiges. Es sei denn du willst es nicht mehr wissen.“ „Doch!“, rief ich aus ohne zu überlegen. „Dann musst du mir auch glauben was ich sage.“ Ich nickte beschämt: „Tue ich... Verzeih mir...“ Undertaker wuschelte mir durch die offenen Haare: „Ihihihihihi! Es gibt nichts zu verzeihen. Ich kann mir vorstellen wie das klingen muss.“ Ein weiteres Mal hielt er mir seinen Ellbogen hin. Trotz allem. Obwohl ich ihm nicht glauben wollte. Ich hatte ihn enttäuscht. Diese Erkenntnis war so schwer und zog meinen Magen hinunter, als ich auf seinen Ellbogen starrte. Er nahm behutsam meine Hand und harkte mich bei ihm ein, als ich es nicht selber tat. Genau wie damals, an dem Tag wo ich den Brief vom Jugendamt bekommen hatte. Wir gingen weiter. „Du musst nicht so schauen“, grinste Undertaker den Weg entlang. Ich seufzte: „Ich... wollte dich nicht enttäuschen...“ „Ach wie wo“, lachte Undertaker aufbauend: „So schnell enttäuscht man mich auch nicht. Weißt du schon alles was du wissen willst?“ „Nein“, begann ich schließlich, als die Fragen wieder in mir brannten: „Was will ein Dämon von den Phantomhives?“ „Nun, in erster Linie ihren Dämon umbringen“, erklärte er mir giggelnd. „Bitte was?! Es gibt noch mehr?!“ „Sicher“, erwiderte er und lachte weiter, als er seine Worte mit einer runden Geste seiner Hand unterstrich: „Nehehehehehe! Die Hölle ist voll davon! Doch wir sollten uns auf die beschränken, die wir vor der Nase haben.“ Mein Gesichtszüge entgleisten: 'Ich bin im falschen Film...' Ich blinzelte dem Bestatter nur minder intelligent entgegen, als ich die nächste Frage nicht über die Lippen brachte. Als Undertaker das Gesicht zu mir wandte musste er kichern: „Tihihihi! Sebastian.“ „Sebastian?!“, mir klappte der Mund auf: „Aber aber aber...“ „Du wolltest mir doch glauben. Hehe.“ „Ja schon...“, sagte ich kleinlaut: „Nur wie?“ „Erinnere dich einfach wieder an die Feuer spuckenden Hunde. Kam dir Sebastians Art und Weise sich ihrer anzunehmen nicht irgendwie komisch vor?“ „Also“, stockte ich, als ich mich an den Butler erinnerte, der tatsächlich zu schnell, zu agil und zu stark für einen Menschen gewesen war. Ich musste für mich selbst erschrocken feststellen, dass die Aussicht Sebastian sei ein Dämon einiges ziemlich gut erklärte: „... Schon...“ Allerdings wurde mir auch klar, dass nicht nur Sebastian sich zu gut geschlagen hatte. „Um ehrlich zu sein“, fuhr Undertaker fort: „Von den 12 Leuten, die sich hier regelmäßig versammeln, sind nur 7 wirklich menschlich.“ Mein Herz sackte ein Stück ab, als ich in sein Gesicht schaute und sah, dass sein Grinsen fehlte. Er musterte mich ernst und irgendwie... traurig? Undertaker nahm mich an den Schultern, als er merkte wie schockiert ich war: „Grell, Ronald, William und ich...“ Ich schüttelte den Kopf und meine Augen wurden weiter. 'Nein!', rief etwas in meinem Kopf: 'Nein! Bitte! Bitte sei ein Mensch! Ein ganz komischer und unendlich sonderbarer Mensch, aber sei ein Mensch! Bitte!' Ich wusste nicht warum mir das so wichtig war. Doch ich wollte unbedingt, dass Undertaker nur ein Sonderling war. Ein menschlicher Sonderling! „...Sind keine Menschen, Sky.“ Mein Herz blieb stehen. Es wurde von irgendetwas durchbohrt und war in dem Moment gestorben, indem der Totengräber seinen Satz beendet hatte. Aus irgendeinem Grund stiegen mir Tränen in die Augen. „Was?“, hauchte ich fast tonlos und ich merkte wie das Blut aus meinem Gesicht und Fingern verschwand. Undertaker schlug die Augen nieder: „Wir sind keine Menschen, Sky.“ „Aber...“, meine Stimme verschwand und ich starrte dem Totengräber ins Gesicht: 'Warum? Warum du?' Ich schüttelte wieder den Kopf, immer noch unfähig zu glauben, dass der Mann vor mir kein Mensch sein soll: „Bitte...“ Undertaker legte mit zusammen gezogenen Augenbrauen den Kopf schief: „Bitte was?“ „Bitte sag mir... dass das einer deiner Scherze ist...“ Doch er schüttelte nur den Kopf. Das sich Sebastian und Claude als Dämonen entpuppten war ja schon schwer zu glauben gewesen. Doch Undertaker? Ich hatte die letzten Tage so viel mit ihm zu tun gehabt. Ich hatte so viel Zeit mit ihm verbracht. Er war seltsam, ja, sehr seltsam. Aber ich hätte nicht für eine Sekunde vermutet er sei... so... seltsam. Nie hätte ich gedacht, er sei kein Mensch. Mein Herz sackte immer tiefer. Ich war gefangen zwischen dem puren Unglauben und einem fast schon lähmenden Schock. „Was“, brachte ich abgehackt hervor: „Sollt ihr denn dann sein?“ Undertaker hob die Augen wieder in mein Gesicht und schaute mir irgendwie unsagbar schwer in meine. Behutsam wischte sein Daumen mir die Tränen aus den Augen: „Willst du das wirklich wissen?“ Ich nickte. Sprechen konnte ich nicht. Der Schock schnürte mir die Kehle zu und ließ mich zittern. Ich schickte Stoßgebete in den Himmel, dass meine Beine standhaft blieben. Ist der Totengräber auch ein Dämon? Ein dämonischer Totengräber? Das klang ja doch eher wie ein schlechter Witz. Ein schweres Lächeln erschien auf seinen sonst so leichten Lippen und ich spürte seinen Griff an meinen Schultern ein bisschen fester werden: „Wir sind Sensenmänner.“ Mein Gesicht entgleiste endgültig. Der neue Schock vertrieb den Alten und ließ mich meine Gedanken ungebremst heraussprudeln: „Bitte was?! Sensenmänner?! Wie... wie der Sensenmann nur halt... mehrere?!“ Undertaker nickte: „Wir existieren nur, um die Seelen der Sterbenden zu richten und ins nächste Reich zu überführen.“ „Was?!“, meine Gedanken kollabierten, bauten sich neu auf und brachen wieder ein: „Du... Du bist Bestatter?! Und ein Sensenmann?! Ein Sensenmann, der als Bestatter arbeitet?! Also... Du erwartest nicht wirklich, dass ich dir das glaube, oder?!“ Das war ja nicht mal mehr ein schlechter Scherz! Das war blanker Hohn! Das wäre ja wie ein Engel, der als Papst kandidiert! Zu passend um nicht vollkommen abstrus zu sein. Undertakers Hände verschwanden von meinen Schultern. Erst antwortete der Bestatter nicht, sondern steckte seine Hände in die Hosentaschen, drehte sich ein Stück von mir weg und schaute wieder in die vielen leuchtenden Punkte. Ich sah wie bedrückt seine leuchtend grüne Pupille durch einen Spalt seiner Haare den Sternen entgegen schaute. „Ich kann dich nicht zwingen mir zu glauben“, sagte er schließlich nach einigen Minuten ohne mich anzuschauen: „Ich war ehrlich zu dir. Bis ins Letzte. Ungeachtet aller Konsequenzen, die das haben könnte.“ Meine Augen hingen an seiner Iris und das schlechte Gewissen verpasste mir ein weiteres Mal einen rücksichtslosen Leberhaken. Mein Gehirn rekapitulierte alles was ich mit dem Bestatter schon erlebt hatte: Seine überwältigende Ausstrahlung, die gelinde gesagt nur als unirdisch zu beschreiben ist. Seine hypnotisierenden grellgrünen Augen, die im Dunkeln zu leuchten beginnen. Seine Angewohnheit immer dann aufzutauchen, wenn man ihn braucht. Ungefragt und ungerufen. Diese vollkommen verschrobene Weltsicht, in einer Weise so unvergleichbar einfach, auf der anderen Seite so bitter ernst. Diese riesige Sense und der routinierte Umgang damit, erweitert um die Tatsache, dass es eine ziemliche Aufgabe darzustellen schien den Totengräber ernsthaft etwas anzutun. Ich glaubte ihm. Gepeinigt von meinem schlechten Gewissen stellte ich fest, dass der Totengräber nie vor mir versteckt hatte, dass er kein Mensch war. Ich wollte nur nicht, dass es wahr war. Ich griff Undertaker am Hemdärmel: „Es tut mir leid“, begann ich und schaute zu Boden: „Ich... glaube dir. Ich... wollte es nur nicht.“ „Warum?“, hörte ich seine dunkle Stimme. „Weil...“, ich stockte und seufzte: „Das weiß ich nicht... Ich wollte einfach, dass du ein Mensch bist.“ Ich spürte eine Hand auf meinem hängenden Kopf: „Schau nicht so.“ Ich blinzelte zu ihm hoch. Undertaker lächelte mir wieder so herrlich warm entgegen. Mein schlechtes Gewissen machte diese Abwesenheit von Wut nur viel viel schlimmer: „Wieso lächelst du mich an?“ Undertaker blinzelte verwundert: „Warum sollte ich nicht?“ „Ich... habe dich eigentlich schon wieder als Lügner beschimpft...“ Er schloss die Augen, als er leise lachte: „Ich werde zwar nicht gerne als Lügner betitelt, aber ich bin alles andere als verständnislos. Wie gesagt: Ich kann mir vorstellen wie das alles klingt und“, der Bestatter stockte. Ich schaute ihn eindringlich an. Das hatte er noch nie getan. Er schaute des Weiteren schräg zur Boden und hatte ein weiteres Mal an diesem Abend sein Lächeln verloren. „Und?“, ging ich einen halben Schritt auf ihn zu und schaute ihm von unten ins Gesicht. Seine unmenschlich leuchtenden Augen wanderten langsam zu mir: „Und ich kann verstehen, wenn du mir jetzt... anders gegenüber stehst.“ Meine Augen wurden schmal: „Inwiefern?“ Das schmale Lächeln, was in seinem Gesicht erschien, wirkte so als sei es nur so klein, weil es zu schwer war um größer zu sein: „Nun ja. Die meisten Menschen reagieren wohl mit Rückzug, wenn sein Gegenüber zugibt er sei kein Mensch.“ Sein Gesichtsausdruck war furchtbar schwer und ziepte mir fast schmerzhaft in der Brust, als ein ganz mieses Gefühl in meinem Bauch aufwallte. Ich wollte nicht, dass er so schaute. Er sollte fröhlich sein. Das Tolle an ihm war doch, dass er immer fröhlich war, doch gerade... wirkte er gar nicht fröhlich, oder glücklich, oder belustigt. Ich hatte fast nicht gedacht, dass er so... traurig schauen konnte. So unendlich sorgenschwer und belastet. Es machte Klick in meinem Kopf. Ich konnte fast nicht glauben was mir aufging und diskutierte einige Momente stumm mit mir selbst, ob ich denn richtig dachte: „Und... du denkst da ich jetzt weiß, dass du kein Mensch bist, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben?“ Undertaker musterte mich kurz und nickte dann schlicht. Warum machte ihm diese Aussicht so zu schaffen? Ich war doch nur ein schnödes Menschending, an dem nichts besonders war. Dann legte ich dem großen Mann meine Hand auf die Schulter und grinste breit. Er munterte mich immer auf, doch jetzt war es mein Job ihn aufzumuntern. Weil eine Hand bekanntlich die andere wäscht und ich einfach nicht wollte, dass ihm etwas auf der Seele lag. Undertakers Blick wirkte etwas desillusioniert, als ich ihn angrinste. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, oder seinem Gesichtsausdruck nach eher zu fragen, doch ich schnitt ihn ab. „Also wirklich!“, machte ich gespielt empört und stemmte meine Fäuste in die Hüfte: „Was denkst du von mir?“ Undertaker blinzelte und ihm entfuhr ein kleines Lachen. Nur klein, aber immerhin: „Hehe. Prinzipiell nur das Beste. Aber warum fragst du?“ Ich hob einen Zeigefinger: „Für wie oberflächlich hältst du mich?“ Undertaker blinzelte wieder und wirkte etwas aus der Reserve gelockt: „Bitte?“ Ich ging vor ihm auf und ab: „Du hast mich schon verstanden!“ Nein, ehrlich: Sein Gesicht sieht so dermaßen behämmert aus, wenn er etwas nicht versteht, aber verstehen will. Ich könnte davon ein Foto machen und es mir immer ansehen, wenn ich schlechte Laune hätte. Danach wäre mein Tag gerettet. Er zog immer eine Augenbraue nach oben und die andere nach unten, weswegen ein Auge ganz klein und das Andere ganz groß wirkte. Sein Mund klappte nicht auf, aber er stand immer einen Spalt offen und er spitze seine Lippen ein ganz kleines Stück nach vorne, während er einen Nasenflügel kraus zog. Es war ein Bild für die Götter. Ich hielt meine Hand vor den Mund, als ich kichern musste. Seine Augenbraue wanderte höher. „Nein ehrlich“, ich drehte mich zu ihm und verschränkte die Arme hinter meinem Rücken: „Ist denn was du bist so wichtig?“ Jetzt klappte ihm ein Stück der Mund auf. Er schien etwas sagen zu wollen, aber nicht richtig zu können. „Ich meine“, fuhr ich mit einem Lachen und einem kleinen Triumph in der Stimme fort. Ich hatte es geschafft den morbiden Totengräber für einen Moment stumm zu schalten. Darauf konnte ich mir, glaube ich, etwas einbilden: „Ich mag dich, weil du so bist wie du bist. Nicht weil ich dachte du bist ein Mensch.“ Undertaker schien immer noch nicht so ganz zu wissen wie er das was er dachte verpacken sollte. Ich kicherte seicht: „Ich mag wer du bist, nicht was du bist. Ändert, dass du kein Mensch bist deinen Charakter? Verhältst du dich jetzt mir gegenüber anders?“ Undertaker räusperte sich kurz. Dann erschien ein Lächeln auf seinen geschwungenen Lippen. Ein leichtes, ein erleichtertes, Lächeln: „Nein. Nein, das tut es nicht und nein, das tue ich nicht. Ich war, hehehehe, schon immer ein bisschen eigen. Das wird sich auch nie wieder ändern.“ „Dann muss ich mich auch nicht von dir zurückziehen“, ich ging einen Schritt auf ihn zu und lächelte ihn an: „Du bist ein verdammter Freak! Und das ist nicht schlimm, denn... ich mag den Freak.“ Ehe ich mich versah landete ich in seinen Armen: „Das bedeutet mir viel.“ Ich drückte ihn zurück: „Das heißt nicht, dass ich das alles nicht ziemlich verwirrend finde. Ich habe immer noch eine Menge Fragen an dich. Jetzt noch mehr als vorher.“ Seine Umarmung wurde ein bisschen lockerer und wir schauten einander an. „Dann frage“, lächelte mir der Bestatter wieder wie gewohnt entgegen und meine schlechten Gefühle verschwanden wieder. „Nun“, ich legte den Kopf schief: „Grell, William und Ronald sind dasselbe wie du? Ich meine... Eure Augen... Ich habe erst gedacht ihr seid verwandt, oder so...“ Der Bestatter lachte: „Fu fu fu. Wir können nicht verwandt sein. Der Tod kann kein Leben schaffen. Folglich können wir keine Familie haben. Shinigamis werden erschaffen und nicht geboren. Aber ja, wir alle haben dieselben Augen, sowohl von der Farbe“, er lachte breit grinsend: „Als auch von der Qualität.“ Das klang soweit logisch. Die Sache mit der Familie vertrieb zumindest das komische Gefühl gegenüber Undertakers Aussage am Bach. Ich hatte schon sonstiges gedacht. Dass er auch von seinen Eltern und allem anderen im Stich gelassen wurde. Ich gönnte ihm von Herzen, dass es nicht so war, sondern einfach eine Laune der Natur. Auch grellgrüne Augen als Rassenmerkmal klangen nachvollziehbar. Mit 'Qualität' meinte er sicher, dass alle Shinigamis ähnlich schlechte Augen hatten, wie er. Doch sie hatten nicht dieselben Augen. Seine Augen waren einzigartig. Weder Ronalds, noch Grells, noch Williams Augen kamen auch nur annähernd an Seine heran. Ich legte den Kopf schief, als ich seine Augen unbewusst musterte, während ich über sie nachdachte. Sie waren so schön. Atemberaubend schön. Auf jeden Fall stahlen sie mir die Gedanken direkt aus dem Kopf. „Also kennst du Grell, Ronald und William von... wie soll ich sagen... eurem gemeinsamen... Zuhause?“ Undertaker lachte: „Hehe. Nein. Mein Zuhause ist mein kleiner Laden. Als Ronald seinen Dienst antrat, hatte ich den Dispatch schon lange verlassen. Grell und William könnten noch von meinem Ausstieg gehört haben, aber getroffen haben sie mich dort nie.“ „Den Dienst?“ Der Totengräber lachte: „Tehehe! Die Shinigamis sind furchtbar versteift. Sie sind organisiert in der 'Grim Reaper Dispatch Association'. Der Tod ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Geschäft und der Dispatch eine riesige Dienstleistungsgesellschaft. Jedes Land hat seine eigene Zweigstelle und jeder Schnitter hat sein Gebiet, in dem er Seelen einsammelt. Grell und Ronald, beispielsweise, den Großraum London.“ Jetzt machte es zumindest Sinn, warum Ronald sich darum gedrückt hatte mir zu sagen wo er arbeitete: „Und William?“ „William ist kein Schnitter, obwohl er mit das größte Talent dazu hat“, erklärt der Totengräber weiter ohne mich loszulassen und ohne die Augen aus meinem Gesicht zu nehmen: „Er ist Aufsichtsbeamter. Er achtet darauf, dass die Reaper der British Branch keinen Mist bauen. Er hat folglich öfter mit Grell zu tun.“ „Wie folglich?“ Undertaker lachte schrill auf: „Awuhuhuhuhuhuhu! Weil Grell ständig Mist baut!“ Ich stimmte in das Lachen mit ein. Ich konnte mir Grell als Sorgenkind wirklich bildlich vorstellen. „Und“, begann ich fragend: „Du bist nicht mehr im Dienst?“ Er schüttelte lachend den Kopf: „Ich hatte auf den Verein keine Lust mehr. Ehehehehehe! Also bin ich ausgestiegen und in Frührente gegangen.“ „Sensenmänner gehen in Rente?“ Er lachte wieder: „Nun, fu fu fu fu, eigentlich nicht. Ich war wohl der Erste. Das könnte der Grund sein, warum mich William immer als 'Deserteur' bezeichnet.“ „Deserteur?“, fragte ich verwundert. „Joa“, grinste der Bestatter, der eigentlich ein Sensenmann ist: „Eigentlich wird einem die 'Death Scythe' abgenommen, sollte man aussteigen. Ich habe meine Übrigens noch.“ „Eine... was?“ Der Totengräber hob die Hand vor den Mund als er giggelte: „Eine 'Death Scythe'.“ „Was soll denn das sein?“ Undertaker lachte laut und streckte die Hand aus. Urplötzlich und vollkommen auf dem Nichts erschien das riesige Ungetüm von Sense wieder in seiner Hand. Es war so lang, dass der kalte Stahl der Knochenzierde meinen Arm streifte und ich mit einem Quieken zu Seite hüpfte. Er zog mich mit seinem anderen Arm, der noch immer um meine Taille lag, an sich und ich starrte auf dieses Monstrum von Waffe. „Das ist eine Death Scythe“, grinste er. Ich widersprach nicht eine Sekunde. Dem silbernen Ding standen die Worte 'Tod' und 'Sense' nun wirklich unverkennbar auf den kalten Metallleib geschrieben. Ich merkte wie eins meiner Augen zuckte. „Alles ok bei dir? Hehe“, fragte mich der Bestatter. Ich schaute ihn an: „Klar. Erschrecke mich zu Tode. Passt schon“, ich schüttelte gestresst den Kopf: „Du bist nicht glücklich, wenn der Tag ohne einen dreifachen Herzklabaster meinerseits endet, oder?“ „Genau genommen haben wir halb vier Morgens und der Tag hat gerade erst angefangen. Tihihihi!“ Ich drehte den Kopf mit einem angenervten Gesichtsausdruck weg und knuffte dem kichernden Bestatter in die Seite. Nach einem kleinen erstickten Laut lachte er weiter: „Nehehehehe! Du hast doch gefragt!“ „Du hättest es mir auch einfach erklären können!“, rief ich, als ich den Kopf zu ihm drehte: „Aber nein! Stattdessen packst du dieses Mörderteil von Sense aus und lässt mich denken mein letztes Stündlein hat geschlagen! Das Ding ist riesig und voll gruselig, man!“ Er lachte. Dann stellte er die Sense auf den Knauf und ließ sie mir vor die Nase kippen: „Tehehe. Ich liebe sie.“ Ich nickte, ein bisschen verstört, als ich der morbiden Totenfratze entgegen starrte, aus der das riesige Sensenblatt herausschaute, welches so groß war wie mein ganzer verdammter Torso! „Glaub ich dir...“, blinzelte ich immer noch reichlich irritiert in die schwarzen Höhlen des dornengekrönten Totenschädels starrend: „Aufs Wort sogar. Ist es... nicht ein bisschen gefährlich jemanden so ein Ding direkt vor die Nase zu halten?“ Undertaker giggelte weiter: „Tihihi! Nur ein ausgemachter Trottel würde direkt in eine Schneide fassen. Bist du ein Trottel, Sky?“ Mein Kopf fuhr empört zu ihm herum: „Nein! Natürlich nicht!“ „Dann ist es auch nicht gefährlich. Nehehehe!“ Dann war die Sense so plötzlich wieder verschwunden wie sie aufgetaucht war und Undertaker legte die nun freie Hand über seinen Mund: „Tihi! Dein Gesicht!“ Ich knuffte ihm wieder in die Seite, diesmal fester. Leider konnte ich ihn nicht härter schlagen, weil ich mir ansonsten eher selbst die Finger brechen würde. Doch der Sensenmann lachte: „Hey! Warum schlägst du mich eigentlich die ganze Zeit?“ „Weil du es verdient hast!“, tippte ich ihn vor die Brust und stellte mich auf die Zehenspitzen, um mir wenigstens nicht ganz so klein vorzukommen wie ich war und ein bisschen ernstzunehmender zu wirken: „Du hast Tage, da... nein eigentlich gehörst du immer von morgens bis abends geschlagen! Wirklich!“ Undertaker lachte laut und hielt sich mit einer Hand den Bauch: „Wahahahahahaha! Hast du mit Frank geredet?“ „...Nein. Wieso?“ „Der Spruch hätte von ihm kommen können. Wuhuhuhu.“ „Apropos Frank“, stiegen wieder Fragen in mir auf: „Wissen die Anderen über euch Bescheid?“ „Tehe, natürlich.“ Ich verzog den Mund: „Ich war also die Einzige, die keine Ahnung hatte?“ „Jup.“ „Wie nett von euch...“ Undertaker lachte wieder: „Sei ehrlich zu dir selbst, Sky. Hättest du uns geglaubt, wäre gestern Abend nicht gewesen?“ Ich stockte und blinzelte zu Boden: „Nein... Vermutlich nicht.“ Ein einzelner Finger hob mein Kinn wieder an: „Es gibt halt Dinge, die können erst zu einem gewissen Zeitpunkt erklärt werden. Des Weiteren ist Unwissenheit manchmal eher ein Geschenk, als eine Strafe.“ „Wie?“ „Unsere Welt ist gefährlich, Sky. Die Menschen, also Charlie, Frank, Lee, Alexander und ihre Familien, werden dazu erzogen sich in ihr behaupten zu können und ohne Sebastian würden sie das wahrscheinlich nicht schaffen. Amy hat dich nicht außen vor gelassen, weil sie dir nicht vertraut, sondern weil sie dich beschützen wollte. Du hast die Fehde zwischen den Phantomhives und den Trancys zweimal bei weitem näher miterlebt, als alle von uns wollten.“ Ich rieb mir lachend über das große Pflaster an meiner Schläfe: „Ach... Mir geht es gut“, dann strahlte ich dem Totengräber entgegen: „Dank dir!“ Undertaker lachte seicht und wuschelte mir durch die Haare: „Ich lasse sicherlich nicht zu, dass dir etwas Schwerwiegendes passiert, wobei schon diese kleinen Blessuren nicht hätten passieren dürfen.“ Mein Herz hüpfte. Ich verstand nicht warum. Es sprang hin und her und raste wie wild, als der Totengräber... Sensenmann... was auch immer!... mir so fest in die Augen schaute und die Worte mit einer Überzeugung sondergleichen aussprach, als habe er sie damit in Stein gemeißelt. Ich legte lachend den Kopf schief: „Das ist doch halb so wild... doch... wo hast du deine Blessur eigentlich jetzt her?“ Der Sensenmann grinste zahnvoll: „Die ist aber auch halb so wild.“ „Jetzt sag!“ „Hehe. Das war ein Engel, nehe!“ Ich blinzelte, dann kicherte ich: „Wey. Ein Engel... Das schockt mich jetzt irgendwie auch nicht mehr.“ Kurz schauten der Bestatter und ich uns an. Er grinste mir entgegen. Wie vorher. Mein Herz ging auf und ich konnte mein eigenes Grinsen nicht im Zaum halten. Auch die Tatsache, dass er kein Mensch war und mit diesem Ungetüm von Sense ziemlich gut umgehen konnte, änderte dieses Grinsen nicht. Sie änderte auch diese Augen nicht. Er hatte nicht gelogen, denn er benahm sich nicht anders als zuvor. Ich hatte auch nicht gelogen, denn ich mochte den Freak, auch wenn er mehr Freak war als man dachte. Nach nur ein paar Sekunden begangen wir lautstark zu lachen. Undertaker seufzte seicht, als unser Lachen abgeklungen war und schaute wieder nach oben. „Woran denkst du?“, fragte ich und legte den Kopf schief. Seine Augen wanderten zu mir: „Ich bin froh, dass die Katze aus dem Sack ist.“ „Warum?“ „Naja“, er schaute wieder in die Sterne: „Ich hatte immer Angst, dass ich dich irgendwann eigentlich belügen müsste.“ „Hättest du es getan?“ Er schüttelte den Kopf: „Nein.“ „Hättest du es mir spätestens dann erklärt?“ Er schüttelte wieder den Kopf. Ich legte meinen Kopf schiefer und schaute ihm wieder von unten ins Gesicht: „Was hättest du denn dann getan?“ Er grinste mich an: „Ich hätte dir gesagt, dass ich es dir nicht sagen kann.“ „Aber... Warum konntest du es mir nicht sagen?“ Undertaker giggelte wieder: „Wir haben alle Alexander, wie jedem Earl davor auch, versprochen Außenstehende in dem Glauben zu lassen wir seien Menschen.“ „Also...“, ratterte mein Kopf kurz: „Haben die Earls euch zum Lügen gezwungen?“ Undertaker schüttelte grinsend den langen Schopf: „Nein. Das würden sie nie. Er hat uns lediglich gesagt wir sollen nicht erwähnen oder zeigen, dass wir anders sind. Ihr Menschen geht automatisch davon aus, dass wir Menschen sind. Da müssen wir nichts zu sagen. Denn es ist logisch, weil die Meisten vollkommen ahnungslos sind.“ Auch das machte Sinn: „Aber... du hast dir nie Mühe gegeben zu verstecken, dass du anders bist.“ „Warum denkst du das?“, grinste der Sensenmann. „Nun ja“, begann ich: „Meinst du abgesehen von deinem ganz normalen vollkommen untypischen Verhalten?“ Undertaker lachte und hob eine Hand vor den Mund: „Ja, hehehe, abgesehen davon.“ Ich seufzte: „Du hast einfach immer etwas an dir, was nicht ganz von dieser Welt wirkt. Deine Weltsicht ist mehr als kurios und deine Augen leuchten im Dunkeln.“ „Tehehehe!“, lachte Undertaker: „Nun ja, ich tippe so ganz können wir uns nicht verstecken. Unser Naturell ist einfach anders.“ „Wahrscheinlich“, lächelte ich: „Aber warum kann der Earl euch Vorschriften machen?“ Undertaker lachte schrill auf: „Ehehehehehehe! Naja, mir kann er Vorschriften machen, weil ich ein 'Aristokrat des Bösen' bin. Die Anderen hat er einfach darum gebeten und sie haben zugestimmt.“ Ich musterte ihn überlegend: „Aristokrat des Bösen?“ „Der Earl Phantomhive“, erklärte Undertaker und machte eine ausschweifende Armbewegung: „Ist auch bekannt unter dem Spitznamen 'Wachhund der Königin'. Er dient der Queen und regiert in ihrem Sinne die Unterwelt. Die 'Aristokraten des Bösen' könnte man als seine Handlanger bezeichnen. Charlie ist einer, genau wie Frank, Lee und auch ich. Die anderen Sensenmänner sind einfach nur Freunde der Familie seit der Zeit von Ciel Phantomhive.“ „Ciel Phantomhive?“, in meinem Kopf klopfte etwas an: „Das war doch ein Name auf einem der freistehenden Särge im Mausoleum!“ „Exakt“, grinste der unmenschliche Bestatter: „Er war der erste Earl, der einen Pakt mit Sebastian geschlossen hatte. Er hat auch die Familie von Lee ins Boot geholt.“ „Kay“, machte ich: „Und Frank, Charlie und du? Seit wann seit ihr dabei?“ „Ihre Familien und ich? Seit Vincent“, antwortete der Bestatter und wirkte irgendwie komisch, als er den Namen aussprach. Ein schwerer Glanz erschien in den strahlenden Augen und machte sie kurz einen Ton dunkler. „Was... hast du?“ „Was meinst du?“ „Du wirktest so... bedrückt als du den Namen ausgesprochen hast.“ Undertaker lachte. Das Lachen war nicht ganz so schwer, doch es hatte eine traurige Nuance: „Vincent war mein bester Freund.“ „Oh...“, machte ich. Dann stockte ich. Denn ich erinnerte mich an ein weiteres Detail aus dem Mausoleum. Die Daten, die auf den Sarkophagen der beiden benannten Männer standen: »Earl Vincent Phantomhive 1851 - 1885« »Earl Ciel Phantomhive 1875 - 1948« Meine Gedanken kamen aus ihrem Stocken kaum heraus. Ich blinzelte Undertaker an: „Vincent war …dein bester Freund? Undertaker, Vincent hat vor 130 Jahren gelebt!“ Undertaker lachte ein bisschen ertappt: „Äh ja. Hehehehehe! Hätte ich erwähnen sollen, dass Shinigami in der Theorie unsterblich sind?“ Meine Augen wurden so groß, ich hatte Angst sie fielen heraus: „Bitte was?!“ „Naja“, Undertaker machte eine fahrige Bewegung mit der Hand: „Wir sind die Personifikation des Todes und der Tod stirbt nicht. Hehehe! Eigentlich ganz einfach!“ Mir ging ein weiteres Licht auf: „Deswegen wolltest du mir nicht sagen wie alt du bist. Hättest du mir die Wahrheit gesagt hättest du dich als Nicht-Mensch enttarnt, weil du über 100 Jahre alt bist, oder?“ Undertaker lachte schriller. Den Witz verstand ich nicht, aber ich hatte mittlerweile aufgehört mich darüber zu wundern, oder zu ärgern, oder verwirrt zu sein. „Ein bisschen älter“, grinste der Totengräber irgendwie vielsagend. Dieses Grinsen verursachte in mir ein ganz blödes Gefühl: „Undertaker... Wie alt bist du?“ Er hob grinsend die Hände: „Um dir ehrlich zu antworten: Ich weiß es nicht mehr.“ „Wie?“, meine Gesichtszüge entgleisten ein weiteres Mal: „Du weißt es nicht mehr?!“ Er nickte lachend: „Hehe. Jup. Ich hab irgendwann aufgehört mitzuzählen.“ „Und...“, ich brachte es kaum aus meinen Lippen. Wenn er vergessen hatte wie alt er war musste er sehr alt sein: „So... ungefähr?“ Er wog den Kopf: „Wie alt ist die Menschheit? So ungefähr?“ 'Was soll das denn jetzt?', fragte ich mich stumm und schaute dem Bestatter sicherlich in dem Moment mehr als nur dämlich entgegen. Zumindest fing er heiter an zu lachen, als er mein Gesicht sah. Trotz allem wälzte ich kurz meine Erinnerungen an meine Geschichtsstunden: „Schätzungsweise um die 200.000 Jahre. Aber warum?“ „Gut“, grinste er und legte mit seinem unschuldigen, zahnvollen Grinsen den Kopf schief, als er die Arme verschränkte: „Dann bin ich schätzungsweise um die 200.000 Jahre alt. Minus ein paar Jahrzehnte. Tihi!“ Mein Herz blieb stehen, als mir die Lider und der Kiefer aufklappte: „Zur Hölle bitte was?! Willst du mich jetzt endgültig verarschen?!“ Der Totengräber lachte und rieb sich den Hinterkopf: „Ahehehehehe! Äh nein. Es ist so.“ „Was?! Wie?! Das ist unmöglich?! Dadadadadada das geht nicht!“ Der Bestatter wog mit dem Kopf: „Doch, tihi, das geht. Siehst du doch.“ „Du bist so alt wie die Menschheit selbst?!“ Er nickte: „Ja, hehehe! Minus ein paar Jahrzehnte halt. Ich bin der erste Sensenmann, der je entstanden ist.“ Mein Kiefer blieb einfach offen stehen. Das schlug dem Fass dann doch den Boden aus: „Der der der der der Erste?!“ Undertaker nickte wieder: „Um deiner Vermutung vorweg zu greifen. Ich lüge auch jetzt nicht. Hehe!“ „Aber“, machte ich reichlich hilflos: „Das klingt vollkommen unmöglich! Wie lange... Wie lange bist du denn schon ausgetreten und hier bei den Menschen?!“ Natürlich konnte ich mir denken irgendwas um die 130 Jahre, wenn er mit Vincent Phantomhive befreundet war. Undertaker kniff ein Auge zusammen und schaute mit dem anderen nach oben, als er angestrengt zu überlegen schien: „Uff... Hehe! Lass mich kurz nachdenken! Das war kurz nachdem Ludwig XVI hingerichtet wurde. Die Revolution war im vollen Gange!“ Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Ludwig XVI wurde Anfang 1793 hingerichtet!“ Undertaker lachte nur: „Tehehehehe! Nein, das muss dann doch ein bisschen später gewesen sein. Ende 1793 habe ich noch die Seele von Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen geholt.“ Mein Kiefer klappte nur deswegen nicht weiter auf, weil es nicht mehr ging: „Führst du Buch über so was?!“ „Gezwungener Maßen. Nehehehe! Die Sensenmänner sind unglaubliche Bürokratiefanatiker! Das ich meine Atemzüge nicht dokumentieren musste war nett von ihnen!“, dann streckte er den Zeigefinger in die Luft: „Ha! 1795! Kurz nachdem die erste Koalition aus Großbritannien, Österreich, Preußen und Spanien während der Napoleonische Kriege auseinander brach! Hehehehehe!“ Ich schüttelte blinzelnd den Kopf: „Ehrlich?“ „Hehehe! Ja.“ „Sicher?“ „Haha! Jaha!“ „Ganz sicher?“ „Wolltest du mir nicht glauben, wenn ich dir antworte?“ „Da wolltest du mir noch nicht erzählen du seiest 200.000 Jahre alt und vor über 200 Jahren hier aufgeschlagen...“ Undertaker breitete wieder die Hände aus: „Das Leben hält eine Menge Überraschungen bereit! Tehe!“ „Und es spricht da sicher nicht die.... geistige Verwirrung aus dir?“ Ehrlich. Ich wollte ihn nicht beleidigen, aber das war die beste Erklärung die ich hatte und eine gewisse geistige Verwirrung konnte Undertaker sich wirklich nicht absprechen ohne sehr dreist lügen zu müssen. Der Bestatter unterlag einem kleinen Lachanfall: „Fuhuhuhuuhuhuhuhuhu! Herrlich! Die Frage ist so naheliegend, ich kann noch nicht einmal beleidigt sein! Ehehehehehehe!“ Ich sah den hochgewachsenen Mann, der an seinem eigenen Lachen zu ersticken drohte, mit blinzelnden Augen an. Die ganze Geschichte wird immer kurioser und kurioser. Warum hatte ich nur gefragt? Undertaker wischte sich derweilen die Lachtränen aus den Augen: „Deine Schätzung auf 32 fand ich übrigens sehr schmeichelhaft. Nihihihi!“ Ich nickte langsam und mehr als nur überfordert: „Jaaaaa... Du hast dich gut gehalten... für 200.000... Was für eine Antifaltencreme benutzt du?“ Ich wusste nicht warum, aber diesen dummen Scherz brauchte ich um meinen Verstand nicht endgültig zu verlieren. Zumindest das bisschen was davon noch übrig war. Undertaker brach währenddessen wieder im schallenden Gelächter aus: „Pahahahahahahahaha! Antifaltencreme! Wuhuhuhuhuhuhuhu! Herrlich!“ Ich schüttelte angestrengt den Kopf und stellte eine weitere Frage, auch wenn ich diese wieder bereuen könnte: „Und... wie alt sind die anderen... Nicht-Menschen?“ Undertaker legte den Kopf schief: „Hehe. Sebastian und Claude müssten beide so um die 3000 Jahre alt sein. William und Grell sind um die Dreihundert und ich meine Ronald hat vor kurzem die 190 geknackt.“ „Altert ihr überhaupt?“ Undertaker lachte wieder: „Sebastian und Claude nehmen lediglich die Gestalt von Menschen an. Eigentlich sehen die Beiden ganz anders aus. Shinigami altern nicht so wie ihr Menschen es definiert.“ Ich schüttelte den Kopf: „Man sieht euch euer Alter zumindest nicht an...“ Undertaker lachte nur: „Hehe. Danke, danke für die Blumen. Sage das zu Grell und du bist sofort seine beste Freundin.“ Ich seufzte halb lachend. Dann wischte mir durch die Haare, als ich meinen Blick durch den Garten schweifen ließ. Das war alles so viel und so schwer zu glauben. Selbst als ich realisiert hatte, dass diese Hunde wirklich wahr gewesen waren, hatte ich nicht mit solchen Offenbarungen gerechnet. Natürlich war auch mir schon im Ballsaal klar gewesen, dass irgendetwas an den 5 Männern nicht normal war. Doch das? Ich weiß nicht womit ich gerechnet hatte, doch damit sicher nicht. Dämonen... Sensenmänner... Engel... Pakte... Der Wachhund der Königin und die 'Aristokraten des Bösen'... Das war doch alles total verrückt. Und die Tatsache, dass der Mann mit dem ich in letzter Zeit so viel Zeit verbracht hatte sich als ein 200.000 Jahre alter Schnitter herausstellte, macht das alles nicht leichter zu glauben. Doch irgendetwas in seiner Stimme und in seinem Auftreten sagte mir, dass er mir wirklich die Wahrheit gesagt hatte. Wie immer. „Du siehst müde aus“, erreichte die Stimme des Inkognito-Sensenmannes mein Ohr. Ich nickte und drehte meinen Kopf zu ihm. Ich war vor allen Dingen furchtbar überfordert: „Das ist alles nicht so leicht zu glauben...“ In Undertakers Gesicht stand ein komischer Ausdruck, obwohl er lächelte. So warm. So herrlich warm. Dieses Lächeln war einfach wunderbar: „Ich weiß.“ „Du hast irgendwas“, stellte ich bei dem komischen Ausdruck in seinen kristallklaren grünen Augen fest: „Was ist los, Undertaker?“ Er schüttelte den Kopf und lachte mir dann entgegen: „Ich hoffe nur, ich habe dich immer noch nicht verschreckt. Hehe.“ Ich kicherte auch ein bisschen: „Das ist alles?“ Undertaker zog die Augenbrauen hoch: „Das ist ziemlich viel.“ „Wa... Warum?“, ich verstand ihn nicht recht: „Selbst wenn du mich verschreckt hättest, was wäre daran so schlimm?“ Der Sensenmann legte mir ein weiteres Mal die lange Hand auf den Kopf: „Ich würde deine beschämte, wie verstörte Art vermissen. Tihihihi!“ Ich verschränkte die Arme und ein dumpfes schweres Gefühl waberte durch meinen Magen in mein Herz: „Du würdest also ein Opfer zum Erschrecken vermissen...“ Was auch sonst? Etwas anderes, für ihn interessantes, hatte ich ja nicht. Was hatte ich erwartet? Deswegen traf es mich auch irgendwie hart und unerwartet, als der Bestatter den Kopf schüttelte: „Nein. Ich würde dich vermissen. Mit einfach allem Drum und Dran.“ Mein Herz sackte ein Stück ab und ich stand ein weiteres Mal schon wieder fast unter Schock. Ich merkte meinen Kiefer abermals aufklappen und konnte nichts dagegen tun. Seine Hand wanderte von meinem Kopf zu meinem Kinn. Ich merkte wie seine langen Fingernägel über meine Schläfe und Wange schabten und ein komisches Kitzeln zurückließen, bevor die Fingerkuppe seines Zeigefingers mir den Mund zu klappte. Meine Reaktion amüsierte den Totengräber sichtlich: „Tehehe! Warum schaust du denn so?“ Ich blinzelte: „Du würdest.... mich vermissen?... Aber... ich bin doch nur ein ganz normaler Mensch! Furchtbar langweilig und unglaublich ordinär! Und du... du bist...“ „In erster Linie ein Verrückter, der mit Toten spricht“, konterte er mich: „Du wolltest dich doch darauf konzentrieren wer ich bin und nicht was ich bin, oder? Ich begrüße diese Einstellung sehr, denn was ich bin ist mir vollkommen egal. Ich fühle mich den Sensenmännern in keinster Weise mehr verbunden. Wer ich bin, ist mir dagegen furchtbar wichtig. Natürlich, kleine Sky, bist du ein Mensch“, sein Lächeln wurde weiter und noch wärmer, als er meinen Kopf an meinem Kinn mit seinem Zeigefinger nach oben schob: „Doch das bedeutet weder, dass du 'langweilig' und 'ordinär' bist, genauso wenig steht es der Tatsache im Weg, dass ich dich mag. Tehehehe! Du bist ein ganz herzerquickendes junges Menschending und darüber hinaus sehr unterhaltsam.“ Wäre sein Finger nicht gewesen, wäre mein Mund ein weiteres Mal aufgeklappt: 'Herzerquickend? Unterhaltsam?' Das Blut rauschte durch meine Wangen und in meine Ohren. Ich wusste nicht was mich mehr verwunderte oder überrannte: Die Tatsache, dass ihn seine Abstammung so selten wenig zu interessieren schien oder die Tatsache, dass er mir gerade ein Kompliment gemacht hatte und in Worte gefasst hatte er würde mich mögen. „Du... du magst mich?“, entschied ich mich für Zweiteres. „Nein“, grinste er. Mein Herz blieb stehen und ein ersticktes Glucksen entfuhr meiner Kehle, als mir innen drin furchtbar kalt wurde. Doch Undertaker lachte: „Ich verbringe immer Zeit mit Leuten, die ich nicht leiden kann. Das ist ein Hobby von mir. Genau wie Akten katalogisieren oder Bingo spielen. Hehe.“ Ich blinzelte vollkommen überfordert von der Schockstarre in meiner Brust. Warum fühlte ich mich so? „Du... spielst Bingo?“, bekam ich es schließlich heraus. Undertaker zog eine Augenbraue hoch und schaute mich eine Minute reichlich verständnislos an. Dann prustete er und presste eine Hand vor den Mund und die andere vor den Bauch. Er schien, als ob er über meine Aussage nicht wirklich lachen wolle, es aber nicht verhindern konnte. Er brauchte seine üblichen 5 Minuten um sich zu beruhigen, in denen ich wie der letzte Trottel in der Gegend herumstand und keinen klaren Gedanken auf die Reihe bekam. Meine Hände waren furchtbar kalt. Meine Brust war ganz komisch zusammengeschnürt und machte das Atmen schwer. Mein Gesicht fühlte sich ganz komisch an und ich hatte das Gefühl das Blut in meinen Adern war im Nichts verschwunden. Meine, aus welchen Gründen auch immer, vollkommen starren Gedanken begriffen einfach nicht worüber der Bestatter jetzt lachte. Mag er mich? Erst ja, dann nein und warum ging es mir wegen dem Nein sofort so furchtbar schlecht? Warum... konnte ich mich nicht mehr bewegen? Warum war mir so kalt? Es knisterte in meiner Nase und ich merkte wie mir Tränen in die Augen stiegen. Undertaker wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht und atmete tief durch, als er sich wieder zu mir drehte: „Du stehst ja vollkommen neben dir. Fuhuhuhuhuhu!“ Plötzlich stockte er und blinzelte mir ganz komisch entgegen. Er beschaute mein Gesicht ein paar Sekunden und nahm es anschließend in beide Hände. Die Berührung setzte meine Wangen sofort unter Strom und mein Herz endgültig außer Gefecht, während die Welt in keinster Form mehr zusammen passte. „Was ist denn los mit dir? Sky! Das war Sarkasmus! Ehehehehehe! Ich quetsche mich doch nicht in meiner Freizeit in einen überfüllten Raum und warte darauf zufällig 5 Zahlen in einer Reihe zu bekommen! Genauso wenig wie ich Akten sortiere! Bei diesem langweiligen Bürokram bekomme ich Stresspusteln!“, er schüttelte amüsiert schnaubend den Kopf und wischte mir mit den Daumen die Tränen aus beiden Augen: „Ich wollte dir damit deutlich machen, dass ich dich natürlich mag! Da du dich selbst immer reichlich an Ironie und Sarkasmus bedienst, dachte ich eigentlich du erkennst den Wink.“ Die Knoten in meiner Brust bersteten, als mein Herz mit einem Krachen wieder zu schlagen anfing. Der kalte Schock wich einer heißen Peinlichkeit. Innerhalb einer Sekunde begann mein Gesicht wie Feuer zu brennen und meine Blut rauschte sirrend durch meine klammen Hände, als ich mein Gesicht aus den Fingern des Bestatters riss, mich wegdrehte und hinter meinen Eigenen versteckte: „Oh nein! Gott ist das peinlich!“ Zwei Hände bogen meine Eigenen von meinem Gesicht. Erst in dem festen Griff des Totengräbers fiel mir auf, dass meine Hände zitterten. Heftig sogar. Genau wie meine Knie. Undertakers Gesicht lachte mir entgegen: „Hehehehehe! Nein, ist es nicht! Du bist müde und hast eine Menge Informationen, die du erst einmal verarbeiten musst. Du solltest dich hinlegen.“ Ich nickte langsam mit dem Kopf, der nur noch angefüllt war mit kaum greifbaren Gedanken. Der Rest sauste und raste hin und her, entschwand meinem Griff und schrie wild durcheinander. Ich hatte furchtbare Kopfschmerzen und das nicht nur, weil Claude mir seine Schuhspitze ins Gesicht gerammt hatte. Ich schaute zu Boden und atmete ein paar Mal tief durch. Während ich kontrolliert vor mich heratmete, fing ich einen letzten Gedanken doch noch ein: „Wahrscheinlich hast du recht, doch... eine Frage habe ich noch.“ Undertakers Gesicht erschien vor meinem hängenden Kopf: „Denkst du das ist eine gute Idee? Hehe.“ Mein Kopf zuckte hoch und blinzelnd sah ich, dass Undertaker sich ganz komisch verbogen hatte, um mir ins zu Boden gerichtete Gesicht schauen zu können. Als ich meinen Kopf gehoben hatte, entdrehte Undertaker seine Wirbelsäule und stellte sich wieder auf. Er ließ meine Handgelenke los, doch nur um in derselben Bewegung meine Hände fassen zu können. Seine Hände fühlten sich ganz warm an und diese Wärme knisterte durch meine starren Finger, während sie das Zittern erstickten. „Warum“, legte ich den Kopf schief, verwirrt davon, dass seine Hände so warm waren. Denn eigentlich hatte der Bestatter die kältesten Hände die ich kenne: „Fragst du?“ „Nun ja“, grinste er: „Hehe. Du bist weiß wie die Wand, zitterst, scheinst nicht mehr so wirklich geradeaus denken zu können und deine Hände sind kälter als meine. Ich glaube du hast deinen Zenit schon lange überschritten. Was verständlich ist. Gestern und heute ist eine Menge passiert und du hast mental, wie körperlich eine Menge wegstecken müssen.“ Ich wusste nicht, ob ich mit dem Kopf schütteln oder nicken sollte. Ja, ich war müde. Furchtbar müde sogar. Ich spürte meine schweren Lider, die sich nur mühsam offen hielten. Meine Hände und Füße waren mit Blei gefüllt und die Kälte stieg von ihnen in meine Arme und Beine. Doch ich schaute Undertaker so fest ich konnte in die leuchtenden, grünen Augen: „Diese Antwort brauche ich noch. Ansonsten würde ich wach liegen und stundenlang versuchen sie selbst zu finden.“ Das Lächeln auf Undertakers Gesicht wirkte von meiner Aussage mehr als angetan: „Ahhhh der Fluch der Neugierigen und Wissensdurstigen. Hehehehehe. Wenn dem so ist. Frag.“ „Warum“, ich legte den Kopf schief: „Bekriegen sich die Phantomhives und die Trancys?“ Es ging hier schließlich um die Familie meiner besten Freundin, welche von Claude angegriffen worden ist. Wenn Amy etwas passierte würde ich meines Lebens nie wieder froh werden. Doch ich musste den Zwist verstehen, um Amy zur Seite stehen zu können. Mit Rat und mit Tat. „Die Trancys“, begann Undertaker und wirkte irgendwie wieder unsagbar amüsiert: „Hatten damals als die Spinne der Queen eine ähnliche Stellung wie der Wachhund, doch fielen sie in Ungnade und verloren ihre Position. Ehehehehehehehe! Die Trancys neiden den Phantomhives ihr Ansehen bei der Queen und ihr breites Netzwerk. Jeder Aristokrat hat selbst eine Menge Leute die für ihn arbeiten, also indirekt auch für den Earl. Oliver bat vor 2 Jahren um Amys Hand. Er wollte in die Familie einheiraten. Sollte Alexander und Fred etwas zustoßen, wäre Amy die rechtmäßige Erbin des Titels 'Wachhund der Königin'. Wir sind uns sicher, dass Oliver nach der Hochzeit Alex und Fred umbringen wollte. Nach alten Traditionen fällt dem Mann der Titel zu, auch wenn die Frau die Erbin wäre. Somit hätte er alles was er den Phantomhives so bitter neidet.“ Mehr und mehr Fragen huschten durch meinen Kopf: „Was für ein Netzwerk?“ Undertaker lachte: „Fu fu fu fu! Jeder Aristokrat hat eine Funktion und seine Finger tief in schmutzigen Angelegenheiten. Lee, beispielsweise, ist der Kopf fast aller Drogengeschäfte in London. Man nennt ihn auch den 'König des East Ends'.“ Damit konnte ich etwas anfangen. Der 'König des East Ends' war ein gefürchteter Mann. Jeder Gauner, von klein bis groß, des Stadtteils in dem ich geboren wurde und lange gelebt hatte fürchtete ihn. Und es sollte Lee sein? Ein 20 Jähriger junger Mann mit einer so sympathischen und fröhlichen Aura? Er sollte einer der größten Drogenbarone Englands sein? Undertaker giggelte, als ich blinzeln musste. Er klemmte meinen Arm wieder unter seinen und machte sich auf den Weg zurück Richtung Villa, als er weiter sprach: „Tihihihihi! Schwer zu glauben, aber so ist es. Ich für meinen Teil, ehehehehehe! Bin ein Bestatter mit Ruf, könnte man sagen. Ich bin auch im Untergrund als Dreh- und Angelpunkt für Informationen bekannt und bekomme fast alles zu Ohren, was in den Eingeweiden der Londoner Unterwelt rumort. Wenn man einen Verstorbenen hat, den die Polizei niemals finden soll, kommt man zu mir. Charlie und Frank halten im Ausland ihre Augen und Ohren offen. Wenn man es so sehen möchte sind sie Spione der Queen in Mitteleuropa. Ronald, Grell und William sind tatsächlich einfach nur unsere Freunde. Hehe. Doch wie das mit guten Freunden so ist helfen sie uns, wenn wir sie brauchen. So wie gestern Abend. Wir schätzen diese Freundschaft sehr.“ „Und die Trancys wollen all das haben?“, fragte ich, als wir durch den nächtlichen Garten schlendern. Undertaker nickte grinsend: „In der Tat. Der Earl Oliver Pascal Trancy und sein Butler Claude Faustus. Die beiden haben dich an Amys Geburtstag überfallen.“ „Der Blonde, der mich ertränken wollte, ist auch ein Earl?!“ „Und ein niederträchtiger, kleiner Bastard“, grinste der Bestatter: „Mache dir keine Gedanken mehr um sie. Die Beiden haben in der letzten Zeit ausreichend mit ihrem jungen Leben gespielt, um eine Retourkutsche zu verdienen.“ Die Glastür fiel hinter uns ins Schloss und das Echo unserer Schritte begleitete uns durch die Flure: „Retourkutsche? Inwiefern?“ „Tehehe. Das müssen wir noch besprechen. Doch sowohl Alex, wie auch Sebastian, die Shinigami und auch ich haben mittlerweile die Nase gestrichen voll von diesem überheblichen, kleinen Idioten. Allerdings kommen wir nicht so einfach an ihn heran.“ „Wegen Claude?“ „Ehehehe! Unter anderem. Oliver hat 5 Dämonen unter sich, doch Claude ist mit der stärkste von ihnen.“ Mein Kopf flog zu Undertaker: „5?!“ Dieser nickte: „Oh ja, oh ja. Er muss ja irgendwie seine fehlenden Kontakte kompensieren. Hehe. Und wie es scheint hat er seinen Kreis von übernatürlichen Handlangern erweitert.“ Ich blinzelte: „Wie meinst du das?“ „Sebastian und ich wollten Claude eine Lektion erteilen, nachdem er dich und Amy angegriffen hatte, doch ein Engel hat ihm die Haut gerettet.“ „Warte!“, meine Gedanken stockten: „Ein Engel? Ich verstehe wahrscheinlich noch nicht ansatzweise so viel wie ich müsste um wirklich mitreden zu können, aber nachdem was ich weiß sind Dämonen und Engel nicht gerade best Friends! Wenn Claude also ein Dämon ist, warum sollte ein Engel ihm helfen?“ „Du denkst ganz recht, hehe. Das gilt es zu klären, bevor wir es mit Oliver und seiner Bande aufnehmen können.“ Vor meiner Zimmertüre blieb der Bestatter stehen und drehte den Kopf zu mir: „Doch das ist unser Problem, nicht Deines und“, seine Stimme wurde eindringlicher, als sich seine strahlenden Augen mit eine dunklen besorgten Schatten in Meine bohrten: „Mache es nicht dazu, ja?“ „Aber... Amy ist...“ „Genauso außen vor wie du“, beendet der Bestatter meinen Satz in seinem Sinne: „Wir regeln das. Nicht Amy, nicht du. Bitte“, nahm er mein Gesicht in seine lange Hand und fuhr mir mit dem Daumen über die Wange: „Versprich mir dich daraus zu halten. Du wärst hoffnungslos verloren. Was soll ich denn tun, wenn dir etwas wirklich Schlimmes passiert?“ Mein Herz hüpfte auf und ab und schlug so hart in meiner Brust, dass mir der Atem stockte, während der Totengräber mich mit seinen unirdischen, gerade so unfassbar sorgenschweren Augen fesselte. Ich konnte nicht blinzeln, nicht wegsehen. Diese Augen raubten mir Sinn und Verstand. Immer und immer wieder. Ich verstand jetzt wieso. Es waren nicht die Augen eines Menschen, doch sie waren trotz allem so rein und ehrlich wie ich es noch nie gesehen habe. Ich nickte in Ermangelung aller Worte. Die Hand verschwand aus meinem Gesicht und zwei Arme zogen mich in eine feste Umarmung. Silberne Haare kitzelten mein Gesicht und der Geruch von Zucker, Gras und Zedernholz ließen meine schweren Augenlider zufallen. „Gute Nacht, meine schöne Puppe. Träume trotz allem gut und ruh' dich aus. Alle anderen Fragen haben bis später Zeit.“ Dann entließ er mich und wollte an mir vorbei gehen. Reflexartig griff ich seine Hand und stoppte ihn. Sein Kopf drehte sich langsam zu mir und legte sich schief: „Bedrückt dich noch etwas?“ Ich kam in die unangenehme Position erst jetzt zu realisieren, was ich getan hatte. Ich wusste auch nicht warum ich es getan hatte. Ich wälzte meine Gedanken krampfhaft nach einer Frage oder einem Anliegen, während mein Gesicht immer heißer wurde, damit meine Aktion nicht noch peinlicher wurde als sie eh schon war: „Äh... Warum hast du an meinem Bett gesessen?“ Undertaker lachte: „Ahehehehehe! Ich wollte sicher gehen, dass du in Ordnung bist. Ich weiß wie gut der Schuh eines Dämons im Gesicht tut, glaube mir. Hehe!“ Ein warmer Funken spornte mein Herz abermals zu Höchstleistungen an, doch zog er auch meinen Mund zu einem Lächeln, als ich die Augen schloss: „Danke.“ „Wofür?“ Ich öffnete die Augen wieder und schaute ein weiteres Mal in seine überwältigenden Augen: „Für alles. Für die viele Hilfe. Für jeden gut gemeinten Rat. Für deine Zeit. Deine Geduld. Dein offenes Ohr. Fürs Leben retten und das du meine ganzen Fragen so gewissenhaft beantwortet hast.“ Undertaker legte den Kopf mit einem Lächeln schief: „Nein. Ich muss dir danken.“ Ich blinzelte: „Wofür denn?“ Er schenkte mir dieses unbeschreibliche, breite Grinsen bei dem man alle Zähne sah. Dieses riesige Kinderlächeln: „Das du da bist.“ Bevor ich antworten konnte oder realisierte was überhaupt geschah, spürte ich ein Paar kalter Lippen an meiner Stirn. Mein Herz übersprang einen Schlag und meine Augen weiteten sich ohne mein Zutun. Ich hatte das Gefühl die Zeit blieb kurz stehen. Meine Hand fiel von Undertakers Handgelenk und meine Knie wurden weicher als mir je lieb sein könnte. Dann verschwanden die Lippen nach einer gefühlten Ewigkeit, die eigentlich nur diesen einen ausgelassenen Herzschlag lang gewesen war und der Totengräber lächelte mir zum Abschied entgegen: „Gute Nacht.“ Mein Herz hämmerte das Blut brachial durch meine Adern und mein ganzer Körper begann zu surren: „Gut... Gute Nacht.“ Dann verschwand der Totengräber im Schwarz der dunklen Flure. Lediglich seine Schritte halten noch nach und ich blieb, die Hand an der Klinke, noch solange vor meiner Türe stehen, bis sie verschwunden waren. Eine Hand weckte mich aus einem unruhigen Schlaf. Sofort sprangen mir die Augen auf, ich fuhr hoch und griff den Eindringling am Handgelenk, als ich aus einem Traum aufgerüttelt würde, den ich jetzt gar nicht mehr benennen könnte: „Was....?!“ Es hatte gedauert bis ich eingeschlafen war. Zu oft ließen meine Gedanken alles Revue passieren, was passiert und gesagt worden war. Ich war aus meiner ganz normalen Welt zu der Villa Phantomhive gefahren und innerhalb von ein paar Stunden war auf einmal alles anders. 'Nein... Eigentlich ist schon seit ein paar Wochen alles anders.' Zumindest fühlte sich meine Welt schon seit ein paar Wochen anders an. Irgendwie ein Stück heiler als vorher. Warum? Das weiß ich nicht. Ich wusste nur, dass es gut tat, öfter mal die Schule zu verlassen und Jemanden besuchen gehen zu können, ein paar Stunden heiter zu lachen und den Stress des Unterrichts zu vergessen. Auch wenn es ein lachender Weirdo in einem staubigen Bestattungsunternehmen war. Doch wenn ich ganz ehrlich zu mir war, war ich froh, dass es dieser lachende Weirdo in diesem staubigen Bestattungsunternehmen war. Sebastian lächelte mich höflich an: „Guten Morgen, Miss Rosewell.“ Ich blinzelte. Ein komisches Gefühl beschlich mich bei dem Anblick des Butlers: 'Er ist kein Mensch. Er ist ein Dämon...' Sah man sich seine rostroten Augen einmal genau an, wusste man es. Denn der Butler schaute einem trotz seines Lächelns so eisig kalt entgegen, dass die Sonne selbst Gefahr lief einzufrieren. Diese Augen waren das genau Gegenteil von denen des Bestatters: Nicht warm, sondern furchtbar kalt. Nicht ehrlich, sondern um keine Lüge verlegen. Nicht verständnisvoll, sondern unsagbar desinteressiert. Doch irgendwie waren diese Augen nicht so dämonisch, wie ich sie mir für einen Dämon vorgestellt hätte. Claudes Augen waren schlimmer. Denn in Claudes goldenen Augen stand, dass er sich eigentlich an nichts und niemand gebunden fühlte. In Claudes Augen stand die blanke Zerstörungssehnsucht. Der Drang Leid und Schmerzen in die Welt zu bringen. Dieser höllische Schimmer fehlte Sebastian. Und Claude fehlte die Loyalität zu seinem Herren, die man Sebastian deutlich ansah. Ein dünnes Lächeln erschien auf meinen Lippen: „Guten Morgen, Sebastian.“ „Habt ihr euch gut erholt?“ Ich nickte knapp: „Es geht mir gut. Danke.“ Der Butler legte einen Stapel Kleider auf den Sessel, in dem noch vor ein paar Stunden der Bestatter gesessen hatte. Dann streckte er die Hand zu meiner Schläfe aus: „Lasst mich nach euren Wunden sehen.“ Mein Kopf zuckte weg. Ich hielt meinen Arm vor mein Gesicht: „Nein!“ Sebastian legte den Kopf schief: „Miss Rosewell, ich...“ „Nein!“, ich nahm den Arm herunter: „Da... Danke Sebastian, aber... ich möchte nicht... dass... mein Gesicht... angefasst wird.“ Es lag nicht an Sebastian selbst. Es lag auch nicht daran, dass ein verdammter Dämon neben meinem Bett stand. Komischerweise. Es lag daran, dass... Hände mein Gesicht meistens mit zu viel Schwung getroffen hatten. Ich wollte einfach nicht, dass mein Gesicht angefasst wurde. Amy durfte es. Lange Zeit als Einzige. Dann traf ich Undertaker, der sich das seltene Recht, wortlos, mit der ersten Berührung einfach erschlichen hatte. Doch Sebastian... er sollte es in Ruhe lassen. „Es wird schon ok sein“, setzte ich schließlich noch hinzu und schwang die Beine aus dem Bett. Durch den Spalt der dicken, dunklen Vorhänge sickerten ein paar Sonnenstrahlen in das Zimmer und erhellten es matt. Der Butler nahm seine Hand zurück: „Wie ihr wünscht, Miss Rosewell“, dann zeigte er auf den Stoffstapel auf dem alten Ledersessel: „Ich war so frei ihnen ein kleines Assemble an frischer Kleidung vorbei zu bringen. Des Weiteren ist das Frühstück bald angerichtet. Die junge Lady und die anderen möchten anbei mit eigenen Augen sehen, dass es ihnen gut geht und... Der Lord fühlt sich ihnen zu Erklärungen verpflichtet.“ „Du kannst Alexander sagen, dass er mir nichts mehr zu erklären braucht“, ein vielsagendes Grinsen erschien in meinem Gesicht, als ich mich schon ein bisschen diebisch auf das Gesicht des wohl noch unwissenden Butlers freute: „Dämon.“ Sebastian blinzelte wie von mir erhofft irritiert: „Bitte?“ „Dämon“, wiederholte ich fast kichernd: „Du bist ein Dämon, Sebastian.“ Der Butler lachte kalt: „Lasst mich raten: Undertaker hatte seinen Mund nicht im Griff.“ „Undertaker meinte er durfte.“ „Naja, es macht wohl schlicht keinen Unterschied. Aber es spart meinen Meister Zeit, wenn ihr schon informiert seid“, machte der Dämon und legte die rechte Hand aufs Herz. Keine Ahnung ob dort wirklich eins war. Der dämonische Butler verbeugte sich: „Dann empfehle ich mich, vorausgesetzt sie benötigen nichts mehr von mir.“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein. Umziehen kann ich mich alleine. Danke.“ Sebastian lachte, es war tatsächlich amüsiert, doch trotz allem kühl: „Das hört man gerne.“ Dann wandte sich der Butler zur Tür. Ich hüpfte vom Bett, als mir siedend heiß etwas einfiel: „Warte! Sebastian! Wo muss ich hin?!“ Die Villa war riesig. Ich glaubte fast ohne Karte und Kompass würde ich hier keinen einzigen Raum finden. Bei meinem letzten Aufenthalt hatte ich das Badezimmer nur gefunden, weil es direkt gegenüber meines Zimmers war. Sebastian lachte und ein kleines, aber ganz komisches Grinsen lag auf seinen schmalen Lippen, als er sich halb zu mir drehte: „Keine Sorge, Miss Rosewell. Klopft einfach rechter Hand nebenan.“ Dann verschwand der Butler durch die Tür. Ich legte den Kopf schief und blinzelte auf die Türe durch die der Butler gerade verschwunden war: 'Nebenan?' Kopfschüttelnd entschloss ich mich die Frage für den Moment ruhen zu lassen. Ich schaute auf den Stoffstapel auf dem Sessel. Es war eine schlichte graue, Röhrenjeans, knielange, schwarze Wollstulpen und ellbogenlange Pulswärmer selber Art. Dazu ein langes, dunkelviolettes, mit schwarzer Spitze überzogenes Oberteil und ein schwarzer, knielanger Wollcardigan. Der Butler hatte Geschmack oder konnte zumindest die Geschmäcker anderer gut einschätzen. Meinen hatte er auf jeden Fall voll getroffen. Zügig schlüpfte ich in die Kleider und setzte mich vor die kleine Kommode mit Spiegel, nachdem ich meine Schminktasche und meine schwarzen Chucks aus meiner Gitarrentasche geklaubt hatte, um nicht die ganze Zeit mit den hohen Pumps herumzulaufen. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen, als mir das Kalligraphie Set noch einmal in die Hände fiel, das Undertaker für mich gemacht hatte. Er hatte es selbst gemacht! Mein Herz hüpfte hin und her und es wurde ganz warm in meiner Brust, als ich das kleine Kästchen noch mal aufklappte und seinen Inhalt beschaute. Die Rabenfeder warf mich einige Stunden zurück. Zurück zum Bach: 'Was... Was war da passiert... oder eben nicht...? Was ist 'was'?... Worüber denke ich da nach! Arg!' Doch ich bekam meine Gedanken nicht weg. Sie wanderten zu dem Handkuss, von dort zu dem Kuss auf die Stirn im Ballsaal und zu guter Letzt zu dem vor meiner Zimmertüre. Das Kribbeln wurde stärker und surrte bis hoch in mein Gesicht, wo meine Wangen schon wieder heiß wurden. Ich fasste mir selbst ins Gesicht: 'Warum...?' Mit einem Seufzen fiel ich rückwärts mit ausgebreiteten Armen auf das Bett und starrte auf den dunklen Stoff, der zwischen die vier langen Pfosten gespannt war: 'Was ist das...?' Etwas in meinem Kopf schrie mir entgegen, doch ich konnte weder sagen was es war, noch was es rief. Was ich von diesem Zwischenfall am Bach halten sollte, wusste ich immer noch nicht. Ich wusste nur, dass es definitiv schlechtere Orte gab, als die Arme des Totengräbers. Ob Mensch, oder nicht, es war mir wirklich egal. Was mir nicht egal war, war dieses furchtbare Knistern und Knastern in meiner Brust und meinem Magen. Wie eine Horde wild umher huschender Bienen: Rauf, runter. Links, rechts. Kreuz, quer. Und dieses Grinsen! Ich schlug die Hände vor mein brennendes Gesicht. Dieses breite, unschuldige Grinsen was er immer aufsetzte, wenn er sich gerade ehrlich über oder auf etwas freute oder genau wusste, dass er Mist verzapft hatte. Es lief übrigens meistens auf Zweiteres hinaus. Ich hasste es! Denn man kann doch keinem Honigkuchenpferd böse sein! Das ist voll unfair! Mit einem weiteren Seufzer setzte ich mich auf, klappte das Kästchen zu und verstaute es mit einem leisen Lachen wieder in der Gitarrentasche. Dann schaute ich in den großen Spiegel. Meine Gedanken versuchten immer noch herauszufinden, was mein eigener Kopf mir zurufen will, als ich meinen Lidstrich zog und meine Wimpern tuschte. Bei meinen Haaren verfiel ich fast in Raserei. Es hielt nichts. Jeder Dutt zerfranselte, mein Pony fiel heraus und ohne ein Kilo Haarspray war ich mir irgendwann sicher, würde nichts funktionieren: 'Ich benutze nie mehr Amys Shampoo! Nie, nie wieder!' 'Was hast du eigentlich für Probleme?', antwortete ich mir selber in meinem Kopf: 'Du hängst hier in einer Villa voller Sensenmänner und Dämonen rum und machst dir nur Sorgen um deine Frisur? Gönn' dir. Aber beschwer' dich nicht, wenn's mächtig nach hinten los gegangen ist.' Ich seufzte: 'Könntest du bitte die Klappe halten?' 'Ich bin du. Sag's dir selbst'. Ich schaute mir im Spiegel selbst ins Gesicht und warf mir einen verständnislosen Blick zu: 'Hab ich. Warum redest du also weiter?' 'Ich bin du. Sag du's mir.' „AH!“, fiel mein Kopf mit einem Krachen auf die Kommode: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Nach ein paar Minuten hob ich wieder den Kopf und schaute mir ein weiteres Mal im Spiegel selbst ins Gesicht: „Ich bin vollkommen Loco...“ Ich band mein Haargummi ums Handgelenk und ließ meine Haare einfach offen, als ich mich auf dem Weg zur Türe machte. Als ich die Klinke herunter drückte, legte ich noch mal den Kopf schief: 'Wer ist wohl nebenan? Vielleicht ist es Amys Zimmer. Ich hoffe ihr geht es gut...' Schließlich wusste ich nicht genau wie das Intermezzo mit Claude geendet hatte. Doch ich war mir sicher sowohl Sebastian, als auch Undertaker, wären nicht so gelassen gewesen, wäre Amy ernsthaft verletzt worden. Wie vom Butler instruiert klopfte ich an die Türe rechts neben meiner. Nichts. Nach einer kleinen Weile klopfte ich wieder. Dieses Mal ging nach ein paar Sekunden die Türe auf. Das Zimmer gehörte nicht zu Amy... Welch Wunder... Denn mir fiel als aller erstes ein Schwall silberner Haare entgegen. Ein paar grüne Augen blinzelten mich reichlich verschlafen an und die langen Haare waren mehr als nur verwuschelt. Sein schwarzes Hemd war zerknuffelt und hing halb aus der schlicht schwarzen Hose heraus, während er halb auf der Türklinke hing um sich mit dem rechten seiner nackten Füße die linke Wade zu kratzten. Mit der rechten Hand rieb er sich gähnend über die nur halb geöffneten grell-grünen Augen. „Oh. Ehehehe! Guten Morgen“, grinsten mir zwei altbekannte Lippen entgegen. Ich blinzelte und musste grinsen. Ich hatte den Bestatter noch nie mit einer so konfusen Frisur gesehen! Ok, abgesehen von Merkenaus Nestbauaktion vor ein paar Tagen. Aber das waren es nur ein paar Haare am Hinterkopf gewesen. Gerade allerdings wirkte seine lange Mähne eher wie ein Wollknäuel, an dem sich eine hyperaktive Katze gütig getan hatte. In den Särgen, in denen er ansonsten zu schlafen pflegte und generell für meinen Geschmack viel zu viel Zeit verbrachte, war wohl nicht genug Platz um sich hin und her zu drehen und so die Frisur zu versauen. Vor allem da die Särge in denen er unterkam nicht zwingend lagen. Wie er im stehen schlafen konnte, war mir ja nach wie vor vollkommen schleierhaft. Meine Hand wanderte zu meinem Mund und drückte auf meine Lippen, als ich anfangen musste zu kichern. Undertaker legte den aus der Tür luckenden Kopf schief und seine Stimme kratzte schon wieder schlafschwer: „Worüber lachst du? Hehe.“ Ich zeigte auf ihn: „Du siehst aus, als hätte man dich mit dem Hammer gebürstet!“ Er lachte. Zum ersten Mal realisierte ich, dass er dabei einen Nasenwinkel in Falten zog: 'Oh... mein... Gott... ist... das... s-s-s-s-s-süß...!' Die zweite Stimme in meinem Kopf hob den Zeigefinger und holte Luft. „Pssst!“, fauchte ich sie an. Sie ließ den Zeigefinger sinken. Danach schüttelte sie vielsagend den Kopf. „Hö? Was hast du? Hehe.“ Mein Kopf flog wieder zu Undertaker, da ich ihn nach schräg unten gedrehte hatte um mich selber an zu fauchen. Mit großen Augen realisierte ich, dass ich mich im Übrigen laut und nicht in Gedanken angefaucht hatte. Ich verstand das Kopfschütteln meines Ich-diskutiere-mit-mir-selber-Ichs schlagartig. Es traf mich auf jeden Fall wie ein Schlag: 'Fuck! Fuck! Fu~uck!!' „Nichts...“, piepste ich und merkte prompt die Schamesröte in meinem Gesicht. Undertaker stützte sich auf die Klinke und streckte mir seine Nase ins Gesicht: „Sicher? Hehe“, fragte er gedehnt und wie üblich, wenn ich über mich selbst stolperte, reichlich belustigt. Ich nickte hastig: „Ja! Ähähähä! Alles bestens! Hähä...“ Sein Kopf kippte zur Seite und mit zweimal blinzeln signalisierte mir der Bestatter, dass mein debiles Lachen definitiv nicht überzeugend gewesen war: „Ehehe! Wenn du es sagst. Was möchtest du hier? Ich meine, es gibt definitiv schlimmeres als von einem hübschen, jungen Ding geweckt zu werden, aber ich tippe ganz so uneigennützig ist dein Auftauchen nicht.“ Ich blinzelte immer noch knallrot im Gesicht: „Sebastian hat dich nicht geweckt?“ Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass der Butler immer seine morgendliche Runde durch alle Zimmer drehte und alle persönlich aus den Federn warf. „Oh doch“, Undertaker lachte. Er dachte des Weiteren nicht daran seine Nase aus meinem Gesicht zu nehmen: „Tihihihihi! Schon vor einer ganzen Weile.“ „Aber?“, fragte ich gedehnt, bemüht von meiner peinlichen Aktion abzulenken und aufgrund von Undertakers fesselnd grünen Augen nicht zu stottern. Ehrlich... diese Augen machten mich fertig. Jedes verdammte Mal! Undertaker lachte wieder: „Ich habe mich danach noch einmal hingelegt. Hehe!“ „Pragmatisch. Das ist wie lange her?“ Der Bestatter zog den Kopf zurück, beugte sich ein ganzes Stück nach hinten und schaute an der Türe vorbei in sein Zimmer. Er reckte seinen Kopf nach vorne und ich sah durch sein Chaos von Pony, dass er die Augen zusammenzog: „Ööööhm... Ehehehehe! Ich würde es dir sagen, könnte ich die Uhr erkennen!“ Ich seufzte. Dann kicherte ich und schob den Kopf ein Stück in sein Zimmer: „09:13 Uhr.“ Wir schauten gleichzeitig dem anderen wieder ins Gesicht. Ich hatte gar nicht gemerkt wie nah ich seiner Nase gekommen war. Meine Wangen wurden immer wärmer, während mir der Totengräber, wenn auch reichlich verpennt, entgegen grinste. „Tehehehe! Vor 3 Stunden“, lachte Undertaker schließlich. Ich versuchte angestrengt meine Augen von seiner grellen Iris wegzubekommen, vergeblich übrigens, und mich auf das wesentliche zu konzentrieren: „Vor 3 Stunden?... Dann... bist du noch nicht lange auf dem Zimmer, oder?“ Lachend zuckte Undertaker mit den Kopf: „Ehehehe! Nein. Knappe 2 Stunden.“ Ich zog meinen Kopf wieder aus dem Zimmer: „Oh...“ Der Bestatter giggelte weiter und unterbrach so meine Entschuldigung, die eigentlich noch folgen sollte: „Tihihihi! Doch nun sag. Was möchtest du von mir?“ „Ähm...“, begann ich wieder außerordentlich intelligent... nicht: „Sebastian meinte ich soll hier klopfen, wenn ich zum Frühstück finden will...“ Undertaker lachte: „Hehehe! Wenn es sonst nichts ist. Ich mache mich nur kurz ausgehtauglich. Halte noch ein bisschen durch, du bist sicher hungrig.“ „Ach“, lachte ich und kratzte mich am Hinterkopf: „Nicht wirklich, lass dir Zeit.“ Die Wahrheit war, ich hatte furchtbaren Hunger. Das Letzte was ich gegessen hatte war der Geburtstagskuchen, den mir Amy gebacken hatte und das war mittlerweile 24 Stunden und eine Weltsicht her. Ich hasste mein Leben im selben Moment. Nicht das es genug wäre, dass ich mich generell in der Gegenwart des Totengräbers wie der letzte Trottel benahm. Nein. Jetzt meinte auch noch mein Magen Sabotage betreiben zu müssen und knurrte einmal quer durch den langen Flur. Das Echo, was die Wände zurück warfen, lachte mich mindestens genau so herzlich und ungeniert aus wie besagter Bestatter vor dem ich mich gerade mal wieder, mit Bravour, zum Affen gemacht hatte. Meine Schamesröte blühte und gedieh, als ich mehr als nur beschämt zur Boden schaute und die Hände vor mein heißes Gesicht schlug. Ich hatte mir noch nie so sehr ein Loch-to-Go gewünscht, welches ich jetzt einfach aus der Tasche auf den Boden werfen und rein springen konnte. Undertaker hatte mittlerweile eine Augenbraue hochgezogen und schien nur reichlich angestrengt seines Lachens Herr zu bleiben: „Ehehehehehe! Ich muss nichts sagen, oder?“ Ich schüttelte vom Schicksal gepeinigt den Kopf: „Nein... bitte nicht.“ „Gut“, grinste er mir entgegen, nachdem mein Magen meine Lüge selbst enttarnt hatte: „Dann bis gleich.“ Ich winkte nur mit einer Hand und der Bestatter schloss seine Zimmertüre. Es dauerte vielleicht 10 Minuten, da kam der silberhaarige Mann auch schon auf den Flur. Er trug die Hose und die langen Stiefel die man von ihm gewohnt war, dazu ein schlichtes, jetzt knitterfreies, reinweißes Hemd, welches nur wenig heller war als seine viel zu blasse Haut. Am Kragen des Hemdes hing seine silberne Brille. Diese seltsamen Anhänger glänzten an seiner Hüfte und er hatte seine Haare wieder unter Kontrolle gebracht und an einer Seite zu 3 dicken Crownrows geflochten, sodass wenigstens ein Auge sichtbar war. Ich bewahrte meinen Kiefer gerade so vorm aufklappen. Doch ich konnte es nicht unterdrücken ihn reichlich erstaunt anzublinzeln. Ich war mittlerweile wirklich der Meinung, dass Undertaker einer der attraktivsten Männer war die ich kannte. Schon alleine weil er so ungewöhnlich aussah. Seine Narben störten sein Erscheinungsbild nicht im Geringsten, was mich immer wieder verwunderte und seine schmalen Augen hatten, abgesehen von der Farbe, etwas an sich was ich einfach nicht beschreiben konnte. Ich hatte sie schon so oft (unbewusst!) angestarrt, doch ich war noch nicht dahinter gestiegen was es war. Des Weiteren hatte er eine ganz komische Art sich zurecht zu machen. Es wirkte wie eine komische Mischung aus totalem Desinteresse in sein äußeres Erscheinungsbild und wohl überlegten Akzenten. Immer mal wieder bewies der Mann zumindest, dass er sehr wohl wusste etwas aus sich zu machen. Wie jetzt gerade. Diese Frisur brachte mich total aus dem Konzept, was in einem so hohen Maße ungewohnt wie dämlich war, dass ich schon fast Angst davor bekam. Meine Wangen wurden aus mir vollkommen undefinierbaren Gründen wieder warm und mein Herz machte einen Satz, bevor es zu hämmern begann. „Alles ok?“, legte Undertaker grinsend den Kopf schief. Ich nickte: „Ääähm... klar!“, dann schaute ich zur Seite und gab mir einen kleinen Ruck: „Das... Die Frisur steht dir... und so...“ Ich wusste nicht warum es mir so schwer fiel dem Leichengräber ein Kompliment zu machen. A) Machte er mir ständig welche. B) Mochte ich ihn doch. Ich kam in letzter Zeit irgendwie öfter in die Bredouille mein eigenes Problem nicht zu verstehen, was mehr als nur befremdlich war. „Ehehe. Und so?“ Meine Augen wanderten unruhig durch den Raum und überall dorthin wo der Bestatter nicht stand: „Ja... Das könntest du öfter... so machen.“ Ein gewohnt schrilles Lachen flog kurz durch den düsteren Flur und war dreimal lauter, weil es von den Wänden hin und her geworfen wurde: „Ehehehehe! Danke! Ein Kompliment aus deinem Mund ist viel wert.“ Mein Kopf flog mit einer erhobenen Augenbraue zu dem Totengräber: 'Wus?!' Doch er stand schon nicht mehr dort. Ich schaute mich hastig um und sah den hochgewachsenen Mann den Flur hinunter gehen. Mich irritierte allerdings die totale Abwesenheit von Schritten. Die Lackstiefel des Leichengräbers hatten für einen Mann erstaunlich hohe Absätze und müssten auf dem Boden klickern. Aber das taten sie nicht. Er wirkte eher wie ein Geist, als er lautlos und so unsagbar blass den Flur hinunter lief. Ich schloss laufend zu ihm auf. Meine flachen Sohlen machten in Vergleich zu Undertakers stummen Absätzen einen fürchterlichen Krach. Als ich an seiner Seite angekommen war, ging ich wieder normal: „Verschwinde doch nicht einfach so!“ Er kicherte: „Hihihi. Ich bin doch nicht verschwunden.“ „Du bist einfach abgehauen! Wortlos!“ „Ich wollte mich beeilen. Du bist es schließlich, die so furchtbar Hunger hat. Hehe.“ Ich verschränkte im Gehen die Arme und schaute provokant vom Bestatter weg: „So schlimm ist es auch nicht...“ Undertaker räusperte sich nur und ich warf ergebend die Arme in die Luft: „Ok, ok! Ich habe Hunger! Zufrieden?! Aber das legitimiert nicht geräuschlos abzuziehen und mich in der Gegend stehen zu lassen!“ „Ich habe dich weder 'stehen lassen', noch bin ich 'geräuschlos abgezogen'. Ich gehe doch hier, oder? Hätte ich gewollt, dass du mich nicht findest, würdest du mich jetzt immer noch suchen. Hehehehe!“ „Natürlich. Was bist du? Ein Geist? Also ehr...“, machte ich und drehte den Kopf zu ihm, nur um im selben Moment meinen Augen nicht mehr zu trauen, mich irritiert umzuschauen und stehen zubleiben: „...Undertaker?“ 'Das gibt es doch nicht!!', ich suchte mit den Augen den ganzen dunklen Flur ab: „Undertaker, wo bist du?“ Er war verschwunden! Einfach so! Ich sah und hörte ihn nicht. Er war puff und weg, nur eben ohne puff! „Das ist voll nicht komisch!“, rief ich und lief schnellen Schrittes auf den helleren Teil des Flures zu: „Ich hab keinen Ahnung wo ich bin, geschweige denn wo ich hin soll! Wo bist du?! Undertaker?!“ Ich verließ den Teil der Flure, der auf beiden Seiten von Türen gesäumt war und betrat einen freundlichen, durch einige große Fenster erleuchteten Gang. Vor einer Treppe blieb ich stehen und beugte mich über das Geländer um zu überprüfen, ob der Bestatter vielleicht am Fuß der Treppe war. War er nicht. „Mach keinen Mist!“, rief ich mit hängendem Kopf: „Es ist gut, ich ergebe mich! Du hast gewonnen! Du kannst einfach verschwinden! Jetzt komm zurück, Houdini! Oder werf' mir wenigstens Karte und Kompass gegen den Kopf!“ Nichts. „Undertaker! Es tut mir leid! Jetzt hör schon auf damit!“ Nichts. „Undertaker! Komm schon! Bitte!“ Nichts. Ich ließ die Schultern hängen. Im selben Moment knurrte mein Magen wieder und ich legte eine Hand darauf: „Dann muss ich wohl selber irgendwie zurecht kommen...“ Ich drehte mich um. Meine Nase tippte gegen eine andere: „Buh!“ Mit einem spitzen Schrei hüpfte ich zwei Schritte nach hinten. Doofe Idee. Dort war nämlich das Geländer. Mit wedelnden Armen kämpfte ich dagegen das Gleichgewicht zu verlieren. Meine Hände griffen wahllos in die Luft und bekamen tatsächlich etwas zu fassen: Die goldene Kette mit den Anhängern um Undertakers Hüfte. Doch ich war zu schwer. Der Verschluss quittierte den Dienst und ich rasselte, die Kette in der rechten Hand, rücklings über das Geländer. Ich konnte noch nicht mal schreien, denn es ging alles viel zu schnell und ich war noch viel zu erschrocken. Ich wusste nur, dass der Fall nicht das Schlimmste an der Sache sein würde. Sondern eher sein Ende: 'Das wird furchtbar weh tun! Scheiße!' Ich kniff die Augen zusammen und krampfte meine Hand so fest um die Kette des Totengräbers, dass meine Knöchel weiß wurden. Ich war auf den nahenden Schmerz vorbeireitet, doch... er blieb aus. Mein Fall stoppte ganz sanft und als ich die Augen öffnete fand ich mich in den Armen des einzigartigen Totengräbers wieder. Er grinste mir entgegen: „Du bist viel zu schreckhaft. Ehehehe!“ Ich blinzelte ihn an als sowohl die Erkenntnis, dass ich noch lebe, als auch die Erkenntnis, dass er mich auf dem Arm hatte und seine Nasenspitze nur Millimeter von meiner entfernt war, durch meine Gehirnwindungen krochen. Mein Herz wankte irgendwo zwischen Höchstleistung und Infarkt und ich spürte wie die Hitze mir von unten ins Gesicht stieg, als ich den Bestatter vollkommen apathisch in die herrlich grünen Augen starrte. Mal wieder. „Du... Du Esel!“, rief ich aus und strampelte wütend mit Armen und Beinen. Ich war ihm nicht dankbar mich aufgefangen zu haben! Nicht annähernd! Denn ohne ihn hätte ich gar nicht erst den Abgang gemacht: „Hast du eigentlich noch alle Latten am Zaun?! Schindeln am Dach?! Tassen im Schrank?! Piepmätze im Käfig?! Ich glaub es hackt bei dir!“ Doch Undertaker lachte mich nur an: „Ahahahahahahaha! Nein, wahrscheinlich nicht. Aber wie du mit den Armen wedelst ist zu herrlich!“ Ohne darüber nachzudenken griff ich zwei dicke Strähnen seiner Haare und legte sie ihm um den Hals. Dann zog ich: „Was ist bei dir eigentlich schief gegangen?! Du bist auch auf dem Weg zur Erleuchtung falsch abgebogen und bei der geistigen Umnachtung gestrandet, oder?! Wenn du denkst du bist jetzt für mich ein glänzender Held hast du dich mächtig geschnitten, klar?! Ich fass' es nicht!“ Undertaker lachte weiter, ungeachtet der Tatsache, dass ich gerade versuchte ihn mit seinen eigenen Haaren zu erdrosseln: „Das war eine Lektion. Ehehehehehehe!“ Ich ließ seine Haare los und warf verständnislos die Hände nach vorne: „Mich das Geländer runter zu befördern war eine Lektion?! Für was denn bitte?!“ „Du hast mich angelogen“, Undertakers Grinsen wurde kleiner, was mein Herz schmerzhaft stocken ließ und meinen Ärger durch ein anderes viel unangenehmeres und viel undefinierbareres Gefühl ersetzte. Es war fast wie Schock, nur... anders. Es setzte mir einen riesigen Kloß in den Hals und ich verfiel in ein geschocktes Glotzen und Starren. „Wiederholt“, setzte Undertaker hinterher, während ich ihn mit weiten Augen musterte. Meine Augen wanderten weg von ihm, als dieses Gefühl schlimmer wurde und sich mit Scham und schlechten Gewissens mischte: „Es... tut mir leid, ich... wollte... “ „Jaaa?“ „Ich“, ich stockte und hob unwillkürlich die Hand vor die Brust, die noch immer die Kette hielt: „Ich wollte dich nicht hetzen....“ Der Bestatter lachte wieder wie gewohnt, was den großen Knoten in meiner Brust nicht platzen ließ, aber etwas lockerte. Ich wollte nicht, dass er sauer auf mich war,... oder von mir enttäuscht. „Zwischen 'Nicht trödeln'“, lächelte er mir aufmunternd entgegen: „Und 'hetzen' besteht ein kleiner aber feiner Unterschied, meine schöne Puppe.“ „Du wirktest noch so müde und...“, ich hob beide Zeigefinger und deutete damit immer wieder durch die Luft, um die Kausalkette in meiner Erklärung zu unterstreichen. Die es nicht gab. Deswegen liefen meine Hände genauso Gefahr sich zu verknoten, wie meine wirren Erklärungen: „Ich hab dich geweckt obwohl ich wusste, dass du wegen mir die letzten Wochen schon so wenig geschlafen hast und ich will nicht, dass du so wenig schläfst... und.. und ich glaube du schläfst generell schon zu wenig und dann komm ich und wecke dich, obwohl du schon im Sitzen einschläfst und.. und... gestern Nacht hast du dir auch wegen mir um die Ohren gehauen... Das war nicht nötig!... Das war ultra nett von dir und so und versteh mich nicht falsch, aber du hättest nur sagen müssen, dass du müde bist und dann... hätten wir halt erst heute geredet... und... und das du so kaputt bist, das...“, ich verschränkte meine beiden Zeigefinger, als mir das Wirr Warr selbst mehr als nur überdeutlich bewusst geworden war: „Das will ich nicht.“ Undertaker musterte mich mit blinzelnden Augen und einem mehr als nur belustigten Lächeln auf dem Gesicht, als er es tatsächlich geschafft zu haben schien mir zu folgen. Das hatte ich selber nicht geschafft. „Mach dir um mich keine Sorgen“, grinste der Bestatter: „Wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist, werde ich mich melden. Wusstest du überhaupt, dass es mein Zimmer war?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein... Sebastian meinte ich solle da klopfen und verschwand.“ Undertaker lachte: „Dieses gewiefte kleine Schlitzohr von Dämon.“ „Gewieft? Warum?“, drehte ich mein Kopf wieder zum Bestatter. Undertaker giggelte: „Hihi. Ach, nicht wichtig. Wenn du nicht wusstest, dass ich in dem Zimmer schlafe, warum in drei Gottesnamen hast du dann ein schlechtes Gewissen? Sebastian hat dich benutzt um mich aus dem Bett zu werfen. Das ist wenn seine Schuld und nicht deine“, dann zog der Totengräber wieder dieses unfair süße, zahnvolle Grinsen auf: „Und genau genommen ist es meine, weil ich beim ersten Mal ein wenig zickig war, als ich geweckt worden bin. Hehe!“ „Es ist nur“, ratterte es in meinem Kopf, als dieses Grinsen mal wieder meine Gedanken über den Haufen warf: „Also... ich meine... ich.“ „Sky?“, kicherte der Bestatter. „Hm?“ „Wenn dir nichts einfällt, sag auch einfach nichts. Ehehehe!“ „Du hast Recht...“ „Und noch etwas. Ich stelle heute auch eine Regel auf. Ehehehe!“ Mir schwante mehr als nur viel Übles. Das klang ungut. Für mich, nicht für ihn. Ich zog in der Erwartung aller Dinge eine Augenbraue hoch: „Regel?“ „Hehehe. Ja“, grinste Undertaker weiter: „So wie du mich kitzeln darfst, wenn ich dich erschrecke, wird dir ab sofort immer irgendetwas sehr Unerwartetes passieren solltest du mich belügen. Ehehe.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen und ließ den Kopf hängen: „Und ich tippe du hast dafür eine Mannigfaltigkeit an Möglichkeiten, richtig?“ „Oh ja. Hehehe!“ „Ich bin geliefert...“ Mein Blick fiel auf die Anhänger. Dann fiel mir auf, dass Undertaker mich immer noch auf den Arm hatte: „Und... du... kannst mich ruhig runter lassen...“ Der Bestatter lachte und stellte mich auf die Füße. Ich beschaute die Kette. Der Verschluss war total auseinander gebogen. Ich seufzte: „Es tut mir Leid... Ich hab deine Kette kaputt gemacht...“ Doch der Totengräber lächelte warm und nahm sie mir behutsam aus der Hand. Er musterte sie eine Zeitlang. Ich sprach nicht, denn Undertaker wirkte nicht so als würde er mich hören. Ich musterte sein Gesicht, was wieder irgendwie furchtbar schwer und traurig wirkte. Diesen Ausdruck trug er nicht oft, aber wenn piekste er mir ganz unangenehm ins Herz. Denn dieser Ausdruck wirkte immer irgendwie gepeinigt und unterschwellig schmerzerfüllt. Was schmerzt einem Wesen wie ihm? Und was hat das mit dieser Kette zu tun? „Hehehehe!“, lachte er irgendwann und grinste mir entgegen: „Ach quatsch. Das krieg ich wieder hin, ist nicht das erste Mal.“ „Wie...?“ „Äh“, machte er, legte sich die Kette über die Schulter und lachte irgendwie komisch. Es wirkte als wolle er überspielen, dass ich ihn mit irgendetwas kalt erwischt hatte: „Ähehehe! Nicht so wichtig.“ Ich zog die Augen zusammen und schaute ihn eindringlich an: „Okay...“ Dann hallte ein weiteres lautes Knurren durch die Eingangshalle in der ich gelandet war. Ich schlang die Arme um meinen Bauch und schaute peinlich berührt zu Boden. „Wir haben es gleich geschafft“, lachte der Totengräber gewohnt amüsiert. Schweigend ging ich neben dem großen Mann her und fühlte mich gelinde gesagt immer noch wie der letzte Trottel. In jeder Hinsicht. Irgendwie nervös wie ich war, fing ich wieder an an meinen Haaren herumzuwerkeln. Im Gehen versuchte ich einen geflochtenen Zopf hinzubekommen. Nicht, dass diese Bemühung von Erfolg gekrönt gewesen wäre. Es war auch mehr zur Prävention weiterer peinlicher Situationen gedacht. Mit einem frustrierte Seufzen wuschelte ich mir irgendwann durch die Haare: „NA! Diese blöden Dinger!“, ich pustete resigniert ein paar der mir wild im Gesicht hängenden Haare von meinem Mund: „Ich schneid' sie mir ab!“ „Was?!“, mein Kopf fuhr zu dem Totengräber, der gerade so geschockt ausgerufen hatte: „Bist du vollkommen verrückt geworden?!“ Ich blinzelte ihn durch meine Haare an, zu perplex um sie mir aus dem Gesicht zu wischen: „Weißt du... wenn du das fragst klingt das irgendwie... komisch... aber abgesehen davon... warum fragst du?“ „Die sind wunderschön!“, rief der Bestatter aus und ich glotzte ihn noch viel dämlicher an. Jetzt wollte ich meine Haare gar nicht aus dem Gesicht wischen, weil sie meine Purpurröte versteckten. Ich schaffte es mein Gesicht weg zu drehen: „Die machen nie was ich will... und sehen dadurch immer voll furchtbar aus...“ „Hast du eine Meise?“, lachte der Bestatter. Ich schaute ihn mit erhobener Augenbraue wieder an: „Ich bin immer noch der Meinung, dass du so etwas nicht fragen solltest...“ „Hehehe. Warum?“ Ich zog beide Augenbrauen hoch: „Weil du definitiv eine Meise hast. Nen ganzen Schwarm sogar.“ Undertaker lachte durch den ganzen Flur: „Ich habe nichts um dem zu widersprechen! Pahahahaha!“, dann grinste er mich an: „Aber was dich angeht hab ich eine Idee.“ Ich blieb stehen und legte den Kopf schief: „Hast du?“ Undertaker nickte einmal: „Oh ja.“ Dann streckte er seine langen Hände auf und fuhr damit wie mit einer Bürste durch meine Haarsträhnen. Der griff seiner Finger war erstaunlich sanft, auch wenn es ziepte, hier und da, da ich mir mit dem Wuscheln einige Haare verknotet hatte. Nach einer kleinen Weil hatte Undertaker meine Haare mit seinen langen Fingern zurecht gelegt. „Perfekt!“, grinste er zufrieden und zog seine Hände zurück. „Aber“, ich legte meinen Kopf schon wieder schief: „Du hast sie nur entwuschelt und gelegt. Sie sind einfach nur offen.“ „Hehehe. Exakt“, wandte sich der Totengräber wieder zum Gehen und schaute über seine Schulter: „So sehen sie halt am Besten aus.“ Ich schaute weg und legte kurz nervös meinen Finger an die Lippen, als ich schüchtern kichern musste. Ich ignorierte meine eigene Frage, warum ich das tun musste, denn Undertaker hatte schon wieder einige Schritte Vorsprung. Also verschränkte ich meine Hände hinter dem Rücken und lief ihm hinterher. Schweigend gingen wir noch 2 Minuten durch einen Flur, dann öffnete Undertaker eine große Flügeltür mit großen Milchglasscheiben, in denen fein einige Eisblumen eingeätzt wurden waren. Der Raum hinter der Tür stellte sich als Wintergarten heraus. Er war groß, viele grüne Pflanzen fanden darin Platz und Kieswege führten durch die Artenvielfalt des herrlichen Grüns. Ich blinzelte: „Wow...“ Undertaker lachte: „Ja ja, die Earls Phantomhive verstehen etwas vom guten Leben.“ Dann ging der hochgewachsenen Mann weiter. Auch auf dem Kiesbett hörte man nicht einen Schritt. Das war schon fast gruselig. Andererseits hatte der Totengräber definitiv grusligere Eigenschaften. Ich seufzte stumm und ging ihm hinterher. Aus meinen Schritten resultierte ein mahlendes Knurren und Knirschen, so laut, dass ich mich fühlte wie ein Elefant. Ich hörte Stimmen. Viele Stimmen die sich amüsiert unterhielten. Lachen flog durch das von der goldenen Herbstsonne erhellte Gewächshaus und sickerte in mein Herz. Das unterschwellig beklemmende Gefühl, was die letzten 24 Stunden in mein Herz gepflanzt hatten, verschwand nun ein weiteres Stück. Doch ganz verschwinden tat es nicht. Dämonen... Sensenmänner... Und das Schicksal meiner besten Freundin war von ihrer Geburt an damit verstrickt gewesen und ich... ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung gehabt. Ich war ja eine ganz tolle Freundin... nicht. Ein nun deutlich hörbares Seufzen entfuhr meinen Lippen. „Oh weh“, machte es halb lachend neben mir: „Hehehe. Warum dieses lange Gesicht?“ Ich legte den Kopf schief: „Ich... hätte etwas merken müssen...“ „Hehehe. Weshalb?“, lachte Undertaker: „Falls es bei dir nicht richtig angekommen ist: Wir haben es versteckt gehalten. Es verheimlicht. Niemand sollte dahinter kommen.“ „Aber“, ich ließ Kopf und Schultern hängen: „Es geht um Amy... Ich habe mich ihre beste Freundin geschimpft und nichts davon gemerkt...“ „Was hat das denn damit zu tun, dass Amy deine beste Freundin ist? Auch Amy war immer angehalten ihre ungewöhnlichen Lebensumstände zu verstecken. Weißt du warum die Phantomhivekinder auf ein Internat gehen, obwohl die Familie sich hunderte der besten Privatlehrer leisten könnte?“ Ich schaute Undertaker an: „Nein... weiß ich nicht. Ich weiß so vieles nicht.“ Er tippte mir lachend auf die Nase: „Hehehe! Und das ist auch gar nicht schlimm, meine schöne Puppe. Die Phantomhives schicken ihre Kinder auf das Internat, um ihnen die Chance zu geben sich wie ganz normale junge Menschen zu fühlen. Glaube mir, das ist auch den Kindern eine Menge wert. Sie haben ganz normale Freunde, den ganz normalen Schulstress. Sie schwärmen für Schüler der anderen Schule, streiten sich mit den Lehrern herum und haben in den Ferien eine Menge zu erzählen, während ihr dämonischer Butler ihnen Tee serviert. Menschen wie du sind wichtig für die Phantomhives.“ „Ich“, ich schlug die Augen nieder: „... und wichtig?“ Eine Hand zog mich in eine halbe Umarmung, die mich hoch blinzeln ließ. „Natürlich“, lächelte mich der Bestatter an: „Amy wollte gar nicht von deiner Seite weichen. Sebastian hatte seine liebe Mühe sie ins Bett zu stecken.“ „... Wirklich?“ „Hehehe! Aber ja doch! Ich war doch die ganze Zeit da und habe es persönlich mitbekommen.“ „Du...“, ich blinzelte: „Hast tatsächlich die ganze Zeit an meinem Bett gesessen?“ Undertaker nickte grinsend: „Natürlich.“ „Aber... warum?“ Sein Lächeln wurde viel wärmer, als seine grünen Augen in meine schauten: „Weil du auch für mich wichtig bist und ich auch sichergehen wollte, dass du in Ordnung bist.“ Mit roten Wangen schaute ich weg. „Sky!“, ließ mich eine bekannte Stimme aufschauen. Vor mir erstreckte sich in Mitten der hohen Pflanzen eine kleine Tafel unter einem weißen Tischtuch. An den Seiten standen 12 Stühle. Einer vor Kopf. Dort saß Alexander und lächelte mir väterlich entgegen. Zu seiner Rechten saß seine Frau, die mich ebenso mütterlich erleichtert musterte. Zu seiner linken Fred und daneben Amy. Die zwei Plätze neben Amy waren Leer, dann saß dort Lee und ein weiterer freier Platz. Auf der anderen Seite saß neben Heather Frank, daneben Charlie, Grell, Ronald und William. Sebastian saß nicht. Er stand treu zu der Rechten seines Meisters. Seine rostroten Augen funkelten uns kalt entgegen. Amy war aufgehüpft und auf mich zugelaufen: „Es geht dir gut!“ Undertakers Arm um meine Schultern verschwand und ich breitete meine Arme aus, um meine so erleichtert wirkende bessere Hälfte in Empfang zu nehmen: „Aber natürlich. Kein Grund zur Sorge!“ „Kein Grund zur Sorge?!“, rief Amy und brachte eine Armlänge Abstand zwischen uns, doch ohne mich loszulassen: „Ich hab noch nicht den Absatz eines Dämons im Gesicht hängen gehabt und ich kann auch getrost darauf verzichten!“ Dann starrte Amy mich an. In ihren Augen kroch die Erkenntnis ihres Fehlers: „Ich meine...“, stammelte sie: „Also Claude.. er...“ „Ist ein Dämon“, lachte ich ihr entgegen: „Genau wie Sebastian!“ Amy klappte der Mund auf: „Du...?“ „Grell, Ronald, William und Undertaker sind Sensenmänner und die Familien von Lee, Charlie und Frank sind schon seit Generationen 'Aristokraten des Bösen'.“ Amy blinzelte. Ich lachte: „Wie mache ich mich?“ Alexander klatschte lachend in die Hände: „Vorzüglich!“ „Du erhältst 300 Gummipunkte“, kichert Lee. „Aber sei vorsichtig“, grinste Charlie und Franks Augen wanderten in Erwartung von irgendetwas unerfreulichen zu ihm: „Bei 500 gewinnst du eine Waschmaschine.“ Frank verdrehte seufzend die Augen, als er die Arme verschränkte. Ich musste kichern. Amys Kopf flog zwischen mir und ihrem Vater hin und her: „Aber woher...?“ Ich kicherte lauter und zeigte mit einer Hand auf Undertaker. Dieser winkte Amy zu, als sie zu ihm schaute. Amy seufzte fast resigniert: „Ich hätt's mir denken können. Und ich dachte schon ich hab mich verquatscht.“ Ich holte gerade Luft um etwas einzuwerfen, da unterbrach mein Magen mich wieder reichlich unelegant. Das laute Knurren füllte den ganzen Wintergarten und es brach eine unendlich peinlich, abrupte Stille über die gesamte Gruppe ein. Ich ließ den Kopf hängen. Dann hörte ich verschiedene Stimmen kichern. Amy nahm mich bei der Hand: „Das klingt ja akut. Komm! Zeit, dass du was zwischen die Zähne bekommst!“ Ich hielt mir mit einer Hand den ziependen Bauch, als ich Amy schon fast hinterher flog. Ich hatte zwar unglaublichen Hunger, doch nach Essen war mir irgendwie mal wieder ganz und gar nicht. Ich hätte von mir aus tatsächlich gerade nichts gegessen. Die Anwesenheit dieser ganzen Leute band mir den Magen zu. Die Anwesenheit dieser ganzen Wesen machte mich unruhig. Amy setzte mich auf den Platz neben sich. Lee winkte mir kurz zu. Ich winkte zurück und kurz darauf hatte sich auch schon Undertaker neben mir niedergelassen. Eigentlich saß ich zwischen meinen zwei Lieblingsmenschen... Wesen... Was auch immer... aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass die beiden ein albtraumhaft gutes Duo abgeben können. Addierte man dazu noch mein Karma, kam unterm Strich nur eine Sache heraus: Ich sollte wieder ins Bett gehen... Charlie, der mir gegenüber saß, lächelte mich aufmunternd an und hielt mir eine silberne Palette hin. Darauf lag ein großer Haufen Rührei. Ich habe selten ein so simples Gericht so gut riechend erlebt. Aber mein Magen zog sich abrupt zusammen. Es zwickte ganz furchtbar und ich legte leise ächzend meine Hand auf meinen leeren Bauch. Ich hatte zu Essen ein komisches Verhältnis. Es gab Tage, da konnte ich ohne Pause essen, nichts war vor mir sicher und mein Magen ein Fass ohne Boden. Doch immer öfter gab es Tage wo ich morgens begann an einer Erdbeere herum zu knabbern, es über Stunden hinaus zog und abends das Gefühl habe, ich hatte mich furchtbar überfressen. Der heutige Tag gehörte definitiv zur zweiten Kategorie. Amy hasste sie. Sie bekam immer einen halben Anfall, wenn ich von jetzt auf gleich mit dem Essen aufhörte. Aber ich konnte nichts dagegen tun! Ich konnte manchmal einfach nicht essen! Doch die Phantomhive akzeptierte das nicht. So auch heute. Als ich nichts sagte griff sie das Tablett und schaufelte den Teller vor mir voll mit Rührei: „Guten Appetit!“ Ich bekam fast einen Herzanfall: „Amy! Stopp! Gott! Wer soll das denn alles essen!“ „Na“, lachte es neben mir: „Hehehe! Du!“ Ich schaute Undertaker an: „Das schaff ich nicht alles!“ „Deswegen knurrt dein Magen auch wie ein wütendes Wildschwein!“, lachte Ronald und biss grinsend in ein dick belegtes Brötchen. Ich schaute ihn böse an: „Wie charmant!“ „Hach ja“, Grell streckte sich melodramatisch: „Essen ist wichtig! Ansonsten schwindet deine Kraft. Mit deiner Kraft schwindet deine Schönheit“, er zwinkerte mir mit diesem scharfzahnigen Lächeln zu: „Es wäre doch eine Schande, wenn unsere Schönheit für nichts und wieder nichts vor die Hunde ginge.“ Mir klappte ein Stück der Mund auf: „Ja... genau.“ „Es ist vielleicht etwas überspitzt“, nippte William an einer Tasse und hob die Augen nicht aus der Sonntagszeitung, die er mit überschlagenen Beinen las: „Aber in Grunde hat Sutcliff schon recht.“ Das Ironische an seiner Aussage war das unberührte Käsebrötchen auf Williams Teller. „Du“, sprach ich meinen Gedanken aus: „Isst doch selber nicht.“ „Ich habe schon zwei Brötchen gegessen“, erwiderte William trocken und seine Augen flitzten unter seiner silbernen Brille weiter über die Zeitung. Ich seufzte: „Verdammt...“ Heather lachte: „Hier sind alle sehr gute Esser, Sky. Außer Undertaker.“ Ich drehte mich zu dem Bestatter. Dieser lachte Heather nur entgegen: „Ehehehe! Ich bin doch kein schlechter Esser! Ich esse nur andere Sachen!“ „Sehr komische Sachen“, grinste Fred leicht und bis in sein Marmeladencroissant. „Und wie komisch!“, wedelte Lee mit seinem auf der Gabel erstochenen Rührei durch die Luft. Ich legte den Kopf schief: „Meint ihr die Kekse?“ Frank schnaubte in seine Tasse: „Wenn es nur die Kekse wären...“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Dann wanderte eine langfingrige Hand an mir vorbei über den Tisch und griffen ein dunkelbraunes, bauchiges Glas mit gelben Deckel und Etikette. 'Marmite' stand darauf. Lachend schraubte Undertaker es auf. Ich konnte das Zeug ja nicht leiden. Die Farbnuance ging eher in Richtung Teer, sah schon echt nicht essbar aus und ich würde das Zeug ja eher als Mörtel oder zum Spachteln benutzten, anstatt es zu essen. Es schmeckte auch ganz furchtbar bitter und salzig. Dass das Zeug bis aufs letzte gesund sein sollte, machte diese Farbe echt nicht weg. Ich wartete eigentlich immer darauf, dass es anfing zu blubbern und eine kleine Totenkopfwolke aus einer der geplatzten schwelenden Blasen empor stieg, oder sich zwei tote Augen daraus hervor rollten. Undertaker nahm allerdings einen Löffel zur Hand und ich hob meine Augenbraue höher. Sicherlich war es einfacher das zähe Zeug mit einem Löffel auf sein Brot zu befördern. Warum auch immer man das wollte. Der Bestatter nahm also besagten Löffel und steckte es in diese 250ml Hefeabfallprodukt, was einige Menschen fälschlicherweise als Lebensmittel bezeichneten. Dann zog der Totengräber einen dick gehäuften Teelöffel dieser gustatorischen Schandtat heraus. Ich wartete darauf, dass er sich ein Brötchen oder eine Scheibe Brot griff, doch er drehte seine Hand und öffnete den Mund. Meine Augen sprangen auf: „Du willst doch nicht etwa... Oh mein Gott!“ Ich schlug die andere Hand vor die Lippen, als der Totengräber seinen Mund um den Löffel schloss und selig grinste. „Was denn?“, drehte er seinen Kopf, immer noch den Löffel aus seinem grinsenden Mund hängend, zu mir und schaute mich verständnislos an: „Das Zeug ist super!“ Ich war sicherlich grün im Gesicht. Denn jetzt war mir so richtig schlecht: „Das... das ist...“ Undertaker zog den Löffel aus dem Mund, steckte ihn wieder in das Glas und streckte ihn dann mir entgegen: „Auch was?“ „Oh mein Gott! Nein!“, rief ich aus: „Das Zeug ist so salzig! Das ist ja pervers! Wie... wie kriegst du das herunter?! Pur?! “ „Na ganz einfach!“, lachte der Bestatter: „Löffel in den Mund nehmen und schlucken! Hehe. Hier probier es aus!“, drehte er den Löffel vor meiner Nase: „Geht ganz leicht!“ Ich nahm Amy an den Schultern. Sie schaute kurz verwirrt, schaltete aber zu spät um sich zu wehren. Ich zog sie quer über meinen Schoss und brachte sie so zwischen mir und diese braun/schwarze Abscheulichkeit: „Himmel! Geh weg damit!“ Undertaker grinste Amy an, die relativ unbeholfen zurück grinste. Er drehte den Löffel zu ihr nach unten: „Du?“ Sie schüttelte den Kopf: „Ähm, nein danke. Ich passe.“ Undertaker zuckte verständnislos mit den Schulter: „Mehr für mich“, schob er sich den Löffel in den Mund. Ein Schaudern zog durch meinen ganzen Körper und ich ließ meinen Kopf auf Amys Rücken fallen: „Gott... wie pfui...“ „Willkommen bei den Phantomhives!“, lachte Amy unter mir. Ich hob wieder den Kopf: „Nimm du mein Rührei...“ Amy richtete sich auf: „Du isst was!“ „Mein Appetit hat sich gerade neben meiner Weltsicht aufgehangen...“, stöhnte ich. Während ich mit Amy diskutierte klimperte etwas neben mir. Ein paar lange Finger drehten meinen Kopf am Kinn herum. Ich erkannte die kalte Berührung sofort. Undertaker hielt mir eine Gabel mit einem Stück Rührei vor die Nase: „Mach Ahhh. Hehe!“ „Was?!“, rief ich aus: „Du musst mich sicherlich nicht füt... Hmpf!“ Ich hätte vielleicht beim rebellieren den Mund nicht so weit aufreißen sollen, denn Undertaker steckte mir einfach die Gabel hinein. Ich blinzelte ihn mit großen Augen an und merkte die Hitze aus meinem Kragen steigen. Dieser Mann war das lebende Beispiel für die alte Weisheit 'Dreistigkeit siegt'. Er zog die Gabel wieder auf meinen Lippen und piekste ein weiteres Stück auf, was er mir vor die Nase hielt: „Ich kann es dir auch vorkauen, wenn du vergessen hast wie das geht. Hehe!“ Aus Schreck schluckte ich das Rührei herunter ohne zu kauen: „Nein!“ Undertaker lachte: „Hehe. Am Stück schlucken geht natürlich auch.“ Ich schloss die Augen als ich merkte wie sich Schames- mit Zornesröte mischte: „Hör auf dami... Hmpf!“ Wiederholte der Totengräber das Spiel und meine Augen sprangen auf: „Du solltest dieses mal kauen, das Stück ist größer. Hehe!“ Ich starrte ihn, immer noch die Gabel die er in der Hand hielt im Mund, an und konnte einfach nicht fassen was gerade passierte. Ich bezweifle, dass Undertaker mich vorführen wollte, doch genau das machte er gerade. Das... war... so... furchtbar... PEINLICH! Wo war mein Loch-to-go, verdammt?! Ich riss ihn die Gabel aus der Hand, kaute zweimal und schluckte hinunter. Dann haute ich ihm die Gabel ein paar Mal vor die Stirn: „Tickst du nicht mehr richtig?! Ich bin doch kein Baby!“ Undertaker griff lachend mein Handgelenk und steckte mir wieder die Nase ins Gesicht: „Hehehe. Bist du nicht. Richtig. Aber ich lasse ganz sicher nicht zu, dass du mir aus den Latschen kippst, nur weil du aus irgendwelchen mir vollkommen unerfindlichen Gründen nichts essen kannst.“ Sein Atem rollte über mein Gesicht. Er roch eigentlich immer nach Früchtetee, Minze und Zucker, hin und wieder auch nach Hundekeksen, was schon schlimm genug war, doch gerade stank er so fatal nach Hefe und Salz, dass ich mit den Augen rollte und dachte ich fiele gleich in Ohnmacht: „Das Einzige, was mich aus den Latschen kippen lässt, ist dein Marmitemundgeruch!“ Ich wurde mir spontan bewusst, dass alle am Tisch zu kichern angefangen hatte. Selbst die Zeitung, die William komplett vor sein Gesicht gehoben hatte, zitterte sanft. Ich drückte mit einem Zeigefinger das Gesicht des Totengräbers weg und verschränkte die Arme: „Du bist ganz, ganz furchtbar!“ Neben mir knallte es. Mein Kopf flog herum. Ich erblickte Amy, deren Kopf neben ihrem Teller gelandet war und die wie von Sinnen zu lachen angefangen hatte. „Alles ok bei dir?“, fragte ich mit hochgezogener Augenbraue, doch Amy hob nur lachend eine Hand und winkte ab. Wieder erschien eine Gabel mit Rührei vor meiner Nase. Ich zuckte herum und hielt Undertaker meine Gabel unter seine Nase: „Lass die Gabel sinken oder du wirst es bereuen!“ Doch der Totengräber lachte nur: „Pahahahaha! Inwiefern?“ „Ich steckt dir diese Gabel irgendwo hin, wo du sie ganz sicher nicht haben willst!“ „Aha“, stützte er sein Gesicht lachend auf den anderen Arm: „Da gibt es nicht viele Stellen, aber sprich ruhig weiter. Hehe!“ Ich stockte mit großen Augen: „Wa-wa-wa-wa-was?!“ „Oh oh“, lachte Ronald: „Jetzt kommen die 'dirty details' auf den Tisch!“ Ein lautes Ratschen fuhr durch den Raum. William hatte seine Zeitung zerrissen und knallte sie mit hochrotem Kopf auf den Tisch: „Doch nicht am Esstisch!“ Ronald zuckte mit den Schultern: „Warum denn nicht? Also ich für meinen Teil... WA!“ William war aufgesprungen und hatte Ronalds Gesicht, mit seinem Fuß, in sein Brötchen auf seinen Teller befördert: „Nicht am Esstisch!“ Neben mir hörte ich Amy lachend sterbend. Ich hasste sie! „Aber Willi!“, machte Grell: „Nicht so brutal!“ William griff sich, immer noch einen Fuß auf Ronalds Hinterkopf, ein Buttermesser und hielt es Grell ins Gesicht: „Nenne mich nicht Willi und das sind Themen über die ich einfach NICHTS hören will!“ Grell hob die Hände: „Ich ergebe mich!“, dann wackelte er mit den Augenbrauen: „Mach mit mir was du willst.“ William schüttelte empört den Kopf, nahm den Fuß von Ronalds Oberstübchen und tat einen Satz nach vorne. Grells Stuhl krachte nach hinten, als er begann kreischend vor dem, mit einem Buttermesser bewaffneten, William zu fliehen: „Doch nicht das! Nicht ins Gesicht!“ Die Beiden verschwanden und ich ließ perplex meine Gabel fallen. Fred hatte angefangen Amy auf den Rücken zu klopfen und ein Glas Wasser für sie in der Hand: „Atmen Amy. Du musst atmen...“ „Ich...“, japste Amy lachend und immer noch mit dem Kopf auf dem Tischtuch: „Ich kann nicht!“ Fred seufzte. Auch Alexander und Heather kicherten, während sie vielsagende Blicke tauschten. Das Rührei erschien wieder kreisend vor meinen zuckenden Augen. Ich riss Undertaker die Gabel aus der Hand: „Lass das!“ Dann sah ich wie Lee ihm lachend eine weitere Gabel reichte. „Hey!“, machte ich: „Hör auf mich zu sabotieren!“ „Das geht nicht!“, schüttelte Lee lachend den Kopf: „Ihr seid zu knuffig!“ „Knu-knu-knuffig?!“, ich riss Undertaker wieder die Gabel aus der Hand, bevor sie das Rührei erreichte: „Mein Gott! Dein Auge! Ich stecke sie dir ins Auge! Und in die Nase!“ Undertaker lachte: „Versuch es. Tehehehehehehe!“ Resigniert ließ ich die Gabeln sinken. Wahrscheinlich würde sich eine so geartete Aktion nur zu meinen Ungunsten wenden: „Hör doch einfach auf... Bitte!“ Undertaker zeigte auf meinen Teller: „Dann iss und zwar auf. Hehe!“ Ich seufzte: „Ja ja...“ Ronald hatte seinen Kopf erhoben und sortierte Käse, Wurst und Butter von seiner schwarzen Brille: „Ja ja heißt...“ „Halt dich geschlossen“, fauchte ich ihn an. Ronald hob die Hände: „Ist ja gut! Ich bin brav!“ William erschien wieder am Tisch, schob seine Brille hoch und nahm Platz. „Wo“, piekste ich ein Stück Rührei auf: „Ist Grell?“ William schnaubte: „Er kommt wieder sobald er sich befreit hat.“ Ich drehte den Kopf: „Okaaaaay...“ Amy hatte den Kopf wieder erhoben und kippte das Glas Wasser hinunter. Sie wischte sich durch das tränennasse Gesicht. „Geht es?“, fragte ich sie nur halbherzig besorgt. Sie gluckste einmal: „Ja, ja, bei mir ist alles bestens.“ „Nun“, verschränkte Alexander die Hände und lächelte mich an: „Du hast ja schon eine Menge erfahren wie ich hörte. Hast du noch irgendwelche Fragen?“ Ich seufzte und kaute kurz auf dem Stück Rührei herum. In dem Moment kam Grell wieder. Er setzte sich stumm auf seinen Platz und hatte Laub in den verwuschelten Haaren. Ich blinzelte ihn kurz an und drehte mich dann zu Alexander. Während meinem unruhigen Gedankenwalzen, was meinen Schlaf zum größten Teil ersetzt hatte, war mir tatsächlich noch eine brennende Frage aufgekommen: „Ja... eine habe ich noch.“ Alex fuhr mit der Hand durch die Luft und schloss freundlich lächelnd die Augen: „Tue dir keinen Zwang an. Frag.“ Ich seufzte: „Was waren diese komischen Filme?“ Stille. Mit einem Mal war es gespenstisch ruhig am Tisch. Nicht mal mehr Atmen war zu hören. Ich schaute mich um. Aufgerissene Augen starten mich aus jedem Gesicht an. Grells Auge zuckte. Ronald blinzelte reichlich irritiert und hatte im Brilleputzen inne gehalten. William war einfach der Mund aufgeklappt. Ich hätte nicht gedacht, dass der strenge Schwarzhaarige zu so einer Mimik fähig war. Mein Blick wanderte zu Undertaker. Er war mit seinem Löffel im Mund eingefroren und sein freigelegtes Auge musterte mich aufgerissen als wäre ich ein Geist. Man hätte eine Stecknadel fallen hören, denn selbst der dämonische Butler musterte mich mit einer vollkommen ratlosen Verständnislosigkeit. „Hab ich“, stammelte ich irgendwann: „etwas Falsches gesagt?“ Grells Augen flatterten, als er mit dem Kopf schüttelte: „Über was für Filme redest du?“ „Na“, sagte ich: „Diese alten Kinofilme, die überall herumgeflogen sind! Die waren doch echt nicht zu übersehen!“ Sie waren überall gewesen. Selbst wenn Grim Reaper so schlechte Augen hatte, die mussten sie gesehen haben. Sie haben doch sogar mit ihnen interagiert. „Du“, Ronald zog seine Brille auf: „Hast die Filme gesehen?“ „Natürlich“, schüttelte ich verständnislos den Kopf: „Wie hätte ich sie denn nicht sehen können?“ William stand abrupt auf. Alle Augen flogen von mir auf ihn. Er ging um den Tisch herum: „Sutcliff! Knox! Undertaker! Auf ein Wort!“ Die Reaper erhoben sich. Grell und Ronald beschauten mich noch einmal sorgenvoll, bevor sie William folgten. Angst gluckerte aufgrund der komischen Reaktionen in mir auf. Ich griff Undertaker am Handgelenk, der sein komisches 'Frühstück' weggestellt und sich ebenfalls erhoben hatte: „Was... Was ist los?!“ Undertaker schüttelte mit einem bitter ernsten Gesichtsausdruck den Kopf. Mein Missbehagen würde um etliches viel kälter und größer, als ich diesen Ausdruck sah: „Wohin geht ihr?“ Er legte mir die Hand auf der Schulter und lächelte ungewohnt dünn: „Wir müssen kurz etwas besprechen.“ „Aber.. was denn?!“ „Mach dir keine Sorgen“, lächelte er ein bisschen weiter: „Ich regele das.“ Dann folgte er den anderen Dreien aus der Tür. Ich drehte mich zu den übrig gebliebenen: „Was in denn los?! Warum redet niemand mit mir?!“ Amy legte mir die Hände auf die Schultern: „Die Sache ist gerade sehr kompliziert geworden...“ „Warum denn?!“ „Weil“, begann Alexander und mein Kopf flog zu ihm: „Menschen diese Filme überhaupt nicht sehen können.“ „Aber!“, machte ich: „Sie waren da! Überall!“ „Das wissen wir“, nickte Frank: „Aber nur weil wir darüber Bescheid wissen, dass sie existieren. Keiner hier kann sie sehen. Das ist Reaper Matière.“ „Aber“, die Beklommenheit in mir wurde immer klammer: „Warum...?“ „Das Besprechen unsere Freunde wohl gerade“, Lee hob die Arme: „Welch eine unerwartete und des weiteren unmögliche Wendung. Haha!“ Charlie schüttelte mitleidig den Kopf: „Hier kann dir das keiner erklären.“ „William wirkte nicht begeistert“, warf Frank ein. „Undertaker auch nicht“, ergänzte Alexander und verschränkte die Hände vor der Nase. „Das ist ungut“, goss der Butler dem Earl noch etwas Tee nach: „Wenn Undertaker etwas aufstößt muss es sehr sehr sauer sein.“ „Oder sehr sehr neu“, ergänzte Fred: „Ansonsten hätte er es wahrscheinlich schon einmal gesehen.“ Frank schnaubte ein weiteres Mal in seine Tasse: „Wenn er sich daran erinnert es schon mal gesehen zu haben. Was eine Scheiße.“ „Wie gewählt“, lachte Lee. „Aber passend“, pflichtete Charlie Frank bei. „Dem habe ich nie widersprochen“, schob Lee seine Hände in die weiten Ärmel seiner bunten, chinesischen Tracht. Die Diskussion ging ähnlich düster noch ein bisschen weiter und ich sackte langsam aber sicher in meinem Stuhl zusammen. Amy umarmte mich am Hals und drückte ihre Wange gegen meine, wie sie es immer tat wenn es mir nicht gut ging: „Alles wird gut, Sky. Es gibt für alles Komische eine Erklärung. Vor allem in unserer Welt.“ „Ich hab das Gefühl ich bin irgendein komischer Mutant oder so...“, seufzte ich entkräftet. Ich dachte meinen Kopf heiß. Doch ich verstand nicht warum ich etwas können sollte, was für Menschen wohl vollkommen unmöglich war. „Das wäre eine davon“, lachte Lee. „Nicht hilfreich“, schüttelte Frank den Kopf. „Die Diskussion ist beendet, William!“, krachte auf einmal eine wütende Stimme durch den Wintergarten. Ich erkannte sie sofort. Ich hatte diesen Tonfall an ihr zwar noch nie gehört, aber es war Undertakers. Der Ärger in seiner Stimme krachte einem durch Mark und Bein: „Das werdet ihr nicht tun!“ „Es ist das einzig Logische! Der Sache muss auf den Grund gegangen werden!“, kam Williams Stimme diskutierend näher. „Ich habe Nein gesagt!“, flog Undertakers Stimme laut zurück. William muss ihn mit irgendetwas mächtig verärgert haben. Sebastian und Alexander wechselten einen besorgten Blick und der Butler entfernte sich von seiner Seite. Er stellte sich vor den Tisch, wo die vier Reaper gerade ankamen und lächelte so breit und freundlich wie der Dämon es hinbekam: „Meine Herren! Warum so missgelaunt?“ „Halt deine Nase daraus, Dämon!“, fauchten William und Undertaker synchron. Sebastian hob mit großen Augen die Hände. Dann wandte sich William zu dem Totengräber: „Ich habe nicht viel Spielraum. Ich muss darauf bestehen!“ „Den Spielraum wirst du dir verschaffen müssen!“, Undertaker bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust: „Ich kümmere mich darum. Ich warne dich, weil du mein Freund bist. Schlage sie in den Wind und ich verschaffe dir Spielraum, klar?“ Grell stellte sich zwischen die Beiden und schob sie mit beiden Armen auseinander: „Um Himmelswillen! Beruhigt euch! Ihr müsst euch deswegen nicht an die Gurgel gehen! Ihr würde nichts passieren!“ „Halt die Klappe, Grell!“, fauchten die Beiden dieses Mal synchron den roten Reaper an. Dieser trat zwei Schritte zurück: „Ist ja gut! Ihr macht mir Angst!“ „Undertaker“, schüttelte William den Kopf: „Sei einmal in deinem Leben vernünftig“, seine grünen Augen bohrten sich bedeutungsschwer in seine: „Um Ihretwillen.“ Undertakers Hand sank und es sah aus, als würde er kurz zaudern. Zumindest war seine Stimme ein wenig ruhiger, als er sie wieder hob: „Ich bin dieser Idee spinnefeind! Mehr als das!“ Ronald lachte und bewegte beschwichtigend die erhobenen Hände: „Lasst uns das in Ruhe ausdiskutieren. Es nutzt niemandem, wenn ihr euch ein paar auf die Nase gebt.“ Undertaker verschränkte missgelaunt die Arme: „Ihr Shinigamis habt keine Mittel, die ich nicht auch habe.“ „Ja zum Teufel“, fauchte William: „Weil du ein Shinigami bist! Du bist DER Shinigami, zur Himmel und Hölle noch mal! Betone es nicht immer so, als seinen wir etwas Grundverschiedenes.“ 'Der Shinigami?' hob ich die Augenbraue hoch. Was meinte William damit? „Wir sind grundverschieden, William. Du und ich auf alle Fälle.“ „Aber wir sind beides Todesgötter und da kannst du zetern und meckern wie du möchtest! Und Fakt ist, dass nur Todesgötter Records sehen können. Menschen nicht! Wenn ein Mensch auf einmal Records sehen kann, muss das offiziell untersucht werden!“ Undertaker schüttelte den Kopf: „Das wird es auch werden, aber ihr müsst sie dafür nicht mitnehmen.“ Ich blinzelte. Mir war endgültig klar, dass die beiden Männer gerade versuchten eine Sache die mich direkt betraf über meinen Kopf hinweg zu entscheiden und so unterschiedlicher Meinung waren, dass sie sich fast die Köpfe einschlugen. Wut vertrieb die Verwirrung. Wenn es um und/oder über meine Person irgendwas zu entscheiden gab, hatten die Beiden mich deswegen zu fragen und nicht ihren persönlichen Hahnenkampf darüber auszutragen! Ich stand schwungvoll auf. Mein Stuhl krachte nach hinten: „Was fällt euch beiden eigentlich ein?!“ Die beiden Reaper unterbrachen ihren Streit und schauten mich an. Eine kurze geschockte Stille zog über die Frühstückstafel und ich merkte die Augen aller Anwesenden auf mir. Doch ich war so wütend, dass mir das egal war. Ich war lange genug außen vor gelassen wurden. Mir war schon mulmig genug, weil ich teilweise keine Antworten hatte und mich in Teilen selber nicht verstand und jetzt das! Ich ging an Lee und Sebastian vorbei und stellte mich mit verschränkten Armen vor die beiden Männer, die beide so viel größer waren als ich: „Wenn es irgendwelche Entscheidungen gibt, die MICH betreffen, dann unterbreitet sie doch bitte MIR, damit ICH darüber entscheiden kann!“ Die beiden Männer ergingen sich ein paar Minuten in einem peinlich berührten und irgendwie geschockten Schweigen. Undertaker seufzte schließlich: „Sky... Du verstehst noch nicht genug, um das entscheiden zu können.“ Ich stemmte die Hände in die Hüften und tippte mit einem Fuß: „Dann erkläre es mir, bevor du dir die unglaubliche Dreistigkeit erlaubst Entscheidungen für mich zu treffen!“ „Sky, ich...“ „Nichts Sky!“, fauchte ich: „Mein ganzes Leben meinten Leute für mich bestimmen zu müssen! Ich hab es satt, verdammt! Ich bin 18! Über MICH entscheide nur noch ICH! Du bist mein Freund, Undertaker! Freunde sollten einem beratend, mit bestem Wissen und Gewissen, zur Seite stehen, aber nicht für den anderen entscheiden wollen und ihn im Unklaren lassen! Was denkst du dir?! Ich bin das kleine, naive, blöde Mädchen, was das alles eh nicht versteht und von dir begluckt werden muss?!“ Undertaker musterte mich mit einem weiten Auge. Erst sagte er nichts. Dann legte er mir die Hände auf die Schultern und schüttelte irgendwie demütig den Kopf: „Du hast Recht... Verzeih mir...“ Ich legte meine Hände auf seine Schultern: „Vergeben und Vergessen. Doch nun sag mir weswegen ihr euch hier fast gegenseitig anfallt.“ Undertaker seufzte: „Diese Filme nennt man 'Cinematic Records'.“ „Ja und nur Reaper sollten sie sehen können. So weit bin ich schon, aber warum sehe ich sie auch?“ Undertaker schüttelt den Kopf: „Die Frage des Tages. Ich weiß es nicht.“ „Die Records“, hob Ronald einen Zeigefinger, jetzt wo er keine Angst mehr hatte von William und Undertaker zerfleischt zu werden, wenn er auch nur atmete: „Beinhalten alle Erinnerungen eines Sterbenden. Ob Mensch, Engel, oder Dämonen. Selbst Reaper haben einen Record.“ „Je nachdem“, übernahm Grell mit verschränkten Armen die Erklärung: „Was sie uns zeigen entscheiden wir, ob die Person wirklich stirbt oder weiter leben soll.“ „Vorausgesetzt“, schob William seine Brille hoch: „Der Körper ist weiter lebensfähig und kann gerettet werden. Das sind dann die berühmten Nahtoderfahrungen. Die Tatsache, dass jeder Sterbende sein Leben im Moment des Todes Revue passieren lässt, liegt an dem Todesgott, der gerade seinen Record durchschaut. Seelen, die nicht mitgenommen werden und deren Körper sterben, werden zu Geistern. Die aufzuspüren ist mühsam. Wir finden sie meist erst, wenn sie verrückt geworden sind und beginnen zu wüten. Es passiert immer irgendwann“, Williams Blick wanderte mit einem komischen Ausdruck zu Undertaker: „Denn Nichts ist für die Ewigkeit gemacht.“ „Auf dem Record liegen aber auch die Zukunftswünsche eines Sterbenden“, ergänzte Undertaker und erwidert Williams Blick nur kurz: „Er macht einen großen Teil der Seele aus, weil sowohl unsere Erinnerungen, wie auch unsere Wünsche uns zu einem großen Teil prägen und definieren.“ „Und... Worüber streitet ihr nun?“ „William will dich zur Untersuchung mit in das Reich der Sensenmänner nehmen. Zu Othello“, sagte Undertaker sichtlich unbegeistert von der Idee. „Othello?“, ich legte den Kopf schief: „Wer ist das?“ „Ein Forscher der forensischen Abteilung“, grinste Grell: „ Ein weiterer herzerquickender Sonderling. Er ist ein bisschen eigen, aber ganz liebenswert. Er wird gut zu dir sein.“ „Und du...“, blinzelte ich Undertaker an: „Willst das nicht? Magst du Othello nicht?“ „Oh doch, doch. Othello ist mir alles andere als unsympathisch, doch ein Mensch gehört einfach nicht in das Reich der Reaper“, sagte er: „Alles was Othello kann, kann ich auch.“ „Wir müssen es dokumentieren lassen, Undertaker“, debattierte William: „Wir müssen wissen was sie mit den Records alles tun kann. Wir sind einmal mit Angela und ihren Fähigkeiten daran herum zuschneiden fast ganz böse auf die Nase gefallen. Erinnere dich!“ Undertaker schüttelte den Kopf: „Ich erinnere mich! Ich bin nicht dement!“ „Aber mittlerweile anscheinend senil!“, stritt William: „Wir wollen sie ja nicht exekutieren! Mitnichten Undertaker! Wir töten keine Menschen, die nicht auf der Liste stehen! Unter keinen Umständen, dass ist gegen die Regeln! Du kennst sie! Das weißt du alles! Sei nicht so kindisch!“ Undertaker Hände verschwanden von meinen Schultern und er wirbelte zu William: „Halt deine Zunge im Zaum, du Wurm!“ „Erst, wenn du wieder zu denken beginnst!“ Ich schüttelte genervt den Kopf und schaute stöhnend nach oben: „Wie im Kindergarten...“ Ich ging zu Tisch, nahm mir zwei leere Metalltablette und ging zu den beiden streitenden Vögeln. Neben den Ohren der Beiden schlug ich sie krachend aneinander: „Hallo! Habt ihr's bald?!“ Die beiden Sensenmänner traten zuckend einen Schritt zur Seite. Nicht damit rechnend so unterbrochen zu werden, rieben sie sich das empfindliche Ohr. „Ich gehe mit ihnen“, sagte ich beiläufig und gab einem erstaunten Sebastian die Tabletts. Die Köpfe der Beiden flogen zu mir. „Sky!“, machte Undertaker. Doch ich verschränkte nur die Arme: „Komm doch einfach mit. Wenn Grell, Ronald und William sagen mir passiert nichts, glaube ich ihnen und wenn es für sie so wichtig ist, dass dieser Othello mich mal unter die Lupe nimmt, dann soll er.“ Undertaker seufzte: „Bist du dir sicher?“ Ich lächelte: „Ich tippe Menschen haben nicht oft die Chance sich deine alte Heimat mal anzuschauen, oder?“ „Meine... alte Heimat...?“, blinzelte er mich fragend an. Ich nickte lächelnd: „Du bist auch ein Sensenmann. Du hast mir doch selbst erzählt, du hast mal dort gelebt.“ Der Bestatter nickte langsam: „Ja, in der Tat, aber was hat das mit deiner Entscheidung zu tun?“ Ich breitete lächelnd die Hände aus: „Ich bin neugierig und will alles mitnehmen, was ich sehen kann!“ Ich hörte Undertaker kurz durch die Nase lachen, als wieder ein Lächeln auf seine geschwungenen Lippen flog. Er wuschelte mir, die andere Hand in der Hosentasche, durch die Haare: „Du bist unglaublich.“ „Sagt der Richtige“, grinste ich. Undertaker lachte: „Da hast du schon wieder Recht. Du bist eine imposante, junge Frau, Skyler Rosewell. Respekt.“ Ich verschränkte die Hände hinter dem Rücken und legte geschmeichelt mein leicht rosanes Gesicht schief: „Ach. Ich hatte einen guten Lehrer im Vorlaut sein.“ Undertaker lachte schriller: „Tehehehehehe! Ich weiß gar nicht wen du meinen könntest!“ Ich lächelte William an: „Also. Wann geht’s los, Mr. Spears?“ Dieser verschränkte die Arme: „Von uns aus sofort.“ „Dann los!“, nahm ich Undertaker bei der Hand, der immer noch nicht so ganz glücklich mit meiner Entscheidung zu sein schien und machte mich mit den Reapern auf den Weg in eine ganz neue Welt. Undertaker » Jeden Freitag verwandelt der Meister die zwölf Müllerburschen in Raben. Husch, auf die Stange!...« „Sie wird wieder, oder?“ „Hehe. Ja, doch...“, » ...Einige Wörter haben auch Platz darauf genommen. Sind sie an die richtige Stelle geflattert?... « „Ganz sicher? Ich meine... sie wacht bald wieder auf, oder?“ „Hehe. Ja, doch...“,» ...Und nun war er selber in eine von diesen Hüften geraten, die zwar als Zeit galt;... « „Und ganz gesund wird sie auch, oder?“ „Hehe. Ja, doch...“,» ...doch es schien sich, zumindest im näheren Tisch, herumgesprochen zu haben, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zuging:... « „Und...?“ „Amy“, ich klappte das Buch zu, welches ich seit nun mehr als 1 Stunde zu lesen versuchte und legte es auf meine überschlagenen Beine: „Beruhige dich und gehe endlich ins Bett.“ „Wie kannst du so ruhig bleiben?!“, fragte die jüngste Phantomhive empört: „Sie ist K.O.!... Mal wieder... Das kann doch nicht angehen!“ „Sie braucht Zeit, Amy“, legte ich der wilden Schwarzhaarigen meine Hand auf die Schulter. Sie saß auf der Bettkante ihrer besten Freundin und hibbelte nervös hin und her, während sie mir ein Ohr abkaute. Fakt war, dass ich ruhiger wirkte als ich war, was mein auf und ab wackelnder Fuß eigentlich verriet. Ich wusste nicht, ob es wirklich nur Amys ständige Unterbrechungen waren oder die allgemeine Unruhe in mir selbst, die mich vom Lesen abhielt. Ich stützte eine Wange auf meine Hand und gleichzeitig gegen eine der Kopfstützen, als ich ein Gähnen unterdrückte. „Du siehst müde aus“, stellte Amy fest: „Du solltest dich hinlegen.“ Ich schüttelte den Kopf: „Ich brauche nicht so viel Schlaf.“ „Aber du brauchst ihn.“ „Hehe. Kleine aufgewühlte Adelstöchter brauchen ihn viel dringender.“ „Ich könnte doch eh nicht schlafen!“, warf Amy ihre Arme hoch: „Was ist, wenn sie eine Gehirnerschütterung hat?! Oder eine Haarrissfraktur! Oder Gehirnblutungen! Oder...!“ Ich nahm Amys Gesicht in die Hände: „Oder, oder, oder. Seit wann vertraust du Sebastians Urteil nicht mehr Amy?“ „Es... es geht um Sky...“ „Und sie wird wieder.“ „Warum... Woher weißt du das?!“ „Weil Sebastian sie unter die Lupe genommen hat und sich sicher ist, dass ihr nichts passiert ist. Außerdem ist sie so stur wie du. Sie wird schon allein aus dem Grund wieder aufwachen, weil sie Claude den Triumph nicht gönnt. Hehehe.“ Amy lachte leise. Ich tat es ihr gleich und ließ meine Hände sinken. Die Tür ging auf: „Junge Lady?“ „Sebastian“, machte Amy. Der Butler kam im 10 Minuten Takt durch diese Türe, weil er ebenso verzweifelt wie ich versuchte die junge Phantomhive in ihr Bett zu bekommen. Er öffnete sie jetzt übrigens zum 7ten mal. Meine Nervosität machte das ständige Auf und Zu dieser Tür allerdings nicht besser. „Junge Lady. Wir haben halb 2 Uhr morgens. Ihr solltet wirklich zu Bett gehen.“ „Aber...“ „Amy“, ich schnaubte einmal kurz: „Wir müssen uns, zum ersten, nicht beide die Nacht hier um die Ohren schlagen und, zum zweiten, wäre Skyler gar nicht begeistert zu hören, dass du dir hier die Nacht um die Ohren schlägst. Hehe.“ „Sie wäre auch nicht begeistert, dass du dir hier die Nacht um die Ohren schlägst!“ „Hehe. Gehe mit Sebastian“, ging ich auf ihre Bemerkung nicht ein, weil sie wahr war: „Trink einen Tee und lege dich bitte endlich schlafen.“ „Warum wollt ihr so unbedingt, dass ich Sky alleine lasse?!“ „Ehehe. Du wackelst herum, redest ohne Punkt und Komma und malst ohne Pause schwarze Bilder“, ich schüttelte den Kopf: „Du bist mein Lieblingsnervenbündel liebste Amber, hehe, aber gerade gehst du mir einfach furchtbar auf den Keks.“ Amy schaute mich böse an: „Ey!“ Ich lachte: „Ehehe. Es ist wie es ist. Zwinge mich nicht dich hinter Sebastian her zu tragen.“ Amber seufzte: „Ich habe keine Wahl mehr, oder?“ Der Butler schüttelte gespielt, milde lächelnd den Kopf: „Nein, junge Lady, es sieht nicht so aus.“ Die kleine Phantomhive erhob sich seufzend und mehr als nur widerstrebend, doch sich ergebend: „Du... bleibst hier und passt auf?“ Ich nickte: „Schlaf gut, kleines Nervenbündel. Hehe.“ „Schlaf du auch gut, großer Verrückter“, konterte die Phantomhive und verließ das Zimmer. Sebastian wandte sich zwar um, blieb aber kurz neben mir stehen: „Du liest nicht Poe?“ Ich lachte: „Ehehehehe! 'Says the raven nevermore'! Kann ich schon auswendig aufsagen. Vorwärts, Rückwärts und diagonal.“ Eine Augenbraue des Butlers wandert nach oben: „Krabat ist ein Jugendbuch.“ „Tehehehehe! Na und? Würdest du mich nicht als jugendlich genug bezeichnen um ein Jugendbuch zu lesen?“ Die Augenbraue des Butlers wandert noch höher: „'Jugendlich' wäre nun wirklich kein Adjektiv was ich auf dich verwenden würde, auch wenn es teilweise scheint deine Pubertät endet nie.“ „Die kleine Privatfehde zwischen dir und Claude könnte man aber auch wunderbar als 'Zickenkrieg' bezeichnen, findest du nicht auch. Ehehehe!“, klappte ich das Buch wieder auf. Sebastian seufzte und schien nicht annähernd auf meinen Kommentar eingehen zu wollen: „Es ist eh nur Beschäftigungstherapie, richtig?“ „Wer weiß wann unser Dornröschen wieder aufwacht, nehehe!“ „Kann ich dir irgendetwas bringen?“, fragte der Butler, weil es seine Pflicht war sich um die Gäste seines Meisters zu kümmern. Auch wenn ich es war. „Einen Tee, wenn du so überaus liebenswürdig wärst. Hehehe.“ „... Könntest du normal fragen?“, schauderte der Butler. „Ehehe! Bin ich normal?“, senkte ich meine Augen in das Buch. Halb seufzend, halb lachend entschwand der Dämon. » ...Was sonst hätte wohl... ZZzz... die Gedanken vom... ZZzz... Koraktor ferngehalten? ...ZZzz... Dem Jungen blieb keine Mühle, ...ZZzz... sich darüber ...ZZzz... Leute zu machen... ZZzz... Der Abschnitt... ZZzz... hatte sich wieder hinter den Umkreis gesetzt... ZZzz... und fing an,... «, das Herabfallen meines Kopfes weckte mich. Schon fast genervt schob ich meine Brille nach oben und rieb mir gähnend durch die brennenden Augen. Auf die Kontaktlinsen konnte ich es dieses Mal nicht schieben. Denn die kleinen Dinger hatte ich schon vor über einer Stunde auf Grells Anraten herausgenommen. Genau wie ich das Hemd mit den vielen kleinen verräterischen Blutflecken ausgetauscht hatte. Ich war einfach mittlerweile müde. Shinigami brauchen weniger Schlaf als Menschen (es sei denn sie hören auf den Namen William), doch sie brauchten ihn und so langsam schwant mir ich hatte davon in der letzten Zeit definitiv zu wenig abbekommen. Dieser Umstand rächte sich nun. Jetzt, wo ich es wirklich nicht gebrauchen konnte. „Bitte“, erschien eine blau-weiße Teetasse vor meiner Nase: „13 Stücke Zucker.“ Der Geruch von Darjeeling stieg mir in selbige und ich blinzelte, als ich meinen Kopf hob, da ich die Türe nicht gehört hatte. Ich nahm die Tasse an der Untertasse und nahm einen Schluck: „Hehe. Danke.“ „Warum schlägst du dir die Nacht um die Ohren, Undertaker?“ „Weil ich es will, Sebastian.“ „Und“, lachte der Butler: „Wieso?“ „Aus Gründen, Dämon.“ Sebastian lachte lauter und schaute mich vielsagend an: „Wie du meinst“, er wandte sich ab: „Es scheint mir als wäre unsere junge Miss Rosewell nicht die Einzige, die sich an jemandem einen Narren gefressen hat.“ Ich lachte: „Ehehehehe! Ich mag es einfach nicht, wenn böse Dämonen kleinen Mädchen an die Gurgel gehen.“ „Wenn du es sagst“, legte der Butler die Hand an die Türklinke: „ Ich wünsche eine ruhige Nacht.“ „Ehehehe! Träum süß.“ Ich hörte den Butler aufstöhnen bevor die Türe klickend ins Schloss fiel. Ich trank meinen Tee und schaute der jungen Skyler in das schlafende Gesicht. Ich wusste, dass auf Sebastians Einschätzung verlass war, aber etwas hinten in meinem Kopf zitierte Amy: 'Was ist, wenn sie eine Gehirnerschütterung hat?! Oder eine Haarrissfraktur! Oder Gehirnblutungen!' 'Ja', seufzte ich in meinen Gedanken: 'Was ist wenn?' Ich würde die Art und Weise wie ich Claude umbringe noch einmal überdenken. Ich würde auch noch einmal darüber philosophieren, wie ich ihm seinen Meister hinterher schicke. Wut flackerte ein weiteres Mal heiß durch meine Eingeweide. Mit spitzen Fingern legte ich den Teebeutel auf die Untertasse und trank einen Schluck von dem wirklich ausgezeichneten Darjeeling. Es war Kaffeeersatz. Dem Butler war nicht entgangen wie schläfrig ich war und es war das Nächstbeste, da ich der schwarzen Bohnenbrühe nun wirklich nichts abgewinnen konnte. Doch ich hatte gerade keinen Sinn dafür übrig wie gut der Tee schmeckte. Ich war zu sehr damit beschäftigt in meinen Gedanken Claudes Innerstes nach außen zu kehren: 'Irgendwann mein dämonischer Freund.' Die Tasse war schnell leer und ich stellte sie auf die Kommode rechter Hand. Nachdem ich mich gestreckt hatte, legte ich nach einem langen Seufzer meine Augen wieder in mein Buch: » ...einen Meister aus dem Koselbruch vorzulesen:... « Mein Blick fiel ein weiteres Mal in Skylers Gesicht. Es war still in dem Raum, der lediglich von einer kleinen Kerze erhellt wurde die auf der Kommode stand. Nur das leise Atmen der schönen Brünetten brach die Stille sanft und gleichmäßig. 'Was ist, wenn sie eine Gehirnerschütterung hat?! Oder eine Haarrissfraktur! Oder Gehirnblutungen!', hallte wieder Amy durch meinen Kopf. Es war Blödsinn. Das junge Ding hatte eine kleine Platzwunde. Nicht mehr: 'Wieso? Wieso hat Claude sie nicht getötet? Ihr mit einem Tritt das Genick zu brechen wäre kein Problem gewesen.' Es nützte nichts. Diese Antworten bekam ich nicht. Ich konnte nur froh sein, dass es so glimpflich ausgegangen war, wie es ausgegangen war. » ...langsam, ...ZZzz... in singendem Tonfall, wobei ...ZZzz... er sich steif in den Schulen ...ZZzz... vor und zurück wiegte, ...ZZzz... vor und zurück ...ZZZZzzzzzz...«, immer und immer wieder fielen meine Augen zu. Der Tee hatte nichts genutzt. Irgendwann blieben sie einfach geschlossen und der orangene Schein der Kerze verschwand. Eine Hand erschien auf meinem Gesicht. Ich war mir erst nicht sicher, ob ich träumte. Ich stellte nur verwundert fest, dass ich noch halb am schlafen war. Die Hand war so herrlich warm wie das orangene Licht, welches langsam aber sicher wieder durch meine Lider in meinen Verstand kroch, unterbrochen von einem schlanken Schatten. Das Gewicht des Buches erschien wieder in meiner Hand und meine Finger zuckten einmal unter meinem wiederkehrenden Bewusstsein. Die sanfte Berührung der warmen Hand schickte einen unterschwelligen Schmerz durch meine Wange. Eine Stimme holte meine Gedanken endgültig zurück, auch wenn sie teerzäh waren: „Dir ist also doch etwas passiert...“ Diese Stimme erkannte ich wohl. Sofort. Doch meine Lider fühlten sich zum Öffnen einfach zu schwer an: '...Sky?' „Ich wollte doch nicht, dass dir etwas passiert...“, sprach sie traurig weiter. '...Bitte?... Meint sie... etwa den kleinen Kratzer?' Ich hatte mich der Existenz der kleinen Blessur gerade erst erinnert. Sie war wirklich klein und eigentlich nicht der Rede wert, doch für das brünette Ding schien sie schon zu viel. Gut, dass sie die vielen kleinen Löcher in meinem Oberkörper nicht sah, die ich durch die vielen Federn zurückbehalten hatte. So zartbesaitet stand dem jungen Ding in dieser Villa einiges bevor. Es war nie gesagt ob uns, Mensch, Sensenmann oder Dämon nicht doch irgendwann irgendetwas passierte. Etwas was schlimmer war, als ein Kratzer im Gesicht. Die Natur war unberechenbar, das Schicksal launisch und unser Karma nicht zwingend gut ausbalanciert. Die Hand verschwand. Wieder herrschte Stille. Nur der Schatten in dem orangenen Schein verriet mir, dass Skyler wohl immer noch vor mir stand. „Es tut mir leid...“, ertönt es irgendwann und ich merkte Bewegung in meinem Pony. Strähnen wischten kitzelnd über meine Haut und hüpften dann ins Nirgendwo. '...Bitte?...' „Es tut mir so leid. Ich muss eine echte Plage sein...“ '...Plage? Natürlich!', zog ich meinen Mund zu einem Grinsen: „Wie kommst du denn auf diesen vollkommen unsinnigen Gedanken?“ Was denkt sich das junge Ding denn? Als ich meine Augen endlich aufschlagen konnte, fühlte ich die Augenringe darunter nur überdeutlich. „Du bist wach?“, zuckte die Brünette zurück. Jetzt, wo ich sie sah, wallte mir die Erleichterung warm durch Magen und Herz: 'Wach! Sie ist wach...' Und es geht ihr augenscheinlich gut. Eine Horde Steine rollte mein Herz hinunter und rissen den kleinen ängstlichen Gedanken, der immerzu Amy zitterte, mit in die Tiefe wo er in dem großen See aus warmer Freude ertrank. Ich schnappte sie mit meiner Rechten am Handgelenk und zog sie auf meinen Schoss. Impulskontrolle war noch nie meine Meisterdisziplin gewesen und das Unterdrücken spontaner Eingebungen noch viel weniger. Doch ich bereute diese mehr unüberlegte Aktion nicht im Geringsten: „Jetzt ja. Tehe.“ Skyler blinzelte mir irgendwo zwischen geschockt, verwirrt und überfordert entgegen, als ich ihr meine Nase ins Gesicht gereckt hatte. Ihr gerade etwas blasseres Gesicht blühte auf einmal in einem satten Zinnoberrot. „Ich“, senkte sie den Kopf: „Wollte dich nicht wecken... tut mir leid...“ Doch zu meiner Überraschung und großen Freude sprang das junge Ding nicht gleich wieder auf. Beschämt und hemmungslos überfordert blieb sie sitzen. Aber sie blieb sitzen. Ein wohliges Gefühl mischte sich in das Warm meiner Erleichterung und ich reckte Arme und Rücken, um den Schlaf endgültig aus meinem Körper zu vertreiben. Mein Rücken knackte an drei Stellen schmerzhaft, doch verschluckte das Wohlgefühl diese kleine Negativempfindung sofort. Ich ließ meine Arme fallen, die nun locker um das junge Ding lagen. Langsam wurde ich der Müdigkeit gänzlich Herr und dieses Mal widerstand ich der spontanen Eingebung meine Stirn in Skylers Halsbeuge zulegen und die Augen zu schließen. Ich glaube dann hätte mich niemand mehr geweckt. „Ach, wie wo“, grinste ich stattdessen: „Geht es dir gut?“ Sie nickte eifrig ohne den Kopf hochzunehmen: „Ja, ja. Mir... ich hab nur ein bisschen Kopfschmerzen... Es tut mir leid...“ „Was denn?“, kratzte meine Stimme durch den Raum. „Naja... dass ich... mal wieder... einfach... umgefallen bin...“ Ich zog eine Augenbraue nach oben. Keiner hier hätte erwartet, dass sie Claude etwas entgegensetzen könnte. Sie hatte die Situation mit den Mitteln gerettet, die sie hatte. Doch das schien ihr gar nicht bewusst zu sein. Sie schien nur zu denken ein zusätzlicher Ballast in einer unschönen Situation gewesen zu sein. Was Blödsinn war. Ich drehte ihren Kopf am Kinn zu mir, wie ich es immer tat wenn sie meinem Blick ausweichen wollte. Denn jede Sekunde, die ich diese Augen nicht sah, fühlte sich verschwendet an. „Du bist aber schon ein bisschen bekloppt, oder?“, zogen sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln: „Das du 'mal wieder einfach umgefallen' bist? Du hast eine Menge ausgehalten. Du bist der Grund warum Amy nichts passiert ist.“ „Ich bin... was?“, blinzelte sie mir irritiert mit ihren großen, himmelblauen Augen entgegen. „Ich hab dich rufen hören. Ohne dich hätten wir nicht mitbekommen, dass Claude Amy gehascht hat.“ „Du hast.... du hast mich rufen hören? Aber ihr wart doch im... im Südflügel.“ Ein kleines Lachen stahl sich mit meinem ersten Gedanken aus meiner kratzenden Kehle: „Ich könnte am anderen Ende der Welt sein. Ich würde dich immer rufen hören.“ Sie lächelte verhalten: „Das ist... süß von dir.“ Die Wärme in meinem Herzen wurde kurz noch wärmer, wurde aber dann von einem spitzen kalten Stechen rapide abgekühlt: „Außerdem muss ich mich entschuldigen.“ „Wofür?“ Ich fuhr ihr behutsam über das weiße Pflaster an ihrer Schläfe und durch die so herrlich weichen Haare. „Deswegen“, wurde das Gefühl in mir kälter und etwas drückte in meiner Brust: „Trotz allem war ich zu spät und du bist verletzt.“ „Hast du sie noch alle?“, fuhr sie mich an, was mich blinzeln ließ: „Du rettest mir am laufenden Band das Leben und entschuldigst dich?“ „Das hätte nicht passieren dürfen“, entgegnete ich ihr: „Des Weiteren wurde dir deine Geburtstagsfeier gesprengt. Ich wollte eigentlich dafür sorgen, dass sie besser wird als die anderen.“ Sie machte große Augen und schluckte. „Ach Quatsch!“, machte sie schließlich: „Es geht mir doch gut! Das wird schnell wieder verheilt sein und des Weiteren war das nicht meine Geburtstagsfeier! Es war nur zufällig am selben Tag und deine Schuld war das ganz sicher nicht!“ Ein leises Lachen entfuhr mir aufgrund dieser erquickend naiven Annahme: „Du kennst Amy und denkst das wirklich?“ „Aber... Alex meinte...“ „Alex ist ein verdammt guter Lügner. Wie die ganze Bande. Sie wussten alle Bescheid. Wir wollten, dass du eine schöne Feier hast, doch leider... kam uns da etwas in die Quere...“, ich schlug die Augen nieder, als ich mir meines Versagens erst in vollem Umfang bewusst wurde. Ich hätte Claude hören müssen bevor er uns die Hunde auf den Hals hetzen konnte. Doch ich war zu abgelenkt gewesen. Ich hätte kontrollieren müssen, ob er wirklich verschwunden war. Doch ich war mir zu sicher gewesen, dass er es nicht zweimal hintereinander versuchen würde. Zwei Fehler, die ich mir nicht hatte leisten können. Claude hatte uns besser eingeschätzt als wir ihn und die vermeintliche Ruhe nach dem Sturm genutzt. Die Hunde waren nur dafür da gewesen uns mit unserem Sieg in Sicherheit zu wiegen und erneut zu schlagen. Fast erfolgreich. Doch Skyler hatte die Situation kippen können. „Trotz allem!“, lachte Skyler auf meinem Schoss und ich hob die Augen in ihr Gesicht. Sie strahlte mir mit einem atemberaubend schiefen Lächeln entgegen: „War das die beste Geburtstagsfeier meines Lebens! Ich hatte so viel Spaß! Und das zum größten Teil dank dir! Ich danke dir, Undertaker!“ Ihr Lächeln und ihre Worte zündeten die Wärme in meinem Herzen wieder an und brachten mein Lächeln zurück. Ich strich ihr über die Wange, als ich meine Augen nicht von diesem Lächeln abwenden konnte: „Doch nicht dafür.“ „Oh doch! Aber...“, sie deutete mit schief gelegten Kopf in mein Gesicht: „Was ist mit deiner Wange passiert?“ Lachend wackelte ich mit dem Kopf. Ich hatte auf diese Frage fast gewartet. Das machte die Antwort nur leider nicht einfacher. „Hehe. Denk nicht darüber nach. Das ist nun wirklich nichts Gravierendes“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen. „Das war Claude, oder?“ „Nein“, schüttelte ich seufzend und ein wenig in Erklärungsnot den Kopf: „Das war nicht Claude.“ „Bitte? Wer dann?“ Meine Hand rutschte aus ihrem Haar: „Das... ist nichts ganz einfach erklärt.“ Mit einem Kopfschütteln richtete sie ihren Blick nach unten: „Weil du mir erst erklären müsstest was gestern im Ballsaal passiert ist, oder?“ „Ja.“ Ich wusste, ich hatte ihr Antworten versprochen. Und ich hielt meine Versprechen. Immer. Auch dieses. Doch ich merkte eine unterschwellig schwelende Nervosität, als ich anfing ein weiteres Mal in meinem Hinterkopf darüber nach zu denken wie sie die Wahrheit verkraften würde. Leugnen konnte ich nichts mehr. Ich wollte es auch ehrlich nicht. Ich wollte die Karten auf den Tisch legen, wie sie waren. Sie hatte es verdient und ich konnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren eine Freundschaft zu diesem bezaubernden Ding zu halten, welche auf dem Auslassen meiner wahren Natur basierte. Dieses Gerüst wäre wackelig und zum Einstürzen verurteilt. Wenn das geschah ging sie auf jeden Fall. Die Wahrheit wärt halt immer noch am längsten. Ich wollte nicht, dass sie ging und der Gedanke es vielleicht nicht verhindern zu können war fast lähmend. Ich drückte sie an mich bei dem quälenden Gedanken, sie könne mir weg laufen: „Es tut mir leid, meine schöne Puppe. Du hättest das nicht sehen sollen.“ Doch anstatt zu laufen legte sie ihren Kopf schüttelnd an meine Schulter: „Auch das war nicht deine Schuld. Wärst du nicht da gewesen, wäre ich jetzt nicht mehr da.“ „Das würde ich nie zulassen.“ Skyler schwieg. Von schräg oben sah ich ganz viele Gedanken in ihren Augen. So unendlich viele Fragen. Natürlich hatte sie Fragen. Natürlich hatte sie gemerkt, dass in dieser Villa die Welt anders war. Ich fuhr ihr ein weiteres Mal durch das weiche Haar: „Worüber denkst du nach?“ Sie seufzte seicht: „Über Gestern... Ich versteh das alles nicht. Aber ich habe das Gefühl... Es war erst der Anfang...“ Nun schüttelte ich den Kopf: „Diese Fehde zieht sich schon über Generationen. Oliver fängt gerade erst an. Doch die Trancys, die versuchen schon seit Jahren die Phantomhives auszuschalten.“ Skylers Füße begangen unruhig zu wippen: „Wirst du es mir erklären? Alles? Über die Trancys und die Phantomhives? Über die Hunde? Über... über dich?“ Ich nickte in Anbetracht des Zitterns in ihrer Stimme: „Wenn du das wirklich wissen willst.“ „Ja. Ich will das wissen“, schaute sie mir ins Gesicht. „Dann bleibt noch die Frage, ob du mir das alles auch glauben wirst.“ Das war nämlich die erste Hürde. Ich war nun wirklich nicht die Person, die jeder sofort mit dem Wort 'Zurechnungsfähig' beschreiben würde. Ich wollte es so. Doch es war zu gleichen Teilen gut wie schlecht. Wenn jemand wie ich einem etwas über dämonische Butler und seelensammelnde Sonderlinge erzählte, könnte man auch auf schlichte Geisteskrankheit plädieren. Vollkommen zu Recht. Doch die kleine Sky lachte leise: „Undertaker. Ich wurde von riesigen, Feuer spuckenden Hunden angegriffen. Die haben dich nebenbei auch eigentlich geröstet und du müsstest tot und gut durch sein. Es gibt, glaube ich, nicht mehr viel was ich nicht glaube.“ „Nun gut“, legte ich den Kopf schief und musterte das junge Ding von oben bis unten. Ich vergewisserte mich kurz, ob sie überhaupt in der Lage war die Wahrheit zu verkraften oder ich es auf später verlegen sollte. Doch Skyler wirkte fitter als ich: „Dann stell mir Fragen und ich antworte dir.“ „Warum so plötzlich?“, wippten ihre Füße heftiger. Mir ging auf, dass ich es gar nicht mehr hätte verschieben konnte. Ruhe würde sie in diesem Ungleichgewicht aus Gesehenen und Gewusstem nicht finden: „Ich hab jetzt die Erlaubnis dazu.“ Alexander hatte es zwar nicht direkt gesagt, doch da er Skyler eh unterrichten wollte war es wohl eigentlich egal wer es letzten Endes wirklich tat. „Von... wem?“, fragte Skyler grübelnd. „Alexander.“ „Amys Vater?“, erschienen noch mehr Fragen in ihrem feinen Gesicht. „Genau.“ „Aber... aber...“, sie wedelte mit den Armen und rutschte doch von meinen Beinen. Sie ging vor mir auf und ab. „Ist... alles in Ordnung?“, fragte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie stand vollkommen unter Strom. Ihre Anspannung war spürbar. Sie schüttelte den braunen Schopf: „Ich... Ich weiß nicht... Ich... versteh das alles einfach nicht und... bin nervös... unruhig... ich kann gerade einfach nicht sitzen.“ Ich stand auf und packte Skyler an den Schultern, nachdem ich mein Buch neben meine Teetasse gelegt hatte. „Frische Luft?“, legte ich lächelnd den Kopf schief, in der Hoffnung ihr damit etwas Sicherheit wiederzugeben, die sie durch das Erlebte verloren zu haben schien. In einer Welt die man nicht versteht fühlte man sich natürlich nicht sicher. „Das ist vielleicht... keine schlechte Idee...“, murmelte sie dem Boden entgegen. Ich warf einen Seitenblick auf die Uhr: „Was hältst du von einem nachmitternächtlichen Spaziergang im Garten? Er hat viele schöne Ecken.“ Die Schülerin hob blinzelnd ihren Kopf: „Wie spät ist es?“ „Drei Uhr früh“, grinste ich. „Oh. Bist du... nicht müde?“ „Nehehehe! Ich brauche nicht so viel Schlaf“, drückte ich mich um ein ehrliches Ja. „Du siehst zumindest nicht so aus, als hättest du davon in letzter Zeit viel gehabt...“, sprach die Brünette nicht gerade von meinen Worten überzeugt. „Das stimmt“, grinste ich wahrheitsgemäß: „Doch das ist gerade nicht wirklich wichtig, oder?“ „Für mich schon. Im Moment siehst du aus, wie die Leute um die du dich kümmerst.“ Ich musste aufgrund dieses Vergleiches wieder lachen: „Naja. Wenn ich nach dem gehe, was ich sonst alles zu hören kriege, sehe ich ihnen generell recht ähnlich. Tihihihi.“ Skyler hob ihre Augenbraue. Ich hob meinen Zeigefinger in der Hoffnung ihre Gedanken von meinem gepeinigten Schlafrhythmus weg zu bekommen. Doch sie räusperte sich nur und ich musste feststellen, dass sie es mir so leicht dieses Mal doch nicht machte. „Warum?“, fragte sie ein weiteres Mal nach. „Hehe. Interessiert dich das gerade wirklich? Ist das gerade wirklich, was du fragen möchtest?“ „Ja“, legte sie unbeeindruckt von all meinen Bemühungen den Kopf schief: „Habe ich nicht die Zeit Beides zu fragen? Du läufst mir ja nicht weg...“ Sie brach ab. Ich kam selbst ins Stocken, als sie ihren Satz nicht beendete. Ein Teil fehlte. Ein wichtiger Teil. Ein Teil, der dem jungen Ding irgendwie übel zuzusetzen schien. „...Oder?“, komplettierte sie ihren Satz. Die Erkenntnis sprang mir ins Gesicht. Dieses Wort erklärte ihr stocken und zaudern. Sie hatte Angst ich könnte verschwinden, so wie ich Angst hatte sie könnte verschwinden. Der Gedanke, dass wir uns diese Angst zu teilen schien, schmeckte komisch. Nur nicht zwingend schlecht. Natürlich wollte ich nicht, dass sie vor Irgendetwas Angst hatte, doch jemand der Angst hatte etwas zu verlieren lief in der Regel nicht freiwillig davor weg. In der Regel sagte das Etwas aber auch nicht: 'Ach übrigens: Ich bin gar kein Mensch.' Inwieweit dies die Karten wirklich noch einmal mischte war also dahingestellt. Doch ich lächelte ihr entgegen. Angst, dass ich weglaufe, musste sie nun wirklich nicht haben. Ich brachte nur nicht über die Lippen ihr zu sagen, warum ich nie weglaufen würde. Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich Angst hatte, dass sie mir wegläuft. Mein Kopf schrie es, doch mein Mund bekam nur ein Grinsen und Wörter zustande, die meine Gefühle nicht annähernd gänzlich beschrieben: „Natürlich hast du das! Und natürlich tue ich das nicht!“ Doch anstatt erleichtert zu wirken, schaute sie seufzend nach unten: „Naja... so natürlich ist das gar nicht.“ Ich hatte das starke Gefühl, dass sie wieder Erfahrungswerte quälten. Das war so tragisch. Ihr zerstörtes Vertrauen in alles und jeden war so unendlich tragisch. „Für mich schon“, wollte ich ihr mit meinen Daumen die schlechten Erinnerungen vom Gesicht streicheln. Ihr dünnes, falsches Lächeln blitzte mir so eisig und scharf entgegen. Ich wusste sie tat es nicht mit Absicht, aber ich hasste diesen Gesichtsausdruck. Er war immer noch das Schlimmste was ich je gesehen hatte. Und ich hatte jeden Krieg der Menschheitsgeschichte hautnah miterlebt. Aus der Sicht derer, die ihn verloren hatten. Ich ging in die Knie und hielt der jungen Frau ihre Schuhe vor die Nase. Ich wusste bei diesem Ausdruck kämpfte ich auf verlorenem Posten. Er hatte sich in das Mädchen eingebrannt: „Sollen wir?“ Skyler nickte und verzog ihr Lächeln weiter. Sie wollte mir damit ein gutes Gefühl vermitteln. Das es so gar nicht funktionierte, sondern das totale Gegenteil bewirkte war schon irgendwie dramatisch. Ich seufzte in der Hoffnung die Tortur zu beenden, die dieses Lächeln für beide Seiten darstellte: Die Tortur es halten und die Tortur es sehen zu müssen. Während die junge Frau ihre Schuhe anzog, nahm ich meinen Mantel von der Stuhllehne. Es war kalt draußen. In ihrem Kleid würde sie frieren. Sie fror eh eigentlich immer. Sie harkte sich sofort in meinen Arm, als ich ihn ihr hinhielt. Die Flure lagen dunkel und still vor uns. „Also. Warum bist du so müde?“, ließ sich Skyler einfach nicht von dem Thema abbringen, über das ich eigentlich nicht sprechen wollte. Es würde in einem schlechten Gewissen ihrerseits enden. Das war für mich so sicher wie das Amen in der Kirche. „Tihi. Ich bin nicht müde“, versuchte ich weiter meine vorherige Schläfrigkeit tot zu schweigen. Die Wahrheit war, dass ich mittlerweile wirklich nicht mehr müde war. Die Nervosität ihr Rede und Antwort zu stehen hatte mich gänzlich wachgerüttelt. Doch sie zog nur ihre Augenbraue hoch: „Aha? Deshalb auch die Augenringe. Weil du nicht müde bist.“ Ich lachte wieder: „Nur weil ich nicht so viel geschlafen habe, heißt es nicht ich sei müde.“ Ich kam tatsächlich immer sehr gut durch den Tag, war ich erst einmal wach. Nicht selten schlug ich mir ganz freiwillig die Nächte um die Ohren. „Aber... warum hast du so wenig geschlafen?“ „Nun ja“, grinste ich und ließ den Flur nicht aus den Augen. Das Claude noch einmal auftauchte, war wirklich unwahrscheinlich, doch ich kam aus einer grundlegenden Alarmbereitschaft nicht mehr so ganz heraus: „Ich hatte die letzten Tage öfter Besuch, weswegen ich meine Arbeit zu etwas unüblicheren Zeiten vollrichten musste.“ Sky blieb so abrupt stehen, dass ich es ihr erst einen Schritt später gleichtun konnte: „We... Wegen mir? Warum... hast du nichts gesagt?! Dann hätte ich dich in Ruhe gelassen!“ 'Wie erwartet', lachte ich in Gedanken wie äußerlich: „Genau das hatte ich befürchtet und deswegen geschwiegen. Hehe.“ „Wie... meinst du das?“ Ich zog meinen ganzen Mund zu einem Zähne zeigenden Grinsen: „Ich habe dich gerne bei mir. Ich wollte nicht, dass du weg bleibst. Die letzten Tage waren mit die Besten des ganzen Jahres!“ Ein rotes und geschmeicheltes Lächeln erschien auf ihren Gesicht, als ihre Augen davon wanderten: „Wirklich?“ Mit einem leisen Lachen ging ich weiter: „Du weißt doch, ich lüge nicht. Auch nicht um jungen, schönen Mädchen ein Kompliment zu machen.“ Ich stieß die Türe zum Garten auf. Kalter Wind schlug uns entgegen und wehte mir die Haare aus dem Gesicht. Skyler schüttelte sich und seufzte: „Ich muss noch mal zurück... Ich habe meine Jacke vergessen...“ Ich musste ein weiteres Mal grinsen, als es so kam wie ich es stumm prophezeit hatte und warf ihr meinen Mantel über. Sie schaute mich an: „Und du?“ „Ich brauche ihn eigentlich gar nicht“, ging ich grinsend durch die Türe. „Aber... Du trägst doch nur ein Hemd! Frierst du nicht?“ „Nein“, lachte ich neckisch: „Tihihihi! Und wenigstens ist es mehr als ein T-Shirt oder?“ Shinigami froren wirklich nicht allzu schnell. Unsere Körpertemperatur war viel niedriger als die der Menschen und wir waren viel robuster. Der kalte Wind tat wirklich gut. Ein bisschen linderte er die schwelende Nervosität. „Nun“, drehte ich mein Grinsen zu ihr: „Was willst du zuerst wissen?“ Sie wog kurz den Kopf: „Was waren das für Hunde... Viecher?“ „Teufelshunde. Die Bewacher der Hölle.“ „Hölle?“ „Ja, Hölle“, ich konnte trotz allem mein Kichern nicht unterdrücken: „Wird es jetzt schon schwer mir zu glauben? Tehehehe.“ „Nein... Eigentlich noch nicht“, antwortete sie gedehnt. Das war auch wirklich noch die verträglichste Antwort von allen: „Es klingt nur komisch. Doch... Wo kamen sie her?“ „Nun, aus der Hölle natürlich“, lachte ich ein weiteres Mal. Selbst über die Nervosität hinweg belustigte mich Skylers Betragen. Das liebte ich an ihr, unter anderem: „Aber um genauer zu sein: Claude hat ein Tor zur Hölle vor den Fenstern des Ballsaals geöffnet und uns die Viecher auf den Hals gehetzt.“ „Claude?“, wuchs ihre Verwirrung anstatt sich zu legen: „Wie?“ „Teufelshunde tun eigentlich nur wenig aus eigenem Antrieb“, erklärte ich im Plauderton. Das war Trivialwissen: „Sie sind stark, aber nicht sonderlich schlau. Wesen die stärker sind als sie, gehorchen sie aufs Wort. So auch Claude.“ „Wie? Wesen?“ Wieder ließ mich die Tatsache lachen, dass Antworten erst zu Verwirrung und erst viel später zur erwünschten Erleuchtung führten. Doch konnte ich nicht verstecken, dass das Gespräch langsam spezifischer wurde. Nervosität sickerte in meine Belustigung: „Ah, ahehehehehe! Hier wird die Sache für dich erst richtig spannend. Claude ist kein Mensch.“ Sky stoppte abrupt: „Wie? Kein Mensch?“ „Claude ist ein Dämon“, drehte ich mich zu ihr und musterte die Sterne, ihr Gesicht aber stetig im Rande meines Sichtfeldes. Ich ertappte mich selbst dabei ein kleines Stoßgebet zu senden: 'Bitte lass das gut gehen...' „Das ist nicht der Zeitpunkt mich zu verarschen, Undertaker. Ehrlich jetzt: Was ist mit Claude?“ Ich wusste nicht, ob mich ihre Wortwahl belustigen oder ihr offenkundiges Unverständnis beschweren sollte. Ich entschied mich für ersteres und verzog ein breites Grinsen. Die Reaktion von Menschen auf die Wahrheit war doch immer sehr interessant und nur selten konnte ich sie bewundern. Denn nur selten wurde sie ausgesprochen: „Wie ich schon sagte: Claude ist ein Dämon.“ „Natüüüürlich“, entzog sie mir ihren Arm und stemmte die Hände in die Hüfte: „Und ich der Papst. Echt jetzt: Warum konnte er diese Dinger befehligen? Ist er ein... Hexer oder so?“ Ich lachte schon wieder: „Ahehehehehe! Nein. Er ist ein Dämon.“ „Verarsch' mich nicht!“ „Tue ich nicht!“, jetzt verschränkte ich die Arme: 'Ich hatte dich gewarnt...' Sky zog eine Augenbraue hoch: „Du glaubst was du mir da erzählst, oder?“ Eine meiner Augenbrauen zuckte. Da war es: Das Plädoyer auf Geisteskrankheit. Irgendwie piekste es in meiner Brust: „Ich habe dich noch nie belogen, warum sollte ich jetzt damit anfangen? Ich sagte dir doch, dass es schwer zu glauben wird. Und das alles ist gerade mal die Spitze des Eisbergs. Aber dass du mir unterstellst ich würde dich belügen, enttäuscht mich kleine Sky.“ Kurz starrte sie mich an. Durch den unerwarteten Stich in meiner Brust waren die Wörter schärfer gewesen als gewollt. Sie ließ Kopf und Arme hängen: „Ich... wollte dir nicht unterstellen, dass du lügst...“ „Sondern?“, gluckerte in mir ein mehr als schlechtes Gewissen auf. Sie wusste wie abgrundtief ich es hasste als Lügner hingestellt zu werden. Sie wusste es doch. Doch anderseits konnte ich wirklich nicht erwarten, dass sie mir alles sofort und ohne zu hinterfragen glaubte. Hinterfragen war doch so wichtig. 'Nicht das sie hinterfragt stört dich', sprach eine bittere Erkenntnis stumm zu mir: 'Der Gedanke, dass sie dich vielleicht doch für verrückt, für nicht zurechnungsfähig hält, der stört dich.' „Ich“, zuckte Skylers Kopf zu mir hoch: „Das klingt so... abstrus! Claude soll ein Dämon sein? Das muss ich erst mal schlucken.“ „Du solltest vorher gut kauen“, grinste ich und tippte ihr auf die Nase. Eine spielerische Geste, die die Schwere der Situation nur leider nicht vertrieb: „Wie gesagt, es folgt noch Einiges. Es sei denn du willst es nicht mehr wissen.“ „Doch!“, rief sie zu meiner Verwunderung sofort. „Dann musst du mir auch glauben was ich sage“, erwiderte ich. Skyler nickte so furchtbar gestraft und beschämt: „Tue ich... Verzeih mir...“ Sie für ihre Verwirrung zu schallen war wirklich das Allerletzte gewesen. Also wuschelte ich ihr giggelnd durch die Haare und hielt ihr anschließend wieder meinen Arm hin: „Ihihihihihi! Es gibt nichts zu verzeihen. Ich kann mir vorstellen wie das klingen muss.“ Doch Sky schaute ihn nur an. Ich stellte ein weiteres Mal fest, dass ich in Bezug auf zwischenmenschlichen Umgang nur allzu oft wirklich keine gute Figur hinlegte. Eigentlich war mir das so egal wie die Fliege an der Wand, doch in Bezug auf Skyler... ganz und gar nicht. Ich klemmte ihren Arm unter meinen. „Du musst nicht so schauen“, grinste ich und musterte den Weg vor uns. Kein Claude oder ähnliches irgendwo. Sie seufzte: „Ich... wollte dich nicht enttäuschen...“ „Ach wie wo“, lachte ich und lenkte vom Thema ab: „So schnell enttäuscht man mich auch nicht. Weißt du schon alles was du wissen willst?“ „Nein“, fuhr sie fort: „Was will ein Dämon von den Phantomhives?“ „Nun in erster Linie ihren Dämon umbringen“, erklärte ich giggelnd. Ich freute mich doch auf die Reaktion. Sie wird herrlich sein. „Bitte was?!“, rief Skyler vollkommen erschrocken und sprang fast aus der eigenen Haut: „Es gibt noch mehr?!“ „Sicher“, erwiderte und lachte, als die Reaktion so ausfiel wie von mir vorgestellt. Ich unterstrich meine Aussage mit einer ausschweifenden Geste. Es war wichtig das sie verstand, dass sich die Ungewöhnlichkeiten mitnichten nur auf das Manor Phantomhive bezog: „Nehehehehehe! Die Hölle ist voll davon! Doch wir sollten uns auf die beschränken, die wir vor der Nase haben.“ Sie starrte mich an, entgeistert. Schließlich blinzelte sie und ich sah die Frage, die sie nicht aussprechen konnte, rot leuchtend über ihren Kopf: „Tihihihi! Sebastian.“ „Sebastian?!“, ihr Mund klappte auf: „Aber aber aber...“ „Du wolltest mir doch glauben. Hehe“, wenn sie nur nicht so possierliche Gesichter machen würde! „Ja schon...“, sagte sie kleinlaut: „Nur wie?“ „Erinnere dich einfach wieder an die Feuer spuckenden Hunde. Kam dir Sebastians Art und Weise sich ihrer anzunehmen nicht irgendwie komisch vor?“, legte ich den Kopf schief. Die Nervosität klopfte wieder an. Natürlich implizierten meine Worte mehr als nur Sebastian. „Also“, stammelte sie: „... Schon...“ Dann sah ich in ihren Augen, dass meine versteckte Botschaft sie erreicht hatte. „Um ehrlich zu sein“, fuhr ich fort und konnte mein Lächeln nicht mehr halten. Es musste irgendwann raus. Noch länger drum herum zu reden würde auch nichts ändern. Nichts würde mehr etwas ändern. Doch so direkt wie ich wollte, bekam ich es doch nicht aus mir heraus: „Von den 12 Leuten, die sich hier regelmäßig versammeln, sind nur 7 wirklich menschlich.“ Mein Magen drehte sich auf links. Was ist, wenn sie wirklich ging? Einfach weg lief und nie wieder kam?: 'Was ist wenn...?' Ich nahm die junge Frau an den Schultern. Um sie fest zu halten. Um sie hier zu halten... bei mir: „Grell, Ronald, William und ich...“ Ich sah Skyler ins Gesicht, das immer blasser wurde. Die Augen, die mich so weit anstarrten und die Gedanken die mir entgegen schrien, dass sie es wusste und ich trotzdem nicht weiter sprechen sollte. Doch nichts konnte sie und mich mehr retten. Die Wahrheit lag schon zwischen uns: „...Sind keine Menschen, Sky...“ Das wunderschöne Ding fror unter meinen Fingern ein. Ihre Augen begannen zu glänzen. 'Oh bitte nicht', stöhnte ich in mich hinein, als sich mein Herz zusammen zog: 'Nicht weinen...' Ich wusste nicht wie ich sie hätte trösten sollen. Wie ich sie hätte trösten dürfen. „Was?“, flog es mir so leise entgegen, dass selbst ich es fast nicht hören konnte. Ich schlug die Augen nieder, unfähig ihre feuchten Augen weiter anzusehen: „Wir sind keine Menschen, Sky.“ „Aber...“, verschwand ihre Stimme. Minutenlang. Mein Herz blieb stehen und wummerte doch gleichzeitig so hart gegen meine Rippen. „Bitte...“, kroch sie mir schließlich wieder ins Ohr und ich legte den Kopf schief als ich sie noch nicht einmal mustern konnte, immer noch total ratlos gegenüber ihren nassen Augen: „Bitte was?“ „Bitte sag mir... dass das einer deiner Scherze ist...“ Ich schloss die Augen, als ich stumm mit dem Kopf schüttelte. Mein Herz begann zu hämmern. Brachial: 'Was ist wenn...?' „Was... sollt ihr denn dann sein?“ Ich schaute ihr wieder in die Augen. Doch die Anwesenheit ihrer Tränen ertrug ich nicht. Ich rieb sie ihr zögerlich mit den Daumen aus den Augen. Sie wehrte sich nicht. Ich wusste nur leider nicht, ob sie zu erschrocken war um sich zu wehren, oder es sie immer noch nicht störte: „Willst du das wirklich wissen?“ Sie nickte und schaute mir unnachgiebig ins Gesicht. Trotz allem. Ich lächelte schwerer und griff ihre Schultern fester: 'Was ist wenn...?' „Wir sind Sensenmänner“, brachte ich die eigentliche Bombe erst zum Platzen. Ein Sensenmann als Bestatter. Ich wusste selber wie das klang. Ihre Augen flatterten: „Bitte was?! Sensenmänner?! Wie... wie der Sensenmann nur halt... mehrere?!“ Ich nickte: „Wir existieren nur, um die Seelen der Sterbenden zu richten und ins nächste Reich zu überführen.“ „Was?!“, rief sie vollkommen außer sich: „Du... Du bist Bestatter?! Und ein Sensenmann?! Ein Sensenmann, der als Bestatter arbeitet?! Also... Du erwartest nicht wirklich, dass ich dir das glaube, oder?!“ Irgendwie traf mich ihr letzter Ausruf. Wann hatte ich ihr denn Grund gegeben mir nicht zu glauben? Ich hatte damit gerechnet, dass sie mir unterstellte meine Abstammung falsch verstanden zu haben. Oder mich anschrie ich solle mich bitte einweisen lassen. Doch... sie glaubte mir einfach nicht. Ich ließ sie los. Ich konnte sie ja doch nicht aufhalten... Resignierend steckte ich die Hände in die Taschen und schaute zurück in den Himmel: 'Ich bin einfach nicht gut in so etwas...' „Ich kann dich nicht zwingen mir zu glauben“, sagte ich, als ich mich meinem Schicksal ergeben hatte. Dem Schicksal wohl alleine bleiben zu müssen: „Ich war ehrlich zu dir. Bis ins Letzte. Ungeachtet aller Konsequenzen, die das haben könnte.“ Eine Böe wog sacht die letzten Blätter der Bäume im Wind und zog an meinen Haaren. Sie zupfte ein paar tote Blätter von den Ästen und ließ sie in die Weite fliegen. Ansonsten brach nur das Huhen eines Käuzchens diese furchtbar schwere Stille. Als ich schon überlegte mich wohl endgültig zu verabschieden, griff eine Hand meinen Ärmel: „Es tut mir leid... ich... glaube dir. Ich... wollte es nur nicht.“ Mein Kopf fuhr herum. Skyler schaute zu Boden, während sie mich am Ärmel hielt: „Warum?“ „Weil...“, sie stockte und seufzte: „Das weiß ich nicht... Ich wollte einfach, dass du ein Mensch bist.“ Ich legte ihr eine Hand auf den Kopf: „Schau nicht so.“ Sie hielt mich fest. Ich realisierte es nur stockend. Sie hielt mich fest. Ein Lächeln erschien auf meinen Lippen. Sie blinzelte mich irritiert an: „Wieso lächelst du mich an?“ Ich blinzelte zurück: „Warum sollte ich nicht?“ „Ich...“, stockte das junge Ding schon wieder, als habe sie etwas falsch gemacht: „Habe dich eigentlich schon wieder als Lügner beschimpft...“ Ich schloss die Augen und lachte leise, etwas lädiert von den letzten Minuten: „Ich werde zwar nicht gerne als Lügner betitelt, aber ich bin alles andere als verständnislos. Wie gesagt: Ich kann mir vorstellen wie das alles klingt und“, ich stockte noch einmal. Hatte sie es überhaupt schon komplett verstanden? Vielleicht war sie auch einfach nur viel zu lieb um mich wissen zu lassen, dass sie eigentlich am liebsten schreiend Reißaus nehmen würde. Das sie sich irgendwie gezwungen sah zu bleiben, war ja nun auch nicht der Vater des Gedanken. Das sie mir jetzt am Ärmel zupfte, hatte nicht zwingend etwas zu bedeuten. Vielleicht veränderte sich unser Umgang trotzdem... Irgendwie... „Und?“, ging sie auf mich zu und schaute mir von unten ins Gesicht. Beschwert schaute ich ihr mit hängenden Mundwinkeln in das schöne Gesicht: „Und ich kann verstehen, wenn du mir jetzt... anders gegenüber stehst.“ Sie musterte mich irgendwie skeptisch: „Inwiefern?“ Ich lächelte dünn, mir im Klaren darüber, was das Gesagte für uns Beide alles bedeutete: „Nun ja. Die meisten Menschen reagieren wohl mit Rückzug, wenn sein Gegenüber zugibt er sei kein Mensch.“ Sie schaute mich mit einem komischen Ausdruck an. Es war der Ausdruck, den sie immer aufsetzte wenn sie mich fragte, ob ich nicht fror: „Und... du denkst, da ich jetzt weiß, dass du kein Mensch bist, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben?“ Nach einer Weile nickte ich. Meine Worte waren erstickt durch diesen unsteten Wechsel von Warm und Kalt. Erleichterung und Sorge. Ich war entweder das eine, oder das andere. Bis jetzt. Jetzt war alles in mir einfach nur konfus. Wortlos harte ich aus, während mich Skyler überlegend musterte. Dann legte sie mir ihre schlanke Hand auf die Schulter und grinste breit. Mein Herz tat einen komischen Hüpfer, der schon annähernd schmerzhaft war und ich konnte meine Verwirrung einfach nicht mehr aus meinem Blick verbannen. Sie war zu groß geworden. Ich stand nicht nur aus irgendwelchen Gründen vollkommen machtlos meinen unlogischen und wechselhaften Empfindungen gegenüber. Nein. Ich stand total neben mir und der Welt. Ich hatte das Gefühl, der einzige der seine Welt gerade nicht verstand, war ich. Ich holte Luft, doch Skyler war schneller als ich und stemmte die Hände in die Hüfte: „Also wirklich! Was denkst du von mir?“ 'Was?' der zweite Gedanken fiel über die Füße des Ersten und ich lachte eher aus Verwirrung als aus Pläsier: „Hehe. Prinzipiell nur das Beste. Aber warum fragst du?“ Sky hob ihren Zeigefinger: „Für wie oberflächlich hältst du mich?“ 'Oberflächlich? Was? Wieso?', ich blinzelte reichlich überfahren: „Bitte?“ Die Brünette ging vor mir auf und ab: „Du hast mich schon verstanden!“ Eine Augenbraue oben, die andere unten, schürzte ich ein bisschen die Lippen nach vorne, als ich meinen Nasenflügel kraus zog. Ich konnte mich gerade so davon abhalten meiner Verwirrung mit einem geistlosen: 'Hö?' auch noch auditiv Ausdruck zu verleihen. Doch Skyler hielt ihre Hände vor den hell kichernden Mund, was meine Augenbraue höher wandern ließ: 'Lacht sie... Lacht sie mich gerade aus?' „Nein ehrlich“, sie lächelte mich an, als sie ihre Arme hinter den Rücken verschränkte: „Ist denn was du bist so wichtig?“ Mein Kiefer fiel aus seinen Angeln und Verwunderung ließ mich meine, sonst so spitze und vorlaute, Zunge verschlucken. Ich war von meinen Worten verlassen. Das war sehr, sehr selten. „Ich meine“, lachte das süße Ding und ich hörte den Triumph darin. Sie hatte ihn sich redlich verdient: „Ich mag dich, weil du so bist wie du bist. Nicht weil ich dachte du bist ein Mensch.“ Mein Gedankenknäul drückte stärker gegen den Kloß, doch er blieb stecken. Skyler kicherte ihr helles Kichern: „Ich mag wer du bist, nicht was du bist. Ändert, dass du kein Mensch bist deinen Charakter? Verhältst du dich jetzt mir gegenüber anders?“ Ich räusperte den Kloß aus meinem Hals. Mein Mund lächelte wieder, als ich mir erlaubte zu verstehen: „Nein. Nein, das tut es nicht und nein, das tue ich nicht. Ich war, hehehehe, schon immer ein bisschen eigen. Das wird sich auch nie wieder ändern.“ „Dann muss ich mich auch nicht von dir zurückziehen“, sie kam lächelnd einen Schritt auf mich zu: „Du bist ein verdammter Freak! Und das ist nicht schlimm, denn... ich mag den Freak.“ Auf einmal hatte ich das hübsche Ding im Arm und wusste selber nicht so ganz wie sie dort hingekommen war. Es war eigentlich auch egal. Ich umarmte sie fest. Sie, die nicht weg gelaufen war. Dann war ich halt ein Freak. Aus ihrem Mund klang es wie ein Kompliment: „Das bedeutet mir viel.“ Sie drückte mich zurück, was mein Lächeln noch weiter werden ließ. Anstatt weg zu laufen hielt sie mich fest. Mein Herz hüpfte albern in meiner Brust herum, als meine Gedanken die Situation noch einmal in Worte fassten: 'Sie hält mich fest...' Die Katze war aus dem Sack. Die Karten liegen auf dem Tisch... und sie hält mich fest. „Das heißt nicht, dass ich das alles nicht ziemlich verwirrend finde. Ich habe immer noch eine Menge Fragen an dich. Jetzt noch mehr als vorher“, unterbrach sie die kleine Stille. Ich lockerte die Umarmung und schaute ihr mit einem Grinsen entgegen, das sich wieder wie gewohnt anfühlte. Das Käuzchen flog flügelschlagend davon und nahm diese drückende Schwere mit sich mit: „Dann frage.“ „Nun“, Sky legte den Kopf schief: „Grell, William und Ronald sind dasselbe wie du? Ich meine... Eure Augen... Ich habe erst gedacht ihr seid verwandt, oder so...“ Ich lachte so leicht wie ich mich wieder fühlte, denn das was mich nervös gemacht hatte war überstanden: „Fu fu fu. Wir können nicht verwandt sein. Der Tod kann kein Leben schaffen. Folglich können wir keine Familie haben. Shinigamis werden erschaffen und nicht geboren. Aber ja, wir alle haben dieselben Augen, sowohl von der Farbe“, ich lachte breit grinsend: „Als auch von der Qualität.“ Sie musterte mich eine kleine Weile: „Also kennst du Grell, Ronald und William von... wie soll ich sagen... eurem gemeinsamen... Zuhause?“ Ich lachte wieder: „Hehe. Nein. Mein Zuhause ist mein kleiner Laden. Als Ronald seinen Dienst antrat, hatte ich den Dispatch schon lange verlassen. Grell und William könnten noch von meinem Ausstieg gehört haben, aber getroffen haben sie mich dort nie.“ „Den Dienst?“ Und ich lachte schon wieder. Denn ich könnte gerade nur noch lachen. Jetzt konnte ich meine Welt mit ihr teilen. Nun durfte sie endlich alles verstehen und anscheinend wollte sie es sogar: „Tehehe! Die Shinigamis sind furchtbar versteift. Sie sind organisiert in der 'Grim Reaper Dispatch Association'. Der Tod ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Geschäft und der Dispatch eine riesige Dienstleistungsgesellschaft. Jedes Land hat seine eigene Zweigstelle und jeder Schnitter hat sein Gebiet, in dem er Seelen einsammelt. Grell und Ronald, beispielsweise, den Großraum London.“ „Und William?“, harkte sie nach. „William ist kein Schnitter, obwohl er mit das größte Talent dazu hat. Er ist Aufsichtsbeamter. Er achtet darauf, dass die Reaper der British Branch keinen Mist bauen. Er hat folglich öfter mit Grell zu tun.“ „Wie folglich?“ Ich lachte schrill auf: „Awuhuhuhuhuhuhu! Weil Grell ständig Mist baut!“ Sie lachte mit mir. „Und du bist nicht mehr im Dienst?“, fragte sie im Anschluss. Ich schüttelte lachend den Kopf: „Ich hatte auf den Verein keine Lust mehr. Ehehehehehe! Also bin ich ausgestiegen und in Frührente gegangen.“ „Sensenmänner gehen in Rente?“, kam es wieder ein bisschen ungläubig aus ihrem Mund. Doch es wirkte nicht so vollkommen verständnislos wie vorher. Ich schob es eher auf eine mangelnde Vorstellung: „Nun, fu fu fu fu, eigentlich nicht. Ich war wohl der Erste. Das könnte der Grund sein, warum mich William immer als 'Deserteur' bezeichnet.“ „Deserteur?“ „Joa“, grinste ich irgendwo schon schuldbewusst, als ich an meinen Austritt dachte und mich der paar Sensenmänner erinnerte, die mir damals meine Death Scythe abnehmen wollten: „Eigentlich wird einem die 'Death Scythe' abgenommen, sollte man aussteigen. Ich habe meine Übrigens noch.“ „Eine... was?“, blinzelte das junge Ding. Ich legte eine Hand über mein schelmisches Giggeln: „Eine 'Death Scythe'.“ „Was soll denn das sein?“ Ich streckte meine Hand aus. Im nächsten Moment griffen meine Finger den Griff meiner Sense. Skyler quiekte und hüpfte zur Seite. Ich zog sie lachend in eine halbe Umarmung: „Das ist eine Death Scythe.“ Sie starrte mit einem zuckenden Auge auf mein liebstes Accessoire. „Alles ok bei dir? Hehe.“ Sie schaute mich mit gestresst schüttelnden Kopf an: „Klar. Erschrecke mich zu Tode. Passt schon... Du bist nicht glücklich, wenn der Tag ohne einen dreifachen Herzklabaster meinerseits endet, oder?“ „Genau genommen haben wir halb vier Morgens und der Tag hat gerade erst angefangen. Tihihihi!“ Skylers Augenbrauen zuckten genervt, bevor sie sich abwandte und mir ihre Faust in die Seite knuffte. Es kitzelte eher, als das es schmerze und ich lachte ein bisschen erstickt von dem Armeisenhaufen in meiner Seite: „Nehehehehe! Du hast doch gefragt!“ „Du hättest es mir auch einfach erklären können!“, rief Sky, als ihr Kopf wieder zu mir flog: „Aber nein! Stattdessen packst du dieses Mörderteil von Sense aus und lässt mich denken mein letztes Stündlein hat geschlagen! Das Ding ist riesig und voll gruselig, man!“ 'Ehehehehe! Herrlich!', ich kippte ihr den Schädel meiner Sense vor die Nase: „Tehehe. Ich liebe sie.“ Sie nickte entgeistert, als sie meinem Skelett entgegen blinzelte: „Glaub ich dir... Aufs Wort sogar. Ist es... nicht ein bisschen gefährlich jemanden so ein Ding direkt vor die Nase zu halten?“ Ich giggelte weiter, höchst amüsiert von ihrem Gesichtsausdruck: „Tihihi! Nur ein ausgemachter Trottel würde direkt in eine Schneide fassen. Bist du ein Trottel, Sky?“ Ihr Kopf fuhr empört zu mir herum: „Nein! Natürlich nicht!“ „Dann ist es auch nicht gefährlich. Nehehehe!“ Dann entließ ich meine Sense wieder und legte die nun freie Hand über meinen Mund: „Tihihi! Dein Gesicht!“ Sie schlug mir wieder in die Seite und ein weiterer Ameisenschwarm huschte durch meine Nerven auf und ab. Ich lachte sie an: „Hey! Warum schlägst du mich eigentlich die ganze Zeit?“ Die Frage war rhetorisch. Eine Antwort bekam ich trotzdem. Und zwar eine, die ich nicht zwingend erwartet hätte, die mich aber in keiner Weise enttäuschte. Im Gegenteil: „Weil du es verdient hast!“ Sky stellte sich in meinem Arm auf die Zehenspitzen und tippte mir vor die Brust: „Du hast Tage, da... nein eigentlich gehörst du immer von Morgens bis Abends geschlagen! Wirklich!“ Ich musste so laut lachen, dass ich eine Hand auf meinen Bauch legte: „Wahahahahahaha! Hast du mit Frank geredet?“ „...Nein. Wieso?“, wirkte sie wieder reichlich verwirrt. Würde sie ihn nur schon besser kennen. Es wäre ihr sofort klar gewesen. Der humorlose Deutsche war nicht gerade zimperlich in der Anwendung körperlicher, nennen wir es, Stilmittel: „Der Spruch hätte von ihm kommen können. Wuhuhuhu.“ „Apropos Frank“, begann die hübsche Brünette: „Wissen die Anderen über euch Bescheid?“ „Tehe, natürlich.“ Sie verzog den schönen Mund: „Ich war also die Einzige, die keine Ahnung hatte?“ „Jup“, kicherte ich in Anbetracht ihrer Mimik. „Wie nett von euch...“ Ein weiteres Lachen: „Sei ehrlich zu dir selbst, Sky. Hättest du uns geglaubt, wäre gestern Abend nicht gewesen?“ Sky stockte und blinzelte zu Boden: „Nein... Vermutlich nicht.“ Mit einem einzelnen Finger hob ich ihr Kinn wieder an. Ich musste einfach ihre Augen sehen. Jetzt irgendwie dringlicher als vorher: „Es gibt halt Dinge, die können erst zu einem gewissen Zeitpunkt erklärt werden. Des Weiteren ist Unwissenheit manchmal eher ein Geschenk, als eine Strafe.“ „Wie?“, blinzelte sie. „Unsere Welt ist gefährlich, Sky“, sagte ich eindringlich. Sie war für einen Mensch sicherlich auf irgendeine Art und Weise fantastisch, doch eigentlich viel zu steinig: „Die Menschen, also Charlie, Frank, Lee, Alexander und ihre Familien werden dazu erzogen sich in ihr behaupten zu können und ohne Sebastian würden sie das wahrscheinlich nicht schaffen. Amy hat dich nicht außen vor gelassen, weil sie dir nicht vertraut, sondern weil sie dich beschützen wollte. Du hast die Fehde zwischen den Phantomhives und den Trancys zweimal bei weitem näher miterlebt, als alle von uns wollten.“ Sie rieb sich lachend über das große Pflaster an ihrer Schläfe, als sie mir entgegen strahlte: „Ach... Mir geht es gut. Dank dir!“ Ich lachte seicht, obwohl ich ihre Wunden natürlich alles andere als lustig fand. Doch ihr Lächeln ließ mich nicht anders. Ich wuschelte ihr liebevoll durch die Haare: „Ich lasse sicherlich nicht zu, dass dir etwas Schwerwiegendes passiert, wobei schon diese kleinen Blessuren nicht hätten passieren dürfen.“ Sie legte kurz lachend denn Kopf schief: „Das ist doch halb so wild... doch... wo hast du deine Blessur eigentlich jetzt her?“ Ich grinste mit allen Zähnen: „Die ist aber auch halb so wild.“ „Jetzt sag!“ Es war mir zwar schleierhaft, warum sie sich so an diesem Kratzer aufhing, aber ich ergab mich: „Hehe. Das war ein Engel, nehe!“ Sie blinzelte und kicherte im Anschluss: „Wey. Ein Engel... Das schockt mich jetzt irgendwie auch nicht mehr.“ Sie schaute mir entgegen, mit ihrem Sinne raubenden schiefen Lächeln. Ich merkte wie mein Eigenes ohne mein Zutun weiter wurde. Nach ein paar stummen Blicken in das Himmelblau ihrer Augen begannen wir synchron zu lachen. Ohne Sinn. Ohne Verstand. Und vor allem: Unverändert. Als ich wieder atmete entfuhr mir ein ermattetes, doch erleichtertes Seufzen. Meine Anspannung war verschwunden. Es war alles gut gegangen. Die Müdigkeit klopfte wieder an. „Woran denkst du?“, hörte ich Skylers Stimme neben mir. Meine Augen wanderten zu ihr: „Ich bin froh, dass die Katze aus dem Sack ist.“ „Warum?“ „Naja“, ich schaute wieder in die Sterne, denen ich definitiv etwas schuldig war: „Ich hatte immer Angst, dass ich dich irgendwann eigentlich belügen müsste.“ „Hättest du es getan?“ Ich schüttelte den Kopf, immer noch die Augen in den Sternen: „Nein.“ „Hättest du es mir spätestens dann erklärt?“ Ich schüttelte wieder den Kopf. Dann schaute ich sie wieder an. Ihr Kopf lag schief: „Was hättest du denn dann getan?“ Ich grinste, als die Antwort so einfach war: „Ich hätte dir gesagt, dass ich es dir nicht sagen kann.“ „Aber... Warum konntest du es mir nicht sagen?“ „Fuhuhu. Wir haben alle Alexander, wie jedem Earl davor auch, versprochen Außenstehende in dem Glauben zu lassen wir seien Menschen.“ „Also...“, faste Sky ihre Gedanken dazu zusammen: „Haben die Earls euch zum Lügen gezwungen?“ „Nein. Das würden sie nie“, schüttelte ich den Kopf und erklärte, dass die Dinge etwas anders lagen: „Er hat uns lediglich gesagt wir sollen nicht erwähnen oder zeigen, dass wir anders sind. Ihr Menschen geht automatisch davon aus, dass wir Menschen sind. Da müssen wir nichts zu sagen. Denn es ist logisch, weil die Meisten vollkommen ahnungslos sind.“ „Aber... du hast dir nie Mühe gegeben zu verstecken, dass du anders bist.“ „Warum denkst du das?“, grinste ich. Ich hatte mich tatsächlich das ein oder andere Mal sehr am Riemen reißen müssen, um zu wirken wie ein... menschlicher... Verrückter. „Nun ja“, lächelte sie verschmitzt: „Meinst du abgesehen von deinem ganz normalen vollkommen untypischen Verhalten?“ Ich lachte gespannt hinter meiner Hand: „Ja, hehehe, abgesehen davon.“ Sie seufzte seicht und müde: „Du hast einfach immer etwas an dir, was nicht ganz von dieser Welt wirkt. Deine Weltsicht ist mehr als kurios und deine Augen leuchten im Dunkeln.“ „Tehehehe! Nun ja, ich tippe so ganz können wir uns nicht verstecken. Unser Naturell ist einfach anders.“ „Wahrscheinlich“, lächelte sie: „Aber warum kann der Earl euch Vorschriften machen?“ Ich lachte schriller auf, als Antworten wieder zu Fragen führten: „Ehehehehehehe! Naja, mir kann er Vorschriften machen, weil ich ein 'Aristokrat des Bösen' bin. Die Anderen hat er einfach darum gebeten und sie haben zugestimmt.“ Ein weiteres Fragezeichen leuchtete über ihren Kopf: „Aristokrat des Bösen?“ „Der Earl Phantomhive“, erklärte ich mit einer ausladenden Bewegung meines Armes, die den ganzen Garten und das Manor einfasste: „Ist auch bekannt unter dem Spitznamen 'Wachhund der Königin'. Er dient der Queen und regiert in ihrem Sinne die Unterwelt. Die 'Aristokraten des Bösen' könnte man als seine Handlanger bezeichnen. Charlie ist einer, genau wie Frank, Lee und auch ich. Die anderen Sensenmänner sind einfach nur Freunde der Familie seit der Zeit von Ciel Phantomhive.“ „Ciel Phantomhive?“, wurde das Frage- zum Ausrufezeichen: „Das war doch ein Name auf einem der freistehenden Särge im Mausoleum!“ „Exakt“, grinste ich dem aufmerksamen Ding entgegen: „Er war der erste Earl, der einen Pakt mit Sebastian geschlossen hatte. Er hat auch die Familie von Lee ins Boot geholt.“ „Kay... Und Frank, Charlie und du? Seit wann seit ihr dabei?“ „Ihre Familien und ich? Seit Vincent“, antwortete ich und erinnerte mich unwillkürlich an Vincents lachendes Gesicht: 'Ruhe in Frieden, alter Freund...' „Was... hast du?“ „Was meinst du?“, ich wachte aus meinen schönen Erinnerungen, deren Alter mir einen scharfen Schmerz die Wirbelsäule runter schickten. „Du wirktest so... bedrückt, als du den Namen ausgesprochen hast.“ Ich lachte und wurde das Gesicht des alten Earls nicht ganz los: „Vincent war mein bester Freund.“ „Oh...“, machte Skyler erst mitfühlend. Dann hielt sie inne. Hinter ihren Augen ratterte es, bis sie blinzelte: „Vincent war …dein bester Freund? Undertaker, Vincent hat vor 130 Jahren gelebt!“ Ich lachte ein bisschen ertappt. Die nächste Information hielt auch einen kleinen, oder größeren, Schock bereit und ich hatte eigentlich gehofft wenigstens um dieses Thema herum zu kommen: „Äh ja. Hehehehehe! Hätte ich erwähnen sollen, dass Shinigami in der Theorie unsterblich sind?“ Skylers Augen wurden riesig. So riesig, dass ich nicht anders konnte als mich zu amüsieren. „Bitte was?!“, rief sie aus. „Naja“, ich machte eine wegwischende Handbewegung, als wäre diese Information gar nicht so wichtig: „Wir sind die Personifikation des Todes und der Tod stirbt nicht. Hehehe! Eigentlich ganz einfach!“ Jetzt leuchteten viele Ausrufezeichen über ihrem Kopf. Es war erstaunlich zu sehen, wie sie nach und nach alles zusammenfügte, was sie vorher nicht verstand: „Deswegen wolltest du mir nicht sagen wie alt du bist. Hättest du mir die Wahrheit gesagt, hättest du dich als Nicht-Mensch enttarnt, weil du über 100 Jahre alt bist, oder?“ Ich lachte schriller. Über 100 Jahre traf den Kern nicht so ganz, war aber im Groben richtig: „Ehehehehehehe! Ein bisschen älter.“ „Undertaker...“, musterte mich Skyler in Erwartung dessen was da kommen möge: „Wie alt bist du?“ Ich hob grinsend die Hände: „Um dir ehrlich zu antworten: Ich weiß es nicht mehr.“ „Wie?“, verlor sie abermals die Kontrolle über ihr süßes Gesicht: „Du weißt es nicht mehr?!“ Ich nickte lachend, als ich Grund auf ehrlich zu ihr war: „Hehe. Jup. Ich hab irgendwann aufgehört mitzuzählen.“ „Und...“, sie zögerte gefangen zwischen Neugier und dem offensichtlichen Gedanken, es irgendwie auch nicht wissen zu wollen: „So... ungefähr?“ Ich wog den Kopf, als sie sich für Neugier entschied, was ich eigentlich immer begrüßte. Nur dieses Mal wäre mir Zweiteres vielleicht doch lieber gewesen: „Wie alt ist die Menschheit? So ungefähr?“ Stille. Skyler schaute mich mit blinzelnden und vollkommen verdutzten Augen an, was mich lachen ließ. „Schätzungsweise um die 200.000 Jahre“, sagte sie schließlich zögerlich: „Aber warum?“ „Gut“, grinste ich so breit wie ich konnte und verschränkte meine Arme, als ich es beiläufig klingen lassen wollte: „Dann bin ich schätzungsweise um die 200.000 Jahre alt. Minus ein paar Jahrzehnte. Tihi!“ Sie riss die Augen auf und ihr Mund klappte auf: „Zur Hölle bitte was?! Willst du mich jetzt endgültig verarschen?!“ Es klang wohl nicht so beiläufig wie ich wollte. Ich lachte und rieb mir den Hinterkopf. Ihre Reaktion war trotz allem ziemlich amüsant: „Ahehehehehe! Äh nein. Es ist so.“ „Was?! Wie?! Das ist unmöglich?! Dadadadadada das geht nicht!“ Ich wog grinsend den Kopf hin und her: „Doch, tihi, das geht. Siehst du doch.“ „Du bist so alt wie die Menschheit selbst?!“ Ich nickte: „Ja, hehehe! Minus ein paar Jahrzehnte halt. Ich bin der erste Sensenmann, der je entstanden ist.“ Sie bekam den Mund nicht mehr zu: „Der der der der der Erste?!“ Ich nickte wieder: „Um deiner Vermutung vorweg zu greifen. Ich lüge auch jetzt nicht. Hehe!“ „Aber“, wirkte sie irgendwie ratlos: „Das klingt vollkommen unmöglich! Wie lange... Wie lange bist du denn schon ausgetreten und hier bei den Menschen?!“ Ich kniff ein Auge zusammen und schaute mit dem anderen von Stern zu Stern, als meine Gedanken ratterten. Hätte ich meine Jahresplaner zur Hand gehabt, hätte ich sie einfach durchzählen können: „Uff... Hehe! Lass mich kurz nachdenken! Das war kurz nachdem Ludwig XVI hingerichtet wurde. Die Revolution war im vollen Gange.“ Sky zog die Augenbrauen zusammen: „Ludwig XVI wurde Anfang 1793 hingerichtet!“ „Tehehehehe!“, machte ich: „Nein, das muss dann doch ein bisschen später gewesen sein. Ende 1793 habe ich noch die Seele von Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen geholt.“ „Führst du Buch über so was?!“ „Gezwungener Maßen. Nehehehe! Die Sensenmänner sind unglaubliche Bürokratiefanatiker! Das ich meine Atemzüge nicht dokumentieren musste war nett von ihnen!“, mein Finger fuhr in die Luft, als es in meinem Kopf klickte: „Ha! 1795! Kurz nachdem die erste Koalition aus Großbritannien, Österreich, Preußen und Spanien während der Napoleonische Kriege auseinander brach! Hehehehehe!“ Sky schüttelte blinzelnd den Kopf: „Ehrlich?“ „Hehehe! Ja.“ „Sicher?“ „Haha! Jaha!“ „Ganz sicher?“ „Wolltest du mir nicht glauben, wenn ich dir antworte?“ „Da wolltest du mir noch nicht erzählen du seiest 200.000 Jahre alt und vor über 200 Jahren hier aufgeschlagen...“ Ich breitete wieder die Hände aus: „Das Leben hält eine Menge Überraschungen bereit! Tehe!“ „Und es spricht da sicher nicht die.... geistige Verwirrung aus dir?“ Trotz allem: Diese untragbare Schwere blieb aus. Obwohl Skyler die Informationen noch nicht ganz verkraftet hatte, spürte ich, dass sie mir eigentlich glaubte. Ich unterlag sogar einem kleinen Lachanfall, als das junge Ding so herzerquickend ehrlich zu mir war: „Fuhuhuhuuhuhuhuhuhu! Herrlich! Die Frage ist so naheliegend, ich kann noch nicht einmal beleidigt sein! Ehehehehehehe!“, ich wischte mir die Lachtränen aus den Augen: „Deine Schätzung auf 32 fand ich übrigens sehr schmeichelhaft. Nihihihi!“ Sky nickte langsam und mehr als nur überfordert: „Jaaaaa... Du hast dich gut gehalten... für 200.000... Was für eine Antifaltencreme benutzt du?“ Das pure Gelächter brach mir aus Hals und Kehle. Es surrte mir durch Magen, Ohren und Rachen: „Pahahahahahahahaha! Antifaltencreme! Wuhuhuhuhuhuhuhu! Herrlich!“ „Und... wie alt sind die anderen... Nicht-Menschen?“, fragte Sky, als ich nicht mehr so laut lachte. Ich legte den Kopf schief, als ich kurz überlegen musste. So hundertprozentig wusste ich es gar nicht, aber ungefähr: „Hehe. Sebastian und Claude müssten beide so um die 3000 Jahre alt sein. William und Grell sind um die dreihundert und ich meine Ronald hat vor kurzem die 190 geknackt.“ „Altert ihr überhaupt?“ Ich lachte wieder: „Sebastian und Claude nehmen lediglich die Gestalt von Menschen an. Eigentlich sehen die Beiden ganz anders aus. Shinigami altern nicht so wie ihr Menschen es definiert.“ Sky schüttelte den Kopf: „Man sieht euch euer Alter zumindest nicht an...“ Ich lachte nur: „Hehe. Danke, danke für die Blumen. Sage das zu Grell und du bist sofort seine beste Freundin.“ Eine kurze Stille fiel zwischen uns. Langsam sah ich ihr an, dass sie ihren Grenzen näher kam, als ihr gedankenschwerer Blick durch den Garten flog: „Du siehst müde aus.“ Sie nickte als sie mir den Kopf zudrehte: „Das ist alles nicht so leicht zu glauben...“ Ich konnte sie wirklich verstehen. In allen Punkten. Auch ich war irgendwie müde und ein bisschen überfordert. Ich konnte noch nicht ganz glauben, dass sie meine Unmenschlichkeit einfach so akzeptieren konnte: „Ich weiß.“ „Du hast irgendwas“, schaute sie mich an: „Was ist los, Undertaker?“ Ich schüttelte lachend den Kopf: „Ich hoffe nur, ich habe dich immer noch nicht verschreckt. Hehe.“ Sie kicherte mit mir: „Das ist alles?“ Daraufhin zog ich eine Augenbrauen hoch: „Das ist ziemlich viel.“ „Wa... Warum? Selbst wenn du mich verschreckt hättest, was wäre daran so schlimm?“ Ich legte meine Hand auf ihren Kopf, als mir klar wurde, dass der jungen Frau gar nicht bewusst war wie viel sie mir bedeutete: „Ich würde deine beschämte, wie verstörte Art vermissen. Tihihihi!“ Sie verschränkte die Arme und ihr schwerer Gesichtsausdruck ließ mich zaudern: „Du würdest also ein Opfer zum Erschrecken vermissen...“ Bestimmt schüttelte ich den Kopf: „Nein. Ich würde dich vermissen. Mit einfach allem Drum und Dran.“ Ihr Mund klappte wieder auf. Ich fuhr ihr leise lachend mit den Fingern über ihre weiche Haut. Sie war kalt vom frischen Wind. Dann klappte ich ihren Mund zu: „Tehehe! Warum schaust du denn so?“ Sie blinzelte: „Du würdest.... mich vermissen?... Aber... ich bin doch nur ein ganz normaler Mensch! Furchtbar langweilig und unglaublich ordinär! Und du... du bist...“ „In erster Linie ein Verrückter, der mit Toten spricht“, erwiderte ich: „Du wolltest dich doch darauf konzentrieren wer ich bin und nicht was ich bin, oder? Ich begrüße diese Einstellung sehr, denn was ich bin ist mir vollkommen egal. Ich fühle mich den Sensenmännern in keinster Weise mehr verbunden. Wer ich bin, ist mir dagegen furchtbar wichtig. Natürlich, kleine Sky, bist du ein Mensch“, ich schob ihr Gesicht näher zu meinem: „Doch das bedeutet weder das du 'langweilig' und 'ordinär' bist, genauso wenig steht es der Tatsache im Weg, dass ich dich mag. Tehehehe! Du bist ein ganz herzerquickendes junges Menschending und darüber hinaus sehr unterhaltsam.“ „Du... du magst mich?“, fragte sie nach einer komischen Pause. „Nein“, machte ich sarkastisch, als es sich mir wirklich nicht erschloss warum sie noch einmal nachfragen musste: „Ich verbringe immer Zeit mit Leuten, die ich nicht leiden kann. Das ist ein Hobby von mir. Genau wie Akten katalogisieren oder Bingo spielen. Hehe.“ Skyler blinzelte mich vollkommen perplex an. „Du... spielst Bingo?“, stammelte sie. Ich zog eine Augenbraue hoch. Dann presste ich die Hände vor Mund und Bauch, als ich nicht glauben konnte was gerade passierte. Diese riesigen Augen! 5 Minuten dauerte der Lachanfall, den ich vergeblich zu verhindern versucht hatte. Ich fächelte mir selber Luft zu: „Du stehst ja vollkommen neben dir. Fuhuhuhuhuhu!“ Als ich mein Gesicht zu Skyler drehte, bekam ich einen Tritt in die Magengrube. Sie stand da, weiß wie die Wand. Zitternd wie Espenlaub. Tränen in den Augen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Sky hatte schon mehr als einmal bewiesen, dass sie Ironie und Sarkasmus sehr wohl erkennen und anwenden konnte, doch gerade wirkte sie als nähme sie meine Worte bitter ernst. „Was ist denn los mit dir? Sky! Das war Sarkasmus! Ehehehehehe! Ich quetsche mich doch nicht in meiner Freizeit in einen überfüllten Raum und warte darauf zufällig 5 Zahlen in einer Reihe zu bekommen! Genauso wenig wie ich Akten sortiere! Bei diesem langweiligen Bürokram bekomme ich Stresspusteln!“, ich schüttelte amüsiert schnaubend den Kopf, um deutlich zu machen, dass ich das nicht ernst gemeint hatte und wischte ihr mit den Daumen die Tränen aus beiden Augen: „Ich wollte dir damit deutlich machen, dass ich dich natürlich mag! Da du dich selbst immer reichlich an Ironie und Sarkasmus bedienst, dachte ich eigentlich du erkennst den Wink.“ Die Erkenntnis schien sie hart und siedend heiß zu treffen. Sie versteckte ihr Gesicht unten den Händen: „Oh nein! Gott ist das peinlich!“ Ich zog ihre zittrigen Hände von ihrem Gesicht. Das junge Ding war am Ultimo angekommen. Ich lachte ihr aufbauend entgegen: „Hehehehehe! Nein, ist es nicht! Du bist müde und hast eine Menge Informationen, die du erst einmal verarbeiten musst. Du solltest dich hinlegen.“ Sie nickte sehr langsam mit dem hängendem Kopf und atmete ein paar Mal konzentriert ein und aus: „Wahrscheinlich hast du Recht, doch... eine Frage habe ich noch.“ Ich verbog meinen Rücken um ihr ins niedergestreckte Gesicht schauen zu können: „Denkst du das ist eine gute Idee? Hehe.“ Sie warf den Kopf nach oben. Ich streckte den Rücken wieder, der abermals knackte. Dann griff ich um. Entließ ihre Handgelenke und fasste ihre Hände. Sie waren eiskalt. Wenn sich ihre Hände für mich so kalt anfühlten hatten sie die Grenze von 'Bedenklich' schon überschritten, was mir Sorgen machte. „Warum“, legte sie den Kopf schief: „Fragst du?“ „Nun ja“, grinste ich: „Hehe. Du bist weiß wie die Wand, zitterst, scheinst nicht mehr so wirklich gerade aus denken zu können und deine Hände sind kälter als meine. Ich glaube du hast deinen Zenit schon lange überschritten. Was verständlich ist. Gestern und heute ist eine Menge passiert und du hast mental, wie körperlich eine Menge wegstecken müssen.“ Doch sie erwiderte meinen Blick fest und bestimmt. Hinreißend: „Diese Antwort brauche ich noch. Ansonsten würde ich wach liegen und stundenlang versuchen sie selbst zu finden.“ Ich lächelte mehr als nur angetan von dieser erfrischenden Neugier: „Ahhhh, der Fluch der Neugierigen und Wissensdurstigen. Hehehehehe. Wenn dem so ist. Frag.“ „Warum bekriegen sich die Phantomhives und die Trancys?“ „Die Trancys“, begann ich, als ich mich der uralten Geschichte und dem ganzen Hin und Her mit Alois erinnerte. Ciel gegen Alois. Das war etwas gewesen: „Hatten damals als die Spinne der Queen eine ähnliche Stellung wie der Wachhund, doch fielen sie in Ungnade und verloren ihre Position. Ehehehehehehehe! Die Trancys neiden den Phantomhives ihr Ansehen bei der Queen und ihr breites Netzwerk. Jeder Aristokrat hat selbst eine Menge Leute, die für ihn arbeiten, also indirekt auch für den Earl. Oliver bat vor 2 Jahren um Amys Hand. Er wollte in die Familie einheiraten. Sollten Alexander und Fred etwas zustoßen, wäre Amy die rechtmäßige Erbin des Titels 'Wachhund der Königin'. Wir sind uns sicher, dass Oliver nach der Hochzeit Alex und Fred umbringen wollte. Nach alten Traditionen fällt dem Mann der Titel zu, auch wenn die Frau die Erbin wäre. Somit hätte er alles was er den Phantomhives so bitter neidet.“ Aus einer Frage wurden wieder viele: „Was für ein Netzwerk?“ So kam sie nie ins Bett, doch ich konnte ein weiteres zufriedenes Lachen nicht unterdrücken. Also gab ich ihr noch etwas Trivialwissen, als Gutenachtgeschichte und klemmte ihren Arm unter meinen, als ich sie während ich sprach zur Villa zurückführte: „Fu fu fu fu! Jeder Aristokrat hat eine Funktion und seine Finger tief in schmutzigen Angelegenheiten. Lee, beispielsweise, ist der Kopf fast aller Drogengeschäfte in London. Man nennt ihn auch den 'König des East Ends'.“ Skyler blinzelte als sie ihre Welt sortieren wollte. 'König des East Ends' war ihr als eigentlicher Bewohner selbiges sicher ein Begriff. Das Lee nicht zum knallharten Drogenbaron passte lag ebenso auf der Hand: „Tihihihihi! Schwer zu glauben, aber so ist es. Ich für meinen Teil, ehehehehehe! Bin ein Bestatter mit Ruf, könnte man sagen. Ich bin auch im Untergrund als Dreh- und Angelpunkt für Informationen bekannt und bekomme fast alles zu Ohren, was in den Eigenweiden der Londoner Unterwelt rumort. Wenn man einen Verstorbenen hat, den die Polizei niemals finden soll, kommt man zu mir. Charlie und Frank halten im Ausland ihre Augen und Ohren offen. Wenn man es so sehen möchte sind sie Spione der Queen in Mitteleuropa. Ronald, Grell und William sind tatsächlich einfach nur unsere Freunde. Hehe. Doch wie das mit guten Freunden so ist helfen sie uns, wenn wir sie brauchen. So wie gestern Abend. Wir schätzen diese Freundschaft sehr.“ „Und die Trancys wollen all das haben?“, fragte sie und schaute durch den Garten. Ich nickte ein weiteres Mal grinsend: „In der Tat. Der Earl Oliver Pascal Trancy und sein Butler Claude Faustus. Die beiden haben dich an Amys Geburtstag überfallen.“ „Der Blonde der mich ertränken wollte ist auch ein Earl?!“, fuhr ihr Kopf zurück zu mir. „Und ein niederträchtiger, kleiner Bastard“, grinste ich und führte sie durch die Gartentür, die geräuschvoll zu schlug: „Mache dir keine Gedanken mehr um sie. Die Beiden haben in der letzten Zeit ausreichend mit ihrem jungen Leben gespielt, um eine Retourkutsche zu verdienen.“ „Retourkutsche?“, fragte Sky irritiert: „Inwiefern?“ „Tehehe. Das müssen wir noch besprechen. Doch sowohl Alex, die Aristokraten, wie auch Sebastian, die Shinigami und auch ich haben mittlerweile die Nase gestrichen voll von diesem überheblichen, kleinen Idioten. Allerdings kommen wir nicht so einfach an ihn heran.“ „Wegen Claude?“ „Ehehehe! Unter anderem. Oliver hat 5 Dämonen unter sich, doch Claude ist mit der stärkste von ihnen.“ „5?!“, rief die Hübsche aus. Ich nickte wieder: „Oh ja, oh ja. Er muss ja irgendwie seine fehlenden Kontakte kompensieren. Hehe. Und wie es scheint hat er seinen Kreis von übernatürlichen Handlangern erweitert.“ „Wie meinst du das?“ „Sebastian und ich wollten Claude eine Lektion erteilen, nachdem er dich und Amy angegriffen hatte, doch ein Engel hat ihm die Haut gerettet.“ „Warte!“, rief sie: „Ein Engel? Ich verstehe wahrscheinlich noch nicht ansatzweise so viel wie ich müsste um wirklich mit reden zu können, aber nachdem was ich weiß sind Dämonen und Engel nicht gerade best Friends! Wenn Claude also ein Dämon ist, warum sollte ein Engel ihm helfen?“ „Du denkst ganz recht, hehe. Das gilt es zu klären, bevor wir es mit Oliver und seiner Bande aufnehmen können.“ Vor ihrem Zimmer drehte ich ihr den Kopf zu und musterte sie so eindringlich wie ich konnte: „Doch das ist unser Problem, nicht Deines und mache es nicht dazu, ja?“ „Aber... Amy ist...“, wollte sie protestieren. „Genauso außen vor wie du“, beendete ich diese Diskussion, bevor sie richtig beginnen konnte. Denn über ihre Sicherheit diskutierte ich nicht. Auch nicht mit ihr: „Wir regeln das. Nicht Amy, nicht du. Bitte“, ich nahm ihr Gesicht in die Hand und strich ihr über ihre kalte Wange. Sie musste ganz dringend ins Bett, sich aufwärmen und schlafen: „Versprich mir dich daraus zu halten. Du wärst hoffnungslos verloren. Was soll ich denn tun, wenn dir etwas wirklich Schlimmes passiert?“ Ich schaute ihr in das unendliche Himmelblau. Sie schaute zurück. Wie lange wir stumm dort standen konnte ich nicht genau sagen. Irgendwann nickte sie stumm. Ich zog sie ein weiteres Mal an mich. Ich konnte immer noch nicht fassen wie froh ich war, dass ich das noch tun konnte: 'Denn... was wäre gewesen, wenn...?' „Gute Nacht, meine schöne Puppe“, flüsterte ich ihr ins Ohr: „Träume trotz allem gut und ruh' dich aus. Alle anderen Fragen haben bis später Zeit.“ Mit einem Lächeln ließ ich sie los und ging an ihr vorbei. Einen Schritt brauchte es, da griff mich eine Hand. Das schöne Ding, was nicht weg gelaufen war, hielt mich fest: „Bedrückt dich noch etwas?“ Gedanken rasten hinter den müden Augen: „Äh... Warum hast du an meinem Bett gesessen?“ Ich lachte: „Ahehehehehe! Ich wollte sicher gehen, dass du in Ordnung bist. Ich weiß wie gut der Schuh eines Dämons im Gesicht tut, glaube mir. Hehe!“ Sie musterte mich kurz. Dann blühte ein Lächeln auf ihren Lippen auf, als sie die Augen schloss: „Danke.“ „Wofür?“, fragte ich ehrlich verwundert. Sie öffnete ihre Augen und schaute mir wieder in Meine. Das Ticken der Zeit wurde langsamer: „Für alles. Für die viele Hilfe. Für jeden gut gemeinten Rat. Für deine Zeit. Deine Geduld. Dein offenes Ohr. Fürs Leben retten und dass du meine ganzen Fragen so gewissenhaft beantwortet hast.“ Ich legte gerührt den Kopf mit einem Lächeln schief: „Nein. Ich muss dir danken.“ Sie blinzelte in Unverständnis: „Wofür denn?“ Alle meine Zähne erschienen, als ein selbst für mich untypisch weites Lächeln in meinem Gesicht erschien: „Das du da bist.“ Ich zog seicht an der Hand, die mein Handgelenk fest hielt und stoppte das kleine Stolpern der hübschen Skyler mit meinen Lippen an ihrer Stirn. Ihre Hand fiel von meinem Handgelenk. Das Ticken der Zeit hörte kurz auf. „Gute Nacht“, lächelte ich, als ich es geschafft hatte meinen Mund von ihrer Stirn zu nehmen und mich des Schwindels erwehrt hatte, der in meinen Kopf gestiegen war. „Gut...“, setzte sie an: „Gute Nacht.“ Schnell verschwand ich den Flur herunter Richtung Küche, damit uns nicht noch irgendetwas anderes aufhielt. Ich brauchte allerdings einen Tee, bevor ich meinen Posten im Zimmer neben ihrem beziehen konnte. Auf dem Flur konnte ich sie alleine lassen. Denn sie war nicht alleine. Die restlichen Zimmer waren belegt durch Lee, Charlie, Frank, Grell, Ronald und William und Sebastian schlich wie ein treuer Wachhund durch die Flure des Manors, Augen und Ohren überall. So blöd, sich mit allen gleichzeitig anzulegen, sollten selbst die Trancys nicht sein. „Guten Morgen“, rüttelte es an meiner Schulter. Ich schlug die Augen auf, sah aber erst nichts. Erst als ich mir die Haare aus dem Gesicht strich sah ich den dämonischen Butler, wie er mir auf seine offensichtlich falsche Art entgegen lächelte. Ich stöhnte: „Dinge, die ich am Morgen nicht brauche: Dein falsches Grinsen, Butler.“ „Dinge, die ich den ganzen Tag nicht brauche“, grinste der Dämon und schloss die rostroten Augen: „Dich.“ Ich lachte. Auch wenn Sebastian immer bemüht war so unangetan und desinteressiert wie möglich zu wirken, wusste ich, dass ihm sein Leben eigentlich gefiel, wie es war: Bei der Verteidigung gegen Grells Avancen konnte er sich ein bisschen austoben, Ronald konnte er wunderbar für Blöd verkaufen und in den Wortgefechten mit William und mir konnte er alle sich angestauten Widerlichkeiten ungebremst zum Besten geben. Den Menschen konnte er immer überlegen sein. Ich war mir sehr sicher, dem Butler würde ohne uns etwas fehlen. Ich setzte mich auf. Meine Wirbelsäule schmerzte. Ich hasste Betten. Ich gähnte und strecke mich, während ich mich am Kopf kratze. Ich spürte die vielen kleinen Knoten in meinen Haaren: 'Na wunderbar...' Ich hasste Betten. Anbei muss ich aussehen wie ein Australian Sheppard, der an einem Starkstromkabel herum gekaut hatte. „Wie spät ist es?“, angelte ich verschlafen nach meiner Brille. Es schien noch nicht die Sonne durch die schweren Gardinen. „6 Uhr“, grinste der Butler: „Müde?“ Ich warf die Beine aus dem Bett, als ich die Brille auf die Nase setzte: „Ein bisschen. Hehe.“ Viel geschlafen hatte ich nicht, denn ich war erst vor 2 Stunden endgültig ins Bett gekommen. Ich klaubte ein Haargummi aus meiner Tasche und legte meine oberen Haare ein bisschen zurecht, bevor ich mir einen Zopf band: „Was möchte der Earl von mir, Butler?“ „Der Meister wünscht gestern Abend zu besprechen“, antwortet der Dämon: „Solange die Mädchen noch schlafen.“ Ich schlüpfte in meine Schuhe: „Ist es weise sie außen vor zu lassen? Hehehe.“ „Der Earl sieht noch keine Notwendigkeit die junge Lady und Miss Rosewell in die Diskussionen einzubinden, solange wir vor mehr Rätseln als Antworten stehen.“ „Und Fred?“, fragte ich, als ich mit dem höllischen Butler die Flure zum Salon im Südflügel hinunter ging. „Er ist anwesend.“ Ich nickte und lachte. Dann beschritten wir den Rest des Weges schweigend. Im Salon spielten alle gerade eine Runde Pool. Es war ein gewohntes Bild. Alexander reichte mir einen Queue: „Guten Morgen.“ Ich nahm den Queue grinsend entgegen: „Hehe. Guten Morgen, werter Earl.“ „Ach du meine Güte“, lachte Lee und schlug eine Kugel gegen die Bande: „Der wandelnde Tod hat das Zimmer betreten!“ Ich zog lachend eine Augenbraue hoch: „Ehehehehehe! Meine Güte, Lee! Der war wirklich ziemlich schlecht.“ Grell zeigte mir ins Gesicht: „Ich glaube er bezieht sich eher auf deine unglaublich gesund wirkende Optik, Herzchen. Ich hab Make up in der Tasche. Vielleicht siehst du dann nicht mehr aus wie eine deiner Dolls.“ „Ehehehehe! Danke, liebster Grell. Ich verzichte. Ich werde die Optik meiner bezaubernden Dolls mit Stolz und Würde tragen.“ Sebastian kam mit einem Tablett dampfender Tassen in den Salon und verteilte sie. Zum größten Teil handelte es sich um frischen Kaffee, doch ich bekam meine übliche Tasse schwarzen Tee. „Was auch immer daran so erstrebenswert ist“, trank Ronald einen Schluck seines Kaffees und zeigte mit seinem Queue auf den Tisch: „Du bist dran.“ Lachend stellte ich meine Tasse ab und ging zu dem Tisch: „Worauf spiele ich? Hehe.“ „Ungerade“, nuschelte Frank und zündete sich eine Zigarette an. Eher nebenbei versenkte ich zwei ungerade Kugeln im selben Loch und nahm meinen Tee wieder. „Da nun alle da sind“, sprach Alexander aus seinem Sessel: „Wir haben einiges zu besprechen. Amys Schilderungen machen mir Sorgen.“ „Uns allen!“, sprach Lee mit einer ausschweifenden Geste: „Fragen über Fragen. Rätsel über Rätsel! Unser illustrer, blonder Freund hat keine Mühen gescheut uns etwas zum Grübeln zu überlassen.“ „Was denn alles?“, fragte Ronald, der halb auf einer Kommode saß. „Das wüsstest du, wärst du gestern nicht auf deinem Stuhl eingeschlafen“, grummelte William reichlich genervt. „Hehe. Wie hast du den denn aus dem Bett bekommen“, fragte ich Sebastian amüsiert. Der Butler lächelte: „Ich habe meine Mittel und Wege.“ Ich giggelte als mir klar war, dass keiner davon William gefallen würde. „Ehehehe! Die Jugend muss sich ihren Schlaf gönnen, William! Ich würde auch gerne unterrichtet werden.“ „Du warst doch dabei“, aschte Frank seine Zigarette ab. „Weißt du, liebster Frank. Ich habe nur das Ende von dem gesehen was passierte, doch ich bin mir sicher Amy hat es euch ausführlicher erklärt als mir. Tehehehe.“ „Das kann ich bestätigen“, bekam ich die seltene Unterstützung des schwarzhaarigen Dämons: „Die Erklärungen der jungen Lady auf dem Flur waren arg diffus.“ Charlie lachte: „Amy brauchte gestern definitiv etwas bis sie sich beruhigt hatte. Verständlich. Mich würde es auch erschrecken, wenn Claude auf einmal hinter mir steht.“ „Das steht außer Frage“, schüttelte Heather den Kopf. Dann stand sie auf und nahm eine meiner Hände, während sie mir entgegen strahlte: „Ich danke dir, Undertaker. Den Mädchen wäre Sonstiges passiert, hättest du es nicht bemerkt.“ „Danke Skyler, nicht mir“, lachte ich. „Wieso?“, wirkte die Countess etwas verwundert. „Hätte Skyler sich nicht ihre hübsche Kehle aus dem Hals geschrien, hätte ich gar nichts bemerkt. Hehe.“ „Wo wir beim ersten Knackpunkt sind“, warf Fred ein, der seinem Kaffee sehr verbunden wirkte und alles andere als putzmunter schien: „So wie es sich anhörte hatte Skyler die ganze Zeit das Gefühl verfolgt zu werden. Etwas, was dank der 'Fessless Stones' ja unmöglich sein sollte. Wie, in aller Herren Länder, hat sie Claude also bemerkt?“ Heather ließ meine Hand los und schaute in die Runde: „Eine sehr gute Frage.“ Ich giggelte, obwohl mich eine Antwort mindestens genauso brennend interessierte wie alle hier im Raum: „Tihihihi. Es gibt Menschen, die Übernatürlichen gegenüber einfach affine sind.“ „Das wissen wir“, trank Fred einen weiteren Schluck Kaffee: „Die Phantomhives sind schon so lange in Sebastians Nähe, dass wir selber affine geworden sind.“ „Falsch“, kicherte ich: „Nihihi! Ciel war schon affine, deswegen konnte er Sebastian auch so einfach beschwören. Opfer ist ungleich Opfer.“ Der Dämon nickte: „Undertaker hat Recht, aber das ist eine andere Geschichte.“ „Gut, trotz allem“, Fred schüttelte den Kopf und begab sich an den Billardtisch: „Wir können Claude und Co. KG definitiv nicht mehr spüren. Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wann er da ist und wann nicht.“ Der Erbe der Phantomhives versenkte stöhnend eine falsche Kugel: „Ach Mist! Naja, wie auch immer. Ich habe immer gedacht wir seien schon das höchste aller Gefühle, wenn wir über 'Affinitäten zu Übernatürlichen' sprechen.“ „Ehehehe. Augenscheinlich“, lachte ich wieder und trank einen Schluck Tee: „Hat die kleine Sky euch den Titel abgejagt.“ „Das soll alles sein?“, erhob sich William und drehte die blaue Kreide auf der Spitze seines Queues: „Sie ist einfach nur affiner als wir anderen?“ „Affiner als Todesgötter?“, warf Grell ein. Ich hob lachend die Hand: „Hehehe! Eine bessere Erklärung habe ich nicht.“ „Dann müssen wir eine finden“, streckte der rote Reaper seine Hüfte zur Seite heraus und legte die Hände darauf ab: „Bloße Affinität finde ich zu dünn als Erklärung.“ „Hihi. Nun ja“, begann ich ein weiteres Mal: „Vor einigen Tagen gab es ein kleines Zusammentreffen mit Claude, Hannah und Sebastian. Da konnten die Steine ihre Anwesenheit nicht mehr verstecken.“ „Du meinst“, überschlug Charlie auf dem Rand des Pooltisches die Beine: „Skyler könnte Claude bemerkt haben, weil er seine dämonischen Kräfte benutzte?“ „Aber“, warf Ronald ein, der einmal quer über dem Billardtisch hing: „Hätten dann nicht auch wir Wind davon bekommen müssen?“ „Eigentlich schon, oder?“, pflichtete Grell über das Klacken der Kugeln hinweg Ronald bei. „Ich denke auch“, grummelte William und tauschte die Plätze mit Ronald: „Und wie du selbst sagtest, Undertaker, hast du Skylers Rufe gehört und nicht Claudes Anwesenheit bemerkt. Also, woher kann sie das?“ Lachend schaute ich durch die Runde: „Es schmeichelte mir, dass ihr denkt ich hätte sofort auf alles eine Antwort, aber das Leben schafft es selbst mich hin und wieder einfach zu überraschen. Ehehehe. So auch jetzt. Die allumfassende Erklärung, die ihr euch von mir so dringlich zu wünschen scheint, die habe ich nicht.“ Lee breitete die Hände aus: „Ich bin der Meinung wir sollten Duvall einladen.“ „Duvall?“, schaute ich über meine Tasse zu dem jungen Asiaten und bekam mehr als nur große Ohren: „Hehe. Warum denkst du das?“ „Nun“, er hob die Hände: „Sky ist ganz klar ein Mensch. Das steht außer Frage. Duvall kennt sich mit sonderbaren Menschen am besten aus.“ „Ich glaube Duvall hätte schon etwas bemerkt und Alarm geschlagen“, warf Charlie ein. „Nun“, machte Heather: „Ich halte viel auf sie, aber auch Duvall ist nur ein Mensch und hat wirklich viel zu tun.“ „Unterstelle ihr, dass sie einen abnormalen Mensch vor ihrer Nase nicht sieht und Duvall zerreißt dich, Liebling“, trank Alexander amüsiert einen Schluck Kaffee. „Ihr Stolz ist mir persönlich ziemlich egal“, gab Frank seine Meinung zum Besten: „Wir sollten ihr schreiben und sagen sie soll ein Auge auf Skyler halten. Wozu ist sie eine Aristokratin, wenn sie uns nicht hilft?“ Alexander zückte seufzend ein Handy: „Ich bin dieser Idee nicht abgeneigt. Duvall hält uns die helfende Hand eigentlich gerne hin. Begeistern wird sie das indirekte Infragestellen ihrer Kompetenzen nicht, aber abschlagen wird sie die Anweisung auch nicht.“ Ich giggelte wieder, amüsiert wohl nicht der Einzige mit einer Theorie um Skylers Andersartigkeit zu sein: „Hihihihi! Duvall wird sich dahinter klemmen, schon alleine weil sie etwas verpasst hat. Ihr Stolz ist ihre Achillesferse.“ Nachdem er ein wenig darauf herum getippt hatte, steckte der Earl sein Telefon wieder weg. „Ist es nicht ein bisschen früh ihr schon zu schreiben?“, warf Charlie ein. „Duvall schläft doch nicht!“, lachte Lee. „Die Alte ist bekloppt“, grummelt Frank. „Selbst sollte sie schlafen, dann liest sie es halte später“, lacht der Earl. Doch da erklang schon sein Klingelton in Form einer hellen Glocke: „Aber sie schläft nicht.“ Der Earl las Duvalls Antwort und lachte dann: „Wie erwartet. Ein bisschen biestig, aber sie nimmt sich der Sache an. Ich soll euch aber allen ausrichten das sie 'Nichts übersieht, ihr vorlauten Naseweise' und 'ein paar herzliche Grüße, auch an Kind und Kegel im Ausland'.“ Ich lachte schrill: „Ja, ja. Ehehehehe! Das ist Duvall.“ „Gut“, steckte der Earl nach einer schnellen Antwort sein Handy nun endgültig in die Tasche: „Dass Skyler definitiv affine ist steht außer Frage, nehme ich an. Also zum Nächsten: Warum hat Claude die Hunde gerufen?“ „Ahh! Hehehe! Meine Theorie dazu“, sprach ich ungefragt, bevor die Anderen auch nur Luft holen konnten: „In dem Glanz unseres sicheren Sieges, haben wir da tatsächlich gedacht, wir treffen ihn ein zweites Mal?“ „Einleuchtend“, machte William knapp: „Die Viecher waren Kanonenfutter. Wir dachten die Schlacht sei damit aber schon vorbei und waren unvorsichtig.“ „Und Peng!“, machte Ronald: „Hatten die Mädels die Kacke am dampfen.“ „Knox!“ „Was?!“ William schüttelte den Kopf: „Was für ein Jargon!“ „Erschreck' mich nicht so!“, machte Ronald: „Ich dachte schon ich habe was falsch gemacht!“ William seufzte genervt: „Du hast etwas falsch gemacht!“ „Och Will“, schüttelte Grell den Kopf: „Nicht jetzt, ok?“ William verschränkt kopfschüttelnd die Arme. „Feiner Jargon oder nicht“, grinste Charlie: „Ronald hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Warum die Mädchen?“ Lee nickte mit den Kopf vor und zurück: „Zwei junge Mädchen. Alleine. Getrennt von den Anderen. Schutzlos und als Geiseln Gold wert.“ Heathers Kopf flog zu ihm: „Du meinst er wollte die Mädchen entführen?!“ „Amy, zumindest“, antwortete ich: „Nehehehe. So wie er sie im Haltegriff hatte.“ „Niemals!“, sprang Alexander auf: „Dieser kleine dämonische Sohn einer räudigen Hündin soll seine dreckigen Finger von meiner Tochter lassen!“ William seufzte. Ich lachte. Frank seufzte auch: „Amy ist des Weiteren nicht immer Zuhause.“ „Oh mein Gott!“, machte Heather und schlug die Hände vor den Mund: „Sagt mir nicht, Claude könnte Amy in der Schule überfallen?!“ „Das kann er probieren“, sagte Lee: „Doch in der Schule ist Duvall.“ „Stimmt“, pflichtete ich Lee bei: „Wenn Duvall die Mädchen im Blick hat, kann sie Bescheid geben und dann kann Claude mit Jemandem diskutieren, der schlagfertigere Argumente hat. Ehehehehehe! Ich tippe in Zurückhaltung muss ich mich nicht mehr üben.“ Duvall würde sowohl die Phantomhives, als auch mich unterrichten. Die Phantomhives, weil der Earl halt der Wachhund ist und mich, weil ich am nächsten an der Schule wohnte. Alex drehte sich zu mir: „Wenn du ihn in deine kalten Finger kriegst, Undertaker in aller Gottes Namen, bring ihn um. Für mich mit.“ Ich merkte wie fies und vorfreudig das Grinsen in meinem Gesicht war: „Zu Befehl, mein Earl. Ehehehehehehe!“ „Gut“, fasste Fred zusammen: „Um Sky und die Sicherheit der Mädchen in der Schule kümmert sich Duvall, in einem Abwasch sozusagen. Oliver will Amy entführen, wahrscheinlich um uns zu erpressen. Wie emsig er an diesem Plan hängt, können wir nur leider nicht sagen.“ „Nehehe!“, machte ich: „Der Plan ist nicht so dumm. Hätte er Amy, hätte er uns alle in der Hand. Wenn er schlau ist verfolgt er diesen Plan weiter.“ „Aber Oliver ist nicht schlau“, grinste Lee. „Aber Claude“, seufzte Sebastian: „Und der tragischste Unterschied zwischen Oliver und seinen Ahnen, zum Beispiel Alois, ist dass er auf Claude hört. Er ist genau so impulsiv und unüberlegt, aber er hört bei weitem mehr auf Claude und Hannah und vielleicht auch auf seinen neusten Verbündeten.“ Ich lachte, als ich die Anspielung des Dämons verstand: „Ehehehehehe! Der Engel.“ Sebastian nickte. „Engel, die Dämonen helfen“, Grell wandte sich mit einem flirtenden Grinsen zu Sebastian: „Ich kann ihm nachfühlen, wenn ihr euch immer so schneidige Verkleidungen aussucht.“ „Sutcliff“, grummelte William. „Noah!“, machte Grell: „Keine Sorge, Willi Bärchen! Du bist genauso schneidig!“ Mit einem Zwinkern schwebte ein kleines rosa Herzchen zu William herüber. Er ließ es mit seiner Queue platzen, bevor er selbigen Grell über den Kopf zog: „Willi Wie bitte?! Ich glaube bei dir läuft oben nicht mehr alles ganz rund, Sutcliff!“ „Aua...“, rieb sich Grell niedergeschlagen die pochende Stelle: „Das tut doch weh...“ Diese Szenerie warf mich in einen kleinen Lachanfall: „Ehehehehehehehehehehehehehehehe!“ „Wenn ihr beiden fertig seid“, machte Sebastian: „Daran, dass wir so 'schneidig' sind, liegt es sicher nicht.“ „Aber“, klimperte Charlie mit den Augen: „Was dann?“ „Gute Frage“, machte der dämonische Butler: „Das habe ich wirklich noch nie erlebt.“ Auch die drei Reaper schüttelten den Kopf. „Neuland“, sagt William kurz abgebunden. „Das glaubt mir keiner, wenn ich das Zuhause erzähle“, kicherte Grell. „Ich habe nie gedacht, dass mir sowas mal passiert“, lachte Ronald. „Für mich“, hob ich die Arme: „Hat so ein Duo ebenfalls Premiere. Ehehehe!“ „Wir müssen den Engel zu fassen kriegen“, sagte Frank: „Oder einen der Trancys. Nicht zu wissen wer der Engel ist, was er kann und warum er ihnen hilft, bringt uns abermals in eine schlechte Position.“ Ich nickte: „Ich bin ganz bei dir, lieber Frank. Hehehe. Es war immer eine Patt-Situation. Der Trancy und der Phantomhive Haushalt waren mit unseren drei Schnittern dort immer gleich stark. Wir konnten sogar die Menschen heraushalten. Ehehehe. Das könnte sich mit dem Engel geändert haben.“ „Unterhalten Engel Sekten?“, fragte Lee relativ kontextlos. Ich blinzelte: „Kam hier und da mal vor. Hehehe. Sie haben auch das Christentum etabliert. Fast jeder Apostel hatte seinen eigenen Engel zur Hand. Ehehe. Warum fragst du?“ „Hast du es noch nicht mitbekommen?“, fragte Lee verwundert: „Im East End ist eine neue 'Freikirche' aufgetaucht. Der 'Orden des Tau'.“ Ich schüttelte den Kopf: „Hehehehehe. Freikirchen sind nie gut. Mit 'Orden' im Namen noch viel weniger. Aber nein, ich habe noch nicht davon gehört. Wie neu?“ „Die erste große Einladung war vorgestern. Wahrscheinlich kommt es noch zu dir durch. Aber ich finde es erstaunlich, dass zur selben Zeit ein Engel und eine neue Freikirche auftauchen, oder?“ Zustimmendes Gemurmel und Kopfnicken. „Definitiv“, grinste ich: „Nihi. 'Orden des Tau'? Metaphorisch oder von dem Buchstaben abgeleitet?“ Lee wackelte mit dem Kopf: „Ihr Zeichen ist der Buchstabe.“ „Das Tauzeichen“, erklärte ich lachend: „Ehehehe. Steht im weitesten Sinne für 'schützenswertes Leben'. Es agiert gegen den Tod. Es hält ihn fern. Ezechiel oder Hesekiel zeichnete es all derer auf die Stirn, die den Fall Jerusalems überleben sollten und haben. Ein bedeutungsschweres Symbol. Hat uns damals die Arbeit reichlich schwer gemacht. Menschen mit diesem Zeichen waren für uns schwer zu fassen. Es ist fast vergessen, da es irgendwann im traditionellen Kreuz verschwand.“ Ronald deutete mit der Hand auf mich: „Wozu ein Lexikon, wir haben ja dich.“ Charlie verschränkte die Arme: „Hab ich noch nie von gehört...“ Ich lachte: „Na, na. Da hat aber jemand die Bibel nicht aufmerksam gelesen. Ehehehehe!“ Charlie schüttelte den Kopf: „Als ob du die Bibel gelesen hättest!“ „Ehehehehe! > Und der Herr sprach zu ihm: Geh mitten durch die Stadt, mitten durch Jerusalem und mache ein Zeichen auf die Stirn der Leute, die seufzen und jammern über all die Greuel, die in ihrer Mitte verübt werden! Zu den anderen aber sprach er vor meinen Ohren: Geht hinter ihm her durch die Stadt und erwürgt; euer Auge soll nicht verschonen, und ihr dürft euch nicht erbarmen. < Hesekiel 9,4 und 9,5. Hehehehehehe!“ Charlie machte große Augen: „Das zitierst du einfach so?“ Ich hob nur grinsend eine Hand: „Wie du siehst. Hehehe. Kenne deine Feinde, sage ich. Das Tauzeichen, oder Antoniuskreuz, ist in Vergessenheit geraten und durch das traditionelle Kreuz weites gehend ersetzt worden, aber ein Engel könnte sich Seiner wohl erinnern.“ „Und Menschen mit diesem Zeichen können wir nicht einfach holen?“, fragte Grell skeptisch. Doch ich nickte: „Nicht einfach so, nein. Wenn derjenige, der es zeichnet, einen Pakt mit einem Engel hat der stark genug ist, rennst du zwei-, dreimal vor eine beachtlich dicke Wand. Hehehe. Aber irgendwas muss das Leben ja interessanter machen, oder? Ehehehehe!“ William wirkte noch genervter als vorher und sonst: „Sowas kann ich wirklich nicht gebrauchen...“ „Ein bisschen Abenteuerlust, lieber William. Hehehehe!“ „Ach!“, machte der Aufsichtsbeamte abwertend: „Bleib mir weg mit deiner Abenteuerlust! Das sind nur viele unbezahlte Überstunden! Sonst nichts!“ Ich giggelte weiter: „Nihihihi! Du hast Probleme! Herrje, herrje.“ Alexander seufzte: „Das klingt aber auch für mich nicht gerade wie ein Zufall. Behalte diese Sekte im Auge Lee.“ Lee senkte den Kopf: „Wie ihr wünscht, mein Earl.“ Ronald gähnte und kratze sich durch die Frisur: „Manno man. Immer kommt alles auf einmal.“ Auch Fred streckte sich: „Sind wir durch, Dad? Ich würde mich gerne noch etwas hinlegen.“ Lee lachte: „Zu lange mit Josefina telefoniert, mein Freund?“ Fred musterte seinen besten Freund mit Missfallen: „Wenigstens habe ich eine Freundin mit der ich telefonieren kann.“ „Du bist so grausam“, lachte Lee kopfschüttelnd. „Lenk' sie nicht vom lernen ab!“, keifte Frank: „Josi hat bald Klausurphase.“ Josefina von Steinen war eine adrette, junge Dame, Franks Tochter und Frederics Verlobte. Fred schüttelte genervt den Kopf: „Ich weiß! Sind wir fertig?“ Alexander nickte: „Ja sind wir. Sebastian? Frühstück heute erst um halb 10“, lachend schaute der Earl sich um: „Hier können augenscheinlich einige noch ein paar Stunden Schlaf vertragen.“ Eigentlich sah selbst der Earl noch nicht ganz ausgeschlafen aus. Von Ronald und unserem Siebenschläfer William ganz zu schweigen. Aber auch ich war in dieser Aussage impliziert, das war mir wohl bewusst. So entließ uns der Earl Phantomhive aus der kleinen Krisensitzung, die leider nur bedingt erhellend gewesen war. Oliver und Claude hatten uns einige Brocken entgegen geworfen und auch diese neue Freikirche klang nicht gerade vertrauensselig. Auch die kleine Sky blieb ein mittelgroßes Rätsel. In meinem Bett wollte ich eigentlich noch ein paar Gedanken wälzen, doch ich kam nicht dazu. Viel zu schnell war ich noch einmal eingeschlafen. Klopf, klopf! 'Hm...? Waaaaaas...?' Ich hob den Kopf und blinzelte durch mein Zimmer. Mittlerweile sickerte die Morgensonne durch das große Fenster. Ich war der Meinung etwas gehört zu haben, doch es war auch nicht unmöglich, dass mir meine Ohren im Traum einen Streich gespielt hatten. Ich gähnte. Klopf, klopf! Mein Kopf fuhr zur Türe. Ich hatte wohl doch nicht geträumt. Der Butler wäre nach dem ersten Mal Anstandsklopfen herein gekommen. Aber ansonsten würde mir niemand einfallen, der freiwillig an meine Tür klopfen würde. Dafür fielen mir Hunderte ein, die auf spitzen Zehen daran vorbei schleichen und den Atem anhalten würden, damit ich sie auch bloß nicht hörte. Als ob das etwas nützen würde. Von meiner Neugier ergriffen erhob ich mich aus diesem unsäglichen Bett, streckte meinen schmerzenden Rücken und fuhr mir durch meine total verknoteten Haare. Ich lachte verschlafen auf und stapfte immer noch im Zwist mit meinem Schlafrhythmus gähnenderweise zur Türe. Ich war allerdings doch überrascht, als mir zwei himmelblaue Augen entgegen blinzelten, nachdem ich die Nase durch den Türrahmen gesteckt hatte. Diese zwei himmelblauen Augen sahen allerdings ähnlich verwirrt zurück in mein Gesicht. „Oh. Ehehehe! Guten Morgen“, grinste ich, als mich das schöne Gesicht der jungen Frau auf einmal so belustigt musterte. Dieser Ausdruck war wunderbar. Sie beschaute mich irgendwo zwischen amüsiert und schüchtern, bis ihre Hand über ihren Mund wanderte und sie zu kichern anfing. Ihr Kichern war Musik in meinen Ohren. „Worüber lachst du? Hehe“, legte ich den Kopf schief, als ich das Geräusch dieses Kicherns genoss. Sie zeigte auf mich: „Du siehst aus, als hätte man dich mit dem Hammer gebürstet!“ Ich schloss die Augen, als mich diese Ehrlichkeit zum Lachen brachte. Wahrscheinlich hatte sie Recht und ich tatsächlich gerade eine große Ähnlichkeit mit Rumpelstilzchen oder Pumuckl. „Pssst!“, drehte sie auf einmal ihren Kopf von mir weg und fauchte durch den dunklen Flur. „Hö? Was hast du? Hehe“, blinzelte ich sie verwirrt an. Ich war sicher, so halb aus dem Bett gefallen wie ich dort stand, nicht gerade das aufnahmefähigste Wesen in der großen Villa, aber ich war mir doch sehr sicher ich würde es mitkriegen, wenn sie mit mir redete. Ihr Kopf flog zu mir zurück und ich schaute sie in Erwartung einer Erklärung an. Lange. Doch sie starrte nur vollkommen rot im Gesicht zurück und bekam mit weit aufgerissenen Augen keinen Ton heraus. Meine Augen wurden schmaler, als mein gerade aufwachender Verstand nach einer Lösung suchte, aber keine fand. „Nichts...“, fiepte sie schließlich irgendwann. Ihr Gesichtsausdruck war herrlich! Rot wie ein chinesischer Lampion und die Augen auch ungefähr genau so groß! Ich lehnte mich auf die Klinke, um der so putzig rot angelaufenen Skyler meine Nase in Gesicht zu strecken: „Sicher? Hehe.“ „Ja! Ähähähä! Alles bestens! Hähä...“, nickte sie und lachte, als ob ihr der Leibhaftige ein Messer in den Rücken hielt. Mein Kopf kippte zur Seite als ich überlegte, ob sie an diesem Lachen ersticken könne und wen sie da angefaucht hatte. Doch ich hatte das Gefühl sollte ich nachfragen, würde sie an ihrer Scham sterben: „Ehehe! Wenn du es sagst. Was möchtest du hier? Ich meine, es gibt definitiv Schlimmeres als von einem hübschen, jungen Ding geweckt zu werden, aber ich tippe ganz so uneigennützig ist dein Auftauchen nicht.“ Sie blinzelte mich an: „Sebastian hat dich nicht geweckt?“ „Oh doch“, lachte ich und schaute ihr weiter von nahen in diese blauen Augen: „Tihihihihi! Schon vor einer ganzen Weile.“ „Aber?“, fragte sie langgezogen und irgendwie stockend. Vielleicht war auch sie noch nicht ganz wach „Ich habe mich danach noch einmal hingelegt. Hehe!“ „Pragmatisch. Das ist wie lange her?“ Ich nahm den Kopf nach hinten und kniff die Augen zusammen. Doch die Uhr dachte nicht daran mehr als ein verschwommener Fleck zu sein. Selbst wo die Zeiger waren konnte ich noch nicht einmal erahnen: „Ööööhm... Ehehehehe! Ich würde es dir sagen, könnte ich die Uhr erkennen!“ Nach einem Seufzen steckte mir die junge Schönheit ihren Kopf entgegen. Ich musste blinzeln, als mir auf einmal der Geruch ihres Shampoos entgegen schlug und ihr Gesicht so knapp vor meinem stoppte. „09:13 Uhr“, lachte sie und wandte ihr Gesicht zu meinem. Ihre Nase blieb nur Zentimeter vor meiner stehen, doch schien das nicht geplant gewesen zu sein. Ihre leicht vorstehenden und schön definierten Wangenknochen wurden einen Rotton dunkler und ihr schüchternes Lächeln provozierte ein Grinsen meinerseits. „Tehehehe! Vor 3 Stunden“, lachte ich, nachdem ich das schlanke und schön geschnittene Gesicht der jungen Dame eingehend gemustert hatte. Auch sie schaute mir immer noch ohne zu blinzeln in die Augen: „Vor 3 Stunden?... Dann... bist du noch nicht lange auf dem Zimmer, oder?“ Ich zuckte einmal kurz mit dem Kopf nachdem ich aufgelacht hatte: „Ehehehe! Nein. Knappe 2 Stunden.“ Dann zog das junge Ding bedauerlicher Weise ihren Kopf wieder aus meinem Gesicht und Zimmer: „Oh...“ Ich kicherte. Schnell ergriff ich das Wort, bevor Skyler sich wieder für etwas entschuldigte, wofür sie sich nicht entschuldigen musste: „Tihihihi! Doch nun sag. Was möchtest du von mir?“ „Ähm...“, schaute sie zögerlich zu Seite: „Sebastian meinte ich soll hier klopfen, wenn ich zum Frühstück finden will...“ 'Dieser Schlingel!', lachte ich in meinem Kopf. Sebastian hatte das schöne, junge und vollkommen ahnungslose Mädchen also vorgeschickt, um mich nicht ein zweites Mal nach dem Aufwachen erleben und ertragen zu müssen. Des Weiteren wollte er wohl so sichergehen, dass ich wirklich aufstand. Ich lachte: „Hehehe! Wenn es sonst nichts ist. Ich mache mich nur kurz ausgehtauglich. Halte noch ein bisschen durch, du bist sicher hungrig.“ Ich hatte Sky gestern Abend auf der Feier nicht einmal etwas Essen sehen. Also war sie seit mindesten 14 Stunden nüchtern unterwegs. Wenn man jetzt noch bedachte wie dünn das schöne Mädchen war, kam man unschwer auf den Gedanken, dass sie nicht 14 Stunden hungern sollte. Wenn sie das nicht öfter schon tat. Zum ersten Mal musterte ich die Figur der jungen Lady so eindringlich, dass sie mir Sorgen machte. „Ach“, lachte Skyler mich aus meinen Gedanken und rieb sich am Hinterkopf: „Nicht wirklich, lass dir Zeit.“ Dieses Mal nahm mir das Schicksal meinen üblichen Vortrag über Lüge und Wahrheit ab, denn erzählen ihr Magen sei mittlerweile nicht gänzlich leer konnte sie mir wirklich nicht. Es war ein Seitenwink des Karmas, der sie hart traf und mir zeigte, dass es wert gewesen war vor ein paar Minuten aus dem Bett gefallen zu sein. Kaum hatte sie behauptet nicht hungrig zu sein knurrte, nein, brüllte ihr Magen durch den ganzen Flur, dass dies nicht im Ansatz stimmte. Nicht das es mich verwunderte, dass diese Aussage eine offenkundige Lüge war, doch ich kam nicht drum herum dem Schicksal für diesen äußerst humorvollen Zwischenfall dankbar zu sein: „Ehehehehehe! Ich muss nichts sagen, oder?“ Skyler stand vor meiner Tür mit einem Gesichtsausdruck, dass sie weder glauben könne, noch wollte was gerade geschehen war. Schließlich schüttelte sie den Kopf: „Nein... bitte nicht.“ „Gut“, grinste ich. Nachdem das Karma es mir abgenommen hatte, musste ich sie nicht weiter quälen. Ich kann immer noch still vor mir her lachen: „Dann bis gleich.“ Nach einem Winken verschwand sie hinter dem Holz meiner Zimmertür. Ich schaute in den Spiegel und legte lachend eine Hand über mein halbes Gesicht. Mein unordentliches Hemd hing halb aus dem Hosenbund. Meine Haare waren nur noch als verunglückter Flokatie zu bezeichnen und meine Augen standen auf Halbmast. Ich sah gelinde gesagt furchtbar aus. Lachend und kopfschüttelnd entfernte ich mich von meinem furchtbaren Spiegelbild und schob die dicken Vorhänge zur Seite. „♪ Tom, he was a piper's son...♫”, flog es mir spontan durch den Kopf und leise über die Lippen, als ich im Garten die Angestellten hin und her wuseln sah, die die Reste der Halloweenparty verschwinden ließen: „♪ He learnt to play when he was young...♫“ Ich sah einen Teil des ramponierten Ballsaals. Wir mussten ganz schön gewütet haben. Doch die Sonne lachte mir entgegen und prophezeite gutes Wetter für diesen 1.11. „♪ And all the tune that he could play...♫”, warf ich leise vor mich hin singend mein vollkommen zerknittertes Hemd, in dem ich genächtigt hatte, auf dieses mit Matratzen belegte Scheusal von Möbelstück und zog ein frisches weißes über, welches auf der Kommode gelegen hatte: „♪ 'Was 'over the hills and far away';...♫” Ich wusste mittlerweile auswendig wo Sebastian die Kleiderstapel ablegte. Wenn der Butler etwas nicht ertragen konnte waren es grobe Verstoße gegen sein Augenlicht, in Form von Falten oder Flecken, weswegen er immer frische Kleidung zu den Gästen brachte die selbst keine dabei hatten. So auch bei mir. Wenn man jetzt dem Anschein unterlag, unser höllisch guter Butler litt unter einen leichten Ordnungs- und Reinigungszwang, könnte man damit Recht haben. Die Kleidung stammt auch eigentlich immer aus den heimischen Kleiderschränken besagter Gäste, weswegen mich die Anwesenheit meiner Lackstiefel und meiner goldenen Medaillons nicht weiter verwunderte, ich die Schuhe einfach überzog und mir meine Anhänger um die Hüften legte. Nur die Kleider die er der jungen Sky brachte, die waren immer nagelneu. Wahrscheinlich weil der Earl es so wollte. Für die Freunde seiner kleinen Prinzessin nur das Beste, auch wenn er damit 'den Prinzen und den Bettelknaben' nachspielte. 'Wenigsten ist es eine schöne Geschichte...', blieb ich abermals kurz vor dem Fenster stehen: 'Eine der wenigen Geschichten mit einem Happy End für alle Seiten.' Ich beschaute unwillkürlich die Anhänger an meiner Hüfte und erinnerte mich der Menschen, denen sie gewidmet waren: „♪ Over the hills and a great way off...♫” Es waren mal 6 Anhänger gewesen. Mittlerweile waren es 12: „♪ The wind shall blow my top-knot off...♫” Schließlich stellte ich mich der Aufgabe meine Haare zu retten: „♪ Tom with his pipe made such a noise...♫” Es dauerte ein bisschen und mit Samthandschuhen kam ich bei den ganzen Knoten auch nicht sonderlich weit, aber nachdem ich zwei Hände voll abgerissenen Haarlängen aus der Bürste sortiert und weggeworfen hatte (Grell wäre wahrscheinlich ohnmächtig geworden, hätte er das gesehen), sah ich wieder aus wie ein Mensch. „♪ That he pleased both the girls and boys...♫”, wog ich den Kopf hin und her, als ich so vor mich her in den Spiegel starrte. Ich wusste nicht warum, aber ich band mir einen Teil meiner Haare mit ein paar Crownrows zurück. Mir war einfach danach: „♪ They all stopped to hear him play...♫“ Ich seufzte lachend als mir klar wurde, dass ich jetzt für den Rest des Tages einen Ohrwurm von 'Tom he was a piper's son' haben würde und nichts dagegen tun könnte: „♪ 'Over the hills and far away'...♫“ Ich besann mich, dass man junge Damen nicht warten ließ und hing meine Brille an mein Hemd als ich zur Tür ging. Kaum hatte ich sie geöffnet und die junge Skyler angelächelt, schaute sie ganz komisch. Ich hatte erst kurz überlegt zum Spiegel zurückzugehen und nachzuschauen ob ich etwas im Gesicht hatte, aber dann ließ mich die Verwirrung auf der Stelle stehen bleiben. Die Verwirrung darüber, dass dem jungen Ding der Kiefer aufgeklappt war. Sie stand nur da und blinzelte mir mit leicht geöffnetem Mund entgegen. Verwundert, aber auch über ihren Gesichtsausdruck gut amüsiert, legte ich den Kopf schief: „Alles ok?“ Sie nickte langsam: „Ääähm... klar!“, dann schaute sie zur Seite und zauderte merklich bevor sie weiter sprach und dabei wieder ein hauch Rosa auf ihren wohlgeformten Wangenknochen erschien: „Das... Die Frisur steht dir... und so...“ „Ehehe. Und so?“, fragte ich belustigt und geschmeichelt aufgrund dieses unbeholfenen Komplimentes. Unruhig wanderten ihre Augen in dem rosanen Gesicht durch den Flur und vermieden meinen Blick tunlichst: „Ja... Das könntest du öfter... so machen.“ Mein Lachen war durch das Echo des langen Flures merklich lauter, als ich mich schon einmal zum Gehen wandte: „Ehehehehe! Danke! Ein Kompliment aus deinem Mund ist viel wert.“ Es dauerte nicht lange da kamen schnelle Schritte hinter mir her und die junge Brünette erschien zu meiner Rechten: „Verschwinde doch nicht einfach so!“ Ich kicherte: „Hihihi. Ich bin doch nicht verschwunden.“ „Du bist einfach abgehauen! Wortlos!“, brüskierte sie sich weiter. „Ich wollte mich beeilen. Du bist es schließlich, die so furchtbar Hunger hat. Hehe“, ließ ich es mir nicht nehmen sie ein bisschen aufzuziehen. Auf meine Provokation hin verschränkte sie beleidigt die Arme und schaute weg: „So schlimm ist es auch nicht...“ Ich schaffte es gerade so mein Lachen in ein Räuspern zu verwandeln und das schöne Ding warf die Arme in die Luft: „Ok, ok! Ich habe Hunger! Zufrieden?! Aber das legitimiert nicht geräuschlos abzuziehen und mich in der Gegend stehen zu lassen!“ Mir wurde wieder klar warum ich mich so gerne mit Skyler unterhielt. War ihr Betragen nicht einfach wundervoll? Doch ein weiterer Gedanke ging mir auf: 'Sie hat nicht bemerkt, dass ich mich entfernt habe.' Mein Oberstübchen ratterte kurz. Sie war offensichtlich in der Lage gewesen Claude zu bemerken, aber sie schien nicht bemerkt zu haben wie ich einfach los gegangen war. Es könnte natürlich zu wenig räumliche Distanz zwischen uns gewesen sein, doch mir fiel ein, dass sie mich auch auf der Straße hinter ihr,oder in meinem Sarg versteckt nie bemerkt hatte. Und das zu einer Zeit, wo wir die Steinamulette noch nicht trugen. Damals, als mir ihre Affinität noch nicht bewusst war, hatte ich all dem keinen Stellenwert zugemessen, aber nun? Es war Zeit für ein kleines Experiment: „Ich habe dich weder 'stehen lassen', noch bin ich 'geräuschlos abgezogen'. Ich gehe doch hier, oder? Hätte ich gewollt, dass du mich nicht findest, würdest du mich jetzt immer noch suchen. Hehehehe!“ „Natürlich. Was bist du? Ein Geist? Also ehr...“, tat Skyler genau das, was ich mir erhofft hatte: Sie zweifelte meine Aussage an und gab mir den perfekten Vorwand lautlos von ihrer Seite zu verschwinden. Natürlich war ich nicht allzu weit weg. Ich bezog Posten auf einer der riesigen Kronleuchter, die über der Einganghalle hingen, zog meine Brille auf um sie im Blick zu behalten und setzte mich gemütlich auf einen der dicken Arme. Eine der Weisheit die ich gelernt hatte: Die Leute schauten nie nach oben. Ich konnte das junge Ding immer noch in dem Flur sehen, der in die Galerie schräg unter mir endete von der eine Wendeltreppe in die ausgeleuchtete Einganghalle führte. „...Undertaker?“, hörte ich ihre verwunderte Stimme. Ihre Augen suchten mich verzweifelt: „Undertaker, wo bist du?“ Ich kniff die Augen ein bisschen zusammen. Skyler hatte sichtlich keine Idee wohin ich verschwunden war. Dann nahm ich mein Steinamulette ab. Mit einer fahrigen Bewegung schmiss ich es zur Seite und es blieb an dem Kronleuchter neben mir hängen. „Das ist voll nicht komisch!“, rief sie und lief auf die Galerie zu: „Ich hab keinen Ahnung wo ich bin, geschweige denn wo ich hin soll! Wo bist du?! Undertaker?!“ Selbst als sie auf der Galerie angekommen war verriet mir die Tatsache, dass sie nach unten und nicht nach oben schaute, dass sie mich nicht bemerkt hatte. 'Claude spürt sie, trotzt Steinamulette', zogen sich meine Augen hinter meiner schweren Brille enger, als ich das junge Ding beim Suchen betrachtete: 'Aber sie hat keine Ahnung wo ich bin, trotz fehlendem Amulette. Hm. Interessant.' Ich erstellte in meinem Kopf die Theorie, dass sich die Affinität der schönen Brünetten auf Dämonen beschränkte. Mit einem Grinsen beschloss ich mir bei Zeiten Sebastian als Versuchskaninchen zu mieten. „Mach keinen Mist!“, rief sie resigniert und ich sprang geräuschlos auf den anderen Kronleuchter, um mein Amulette wieder um den Hals zu hängen: „Es ist gut, ich ergebe mich! Du hast gewonnen! Du kannst einfach verschwinden! Jetzt komm zurück, Houdini! Oder werf' mir wenigstens Karte und Kompass gegen den Kopf!“ Das Kichern zu unterdrücken war schwer: 'Kompass gegen den Kopf werfen! Tihihihihihihihi!' Die Verzweiflung der jungen Schönen war schon mehr als nur unterhaltsam. Ich zog meine Brille wieder ab und klemmte sie an meinen Kragen. „Undertaker! Es tut mir leid! Jetzt hör schon auf damit!“ Leichtfüßig sprang ich von dem Kronleuchter auf das Geländer der Galerie, aber Skyler bemerkte mich immer noch nicht. „Undertaker! Komm schon! Bitte!“ Ohne große Eile positionierte ich mich hinter der ahnungslosen Schönheit. Sie ließ die Schultern hängen, als ihr Magen wieder einmal lautstark Aufmerksamkeit einforderte, ich noch zwei lautlose Schritte auf sie zuging und mein Gesicht für sie auf Kopfhöhe hinunter beugte: „Dann muss ich wohl selber irgendwie zurecht kommen...“ Seufzend drehte sie sich um und ihre Nase stupste seitlich gegen meine. „Buh!“, machte ich lachend und stellte ein weiteres Mal fest, dass das junge Ding viel zu schreckhaft war. Sie schrie auf, wich zurück und stieß gegen das Geländer. Mit wedelnden Armen griff sie nach etwas um sich festzuhalten. Ich wollte gerade grinsend meine Hand zu ihr ausstrecken, da spürte ich ein Ziehen an meiner Hüfte. Ihre schlanken Finger hatten meine Anhänger gegriffen. Das Ziehen verschwand, als der Verschluss meiner Kette nachgab und den Fall von Skyler doch nicht bremste. Ich stockte in der Bewegung, als ich sie mit meinen Anhängern in der Hand über das Geländer fallen sah. Ein Déjà Vu traf mich unvorhergesehen, als ich auf einmal nicht mehr in dem Manor Phantomhive stand, sondern in dem großen Saal der Campania. Es fiel auch nicht Skyler über das Geländer, sondern der junge Ciel und sah mich entgeistert mit den königsblauen Augen seiner Mutter an. Entrüstet über meinen Verrat. Ich streckte die Hand aus, wie damals. Dann kniff ich die Augen zu: 'Ich war nie ein Verräter!' Als ich sie wieder aufschlug war Ciel verschwunden. Ich war wieder zurück in der Villa der Phantomhives. Ich sah noch eine von Skylers Händen hinter dem Boden der Galerie verschwinden: 'Nein!' Mir fiel siedend heiß auf, dass ihr keine Zeit mehr blieb. Dass mir keine Zeit mehr blieb ihr einen sehr unsanften Aufprall zu ersparen. Doch wem auch immer ich dafür danken musste: Ich war kein Mensch. Wäre ich einer gewesen, hätte der Streich, der mir mein Kopf gespielt hatte, sehr böse Folgen gehabt. Aber ich fing die schöne Brünette rechtzeitig unten in der Einganghalle auf und bewahrte sie vor sehr schmerzhaften Erfahrungen. „Du bist viel zu schreckhaft. Ehehehe!“, grinste ich ihr entgegen und versteckte so mein fast panisch wild klopfendes Herz. Das war viel zu knapp gewesen. Sie blinzelte erschrocken und verwirrt in mein Gesicht, als sie noch verarbeitete was gerade passiert war. „Du... Du Esel!“, schrie sie mich schließlich an und war vollkommen zu Recht ein wenig sauer auf mich: „Hast du eigentlich noch alle Latten am Zaun?! Schindeln am Dach?! Tassen im Schrank?! Piepmätze im Käfig?! Ich glaub es hackt bei dir!“ Obwohl mein schlechtes Gewissen mit verschränkten Armen mit dem Fuß tippte, musste ich aufgrund ihrer farbenfrohen Ausführungen lachen: „Ahahahahahahaha! Nein, wahrscheinlich nicht. Aber wie du mit den Armen wedelst ist zu herrlich!“ Plötzlich griff sie meine Haare und begann mich damit zu würgen: „Was ist bei dir eigentlich schief gegangen?! Du bist auch auf dem Weg zur Erleuchtung falsch abgebogen und bei der geistigen Umnachtung gestrandet, oder?! Wenn du denkst du bist jetzt für mich ein glänzender Held hast du dich mächtig geschnitten, klar?! Ich fass' es nicht!“ Mein Lachen wurde lauter, obwohl sie mir zu einem Teil die Luft abschnürte: 'Wie kommt man denn auf so eine Idee?!' „Das war eine Lektion. Ehehehehehehe!“, grinste ich, als mir ein fixer Gedanke durch den Geist tanzte. Mit einer verständnislosen Handbewegung ließ sie meine Haare los: „Mich das Geländer runter zu befördern war eine Lektion?! Für was denn bitte?!“ „Du hast mich angelogen“, stellte ich wieder fest und bekam davon eine kleinen Stich: „Wiederholt.“ Sie wandte beschämt ihre Augen von mir ab und ihr fast leidend verzogener Mund sprach nicht sofort: „Es... tut mir leid, ich... wollte... “ „Jaaa?“, fragte ich gedehnt, obwohl mir ihr Gesichtsausdruck ein enges Gefühl um die Brust legte. „Ich“, hob sie mit einem Zögern die Kette mit meinen Anhängern vor ihre Brust: „Ich wollte dich nicht hetzen....“ 'Nein! Wie süß sie ist!', zauberte mir ihre vollkommen übertriebene Bescheidenheit ein Lächeln auf die Lippen und das Gefühl verschwand, als ich lachen musste: „Zwischen 'Nicht trödeln' und 'hetzen' besteht ein kleiner aber feiner Unterschied, meine schöne Puppe.“ „Du wirktest noch so müde und...“, sie hob ihre Zeigefinger und bewegte sie durch die Luft, als wolle sie damit auf etwas zeigen. Es war nur leider ein vollkommen wirres Zeigen und Deuten. Ihre Finger liefen Gefahr sich zu verknoten und ich blinzelte mit den Augen, als ein Wasserfall diffuser Erklärungen aus den schönen Lippen schwappte, dem ich angestrengt zu folgen versuchte: „Ich hab dich geweckt, obwohl ich wusste, dass du wegen mir die letzten Wochen schon so wenig geschlafen hast und ich will nicht, dass du so wenig schläfst... und.. und ich glaube du schläfst generell schon zu wenig und dann komm ich und wecke dich, obwohl du schon im Sitzen einschläfst und.. und... gestern Nacht hast du dir auch wegen mir um die Ohren gehauen... Das war nicht nötig!... Das war ultra nett von dir und so und versteh mich nicht falsch, aber du hättest nur sagen müssen, dass du müde bist und dann... hätten wir halt erst heute geredet... und... und das du so kaputt bist, das...“, sie verschränkte ihre rastlosen Zeigefinger, die nichts deutlich gemacht hatten. Eher im Gegenteil: „Das will ich nicht.“ Ich verstand sie trotzdem und mein Lächeln würde ein weiteres Mal weiter aufgrund ihrer Unbeholfenheit: „Mach dir um mich keine Sorgen. Wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist, werde ich mich melden. Wusstest du überhaupt, dass es mein Zimmer war?“ Das war ja die erste interessante Frage. Hatte sie keine Ahnung wer das Zimmer belegte, konnte man ihr ja keine Schuld für irgendwas anlasten. Sie schüttelte wie von mir vermutet den Kopf: „Nein... Sebastian meinte ich solle da klopfen und verschwand.“ Ich lachte in Erkenntnis den Butler ein weiteres Mal richtig eingeschätzt zu haben: „Dieses gewiefte kleine Schlitzohr von Dämon.“ „Gewieft? Warum?“, schaute mich Skyler ein wenig irritiert an, was mich kichern ließ: „Hihi. Ach, nicht wichtig. Wenn du nicht wusstest, dass ich in dem Zimmer schlafe, warum in drei Gottesnamen hast du dann ein schlechtes Gewissen? Sebastian hat dich benutzt um mich aus dem Bett zu werfen. Das ist wenn seine Schuld und nicht deine“, dann grinste ich ihr so unschuldig und breit entgegen wie ich konnte: „Und genau genommen ist es meine, weil ich beim ersten Mal ein wenig zickig war, als ich geweckt worden bin. Hehe!“ „Es ist nur“, stockte und haderte sie ohne mir ersichtlichen Grund: „Also... ich meine... ich.“ „Sky?“, kicherte ich belustigt über ihr grundloses Stammeln und Stocken. „Hm?“ „Wenn dir nichts einfällt, sag auch einfach nichts. Ehehehe!“ „Du hast Recht...“ „Und noch etwas“, grinste ich unter einem weiteren Geistesblitz: „Ich stelle heute auch eine Regel auf. Ehehehe!“ Skyler zog eine Augenbraue hoch und musterte mich skeptisch: „Regel?“ „Hehehe. Ja“, grinste ich. Ich hatte keine Lust mehr belogen zu werden und gerade streifte mich die Idee dem Herr zu werden: „So wie du mich kitzeln darfst, wenn ich dich erschrecke, wird dir ab sofort immer irgendetwas sehr Unerwartetes passieren solltest du mich belügen. Ehehe.“ Sky zog die Augenbrauen zusammen und ließ den Kopf hängen: „Und ich tippe du hast dafür eine Mannigfaltigkeit an Möglichkeiten, richtig?“ „Oh ja. Hehehe!“, pflichtete ich ihr lachend bei. „Ich bin geliefert...“, seufzte sie: „Und... du... kannst mich ruhig runter lassen...“ Lachend stellte ich das federleichte Mädchen auf den Boden, welches seufzend meine Anhänger betrachtete: „Es tut mir leid... Ich hab deine Kette kaputt gemacht...“ Mit einem Lachen nahm ich ihr die Kette aus der Hand und driftete ganz kurz noch mal zurück auf die Campania: 'Earl. Ich werde dir das für eine Weile anvertrauen. Bitte kümmere dich gut darum. Sie ist mein Schatz.' Als ich wieder aufschaute, musterte mich Skyler irgendwie furchtbar sorgenvoll. Ich habe wohl in meinem kleinen Anfall Nostalgie nicht auf mein Gesicht geachtet. „Hehehehe!“, lachte ich dann um ihr zu zeigen, dass sie sich um mich nicht sorgen brauchte. Wenn nur dieser kleine Stich nicht wäre, dass diese Menschen mittlerweile... alle tot sind...: „Ach Quatsch. Das krieg ich wieder hin, ist nicht das erste Mal.“ „Wie...?“ „Äh“, entfuhr es mir, als ich die Kette über meine Schulter legte. Ich empfand es für besser die Erklärung außen vor zu lassen. Ich müsste ihr im Zuge dessen unweigerlich erklären, was meine 'Bizarre Dolls' waren. Irgendwie wusste ich begeistern würde sie das Thema nicht. Zumindest nicht im Moment: „Ähehehe! Nicht so wichtig.“ Sie zog die Augen zusammen und schaute mich mit einem Blick an das sie genau wusste, dass ich ihr etwas verheimlichte: „Okay...“ 'Helles, kluges Mädchen. Tehehehe!', lachte ich in mich hinein. Ihr machte selbst ich nicht immer etwas vor. Ist sie nicht hinreißend? Plötzlich schlang sie die Arme um ihren abermals knurrenden Magen und schaute mit hochrotem Kopf zu Boden. „Wir haben es gleich geschafft“, lachte ich über das Rettungsseil, welches mir das Schicksal gerade zu warf und auch ein bisschen belustigt über ihr schüchternes Verhalten, als ich sie von nun an schweigend weiter mit zum Wintergarten nahm. Der jetzige Earl Phantomhive speiste immer im Wintergarten, wenn er so viele Gäste hatte. Er fand es atmosphärisch, was wohl auch stimmte. Pflanzen waren etwas Tolles. Grün, saftig und lebendig. Ab und an ist auch mir etwas Leben ganz lieb. Kontraste waren wichtig im Leben, vor allem wenn es so unsäglich lang war. Skyler fing an an ihren Haaren herum zu zupfen und einen Zopf zu flechten. Ich beschaute sie mit halbem Auge, als sie dabei verzweifelte. Plötzlich wuschelte sie sich durch die Haare und nun hatte sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Rumpelstilzchen oder Pumuckl: „NA! Diese blöden Dinger!“, sie pustet sich ein paar Haare aus dem Mund: „Ich scheid' sie mir ab!“ „Was?!“, entfuhr es mir vollkommen unüberlegt und mit einer riesigen Portion Unverständnis. Lange Haare waren wunderbar! Anstatt sie abzuschneiden, sollte sie sie eher noch weiter wachsen lassen: „Bist du vollkommen verrückt geworden?!“ Sie blinzelte mir etwas überrumpelt durch ihren Wust aus braunem Haar entgegen: „Weißt du... wenn du das fragst klingt das irgendwie... komisch... aber abgesehen davon... warum fragst du?“ „Die sind wunderschön!“, antwortete ich vollkommen wahrheitsgetreu und ein wenig lauter als ich wollte. Doch ich fasste es einfach nicht! Warum will man solche Haare abschneiden?! „Die machen nie was ich will...“, drehte Skyler ihren Kopf weg: „Und sehen dadurch immer voll furchtbar aus...“ „Hast du eine Meise?“, lachte ich. Gerade, dass ihr immer ein paar Strähnen aus der Frisur fielen sah wunderbar natürlich und entspannt aus. Sie drehte eine erhobene Braue zu mir: „Ich bin immer noch der Meinung, dass du so etwas nicht fragen solltest...“, wich sie meiner Frage aus. Ihr Einwand war aber zugegebenermaßen nicht ganz unberechtigt: „Hehehe. Warum?“ Sie zog die zweite Augenbraue hinterher: „Weil du definitiv eine Meise hast. Nen ganzen Schwarm sogar.“ Mein Lachanfall krachte durch den Flur vor uns. Ich hörte in einem Raum neben uns Teller zu Bruch gehen: „Ich habe nichts um dem zu widersprechen! Pahahahaha!“, mein Lachen stoppte abrupter als gewohnt und ich grinste dem schönen Ding entgegen: „Aber was dich angeht hab ich eine Idee.“ Sie stoppte und legte den Kopf schief: „Hast du?“ „Oh ja“, grinste ich und entwirrte ihre Haare wieder. Da sie so weich waren liefen sie ohne großen Widerstand durch meine Finger. Ich legte sie so, wie es ihr meiner Meinung nach am Besten stand. Offen, ohne viel Tam Tam. Als ich fertig war zog ich zufrieden mit meinem kleinen lichten Moment die Hände zurück: „Perfekt!“ „Aber du hast sie nur entwuschelt und gelegt. Sie sind einfach nur offen.“ „Hehehe. Exakt“, ging ich weiter und schaute sie über meine Schulter an: „So sehen sie halt am Besten aus.“ Als sie ihren Finger auf die abgewandten Lippen legte und schüchtern kicherte, entfuhr auch mir ein kleines Kichern. Zucker konnte nicht süßer sein. Sie erschien mit verschränkten Händen wieder neben mir und wir gingen durch bis zum Wintergarten der Villa. „Wow...“, machte Skyler, als wir den großen gläsernen Raum betraten. Der Esstisch mit den Anderen lag noch ein paar Ecken entfernt, aber die Stimmen und das Lachen wehte schon zu uns herüber und brachte eine gewisse Idylle mit sich mit. „Ja ja, die Earls Phantomhive verstehen etwas vom guten Leben“, lachte ich und ging weiter auf dem Kiesweg zwischen den vielen grünen Pflanzen und bunten Blumen. Die Luft war etwas stickig und ziemlich feucht, doch das störte mich nicht. Nach ein paar Metern seufzte Skyler auf einmal resigniert. „Oh weh“, lachte ich halb und musterte sie, als mir aufging, dass sie wohl über etwas nachgegrübelt hatte. Ich konnte mir denken was es war: „Hehehe. Warum dieses lange Gesicht?“ Sie legte den Kopf schief: „Ich... hätte etwas merken müssen...“ „Hehehe. Weshalb?“, lachte ich und schüttelte sanft den Kopf: „Falls es bei dir nicht richtig angekommen ist: Wir haben es versteckt gehalten. Es verheimlicht. Niemand sollte dahinter kommen.“ „Aber“, die Schöne ließ Kopf und Schultern hängen: „Es geht um Amy... Ich habe mich ihre beste Freundin geschimpft und nichts davon gemerkt...“ Ich blinzelte. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Das war eine Aussage, dessen Zusammenhang einfach nicht richtig stimmig war. Er war viel zu hart. Zu ihr selbst: „Was hat das denn damit zu tun, dass Amy deine beste Freundin ist? Auch Amy war immer angehalten ihre ungewöhnlichen Lebensumstände zu verstecken. Weißt du warum die Phantomhivekinder auf ein Internat gehen, obwohl die Familie sich hunderte der besten Privatlehrer leisten könnte?“ Skyler schaute mich immer noch reichlich betrübt an: „Nein... weiß ich nicht. Ich weiß so vieles nicht.“ Ich tippte ihr lachend auf die Nase: „Hehehe! Und das ist auch gar nicht schlimm, meine schöne Puppe. Die Phantomhives schicken ihre Kinder auf das Internat, um ihnen die Chance zu geben sich wie ganz normale junge Menschen zu fühlen. Glaube mir, das ist auch den Kindern eine Menge wert. Sie haben ganz normale Freunde, den ganz normalen Schulstress. Sie schwärmen für Schüler der anderen Schule, streiten sich mit den Lehrern herum und haben in den Ferien eine Menge zu erzählen, während ihr dämonischer Butler ihnen Tee serviert. Menschen wie du sind wichtig für die Phantomhives.“ „Ich“, Skyler schlug die Augen nieder: „... und wichtig?“ Ich zog sie mit einem Arm zu mir und lächelte sie an, als sie zu mir hoch blinzelte: „Natürlich. Amy wollte gar nicht von deiner Seite weichen. Sebastian hatte seine liebe Mühe sie ins Bett zu stecken.“ „... Wirklich?“, fragte sie zögerlich und nicht ganz überzeugt. „Hehehe! Aber ja doch!“, erwiderte ich so vehement wie ich konnte: „Ich war doch die ganze Zeit da und habe es persönlich mitbekommen.“ Skyler blinzelte kurz und schien ihre Gedanken schnell sortieren zu müssen: „Du... Hast tatsächlich die ganze Zeit an meinem Bett gesessen?“ Ich nickte grinsend: „Natürlich.“ „Aber... warum?“ Ich schaute ihr lächelnd in die himmelblauen Augen, als ich das in Worte fasste, von dem ich eigentlich dachte, es so oft schon gezeigt zu haben: „Weil du auch für mich wichtig bist und ich auch sichergehen wollte, dass du in Ordnung bist.“ Ihre Wangen wurden rot, als Skyler zur Seite schaute und wir um die letzte Ecke bogen. Amy sah ihre beste Freundin sofort und sprang auf: „Sky! Es geht dir gut!“ Ich entließ das hübsche Ding irgendwie schweren Herzens, damit sie ihre beste Freundin in Empfang nehmen konnte: „Aber natürlich. Kein Grund zur Sorge!“ „Kein Grund zur Sorge?!“, rief Amy und beschaute ihre Freundin sorgenvoll: „Ich hab noch nicht den Absatz eines Dämons im Gesicht hängen gehabt und ich kann auch getrost darauf verzichten!“ Dann starrte die Phantomhive perplex in Anbracht ihres eigenen Ausrutschers: „Ich meine... Also Claude.. er...“ „Ist ein Dämon“, lachte Syke und bremste Amy vollends aus: „Genau wie Sebastian!“ Der jüngsten Phantomhive klappte der Mund auf: „Du...?“ „Grell, Ronald, William und Undertaker sind Sensenmänner und die Familien von Lee, Charlie und Frank sind schon seit Generationen 'Aristokraten des Bösen'“, repetierte Skyler fein säuberlich was ich ihr erklärt hatte. Amy blinzelte. Sky lachte darauf hin: „Wie mache ich mich?“ Alexander klatschte lachend in die Hände: „Vorzüglich!“ „Du erhältst 300 Gummipunkte“, kichert der Asiate. „Aber sei vorsichtig“, grinste Charlie und Frank musterte ihn, als wolle er ihn mit irgendetwas bewerfen, wenn er tat was Frank befürchtete: „Bei 500 gewinnst du eine Waschmaschine.“ Das Augenrollen, als Frank die Arme verschränkte zeigte, dass es kam wie er nicht wollte. Skyler kicherte, während Amys Kopf zwischen ihrer besten Freundin und ihrem Vater hin und her wanderte, was auch mich zum giggeln brachte: „Aber woher...?“ Skyler kicherte lauter und zeigte mit einer Hand auf mich. Ich winkte der kleinen Phantomhive und mein Giggeln wurde durch Skys helles Kichern ein bisschen lauter. Amy seufzte, wirkte doch nicht sonderlich überrascht: „Ich hätt's mir denken können. Und ich dachte schon ich hab mich verquatscht.“ Ein weiteres lautes Knurren von Skylers Magen ließ den Kopf der jungen Frau hinunter fallen und alle Anwesenden kichern. Außer Frank und William. Was auch sonst. Amy nahm ihre Freundin bei der Hand, die ihre eigene auf ihren Bauch legte: „Das klingt ja akut. Komm! Zeit, dass du was zwischen die Zähne bekommst!“ Diese Geste gefiel mir nicht und ich zog kurz die Augen zusammen. Sky hatte wieder ihr Bauchschmerzgesicht aufgelegt. Ich mochte dieses Gesicht nicht. Sie musste etwas essen, doch gerade hatte ich die Befürchtung sie wird sich darum drücken wollen. Amy setzte Skyler neben sich. Lee winkte ihr kurz zu. Ich entschloss kurz, dass die schöne Brünette heute auf jeden Fall etwas essen wird und setzte mich dann zwischen Skyler und Lee. Charlie hielt Skyler mit einem einladenden Lächeln ein Tablett mit Rührei hin. Natürlich waren alle Gerichte auf diesem Tisch Marke Sebastian und viele wunderbare Gerüche zogen durch die schwere Luft des Wintergartens. Als Skyler dem Tablett nur grübelnd entgegen starrte, griff Amy es sich und lud Skylers Teller voll: „Guten Appetit!“ „Amy! Stopp!“, rief die Brünette der Schwarzhaarigen zu: „Gott! Wer soll das denn alles essen!“ „Na“, lachte ich ihr zu: „Hehehe! Du!“ Sky wandte sich zu mir: „Das schaff ich nicht alles!“ „Deswegen knurrt dein Magen auch wie ein wütendes Wildschwein!“, lachte Ronald, während er brav sein Brötchen verputzte. „Wie charmant!“, rief Skyler ihm böse entgegen. „Hach ja“, lud sich Grell ungefragt, mit einem Strecken und einem Zwinkern, selbst in die Konversation ein: „Essen ist wichtig! Ansonsten schwindet deine Kraft. Mit deiner Kraft schwindet deine Schönheit. Es wäre doch eine Schande, wenn unsere Schönheit für nichts und wieder nichts vor die Hunde ginge.“ Skyler wirkte etwas irritiert aufgrund der überzogenen Dramatik des roten Reapers: „Ja... genau.“ „Es ist vielleicht etwas überspitzt“, las Mister Humorfrei die Sonntagsausgabe der 'London Times': „Aber in Grunde hat Sutcliff schon recht.“ „Du“, sagte Skyler nach einem Blick auf das Brötchen auf Williams Teller: „Isst doch selber nicht.“ „Ich habe schon zwei Brötchen gegessen“, erwiderte William mit einem Nippen an seiner Kaffeetasse. 'Schade...', seufzte ich innerlich. Was hätte ich es Skyler und allen Anwesenden gegönnt, hätte sie William dran gekriegt. Auch Sky seufzte: „Verdammt...“ Heather lachte: „Hier sind alle sehr gute Esser, Sky. Außer Undertaker.“ Ich merkte wie sich Skyler zu mir drehte, als ich Heather angrinste: „Ehehehe! Ich bin doch kein schlechter Esser! Ich esse nur andere Sachen!“ „Sehr komische Sachen“, warf der Erbe der Phantomhives durch sein Croissant ein. „Und wie komisch!“, unterstrich Lee die Aussage seines besten Freundes mit wedelndem Rührei. „Meint ihr die Kekse?“, fragte Sky mit schiefem Kopf. „Wenn es nur die Kekse wären...“, seufzte Frank in seine Kaffeetasse. Da gerade eh mein absonderliches Essverhalten angesprochen wurde, langte ich an der Brünetten vorbei und packte das Glas 'Marmite', welches eh einzig und alleine für mich auf dem Tisch stand. Ich aß davon eins am Tag. Es war nahrhaft und lecker. Ich zückte einen Löffel. Aus dem Augenwinkel sah ich die Augen der jungen Skyler, die unnachgiebig an meinen Händen und dem Marmiteglas hafteten. Sie sah mehr als skeptisch aus, auch ein bisschen angewidert. Ich wusste, dass viele Marmite nicht mochten, doch ich hatte es nach dem ersten Löffel geliebt. Folglich schraubte ich es auf. Ich sah Skylers Augenbraue nach oben wandern. Schon fast mit einer diebischen Form von Vorfreude steckte ich meinen Löffel in die zähe, braune Pampe. Skylers Augen folgten meinem Löffel. Ich zog den Löffel heraus. Skylers Augen folgten ihm immer noch. Ihre Augen weiteten sich in Erkenntnis, als ich meine Hand mit dem Marmite Richtung Mund drehte: „Du willst doch nicht etwa...“ Ich steckte mir grinsend den Löffel in den Mund. „Oh mein Gott!“, hielt sie eine Hand vor den Mund, als sie aussah als müsse sie gleich brechen. „Was denn?“, schaute ich sie, den Löffel noch im Mund, an: „Das Zeug ist super!“ „Das... das ist...“, stammelte sie gequält. Ich zog den Löffel aus dem Mund, füllte ihn ein zweites Mal und hielt ihn zu Skyler: „Auch was?“ „Oh mein Gott! Nein!“, rief sie aus, als wolle ich sie mit Uran füttern: „Das Zeug ist so salzig! Das ist ja pervers! Wie... wie kriegst du das herunter?! Pur?! “ „Na ganz einfach!“, lachte ich, sehr wohl verstehend was sie meinte und drehte den Löffel vor ihrem Gesicht: „Löffel in den Mund nehmen und schlucken! Hehe. Hier probier es aus! Geht ganz leicht!“ Skyler griff ihre beste Freundin an den Schultern und warf sie wie ein Schutzschild über ihren Schoss: „Himmel! Geh weg damit!“ Ich grinste der etwas überfahrend wirkenden Amy entgegen und hielt ihr den Löffel hin: „Du?“ Sie schüttelte den Kopf: „Ähm, nein danke. Ich passe.“ Lachend zuckte ich die Schultern und schob mir den Löffel in den Mund, den die beiden Mädchen so schamlos verschmähen: „Mehr für mich.“ Sky schauderte und legte den Kopf auf Amys Rücken: „Gott... wie pfui...“ „Willkommen bei den Phantomhives!“, lachte die wilde Schwarzhaarige und schaute mich belustigt, wie kopfschüttelnd an, während ich an meinem dritten Löffel vorbei zurück grinste. Sky hob wieder den Kopf: „Nimm du mein Rührei...“ Amy fuhr in die Aufrechte: „Du isst was!“ „Mein Appetit hat sich gerade neben meiner Weltsicht aufgehangen...“, stöhnte die Brünette. Dieser Satz hätte mich eigentlich gnadenlos amüsiert,... nur aus Skylers Mund fand ich ihn gar nicht komisch. Ich griff mir also ihre Gabel und erstach ein Stück ihres Rühreis. Dann drehte ich ihren Kopf am Kinn zu mir und hielt ihr das Rührei vor den Mund: „Mach Ahhh. Hehe!“ „Was?! Du musst mich sicherlich nicht füt...!“, rief mir Skyler empört entgegen und ich steckte die Gabel in ihren protestierenden Mund, um mich um die Grundsatzdiskussion zu drücken, die nach Skyler folgen sollte. Ich hatte mir vorgenommen sie zum essen zu bringen und wenn der Ochse nicht zum Berg kommt, muss halt der Berg zum Ochsen kommen. Und für das junge Ding würde ich Berge versetzen. Sofort. Ich zog ihr die Gabel aus dem Mund und hielt ihr ein weiteres Stück hin, als sie mich nur anschaute wie ein Geist, das erste Stück Rührei immer noch im Mund: „Ich kann es dir auch vorkauen, wenn du vergessen hast wie das geht. Hehe!“ Ohne nur einmal drauf zu beißen schluckte sie das Ei herunter und wurde etwas blasser um die Nase, aber rosa auf den Wangen: „Nein!“ Ich musste lacheb aufgrund dieses Farbenspiels: „Hehe. Am Stück schlucken geht natürlich auch.“ „Hör auf dami...!“, schloss sie wütend rufend die Augen. Ich steckte ihr aber nur wieder die Gabel zwischen die Zähne: „Du solltest dieses mal kauen, das Stück ist größer. Hehe!“ Skyler starrte mich an. Ich grinste zurück und ein paar Sekunden bewegte sich keiner von uns. Ich, weil ich innerlich an einem Lachkrampf starb und sie, weil sie noch nicht realisiert hatte, dass ich das alles wirklich getan hatte. Sie riss mir die Gabel aus der Hand, kaute zweimal und schluckte hinunter. Dann schlug sie mir die Gabel immer wieder vor den Kopf: „Tickst du nicht mehr richtig?! Ich bin doch kein Baby!“ Ich griff sie lachend am Handgelenk und brachte mein Gesicht näher zu ihrem: „Hehehe. Bist du nicht. Richtig. Aber ich lasse ganz sicher nicht zu, dass du mir aus den Latschen kippst, nur weil du aus irgendwelchen mir vollkommen unerfindlichen Gründen nichts essen kannst.“ Skyler rollte mit den Augen und ihr Kopf kippte ein Stück nach hinten: „Das Einzige, was mich aus den Latschen kippen lässt, ist dein Marmitemundgeruch!“ Wir hatten mittlerweile jeden am Tisch zum lachen gebracht. Zumindest tat auch Frank so etwas wie grinsen. William hatte seinen Kopf hinter der Zeitung versteckt, die aber verräterisch wackelte. Sky drückte mit dem Zeigefinger meinen Kopf nach hinten und verschränkte ihre Arme: „Du bist ganz, ganz furchtbar!“ Amys Kopf knallte lachend auf den Tisch. Ich zog anerkennend eine Augenbraue hoch und hoffte, dass das keine Kopfschmerzen gab. „Alles ok bei dir?“, fragte Skyler und Amy winkte erstickend ab. Lee reichte mir leise kichernd eine Gabel und deutete auf Skylers Teller. Ich grinste verschwörerisch zurück und piekste ein Stück Rührei auf. Langsam und meine Vorfreude genießend schob ich die Gabel in Skylers Sichtfeld. Sie flog herum und hielt mir die erste Gabel unter die Nase: „Lass die Gabel sinken oder du wirst es bereuen!“ 'Respekt. Das ist mutig. Ehehehe!', ich lachte, als ich ein wunderbares Wortgefecht nahen sah. Denn um mir weh zu tun war die Brünette viel zu lieb: „Pahahahaha! Inwiefern?“ „Ich steckt dir diese Gabel irgendwo hin, wo du sie ganz sicher nicht haben willst!“, keifte sie mich an und meine Hoffnung auf einen unterhaltsamen Wortwechsel erfüllten sich. „Aha“, stützte ich mein Gesicht in eine Hand: „Da gibt es nicht viele Stellen, aber sprich ruhig weiter. Hehe!“ Sky riss die Augen auf und es hörte sich an als würde in ihrem Kopf eine Platte springen: „Wa-wa-wa-wa-was?!“ Ronald, der wie alle eigentlich die ganze Zeit schweigend genossen hatte, konnte sein anstößiges Schandmaul nicht mehr bremsen: „Oh oh. Jetzt kommen die 'dirty details' auf den Tisch!“ William zerriss vollkommen außer sich die Zeitung und fuhr mit roten Kopf nach oben: „Doch nicht am Esstisch!“ Der blonde Jüngling zuckte mit den Schultern: „Warum denn nicht? Also ich für meinen Teil... WA!“ William beendete alles was er nicht hören wollte, indem er Ronalds Gesicht mit seinem Fuß in das Frühstück verfrachtete: „Nicht am Esstisch!“ Ausnahmsweise war nicht ich es, der an seinem Lachanfall in die ewigen Jagdgründe einging, sondern die jüngste Phantomhive. „Aber Willi!“, machte Grell: „Nicht so brutal!“ Der Aufsichtsbeamte bewaffnete sich mit einem Buttermesser und drohte Grell damit. Ich kniff mir jegliche Kommentare darüber, dass er Sebastian gerade nur allzu ähnlich war, da ich sonst Wills Intermezzo mit Grell und meins mit Skyler unterbrochen hätte: „Nenne mich nicht Willi und das sind Themen über die ich einfach NICHTS hören will!“ Grell hob erst sich ergebend die Hände: „Ich ergebe mich!“, dann wackelte er mit beiden Augenbrauen und toppte alles was ich je sagen könnte: „Mach mit mir was du willst.“ Keine 3 Sekunden später jagte William Grell hinterher und sie verschwanden: „Doch nicht das! Nicht ins Gesicht!“ Fred versuchte derweilen, mit einem Glas Wasser bewaffnet, seine Schwester zu retten: „Atmen Amy. Du musst atmen...“ „Ich...“, japste Amy lachend und kaum hörbar: „Ich kann nicht!“ Frederic seufzte, während seine Eltern lachten. Ich hob der abgelenkten Skyler wieder das Rührei ins Gesicht. Wenn ich eines war, dann geduldig. „Lass das!“, riss sie mir auch die zweite Gabel aus der Hand. Lee reichte mir eine Dritte. „Hey!“, rief Sky, als sie Lees Verrat gesehen hatte: „Hör auf mich zu sabotieren!“ „Das geht nicht!“, kam auch der Asiate aus seinem Lachen nicht mehr heraus: „Ihr seid zu knuffig!“ „Knu-knu-knuffig?!“, Skyler entriss mir die Gabel aus der Hand, als sie auf dem Weg zum Rührei war: „Mein Gott! Dein Auge! Ich stecke sie dir ins Auge! Und in die Nase!“ Ich lachte weiter: „Versuch es. Tehehehehehehe!“ Sky ließ sich ergebend die Gabeln sinken: „Hör doch einfach auf... Bitte!“ „Dann iss und zwar auf. Hehe!“, offerierte ich ihr die einzige Möglichkeit sich zu retten. Sie seufzte geschlagen: „Ja ja...“ Ronald sortierte sich derweilen sein Essen von der Brille: „Ja ja heißt...“ „Halt dich geschlossen“, fuhr ihm Skyler harsch übers Maul. Gerade ist sie doch einfach nur zum Niederknien. „Ist ja gut! Ich bin brav!“, verteidigte Ron sein junges Leben vor dem braunhaarigen Mädchen, was langsam aber sicher in der Gruppe aufzutauen schien. William kam an den Tisch zurück und setzte sich, als er seine Brille justiert hatte. Sky schaute von ihrem Rührei auf, welches sie endlich zu essen begonnen hatte: „Wo ist Grell?“ „Er kommt wieder sobald er sich befreit hat.“ Was auch immer William getan hatte, es war nichts was Grell sich gewünscht oder vorgestellt hatte. Skyler drehte verwundert den Kopf im Kreis: „Okaaaaay...“ Amber hatte mittlerweile aufgehört zu lachen, ihr Wasser getrunken und das Gesicht trocken gewischt. „Geht es?“, klang Skyler nicht wirklich besorgt um ihre beste Freundin. Eher klang sie als gönne sie es ihr. „Ja ja, bei mir ist alles bestens“, klang Amy noch etwas mitgenommen von ihrem Lachanfall. „Nun“, fühlte der Earl sich dazu berufen die Atmosphäre mit trockenen und ernsten Themen zu zerstören. Ich seufzte stumm und begann mein Marmite weiter zu löffeln: „Du hast ja schon eine Menge erfahren wie ich hörte. Hast du noch irgendwelche Fragen?“ Skyler überlegte als Grell mit einem eher untypischen, aber sehr naturbelassenen, Kopfschmuck zurück an den Tisch fand. Ich wusste genau warum Ronald zwischen Grell und William saß und jeder wusste, wie sehr der Blonde darunter zu leiden hatte. „Ja...“, antwortete Skyler schließlich: „Eine habe ich noch.“ Der Earl lächelte ihr mit einer Handgeste entgegen: „Tue dir keinen Zwang an. Frag.“ Sky seufzte: „Was waren diese komischen Filme?“ Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag. Ich fror meinen Löffel im Mund ein, als meine Gedanken sofort zu rasen anfingen. 'Das!', stammelte ich in meinem Kopf: 'Das ist unmöglich! Das geht nicht!' Ich starrte sie an als sei sie ein Geist: 'Sie kann keine Records sehen!' Sky musterte sehr unangenehm berührt alle Leute am Tisch, die synchron das Atmen eingestellt hatten. Dann schaute die Brünette zu mir. Ihr Blick flehte mich um Hilfe an: „Hab ich etwas Falsches gesagt?“ 'Nein', dachte ich, war aber noch zu perplex um meinen Löffel aus dem Mund zu nehmen und Worte über die Lippen zu bekommen: 'Nur etwas Unmögliches!' Grell schüttelte entgeistert den Kopf: „Über was für Filme redest du?“, fragte er in der naiven Hoffnung Skyler sprach nicht darüber, worüber sie ganz offensichtlich sprach. „Na, diese alten Kinofilme die überall herumgeflogen sind!“, ein weiterer Schlag in meine Magengrube, doch Skyler fuhr erbarmungslos fort: „ Die waren doch echt nicht zu übersehen!“ 'Das ist unmöglich! Für einen Menschen ist das absolut unmöglich!', wiederholten meine gestressten Gedanken ein weiteres Mal. „Du“, Ronald zog seine Brille auf und wirkte trotzdem als sehe er nicht richtig: „Hast die Filme gesehen?“ „Natürlich“, schüttelte Sky verständnislos den Kopf: „ Wie hätte ich sie denn nicht sehen können?“ William schnellte in die Höhe und winkte uns mit sich, als er um den Tisch herum stürmte: „Sutcliff! Knox! Undertaker! Auf ein Wort!“ Er hatte Recht. Sowohl Grell, als auch Ronald und auch ich standen protestlos auf und wollten ihm folgen, doch Skyler hielt mich mit ihren großen, um Hilfe schreienden, Augen am Handgelenk: „Was... Was ist los?!“ Doch mehr als ein Kopfschütteln bekam ich atok nicht zustande, was Skyler noch mehr verunsicherte: „Wohin geht ihr?“ Um sie wenigstens ein wenig in Sicherheit zu wiegen legte ich meine Hand auf ihre dünne Schulter und lächelte sie so gut an wie ich konnte. Ich glaubte nur jetzt kam ich in die Situation, dass mein Lächeln nicht glaubhaft war: „Wir müssen kurz etwas besprechen.“ „Aber.. was denn?!“, rief Skyler und hielt mein Handgelenk fester. „Mach dir keine Sorgen“, versuchte ich sie zu beruhigen: „Ich regele das.“ Dann ging ich mit den anderen 3 Reapern vor die Tür. „Wie?!“, entfuhr es Grell sofort: „Das ist unmöglich!“ „Es sollte unmöglich sein!“, stimmte Ronald mit ein. William hatte die Arme verschränkt und dachte angestrengt. Dann schaute er mich an: „Undertaker?“ Ich schüttelte den Kopf: „Keine Ahnung“, erwiderte ich arg unterkühlt: „Mal wieder.“ „Was ist das für ein Mädchen?!“, fragte Grell eine Frage, die ich mir schon länger stellte: „Sie ist wirklich nur ein Mensch?“ „Nur ein Mensch ist immer eine gefährliche Aussage“, erwiderte ich ohne ein Grinsen, Lächeln oder Lachen: „Die menschliche Seele ist die Grundlage aller. Dämon, Engel, Sensenmänner. Es sind alles mal Menschen gewesen. Folglich ist die menschliche Seele sehr flexibel.“ „Aber es muss einen Grund geben, warum eine Seele sich in eine Richtung bewegt“, führte William weiter aus: „Sie kann Dämonen spüren, die ihre Existenzen verstecken. Sie sieht Records. Was kann sie noch?“ „Uns spürt sie nicht“, warf ich meine Erkenntnisse von vorher in die Waagschale: „Wie für einen Menschen typisch.“ „Claude ~“, trällerte Grell: „Das ist sicherlich nicht für Menschen typisch.“ „Nein“, schüttelte ich schon fast widerwillig den Kopf: „Sicher nicht.“ „Einen Dämon zu spüren ist das Eine. Das können Menschen in gewissem Maße“, machte William in etwas, was für seine Verhältnisse sicher als Aufregung zu bezeichnen wäre: „Und feinere Sensoren zu haben, um es durch die Fessless Stones zu können. Doch Records zu sehen ist etwas anderes! Das ist ein Rassenmerkmal! Das können Menschen einfach nicht! Was zur Hölle ist hier los, Undertaker?!“ „Was erwartest du von mir, Spears?“, fauchte ich den Aufsichtsbeamten an: „Ich habe keine Ahnung. Ich habe auch vor ein paar Stunden schon einmal gesagt ihr solltet euch nicht ewig darauf verlassen, dass ich alles schon mal gesehen oder erlebt habe. Die Welt ist im Fluss! Altes geht, Neues kommt. Wer stehen bleibt ist atmend tot. Das heißt auch, dass ich Dinge, die sich neu entwickeln, erst selber lernen muss. Betone es nicht so, als hätte ich etwas damit zu tun!“ „Vielleicht hast du das“, warf William die Arme nach vorne während er sich in Rage redete: „Grell und Ronald erzählten das Mädchen ist öfter bei dir zu Besuch und auf einmal kann sie Records sehen? Zufall? Bei dir? Unwahrscheinlich! Wenn das wieder einer deiner dummen Experimente ist verpfeife ich dich bei der Chefetage und dann kriegst du Besuch in deinem verdammten Rattenloch! Haben wir uns verstanden?! Wir haben die Füße still gehalten und dir den Rücken freigehalten, trotz der ganzen Scheiße mit deinen blöden Zombiepuppen und das ist dein Dank?! Hm?!“ Ich glaubte meinen Ohren nicht. Grell sah in mein Gesicht und war selbst für einen Sensenmann erstaunlich blass geworden. Er griff William am Ärmel: „Du Will... ich glaube du solltest mal ganz kurz durchatmen und...“ „Was willst du mir unterstellen, William?“, erwiderte ich vollkommen ruhig und unterbrach Grell. Mein Herz raste. Natürlich hatte ich Williams Vorwurf verstanden. Ich gab ihm aber die Möglichkeit seine Worte noch mal zu überdenken. Ronald schluckte. In Grells Gesicht stand ein Gebet. „Dass Skyler eins deiner verrückten Experimente ist“, gab William trocken zurück und hielt meinem Blick fest stand. Seinen Mann stehen tat der schwarzhaarige Reaper immer, das musste ich ihm auch in dieser Situation einfach lassen. Grell sah trotz allem aus, als würde er gleich einfach zusammen klappen und auch Ronald hatte alles verloren, was an ihm sonst so leicht und lässig war. Mein Herz wurde mit einem Mal langsamer. Ein Lachen kroch über meine Lippen, als ich ein paar Schritte durch den Flur ging: „Ehehehehehehehe! William! Oh ehrlicher, ehrlicher William.“ Bei dem Klang meines Lachens ließen Grell und Ronald die angespannten Schultern mit einem leisen Seufzen hängen. Dann krachte es laut, als ich William mit meinem Unterarm an der Kehle mit Wucht gegen die Wand drückte. Sie drückte sich ein Stück unter dem Körper des Aufsichtsbeamten ein. „Willst du mich eigentlich zum Narren halten?!“, schrie ich ihm meine Wut ins Gesicht: „Ich kann wahrlich mit vielen Unterstellungen leben und nicht alles was ich getan habe war von Erfolg gekrönt, oder von euch anerkannt! Aber damit und dafür braucht es einiges mein vorlauter Freund, schlägst du selbst bei mir dem Fass den Boden aus! Wie kannst du es dich erdreisten mir so etwas zu unterstellen?!“ Grell wedelte erschrocken mit den Händen und schrie kurz auf, als es schepperte. Ronald war mit einem Satz hinter seinem rothaarigen Kollegen verschwunden. „Wie wohl?“, zischte William in Atemnot durch die gebleckten Zähne: „Du bist nur dir selbst der Nächste! Lass mich los!“ „Oh nein nein nein“, lachte ich ihm kalt entgegen: „Tue ich nicht, William.“ „Nimm deine Hände von mir!“ Ich beugte meinen Kopf zu seinem Ohr: „Hör mir mal gut zu, Grimm Reaper. Es ist beachtlich, dass du den Mut findest mir so etwas ins Gesicht zu sagen. Wirklich. Ich lobe mir solche Wesen. Das ist besser als ätzendes Gerede hinter dem Rücken, dass eh jeder mitkriegt aber“, sprach ich aus, was ich auch meinte. Ich lachte danach auf, nur fand ich Williams Anschuldigungen nicht ansatzweise lustig: „Ehehehe! Aber wenn du mir noch einmal unterstellst, ich hätte diesem Mädchen auch nur ein Haar gekrümmt, kommst du nicht mehr bis zu Chefetage, haben wir uns verstanden, Will?“ Ich spürte eine Hand an meiner Schulter: „Undertaker!“ Ich schaute über die Schulter. Grell schluckte zwar bei meinem Blick, nahm aber seine Hand nicht hinunter: „Das hast du nicht! Hör zu! Wir wissen das! Lass ihn los! Bitte!“ Ich schaute Grell weiter an. Die Erzürnung pulsierte in meinen Adern. „Bitte!“, machte Grell noch einmal: „Undertaker! Wir sind doch alle Freunde! Er kriegt keine Luft!“ Ich atmete einmal kurz durch. Als ich das Rauschen meines Blutes kurz ignorieren konnte, hörte ich Williams leises Röcheln. Er versuchte es zu verstecken, aber sein Gesicht war gefährlich fahl geworden. „Undertaker! Bitte!“, beschwor mich Grell ein weiteres Mal: „Will war dumm! Und vorlaut! Aber deswegen musst du ihn nicht umbringen!“ „Sagt der Richtige!“, zischte William erbost. Grell schaute ihn an: „Kannst du einmal deine Klappe halten, wenn ich versuche dir dein Leben zu retten, William?!“ Der Aufsichtsbeamte ächzte genervt unter meinem Arm. Ich atmete noch einmal durch. Dann nahm ich meinen Arm von Williams Kehle. Dieser rutschte an der Wand hinunter und rieb sich den Hals. Ronald packte ihn unter der Achsel und hielt ihn so auf den Füßen. „Du warst das nicht“, sagte Grell, drehte sich frontal zu mir und legte auch seine zweite Hand auf meine Schulter: „Wir machen uns doch auch nur Sorgen. Lasst uns an einem Strang ziehen und herausfinden was los ist. Dich interessiert es doch auch, hm? Du bist immer auf alles neugierig.“ Ich nickte: „Natürlich interessiert mich das.“ „Dann“, grinste Grell mit seinen spitzen Zähnen und verschränkte die Arme: „Lasst uns alle durchatmen und herausfinden, was an unserer kleinen, neuen Freundin warum so besonders ist, hm?“ Ich nickte. Ronald auch. William hatte sich wieder aufgerichtet, schob die Brille die Nase hoch und justierte seine Krawatte: „Wir müssen sie mitnehmen.“ Mein Kopf flog herum. Sofort hatte ich Grell am Arm: „Atmen! Undertaker, erst atmen!“ „Wohin?“, zog ich einen Mundwinkel hoch und Nasenflügel kraus. „In die Branch. Zu Othello. Er muss sie sich ansehen und es für die Shinigamis dokumentieren.“ „Sicher nicht!“, grollte es aus meiner Kehle. Ronald streckte eine Hand aus: „Hey! Wir passen auf sie auf und bringen sie heil nach Hause. Othello ist kein Metzgerdoktor! Du kennst ihn!“ Ich riss meinen Arm aus Grells Umklammerung und rauschte durch die Türe zurück in den Wintergarten, als ich Gefahr lief mich ein zweites Mal zu vergessen. Die Reaper allerdings liefen mir hinter her. „Undertaker!“, rief William: „Es muss sein!“ „Die Diskussion ist beendet, William!“, entgegnete ich lauter als ich wollte: „Das werdet ihr nicht tun!“ „Es ist das einzig Logische! Der Sache muss auf den Grund gegangen werden!“, diskutierte William sich um sein junges Leben. „Ich habe Nein gesagt!“, keifte ich zurück. Als ich um die letzte Ecke bog lächelte der dämonische Butler, schützend vor der Speisetafel stehend, uns entgegen: „Meine Herren! Warum so missgelaunt?“ „Halt deine Nase daraus, Dämon!“, fuhren William und ich dem Butler gleichzeitig über das flach grinsende Maul. „Ich habe nicht viel Spielraum“, meinte William und wirkte tatsächlich fast so, als widerstrebe auch ihm die Idee: „Ich muss darauf bestehen!“ „Den Spielraum wirst du dir verschaffen müssen!“, ich bohrte William einen Finger in die Brust: „Ich kümmere mich darum. Ich warne dich, weil du mein Freund bist. Schlage sie in den Wind und ich verschaffe dir Spielraum, klar?“ Grell schob uns auseinander: „Um Himmelswillen! Beruhigt euch! Ihr müsst euch deswegen nicht an die Gurgel gehen! Ihr würde nichts passieren!“ „Halt die Klappe Grell!“, fuhren wir jetzt synchron den roten Sensenmann an, der zwei Schritte zurück trat: „Ist ja gut! Ihr macht mir Angst!“ „Undertaker“, schüttelte William bedeutungsschwer den Kopf und fixierte meine Augen: „Sei einmal in deinem Leben vernünftig. Um Ihretwillen.“ Ich ließ meine Hand sinken, als ich anfing darüber zu sinnieren was für Skyler vielleicht das Beste war. War es vielleicht das Beste sie den Dreien mitzugeben? „Ich bin dieser Idee spinnefeind! Mehr als das!“ Ronald bewegte beschwichtigend ein weiteres mal die Hände: „Lasst uns das in Ruhe ausdiskutieren. Es nutzt niemandem, wenn ihr euch ein paar auf die Nase gebt.“ Ich verschränkte die Arme, um meine Hände unter Kontrolle zu haben: „Ihr Shinigamis habt keine Mittel, die ich nicht auch habe.“ „Ja zum Teufel“, fauchte William erneut erzürnt: „Weil du ein Shinigami bist! Du bist DER Shinigami, zur Himmel und Hölle noch mal! Betone es nicht immer so als seinen wir etwas Grundverschiedenes.“ „Wir sind grundverschieden, William“, konterte ich ihn sofort: „Du und ich auf alle Fälle.“ „Aber wir sind beides Todesgötter und da kannst du zetern und meckern wie du möchtest! Und Fakt ist, dass nur Todesgötter Records sehen können. Menschen nicht! Wenn ein Mensch auf einmal Records sehen kann, muss das offiziell untersucht werden!“ Ich schüttelte den Kopf: „Das wird es auch werden, aber ihr müsst sie dafür nicht mitnehmen.“ „Was fällt euch beiden eigentlich ein?!“, schallte es nach einem Stuhlpoltern von hinten. Für eine überraschte Weile starrten wir alle nur Skyler an. Sie schüttelte den Kopf und kam mit in die Hüfte gestemmten Händen zu uns: „Wenn es irgendwelche Entscheidungen gibt, die MICH betreffen, dann unterbreitet sie doch bitte MIR, damit ICH darüber entscheiden kann!“ Wir schwiegen. Nur das Tippen von Skylers Fuß war zu hören. Fast schweren Herzens musste ich zugeben, dass Skyler Recht hatte, doch was war wenn die Shinigami sie als gefährlich einstufen und wegsperrten? Das würde ich nicht zu lassen, doch ich konnte nicht einschätzen wie ausdauernd die Reaper hinter ihr her sein würden. Auch Ronald, Grell und William konnten da wenig machen, außer verschwiegen sein, doch dann musste auch Othello mit schweigen. Die Sache war für Skyler potenziell gefährlich. Natürlich lag das nicht an Ronald, Grell, William und Othello, aber ich erinnere mich der Chefetage doch gut genug. Das sich dort etwas geändert hatte bezweifelte ich. „Sky...“, begann ich: „Du verstehst noch nicht genug, um das entscheiden zu können.“ Doch Sky stemmte die Hände in die Hüften und tippte mit einem Fuß: „Dann erkläre es mir, bevor du dir die unglaubliche Dreistigkeit erlaubst Entscheidungen für mich zu treffen!“ „Sky, ich...“, setzte ich ein weiteres Mal an, doch die junge Frau fuhr mir einfach übers Maul: „Nichts Sky! Mein ganzes Leben meinten Leute für mich bestimmen zu müssen! Ich hab es satt, verdammt! Ich bin 18! Über MICH entscheide nur noch ICH! Du bist mein Freund, Undertaker! Freunde sollten einem beratend, mit bestem Wissen und Gewissen, zur Seite stehen, aber nicht für den anderen entscheiden wollen und ihn im Unklaren lassen! Was denkst du dir?! Ich bin das kleine, naive, blöde Mädchen, was das alles eh nicht versteht und von dir begluckt werden muss?!“ Ich merkte wie sich meine Augen weiteten. Der Zorn wich Scham und einem schlechten Gewissen, während ich Skyler anstarrte. Warum ich so wütend geworden war, war mir fast wieder selbst ein Rätsel, doch Williams Unterstellung ich hätte Skyler etwas getan hatte mich rasend gemacht. Darüber hinaus hatte ich einfach nicht mehr klar gedacht. Ich legte ihr meine Hände auf die Schultern und senkte meinen Kopf: „Du hast Recht... Verzeih mir...“ Auch sie legte mir ihre Hände auf die Schultern: „Vergeben und Vergessen. Doch nun sag mir weswegen ihr euch hier fast gegenseitig anfallt.“ Ich seufzte. Sie hatte Recht. In erster Linie war sie ein junges Ding was Antworten brauchte, um sich und die Welt wieder verstehen zu können: „Diese Filme nennt man 'Cinematic Records'“, erklärte ich. „Ja und nur Reaper sollten sie sehen können“, antwortete sie und musterte mich eindringlich: „So weit bin ich schon, aber warum sehe ich sie auch? „Die Frage des Tages“, schüttelte ich den Kopf: „Ich weiß es nicht.“ „Die Records“, hob Ronald einen Zeigefinger: „Beinhalten alle Erinnerungen eines Sterbenden. Ob Mensch, Engel oder Dämonen. Selbst Reaper haben einen Record.“ „Je nachdem“, erklärte Grell weiter: „Was sie uns zeigen entscheiden wir, ob die Person wirklich stirbt oder weiter leben soll.“ „Vorausgesetzt“, schob William seine Brille mehr auf die Nase: „Der Körper ist weiter lebensfähig und kann gerettet werden. Das sind dann die berühmten Nahtoderfahrungen. Die Tatsache, dass jeder Sterbende sein Leben im Moment des Todes Revue passieren lässt, liegt an dem Todesgott, der gerade seinen Record durchschaut. Seelen, die nicht mitgenommen werden und deren Körper sterben, werden zu Geistern. Die aufzuspüren ist mühsam. Wir finden sie meist erst, wenn sie verrückt geworden sind und beginnen zu wüten. Es passiert immer irgendwann“, William schaute mich an: „Denn Nichts ist für die Ewigkeit gemacht.“ Auch den Wink erkannte ich. William war der Meinung ich sei schon viel zu alt. Wahrscheinlich hatte er Recht damit. „Auf dem Record liegen aber auch die Zukunftswünsche eines Sterbenden“, fuhr ich fort, da ich mich mit Records nun wirklich außerordentlich gut auskannte: „Er macht einen großen Teil der Seele aus, weil sowohl unsere Erinnerungen, wie auch unsere Wünsche uns zu einem großen Teil prägen und definieren.“ „Und... Worüber streitet ihr nun?“, fragte Sky immer noch ein bisschen verständnislos. „William will dich zur Untersuchung mit in das Reich der Sensenmänner nehmen. Zu Othello“, antwortete ich ihr. „Othello?“, sie legte den Kopf schief: „Wer ist das?“ „Ein Forscher der forensischen Abteilung“, grinste Grell, als er an seinen alten Bekannten dachte: „Ein weiterer herzerquickender Sonderling. Er ist ein bisschen eigen, aber ganz liebenswert. Er wird gut zu dir sein.“ „Und du...“, blinzelte mir Sky entgegen: „Willst das nicht? Magst du Othello nicht?“ „Oh doch, doch. Othello ist mir alles andere als unsympathisch“, gab ich offen zu: „Doch ein Mensch gehört einfach nicht in das Reich der Reaper. Alles was Othello kann, kann ich auch.“ „Wir müssen es dokumentieren lassen, Undertaker“, fing William schon wieder an: „Wir müssen wissen was sie mit den Records alles tun kann. Wir sind einmal mit Angela und ihren Fähigkeiten daran herum zuschneiden fast ganz böse auf die Nase gefallen. Erinnere dich!“ Ich schüttelte den Kopf, als die Wut wieder anklopfte. Ich wusste das alles: „Ich erinnere mich! Ich bin nicht dement!“ „Aber mittlerweile anscheinend senil!“, machte William weiter: „Wir wollen sie ja nicht exekutieren! Mitnichten, Undertaker! Wir töten keine Menschen, die nicht auf der Liste stehen! Unter keinen Umständen, das ist gegen die Regeln! Du kennst sie! Das weißt du alles! Sei nicht so kindisch!“ Ich fuhr zu William herum. „Halt deine Zunge im Zaum, du Wurm!“, spuckte ich ihm wütend entgegen. „Erst, wenn du wieder zu denken beginnst!“, konterte mich der Sensenmann mit einer Aussage, die wahrer war als ich wollte. Auf einmal schepperte es neben uns. William und ich torkelten einen Schritt zur Seite, als das laute Geräusch in unseren empfindlichen Ohren vibrierte: „Hallo! Habt ihr's bald?!“ Wir schauten unsere Ohren reibend Skyler an, die sich als erstaunlich kreativ bewies uns ihren Standpunkt klar zu machen. „Ich gehe mit ihnen“, sagte sie und gab Sebastian zwei metallene Frühstückstabletts wieder. Wäre die Situation nicht so durchgehen bescheiden, hätte ich den Butler für seinen Gesichtsausdruck ziemlich ungeniert ausgelacht. „Sky!“, rief ich aus, als mein Kopf zu ihr flog. Doch sie verschränkte nur die Arme: „Komm doch einfach mit. Wenn Grell, Ronald und William sagen mir passiert nichts, glaube ich ihnen und wenn es für sie so wichtig ist, dass dieser Othello mich mal unter die Lupe nimmt, dann soll er.“ Ich seufzte fast geschlagen: „Bist du dir sicher?“ Doch Sky lächelte. Selbstsicher. Von ihr überzeugt. Zum Niederknien: „Ich tippe Menschen haben nicht oft die Chance sich deine alte Heimat mal anzuschauen, oder?“ „Meine... alte Heimat...?“ Sie nickte und lächelte weiter: „Du bist auch ein Sensenmann. Du hast mir doch selbst erzählt, du hast mal dort gelebt.“ Ich nickte ebenfalls nur viel langsamer: „Ja, in der Tat, aber was hat das mit deiner Entscheidung zu tun?“ Das hübsche Ding breitete lachend die Hände aus: „Ich bin neugierig und will alles mitnehmen, was ich sehen kann!“ Ich konnte weder Lachen noch Lächeln mehr verstecken. Es war nur leiser und dünner als gewohnt. Skylers Neugier lobte ich mir. So sehr, dass ich sogar ein bisschen stolz auf sie war, als ich ihr durch die Haare wuschelte: „Du bist unglaublich.“ „Sagt der Richtige“, konterte sie grinsend. Ich lachte diesmal wieder lauter: „Da hast du schon wieder Recht. Du bist eine imposante, junge Frau, Skyler Rosewell. Respekt.“ Die imposante, junge Frau verschränkte die Hände hinter dem Rücken und legte geschmeichelt ihr entzückendes, leicht rosanes Gesicht schief: „Ach. Ich hatte einen guten Lehrer im Vorlaut sein.“ Nun kam das Lachen wieder gewohnt schrill aus meinem Mund. Ich hörte Grell erleichtert seufzen: „Tehehehehehe! Ich weiß gar nicht wen du meinen könntest!“ Dann wandte sich Skyler lächelnd zu William: „Also. Wann geht’s los, Mr. Spears?“ Dieser verschränkte die Arme, immer noch etwas angefressen von der Behandlung die er aushalten musste, die mir aber in keinster Weise leid tat: „Von uns aus sofort.“ „Dann los!“, griff mich Skyler am Handgelenk und zog mich hinter sich her. Kapitel 8: Flüche und Legenden ------------------------------ Sky Ich schaute dem ovalen Loch mitten in der Luft doch ein wenig skeptisch entgegen. Kaum hatten wir das Anwesen durch die Hintertüre verlassen, hatte William einen Spalt in die Wand zwischen die Dimensionen gerissen, indem er die Hand auf die Luft auflegte. Hinter dem Riss sah ich eine große Halle komplett aus grauem Stein. Sie war durch und durch zugestellt mit Sitzgruppen und riesigen Bücherregalen. „Na dann“, Ronald streckte sich und stellte ein Bein durch das Loch: „Eigentlich hatte ich ja gehofft wir können unser ganzes freies Wochenende hier verbringen.“ „Hör auf zu jammern, Knox“, richtete William seine Brille, der immer noch genervter als sonst wirkte. Ich tippte, dass zwischen den vier Männern mehr passiert war, als die Anderen und ich gesehen hatten. Mein Blick wanderte zu Undertaker. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und schaute betont gelangweilt in den grauen Saal. Das kurze Geplänkel zwischen Ronald und William war für mich eher ein weißes Rauschen im Hintergrund, während ich Undertakers lächelloses Gesicht betrachtete. Er schien über irgendetwas nachzudenken während er auf die vielen bunten Bücher schaute. Ich sah ihm deutlich an, dass seine Gedankengänge nicht wirklich schön oder erquicklich waren. Ronald und William waren schon durch das Loch gegangen und Grell schaute uns neben dem Portal stehend an: „Kommt ihr?“ Undertaker seufzte und schaute mich an: „Letzte Chance.“ Ich schaute noch mal auf das Portal. Obwohl Ronald so federleicht hindurch gehüpft und auch William wie vollkommen alltäglich durch geschritten war, verursachte es in mir doch eine ängstliche Form von Aufregung. Ich wischte meine schwitzigen Hände an meiner Hose trocken: „Nein. Nein, wir gehen.“ „Sky“, sagte Undertaker nochmal eindringlich: „Ich finde das ist immer noch keine gute Idee.“ Ich seufzte: „Wir gehen.“ Er schüttelte den Kopf: „Hör mir zu. Wir können dich auch bei mir im Laden untersuchen, wenn es den drei Vögeln dort so ungeahnt wichtig ist.“ Während Undertaker sprach stellte ich mich hinter ihn. „Sky?“, fragte er über die Schulter schauend. Im selben Moment schubste ich ihn so stark ich konnte. Es lag wahrscheinlich nur daran, dass der Bestatter im Leben nicht damit gerechnet hatte, aber er strauchelte und plumpste mit einem kleinen Aufschrei durch den Spalt. Grell kicherte: „Die Butter lässt du dir wirklich nicht vom Brot nehmen, oder?“ „Doch“, seufzte ich: „Nur allzu oft, aber ich arbeite daran.“ Grell senkte den Kopf anerkennend: „Die Richtung scheint schon mal nicht schlecht.“ Dann legte ich den Kopf schief, als ich an Grell vorbei in den Riss schaute und doch die Aufregung anfing heiß in meinem Bauch zu gluckern: „Da... hinter dem Riss...“ Grell hatte derweilen schon einen Fuß hindurch gestreckt. Er schaute kurz in den grauen Saal und dann zu mir: „Das ist der Reaper Realm. Genaugenommen die Zentralbibliothek.“ „Bibliothek?“, schaute ich Grell an: „Warum landen wir in einer Bibliothek?“ „Die Verwaltung liegt im ersten Stock“, antwortete Grell relativ gelangweilt: „Wir müssen dich als Besucher anmelden.“ „Warum?“ „Na , weil du ein Mensch bist.“ Ich schaute wieder von Grell weg durch das Loch. Ich sah Undertaker mit William diskutieren. Irgendwie wirkten die beiden im Moment so, als bräuchten sie den jeweils anderen gerade so gar nicht in ihrer Nähe: „Haben die beiden Streit, Grell?“ Grell schaute ebenfalls zu den beiden Männern. Ron stand, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, daneben und starrte seufzend Löcher in die Luft. „Das könnte man so sagen“, antwortete der Rothaarige schließlich. „Warum?“ „William“, Grell seufzte: „Hat ein paar Sachen gesagt, die er lieber für sich behalten hätte und Undertaker damit anscheinend ziemlich beleidigt. Undertaker hat ihn... zurechtgewiesen. Jetzt ist William sauer und Undertaker angefressen. Gaaaaaaanz toll, sag ich dir.“ „Was hat William denn gesagt?“ „Öööööhm“, machte der rote Reaper gedehnt: „Er hat ihm ziemlich unüberlegt ein paar Dinge unterstellt...“ Ich zog meine Augen zu Schlitzen: „Was denn?“ „Ach weißt du“, lachte der rothaarige Mann und wollte sich nur allzu deutlich vor seiner Antwort drücken: „Das ist eigentlich gar nicht so wichtig. Die Beiden berappeln sich wieder. Lass uns gehen“, er streckte mir seine schwarz behandschuhte Hand hin: „Bevor sie es sich anders überlegen und sich doch noch gegenseitig zerfleischen.“ Ich schaute einige Momente auf die Hand des Reapers. Mein Leben hatte mich nicht gerade zur Vertrauensseligkeit erzogen und ich musterte seine Finger eher skeptisch. Andererseits hatte Grell nichts an sich, was nicht vertrauensselig wirkte. Er war recht extravagant und schrill, ja, doch auch unsagbar quirlig und treu. Vor allen Dingen treu. William behandelte ihn oft nicht gut und trotz allem stand Grell zu seinem strengen Kollegen und stärke ihm den Rücken ständig. Ich wollte nicht schlecht über William denken, doch war ich der Meinung er könnte sich Grell gegenüber etwas netter und respektvoller verhalten. Grell tat so viel, dass William ihn mochte und er schellte den Rothaarigen jedes Mal. Grell sah öfter wegen William ziemlich traurig aus. Der Aufsichtsbeamte - ich glaubte nicht, dass er ein schlechtes Wesen hatte - doch ich konnte nachvollziehen, was Undertaker ab und an an ihm störte. Ich griff Grells Hand und lächelte ihn an: „Lass uns Leben retten!“ Was genau der Streitpunkt zwischen Undertaker und William war, konnte ich auch immer noch Undertaker selbst fragen. Denn Grell wirkte nicht so als würde er mir mehr darüber erzählen wollen. Es war sein gutes Recht nicht hinter dem Rücken seiner Freunde ihre Zwistigkeiten auszubreiten. Grell grinste und zog mich zu sich. Dann hob er mich ungefragt durch das Loch. Es war wie durch eine Türe zu gehen. Irgendwie verwunderte es mich, dass es so einfach war. Grell legte mir einen Arm über die Schultern und wies mit einer großen Armbewegung in den riesigen Saal: „Willkommen in unserer Welt!“ Jetzt sah ich erst wie viele Bücherregale und vor allen Dingen wie viele Bücher sich in der grauen Halle tummelten. Aberhunderte, wenn nicht sogar Abertausende! Mit großen Augen schaute ich zu Grell: „Was sind das alles für Bücher?! Ich habe noch nie so eine volle Bibliothek gesehen!“ Grell kicherte kurz und wir gingen langsam auf Undertaker, William und Ronald zu: „Das ist nur das Erdgeschoss! Es gibt noch 15 weitere Etagen! Und das sind keine normalen Bücher. Das sind Records!“ Ich schaute ihn verwirrt an: „Ich dachte Records sind Filmstreifen.“ „Und Bücher“, grinste Grell mit seinen spitzen Zähnen: „Wir können ja nicht immer zu den Personen hinrennen, wenn wir Informationen brauchen.“ „Wie?“, klimperte ich mit den Augen. „Nun ja. Es gibt immer ab und zu ungewöhnliche Fälle, in denen wir das ein oder andere nachschlagen müssen. Deswegen ist es praktisch die Records hier zu haben. Sie sind dasselbe. Beide zeigen die Erinnerungen eines Wesen und seine Wünsche für die Zukunft.“ „Aber“, ich stockte: „Das heißt ihr könnt jeden einfach... ausspionieren? In seiner Vergangenheit herumschnüffeln?“ „Es gibt einen ganzen Haufen von Regeln, wann wir das dürfen“, seufzte Grell. „Das beruhigt mich nicht im Geringsten! Das ist Stalking!“ „Das ist unser Job!“ Ich blinzelte: „Echt jetzt?“ „Hör mal“, machte Grell: „Ich sehe jeden Tag etliche Records, dann habe ich nicht auch noch die Anwandlung mich in meiner Freizeit damit zu beschäftigen! Wenn ich es tue, tue ich das wegen der Arbeit. Wir richten über Leben und Tod, wir sollten unseren Job ordentlich machen, oder? Das ist wie ein Arzt, der die Krankenakte einfordert um richtig behandeln zu können. Was da drin steht ist auch höchst privat! Nur den Arzt beschimpft keiner!“ Die Argumente zogen. Ein schlechtes Gewissen befiel mich. Ich seufzte und schaute zu Boden: „Tut mir leid, Grell...“ Grell lachte: „Du hast recht.“ „Inwiefern?“ „Du lässt dir viel zu schnell die Butter vom Brot nehmen.“ „Nein, deine Argumente waren einfach stimmig.“ Grell lachte wieder auf: „Könnte daran liegen, dass ich diese Diskussion schon ein paar Mal geführt habe.“ „Klingt nervig“, kicherte ich. „Oh ja“, kicherte Grell zurück. „Vorschrift ist Vorschrift“, unterbrach eine Stimme Grells und meine kleine Plauderei. Sie gehörte unverkennbar zu William. Wir drehten den Kopf. Ronald winkte uns relativ gelangweilt zu und verdrehte die Augen. Undertaker stand mit dem Rücken zu uns und kicherte wieder wie gewohnt. William hätte uns zwar sehen können, doch er war gerade viel zu beschäftigt sich dem giggelnden Bestatter zu erwehren. „Ehehehehehe! Ja, davon habt ihr sicherlich mehr als genug“, lachte Undertaker, was William so gar nicht komisch zu finden schien. Der strenge Schwarzhaarige hatte mit einem sehr unangetanenen Gesichtsausdruck die Arme verschränkt: „Ich mache für dich schon eine Ausnahme.“ „Hehe. Ich bin dir deswegen auch äußerst verbunden, mein lieber William.“ William seufzte und rollte mit den Augen: „Nenne mich nicht ‚lieber‘, das ist verstörend!“ „Hihi! Bist du aber zart besaitet, teuerster William.“ „Das ist nicht ansatzweise besser!“ Grell legte seufzend die Hand über die Augen: „Das kann wieder ewig so weiter gehen...“ „Wenigstens lacht er wieder“, grinste ich durch die Gegend und freute mich wirklich viel zu sehr über Undertakers diebisches Pläsier, William ein weiteres Mal gehörig auf den Zeiger gehen zu können. Nicht, weil er William auf den Zeiger ging, sondern weil er dabei lachte. Viel. Das Leiden des Aufsichtsbeamten ist für mich nicht viel mehr als Kollateralschaden. Grell stemmte die Hand wieder in die Hüfte und lächelte ein wenig zwiegespalten: „Das stimmt wohl. Man soll immer das Gute sehen, hm?“ „Jup“, machte ich grinsend und schaute wieder zu unserer ganz persönlichen Versionen von David und Goliath. Wer allerdings David und wer Goliath war, konnte ich nicht ganz sagen. „Du nimmst nie ernst was man dir sagt, oder?“, brüskierte sich William. „Warum denkst du das?“, lachte Undertaker. William schloss kopfschüttelnd die Augen: „Meine armen Nerven... Warum wohl?!“ Doch Undertaker lachte William nur an. Oder eher aus. „Ist“, begann ich lauter zu sprechen, damit Undertaker mich hinter seinem Rücken bemerkte: „Bei euch alles ok?“ Der Totengräber drehte sich herum: „Oh! Hehehehe. Du bist ja schon da.“ „Ihr“, begann ich ein bisschen irritiert: „Wart vielleicht 15 Meter entfernt.“ „Ich dachte du zauderst länger“, grinste der Bestatter mit einem Auge: „Oder überlegst es dir doch nochmal anders.“ „Soll ich dich nochmal schubsen um deutlich zu machen, dass es nicht so kommen wird?“, konterte ich und verschränkte die Arme: „Und jetzt hör auf mir auszuweichen. Was ist los?“ „Oh, tihihihi! Gar nichts, gar nichts“, giggelte der Totengräber weiter. „Sicher?“ „Ihihihi! Ja“, behaarte der Bestatter auf seiner Aussage: „William weiß nur den Wert echter Freundschaft nicht zu schätzen.“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Aha?“ „Der ‚Wert wahrer Freundschaft‘ liegt sicherlich nicht in albernen Spitznamen“, erwiderte William: „Es wäre wunderbar, wenn Sutcliff und du das endlich begreifen würden.“ „Haaa… Ihihihihi“, giggelte Undertaker in seine Hand: „Sagte ich doch. Nicht den Hauch von Wertschätzung. Tehehehehe!“ William seufzte: „Ich muss gehen. Wir überspringen deinen Ausweis und hoffen, dass es gut geht. Aber Miss Rosewell braucht einen. Othello muss eine Akte anlegen, wenn dann kein Besucherausweis beiliegt kommen wir alle Drei in unaussprechliche Schwierigkeiten.“ „Und einen unaussprechlichen Berg Papierkram“, stöhnten Ronald und Grell im Chor. Undertaker öffnete den Mund. „Gut“, unterbrach ich ihn, bevor er etwas sagen konnte und er schloss seinen Mund ein wenig desillusioniert in meine Richtung blinzelnd: „Dann hole ich mir halt einen Besucherausweis.“ „Den hole ich dir“, sagte William trocken: „Du darfst diesen Raum bis dahin nicht verlassen.“ Ich nickte: „Ok... Aber in diesem Raum darf ich mich bewegen, oder?“ William nickte nur und wandte sich dann um: „Ich beeile mich.“ Dann ging der Aufsichtsbeamte auch schon weg und verschwand durch eine Tür. Der Bestatter seufzte mit geschlossenen Augen durch die Nase und schien sich endlich dem von mir gewählten Schicksal ergeben zu haben. Denn ein Lachen fuhr aus seinen nur ganz leicht geöffneten Lippen und ließen ein paar Strähnen seines Ponys kurz hoch fliegen: „Ehehehehe! Diese ganzen Regeln! Ich weiß wieder warum ich gegangen bin. Das ist ja noch schlimmer als damals.“ „Wir kommen klar“, meinte Ronald gedehnt und wirkte Undertakers Aussage trotz allem nicht ganz abgeneigt: „Es funktioniert ganz gut. Wir sind nur nicht darauf vorbereitet gewesen, mal so einen Fall wie Sky auf dem Tisch zu haben.“ Meine Mundwinkel verzogen sich nach unten. Ich wollte kein Problem sein, doch genau das war ich gerade. Für Ronald, Grell und William war ich augenscheinlich ein riesiges Problem. Ich fühlte mich wie ein Freak, weil ich ganz offensichtlich auf eine negative Art anders war. Ich hatte Angst davor und das es noch viel größere Probleme nach sich ziehen könnte. Vor knapp 24 Stunden war ich noch ein ganz normales Mädchen gewesen, was das Schicksal einfach nicht sonderlich zu mögen schien. Doch jetzt? Was war ich jetzt? Eine Hand erschien auf meinem Kopf und ich blinzelte hoch. „Mach nicht so ein langes Gesicht“, lächelte mir der Bestatter aufmunternd entgegen: „Das wird schon wieder. Ich passe auf dich auf.“ Ich seufzte: „Das ist es doch gar nicht. Vor mir selbst kannst auch du mich nicht beschützen... Was ist, wenn ich ein ganz komischer Freak oder Mutant bin?! Irgendwas richtig Komisches und Ekliges?!“ Undertaker legte den Kopf schief: „Weil du etwas Neues bist, sollst du komisch, mutiert oder eklig sein? Selbst wenn. Mutationen sind der Antrieb der Evolution, kleine Sky. Daran ist prinzipiell nichts Ekliges, Freakiges, oder Komisches. Du bist perfekt wie du bist, ok?“ Meine Gedanken fielen zusammen wie ein Kartenhaus: 'Ich... perfekt... wie ich bin?' „Ich“, schaute ich schräg zu Boden und griff mit meiner rechten Hand meinen linken Oberarm: „Bin ganz sicher nicht perfekt...“ Die Hand wanderte von meinem Kopf und hob dann mein Kinn nach oben. „Für mich schon“, lächelte der Bestatter warm und ein paar Fünkchen tanzten in meinem Bauch herum. Diese Fünkchen waren auch das Einzige was sich noch bewegte, denn sowohl mein Herz, als auch meine Gedanken waren einfach stehen geblieben, als der Totengräber weiter sprach: „Ich finde deine Unvollkommenheit furchtbar perfekt.“ Die tanzenden Fünkchen erschienen in einem satten Rot in meinem Gesicht: „Ach Quatsch“, wollte ich zur Seite schauen, doch Undertaker drehte meinen Kopf, um meinen Pupillen folgen zu können: „Nichts Quatsch. Ich finde Ecken und Kanten sind eine Grundvoraussetzung für Perfektion.“ Ich schaute dem Bestatter ins Auge. Ein Blick in das strahlende Grün verriet mir, dass er auch das ehrlich meinte. Ein weiteres Mal stahl mir dieses Auge die Gedanken direkt aus dem Kopf. Zumindest verlor ich sie darin. Die Umgebung verschwamm und auch Zeit war auf einmal etwas, was nur noch ganz am Rande existierte und stehen geblieben zu sein schien. Plötzlich erreichte mein Ohr ein erstickendes Geräusch. Auch Undertakers Iris wanderte weg und wir schauten zu Grell und Ronald. Der Jüngling hatte Grell von hinten unter die Achseln gegriffen, hielt mit einer Hand einen Arm in Schach und hatte die andere auf seinen Mund gedrückt: „Psst, verdammt versau' es nicht!“, zischte der Blonde leise, erstickte mit seiner Hand allerdings Grells genuschelte Antwort. Undertaker grinste wieder reichlich amüsiert, lachte, nahm die Hand von meinen Kinn und stemmte sie in die Hüfte, während er die andere an sein Kinn legte: „Ehehehehe! Was wird das, wenn es fertig ist?“ Ronald und Grell schauten reichlich ertappt zu uns und erstarrten kurz in ihrem Rangeln. Dann ließ Ronald den Rothaarigen los: „Nichts!“ „Aha?“, machte ich wenig überzeugt. Grell kratzte sich breit grinsend am Hinterkopf und wedelte mit der anderen Hand: „Lasst euch von uns nicht stören!“ „Stören?“, zog ich eine Augenbraue hoch: „Wobei stören?“ „Öööööööhm“, machten die Beiden synchron und ihre Augen wechselten zwischen mir und Undertaker eher fragend und ein bisschen verständnislos hin und her. Ich hatte das Gefühl als würde ich in den Augen der Beiden etwas furchtbar Offensichtliches übersehen. Undertaker kicherte: „Tihihi! Ihr seid manchmal ziemlich eigenartig, wisst ihr das?“ „Sagt der Richtige!“, gaben die Beiden ihm im Chor, mit in die Hüften gestemmten Händen und reichlich verständnisloser Mine, zurück. Ich kicherte in die Hand: „Sie haben recht.“ „Hey!“, drehte der Totengräber lachend seinen Kopf wieder zu mir: „Ehehehehe! Bist du mir gerade in den Rücken gefallen?“ „Nein“, beschaute ich sein amüsiertes Gesicht und stellte fest, dass selbst ein 'Ja' ihn wahrscheinlich irgendwie belustigt hätte: „Ich habe nur die Wahrheit gesagt. Das willst du doch immer.“ Undertaker lachte weiter: „Nihihihi! Oh ja, oh ja, das ist wohl wahr.“ „Also“, verschränkte ich verspielt triumphierend die Arme und hob die Nase: „Beschwer' dich nicht!“ „Nehehehehehe!“, lachte Undertaker los, hob wieder seinen locker baumelnden Handrücken vor den Mund und drehte den Zeigefinger seiner anderen Hand, den mit dem großen Smaragdring, auf meiner erhobenen Nasenspitze: „Sei vorsichtig wenn es regnet. Sonst läuft deine kleine Stupsnase noch voll. Hehe!“ Ich wedelte seine Hand weg: „Lass das! Die darf gerade so hoch sein. Ich hab dich ausgespielt!“ Undertaker lachte noch lauter: „Pahahahaha! Denkst du ich hab kein Ass mehr im Ärmel?!“ Ich zog meine Augen zu Schlitzen und musterte ihn ein paar Minuten mit gespielt beleidigt zerknautschten Mund: „Kannst du die nicht einmal stecken lassen und mir ein bisschen Triumph gönnen?“ Undertaker kichert und wollte etwas antworten, doch auf einmal fiel Grell ihm von hinten um den Hals: „Hey Herzchen?“ Ich schaute dem rothaarigen Sensenmann eher verwirrt entgegen. Auch Undertaker wandte seinen Kopf mit einem Grinsen und einem Fragezeichen zu dem Rothaarigen mit der genauso roten Brille: „Was möchtest du, lieber Grell?“ Grell grinste breit und unterdrückte ein Lachen, konnte das Kichern aber nicht aus seiner Stimme verbannen: „Ich hab da eine Frage an dich!“ Trotz des Grinsens zog Undertaker eine Augenbraue nach oben: „Aha? Ehehehe! Und die wäre?“ Plötzlich zog Etwas an meinem Arm. Als ich den Kopf zur Seite drehte sah ich, dass Ronald sich ungefragt bei mir eingeharkt hatte: „Wie wäre es mit ein bisschen Sightseeing?“ Ich blinzelte ihn an: „Wie? Ich darf den Raum nicht verlassen.“ Ronald lachte kurz: „Das stimmt schon, aber du bist in dem Raum gelandet wo es am meisten zu sehen gibt! Ist nicht viel, aber ein bisschen. Besser als hier wartend rumzustehen, oder?“ „Öhm okay?“, blinzelte ich Ronald an. Dann nickte ich zögerlich. Selbst wenn es nur dieser eine Raum war, wann bekam man schon das Angebot in einer anderen Welt herumschnüffeln zu dürfen? Und wenn Ronald mich herumführt wird das wohl ok sein. Er war ja schließlich hier Zuhause: „Klingt nicht schlecht.“ Ronald zog mich weg, während Grell Undertaker mit irgendetwas zu schwafelte. „Sollten wir nicht auf die Beiden warten?“, stolperte ich dem Blonden hinterher, als ich zurück zu Grell und Undertaker schaute. Grell beanspruchte Undertaker vollends für sich. Das ich dabei war weg zu gehen, schien dem Bestatter noch gar nicht aufzufallen. Ein Stich pikste mich ins Herz und ließ mich zusammen zucken. Der rote Sensenmann hatte schon ein verdammt einnehmendes Wesen. Etwas brodelte in meinem Magen auf und ab. Irgendwie... passte mir Grells Verhalten so gar nicht, wie er Undertaker am Hals hing... Überschwänglich... und fest an ihn gedrückt... Mein Bauch gluckerte heiß, als ich meinen Kopf wieder zu Ronald drehte, da er mir antwortete. Der jüngste der vier Sensenmänner lachte nur und zog mich weiter: „Die kommen schon nach!“ Ronald führt mich im Schlendergang durch den großen Raum. Irgendwann eroberte ich meinen Arm zurück, was Ronald zwar nicht schmeckte und auch nicht richtig einleuchtete, aber ich mochte es halt nicht ungefragt angefasst zu werden. Naja... Von den Meisten zumindest. Nur gewisse Jemande waren ja gerade zu sehr mit gewissen anderen Jemanden beschäftigt...: 'Grrrrr...' Ronald ging mit mir an einigen Sitzgruppen vorbei, die alle aus drei im Quadrat angeordneten Ledercouchen und einem großen, gläsernen Couchtisch bestanden. Einige waren besetzt mit Leuten in Anzügen, alle mit diesen grell grüngelben Augen über denen eine Brille lag. Neben Einigen lehnten eher schlichte, neben Anderen relativ extravagante Gartengeräte. Viele hatten Akten und große Bücher mit Klebezetteln zwischen den Seiten in den Händen. Sie unterhielten sich ausgelassen, zeigten und blätterten durch die Seiten und wirkten auf den ersten Blick wie ganz normale Leute. Natürlich waren sie das nicht. Jeder hier war ein Grim Reaper, wie mir Ronald erklärte: „In die Bibliothek kommen nur Grim Reaper! Also Reaper, die im Dispatch arbeiten.“ „Wie nur?“, fragte ich: „Arbeiten nicht alle Reaper im Dispatch?“ „Nein“, lachte Ronald: „Der Reaper Realm und die Menschenwelt sind streckenweise gar nicht so unähnlich. Es gibt noch andere Berufe als 'Sensenmann', selbst im Dispatch sammelt nicht jeder Seelen ein. Es gibt noch Köche, Verkäufer, Handwerker und so weiter und sofort. Jeder, der sein zweites Leben als Shinigami antritt, könnte Schnitter werden, ja, aber einige sind dazu einfach nicht geeignet und wählen einen anderen Beruf. Auch Shinigami müssen essen, schlafen und trinken. Hin und wieder haben wir sogar etwas Freizeit! Ich weiß, wenn man William reden hört kann man daran zweifeln, aber auch wir haben frei und einige haben sogar Hobbys! Folglich gibt es auch eine ganze Bandbreite an Berufen. Agrarwirtschaft, Einzelhandel, Unterhaltungsbranche und und und. Wie bei den Menschen auch.“ „Also“, fasste ich eher fragend noch einmal zusammen: „Ein Reaper zu sein heißt nicht, dass man Seelen einsammeln muss?“ Ronald nickte: „Genau. Die Reaper im Dispatch sind aber in unserer Gesellschaft ziemlich hoch angesehen. Der Dispatch ist gleichzeitig sowas ähnliches wie bei euch die Regierung.“ „Bist du deswegen einer geworden?“ Ronald kicherte: „Öhm auch. Die Chancen bei den Ladys krachen förmlich durch die Decke, wenn man als Grim Reaper arbeitet.“ Ich zog eine Augenbraue nach oben und schaute zur Seite: „Oooooookay...“ Einige der auf den Sitzgruppen sitzenden Schnitter sahen mich, musterten mich skeptisch und tuschelten dann mit ihren Nachbarn. Ich seufzte. Natürlich fiel ich auf. Meine Augen waren blau, nicht grün und ich trug keine Brille. „Mach nicht solche Geräusche“, grinste Ronald jugendlich: „Die sind alle eher neugierig.“ „Die schauen mich an als wäre ich ein Gespenst...“ „Glaub mir! Wärst du ein Gespenst würden die anders schauen!“, lachte Ronald: „Ignorier' das einfach! Was willst du sehen?“ „Was gibt es denn hier zu sehen, außer Bücher?“ „Nun“, lachte Ronald: „Bücher! Ein paar davon sind richtige Schätzchen!“ „Woher wisst ihr das?“, legte ich den Kopf in Ronalds Richtung schief: „Ihr dürft doch nicht einfach so in die Bücher schauen.“ Ronald schaute mich amüsiert an, während er mit mir durch die große Halle spazierte: „Nun, es gibt 10 Bücher in die dürfen wir gar nicht rein schauen! Unter keinen Umständen! Sie sind etwas ganz Besonderes. Sollte sich jemals Jemand wagen sie aufzuschlagen, oder sogar darin zu lesen, droht ihm die sofortige Entlassung!“ „Echt?“, fragte ich ein bisschen verwundert: „Das ist eine ziemlich harte Strafe.“ „Oh ja“, nickte Ronald. Wir gingen von den Sitzgruppen und den großen Bücherregalen ein kleines Stück weg , auf dem Weg zu einem kleinen Platz der wahrscheinlich als einziger in diesem Raum nicht von Regalen besiedelten war: „Vor allem wenn man bedenkt, dass es um den Personalschlüssel nicht gerade gut steht.“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Personalschlüssel?“ „Nun ja“, Ronald rieb sich am Hinterkopf: „Wir sind chronisch unterbesetzt, deswegen sind Entlassungen auch relativ selten. Es gibt halt einfach nicht so viele Selbstmörder wie wir bräuchten. Auch wenn die Rate echt rapide nach oben gegangen ist, in den letzten paar Jahrzehnten.“ Ich blieb wie vom Donner gerührt stehen: „Selbstmörder?!“ Der junge Reaper redete darüber, wie über sein Mittagessen! Ronald drehte sich zu mir um und klimperte mir mit großen Augen entgegen: „Klar. Hat Undertaker dir das nicht erzählt?“ „Was?“, fragte ich irritiert. „Wie man zum Reaper wird.“ Ich kramte kurz durch meine Gedanken, als mich ein ungutes Gefühl beschlich: „...Nein... Hat er nicht.“ „Oh....“, Ronald kratze sich diesmal mit einem verunglückten Grinsen am Hinterkopf: „Ups. Höhö. Nun ja. Wenn ein Mensch sich selber das Leben nimmt, landet er hier.“ „Bitte?!“, entfuhr es mir viel lauter als ich wollte. „Pscht!“, machte es hinter einem Regal neben mir: „Das hier ist eine Bibliothek!“ „Ähähä“, lachte ich peinlich berührt und mehr als nur ertappt: „Sorry!“ „Ja, ja...“, kam es trocken als Antwort durch die Bücher zu meiner Rechten. Ronald kicherte: „Einige haben hier echt keinen Humor. Tut mir leid.“ Ich wedelte mit der Hand: „Das ist mir gerade doch vollkommen egal. Du willst mir ehrlich erzählen, jeder der hier lebt hat sich selbst umgebracht?“ „Jup“, machte Ronald: „So ist es. Ein Reaper zu werden ist eine Strafe Gottes.“ „Strafe Gottes?“, mein Gehirn ratterte ohne wirklich zu verarbeiten was ich hörte. Ronald nickte und gestikulierte eher beiläufig und gelangweilt mit einer Hand, während er die andere in der Hosentasche hatte: „Selbstmörder schmeißen Gottes größtes Geschenk weg: Das Leben. Deswegen werden sie dazu verflucht über die Sterbenden zu richten, bis sie ihre Schuld abgearbeitet haben und entlassen werden, bla bla bla.“ Ich klimperte Ronald mit ungläubigen Augen an. Dann kombinierte ich schließlich, dass auch Ronald ein Reaper war und was seine Aussage folglich zu bedeuten hatte. Und nicht nur bei Ronald: „Das heißt... auch du...“ Ronald nickte nur grinsend: „Jup.“ „Und Grell...“ Wieder ein Nicken: „Jup.“ „Und William...“ „Jup.“ „Und... und...“, das letzte kam mir nicht über die Lippen. Obwohl ich es genau wusste, schaffte ich es noch nicht einmal den Satz in meinen Gedanken zu formulieren. Ich hatte das Gefühl nicht mehr richtig atmen zu können und rieb mir den verstopften Hals. „Und Undertaker auch“, sprach Ronald aus, was mir in der Kehle steckte und mich würgte: „Vor ewig Zeiten, aber ja.“ „Aber...“, würgte ich aus: „Undertaker meinte er sei der erste Sensenmann, der je entstanden ist.“ Ronald nickte wieder: „Auch das ist richtig. Undertaker war auch der erste Mensch, der sich je selbst das Leben genommen hat.“ Mein Herz zog sich ganz furchtbar zusammen und sprang dann in tausend Teile. Spontan wurde mir ganz schlecht und meine Knie wurden furchtbar weich, als mir das schön geschnittene Gesicht mit diesem rettenden Lächeln und diesem ansteckenden Grinsen durch den Kopf flog. Mit diesen unendlich tiefen, fluoreszierenden, grünen Augen: „Aber... aber...“ „Aber?“, fragte Ronald. Ich faltete meine Hände vor meiner Brust. Warum mich diese Information so traf, wusste ich nicht ganz. Was ich allerdings wusste war, dass Undertaker ein Charakter war, den niemand so einfach in die Knie zwingen konnte. Kein Mensch, kein Wesen, keine Regel und das Schicksal auch nicht. Dessen war ich mir mehr als nur sicher. Was bringt also so einen Mann, so einen Charakter, dazu sich das Leben zu nehmen? Ich schaute Ronald an: „Aber... wieso?“, war das Einzige, was ich hervor bringen konnte. „Das wissen wir nicht mehr“, seufzte Ronald mit einem leichten Lächeln: „Wenn man zum Reaper wird, wird die Seele einmal blank poliert. Auf null gesetzt. Wir erinnern uns an unser vorheriges Leben nicht mehr. Wir haben ein ganz Neues bekommen. Einen neuen Charakter. Eine neue Chance zu sein und auch zu leben. Wir sind die Personifikation des Todes, ja, aber auch wir sind am Leben. Wir sehen die Welt jetzt aus anderen Augen, auch wenn sie nicht gut sind“, schloss der Reaper mit einem kleinen Lachen ab: „Unser Leben ist nicht so schlecht. Wir müssen dir nicht leid tun.“ Ich blinzelte: „Aber... Das klingt trotzdem so unglaublich... dramatisch.“ Ronald lachte und steckte die Hände in die Hosentaschen als er weiter ging. Ich schloss zu ihm auf: „Worüber lachst du?“ „Dramatisch“, grinste der Blonde: „Vielleicht könnte man das so bezeichnen, aber uns geht es gut. Also, was soll's?“ „Du siehst das ziemlich locker...“, schaute ich ihn von unten an. Ich fand diese ganzen Offenbarungen ja gar nicht so lustig. Erst waren die Vier keine Menschen, dann eröffnete mir Ronald einfach so, dass sie nur keine mehr waren, weil sie sich selber umgebracht hatten und alles was er dazu zu sagen hatte war 'Was soll's?'! „Joa“, zuckte Ronald mit den Schultern: „Der Tod ist mein Geschäft. Ich habe täglich damit zu tun. Da schockt mich nichts mehr. Und wie gesagt: Ich erinnere mich an alles vorherige nicht mehr. Warum soll ich Ballast mit mir herumschleppen, den ich gar nicht mehr hab? Ich lebe im Hier und Jetzt! Und mein Leben ist gar nicht mal schlecht. Echt nicht. Eher im Gegenteil. Ich hab 'nen guten Job, Hobbys, gute Freunde und ne Menge Spaß. Also ist alles gut, oder? Ich kann nur für mich sprechen, aber ich glaube den Anderen geht es auch nicht sooooo schlecht. Schließlich sind wir nur wie wir sind, weil alles so kam wie es halt gekommen ist.“ Der letzte Satz des blonden Sensenmannes ließ mich aufhorchen: 'Schließlich sind wir nur wie wir sind, weil alles so kam wie es halt gekommen ist.' Ich schaute auf meine Füße, während ich Ronald weiter folgte. Zu denken, dass es vielleicht gut gewesen war, dass sich jemand selbst das Leben genommen hatte, traute ich mich nicht. Doch ich war froh, dass... dass gewisse Leute so waren, wie sie halt nun mal waren... Ich folgte Ronald auf den freien Platz. In der Mitte stand eine lange Glasvitrine ungefähr auf Hüfthöhe. Auf dem hochwertigen, roten Samt lagen 10 verdammt dicke und offensichtlich verdammt alte Bücher, halb aufgebockt auf Holzständern. Sie waren dort ausgestellt wie die Kronjuwelen im Tower of London. Lediglich ein paar Aufsteller mit rotem Band hielten die Besucher auf Abstand zu der polierten Vitrine mit den unglaublich dicken Glaswänden. Ronald blieb davor stehen und legte den Kopf schief: „Darf ich vorstellen? Die wertvollsten Bücher der ganzen Bibliothek.“ „Und“, machte ich und trat neben Ronald: „Die liegen hier einfach herum? Was, wenn sie einer einfach mitnimmt?“ „Das traut sich keiner“, lächelte der Blonde: „Dafür haben wir alle vor diesen Büchern viel zu viel Respekt.“ „Aber... Es sind nur Bücher, Ronald.“ „Das!“, machte Ronald schon fast empört: „Sind die Records der 10 ersten Sensenmänner, die je gelebt haben! Sie haben den Dispatch aufgebaut! Du trampelst gerade verbal auf unserer Geschichte herum. Das“, Ronald deutete noch mal auf die Bücher: „Sind Helden, klar?“ „Der 10 Ersten?“, ich schaute wieder auf die zehn Bücher: „Helden?“ Die Bücher waren in Leder in verschiedenen braun Tönen geschlagen und hatten viele Verzierungen eingeprägt. Auf den Buchdeckeln glänzten in goldenen Lettern 10 Namen. Ich ging langsam an der Vitrine vorbei und las sie mir durch: 'Łucja Adamek', 'Marie Besnard', 'Adrian Crevan', 'Pedro Fernandes', 'John Kašpar', 'Donovan Mac Echogáin', 'Minagawa Akitsune', 'Nevet ben Rani', 'Ehen Schneider', 'Alisa van Hegen'. Ein weiterer Gedanke streifte durch meinen Kopf: „Liegt...“, ich brach wieder ab und schaute weiter auf die Bücher: „Also...“ Ronald kicherte sich ins Fäustchen: „Ja, eines davon ist Undertakers.“ Mein Kopf schnackte zu Ronald: „Welches?!“ „Pscht!“, kam es wieder von hinter den Regalen. Ich versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen: „Es tut mir leid...“ „Ja, ja...“ Ich hörte Ronald am anderen Ende der Vitrine lachen. Als ich durch meine Finger schaute, sah ich ihn mit dem kopfschüttelnd und mit verschränkten Armen vor sich hin kichern: „Mach dir nichts draus. Um deine Frage zu beantworten...“ Ich ließ die Hände sinken und schaute Ronald mit den größten Augen an, die ich je gemacht hatte. Der Blonde hob die Hände und seufzte: „Ich kann dir nicht sagen welches. Ich möchte meinem Kopf gerne auf dem Hals behalten.“ „WAS?!?!?!“ „PSSSSSCHT!“ Ich schlug eine Hand vor den Mund und ließ beschämt den Kopf sinken: „Verzeihung...“ „Chill mal dahinten“, lachte Ronald. „Ja, ja...“ „Kannst du auch was anderes sagen?“, lachte der Blonde in seiner fast unerschütterlichen jugendlichen Selbstsicherheit. Stille hinter dem Regal. „Sorry Ronald“, schaute ich den Jüngling wieder an, der sich mittlerweile vor mich gestellt hatte. Dieser lachte heiter: „Wie schon gesagt: Einfach nicht hin hören. Die Meisten hier reiten nur Paragraphen und haben deswegen echt schlechte Laune.“ Ich merkte wie meine Ohren zu leuchten begangen und mir klappte der Mund auf: „Mein Gott, Ronald! Nur weil du immer so gute Laune hast, kannst du doch nicht so über andere Leute sprechen!“ Ronald lachte schelmisch und zwinkerte: „Du darfst jetzt mal raten, warum ich immer so gute Laune habe!“ Meine Augen wurden größer und das Leuchten wanderte von meinen Ohren auch in mein Gesicht, als ich die Anspielung des jungen Sensenmannes natürlich (leider...) verstand: „Ronald!“ Doch der Blonde lachte nur und hielt sich eine Hand vor den Bauch, um mit der anderen auf mich zu zeigen: „Du bist rot wie eine reife Kirsche!“ Ich hob die Hände zum Gesicht und schaute zur Seite, an der Vitrine vorbei. Ich blinzelte und vergaß augenblicklich, dass ich mich eigentlich gerade fremdschämte. Denn meine Augen fielen auf eine riesige Statue. Mit Sockeln sicher fast 4 Meter hoch. Sie war auf eine Reihe dunkle Holzsockel und dann nochmal auf einen Steinsockel gestellt. Es war ein großer Mann in einem langen Trenchcoat mit wehendem Rock, schlichter Hose und Schuhen. Die episch in Szene gesetzten Haare des Steinmannes reichten bis zu seiner Hüfte und franselten über die halb-gerahmte Brille in seinem Gesicht. Ich ging wie hypnotisiert um die Vitrine herum und legte meinen Kopf in den Nacken, als ich vor der großen Statue angekommen war. Die Augen unter den Brillengläsern waren nicht herausgearbeitet worden. Doch was in mir ein unsagbares Déjà vu auslöste, war was die Statue vor sich in beiden Händen hielt: Eine lange Sense mit einem riesigen Sensenblatt, welches aus dem Hinterkopf eines Totenkopfes mit Rippenbogen heraus schaute. „Ronald“, sagte ich in vollkommen überforderten Unglauben und beschaute die große Statue ein weiteres Mal von oben bis unten: „Sag mir nicht das ist...“ „Doch“, stoppte der Blonde lachend neben mir: „Er ist es.“ Meine Augen klebten an der Steinnachbildung: „Undertaker?“ „Jup“, lachte Ronald weiter: „Als er noch als Sensenmann gearbeitet hat.“ „Wow“, sagte ich und zog beide Augenbrauen hoch: „Ihm wurde eine Statue gebaut?“ Ich fasste es nicht... Ich stand in einer riesigen Bibliothek, in einer fremden Welt, angefüllt mit tausenden von Büchern, die tausende von Leben repräsentieren und dazu noch vor einer übertrieben großen Statue des giggelnden Bestatters. Wenn ich dachte heute Morgen war mein Kartenhaus von Weltsicht schon in sich zusammen gefallen, hatte es jetzt jemand mit Benzin übergossen und angezündet. Denn der in Stein gemeißelte Mann vor mir war ein ernstzunehmender Schnitter und kein mental ein wenig durcheinander geratener Totengräber. Obwohl es offensichtlich derselbe Mann war, stimmten diese Bilder in meinem Kopf doch nicht ganz überein. Ich war mir auch nicht recht sicher welches besser passte, doch wusste ich genau welches mir sympathischer war. „Oh ja“, seufzte Ronald ehrfürchtig und irgendwie verträumt: „Er ist eine Legende. Das Vorbild jedes hart arbeitenden Grim Reaper. Es gab keinen, der in dem Job besser war als er. Selbst weinende Kinder gaben ihm ihre Seele freiwillig. Er hat Seelen geholt wie die von Marie Antoinette und Robert von Locksley.“ Jetzt schaute ich den Blonden an: „Echt?“ Plötzlich machte Williams Aussage in dem Wintergarten der Phantomhives Sinn. Das Undertaker nicht nur einer, sondern DER Shinigami sei. „Er ist ein Meister der Kunst. Immer noch. Ich durfte vor ein paar Jahren unfreiwillig herausfinden, dass er nicht nachgelassen hat“, fuhr Ronald weiter aus. Ich legte den Kopf schief: „Inwiefern?“ „Naja“, Ronald verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und überkreuzte grinsend die Beine, als er kurz lachte: „Ich wollte ihm ins Handwerk fuschen, also hat er mir reichlich in die körperliche Unversehrtheit gefuscht. Ich war für ihn ein One Hit Wonder...“ „Er hat dich verprügelt?“, fragte ich reichlich trocken, wie überfordert und fassungslos. „Nein... Er hat mich mit einem Schlag niedergesenst. Sebastian hat mich verprügelt.“ „Sebastian?“, ich zog die Augenbrauen zusammen: „Warum? Ihr seid doch alle befreundet.“ Ronald drehte den Kopf zu mir: „Mittlerweile. Obwohl das bei Sebastian immer Ansichtssache ist. Doch bei Undertaker stimmt's. In der weisen Voraussicht, dass man ihn lieber zum Freund hat. Glaub mir.“ „Also“, ich hatte schon wieder das Gefühl mein Kopf platzte: „Seid ihr nur mit ihm befreundet, damit euer Kopf da bleibt wo er hin gehört?“ „Nein“, lachte Ronald: „Wir mögen ihn wirklich. Es hat nur ein bisschen gedauert. Er ist ein Deserteur. Natürlich dachten wir erst er ist unser Feind“, er rollte unter seiner schwarzen Brille die Augen an die Decke: „Man muss uns zu Gute halten, dass er auch erst nichts dafür getan hat uns das Gegenteil zu beweisen. Er war schon immer... ziemlich schräg drauf.“ „Was hat er denn gemacht?“, harkte ich weiter nach. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Undertaker Ronald mal ernsthaft an die Gurgel gegangen war. Doch Ronald lachte wieder und drehte seinen Kopf zu der Statue: „Ach, das ist Schnee von gestern. Halb so wild und so.“ „Und so?“ „Jup“, grinste Ronald in seiner jugendlichen Leichtigkeit: „Und so.“ „Und was hatte Sebastian damit zu tun?“, fragte ich mehr als nur verwirrt. In meinem Kopf passten wieder etliche Puzzleteile nicht zusammen. „Er war auch da. Mit Ciel.“ „Ciel?“, ich blinzelte ebenfalls zurück zu dieser gigantischen Statue: „Das ist doch einer der verstorbenen Earls, oder?“ „Jup“, antwortete Ronald einsilbig. „Und was wollten sie da?“ „Arbeiten“, grinste Ronald: „Wir wollten alle nur arbeiten und Undertaker wollte seinen Spaß haben. Da prallten schon zwei Fronten aufeinander. Das Tragische an der Sache war, dass Undertaker auf seiner Front alleine war und trotzdem eigentlich... gewonnen hat.“ „Wie meinst du das?“ Jetzt seufzte der blonde Reaper, augenscheinlich in Anbetracht einer ziemlich peinlichen Niederlage: „Er hat sich gegen Sebastian, Grell und mich behauptet. Wir waren total im Brötchen und er ist lediglich ein bisschen nass geworden. Nicht mal eine Haarsträhne haben wir mit unseren Angriffen erwischt“, dann lachte Ronald kurz auf: „Das war ein rabenschwarzer Tag für uns. Man, war William angefressen, als er uns aus dem Wasser gefischt hatte.“ „Grell war auch da? Ihr wurdet aus dem Wasser gefischt? Undertaker ist nass geworden? Wo zur Hölle wart ihr denn?!“ „Jup, Grell und ich sollten auf einem Kreuzfahrtschiff Seelen einsammeln. Der Campania. Das war der... ähm... 17. April 1889! Das Datum vergess' ich nie wieder... Sie ist gesunken, nachdem sie auf einem Eisberg aufgelaufen ist. Naja... gut... da war sie dabei zu sinken. Als Undertaker dann doch dachte es reiche für den Moment, hat er sie einfach in zwei Hälften gesenst. Dann ist sie gesunken.“ Mir klappte der Mund auf: „In... zwei... Hälften?“ Ronald nickte mit dem Kopf, immer noch die Hände dahinter verschränkt: „Mit einem Streich.“ Ich war mir mittlerweile sicher, dass ich so schnell meine Kinnlade nicht mehr unter Kontrolle kriegen würde: „Mit einem... Streich...?“ Ronald und ich schauten uns noch einmal kurz an: „Unterschätze ihn ja nicht. Das könnte böse ins Auge gehen. Er kann bei weitem mehr als blöde lachen und Särge zusammen hämmern. Selbst Sebastian beschränkt sich nur allzu gerne darauf die Gefechte mit ihm verbal zu halten.“ Ich nickte langsam, dann schaute ich zu Boden: „Er wirkt gar nicht so gefährlich...“ „Er ist auch nicht gefährlich. Er ist stark. Verdammt mächtig sogar. Aber eigentlich hat er von allem ziemlich viel Peilung, für vieles ne Menge Verständnis, sich selbst ziemlich gut im Griff und viel zu wenig Lust darauf sich aufzuregen. Es braucht schon einiges, damit er einem die Leviten lesen will“, Ronald lachte dreckig: „Aber Claude möchte ich gerade echt nicht sein.“ Ich schaute dem Blonden wieder ins Gesicht, der die Statue immer noch wie einen Götzen musterte: „Wieso?“ „Weil Claude es geschafft hat, dass Undertaker ihm die Kauleiste so richtig polieren will. Also so richtig, richtig blank. Er hat sich heute Morgen beim Earl die Erlaubnis abgeholt Claude beim nächsten Treffen umbringen zu dürfen. Der Form halber. Getan hätte er es, glaube ich, so oder so.“ Mir fielen fast die Augen aus den Höhlen: „Wie bitte?! Um... um... umbringen?! Also töten?! So richtig... Tod?!“ „Ehehehehe! Was denn auch sonst?“ Ich wirbelte herum als ich ein Lachen hörte, was ich überall wieder erkennen würde. Undertaker kam mit Grell und William im Schlepptau auf uns zu. Grell wackelte irgendwie fröhlich mit dem Kopf und William hatte mit gewohnt ernster Miene drei Bücher unter seinen Arm geklemmt. Ich lief auf ihn zu und blieb mit quietschenden Sohlen vor seiner Nase stehen: „Du willst Claude umbringen?!“ Lachend legte der Bestatter, der ein Sensenmann, der eine Legende war, den Kopf schief: „Aber natürlich. Ehehehehehe! Diese kleine Made nervt mich jetzt seit 125 Jahren. Meine Geduld mit ihm ist am Ende, auch mit seinen kleinen, armseligen Tropfen von Meistern. Die Trancys und Claude haben in der letzten Zeit einiges getan, was besser nicht passiert wäre.“ Obwohl er lachte hatte ich keinen Zweifel daran, dass er ernst meinte was er da sagte: „Du willst Claude UND Oliver umbringen?“ „Und Hannah und Canterbury und Thompson und Timber. Hehehe!“ Ich hielt mir meine Schläfe, da mein Kopf mittlerweile unter Kopfschmerzen zu pochen angefangen hatte: „Wer... wer ist das alles?“ „Die anderen Dämonen der Trancys“, schob William seine Brille hoch: „Ich begrüße dieses Unternehmen übrigens.“ „Was?!“, ich wirbelte zu William: „Bist du verrückt, William?! Seid ihr an den Tod schon so gewöhnt, dass es euch nichts ausmacht einfach so 6 Wesen umzubringen?!“ „Wenn du jetzt Fragen möchtest“, ich sah Undertakers Gesicht nicht, weil ich immer noch William anschaute, den ich gerade angebrüllt hatte. Doch wenn ich ganz ehrlich war, wollte ich gerade das erste Mal sein Gesicht auch gar nicht sehen. Denn es fror gerade die Hölle zu. Seine Stimme war eiskalt, hart wie Granit und ich erkannte sie fast nicht wieder. Jedes Härchen an meinem Körper stand aufrecht, Undertakers Stimme hatte mir eine Hand voll Eiswürfel in den Nacken gelegt und ich hatte das Gefühl es war gerade 30° kälter geworden. Ich schaffte es schlicht nicht mich umzudrehen. Ich verschränkte mein Hände vor meiner Brust um mein rasendes Herz zu beruhigen. „Ob ich auch nur ein Fünkchen Mitleid mit diesen armen Gestalten habe“, fuhr Undertaker mit dieser Tonlage fort, die Diamant schneiden konnte: „Ist die Antwort nein.“ Ich fing an zu zittern. Mir war klar geworden was Ronald gemeint haben musste: Hatte man Undertaker erst einmal zum Feind, konnte einem wohl auch Gott nicht mehr helfen. Meine Hände wanderten nach oben und bedeckten meine Ohren, als ich die Augenlieder zusammenpresste. Ich hielt diese Tonlage einfach nicht aus. Sie war so... unmenschlich... und machte mir Angst... furchtbare Angst: 'Ich... ich hasse sie!' Ich hasste so kalte Tonlagen. Stimmen getragen von kalter Wut und Hass. Mein Vater hatte immer so einen Tonfall aufgelegt, wenn er mir vorgehalten hatte, dass ich sein Leben zerstört hätte. Solche Stimmen klangen so grausam, so herzlos. Aber Undertaker war doch gar nicht herzlos. Wie konnte er nur so klingen? 'Ich... ich hasse sie!', mein Kopf wiederholte diesen Satz immer und immer wieder: 'Ich hasse sie! Ich hasse sie! Ich hasse sie!' „Sky?“, hörte ich meinen Namen wie durch Watte: „Skyler?!“ Dann drehte mich etwas herum und zogen meine Hände von meinen Ohren. Meine Augen sprangen auf. Undertaker hielt meine zittrigen Handgelenke fest und war auf ein Knie gegangen um mit mir auf Augenhöhe zu sein. Sein grünes Auge schaute mir besorgt entgegen: „Was hast du, Sky? Warum antwortest du mir nicht?“ Doch ich schaute ihm nur in sein Auge. Ich suchte die Eisberge darin, die kalten Gletscher die eben noch durch seine Stimme geschnitten hatten. Ohne einen wirklich klaren Gedanken fassen zu können, streckte ich meine Hand aus und wischte ihn seinen Pony aus dem Gesicht. Meine Hand blieb an seiner Schläfe damit er nicht zurück fallen konnte. Doch auch in seinem zweiten Auge fand ich diese Kälte nicht. Dieser eisige Hauch, der alles in mir für einen Moment eingefroren hatte. Seine Augen schauten mir nur verwundert entgegen. Er legte seine frei gewordene Hand auf meine: „Was ist los mit dir?“, wurden seine Augen einen Tacken schmaler, als sie eigentlich eh schon waren, als er noch besorgter meine Augen zu mustern begann. „Ich hasse sie“, hauchte ich. Undertaker zog seine schmalen Augenbrauen zusammen und drückte meine Hand an seiner Schläfe ein bisschen fester: „Was? Was hasst du?“ „Diese Tonlage“, kam meine Stimme nur dünn aus meiner Kehle. Undertaker blinzelte: „Tonlage?“ „Diese furchtbar kalte Tonlage“, ich zwang mich durchzuatmen. Die Luft rasselte in meinen eingeschnürten Lungen: „Bitte... sprich nie wieder so... Sage nie wieder... solche Sachen...“ Undertaker beschaute mich kurz und nahm dann meine Wange in die Hand: „Was für Sachen?“ „Dass du Jemanden umbringen willst... Du... Du bist doch kein Monster...“ Dem Totengräber entgleisten kurz die Gesichtszüge, was mich unvorbereitet traf und aus meinem Schock schüttelte. Seine zusammengezogenen Augen wurden groß, seine Mundwinkel fielen nach unten und er blinzelte mir zweimal entgegen, als er seine Gedanken zu sortieren schien. Dann wurden seine Augen wieder kleiner und seine Mundwinkel zogen sich nach oben. Allerdings wirkte dieses Lächeln trauriger als sonst. Er schaute kurz zur Seite und lachte mir nach einigen Sekunden wieder ins Gesicht: „Ehehehe. Sei dir dessen nicht allzu sicher.“ „Bin ich aber“, fand eine Festigkeit in meine Stimme zurück, die mich selber fast überraschte: „Du bist kein Monster. Warum... Ich meine... Was hat der Streit mit den Phantomhives und den Trancys eigentlich mit dir zu tun? Lass sich doch Sebastian um Claude kümmern.“ Doch Undertaker lachte nur weiter und schloss dabei kurz seine grünen Augen. Diese sahen noch ein wenig trauriger aus, als er mich wieder anschaute: „Ich habe jemandem versprochen auf die Phantomhives aufzupassen.“ Ich blinzelte, als ich den traurigen Schatten in seinen sonst so kristallklaren Augen sah: „Wem denn?“ „Vincent...“ Schon wieder dieser Name. Vincent. Undertaker sah immer so unglaublich traurig aus, wenn er ihn in den Mund nahm. Ich schaute zur Seite, denn ich wusste nicht ganz was ich gegen diesen Schatten unternehmen sollte. Ich wusste nur, dass er verschwinden sollte. „Und ich nehme meine Versprechen immer sehr ernst. Ich habe auch dir versprochen auf dich aufzupassen und der effektivste Weg dazu ist es diese unsäglichen Individuen ein für alle Mal los zu werden.“ Meine Augen sprangen wieder zurück: „Hey! Halt! Für MICH musst du schon mal überhaupt niemanden umbringen, klar?!“ Seine Augen wirkten zwar dieses Mal nicht so kalt, aber so ernst, dass es nicht wirklich ein besseres Gefühl in mir verursachte: „Wenn ich nur damit sicher gehen kann, dass dir nichts mehr passiert, dann doch.“ Mir klappte der Mund auf. Bestimmt fänden es viele unglaublich rührend, wenn jemand zu ihnen sagt, er würde für sie töten. Doch eigentlich wurde dieser Satz auch nie wirklich ernst genommen oder war wirklich ernst gemeint. Doch Undertaker meinte es ernst. Verdammt ernst. Ich ließ sein Gesicht los und schüttelte ihn an den Schultern: „Hast du ein Rad ab?!“ Auch seine Hand ließ meine Wange los und er hielt sich an meinen Unterarmen fest, während sein Kopf vor und zurück geworfen wurde, vermutlich um nicht umzufallen. „Hörst du mir eigentlich zu?! Schalt deine grauen Zellen wieder ein, mein Freund!“, ich schüttelte ihn weiter, in der Hoffnung sein Verstand würde wieder einsetzen. Doch er fing nur an zu lachen: „Was findest du daran denn jetzt so lustig, verdammt?!“ Er legte mir eine Hand auf die Haare und ich hörte auf ihn von vorne nach hinten zu werfen: „Ehehehehe! Es gibt Dinge an die musst du dich gewöhnen, kleine Sky. Unser Leben ist blutiger, unsere Moral ist anders und wenn jemand nicht hören will, muss er fühlen. Ihihihihi! Die Trancys und all ihre Verbündete haben kein anderes Ziel, als uns zu vernichten. Wenn wir jetzt eine 'Keine-Gewalt-Politik' starten, sind wir alle einfach tot. Nehehehe! Die Phantomhives, die Shinigamis. Sie würden nicht aufhören bis sie jeden Feng, Hermanns und von Steinen zu ihren Ahnen geschickt haben und sie werden erst damit aufhören, wenn sie selbst tot sind. Tot und ausgerottet. Ehehehehehehe!“ „Aber“, ich legte eine Hand auf mein komisch pochendes Herz und ließ die andere von seiner Schulter rutschen: „Auge um Auge und die ganze Welt wird blind sein...“ „Das ist sie schon“, Undertaker legte mir die Hände auf die Schultern: „Schon lange. Glaube mir. Ich hab sie erblinden sehen.“ Ich hob die Augen. Undertaker lächelte warm, doch erreichte diese Wärme diesen verdammten Schatten in seinen Augen nicht. „Ich tue, was ich tun muss“, lächelte der Sensenmann mit den langem Silberhaar weiter: „Für dich, ja, aber auch für Amy, Fred, Heph, Alex, Frank, Charlie, Grell, Ronald und William. Selbst für Sebastian. Sie brauchen meine Hilfe und das sind wahrlich nicht die ersten Wesen, deren Blut ich an meinen Händen kleben haben werde.“ „Du warst ein Sensenmann“, senkte ich wieder den Kopf, als ich mich doch irgendwie wie ein kleiner Egoist fühlte. Natürlich machte er sowas nicht für mich: „Du hast Seelen geholt, weil es wichtig war, dass es einer tut.“ Undertaker lachte dünn: „Du denkst wirklich das sei alles?“ Grell schüttelte den Kopf und stellte sich mit verschränkten Armen vor uns: „Mord und Totschlag sind sicher nicht unsere erste Wahl, aber einen anderen Ausweg sehe ich auch nicht mehr.“ „Jup“, machte Ronald neben mir und versuchte so mit Grell die Aussage von Undertaker zu legitimieren: „Aber die Trancys und ihre Dämonen sind einfach vollkommen plem plem. Da hilft kein Reden mehr.“ Meine Augen wanderten kurz zu dem rothaarigen Sensenmann. Ich glaubte Grell und Ronald. Ich musste einfach in meinen Kopf kriegen, dass ich in einer Welt voller Sensenmänner und Dämonen gelandet war. Wesen, für die die Regeln der Menschen einfach nicht gelten. Ich hatte Undertaker kennen gelernt, der auch kein Mensch war und für den diese Regeln auch einfach nicht bindend waren. Unsere Moral unterwarf ihn und die anderen nicht. Töten und der Tod sahen sie wahrscheinlich auch einfach aus anderen Augen, als normale Menschen. Ich schaute wieder den Bestatter an. Sein Lächeln wirkte, als könnte es mit jedem weiteren Wort in kleine Scherben brechen, doch er wuschelte mir durch die Haare, wie er es immer tat wenn er mich aufmuntern wollte und er lachte, wie er es immer tat wenn ich denken sollte es sei alles ok. Doch was er dann sagte, war einfach gar nicht ok: „Ich habe, seit ich bei den Menschen bin, hunderte Wesen umgebracht. Eine weiße Weste suchst du bei mir vergebens. Ich habe kein Problem damit Seelen in den Abgrund zu treten, wenn sie es verdienen und, Ehehehehehehe! Glaube mir, ich bin gut darin“, er zeigte beim Grinsen seine obere Zahnreihe. Mir fiel auf, dass seine Schneidezähne ein bisschen spitzer waren, als üblich. Nicht so spitz wie Grells, aber spitzer. Ich konnte weder glauben, dass Undertaker ein kaltblütiger Mörder war, noch wollte ich es. Ich wollte auch nicht, dass er sich solcher Mittel bediente, doch... aufhalten konnte ich ihn auch nicht. Meine Kopfschmerzen wurden immer stechender, während irgendetwas in meinem Herzen herum pikste. „Hehehehe“, meine Augen wurden größer, als der Bestatter den nächsten Satz mit einem mir vollkommen unfassbaren Amüsement über die Lippen brachte: „Es macht mir sogar Spaß. Sky, ich bin ein Monster. Nihihihihi! Und ich lebe gut damit!“, mit einem abschließenden Lachen stellte er sich wieder hin und schaute, eine Hand in die Hüfte gestemmt, auf die große Steinstatue die er war: „Ehehehe! Steht das scheußliche Ding immer noch hier?“ Diese Aussage traf mich wie ein weiterer Hammer und ich blinzelte vollkommen neben mir stehend, vor Schock von dem was er gerade gesagt hatte und der Verwirrung über den sehr nonchalanten Themenwechsel: „Bitte was?“ Undertaker verschränkte lachend die Arme, schaute mich an und deutete mit seinem wieder wie üblich grinsenden Kopf auf die Statue: „Nehehehe! Na, dieses unglaublich hässliche Steinungetüm.“ Ich schaute auf die Statue und dann auf den Bestatter. Die Ähnlichkeit war nicht von der Hand zu weisen. Ich deutete mit einer Hand auf die Statue: „Das“, dann auf den Totengräber: „Bist doch du. Beleidigst du dich nicht gerade selbst?“ „Ich?“, er legte lachend die Finger einer Hand an seine Brust als wäre er verwundert: „Pahahahahahaha! Nein, das bin nicht ich.“ „Aber“, ich zeigte auf Ronald und bekam gar nicht mit wie erfolgreich Undertaker mich von dem vorherigen Thema abgelenkt hatte: „Ronald meinte...“ Der silberhaarige Mann drehte seinen Kopf zu Ronald: „Fu fu fu. Was hast du wieder erzählt? Ehehehe! Du musstest sie ja auch natürlich gerade hierher bringen.“ „Dass das du bist, als du noch als Sensenmann gearbeitet hast“, gab der Jüngling trocken zurück: „Dafür, dass du über dein früheres Ich in der in der dritten Person sprichst, kann ich nichts und was anderes gibt es hier halt nicht zu sehen. Dafür kann ich übrigens auch nichts.“ „Tut er?“, fragte ich verwirrt und schaute jedem abwechselnd ins Gesicht. „Tut er“, seufzte Grell und ließ die Schultern seiner verschränkten Arme hängen: „Ist furchtbar anstrengend.“ Ich schaute Undertaker an: „Wieso? Du bist ein Idol, das ist doch klasse!“ Undertaker schaute mich an und legte mit immer noch verschränkten Armen den Kopf schief. Sein Grinsen wurde langsam größer und größer, bis einer seiner unbeschreiblich lauten Lachanfälle durch Bibliothek krachte. Mir flogen die Haare aus dem Gesicht. Ich blinzelte mit überrascht hochgezogenen Augenbrauen in die Luftverwirbelungen, die Undertakers Lachen zu Folge hatte. Grell hielt seine Haare mit einer Hand fest, drehte sich ab und brachte mit der Anderen seinen immer nur auf halber Höhe getragenen Mantel zwischen sein Gesicht und den Luftzügen. William hielt die Bücher wie einen Windschutz vor sein Gesicht und seine eh schon vollkommen ruinierte Frisur. Er versuchte seine Krawatte zurück in die Weste zu stopfen, die aber immer wieder von den Böen des Bestatters heraus gepustet wurde. Ronald rutschte die Brille von den zugekniffenen Augen in die Haare, welche zu einer reichlich wilden Frisur geworden waren. Seine lockere Krawatte klebte quer über seinem Gesicht. Die Bücherregale wackelten und es fielen ein paar Bücher mit einem lauten Krachen aus den Regalböden. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und zog ihn mit verzogenem Mund ein. Viele Köpfe mit grell grünen Augen erschienen hinter den Regalen und blinzelten verwundert, während Undertaker vollkommen ungerührt und ungeniert weiter lachte und sicherlich das Gebäude bis in den 10 Stock unterhielt. Ein unbegeisterter Gesichtsausdruck erschien auf ihren Gesichtern, als sie sahen was vor sich ging. William rückte seufzend seine Brille gerade. Dann stellte er sich vor unsere kleine Gruppe und deutete den anderen Shinigami mit einigen Armbewegungen sich weg zu drehen, während seine sonst so gestriegelten Haare von hinten weiter durcheinander geworfen wurden: „Hier gibt es nichts zu sehen! Bitte begeben Sie sich wieder an ihre Arbeit!“ Grell schüttelte Undertaker: „Bist du denn vollends übergeschnappt?!“, fauchte der Rothaarige: „Du kannst doch nicht HIER stehen und lachen wie der Irre, der du bist!“ „Pahahahahahaha! Warum denn nicht?!“ Die Kinnladen der anderen Shinigamis klappten nach unten. Weit nach unten. Ronald war dem Totengräber auf den Rücken gehüpft und versuchte seinen Mund zuzuhalten: „Vielleicht passt es dir nicht, aber das hier ist fast ein Heiligtum, verdammt!“ Leider hatten sich die beiden Helden nicht sonderlich gut abgesprochen. Denn Ronalds Bemühungen waren durch Grells Schütteln nicht gerade von Erfolg gekrönt und Undertaker hatte schnell seine Hände gegriffen. „Bitte gehen Sie wieder ihren Beschäftigungen nach!“, William drehte sich um: „Stellt ihn stumm, verdammt!“ Grell und Ronald drehten ihre Köpfe zu William: „Ja, wie denn?!“ „Lasst euch was einfallen!“ Ich seufzte, dann kicherte ich in meine Hand. Langsam ging ich die 3 Schritte, die mich von Undertaker trennten, der Grell an den Schultern und Ronald auf dem Rücken hatte. Ich schob Grell zur Seite und hob einen Zeigefinger. Der rothaarige Reaper beschaute selbigen mit einer Menge Skepsis. Ich streckte den Finger nach vorne und Undertakers in die Seite: „Komm runter!“ Der Bestatter hüpfte mit einem spitzen Laut nach links und Ronald rasselte mit einem kleinen Schrei von seinem Rücken, als der Leichengräber seine Hände los ließ. Der Totengräber atmete schwer und schaute mich an, als er die Arme überkreuzte und seine kitzligen Stellen mit den Händen versteckte: „Tihihihihihihi! Lass das!“ Ich stemmte die Hände in die Hüften: „Du hast es geschafft, dass die ganze Bibliothek auf uns aufmerksam geworden ist. Respekt.“ Doch Undertaker wischte sich nur die Lachtränen aus dem Gesicht: „Ach. Hahahahaha! Die sollen sich nicht so anstellen. Die können ein bisschen Lachen vertragen.“ William hatte es derweilen geschafft die übrigen Shinigamis wieder an ihre Arbeit zu verscheuchen. Er drehte sich gestresst zu uns um und schüttelte den Kopf, als er Grell die Bücher in die Hand drückte, einen kleinen Kamm aus dem Jackett zog und sich damit angelegentlich durch die Haare fuhr: „So. Jetzt, wo mein Ruf ruiniert ist: Können wir los?“ Ronald lag mit angewinkelten Beinen und ausgestreckten Armen auf den Boden: „Ich bleib liegen... Ich hab keine Lust mehr... und 'nen doppelten Schädelbasisbruch... Mindestens ne schwere Gehirnerschütterung....“ Grell gab William die Bücher wieder und versuchte Ronald an einem Arm hochzuziehen: „Stell dich nicht so an!“ Ich schaute William an: „Hast du den Ausweis?“ Der strenge Schwarzhaarige gab mir einen kleinen laminierten Ausweis, auf dem mein Name stand: „An die Brust stecken bitte.“ Ich tat wie mir befohlen und steckte mir den Ausweis mit der kleinen Klemme an mein Oberteil. Ich drehte mich um: „Können wir?“ Grell war immer noch damit beschäftigt Ronald auf seine Füße zu bekommen. Mit einem Seufzen ging William zu den Beiden. Ich drehte meinen Kopf ein Stück weiter. Undertaker stand mit verschränkten Armen, zum größten Teil von mir abgewandt, vor der Glasvitrine. Daran das sein Kopf ein Stück geneigt war erkannte ich, dass er die Bücher beschaute. Eins davon war sein eigenes. Das Gefühl in meinem Bauch war komisch, vor allem, weil diese Bücher alle so alt waren und mir das Alter des silberhaarigen Mannes noch einmal deutlich vor Augen geführt hatten. Ich ging zu ihm und verschränkte die Arme hinter meinem Rücken: „Was machst du?“ Sein Auge wanderte zu mir, immer noch schattiert, doch das breite Grinsen in seinem Gesicht war stabil. Dann wanderte es wieder zu den Büchern: „Hehe. Nostalgie.“ „Kanntest du sie“, meine Augen wanderten noch einmal kurz über die vielen goldenen Buchstaben: „Alle? Warst du mit ihnen befreundet?“ Undertaker nickte. Dann fuhr er fast zärtlich mit einer Hand über das dicke Glas. „Ja, aber“, er schnaubte irgendwo zwischen traurig und belustigt. Wieder flogen einige Haarsträhnen seines Ponys dabei in die Luft. Darauf folgte ein leises Lachen: „Hehe. Mittlerweile ist das alles nur noch ein Haufen Altpapier. Der Letzte von ihnen starb vor über 200 Jahren.“ „Das stimmt nicht“, legte ich den Kopf schief: „Du bist noch da.“ Undertakers Auge wanderte langsam zu der großen Statue hinter der Vitrine. Dann steckte er mit einem nun lauteren Lachen die Hände in die Hosentaschen: „Ehehehe! Ich wiederhole: Der Letzte starb vor über 200 Jahren.“ Ich zog fragend meine Augen etwas enger zusammen, verwundert über die offensichtlich unwahre Aussage des Totengräbers. Die Sache stank mir folglich: „Welcher?“ Dann nickte Undertaker kurz mit seiner Nase zu der Statue: „Er.“ Mit diesem Wort wandte er sich um. Ich blieb mit klimpernden Augen zurück und schaute ihm nach. Im Vorbeigehen nahm er Ronald am Kragen und stellte ihn auf die Füße. Giggelnd begann er sich mit den anderen zu unterhalten. Ich schaute wieder zu der Statue: 'Er? Aber er ist doch... oh...' Plötzlich verstand ich den Wink. Undertaker interpretierte sein altes Ich als tot. Für ihn waren er und der Mann, den die Statue darstellen sollte, nicht mehr derselbe. Irgendwie tat mir diese Ansicht leid. So wie Ronald von ihm geschwärmt hatte, war Undertaker ein unglaublich hoch angesehener Mann gewesen. Ein Held, ein Vorbild, doch mittlerweile nur noch eine ausgestellte Legende gemeißelt in Stein und geschrieben auf altem, trockenem Papier. Warum warf man so etwas weg? Ich schaute mit einem komischen Gefühl wieder zu den vier Shinigamis: Ronald seufzte vor sich her, während William mit ihm meckerte, Grell beschaut sein Gesicht gelangweilt in einem kleinen Handspiegel und wischte seinen Kajal zurecht und Undertaker kicherte vor sich hin, belustigt von der Szenerie. Eigentlich ein ganz normale Anblick für die Vier. Eigentlich sogar ein recht idyllischer Anblick. Und eigentlich erfüllte er mich immer mit einem wohlig warmen Frieden. Doch gerade gab es mir ein meinen Gedankengang viel zu viele 'Eigentlichst', denn ich sollte diese Vier wahrscheinlich mittlerweile doch ein wenig anders sehen. Nach allem was ich erfahren hatte. Aber... das tat ich nicht. Ich dachte nicht anders von ihnen. Sie waren immer noch sehr sympathische Wesen, ein wenig ulkig vielleicht. Auf jeden Fall war jeder von ihnen ein Unikat. Doch sie waren keine Menschen. Sie hatten auf vieles einen sehr anderen Blick. Einen trockeneren, einen schonungsloseren, einen mitleidsloseren Blick. Unter dem erquicklich sonderbaren Benehmen, was bei jedem so herrlich anders war, schlummerte die kalte Bereitschaft zu tun, was getan werden musste. Ungeachtet aller Empfindlichkeiten. Auch wenn sie sich damit die Hände mehr als nur schmutzig machten. So oder so, der Tod war ihr Geschäft. Und das merkte man. Drei verteilten ihn, der Letzte hatte es getan, wahrscheinlich länger als die anderen Drei zusammen und kümmerte sich nun um das, was die Shinigamis übrig ließen. Mein Herz wog seit der Eröffnung der Pläne bezüglich Claude furchtbar schwer. Auch Undertakers Aussagen bezüglich der Bücher und der Statue verursachten ein ganz komisches Gefühl in mir. Ich schaute kurz über die zehn Bücher und auf die Statue, als ich so vor mich her philosophierte. Als ich endlich mal eine ruhige Minute hatte, alles zu sortieren. Dann musste ich leise lachen und entließ damit die Schwere aus meinem Herzen. Irgendwie, so im Nachhinein, war mir das alles doch ziemlich egal. Zählen tat doch nur wer die Vier waren. Und anders wollte ich sie gar nicht haben, auch wenn das bedeutete, dass ich ihre nichtmenschlichen Anwandlungen mitkaufen musste. Ich schaute die Shinigamis wieder an. Ronald hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er war doch nur ein Jungspund, der gerade mit der Ausbildung fertig war und nun den Sprung in das Haifischbecken der großen Persönlichkeiten wagen wollte. Grell redete von hinter seinem Spiegel mit William. Die Beiden waren ein Herz und eine Seele, auch wenn William das nicht zugab. Der Strenge, der viel empathischer war als er zugeben wollte, und die bühnenreife Frohnatur, die sobald er wollte mit einem großen 'Bäm!' jegliche Aufmerksamkeit bekam. Undertaker lächelte mich an, als er mich mit einer Hand zu sich winkte. Ich lächelte noch einmal erleichtert und stellte fest, dass ich jetzt schon anfing mich an all das zu gewöhnen. Jetzt wo sich diese ganze Informationsflut anfänglich gesetzt hatte. Denn auch Undertaker war immer noch das makaberster, aber gleichzeitig auch sympathetische, feinfühligste und treueste Wesen, das ich kannte. Ein Monster war der Bestatter sicherlich nicht. Vielleicht war er kein Held mehr, aber er würde nie ein Monster sein. Ich lief leichten Schrittes und Lächelns zu Undertaker und den anderen: „So. Wo ist denn dieser Othello?“ „Wahrscheinlich in seinem Labor“, beschaute Grell seine Wange mit verzogenem Mund und zerknautschten Augenbrauen im Spiegel. „Was machst du denn da?“, fragte ich ihn lachend. Jetzt, wo die Anspannung in mir zurück gegangen war, fühlte ich mich zwischen den vier sonderbaren Gestalten doch eigentlich recht wohl. 'Sie sind alle ein wenig eigen', halte Amys Stimme durch meinen Kopf: 'Aber sie sind alle unglaublich liebenswert, auf ihre eigene Art und Weise! Du wirst sie mögen!' Ich stellte ein weiteres Mal lächelnd fest, wie gut Amy mich doch kannte. Denn sie hatte Recht behalten. „Hach!“, zog Grell schwermütig seufzend an seiner Wange herum: „Ich glaube... ich hab da eine Falte...“ Ich klappte Grell den Spiegel zu und lächelte ihn entgegen: „Du siehst fabelhaft aus, Grell.“ Grells Augen fingen an zu leuchten: „Echt?! Findest du?!“ Ich nickte: „Klar!“ Plötzlich hatte ich Grell um den Hals hängen und er kuschelte mich wie einen 1.72 m großen Teddybären: „Noah! Du bist so süß!“ Ich versuchte seine Arme los zu werden. Warum knuffeln mich eigentlich immer alle?! Warum tatschen mich alle an?!: 'Iiiiich will das niiiiiiicht!' „Grell! Bitte lass das“, versuchte ich seine Hände von meinem Hals zu ziehen, doch er rieb seine Wange an meiner, was meinem Unwohlsein nicht wirklich zu Gute kam: „Oh, ist die Kleine nicht knuffig! Ein richtiges Herzchen!“ Ich kniff ein Augen zusammen und versuchte meinen Kopf weg zu drehen: „Grell, bitte!“ „Ah! So ein richtiges Schätzchen! Wir müssen mal zusammen shoppen gehen!“ 'Oh nein...', ich ging in die Knie und tauchte so aus seinen Armen. Schnell flitzte ich hinter Undertaker und lugte halb hinter seinen Rücken hervor, während ich mich, ohne es zu merken, an seinem Rücken an seinem Hemd festhielt: „Bei Zeiten, Grell... Sicherlich.... Irgendwann...“ „Sutcliff!“, pfiff William Grell wieder einmal an und die Mundwinkel des roten Reapers fielen ein Stück nach unten, während William ihn tadelte er solle sich benehmen. Undertaker schaute mich grinsend an: „Ich hab dich gewarnt. Hehehehe!“, flüsterte er mir belustigt zu. „Rette mich~“, fiepste ich leise. „Nehehehe. Ich schau was ich tun kann“, wisperte er zurück. William schob seine Brille wieder auf die Nase, obwohl sie gar nicht heruntergerutscht war: „Nun Miss Rosewell, folgt uns bitte.“ „William“, trat ich hinter Undertaker hervor: „Nenn mich doch Sky.“ William musterte mich gewohnt kühl: „Ich bevorzuge Miss Rosewell. Lasst uns gehen.“ Ich schaute Undertaker an. Undertaker schaute mich an. Wir kicherten. Dann folgten wir den drei Reapern. Während wir durch die große Halle gingen, schaute ich auf die Bücher in Williams Armbeuge: „Was sind das für Bücher, William?“ „Das ist dein Record und der deiner Eltern“, erwiderte der Aufsichtsbeamte staubtrocken. Meine Lieder flogen auf und ich lief an Undertaker vorbei, um mich zwischen Grell und William zu zwängen: „Bitte?! Mein Record?! Und der meiner Eltern?!“ „Ja“, antwortete William tonlos: „Informationen über deine frühe Kindheit und über deine Eltern, derer du dich wahrscheinlich nicht mehr erinnerst, könnten dem Finden der Wahrheit dienlich sein.“ Ich griff William am Arm. Ich wollte nicht ansatzweise, dass irgendjemand in meiner Kindheit oder der Vergangenheit meiner verkorksten Familie herumschnüffelte: „Gib die her!“ William drehte sich zu mir und wischte meine Hände weg: „Das kann ich nicht tun.“ „Warum nicht?!“, ich blieb stehen und bellte William zusammen: „Das sind meine Erinnerungen und die meiner Familie! Was bei mir Zuhause los war geht dich, oder irgendjemanden hier, gar nichts an! Das ist MEINE Sache! Das geht noch nicht einmal Gott etwas an!“ Grell legte mir die Hand auf die Schultern: „Beruhige dich Sky. William wird sich die Erlaubnis von der Administrative geholt haben. Wir gehen damit vertraulich um.“ Ich wischte Grells Hand beiseite und drehte mich zu ihm: „Wer hier was erlaubt hat, ist mir vollkommen egal! Ich habe hier gar nichts erlaubt! Du hast gesagt wann ihr in die Bücher schauen dürft ist streng geregelt! Ich habe dir vertraut, Grell!“ Ich war sauer und mächtig aufgebracht. Ich wollte nicht, dass irgendjemand seine Nase in meine Erinnerungen steckte und all die... Dinge sah, die mir bei meinen Eltern passiert waren. Ich wollte sie ja eigentlich... selbst nicht mehr sehen. Anbei würde das auch nichts erklären, doch sie würden sie lesen, auf der Suche nach irgendwelchen Hinweisen. „Das ist es auch, Miss Rosewell“, klang wieder Williams monotone Stimme hinter mir und ließ mich herum fahren: „Doch wenn ein Mensch auf einmal Records sieht, bekommen wir natürlich die Erlaubnis seinen und die seiner genetisch nahen Verwandten durchzusehen.“ „Aber...“, ich war am Rande der Verzweiflung angekommen und fühlte mich Williams kalter Logik gegenüber mehr als nur total machtlos: „Mein Wort muss doch schwerer wiegen, als...“ „Um genau zu sein, Miss Rosewell“, unterbrach mich William, doch wurde dann selbst je unterbrochen. Denn eine Hand mit langen, schwarz lackierten Fingernägeln zog ein Buch nach dem anderen unter seinem Arm heraus. William drehte sich um: „Was tust du da?“ „Regel 217, Absatz 9, §4: 'Der Cinematic Record ist das geistige Eigentum des in ihm dargestelltem Wesens. Dieses Eigentumsrecht wird nur zum offiziellen Todeszeitpunkt gänzlich außer Kraft gesetzt und ist ansonsten allen administrativen Äußerungen vorzuziehen.' “, zitierte Undertaker reichlich lakonisch, ohrenscheinlich aus dem Regelwerk der Grim Reaper, während er mir die drei Bücher auf den Arm stapelte. William kniff die Augen zusammen: „Ich kenne die Regeln.“ „Stirbt Skyler gerade? Hehe.“ „Ganz offensichtlich nicht“, antwortete der Aufsichtsbeamte und kniff die Augen in einer unguten Ahnung weiter zusammen. „Dann kann sie dir sehr wohl verbieten in ihren Record zu schauen. Dir und jedem Anderen. Nehehehe. Probier nicht sie auszumanövrieren, William. Ich kenne die Regeln genauso gut wie du. Hehe“, war das Lachen des Totengräber schon ein wenig dreckig, als er William mit seinen eigenen Waffen geschlagen hatte. „Du hast sie doch ständig gebrochen“, knirschte der Aufsichtsbeamte unangetan durch seine Zähne. „Ehehehehehe! Aber ich wusste immer genau was für eine Regel ich breche! Durch besagte Regelverstöße war ich unfreiwilliger Weise sehr oft dazu gezwungen mich ausgiebig mit dem Regelwerk zu beschäftigen. Ich kenne es in- und auswendig, glaube mir. Hehe.“ William verschränkte die Arme: „Aber über die Records ihrer Eltern hat sie keine Vollmacht.“ „Ehehe. Aber über alle Erinnerungen, die mit ihren korrespondieren. Tihihihi! Regel 217, Absatz 9, §5...“ William seufzte: „Es reicht! Ich hoffe ihr Beide seid euch bewusst, dass dieses Verhalten uns viel Kraft und Zeit kosten könnte.“ „Du wolltest sie hier haben“, grinste Undertaker: „Jetzt tue auch etwas dafür. Tehehehehehehehe!“ William schüttelte den Kopf und ging weiter. Grell schaute schräg zur Seite: „Es tut mir leid. Er will nur helfen! Wirklich!“ Ich seufzte. Es war sicher kein Akt der Boshaftigkeit gewesen: „Er hätte mich fragen müssen, Grell.“ „Er denkt manchmal einfach viel zu schnurstracks geradeaus... Auch wenn da eine Wand ist...“ „Du muss ihn nicht in Schutz nehmen“, lächelte ich den rothaarigen Reaper an: „Es ist alles gut.“ Grell nickte mit einem leichten Lächeln und folgte William. Ronald war vorgelaufen und schien die ganze Aufregung schlicht verpasst zu haben. Auch Undertaker und ich gingen weiter. „Danke“, schaute ich ihn mit einem traurigen Lächeln an und umklammerte die eroberten Bücher wie einen Schatz, den mir irgendjemand klauen wollte. Er lachte auf: „Nicht dafür, hehehe! Verstehst du jetzt, warum ich dich nicht alleine hier lassen will?“ Ich nickte: „Schon... Du kennst dich mit alldem hier immer noch ziemlich gut aus, oder?“ Er nickte auch und lachte: „Ehehehehe! Ich war schließlich viel länger hier, als fort. Ich erinnere mich noch an den schicksalshaften Tag, an dem Alisa das Regelwerk einführte.“ „Hat sie 'ne Feier veranstaltet? Eine 'Eröffnungszeremonie'?“, lachte ich seicht. Ehrlich bei den Leuten hier: Ich konnte es mir vorstellen. Undertaker lachte lauter auf: „Pahahahahahahahaha! Nein. Aber ich verfluche diesen Tag, seitdem, jeden Tag.“ Jetzt musste ich lachen: „Herrje, herrje!“, dann schaute ich ihn an: „Du verfluchst? Ich dachte du redest von dem 'Sensenmann Undertaker' immer in der dritten Person?“ Er lachte wieder: „Ehehehehehe! Es kommt drauf an. Er ist irgendwie ich und irgendwie auch nicht.“ Ich blinzelte: „Das klingt ziemlich kompliziert.“ Er nickte grinsend: „Hehe. Ist es auch. Versuche am besten nicht dahinter zu steigen.“ Ich seufzte seicht: „Erinnerst du dich gerne an dein Leben hier?“ Wir verließen die Bibliothek, immer noch einige Schritte hinter William, Grell und Ronald, durch eine große Steinpforte. Frische Luft und warme Sonnenstrahlen schlugen uns entgegen. Es roch nach Blumen. Ich blinzelte in den strahlend blauen Himmel, der hier und da von ein paar Wattewölkchen bevölkert war. Vor mir erstreckte sich eine frühlingshafte Szenerie. Ich hörte Undertaker neben mir lachen, als ich mit großen Augen das eigentliche Reich der Sensenmänner begutachtete: „Tehehehe! Es kommt drauf an, an was.“ Ich verstand was er meinte: Hier sah es herrlich aus! Ein breiter Fluss kräuselte sich an der Bibliothek entlang, die ein episch, riesiges, gotisches Bauwerk war wie ich feststellte, als ich einen Blick über meine Schulter warf. Hier und da führten nach oben gewölbte Steinbrücken über den großen Fluss, der friedlich vor sich hin plätscherte. Überall waren gepflasterte, breite Wege gesäumt von Blumenbeeten und Bäumen. An ihren Seiten standen Laternen. Die Häuser standen alle eher vereinzelt, waren aus fast weißem Stein und hatten eine mehr als ordentliche und saubere Fassade. Auf der anderen Seite des Flusses war ein dichter besiedelter Stadtkern ersichtlich. An fast jedem Fenster hingen Blumenkörbe. Nur hinter der gigantischen Bibliothek waren weitere große Gebäude zusehen, allerdings ohne Blumenschmuck. Sie waren definitiv wichtig und wahrscheinlich gehörten sie mit zum Dispatch, aber alle hatten dieselbe Farbe und gepflegte Fassade wie die kleineren Wohnhäuser. Staunend folgte ich an Undertakers Seite den drei Reapern und wusste einfach nicht wohin ich schauen sollte: „Wow! Hier ist so viel Grün! So hatte ich mir das Reich des Sensenmanns definitiv nicht vorgestellt.“ „Hihi. Die Reaper gärtnern gerne“, giggelte Undertaker: „Eigentlich fast alle. Wenn man ewig mit dem Tod hantiert, beschäftigt man sich hin und wieder auch gerne mit etwas Lebendigem.“ „Leuchtet ein“, staunte ich weiter und meine Augen wanderten rastlos hin und her: „Machen sie gut.“ Nach einiger Zeit kam es, dass wir wieder zu den anderen Dreien aufschlossen. Denn sie waren langsamer geworden. „Du hast schon wieder dein Fenster offengelassen, Roni“, lachte Grell und brachte Ronald dazu an einer Fassade hoch zuschauen. „Ach verdammt“, stöhnte der blonde Reaper. Dann verschränkte er die Hände hinter dem Kopf und ging weiter: „Ach, ich mach's später zu.“ „Typisch“, schnaufte William. Die Häuser sahen zwar alle sehr ähnlich aus, doch es war schon interessant zu sehen wo Ronald wohnte. Direkt an dem großen Fluss in einem zweistöckigen Häuschen, welches sicherlich nur Platz für eine Wohnung hatte. Aus dem offenen Fenster, zu dem Ronald hochgeschaut hatte, wehten ein paar dünne, weiße Vorhänge und ein Korb mit verschiedenfarbigen Nelken hing davor. „Wohnen alle Shinigamis in solchen Häusern?“, fragte ich neugierig, da ich kein Haus fand was irgendwie großartig anders aussah. Sie waren nicht gleich groß und hatten nicht alle dieselbe Form, doch waren sie alle im selben Stil gehalten und schon sehr uniform designt. Grell schaute mich über seine Schulter an: „Ja. Wir wohnen alle in solchen Häusern“, der Rothaarige kicherte und zeigte auf eine Brücke: „Ich wohne über diese Brücke, gerade aus und an der dritten Abzweigung links. Im Stadtkern.“ „Und du William?“, fragte ich mit einem Lächeln, da der Aufsichtsbeamte des Grim Reaper Dispatch schon den ganzen Tag irgendwie reichlich verstimmt wirkte. „Weit weg von Herrn Sutcliff“, antwortete er allerdings reichlich trocken und ging einfach weiter. Ich blinzelte und drehte meine Kopf zu Undertaker: „Hast du auch in so einem Haus gewohnt?“ Der Bestatter grinste mich an: „Eh he he. Warum willst du das wissen?“ „Ich bin neugierig!“ Die Wahrheit war, dass ich über ihn so viel wissen wollte wie ich nur erfahren konnte. Ich fand es des Weiteren irgendwie befremdlich, dass er so tat, als würde seine Vergangenheit einfach nicht existieren. Undertaker lachte: „Hehe. Na gut. Nein, habe ich nicht.“ Ich klimperte wieder mit den Augen. Natürlich, Undertaker war ja zu seiner Zeit als Sensenmann so berühmt gewesen, dass man ihm sogar eine Statue aufgestellt hatte. Sein Haus war sicherlich viel größer gewesen: „Wo denn dann?“ Mit einem Lachen streckte Undertaker seinen Arm über meinen Kopf hinweg und ich folgte seinen ausgestreckten Finger. Dadurch, dass die Umgebung sehr flach war konnte man sehr weit schauen und der Finger des Bestatters zeigte genau auf ein schon von Dunst verschleiertes Waldgebiet. Es war nicht gerade klein und der leichte Dunstschleier verriet auch, dass es ein paar Meilen entfernt sein musste. „Zeigst du auf den Wald?“, fragte ich irritiert. „Ja“, lachte der Totengräber: „Hehe. Tue ich.“ „Warum?“ „Dort habe ich gewohnt“, drehte sich der Bestatter wieder von dem Wald ab und schaute den Weg entlang, der immer noch links von großen Gebäuden und rechts von dem Fluss und einigen Häusern gesäumt war. „Im Wald?“ „Ihihi. Am Waldrand.“ Ich blinzelte ihn an: „Echt jetzt?“ „Nihihi! Warum denn nicht? Ich mochte meine Hütte.“ „Hütte?“, ich hatte kurz überlegt ob sich der Bestatter gerade Umgangssprache bediente, doch hörte ich immer öfter heraus, dass er so einen Jargon eigentlich missbilligte und als reichlich respektlos empfand. „Ja, Hütte. Ehehehe!“, lachte der Bestatter. „Du hast in einer Hütte gewohnt?“ „Einer Blockhütte“, warf Ronald über seine Schulter und schaute Undertaker halb an: „Warum auch immer.“ „Ich brauchte nicht mehr und sie war urig. Hehehe!“ „Und sie ist so verträumt und romantisch!“, schwärmte Grell und faltete an seiner Wange die Hände: „Eine einsame, verlassene Blockhütte am Ende von Irgendwo und am Anfang von Nirgendwo, umringt von Nadelbäumen! Knisterndes Kaminfeuer und eine warme, weiche Decke zu zweit!“, Grell umarmte sich selbst und zwinkerte mir zu: „Das lässt doch Frauenherzen höherschlagen oder, süße Skyler?“ Ich schaute zu Undertaker. Dieser musterte Grell ziemlich verdutzt mit einem großen, klimpernden Auge, erhobener Augenbraue und schlaff herabhängenden Armen und Schultern. Dann schaute er zu mir. Dann wieder zu Grell: „Ehehehehe! Äh... Schön, dass es dir gefällt.“ „Jaaaaa!“, quietschte Grell und begann mit der Hüfte hin und her zu wackeln. Ich neigte den Kopf ganz leicht zur Seite. Ich musste zugeben, eigentlich klang was Grell da so theatralisch von sich gab echt nicht so schlecht. Eigentlich ganz nach meinen Geschmack, wenn man es um eine Tasse heißen Kakao mit Sahne erweitern würde. Dann fiel mir etwas in der Formulierung des roten Reapers auf: „Warte mal“, ich schaute zu Grell: „Sie ist?“ „Klar“, Grell hob einen Zeigefinger: „Seit über 200 Jahren war keiner mehr dort, aber weg gelaufen ist sie sicher nicht.“ „Außer dir und Ronald“, lachte Undertaker. „Was soll das heißen“, verschränkte Grell die Arme. Auch Ronald drehte den Kopf zu Undertaker. Dieser lachte: „Ehehehehe! Woher wollt ihr ansonsten wissen, dass ich in einer ach so romantisch, verträumten Blockhütte gewohnt habe? Ich habe nie darüber gesprochen. Hehe!“ Grell und Ronald tauschten ein paar mehr als nur entlarvte Blicke, die mich zum Kichern brachten. Ich schaute zurück zu dem nebelverhangenen Wald: „Ich würde sie gerne mal sehen.“ Dann schaute ich zu Undertaker. Dieser grinste vor sich hin: „Falsche Welt, meine schöne Puppe.“ Ich wog den Kopf hin und her: „Trotzdem.“ Undertaker kicherte: „Tihihihi! Mal schauen.“ Ich legte den Kopf schief: „Wie?“ „Mal schauen“, grinste er abschließend und ließ ein komisches Gefühl in mir zurück. Wollte er mich abwimmeln, oder hatte er mir ein stummes Versprechen gegeben? Ich tippte eher auf ersteres, da er eigentlich nicht wollte, dass ich hier war. Wir bogen um die Ecke und endeten vor einem weiteren großen Gebäude. William öffnete die Türe. „Ist hier Othellos Labor?“, fragte ich und blinzelte das Gebäude empor. „Ja“, lächelte Grell: „Im dritten Stock. Das hier ist die forensische Abteilung der britischen Zweigstelle.“ Wir folgten William in das Gebäude. Die Eingangshalle sah so aus, wie man sich die Eingangshalle zu einem forensischen Labor halt so vorstellte. Es war ein großer Raum mit weißen Wänden und hell laminierten Boden. Auf halber Höhe der Wand sah man eine Galerie, abgeschirmt mit Geländer aus feuerverzinktem Stahl und Glas. Darüber hinaus standen ein paar dunkle Sitzmöbel, Topfpflanzen und ein großer Empfangstresen in der Halle. Unter den Galerien hingen einige Monitore. Es wirkte alles recht kalt und klinisch. Des Weiteren roch es hier wie im Krankennhaus, scharf nach Desinfektionsmittel. William führte uns mit einem knappen Nicken zur Rezeptionistin durch die Eingangshalle. Ronald grinste der blonden Frau mit dem strengen Dutt mit wackelnden Augenbrauen entgegen, worauf hin sie schüchtern zu kichern begann. Grell schüttelte den Kopf, als er zu William in den Fahrstuhl stieg: „Du Schürzenjäger und Herzensbrecher.“ Ronald wackelte nur weiter mit den Augenbrauen, als er Grell in den Fahrstuhl folgte: „Ich bin halt ein Mann den die Frauen lieben, Grell.“ Ich stellte mich mit Undertaker in den Fahrstuhl, drehte mich nach vorne und grinste schelmisch: „Kann ich nicht bestätigen.“ „Hey!“ Grell kicherte. William seufzte. Undertaker lachte schrill und streckte mir auf Brusthöhe die Handfläche hin. Mit einem mehr als zufriedenen und ein bisschen schüchternen Grinsen zum Bestatter schlug ich ein. Als der Fahrstuhl hielt, führte uns William einen klinisch weißen Gang entlang. Vor einer Tür blieben wir stehen. Auf dem kleinen Türschild daneben erkannte man unter einigen Rußflecken und anderen Schlieren den Namen 'Othello'. Hinter der Tür krachte und platschte es. „Othello zaubert wohl wieder“, zog Ronald aufgrund des Gepolters beide Augenbrauen hoch. Grell legte mit verschränkten Armen und zur Seite ausgestreckter Hüfte den Kopf zu William schief: „Wir sollten später wieder kommen, wenn wir leben wollen.“ Doch William klopfte. Grell seufzte und schaute zur anderen Seite: „Ich hab dich gewarnt.“ Auf einmal krachte es hinter der Türe. Besagte Türe sprang auf, knallte vor Ronald und er verschwand zwischen Tür und Wand. Lediglich ein zuckender Arm des Shinigamijünglings zeugte davon, dass er noch lebte. Mit Schmerzen, aber immerhin. Dicker schwarzer Qualm schlug mir entgegen und vernebelte die Gruppe schon bald komplett. Synchron klimperten alle Anwesenden mit ihren Augenliedern und fingen an zu husten. Es roch nach verbrannten und leider auch verfaulten Eiern. „Ürgs! Was ist das denn?!“, entfuhr es mir zwischen meinem Hustenanfall. Auch Undertaker wedelte sich grinsend, aber erfolglos, den Qualm aus dem Gesicht: „So wie das riecht“, er hustete einmal lachend: „Ehehe! Schwefelwasserstoff und noch irgendetwas anderes. Kehe! Ich glaube... Ammoniak... N-Butanol... Und einiges mehr. Nihihihihi! Was ein Bouquet!“ Meine Augen tränten und ich kniff sie zu: „Heilige Mutter Gottes. Das ist echt übel.“ „Woah Othello!“, machte Grell und unterdrückte ein Würgen: „HIRKS!... Den Gestank kriege ich nie wieder aus meinen Klamotten...“ „Hallo! Hier ist gerade jemandem sein Labor um die Ohren geflogen!“, machte Ronald ziemlich verständnislos, als er sich wieder aus seinem ungemütlichen Platz zwischen Tür und Wand hervor gekämpft hatte. Sich die Nase reibend steckte er seinen Kopf durch die Tür: „Othello?!“, er hustete: „Othello, geht es dir gut?!“ „Oh ja“, lachte Undertaker und hüstelte weiter: „Dem Odeur nach mit dem ganzen Chemieschrank. Ehehehe!“ „Jaahaa!“, hörte ich eine Stimme hinter dem Rauch. Ronald ließ mit einem erleichterten Seufzen die Schultern hängen: „Können wir reinkommen?!“ „Nein! Ich komm raus! Wartet!“ „Besser ist das...“, klimperte Ronald durch die Tür und hob seine Krawatte vor den Mund und die Nase. Grell hing mittlerweile aus einem der Flurfenster: „HIRKS!... Das ist nichts für eine Lady...“ „Othello!“, rauschte William in das Labor, augenscheinlich vollkommen unbeeindruckt von dem in Augen und Nase beißenden Gestank: „Das war die dritte chemische Explosion in 2 Wochen!“ Ich hörte das Zischen eines Feuerlöschers, während ich meinen Cardigan über Nase und Mund zog und versuchte so wenig zu atmen wie möglich. Tränen liefen über mein Gesicht und meine Augen brannten wie Feuer, was mich dazu brachte heftig zu blinzeln. Undertaker zog mich an meinem Arm zu dem Fenster neben Grell, öffnete es und drückte meinen Kopf nach draußen: „Ehehe! Stehe besser nicht in der Qualmwolke. Wer weiß, was da alles so drin herum schwebt. Hehehehe!“ „Aber die Qualmwolke ist überall!“, hustete ich. Ich schaute zu Grell, während ich William im Hintergrund mit Othello schimpfen hörte. Dem Gemecker entnahm ich, dass der Wissenschaftler wohl hin und wieder die reichlich unfreiwillige Angewohnheit hatte sein Labor in die Luft zu jagen. Was William natürlich gar nicht schmeckte und dazu veranlasste dem wahrscheinlich recht angekokelten Chemiker auch noch eine Standpauke in seiner furchtbar emotionslosen, monotonen Stimmlage zu halten, die selbst einen gnadenlos zugeknallten Speedjunkie einschlafen lassen würde. Grell hing schlaff mit Kopf und beiden Armen aus dem Fenster. Seine langen, roten Haare verdeckten sein Gesicht. „Geht's, Grell?“, fragte ich besorgt und immer noch hüstelnd, doch der Reaper wedelte schlaff mit einer Hand: „Passt schon... mein armes Näschen...“ Als ich mich umdrehte merkte ich, dass Undertaker nicht mehr hinter mir stand. Ich schaute zu Ronald, der an der Tür stand und in das gesprengte Labor schielte: „Wo ist Undertaker?“ „Othello helfen“, sagte er und ich hörte auch seiner Stimme einen leicht angeschlagenen Magen an: „Uff... Das hat Sebastians Rührei einfach nicht verdient...“ „HIRKS!“, stöhnte Grell aus seiner kopfüber hängenden Position: „ Rede doch nicht vom Essen!“ Ich konnte mir ein Kichern einfach nicht verkneifen. Nach ein paar Minuten kamen Undertaker und William mit einer dritten Gestalt wieder aus dem Labor. Der Rauch hatte begonnen sich zu verziehen. Es stank zwar immer noch furchtbar, aber sehen und atmen war wieder ansatzweise möglich. Othello, so schlussfolgerte ich war die dritte Gestalt, war ein schlanker Mann mit großen, runden Brillengläsern und dunklen, zottigen Haaren, die zur Seite abstanden. Wie die anderen Sensenmänner hat er auch die phosphoreszierenden, grünen Augen. Er trug einen weißen Mantel wie Hemd, die aber gerade genau wie sein blasses Gesicht mit etlichen Schlieren und viel Ruß bedeckt waren, eine dunkle Hose, eine gelockerte schwarze Krawatte und braune Sandalen mit weißen Socken. Alles in allem sah Othello also schon ziemlich sonderbar aus, auch wenn er nicht überall mit den Spuren seines verunglückten Experimentes vollgeschmiert wäre. Sein Anblick ließ mich auf jeden Fall blinzeln. Sein etwas schuldbewusst zerknautschtes Gesicht hellte sich auf, als er mich sah: „Oh! Du musst Skyler Rosewell sein! Mein nächstes Forschungsobjekt!“, er griff meine Hand und schüttelte sie: „Ich bin Othello! Sehr erfreut! Sehr erfreut!“ Ich glaubte niemand wurde gerne als 'Forschungsobjekt' bezeichnet, doch da ich gerade lebhaft miterlebt hatte wie seine Forschungen so verliefen, hatte dieses Wort noch einen viel viel schlimmeren Touch. „Ein Mensch, der Records sehen kann! Hab ich noch nie gehört! Man bin ich neugierig! Lass uns direkt anfangen!“, zog mich der doch reichlich unordinäre Wissenschaftler hinter sich her. Ich warf einen Blick über die Schulter. Undertaker folgte mir auf dem Fuß und auch William war nur zwei Schritte hinter ihm. Ronald hatte sich zu Grell aus dem Fenster gebeugt und sprach mit ihm. Othello zog mich durch den halben, sehr langen Flur. „Hey!“, rief ich irgendwann: „Wo gehen wir eigentlich hin?!“ „Ins Untersuchungszimmer!“, lachte der Wissenschaftler und wurde nicht ansatzweise in seinem halben Laufschritt langsamer. Dann öffnete er eine Türe mit einem kleinen Milchglasfenster und zog mich hinein. William schloss sie hinter sich. Ich schluckte. In dem klinisch weißen Raum mit dem grünen Linoleumboden stand eine ebenso grüne Liege, reinweiße Schränke und etliche medizinische Apparaturen, ein kleiner Schreibtisch mit PC und ein Hocker mit Rollen. Er könnte aussehen wie ein ganz normales Behandlungszimmer, wäre nicht eine Wand voll gehangen mit chirurgischen Instrumenten der schlimmsten Art. Große Knochensägen, Rippenspreizer und vieles vieles mehr, was ich zwar nicht erkannte, aber auch definitiv NICHT, ich konnte es nur noch einmal betonen, NICHT sympathisch fand. Ich blieb auf der Stelle stehen und deutete mit aschfahlem Gesicht auf die Wand: „Aber... das brauchst du nicht... oder?“ Othello saß mittlerweile auf dem Hocker, tippte fröhlich etwas in seinen Computer und wischte sich nebenbei mit einem Feuchttuch das verschmierte Gesicht sauber: „Mal schauen. Setz dich doch bitte.“ „WAS?!“, ich stolperte zurück: „Das war ein Scherz, oder?!“ Othello blinzelte mich verständnislos an, während er auch seine runde Brille putzte: „Nein. Je nachdem was ich rausbekomme brauche ich das. Wenn es eine körperliche Veränderung ist, muss ich doch herausfinden wo sie liegt.“ Der unaufgeregte Tonfall Othellos beruhigte mich nicht im Mindesten. Im GEGENTEIL! „Das ist nicht dein Ernst!“, rief ich aus, machte noch einen Schritt nach hinten und stieß gegen etwas Weiches. Noch bevor ich mich umdrehen konnte um zu schauen was es war, erschienen zwei Hände mit langen Fingernägeln auf meinen Schultern und hielten mich aufmunternd fest. Ich blinzelte Undertaker hilfesuchend ins Gesicht. „Ganz ruhig“, machten seine Lippen tonlos und warm lächelnd: „Ich passe auf dich auf.“ Ein bisschen beruhigt, aber immer noch mit einem mehr als mulmigen Gefühl setzte ich mich auf die grüne Liege, nachdem ich mich noch zweimal zu Undertaker umgedreht hatte und er mir jedes Mal entgegen winken musste, damit ich weiter ging. Die Bücher stapelte ich neben mir auf den grünen Plastikbezug. Ich hasste Behandlungszimmer. Davon hatte ich in meinem Leben definitiv schon zu viele gesehen, doch dieses schlug all die anderen um Längen! „Dann wollen wir mal!“, lachte Othello und zog einen kleinen Teleskopstock aus, den er vom Schreibtisch genommen hatte. Er zeigte damit einhändig auf ein Poster für Sehtests: „Vorlesen bitte!“ Damit konnte ich noch leben. Brav las ich also dieses Poster mit den vielen Buchstaben vor, die zum Ende hin immer kleiner wurden, für mich aber gut erkennbar waren. Othello tippte mit der anderen Hand mit. Als ich fertig war drehte Othello sich halb zu mir um und drückte den Stock zurück in den Griff: „Wow. Du hast ziemlich gute Augen. Sieht man hier nicht jeden Tag.“ Der Forscher kicherte mit vorgehaltenen Fingern. Ich nickte mit einem leicht gequälten Gesichtsausdruck und versuchte über den wirklich schlechten Wortwitz zu lachen: „Ähähä... Glaub ich dir...“ Ich schaute zu Undertaker, der nicht mal meinte aus Höflichkeit über Othellos Wortspiel lachen zu müssen, was noch einmal betonte wie schlecht dieses gewesen war. Er lehnte Arme und Beine verschränkt gegen eine Wand und ließ mich nicht aus dem grinsenden Auge. William stand daneben mit seiner gewohnt ausdruckslosen Mine, die genau verriet, dass die ganze Sache hier für ihn nicht mehr als ein Geschäftsvorgang war, den er beaufsichtigen musste. „Das hat meine erste Theorie schon fast widerlegt“, Othello stieß sich mit seinen Sandalen vom Schreibtisch ab, nachdem er in eine Schublade gegriffen hatte, rollte auf mich zu und drehte sich dabei in meine Richtung. „Theorie?“, fragte ich verwundert, doch bekam keine Antwort. Denn Othello zog ungefragt, aber mit der Vorfreude eines jungen Kindes auf ein neues Spielzeug, die Lider meines linken Auges auseinander und wollte etwas hinein träufeln. Eine Hand mit langen Fingern und schwarz lackierten Nägeln hielt ihn allerdings auf. „Was hast du vor?“, flog Undertakers Stimme wieder ohne auch nur den Ansatz eines Lachens durch den Raum, was in mir ja schon wieder ein mehr als nur schlechtes Gefühl gegenüber der kleinen Pipette direkt vor meinem linken Auge verursachte. Othello schaute Undertaker verständnislos entgegen: „Sie untersuchen.“ „Sag mir genau was du machen willst, bevor du mit Tinkturen und Fläschchen herum hantierst.“ Othello zog eine Augenbraue hoch: „Was soll das?“, dann lachte der Wissenschaftler kurz auf: „Ooooh! Sag mir nicht, du bist als ihr Wachhund hier!“ „Doch“, schnitt die Stimme des Bestatters durch die Luft: „In der Tat. Sag mir was du vorhast, oder du wirst es nicht tun.“ 'Mein...' stolperten meine Gedanken über sich selbst: 'Mein Wachhund?' Ich merkte mein Gesicht warm werden: 'Oh nein... Bitte... Nicht jetzt!' „Aha?“, machte Othello irgendwie belustigt: „Sie muss wirklich was Besonderes sein, wenn du für sie den Schießhund spielst.“ Mein Gesicht wurde noch wärmer und ich hätte gerne die Augen zusammengekniffen. Aber das ging ja nicht! Ich wusste nicht warum, aber wenn so betont gesagt wurde, dass Undertaker nur hier ist um auf mich aufzupassen wurde ich furchtbar nervös. Und das Othello mich als 'besonders' bezeichnete war auch nicht zwingend schmeichelhaft. Er fand sicherlich auch komische, schleimige Monster oder Ähnliches ganz besonders und ganz besonders toll. „Hör einfach auf ihn“, hörte ich Ronalds Stimme und eine Türe auf und wieder zu gehen. Meinen Kopf bewegen konnte ich nicht, denn ich hatte immer noch die Finger des, ich war mir mittlerweile sicher, verrückten Shinigamiforschers an meinen Augenlidern. „Oder es tut weh“, hörte ich Grell: „Denn er wird dich von vorne, von hinten und von der Seite... in den Boden rammen! Yeeeey!“ Ich stöhnte kurz auf: 'Herrgott Grell...' „Grell?“, machte Othello: „Ronald? Ihr seid auch hier?“ „Ja“, antwortete ihm der Schnitter mit dem Feuerhaar: „Die Kleine ist unsere Freundin. Sei bitte nachsichtig.“ 'Freundin?', mein Gehirn stockte ein weiteres Mal: 'Das sagt er sicher nur so...' Selbst wenn an mir irgendwas komisch war. Mit den Shinigamis konnte ich nicht mithalten. In keinster Weise. Othello seufzte: „Ok, ok. Das ist Atropin. Nichts Gefährliches. Ich will ihre Augen weiter untersuchen. Ist doch das Naheliegendste, wenn es darum geht etwas zu sehen, oder?“ Undertakers Hand verschwand und ein Giggeln flog durch den Raum, was die Atmosphäre merklich entspannte: „Ehehehe! Warum nicht gleich so?!“ William hörte ich seufzen. Othello drehte sich zu mir und klimperte dann kurz mit den Augen: „Nanu? Warum bist du denn so rot im Gesicht?“ „I-i-i-i-i-ich“, stammelte ich: „Bin einfach nur... ein... ein bisschen ge-ge-gestresst!“ Othello lachte: „Von einer Augenuntersuchung? Ich habe bis jetzt nichts gemacht, was ein menschlicher Augenarzt nicht auch tut, oder?“ „Nicht davon“, rief ich rasch und meine Gedanken rasten auf der Suche nach einer halbwegs einleuchtenden Erklärung: „Sonder... ähm... also wegen... ich...“ Ich hörte Grell und Ronald kichern. 'Diese Arschgeigen!', ich holte tief Luft: „Die Anwesenheit von Knochensägen machen mich nervös!“ „Jaja“, lachte Othello wieder und seine Augen wanderten mit einem komischen Grinsen einmal zur Türe, wo die Anderen standen: „Tu einfach so, als seien sie nicht da“, drehte er lachend den Kopf zurück. Dann landete ein Tropfen in meinem Auge. Ich musste blinzeln, doch Othello wiederholte die Prozedur sofort bei meinem anderen Auge. Ich schlug die Lider auf und zu, doch ich konnte einfach nicht mehr richtig sehen. Alles war furchtbar hell und ich konnte weder Vor- noch Hintergrund richtig scharfstellen. Dann verschwand der Raum auch in einem hellen, gelben Schein. Ich kniff die Augen zusammen. „Augen öffnen“, wies mich der Forscher trocken an. „Aber... das tut weh und ist furchtbar grell!“ „Ich brauche nicht lange. Augen öffnen bitte.“ Ich versuchte es so gut ich konnte. Irgendwann schaffte ich es meine Augen halbwegs offen zu halten. Othello beschaute sie durch eine kleine Lupe für Augenärzte. Eine Minute... zwei... drei... vier... Ich hatte das Gefühl meine Netzhaut verbrutzelte im hellen Schein dieser, wie ich tippte, sehen tat ich ja nichts mehr, Taschenlampe. Nachdem der Shinigamiwissenschaftler jedes Auge eingehend gemustert hatte, ging die Taschenlampe aus. Ich sah trotzdem nichts außer viele bunte Flecken, als ich mir durch die Augen rieb. „Hmpf“, machte Othello irgendwie enttäuscht: „Meine Theorie ist glaube ich hin.“ „Was hattest du denn für eine?“, fragte Ronald und ich blinzelte zu den vier Shinigamis an der Türe. Ich wusste, dass sie da waren, zumindest verrieten mir das vage Flecken, die Ähnlichkeit mit ihnen hatten. „Dass sie ein Shinigamimischling sein könnte“, klang Othellos Stimme neben mir. Ich wusste nicht ob mich die bloße Theorie nicht wieder total verschreckte, oder ob ich erleichtert war, dass sie eigentlich schon ausgeräumt war. „Nehehe! Das wäre generell total unmöglich“, klang Undertakers Lachen zu mir herüber: „Das solltest du auch wissen.“ „Sag niemals nie“, zuckte Othello mit den Schultern: „Irgendwie ist sicher alles möglich und es war eine naheliegende Hypothese.“ „Aber“, rieb ich mir wieder durch die Augen: „Ich bin keiner... oder?“ Othello drehte den Kopf zu mir: „Nah. Höchstwahrscheinlich nicht. Deine Augen sind zu gut.“ „Und damit schließt du das aus?“, nicht, dass ich dem Ausschluss dieser Theorie abgeneigt wäre. Ich konnte mir auch wirklich nicht vorstellen wer meiner Eltern ein Shinigami sein oder einen in der Familie gehabt haben sollte. Othello rollte zurück zum Schreibtisch und ich hörte ihn tippen: „Jup. Wenn man von einer 50/50 Konstellation ausgeht, wäre es sehr unwahrscheinlich, bis fast unmöglich, dass eine Sehschwäche ausbleibt, so blind wie hier alle sind. Aber deine Augen sind perfekt. Du liegst irgendwo um die +/- 0 Dioptrien. Du brauchst keine Brille. Die meisten hier liegen zwischen -4,50 - -6,75 Dioptrien, manche noch schlechter, und sind ohne Brille echt am... du weißt schon. Von einem + vor dieser Zahl träumen wir nicht einmal. Selbst sollten wir davon ausgehen du würdest nur einen Anteil von 25 oder 12,5% eines Shinigamis besitzen, würdest du niemals solche Werte haben. Glaub mir. Wenn du mir jetzt allerdings erzählen möchtest, einer deiner Eltern hat verräterisch grüne Augen oder trägt eine Brille, weil er ansonsten die Leuchtreklame in Las Vegas mit der Nase lesen müsste, schmeiße ich mich augenblicklich aus dem Fenster.“ „Nein“, blinzelte ich den emsig tippenden Shinigami an: „Du darfst leben. Die Augen meiner Mutter sind braun, die meines Vater blau und sie tragen beide keine Brille.“ Othello drehte sich wieder zu mir: „Gut. Aus dem Fenster springen ist jetzt auch nicht mein liebster Zeitvertreib.“ Dann lehnte sich der Forscher mit einer Hand am Kinn gegen seien Schreibtisch und wackelte mit einem Fuß: „Deine Augen sind normal... Also kann es nur... hmmmmmm...“ „Sag mir nicht du bist schon mit deinem Latein am Ende“, verschränkte Grell die Arme. „Nein...“, seufzte Othello und stützte den Kopf auf eine Hand: „Die naheliegendste Hypothese habe ich noch.“ „Das mit dem Mischling war gar nicht deine naheliegendste Theorie?“, fragte Ronald ein wenig irritiert. „Nein“, schüttelte Othello den Kopf: „Wie Undertaker schon sagte: Das ist eigentlich unmöglich. Ich hätte es nur spannend gefunden. Dann hätte ich wirklich mal was zum Forschen gehabt.“ „Oh ja“, lachte Undertaker mehr als nur amüsiert: „Tihihihihihihih! Und die Chefetage wäre ein vollkommen aufgescheuchter Hühnerhaufen! Das würde zugehen wie im Taubenschlag! Hahahahahaha!“ Mit einem kleinen wohligen Seufzer legte der Totengräber den Kopf ein Stück in den Nacken und schaute fast verträumt an die Decke: „Eine wundervolle Vorstellung. Nihihihihi! Das will ich sehen.“ Othello kicherte mit: „Ich wusste du bist auch hier, weil du neugierig bist.“ Undertaker schaute immer noch giggelnd zu Othello: „Fu hu hu hu! Ist Gras grün?“ „So lange der Himmel blau ist“, antwortete der Forscher: „Naja. Vielleicht haben wir ein anderes Mal Glück.“ „Warum?“, mischte ich mich ein: „Fantasiert ihr so viel darüber?“ „Weil es unmöglich ist!“, grinsten Undertaker und Othello ein ehrgeiziges Forschergrinsen. „Aber“, schüttelte ich den Kopf: „Warum findest ihr etwas interessant, was nie passieren wird?“ „Weil nichts unmöglich ist!“, grinsten die Beiden weiter im Chor. Meine Schultern fielen herunter, als ich den Beiden mehr als nur verwirrt, ja sogar eher geistlos, mit den Augen entgegen klimperte: „Ihr... widersprecht euch selbst...“ „Nein“, lachte Undertaker: „Aber die Wissenschaft tut das. Manchmal. Ihihihi! Immer öfter.“ Othello schlug eine Faust in die Hand: „Und es ist unsere Aufgabe diese Widersprüche aufzuklären! Rein wissenschaftlich gesehen ist nämlich nichts unmöglich! Aufklärung! Wo wir wieder beim Thema wären!“, der Forscher hüpfte von seinem Stuhl und schaute mich an: „Darf ich mir deine Haut anschauen?“ „Meine“, ich stockte, als meine Verwirrung ein weiteres Mal an diesem Tag weiter wuchs: „Haut?“ „Nun ja“, Othello kratzte sich am Hinterkopf und zückte ein Klemmbrett: „Ich tippe in deinen Knochen oder inneren Organen finden wir keine Anhaltspunkte, die mit deinen Augen zusammenhängen oder deinem Gespür, also kann ich meine Instrumente an der Wand lassen.“ Der Forscher musterte das Klemmbrett und seine Augen flogen über das Papier. Ich seufzte erleichtert, als der Forscher betonte, dass ich mit dem gruseligen Chirurgenbesteck keine nähere Bekanntschaft machen würde. „Körperlich scheint alles normal zu sein“, lass der Forscher weiter: „Aber 'visuelles Wahrnehmen von Cinematic Records', 'Affiner Spürsinn gegenüber Dämonen in höchst überdurchschnittlichen Maße'. Oh, doppelte Steigerung! Muss ernst sein, wenn du so etwas benutzt, William.“ Besagter Shinigami seufzte ein weiteres Mal. „Da stimmt was nicht“, schaute der Wissenschaftler vom Klemmbrett weg zu mir und stemmte die Hände in die Hüfte: „Und wenn es dein Körper nicht ist, gibt es nur eine andere Variable, die durcheinander sein könnte.“ „Und die wäre?“, fragte ich skeptisch. „Hehe“, lachte Undertaker und ich schaute zu ihm. Der Bestatter wirkte als habe er eine ganz genaue Vorstellung von was Othello da sprach. Ich legte mit einem eindeutig fragenden Ausdruck den Kopf schief. „Deine Seele“, grinste der Bestatter auf meine stumme Frage hin. „Dafür Indizien zu finden ist allerdings meist schwierig“, seufzte Othello: „Aber wenn etwas, oder jemand, solche Fähigkeiten besitzt liegt es meist an der Seele“, der Forscher seufzte ein weiteres Mal: „Ich hatte zwar gehofft mich mit deinen Augen aus der Affäre ziehen zu können, aber nein. Natürlich nicht... Wenn meine zweite Hypothese allerdings stimmt, gibt es dafür ein eindeutiges Merkmal auf deiner Haut. Das würde eine Menge Zeit sparen. Ich muss mein Labor nämlich dieses Mal selber renovieren.“ William schnaubte genervt: „Du hast das gesamte Budget für Oktober und November schon in die Luft gejagt.“ Othello stöhnte geknickt: „Ich weiß...“ Ich überhörte Williams Bemerkung und Othellos Antwort. Denn irgendwie klang diese Hypothese schon fast noch dramatischer, als die vorangehende Theorie. Ich schaute wieder zu Undertaker: „Aber... wie soll da denn etwas durcheinander gekommen sein?“ Meine Augen fielen fast sofort nach unten und mein Kopf folgte ihnen, als mein Herz zu rasen begann. Ich legte die Finger einer Hand auf mein oberes Brustbein, wie ich es immer tat wenn ich ängstlich nervös wurde. Die Seele waren doch auch die Gefühle und der Charakter eines Wesens. Zumindest dachte ich das immer. Wenn also dort etwas durcheinander war, was sagt das über mich aus? Die Liege auf der ich saß ruckelte kurz und eine kalte Hand drehte mein Kinn wieder nach oben. Ich spürte wie sich die Spitzen langer Fingernägel leicht in die weiche Haut unter meinem Kinn drücken. Undertaker hatte sich neben mich gesetzt und sein grünes Auge lächelte mir aufmunternd entgegen: „Es gibt einige Möglichkeiten wie da etwas durcheinander kommen kann. Charakterliche Entwicklung, moralische Entscheidungen. Entgegengesetzt des normalen Volksglaubens entstehen Engel und Dämonen vor dem Tod aus Menschen, die sich zu sehr in ein Extrem entwickelt haben um menschlich zu bleiben.“ „Heißt das...?“, meine Kehle setzte sich zu. Doch Undertaker schüttelte entschieden den Kopf: „Nein. Du bist ein Mensch. Nach wie vor. Was auch immer anders ist, Sky, es ist höchstwahrscheinlich, dass es schon immer anders war. Von Beginn an. Es war schon immer ein Teil von dir. Du bist immer noch dieselbe wie vorher. Es gibt noch andere Möglichkeiten.“ „Welche...?“, fragte ich, nicht sicher, ob ich es überhaupt wirklich wissen wollte. „Ein Segen oder ein Fluch“, sprach der Leichengräber ruhig: „Zumindest wäre das die Möglichkeit, die am einfachsten festzustellen wäre.“ Ich legte reichlich verunsichert auf seiner Hand den Kopf schief: „Bi... Bitte?“ Kurz streifte mich der Gedanke ob mich so etwas wirklich noch verwundern sollte oder ob ich dachte, dass ich es mir hätte denken können. Undertaker nickte und seine Hand wanderte auf meine Schulter, wo er anfing gedankenverloren mit zwei Fingern an einer meiner Haarsträhnen herum zu spielen: „Engel und Dämonen können menschliche Seelen beeinflussen. Engel segnen, Dämonen verfluchen. Ihre Motive dazu sind nur allzu oft gänzlich gegensätzlich, wie man sich vorstellen kann“, er lachte kurz mit seinen gewohnten breiten Grinsen auf: „Ehehehe. Die Seele des Menschen wird dabei gewissermaßen verändert, ist aber immer noch menschlich. Doch, hehe, die Medaille hat immer zwei Seiten. Vor- und Nachteile. Es muss so sein. Die Natur verlangt es. Die Nachteile bei Flüchen sind meist schwerwiegender, weil Dämonen Flüche benutzen um Menschen offen zu schaden. Engel benutzen Segen meist um die Menschen zu unterstützen. Zumindest, tehehe, war es mal so oder sollte so sein. Diese Segen und Flüche werden vererbt. Doch das Wesen muss ein Zeichen dafür hinterlassen, welches ebenfalls mit vererbt wird. Ein Fluch oder ein Segen sind allerdings keine Bündnisse. Die Menschen und das Wesen gehen danach wieder ihrer Wege, im Gegensatz zu, beispielsweise, unserem geliebten Earl und seinem dämonischen Mädchen für alles. Manche Familien schleppen diese Bürden seit 100ten Generationen mit sich herum. Einige sogar unbemerkt. Um ehrlich zu sein, die Theorie du könntest zu einer dieser Familien gehören, habe ich schon ein paar Tage.“ „Was?!“, ich machte große Augen. Warum hatte er bis jetzt geschwiegen? „Warum hast du...?“ „Weil ich meine Theorien gerne überprüfe, bevor ich sie an die große Glocke hänge“, unterbrach er mich mit seinem allgegenwärtigen Grinsen: „Ich hatte einfach noch nicht genügend Anhaltspunkte. Bis... nun... jetzt.“ „Durch Othello?“, fragte ich und war mittlerweile ziemlich verunsichert. Das alles klang immer noch furchtbar dramatisch. Was Undertaker erzählte beruhigte mich nicht im Geringsten. Angst brodelte heiß durch meine Eingeweide und ließ den Rest von mir frieren, während meine Hände zu zittern begannen. Doch wenn ich Undertaker Glauben schenken konnte, was eigentlich immer der Fall war, war ich schon immer so gewesen. Es hatte sich nichts verändert. Ich hatte das Gefühl es ist schon eine Menge wert, dass ich immer noch... Skyler war und immer noch eigentlich ein Mensch. Im Groben... irgendwie... Ich hatte Bauchschmerzen. Undertaker nickte mir entgegen: „Unter anderem. Ich bin heute Morgen nicht verschwunden, weil ich beleidigt war oder dir etwas beweisen wollte. Ich wollte herausfinden, ob du mich genauso spürst wie Claude gestern.“ „Aber...“, ich rieb mir den Nacken und schluckte: „Das habe ich nicht.“ „Du hast auch den Engel nicht bemerkt.“ „Ich glaube nicht, nein.“ „Deswegen denke ich, dass du eine Flucherbin sein könntest.“ Ich blinzelte dem Bestatter ins Gesicht: „Fluch... Flucherbin?“ Undertaker nickte: „Genau.“ „Was... heißt das?“, fragte ich unsicher, obwohl das Wort eigentlich selbsterklärend war. Doch Undertaker schüttelte den Kopf: „Ehehehe. Alles und nichts. Leider. Du könntest schon alles gezeigt haben was außergewöhnlich ist, oder es folgen noch hundert Dinge. Ich kann es dir nicht sagen. Gerade Dämonen sind was Flüche angeht unheimlich kreativ“, ein lauteres, fast freudiges Lachen entfloh ihm, als er nur die Fingerkuppen seiner Hände verschränkte: „Fu fu fu! Du bist eine kleine Wundertüte, meine Schöne. Wie überaus spannend.“ Ich fand das ja alles lediglich überaus beschissen: „Schön, dass du das so lustig findest...“ Undertaker hob seinen beringten Zeigefinger: „Tihi! Interessant, nicht lustig.“ „Warum lachst du dann?“ „Hast du gerade tatsächlich gefragt warum er lacht?“, mischte sich Ronald in die Unterhaltung ein. Ich zog eine Augenbraue hoch und schaute Ronald böse an. Naja. So böse ich halt konnte. Doch da Undertaker wieder zu giggeln begann, tippte ich es hatte nicht den gewünschten Effekt. Nebenbei zog ich mit meinen Zeigefinger den Zeigefinger des Bestatters nach unten, der fröhlich wackelnd auf dem Weg zu meiner Braue gewesen war. Allerdings musste ich mir eingestehen, dass an Ronalds Frage mehr Wahres dran war, als mir lieb war. Zu fragen warum Undertaker lachte, war als würde man fragen warum die Sonne scheint oder Menschen atmen müssen. Die Antwort? Sie lag auf der Hand: Es war ihre Natur. „Okay“, drehte ich mich zu Undertaker und zog seinen zweiten Zeigefinger nach unten: „Kannst du das mal lassen? Also... Wenn ich dich richtig verstanden habe: Dem Begriff 'Flucherbin' entnehme ich du hast die Theorie, dass meine Familie schon länger unter dem Fluch eines Dämons steht und ich jetzt, wahrscheinlich aus reiner Böswilligkeit des Schicksals oder wegen schlechten Karmas, das zweifelhafte Vergnügen habe mich damit auseinander setzen zu müssen. Richtig?“ Undertaker giggelte und zog seine Zeigefingern aus meinen: „Ihihi! Exakt.“ „Darf ich nun?“, legte Othello den Kopf schief. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und wackelte ungeduldig mit einem Fuß. Ich zog die Augen zu Schlitzen: „Ich zieh die Jacke aus. Nicht mehr!“ Othello seufzte: „Menschen und ihre Empfindlichkeiten“, seine Augen wanderten zu Undertaker und er hob abwehrend die Hände: „Ok! Ok!“ Ich schaute zu Undertaker. Er grinste mir mit einem Seitenblick entgegen. Wie immer. Othellos Abwehrhaltung erschloss sich mir nicht so ganz, aber Grell und Ronald kicherten in ihre Hände. Ich tat das alles mit einem Kopfschütteln ab. Seufzend zog ich meine Arme aus den Ärmeln und den Pulswärmern und Othello griff meine Handgelenke. Er zog an meinen Armen herum, während er sie gründlichst musterte. Obwohl er seine große, runde Brille auf der Nase hatte, stupste seine Nasenspitze immer mal wieder gegen meine Haut. Sie war ganz kalt. Ich stellte die Theorie auf, dass es in der Natur der Shinigamis lag so kalte Haut zu haben. „Wonach genau suchst du denn?“, fragte ich skeptisch. „Einem Fluchmal“, murmelte Othello in seinem empirischen Forschereifer und zerrte weiter an mir herum. Der Forscher wechselte den Arm und ich schielte ein weiteres Mal halb zu Undertaker. Er hielt sich mit den Händen an der Kante der Liege fest und wackelt mit den überschlagenen Beinen von vorne nach hinten, während er Othello nicht aus dem grinsenden Auge ließ. „Wie sieht das denn aus?“, fragte ich. Vielleicht konnte ich ihm ja helfen, auch wenn Othello wirkte als bräuchte er die Entdeckung um seinen Ruf und seine Forscherehre zu retten. „Wie eine sehr helle, dünne Narbe, die ein komisches Muster bildet“, murmelte der Forscher und streckte meinen Arm in die Höhe um seine Unterseite bemustern zu können. Ich schaute wieder zu dem zotteligen Forscher. Ich hatte so etwas nicht. Ich war mir eigentlich zu 100% sicher so etwas an mir noch nie gesehen zu haben: „Und wenn du so etwas findest ist die Sache klar, oder?“ Othello nickte: „Kristallklar. Eindeutiger ginge es nicht. Vorbeugen bitte.“ „Warum?“, fragten Undertaker und ich aus einem Munde mit derselben Portion Skepsis. Ich schaute den Bestatter an. Er schaute mich an. Ich zog eine Augenbraue hoch: „Warum möchtest du das wissen?“ „Nehehe!“, lachte der Totengräber: „Wer bettelte denn um meine Hilfe, als er die Knochensägen sah?“ „Weißt du was du mich mal kannst?“, konterte ich ihn reichlich trocken und auch ein bisschen beleidigt. Undertaker legte den Kopf schief und lachte laut: „Pahahahahahaha! Ich habe dir nicht ohne Grund abgeraten hier her zu kommen.“ „Es hat dir doch was gebracht!“ Undertaker lachte wieder und hob dabei seinen Handrücken vor den Mund: „Tihihihi! Stimmt. Das wäre ja auch alles für mich vollkommen unmöglich herauszufinden gewesen. Ehehehehe!“ „Könntest du aufhören ständig meine Entscheidungen zu kritisieren?“, keifte ich ihm mittlerweile ansatzweise verärgert entgegen. „Hallo?!“, seufzte Othello: „Ich bin auch noch da! Also?“ Undertaker und ich hoben beide einen Zeigefinger und geboten Othello so zu schweigen: „Später!“ Der Wissenschaftler breitete fragend und mehr als nur irritiert die Arme aus und schaute zu seinen drei Kollegen, welche ihn nur vielsagend ankicherten. Außer William natürlich. Der seufzte nur vor sich her und rückte seine nicht schiefe Brille gerade. Undertaker legte kichernd den Kopf schief: „Ich kritisiere deine Entscheidungen gar nicht. Ehehe.“ „Neeeeein“, machte ich gedehnt: „Was denn sonst?!“ Undertaker lachte weiter: „Ehehehehe! Ich kann doch nichts dafür, dass alles so kam, wie ich es kommen sah! Ahahahahaha!“ Ich griff mein Rekordbuch und haute es Undertaker ein paar Mal auf den Kopf: „ I-d-i-ot!“ Doch Undertaker lachte nur noch lauter. Ich legte das Buch weg und verschränkte die Arme, als ich betont wegschaute: „Für mich hat sich der Ausflug gelohnt!“ „Warum?“, lachte mir Undertakers Stimme ins Ohr. „Weil Ronald mir Sachen erzählt hat, die du mir anscheinend nicht erzählen wolltest“, ich drehte meinen Kopf zurück zu ihm: „Zum Beispiel das mit dieser riesigen Statue! Wie Shinigamis entstehen und ihr euch alle auf einem Schiff an die Gurgel gegangen seid. Die Untersuchung war für mich von vorne herein eher zweitrangig.“ Undertakers Kopf wanderte langsam zu Ronald. Zu langsam. „Nehehe! Aha?“, machte er, als sein Blick bei Ronald angekommen war. Dieser zog mit einem Zeigefinger die Krawatte lockerer und lachte gequält: „Öhöhö... öööhm. Ich habe nur ein bisschen in den guten alten Zeiten und Legenden geschwelgt.“ „Tehehehehehehehehe! Ich wusste gar nicht, dass verprügelt zu werden bei dir unter den guten Erinnerungen verbucht wird. Nehe! Also, wenn das so ist...“ „Nein!“, unterbrach Ronald den Bestatter eilig, bevor er ihm sein definitiv schmerzvolles Angebot vollends unterbreiten konnte: „Das meinte ich auch nicht!“ „Schade. Hehe“, giggelte der Bestatter: „Ich erinnere mich gerne daran. Ansonsten?“ „Sky hat recht“, schüttelte Ronald den Kopf: „Du bist ein Idiot! Und nein. 'Das' habe ich nicht erzählt.“ Der Totengräber drehte lachend seinen Kopf wieder nach vorne: „Tehehehehe! Wahrscheinlich! Braver Ronald.“ „'Das'?“, legte ich fragend den Kopf schief. „Nicht wichtig“, bekam ich im Chor von Undertaker, Ronald, Grell und William zurück. Wenigstens sah Othello mindestens genauso irritiert aus wie ich: „Das reinste Irrenhaus...“ „Oh ja“, nickte ich und schielte zu Othello: „Wie lange brauchtest du, um das herauszufinden?“ „Nicht lange. Ich verdränge es nur jedes Mal aufs Neue, weswegen ich es auch jedes Mal aufs Neue wieder feststelle...“, legte der Forscher seinen Kopf schief. „Keine gute Taktik“, grinste ich. „Ich weiß“, seufzte Othello. Er war vielleicht ein bisschen verrückt, aber wenigstens war Othello an sich ganz nett und auch relativ lustig drauf. Das machte die ganze Sache ein kleines bisschen weniger schlimm. Ich hatte trotz allem immer noch richtig Angst vor dem, was der Wissenschaftler so alles rausbekommen könnte. Undertakers Nase erschien auf einmal direkt neben meinem Auge: „Was meintest du eigentlich mit zweitrangig“, rollte sein Atem über mein Gesicht. Ich merkte wie mein Blut in die Stellen schoss, die er passiert hatte. „Ähm...“, machte ich ein bisschen überfordert, als ich den Impuls unterdrückte ihm beim Sprechen anschauen zu wollen. Denn dann wären garantiert unsere Nase aneinander gestoßen. Ich hasste es Leute beim Sprechen nicht ins Gesicht zu sehen, oder wenn mein Gesprächspartner dabei nicht in meins schaute. Doch schon allein der Gedanke daran, mit irgendwas in meinem Gesicht irgendwas in seinem zu berühren, ließ auch die übrigen Stellen in meinem Gesicht aufleuchten: „Ich bin nur mitgekommen um ein bisschen was über dich herauszufinden...“, antwortete ich verschämt, doch ehrlich. Es kam wieder Platz zwischen dem Bestatter und mir, als dieser mit einem erstaunlich irritierten Grinsen sein Rückgrat wieder streckte: „Ähehehe?! Über mich?“ Ich nickte und drehte meinen Kopf halb in seine Richtung: „Ja... schon...“ „Ehehehehehe! Warum das denn?“ „Warum wohl?!“, machte ich voller Überzeugung, dass meine Motive wohl mehr als nur offensichtlich waren. Doch Undertakers Kopf fiel zur Seite, weswegen mir nun eineinhalb Augen über seinem ewigen Grinsen entgegen blinzelten: „Ehehehe! Erleuchte mich.“ „Also...“, begann ich und mein Kopf fing zu rattern an. Ich hatte das Gefühl meine Absichten wären für alle vollkommen klar zu erkennen, doch nun wo ich sie in Worte fassen sollte waren die Seiten des Wörterbuches in meinem Kopf komplett leer: „Also... ja... es ist doch offensichtlich, dass... Ähm... Was ich sagen will... Also... Ich... Äh... du...“ Mein Gesicht brannte voller Scham und Schande. Undertakers Kichern wurde lauter: „Ihihihihihihihi! Ja?“ „Ich...“, ich schaute zur Seite und sprach viel zu schnell, als ich einen arg glitschigen Gedanken zu fassen kriegte: „Wollte ein bisschen über dich wissen! Du weißt so viel über mich, doch du redest nie über dich!“ Hätte mein Gesicht Feuer gefangen, es hätte mich nicht gewundert. Ich hätte es wahrscheinlich im Moment sogar dankend begrüßt. Denn mir war das alles wieder furchtbar peinlich und ich wusste nicht wieso. Ich hatte selbst das Gefühl es lag bei weitem nicht nur daran, dass ich eigentlich furchtbar auf den Mund gefallen war. Doch ich hörte hinter mir dieses vertraute amüsierte Lachen: „Das stimmt wohl, das stimmt wohl. Doch du weißt genauso viel über mich wie alle hier in diesem Raum. Wenn nicht sogar ein wenig mehr. Natürlich hoffe ich Ronald konnte deine Fragen zu deiner vollsten Zufriedenheit beantworten. Auch wenn du mich natürlich einfach selbst hättest fragen können. Tehehehehe!“ Mein Kopf flog zu Undertaker herum: „Mehr? Wie?! Ich habe keine Ahnung was du vorher so gemacht hast, außer Leute zu begraben, bei den Phantomhives herumzuhängen und Seelen zu holen! Ich kenne deine Vergangenheit nicht! Ich kenne ja noch nicht einmal deine Hobbys! Ich weiß nicht was dir Spaß macht! Ich weiß eigentlich gar nichts über dich und...“, ich brach ab, als mich diese Erkenntnis gerade irgendwie selber hart traf. Ein Haufen Steine wogen schwer in meinem Magen. Ich wusste tatsächlich fast gar nichts über ihn. Ich ließ meine Augen hinab fallen: „ Und...“ „Und?“, forderte mich Undertakers Stimme sanft auf weiter zu sprechen. „Und...“, stockte ich weiter und schaute schief zur Seite. Das wummernde Blut in meinem Gesicht verursachte mir erneut Kopfschmerzen: „Naja... ich... würde das alles gerne wissen... und so...“ „Tehe. Und so?“, klang es von Undertaker wieder mit diesem verständnislosen Tonfall, der zu verstehen versuchte: „ Warum? Meine Vergangenheit ist furchtbar öde, meine Hobbys ziemlich makaber und einige nur allzu offensichtlich und Dinge die mir Spaß machen gibt es nur sehr wenige. Hehehe! Für mein Vergnügen sorge ich meistens selbst. Nihihihi!“ Ich seufzte: „Aber... solche Dinge sagen doch etwas über den Charakter von Jemandem aus...“ Undertaker lachte weiter: „Du kennst meinen Charakter doch! Tihihihihihi! Also darum habe ich wirklich nie ein Geheimnis gemacht!“ Ich schaute ihn an: „Als ob du nur ein vergnügungssüchtiger Irrer bist!“ Undertaker lachte noch lauter: „Pahahahahahahaha! Was soll ich denn ansonsten noch sein? Reicht das denn nicht? Ehehehe!“ „Ein verdammter legendä...“, eine kalte Hand mit langen Fingern hielt mir auf einmal den Mund zu. Mit großen Augen blinzelte ich dem silberhaarigen Mann zum wiederholten Male reichlich verwirrt entgegen, während meine Lippen unter seiner kalten Hand zu knistern begangen. Mein Herz raste aufgrund dieser Berührung und sprang wild, fast schmerzhaft, in meiner Brust herum. Immer wärmer wurde mein Gesicht, obwohl ich mir sicher gewesen war, dass das eigentlich nicht mehr möglich wäre. „Ärer Sonderling, dessen größtes Hobby es ist Tote aufzuschneiden und mit ihnen lockere Konversation zu betreiben. Nihihihihihi!“, führte er meinen Satz zu Ende. Nur nicht so wie ich ihn beenden wollte. Othello versteckte sein Gesicht hinter einer Hand: „Das ist so... Ihr wisst schon...“ Undertaker schüttelte lachend den Kopf und schloss dabei kurz sein Auge. Als er mich wieder anschaute nahm er die Hand von meinem Mund: „Ich bin nicht mehr und, ihihi, wenn du irgendwelche Fragen hast, dann frage doch einfach direkt mich.“ „Antwortest du mir auch?“, fragte ich zögerlich und Undertaker nickte knapp: „Natürlich und wenn du mich jetzt fragen möchtest, ob ich dir auch ehrlich antworte erinnere dich. Ich lüge nie. Fuhuhuhu.“ Ich seufzte und ließ den Kopf hängen: „Es tut mir leid... Das war link von mir.“ Undertaker lachte lauter: „Pahahahahahaha! Es geht schlimmer, glaube mir“, der Todesgott in Ruhestand wuschelte mir durch meine Haare: „Es ist alles ok.“ „Noaaaaaah!“, kam es von der Türe. Undertaker und ich schauten Grell und Ronald an. Grell hatte seinen Kopf auf Ronalds Schulter und dieser seinen Kopf auf Grells rote Haare gelegt: „Wie süüüüüüüüüüß!“, seufzten die Beiden im Chor. William schaute zur Decke und... seufzte. Mich beschlich ja die Frage, ob er auch noch andere Geräusche machen konnte oder gänzlich auf Seufzen und Stöhnen beschränkt war. Undertaker und ich schauten uns an. „Die Beiden sind aber auch nicht mehr ganz knusper, oder?“, fragte ich und wusste nicht, ob ich auch seufzen oder schmunzeln sollte. „Ehehehehehehehehe!“, beschränkte sich Undertaker zumindest auf einen Minilachanfall: „Man kann mir viel unterstellen, aber nicht, dass ich in unserer wunderbar illusteren Runde der einzige Verrückte wäre. Ahahahaha! Das macht das Leben ja so unsagbar wunderbar!“ Ich seufzte und musste dann lachen. Wahrscheinlich hatte der Bestatter Recht. Ich grinste ihn an: „Und das war ein Reim, das find' ich fein.“ Der Totengräber lachte auf: „Ihihihi! Stimmt! Mein kluges kluges Mädchen.“ Ich strahlte und fühlte mich wie ein stolzer Pfau. Ich hätte sogar meinen grell gemusterten Federfächer aufgeklappt, wenn ich denn einen hätte. Des Weiteren war ich mir sicher mein Gesichtsausdruck hatte eher etwas von einem treudoofen Hündchen, das gerade Sitz gelernt hatte und nun auf sein Leckerchen wartete. Othello lachte: „Die Beiden haben recht. Ihr Beide seit furchtbar knuffig!“ Ich schaute Othello mit zusammengezogenen Augen an: „Ich bin nicht knuffig!“ Undertaker giggelte: „Oh doch. Nihihihihihi!“ Ich drehte meinen Kopf wieder zu ihm: „Nein!“ „Doch. Thehe!“ „Stimmt nicht!“ „Aber Ja! Ehehehe!“ „Nein!“ „Ich bleibe dabei. Fu fu fu fu!“ „Lass das!“ „Tehe, was?“ „Zu sagen ich sei knuffig!“ „Aber ich lüge nie. Ehehehehe!“ Ich griff ein weiteres Mal mein Recordbuch, nahm in einem großen Bogen Schwung und haute es ihm mit beiden Händen ins Gesicht: „Du bist doof!“ Eigentlich dachte ich Undertaker würde sich verteidigen, doch das Buch traf mit voller Wucht seine Nase und er rasselte mit einem lauten und äußerst amüsierten Lachen rücklings von der Liege. Nur seine Füße in den langen Lackstiefeln lagen noch auf dem grünen Plastik. Erschrocken legte ich eine Hand über den Mund, als ich mit großen Augen realisierte, dass ich Undertaker gerade tatsächlich eine volle Breitseite verpasst hatte. „Ehehehehehe!“, lachte er ungeachtet dessen, dass ich ihn gerade mit einem Buch verprügelt und von der Liege befördert hatte: „Frauen Komplimente zu machen ist wirklich wie Topfschlagen im Minenfeld. Tihihihihihi!“ Ronald seufzte lachend: „Du hast einfach kein Händchen für so etwas.“ Ich schaute Ronald ein weiteres Mal böse an: „Du auch nicht.“ „Hey!“ Ich lachte. Undertaker auf dem Boden auch. „Willst du jetzt da liegen bleiben?“, fragte Grell und verschränkte grinsend die Arme. „Joa“, lachte der Bestatter: „Ihihihihihi! Ich glaube das wäre im Moment die weiseste Entscheidung.“ Grell schüttelte den Kopf: „Ja. Unsere Kleine hat es streckenweise faustdick hinter den Ohren.“ Ich wusste ja nicht ganz ob es ein Kompliment war und meine Augen wanderten von Undertakers Füßen zu Grell und dann zu Ronald. Ronald lachte schließlich: „Das ist ein Kompliment. Mit Püppchen und Ladys können wir auf Dauer nicht viel anfangen.“ „Nihihihi!“, lachte es wieder von unter der Liege: „Wie wahr. Zu schwach! Zu zerbrechlich!“ Othello schüttelte den Kopf: „Ihr habt sie wirklich nicht mehr alle“, dann schaute er wieder zu mir: „Doch was ist nun? Ich möchte nur deine Schulterblätter, deinen Nacken und deinen Rücken sehen.“ Ich verzog den Mund zu einem schiefen Strich und überlegte ein paar Minuten. Schließlich kam ich zu dem Entschluss, dass diese Körperstellen eigentlich recht unverfänglich waren und nickte: „Ok...“ Ich beugte mich nach vorne und warf meine Haare über den Kopf. „Oh!“, machte Othello keine 2 Sekunden später: „Ok, damit ist alles klar.“ Ein ungutes Gefühl gluckerte in meinem Magen auf. Die Liege wackelte und es raschelte, was mir verriet, dass Undertaker seine Position auf dem Fußboden aufgegeben hatte. „Tatsächlich“, lachte der Bestatter: „Ehehehehe! Ein wunderschönes Exemplar!“ Ich hörte Schritte und sah aus meiner Position kopfüber nur die Schuhe von Undertaker, Othello, Grell, Ronald und William. Doch das hielt mich nicht davon ab mich wie ein Äffchen im Zoo zu fühlen: „Ähm... Leute? Erzählt ihr mir auch was los ist?“ „Öhm...“, hörte ich Ronalds Stimme: „Ist das dieses komische ...Dingens?“ Mein Magen kochte in Anbetracht einer bösen Ahnung fast über: „Hallo?! Was ist denn da?!“ Ich wurde weiter ignoriert. „Na herrlich“, seufzte William. Wie mir dieses Seufzen auf die Nerven ging: „Aber damit sind alle Absonderlichkeiten Miss Rosewells nicht unser Problem. Gut.“ „Absonderlichkeiten!?“, ich warf meinen Kopf wieder zurück. Mein Blick fand sehr schnell Williams: „Du bist so charmant wie deine Heckenschere, du Arsch!“, dann schaute ich in die Runde: „Was ist da?!“ „Astschere“, korrigierte mich William trocken und vollkommen unangebracht. Ich schaute ihn nur wütend an, was William mit dem Verschränken seiner Arme und einem kalten Blick quittierte. „Ein Fluchmal. Ihihihi!“, Undertaker hatte seinen schiefen Kopf auf Daumen und Zeigefinger gestützt, als mein Kopf zu ihm herumfuhr. Mein Herz blieb stehen: „Was...?“ Einen kurzen Moment stand alles still. Die Welt machte kein Geräusch mehr und eine geschockte Kälte fror mich ein: „Fluch... Fluch...“ Meine Nase knisterte, als mir Tränen in die Augen stiegen und die Realität wie ein Hammerschlag wieder zurückkam. Ich atmete tief ein und versuchte ihnen Herr zu bleiben: „Das.. das heißt...“ Nun war es also klar: Ich war ein Freak. Irgendein komisches Etwas und laut Undertaker war es ja sogar fraglich WIE komisch ich war. Meine Gedanken rasten, überschlugen sich schmerzhaft und wurden sofort von neuen niedergetrampelt, die auch wieder hart aufeinander prallen. Richtig denken war mir unmöglich. ‚Was, wenn ich gefährlich war?‘, war der einzige Gedanke, den ich fassen konnte. Ich könnte nicht damit leben, wenn irgendjemanden wegen mir etwas passierte. Durch mich etwas passierte. Meine Augen fielen aufgrund dieser Möglichkeit zu Boden. Nervös fing ich an auf einem Fingernagel herum zu kauen. Meine Gedanken waren mittlerweile endgültig ein scharfer Scherbenhaufen, der nichts anderes mehr konnte als mir mit spitzen Kanten in den Kopf zu schneiden. Kopfschmerzen hüllten meine sehr klein gewordene Welt in ein dumpfes Wummern. Meine Hände zitterten noch mehr und das Zittern breitete sich schnell in meinem ganzen Körper aus. Ich konnte nicht mehr verhindern, dass mein linkes Auge überlief. Eine einsame Träne bahnte sich einen Weg meine Wange hinunter, als ich in eine stumme Panik verfiel. Innerlich aber schrie ich um Hilfe. Verzweifelt. Ich schrie mich selber an aufzuwachen. Sicherlich lag ich noch im Bett in der Villa Phantomhive, total überfordert von Undertakers Offenbarungen. Und das alles hier passierte gar nicht wirklich. 'Das ist nur ein böser Traum', kniff ich die Augen zusammen. Nun schwappten mehr Tränen über meine eiskalt gewordenen Wangen. Meine klammen, steifen Hände wanderten über meine Ohren und krallten sich in meine Haare, als ich vollkommen verspannt die Schultern hoch zog um mich dahinter zu verstecken. Die Stimme in meinem Kopf kreischte so laut, dass ich meine Umgebung gar nicht mehr richtig hören konnte: 'Nur ein böser Traum! WACH AUF!' „... Sky...? Hö...u... mi...? Sky...?!...“ 'WACH AUF!' „Hey... wa...st...u...? ...Sky...?!...“ 'NUR EIN BÖSER TRAUM! W-A-C-H D-O-C-H A-U-F!' „...Sky...ler...!!“ Etwas Kaltes nahm meine Hände und zog sie von meinen Ohren. Dann spürte ich das Etwas an meinen Wangen, weshalb meine Augen aufsprangen. Die Berührung war so vertraut. Ich kannte sie mittlerweile gut. Ich mochte sie. Selbst jetzt, wo meine ganze Welt zum zweiten, oder vielleicht auch dritten Mal, ich war mir nicht mehr ganz sicher, in sich zusammen fiel sorgte sie dafür, dass ich mich sicherer fühlte. Sicher, geborgen und irgendwie wohlig. Undertaker hatte mein Gesicht in beide Hände genommen und es angehoben. Ein strahlend grünes Auge schaute mir entgegen und versicherte mir stumm dafür zu sorgen, dass alles wieder gut wurde. Meine zusammengebrochenen Gedanken blieben aufgrund dieses Blickes stehen. Die Kälte seiner Hände verdrängten die wummernden Kopfschmerzen. Der Totengräber rieb mir behutsam die Tränen von den Wangen: „Na na. Es gibt keinen Grund für Tränen, meine schöne Puppe“, er legte mit einem aufmunternden Lächeln den Kopf schief. Doch der Schock saß tief in meinem Herzen und ließ es gefährlich langsam schlagen. Die Welt lief in Zeitlupe an mir vorbei. „...Ich“, würgte ich aus meiner zusammengepressten Brust heraus: „... Ich bin... ein... Freak...“ Doch Undertaker lachte ungeachtet meines schon fast schockähnlichen Zustandes: „Nihihihihi! Willkommen in meiner Welt, kleine Skyler. Glaube mir. Im Vergleich zu uns bist du trotz allem noch ziemlich normal.“ Meine Augenlider flatterten: „Aber... was ist wenn...“ Doch der Bestatter schüttelte vehement den Kopf. Es wirkte als könne er sich denken worauf dieser Satz hinauslaufen sollte: „Nein, nein, nein. Skyler nein. Es gibt nichts worüber du dir Sorgen machen müsstest. Wir sind da. Du stehst nicht alleine im Regen. Ok?“ „Aber...“, mir entfuhr ein Schluchzen und es erstickte alles, was ich noch sagen wollte. Meine gefalteten Finger steckte ich zwischen meine zusammen gepressten Oberschenkel, als weitere Tränen meine Wange hinunter rollten und ich den Kopf trotz Undertakers Händen nach unten fallen ließ. Ein Beben ging durch meinen Körper, doch nur kurz. Denn eine enge Umarmung ließ mir nicht mehr den Platz dafür, als die Hände des Bestatters von meinen hängenden Kopf verschwanden und mich fest an ihn drückten. „Scchhhh“, machte die Stimme des Totengräbers und ließ die albern hohen Nuancen vermissen. Sie sickerte wie warmer Honig in meine Ohren, rollte langsam an meiner Wirbelsäule vorbei, wo sie ein heftiges Kribbeln hinterließ und schließlich ein ungeahnt warmes Gefühl in meinem Magen verursachte. „Alles ist in Ordnung“, fuhren mir lange Fingernägel durch die Haare. Mein Körper verlor seine Spannung aufgrund des wohligen Gefühls und ich landete mit meinem ganzen Gewicht in Undertakers Armen. „Was...“, schluchzte ich: „Ist, wenn ich gefährlich bin? Du sagtest selbst es könnte noch alles passieren...“ „Oh je, oh je“, lachte der Bestatter sanft und strich mir weiter durch die Haarsträhnen: „Armes Ding. So beruhige dich doch. An dir gibt es nichts, was wir nicht in den Griff kriegen könnten. Glaube mir.“ „Aber... aber...“ „Nichts aber“, Undertaker legte mir eine Hand an die Wange und schob meinen Kopf zurück. Behutsam wischte mit seinem Daumen die neuen Tränen von der einen Wange: „Vertraue mir doch, kleine Sky. Wir schaffen das, ok? Du musst da nicht alleine durch.“ Aus einem immer noch vollkommen geschockten Impuls heraus, fiel ich dem Bestatter um den bleichen Hals und verbuddelte mein Gesicht in seiner Schulter: „Du willst dir doch nicht tatsächlich einen Freak ans Bein binden...“ Doch Undertaker lachte kurz auf, als er mich behutsam, aber fest wieder in die Arme nahm: „Ehehe! Dann dürfte ich ja nicht mehr in den Spiegel schauen! Alle hier in diesem Raum sind immer noch viel größere ‚Freaks‘ als du. So glaube mir das doch endlich. Was genau du alles kannst bekommen wir schon noch heraus. Wahrscheinlich bist du eher sehr sehr nützlich anstatt gefährlich.“ Ich blinzelte ihn von unten ins Gesicht: „Wie meinst du das...?“, nuschelte ich in den Stoff seines Hemdes. „Nun ja“, lachte Undertaker und drückte mir spielerisch, aber sanft mit seinem langen, beringten Zeigefinger auf die Nasenspitze: „Du bist ein kleiner Dämonenradar! Wenn das nicht praktisch ist! Vielleicht ist dir aufgefallen, dass du die Einzige bist, die eine Ahnung hat wann Claude und Co. in der Nähe sind“, er hob seinen Zeigefinger. Ich blinzelte kurz als der unfassbar reine Smaragd seines großen Ringes im Licht der Leuchtstoffröhren aufblitzte. „Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich, mein schönes verfluchtes Kind“, fuhr er fort: „Und mit wichtig, meine ich wichtig. Sehr wichtig.“ Ich blinzelte ein paar Tränen weg. Es verwunderte mich wie der Ausdruck 'schönes verfluchtes Kind' aus den Lippen des Bestatters wie eines der besten Komplimente wirken konnte, die man mir je gemacht hatte. In seiner Tonlage lag Interesse und Anerkennung, begleitet von so unendlich viel Wärme. Es war schon fast paradox wie warm und weich seine Stimme sein konnte, bedachte man wie scharf und kalt sie wurde, wenn ihn die Wut packte. Ich hatte des Weiteren das schlechte Gefühl ihn noch nie wirklich wütend erlebt zu haben. Eher war er immer nur verstimmt gewesen. Ich bezweifelte auch, dass ich ihn wirklich wütend erleben wollte. Lachend war er auf so viele Art und Weisen einfach viel besser. „Welche?“, nahm ich den Mund aus dem Stoff seines Ärmels. Wahrscheinlich hatte der Totengräber dank mir schon eine ganz feuchte Schulter. „Auf Amy aufzupassen“, lächelte er warm. Ich streckte augenblicklich meine Wirbelsäule und schreckte so ein Stück aus seiner Umarmung: „Wie...?“ Undertaker nahm mich mit einer Hand an den Schultern und wischte mir mit der anderen die verbliebene Wange trocken: „Wenn ich ganz ehrlich bin kommen deine ungewöhnlichen Begabungen zur allzu rechten Zeit.“ Grell und Ronald traten einen Schritt näher, während Undertaker meinen nass geweinten Pony mit geschickten, kalten Fingern richtete. „Wie es scheint wollen die Trancys Amy entführen und damit die Phantomhives erpressen. Ihre Ausgangslage für diesen Plan war ziemlich gut. Dann kamst du“, stemmte der rote Reaper die Hände in die Hüften. „Wenn sie das schaffen sollten“, Undertakers Hand blieb an meiner Wange und gab mir ein ungeahnt großes Gefühl von Sicherheit: „Haben sie mit einem Schlag unser aller Hände gebunden. Dass Amy etwas zustößt, könnte keiner hier verantworten. Ich möchte, dass du, wie die treue Freundin und Seelenschwester die du bist, nicht vom Amys Seite weichst und Alarm schlägst, sobald du auch nur die vage Ahnung hast irgendetwas Komisches könnte in der Nähe sein, verstehst du mich?“ Ronald nickte eifrig, als ich noch dabei war die Bitte zu verarbeiten: „Genau. Wir werden dir sämtliche Nummern geben, die wir zusammen bekommen. Alex, Heph, Fred, Lee, Sebastian, unsere, Undertakers Festnetznummer. Klingel alles durch sobald dir etwas nicht geheuer ist.“ „Aber“, mein Blick wanderte zwischen den drei Sensenmännern hin und her. Sollte ich wirklich nützlich sein? Ich? Ein verfluchter, kleiner Freak? Ich schluckte verstört, über die noch nicht ansatzweise gesetzte Erkenntnis. Ich hatte die Nase voll von Erkenntnissen. Ehrlich und endgültig: „Was ist, wenn ich ständig falschen Alarm schlage?“ „Dann“, war ich schon fast erschrocken Williams Stimme aus zweiter Reihe zu hören. Der Aufsichtsbeamte klang nicht ansatzweise emotional beteiligt, doch ich tippte die Tatsache das er sich überhaupt bemühte seine Stimme zu erheben war seine Art und Weise deutlich zu machen, dass ihm das Wohlergehen der Anderen ganz und gar nicht so egal war, wie er bemüht war es wirken zu lassen: „Freuen wir uns dieses Umstandes. Immer wieder aufs Neue. Auch bei solchen Fähig- und Fertigkeiten macht Übung den Meister, Miss Rosewell.“ Ich sah William durch den Spalt zwischen Ronalds und Grells Köpfen. Sein Gesicht war hart wie gewohnt, doch in seinen grünen Reaperaugen lag ein Funken Sorge, der arg unterdrückt wirkte. Dem strengen Shinigami lag wohl tatsächlich mehr an seinen Freunden, als er selbst wahrhaben wollte. Wahrscheinlich wollte er noch nicht einmal wahrhaben, dass sie seine Freunde waren. Ich atmete raschelnd durch und nickte: „Ok“, ich schaute Undertaker ins Gesicht: „Natürlich. Ich bleibe bei Amy.“ Undertakers warmes Lächeln wurde weiter: „Ich habe nichts anderes von dir erwartet.“ Auch wenn ich dieses Lächeln so sehr mochte fielen meine Augen wieder nach unten. Undertaker seufzte. Ein mitfühlendes Schmunzeln klang darin mit: „Schau nicht so resigniert. Wo ist deine Abenteuerlust?!“ Ich blinzelte zu ihm hoch: „Abenteuerlust?“ Undertaker nickte. Ein Lachen mogelte sich wieder aus seiner Kehle. Es war warm, amüsiert, aber in keinster Weise irgendwie beleidigend. Es war meiner Gemütslage gegenüber auch nicht abwertend, eher im Gegenteil: „Tihihihihi! Aber natürlich! Das alles ist doch furchtbar spannend! So viel, dass nur darauf wartet entdeckt zu werden!“, er grinste breit, als er dieses Mal seinen Zeigefinger nahm und ihn auf meiner Nasenspitze drehte. Das ist immer wieder ein komisches Gefühl. Es kitzelte. Deswegen schüttelte ich unwillkürlich leicht meinen Kopf, als ich die Nase rümpfte. „Einiges“, William trat einen Schritt vor. Grell und Ronald machten ihm bereitwillig Platz. Mit einem komischen Gefühl sah ich die große Astschere in seiner schwarz behandschuhten Hand. Es wurde mir zwar nicht erzählt, doch ich war definitiv nicht blöd genug um nicht mitzubekommen, dass dieses Ding wohl Williams 'Death Scythe' war. Genauso wie Grells Kettensäge und der Rasenmäher von Ronald. „Könnten wir jetzt schon herausfinden“, endete William seinen Satz und schob seine Brille die Nase hoch, obwohl sie immer noch nicht heruntergerutscht war. Ich stellte fest: Der Shinigami hatte wohl einen ziemlich hartnäckigen Tick. Ich schüttelte den Kopf als mir selber klar wurde, dass mir gerade eher Williams Death Scythe durch den Kopf gehen sollte. Oder im besten Fall eben nicht: „Wie meinst du das?“ Undertaker hatte mich immer noch im Arm. Das war auch der einzige Grund warum ich mich immer noch einigermaßen sicher fühlte. Ohne die Umarmung wäre ich schon bei dem bloßen Anblick von Williams Death Scythe auf und davon gewesen. Schließlich hatte auch William gestern bewiesen, dass er mit diesem Ding ausgezeichnet umgehen konnte. Meine Augen wanderten ein Stück zu Undertaker. Er musterte den strengen Sensenmann mit einem Grinsen, in dem allerdings eine klare Warnung stand. William räusperte sich: „Ihr könnt Records sehen. Eigentlich ist diese Fähigkeit Sensenmännern vorbehalten. Allerdings sehen Engel und Dämonen sie auch. Von daher erklärt ein Fluch diese Fähigkeit ebenfalls. Es gibt sogar Engel, die sie beeinflussen können. Ob es auch Dämonen gibt die dessen mächtig sind ist unbekannt, aber nicht ausgeschlossen. Doch es würde mich interessieren, ob es sich bei ihnen auf sehen beschränkt.“ Ich verschwand ein kleines Stück mehr in Undertakers Arm, sodass nur noch meine Augen William anschauten: „Und wie… willst du das herausbekommen…?“ Undertaker hielt mich ein Stück fester: „Ehehehe. Eine mehr als berechtigte Frage, William.“ Unwillkürlich nahm ich meine schlaff herunter hängenden Hände und krallte sie in das Hemd des Bestatters. Seine Anhänger, die er immer noch über der Schulter mit sich herum trug, klimperten leise dabei. William hob seine Hand: „Nicht, indem ich der jungen Miss Rosewell schade“, dann schnitt er sich selbst in die Handfläche. Braune Filme platzten daraus hervor. Viele. Sie wirbelten durch den Raum. Aus meiner Position in Undertakers Armen wanderten meine Augen über die vielen Meter Film. Ich erfasste eine Szene, in der William auf einem Dach stand. Es war eindeutig William, obwohl seine Haare ziemlich zauselig waren. Das der Shinigami so aussehen konnte, ich traute ja fast meinen Augen nicht. Ein Mann mit kurzem, rotem Haar meckerte ihn an. Seine Zähne waren spitze und scharf. Mein Kopf ratterte bis endlich der Funken übersprang. Es war Grell. Definitiv! Wahrscheinlich eine Version von Grell, die schon einige Jahre zurück lag. Genau wie der relativ strubbelige William. Ich blinzelte verwirrt, war es jetzt doch immer anders herum. Heute meckerte der strenge William immer den flamboyanten Grell an und stampfte ihn verbal, aber unangespitzt, in den Boden. Ein paar Bilder weiter gingen die Beiden aufeinander los. Unwillkürlich krallte ich mich fester in Undertakers Hemd. Ich selbst bekam es gar nicht richtig mit. Meine Aufnahmefähigkeit war in den letzten 12 Stunden einfach furchtbar überstrapaziert worden. Ich wurde mir dessen erst gewahr, als der Bestatter mich als Reaktion darauf etwas fester hielt. Ich schaute zu ihm hoch und er quittierte meinen Blick mit einem warmen Lächeln und keinem albernen Grinsen. Es wunderte mir, dass der Grat zwischen diesen beiden Gesichtsausdrücken alles andere als schmal war. Dazwischen lagen Welten. „Nimm ihn in die Hand“, hörte ich die trockene Stimme des Aufsichtsbeamten und schreckte aus dem Starren auf das Lächeln des Totengräbers auf. Ich blinzelte ihn an, als ich meine Gedanken wirklich nicht darauf fokussieren konnte was William meinte: „Bitte was?!“ „Meinen Record“, führte er aus und wirkte irgendwie genervt: „Nimm ihn in deine Hand.“ „Bist du… sicher?“, fragte ich und traute meinen Ohren nicht ganz. Generell war ich mir nicht mehr ganz sicher, was eigentlich wie und warum genau passierte. William nickte kurz. Meine Augen wanderten zurück zu Undertaker. Dieser nickte ebenfalls: „Tehe. Wenn William es sagt.“ Zögerlich streckte ich meine Hand aus und griff nach dem kleinen Abschnitt mit dem kurzhaarigen Grell und dem William mit der wuscheligen Frisur. Ich griff ins Leere. Der Record flog einfach durch meine Hand, wie ein Gespenst. Ich fühlte ihn nicht. Für meine Hand war er nicht da. Nur meine Augen verrieten mir, dass dieser Eindruck täuschte. Ich zog meine Hand zurück und beschaute sie. Ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte und blieb deshalb stumm. Mit einem Mund gerade wie ein Strich schaute ich auf meine immer noch recht zittrige Hand und drehte sie. Alles war ganz normal. Undertaker schnaubte mir ins Ohr, was wie ein unterdrücktes Lachen klang: „Nun. Bist du beruhigt William?“ Besagter Aufsichtsbeamter nickte kurz: „In der Tat.“ Ich ballte meine Hand zur Faust und zog sie an meine Brust als ich erst zu William und dann zu Undertaker schaute: „Ist… das gut?“ „Dass du Records nicht berühren kannst?“, legte Undertaker den Kopf schief und sein Pony fiel zur Seite, sodass mir nun beide seiner kristallklaren Augen entgegen blitzten. Auch in ihnen brach sich das Licht der grellen Leuchtstoffröhren. Mir sprang der Gedanke durch den Kopf, dass das Grün seiner Augen viel klarer und strahlender war als das Grün des riesigen achteckig, facettierten Smaragdes in seinem Ring. Man würde seinen Augen einfach nicht gerecht werden, würde man diesen Stein als Vergleich nehmen. Und der war très très chic, hatte fast keine Einschlüsse und eine satte intensiv grüne Farbe. Mit einem von seinen eigenen Lippen fast erstickten Lachen wanderten die beiden Augen von meinen weg. Mal wieder stellte ich fest, dass ich ihn angestarrt hatte. Ich hatte nur leider keine Ahnung wie lange. Meine Pigmente, die aufgrund meines mittelschweren Schocks verschwunden waren, kamen wieder und ließen meine Wangen brennen, während ich mich in Grund und Boden schämte. Ich hasste diese Augen… weil ich sie so unglaublich gerne mochte und mich wie ein Trottel aufführte, indem ich einfach gar nichts mehr tat sobald ich sie sah. Irgendwann fange ich wegen ihnen noch an zu sabbern! Das ist auch der Zeitpunkt an dem ich mich, ungeachtet aller Folgen und eventueller Leben-nach-dem-Tod-Konsequenzen, erschießen würde! Meine Augen folgten denen des Bestatters trotz allem und landeten schließlich bei seiner linken Hand, die nach Williams Record griff. Im Gegensatz zu mir bekam er den Filmstreifen allerdings zu fassen. Er zog ihn näher zu sich heran und er lief durch seine Finger, wie durch das Bildfenster eines alten Filmprojektors, die er genau zwischen unsere Körper hielt. Losgelassen hatte mich mit seiner anderen Hand allerdings immer noch nicht: „ Dass du sie nicht greifen kannst ist eher beruhigend. Das heißt du kannst keinen Schindluder mit ihnen treiben.“ „Sei ja vorsichtig damit“, schaute William schon fast mürrisch auf Undertakers Hand durch den sein Film lief. Dieser kicherte nur. „Schindluder?“, fragte ich irritiert und schaute immer noch auf den Film der durch diese langen, schlanken Finger glitt: „Wie soll man denn damit Schindluder treiben?“ „Ehehehehehe!“, lachte der Bestatter auf: „Wir hatten mal das zweifelhafte Vergnügen mit einem ganz“, er wog grinsend den Kopf hin und her als suche er das richtige Wort für seine Beschreibung: „Einzigartigen Vertreter der Engel. Er, oder sie, hatte die Fähigkeiten Records umzuschreiben.“ Meine Augen wurden groß: „Records umzuschreiben? Ich dachte die Records sind die Erinnerungen eines Wesens!“ „Sind sie“, antwortete William knapp: „Diese… ‚Gabe‘ war auf viele Art und Weisen ärgerlich.“ Ich schaute zwischen Undertaker und William hin und her: „Auf welche denn?“ Der Totengräber giggelte, als erinnerte er sich eines guten Scherzes: „Tihihihihihihi! Wie schon gesagt: Die Records sind die Erinnerungen eines Menschen, oder anderer Wesen. Seine Vergangenheit. Doch die Vergangenheit, die kann selbst Gott nicht mehr ändern. Manipuliert man also die Records zeigen sie nicht mehr die Wahrheit. Sie stimmen nicht mehr mit dem überein was wirklich geschehen ist.“ William rückte seine Brille zurecht: „Sind der Record und die Vergangenheit nicht mehr synchron, können Seelen nicht mehr beurteilt und überführt werden.“ „Was“, mein Kopf wurde ganz warm vom Mitdenken und meine Kopfschmerzen klopften abermals an meiner Schädeldecke an. Ich fühlte mich zunehmender schwächer und ausgelaugt: „Bedeutet das genau?“ „Shinigami“, Undertaker hielt mir den Filmstreifen näher ins Gesicht: „Haben nur Einfluss auf die Seele. Die sterbliche Hülle unterliegt den physischen Begebenheiten ihrer Welt. Sie stirbt und verrottet und wir können nicht viel dagegen tun. Selbst, wenn wir eine Person verschonen wollen würden, ist ihr Körper zu schwer verletzt, nicht mehr zu retten, müssen wir ihre Seele mitnehmen. Wie wir schon einmal kurz erwähnten, werden nicht abgeholte Seelen zu Geistern und Geister leben außerhalb der Zeit, gefangen in der Welt der Lebenden. Sie sind zwar nicht unsichtbar, zumindest nicht zwingend, doch unsterblich weswegen sie irgendwann gezwungener Maßen vereinsamen und wahnsinnig werden. Einen Geist einzufangen ist eine ziemlich anstrengende und lästige Angelegenheit und wird nur von höheren Reapern in Angriff genommen.“ „So wie...“ „Grell und William einer sind“, unterbrach mich Undertaker abermals und drehte meine Bemerkung die auf seine Vergangenheit abzielen sollte in eine andere Richtung. Ich blinzelte verwundert und fragte mich still und heimlich warum er so darauf achtete, dass seine Vergangenheit nicht zur Sprache kam. Schließlich wussten doch alle hier wer… Mein Blick wanderte zu Othello, der wieder an seinem Schreibtisch saß und unsere kleine Gruppe von außen beobachtete. Plötzlich wurde es mir klar: Othello wusste nicht Bescheid. Er hatte keine Ahnung wer der Bestatter wirklich war oder gewesen ist und Undertaker wollte wohl, dass es so blieb. Es war sein gutes Recht. Nur er sollte bestimmen dürfen wer was von ihm erfuhr, oder eben nicht. Ich wusste auch nicht was für Wellen es schlagen würde, sollte ans Licht kommen wer Undertaker eigentlich gewesen ist. Vielleicht bedrohte es sein Leben in der Menschenwelt. Den Frieden den er sich dort eingerichtete hatte, sein Leben was er sich über Jahrhunderte dort aufgebaut hatte. Das war nun wirklich nichts was ich mir wünschte und ich entschied endgültig meinen Mund über das zu halten, was ich so alles in der Bibliothek über ihn erfahren hatte. Stattdessen konzentrierte ich mich auf das was Thema war: „Also… Seelen, die ihr nicht mitnehmt werden Geister. Seelen mit veränderten Records könnt ihr nicht mitnehmen, also werden sie zwangsläufig zu Geistern. Doch… Gegen Geister könnt ihr etwas tun, so wie es klingt. Auch wenn es anstrengend ist. Richtig?“ William nickte gewohnt knapp: „Es gibt vier Möglichkeiten mit einem Geist fertig zu werden. Das variiert ein bisschen je nach Art von Geist, den man vor sich hat.“ „Geister“, grinste Grell, stemmte eine Hand in die Hüfte und formte mit der anderen ein Handzeichen, indem er alle Finger außer Mittel- und Ringfinger ausstreckte: „Die aufgrund einer nicht erfüllten Angelegenheit auf halbem Weg zum Jenseits kehrt machen, wird man los indem man ihnen hilft ihre Angelegenheiten zu klären.“ „Oder“, kicherte der Bestatter: „Ihihihihi! Man begibt sich an die Disziplinen der Meisterklasse, die nur sehr wenige Shinigamis je beherrschen. Man kann ihnen erfolgreich einreden auf der anderen Seite sei das Gras grüner, bis sie sich freiwillig richten lassen, oder man gibt ihnen den ein oder anderen rabiaten Stoß in die richtige Richtung und richtet sie gezwungenermaßen. Ein menschliches Leben ist ziemlich hart auszulöschen. Das sollte man wirklich nicht unterschätzen. Den menschlichen Starrsinn übrigens, ehehehe, auch nicht.“ „Wenn der Geist nicht aufgrund unerledigter Angelegenheiten, sondern wegen irgendwas anderem noch in der Welt der Lebenden abhängt“, stöhnte Ronald: „Kann man ihn oft nur noch zerstören. Doch wild wutschnaubende Gespenster sind teilweise echt taffe Gegner. Natürlich ist dann auch die Seele futsch und der Papieraufwand enorm. Also ist das eher so das letzte Mittel.“ „Aha“, schaute ich den blonden Reaper an: „Papieraufwand, ja? Warum klingt es bei euch eigentlich immer öfter so als sei der Papierkram das was für euch wirklich schlimm ist, wenn ihr darüber sprecht eine EXISTENZ auszulöschen!?“ „Ist es nicht“, verschränkte Ronald die Arme und überschlug lässig die Beine im Stehen: „Ist ungefähr gleich schlimm.“ Mir klappte der Mund auf. Grell schüttelte den Kopf: „Wir sind keine Menschen. Vergiss das nicht.“ „Das ist doch kein Argument!“, polterte es aus mir heraus: „Mitgefühl ist doch nichts was uns Menschen vorbehalten ist!“ William schüttelte mit dem Kopf: „Aber Mitgefühl an der falschen Stelle zu haben, das ist nur allzu menschlich. Wir erledigen die Aufträge von Oben. Sachlich und emotionslos.“ „Bitte?“, machte ich verständnislos: „Was soll das denn heißen?“ „Dass unser lieber William es nur allzu sehr darauf anlegt die Dornen des Todes abzukriegen“, lachte der Totengräber neben mir, was ihn einen eisigen Blick Williams einbrachte. „Das ist totaler Schwachsinn“, konterte William: „So etwas wünscht sich wirklich niemand.“ „Dafür arbeitest du aber ziemlich hartnäckig darauf hin“, lachte Undertaker weiter und stellte William allein mit seiner Stimmlage ganz offen als Idioten hin. „Wie kommst du auf so einen Blödsinn?“, giftete William dem Bestatter entgegen, der sich wunderbar zu amüsieren schien. Trotz allem erbarmte er sich zu einer Antwort: „Manchmal kommt man mit einem Hauch Menschlichkeit weiter als einem Sterbenden im Todeskampf mit kalter Logik zu konfrontieren. Ehehehehehe! Das könnte Seelen rasend machen, William.“ Doch William schaute erst nur mit einem Stöhnen und einem Kopfschütteln an die Decke. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass die beiden Männer... ...A) Sehr unterschiedliche Arbeitseinstellungen hatten, die teilweise so gar nicht zusammen passten und ...B) Diese Diskussion nicht zum ersten Mal ausfochten. Zumindest standen Grell und Ronald stumm wie die Fische daneben und schienen genau zu wissen, was ein Einmischen ihrerseits für sie bedeuten könnte. Ich schaute zwischen Undertaker und William hin und her und hatte keine Ahnung worüber die Beiden da überhaupt redeten. Während Undertaker und William weiter (Undertaker lachender und William stöhnender Weise) darüber diskutierten welche Arbeitsweise nun die bessere war, beugte ich mich zu den beiden anderen Reapern: „Pst! Grell. Ronald.“ Grell hörte auf mit dem Kopf zu schütteln und Ronald setzte die Brille wieder auf die Nase, die er sich in die Haare geschoben hatte um sich durch die Augen zu wischen. Die beiden beugten ihre Köpfe zu mir. „Was ist los, Sweetheart?“, flüsterte Grell zu mir zurück um die beiden Streithammel nicht zu stören. Ronald legte mich musternd den Kopf schief, während er die Arme hinter dem Kopf verschränkte. „Was sind diese… äh… Dornen des Todes?“ Grell seufzte kurz: „Eine Krankheit. Die Einzige, die sich ein Reaper einfangen kann.“ Ich blinzelte mit beiden Augen: „Okay… Und was hat das mit der Arbeitsweise zu tun?“ Irgendwie machte das alles für mich nicht viel Sinn. Doch Ronald lachte kurz auf: „Die Dornen holt man sich, indem man von einer wütenden Seele befallen wird. Ein guter Reaper zeichnet sich dadurch aus, dass er mit den Seelen so umgehen kann, dass sie nicht anfangen zu wüten oder sie wieder beruhigen kann, wenn sie es tun. So infizieren sie sich nicht.“ Ich blinzelte weiter und nickte langsam: „Ist sie… schlimm?“ Grell nickte: „Zu 100% tödlich. Ein Heilmittel gibt es nicht.“ Jetzt klappte mir kurz der Kiefer auf: „Aber… Ihr seid der Tod. Wie kann der Tod sterben?“ „Wir sind nicht DER Tod“, lachte Ronald: „Wie sind eher sowas wie seine Handlanger.“ Ich rieb mir durch meine müden Augen, als ich versuchte den Beiden zu folgen: „Das klingt alles irgendwie sehr dramatisch...“ „Ist es auch“, seufzte Grell und stemmte die Hände in die Hüften: „Auf der Haut bilden sich dornenrankenartige Geschwülste. Sie breiten sich vom Handgelenk aus und sobald sie das Herz erreichen, war es das auch schon. Es gibt Schöneres.“ Mir klappte der Mund ein Stück auf. Das klang nicht nur dramatisch, ich bekam schon Phantomschmerzen wenn ich nur daran dachte, dass sich dornige Geschwülste durch meine Haut fressen, bis sie schließlich das Herz erstechen. Unwillkürlich rieb ich mir knapp unter dem linken Schlüsselbein über die Brust. „Es gibt das Gerücht“, warf Ronald ein: „Dass man die Dornen heilen kann, wenn man 1000 reine Seelen zusammen kriegt.“ „Einige haben es tatsächlich versucht, doch niemand hat es geschafft“, grinste Grell ganz komisch: „Also heißt es folglich: Hast du die Dornen, mach dein Testament.“ Spontan machte die Diskussion der Beiden anderen Reaper mehr Sinn. Anscheinend ging es darin gar nicht darum wie man seine Arbeit effektiv, sondern für sich selbst sicher machte. „Ich habe auf diese Diskussion keine Lust“, hörte ich William in einem sehr abschließenden Ton sagen. Undertaker lachte darauf hin nur. Sein Lachen war relativ dunkel, fast fies amüsiert: „Ehehehehehe! Wie du willst. Aber beschwere dich nicht, wenn deine Arbeitsweise irgendwann nach hinten losgeht.“ „Wird sie nicht“, konterte William nur trocken: „Ich mache den Job nicht seit gestern.“ Das Lachen des Bestatters wurde wieder schriller, als ein krachender Lachanfall das kleine Untersuchungszimmer zum Zittern brachte, wie ein ausgewachsenes Erdbeben. Die Gläser in den Regalen klimperten und Othello rollte eilig dorthin, um die herausfallenden Glasbehälter aufzufangen. William war schwer damit beschäftigt seinem Record zu folgen, der aufgrund des Lachanfalls des Bestatters hin und her zuckte. Grell und Ronald umarmten einander um nicht umzufallen. Ich musste mir die Ohren zu halten. Der Platz neben Undertaker hatte großes Potential für Hörschäden, wenn der Totengräber etwas wirklich lustig fand. Worüber genau er lachte, erschloss sich mir aber nicht so wirklich. Ein kleiner Schrei und ein komisches sirrendes Geräusch schnitten durch das krachende Lachen. Alle, außer der sich tot lachende Totengräber, schauten schlagartig zu Othello. Er hatte einen Arm voller Behälter, hielt mit dem anderen einen Rippenspreizer an der Wand fest und hatte seine Beine gespreizt. Dazwischen steckte eine große Knochensäge im Boden, die wohl von der Wand gefallen war. Da Othello etwas bleicher um die Nase war als üblich, tippte ich, dass er seine Beine nur recht knapp aus der Schusslinie gebracht hatte. Irgendwann beruhigte sich der Leichengräber wieder und Othello erhob sich, räumte betont langsam wie provokativ die Tiegelchen und Töpfchen wieder in den offenen Schrank, zog mit einem eindeutigen Gesichtsausdruck die Knochensäge aus den Boden und hing sie ohne den verständnislosen Blick von Undertaker zu nehmen wieder an die Wand. Ich schaute Undertaker an, der nur mit der Hand über den Mund weiter giggelte. „Du sollst aufpassen!“, fauchte Willam angestrengt Undertaker an: „Das ist kein schlechter Hollywoodstreifen!“ Giggelnd ließ Undertaker Williams Record los und er verschwand in der Hand des Aufsichtsbeamten. „Wie auch immer“, schaute ich zurück zu William dessen Augen mich über den Rand seiner Brille kalt an blitzten: „Ein tobender Geist ist extrem gefährlich. Für alle. Auch für andere Menschen. Manchmal muss man zu den drastischen Mitteln greifen. Für das höhere Wohl“, William schaute noch mal zu dem giggelnden Bestatter: „Da ist so oder so kein Platz für Mitgefühl.“ Ich stockte schon fast erschrocken. William hatte Recht. Seine Logik war ziemlich rücksichtslos und fast schon grausam. Aber… sie war wahr. „In solch einem Fall gebe ich dir ja auch Recht, William“, ich riss meine weit offenstehenden Augen von William los und drehte mich zu der giggelnden Stimme neben mir. Auch Undertaker drehte sich von William ab und sah mich mit einem Grinsen, aber mit einem reichlich merkwürdigen Ausdruck in den klaren, grünen Augen an: „Bedenke auch das dieses Dasein für die armen Seelen selbst nicht wirklich… nun ja hehe, erfreuend ist. Für die Ewigkeit ist nichts geschaffen. Früher oder später wird alles verrückt, was nicht sterben kann. Sie sehen ihre Lieben sterben. Alles geht, nichts bleibt. Ein grausames Schicksal.“ Obwohl sein Tonfall unverändert belustigt klang, pikste diese Aussage irgendwo in mir drin. Undertaker war so alt. Irgendwie war ich mir sicher… er sprach aus Erfahrung. Er hatte schon erwähnt, dass er viele Freunde verloren hat. Bei dem Gedanken, dass er den Phantomhives jetzt schon seit 4, oder 5 Generationen zur Seite stand und mindestens 3 davon hat kommen und gehen sah, drückte schwer auf meine Brust. Ich zog besorgt meine Augenbrauen zusammen, als ich den trotz allem lächelnden Mann musterte. Er legte den Kopf schief: „Ist etwas?“ „Nein“, schüttelte ich aufgescheucht den Kopf: „Alles in Ordnung!… Nun ja…“, ich ließ den Kopf hängen: „Eigentlich nicht…“ „Der Schock wird sich setzen“, lachte der Totengräber wieder so unsagbar verständnisvoll: „Danach ist es um einiges weniger schlimm.“ Ich seufzte entkräftet. Irgendwie machte mich das alles furchtbar müde. Ich merkte wieder ein paar Finger aufbauend durch meine Haare fahren: „Dieser Ausdruck steht dir nicht.“ Ich blinzelte dem Bestatter von unten an. Seine grünen Augen lächelten mich an, doch wirkten sie im selben Moment unendlich besorgt. Irgendwie… war das Gefühl schön, dass sich jemand Sorgen um mich machte. Und dann noch ein Jemand wie Undertaker. Was genau ich aber dabei fühlte konnte ich nicht wirklich beschreiben: „Es dauerte keine 24 Stunden und mein furchtbar ordinäres Leben… wurde zu einer ziemlich bizarren Freakshow...“ Undertaker lachte laut auf und hielt sich mit beiden Händen den Bauch: „Pahahahahahahaha! Das ist es erst jetzt?! Dabei hab ich mir so viel Mühe gegeben! Ehehehehehe!“ Mit dem Gefühl gerade nach allen Regeln der Kunst zum Clown gemacht worden zu sein, schaute ich Undertaker irgendwo zwischen resigniert und verständnislos entgegen und ließ die Schultern hängen, was der Bestatter noch nicht einmal zur Kenntnis nahm. Die Mühen mit Undertaker zu diskutieren ob solche Sprüche in dieser Situation denn wirklich nötig waren verkniff ich mir. „Nun?“, machte Undertaker, seine Mundwinkel gekräuselt in das gewohnte Grinsen. Er giggelte kurz: „Tihi. Ich glaube wir können die Heimreise antreten. Was sagst du?“ Ich atmete kurz durch. Othello nahm mir allerdings die Antwort ab: „Wir haben alles, was wir brauchen. Skyler ist verflucht, sonst nichts. Sie kann Records nicht beeinflussen. Damit gilt sie als ungewöhnlich, aber unbedenklich.“ Ich schaute zu Othello, der nachdenklich halb auf seinem Schreibtisch hing. Er lächelte mir entgegen, dann stand er auf: „Und ich muss dieses Mal mein Labor selber wieder in Schwung bringen, da ich in diesen Monat keine Fördermittel mehr bekomme…“ William schnaubte und schob seine Brille hoch: „Du hast schon alle Fördermittel aufgebraucht.“ Othello seufzte auf: „Ich weiß… ich weiß...“ Undertaker stand von der Liege auf und hielt mir seine Hand vor die Nase. Zögerlich griff ich danach und er zog mich auf die Füße. Er hielt mich an den Schultern und beschaute mein Gesicht: „Wie geht es dir?“ Ich blinzelte kurz mit den Augen: „Öhm… Ich weiß es nicht… Ich… Ich bin müde und furchtbar platt… Und... ich habe Kopfschmerzen...“ Grell verschränkte neben Undertaker die Arme: „Du bist auch recht blass, Herzchen.“ Ich schaute Grell kurz an: „Kann sein...“ „Isso“, tauchte Ronald auf der anderen Seite auf: „Aber du hast jetzt auch ein paar Nüsschen zu knacken. Dafür hältst du dich echt gut. Muss man dir lassen.“ „Ich“, begann ich, musste aber erst einmal tief durchatmen, bevor ich zu Ende sprechen konnte: „Weiß nicht so recht wie es jetzt weiter geht...“ „Viel wird sich erst einmal nicht ändern. Denn bedenke: Es hat sich nichts geändert. Du bist so geboren worden, meine schöne Puppe“, lächelte mich der Totengräber mit seinem Welten rettenden Lächeln an und nahm eine Hand von meiner Schulter um sie mir auf die Wange zu legen: „Wir werden uns etwas überlegen müssen, um herauszukitzeln was du kannst und dann musst du lernen damit umzugehen, solltest du irgendwelche Fähigkeiten haben die man aktiv steuern kann.“ „Es gibt… verschiedene Fähigkeiten?“, fragte ich relativ verwirrt. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob ich wegen den Fähigkeiten oder der Hand des Bestatters in meinem Gesicht so verwirrt war. Diese Verwirrung über die Verwirrung wiederum, verwirrte mich noch mehr. Die Welt fing plötzlich an ohne mich Karussell zu fahren. Mein Kopf fühlte sich leider nur an, als drehte er sich genau in die andere Richtung und mir wurde furchtbar schwindelig und übel. Mein leerer Magen rebellierte. Denn er war leer. Zum Frühstücken war ich ja letztendlich doch nicht gekommen. Dann hatte ich auch noch so unfassbar wenig und unruhig geschlafen. Mein Herz pochte verzweifelt gegen den Schwindel an und jagte mein Blut schmerzhaft pulsierend durch meine lädierte Schläfe. Ich fasste mir mit einer Hand daran und tat unwillkürlich einen Schritt nach hinten um mein Gleichgewicht zu halten. Ich hatte das Gefühl ich stand auf einem wackeligen Floss in einem arg unruhigen Fluss. Der Boden schwankte von rechts, nach links und wieder zurück. „Sky?“, mich fassten wieder zwei Hände an den Schultern und die Stimme des Bestatters mischte sich in die drehende Wildwasserfahrt um mich herum: „Was hast du?“ Ich legte die andere Hand an meinen aufgescheuchten Magen und schaffte es nur mit dem Kopf zu schütteln. Das generell schon beachtlich lädierte Gefühl in meinen Knien wurde immer mehr zu glitschigem Wackelpudding. „Was ist los?“, drang die Stimme des hochgewachsenen Totengräbers jetzt eindeutig besorgt zu mir durch. Ich fasste mit der Hand, die auf meinem Bauch gelegen hatte, seine Schulter um meinen weichen Knien entgegen zu wirken: „Ich… Mir...“ Trotz meines erbitterten Kampfes klappten mir die Beine unter dem Körper weg. Die Welt flackerte vor meinen Augen, was weitere Wellen furchtbarer Kopfschmerzen verursachte. Doch Undertaker reagierte schneller als ich fiel, schlang beide Arme um meine Taille und hielt mich so vom Boden fern. „Setzt dich“, hörte ich ihn sagen. Mir waren die Augen zu gefallen, doch ich schüttelte den Kopf: „Es geht gleich sicher wieder… Ich… bin ok.“ „Ich hätte es wissen müssen“, war ich mir nicht sicher, ob der Bestatter auf einmal etwas leiser sprach oder mir meine Ohren nun auch Streiche spielten. Doch als ich mich dazu zwingen konnte die Augen zu öffnen, schauten seine mir arg beschwert entgegen. „Was…?“, fragte ich zittrig: „Was hättest du wissen müssen?“ Undertaker schüttelte den Kopf und schloss dabei die Lider: „Dass du viel zu schwach bist. Du hast zu wenig geschlafen und fast nichts gegessen. Gestern war auch nicht gerade einfach. Ich hätte es dir irgendwie ausreden müssen.“ Dann schaute er mir die Augen. Tief. Mit diesen endlosen, grünen Augen und diesem unendlich besorgten Ausdruck darin. Wären mir meine Knie nicht schon weg geklappt, wäre es spätestens jetzt so weit gewesen. Der Bestatter wischte mir mit einer sanften Berührung ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ich schüttelte leicht den Kopf. Obwohl ich ihn kaum bewegte, rebellierte mein Magen heftig. „Es ist nicht deine Schuld“, sprach ich trotz allem, wenn auch mit reichlich zittriger Stimme: „Ich wollte unbedingt hier her kommen. Du wolltest es mir doch die ganze Zeit ausreden.“ Obwohl ich verneint hatte mich setzen zu wollen, hob mich Undertaker nonchalant ein Stück hoch und setzte mich wieder auf die Liege mit dem grünen Plastiküberzug. Grell seufzte und zog eine Hand aus den verschränkten Armen um sie fragend in die Luft zu heben: „Warum sagst du denn nichts?“ Ich presste die Augen zusammen und blinzelte dann angestrengt zu dem Schnitter mit den Feuerhaaren: „Was… sagen?“ „Na, dass es dir nicht gut geht!“, stemmte Grell verständnislos die Hände in die Hüften. „Ich…“, ich seufzte entkräftet: „Wusste es nicht...“ „Wie kann man so etwas denn nicht wissen?“, schüttelte William neben Grell den Kopf. „Ich“, ich stockte. Ich hatte ziemlich oft das Problem, dass ich nicht merkte wenn meine Kräfte zu neige gingen. Oder es nicht richtig interpretierte. Zumindest solange bis mein Körper den Dienst quittiert. Aber… Wie sollte ich das den 4 Männern vor mir erklären? Ich ließ den Kopf hängen und erging mich in peinlichem Schweigen. „Ihihihihi! Ich verstehe schon“, mit diesen gelachten Worten erschien ein Gewicht auf meinem pochenden Kopf. Nach ein paar Sekunden konnte mein von Kopfschmerzen geplagter Verstand dieses Gewicht als eine Hand identifizieren. Ich schaute zu dem Mann mit den Silberhaaren, der weiter lächelte wie der liebe Sonnenschein. In seinem Auge stand tatsächlich eine Unmenge an Verständnis, gemischt mit diesem dunklen, besorgten Schatten: „Sage uns einfach Bescheid, wenn es dir besser geht. Hehe.“ „Ach… es geht gleich sicher wieder“, murmelte ich dem Boden entgegen und ließ meine Augen sinken um sie zu entspannen. Eine weitere Hand erschien vor meiner Nase. Sie hatte keine langen Fingernägel und endete in einem reinweißen Kittel mit schwarzen Flecken. In ihrer Handfläche lag ein kleines, weißes Plättchen. „Traubenzucker?“, fragt eine Stimme, die ich erst heute kennen gelernt hatte. Ich hob meinen schweren Kopf. Othello stand neben Undertaker vor der Liege und lächelte mich an, während er mir das Stück Traubenzucker hinhielt: „Ist gut für den Kreislauf.“ Mein Blick wanderte zu Undertaker. Ihm hüpfte kurz der Pony aus dem Gesicht als er mit seinem breiten grinsenden Gesicht zustimmend zu Othellos Hand nickte. „Danke“, nuschelte ich und nahm mit spitzen Fingern das kleine, weiße Ding aus Othellos Hand. Ich legte es mir auf die Zunge und Othello seufzte fast belustigt: „Menschen sind schon echt komisch.“ Undertaker lachte auf: „Ehehehehehe! Du hast ja keine Ahnung wovon du redest!“ Othello lachte mit. Während das Stück Traubenzucker auf meiner Zunge zerlief schloss ich meine angestrengten Augen. Um mich herum war alles schwarz während sich die beiden Grim Reaper direkt vor mir weiter unterhielten. „Was bringt einen Sensenmann überhaupt dazu unter Menschen zu leben?“, fragte Othello. Undertaker quittierte diese Aussage mit einem amüsierten Lachen: „Ehehehehehe! Vieles Othello. Vieles.“ „Erkläre es mir!“, forderte der Wissenschaftler: „Du hast schließlich deine Brille und deine Death Scythe dafür abgegeben!“ ‚Warte‘, stockte mein Kopf und ich zog instinktiv die Augenbrauen zusammen: ‚Nein… Nein hat er nicht.‘ Damit war meine Vorahnung, dass Othello keine Ahnung hatte, bestätigt. Denn ich erinnerte mich daran, dass Undertaker erzählt hatte Deserteure müssten ihre Death Scythe bei ihrem Weggang abgeben. Hier lag die Betonung allerdings ganz klar auf dem Wort ‚müssten‘. Denn Undertaker hatte ja seine unglaublich gruselige Sense noch. Tatsächlich ließ die Stimme des Bestatter ein wenig auf sich warten. Nach einer ganz kurzen Kunstpause giggelte sie allerdings: „Nihihihi! Menschen sind einfach interessanter als Sensenmänner.“ „Hmpf“, machte Othello relativ verständnislos: „Wenn du meinst und es dir das wirklich wert war.“ „Tehehehehe! Ich bereue nichts.“ Ich öffnete die Augen wieder, als der Traubenzucker aus meinem Mund verschwunden und lediglich nur noch ein Nachhall seines Geschmackes übrig war. Undertakers Auge wanderte zu mir, ohne dass er den Kopf drehte: „Hehe. Geht es dir besser?“ „Ja“, log ich: „Es geht wieder.“ Die dünne Augenbraue über dem grünen Auge wanderte in die Höhe: „Bist du dir sicher?“ „Ja...“ „Ganz sicher?“ „Ja doch...“ „Wirklich sicher?“ „Jaaaaaa…“ „Lügst du mich gerade an?“ Ich atmete tief durch und ließ beim Ausatmen die Schultern hängen: „Ja...“ Undertaker lachte schrill auf: „Hehehehehe! Wusste ich es doch.“ „Ich kann doch nicht ewig auf dieser Liege sitzen bleiben!“, antwortete ich und meine eigene Stimme schnitt scharf in meinen von Kopfschmerzen geschädigten Kopf: „Ich… ich möchte langsam aber sicher heim… und Othello hat noch zu tun...“ Othello hob beide Hände als sein Name fiel: „Ich nehme dankbar alles entgegen was mich tragischerweise davon abhält mein Labor...“ Sein Blick traf Williams. Der Gesichtsausdruck des Aufsichtsbeamten war nur allzu leicht zu deuten: Sprich weiter und stirb. Natürlich war mir klar, dass William Othello nichts tun würde. Allerdings war ich mir genauso klar, dass er das wahrscheinlich auch gar nicht brauchte. William hatte sicher die ein oder andere Freiheit sich in wahrlich kreativen Sanktionen zu ergehen. „Also!“, nahm Othello eine Hand hinter den Rücken und kratzte sich mit der anderen durch seine irre Frisur: „Es gibt natürlich nichts was ich lieber täte, als jetzt sofort mein Labor aufzuräumen, aber weißt du ich… kann ja nicht einfach ein junges Mädel hier sitzen lassen… so ganz einsam und verlassen! Hehe…“ William verschränkte die Arme. Das war nicht gut: „Ich zähle hier noch 4 andere Reaper.“ „Natürlich!“, Othello druckste hin und her: „Aber… Ich hab ja… ähm... hier Hausrecht! Und bin so gesehen der Gastgeber… Weißt du da...“ „Reichen vier andere Reaper trotzdem vollkommen aus um sich um Miss Rosewells Wohlergehen zu kümmern“, konterte der strenge Schwarzhaarige ein weiteres Mal trockener als die Luft in der Sahara. „Aber William...“ „Othello“, schob Will seine Brille hoch: „An. Die. Arbeit.“ Prompt stand der Forscher stramm und salutierte sogar: „Aye! Aye!“ Dann verschwand der Forscher eilig aus dem Zimmer. „Lebt wohl Miss Rosewell!“, winkte der Forscher zum Abschied noch recht heiter aus dem Türrahmen zu mir herüber: „Ich hoffe wir sehen uns nie wieder!“ Undertaker Mit alltäglicher Routine öffnete William hinter dem Haus den Eingang in die Welt der Sensenmänner. Meine Hände in den Hosentaschen beschaute ich den grauen Raum mit den endlosen Bücherreihen. „Na dann“, Ronald streckte sich, bevor er sich aufmachte durch das Portal zu gehen: „Eigentlich hatte ich ja gehofft wir können unser ganzes freies Wochenende hier verbringen.“ „Hör auf zu jammern, Knox“, richtete William seine Brille. Er war merklich genervt und mein Mitleid hielt sich ebenso merklich in Grenzen. Stumm geschaltet von dem strengen Aufsichtsbeamten ging Ronald durch das Portal und William folgte ihm auf dem Fuße. Nur Grell blieb kurz neben dem Loch stehen: „Kommt ihr?“ Ich seufzte und schaute die junge Skyler an, die schon die ganze Zeit in meine Richtung schaute: „Letzte Chance.“ Sie schaute noch einmal auf das Portal, was ihr augenscheinlich recht suspekt war. Zu suspekt hoffte ich. Doch wie es mit Hoffnungen so war, blieben sie nur allzu oft unerfüllt. „Nein. Nein, wir gehen“, sprach das schöne Ding, nachdem sie ihre Hände an ihrer Hose trocken gewischt hatte. Othello war schlau und verdammt spitzfindig. Doch vor allem war er ausdauernd. Ich wusste nicht ob Skyler gerade selbst genug Ausdauer oder Kraft aufbringen konnte, um alles zu verarbeiten was folgen konnte. Mittlerweile war der Gedanke, dass Skyler anders war, nicht mehr nur mein Gefühl. Othello würde etwas finden, es stand zur Frage was, aber etwas war anders. Sky hatte schlecht geschlafen, praktisch nichts gegessen und noch einige Informationen von dem nächtlichen Gespräch im Garten zu verarbeiten. Menschen sind zäh, doch auch furchtbar zerbrechlich. Und Sky zählte auch noch zu den Menschen die so vorbelastet waren, dass es an ihrer mentalen Kondition zerrte. Wie viel sie noch tragen konnte, ich wusste es wirklich nicht. Und genau deswegen wollte ich nicht, dass sie in die Branche geht. Hätte sie zugestimmt, dass ich nachforschte hätte ich es noch ein paar Tage aufschieben können. Ihr ein, zwei Tage Zeit geben können, alles zu verarbeiten, was sie schon erfahren hatte. Ein paar Nächte ruhig zu schlafen, vorher ordentlich zu essen. Sich zu erholen. Doch so. So konnte ich das nicht. Sobald sie durch dieses Portal ging, wird alles Schlag auf Schlag folgen. Erbarmungslos: „Sky, ich finde das ist immer noch keine gute Idee.“ Sie seufzte: „Wir gehen.“ Doch ich schüttelte den Kopf: „Hör mir zu. Wir können dich auch bei mir im Laden untersuchen, wenn es den drei Vögeln dort so ungeahnt wichtig ist.“ Während ich sprach war Skyler hinter meinem Rücken verschwunden und ich versuchte sie über meine Schulter anzuschauen: „Sky?“ Doch just in diesem Moment schubste sie mich nach vorne, womit ich nun wirklich nicht gerechnet hatte. Mir entfloh ein quietschendes Geräusch und ich landete mit wedelnden Armen und dem Gesicht voran in der Bibliothek der Shinigamis. Dort standen schon William und Ronald und schauten zu mir herüber. „Stolperst du neuerdings über deine eigenen Füße?“, fragte Ronald nachdem ich mich aufgerappelt, ein wenig Staub abgeklopft hatte und zu ihnen herüber gegangen war. „Ehehehe! Bleibe friedlich, Bürschchen“, lachte ich ihm entgegen und verschränkte die Arme. „Du bist doch gerade Nase voran durch das Loch gepurzelt, oder nicht?“, konterte Ronald. „In der Tat“, grinste ich weiter: „Ehehehe. Unsere liebreizende Skyler meinte ihre Meinung mit Taten kundtun zu müssen.“ „Aha“, machte Ronald und zog beide Augenbrauen hoch: „Inwiefern?“ „Sie hat mich geschubst. Tehe.“ Ronald prustete und fing dann an zu lachen: „Ernsthaft?! Sie hat dich geschubst und du hast dich deswegen auf die Schnauze gelegt! Pahahaha! Die Kleine hat `nen Orden dafür verdient!“ Ich lachte mit ihm, was Ronald ein Stück weit den Wind aus den Segeln nahm: „Ja, in der Tat. Ehehehehe!“ William seufzte: „Wie auch immer. Ich gehe für Miss Rosewell den Besucherausweis holen. Sie darf diesen Raum solange nicht verlassen.“ „Nur für Sky?“, fragte Ronald und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf: „Wenn wir noch `nen zweiten Schießhund dazu bekommen, werden Fragen wegen Undertaker aufkommen.“ William seufzte genervter: „Ich bin sicher wir bekommen Niemanden dazu. Es sind drei Reaper anwesend. Das sollte reichen.“ „Und dich haben wir ja auch dabei. Nicht wahr mein werter William“, grinste ich den Aufsichtsbeamten an. Ich rechnete dem strengen Reaper seine Loyalität hoch an. Er war sehr wohl noch beleidigt von unserem kleinen Intermezzo vor dem Wintergarten, doch er wusste was es bedeuten würde käme heraus wer ich wirklich war. Und er war offenbar bereit einige Scherereien auf sich zu nehmen, damit ich weiter unerkannt blieb. William war ein hoch respektierter Reaper. Sein Wort hatte Gewicht, weswegen ich seine Zuversicht teilte. „Nenne mich nicht so“, drehte William seinen Kopf abfällig zur Seite. „Tihihihi! Wie soll ich dich nicht nennen?“ „ ‚Werter‘. William, einfach William, oder nein“, der Aufsichtsbeamte schob seine Brille hoch, wie er es immer tat. Vollkommen grundlos: „Mister Spears. Nenne mich Mister Spears.“ Ich lachte laut auf. Sicherlich 1, 2 Minuten lang: „Wahahahahahaha! Mister Spears! Ich fasse es nicht! Awuwuwuwuwuwuwu! Das klingt ja wie ein Waschmittel, William!“ Mit einem Stöhnen ließ William die Schultern hängen und schaute an die Decke: „So viel dazu… Nun, ich muss mir die Formulare besorgen. Das kann eine Weile dauern.“ William wirkte nicht traurig darüber sich für länger entschuldigen zu müssen. Ich kicherte weiter in meine Hand: „Warum braucht Sky überhaupt einen Besucherausweis? Spare dir doch einfach die Mühen. Tihihihihihi!“ Mir wäre es am liebsten die oberen Etagen wüssten nicht, dass Skyler gerade hier war. „Vorschrift ist Vorschrift“, antwortete William reichlich trocken und kurz angebunden. „Ehehehehehe! Ja, davon habt ihr sicherlich mehr als genug“, lachte ich und William verschränkte mit einem unbegeisterten Gesichtsausdruck die Arme: „Ich mache für dich schon eine Ausnahme.“ „Hehe. Ich bin dir deswegen auch äußerst verbunden, mein lieber William.“ William seufzte und rollte mit den Augen: „Nenne mich nicht ‚lieber‘, das ist verstörend!“ „Hihi! Bist du aber zart besaitet, teuerster William“, konnte ich einfach nicht aufhören den versteiften Mann etwas aufzuziehen. „Das ist nicht ansatzweise besser!“, echauffierte er sich und schüttelte abermals den Kopf: „Du nimmst nie ernst was man dir sagt, oder?“ „Warum denkst du das?“, entgegnete ich ihm lachend. William schloss seine Augen und schüttelte seinen Kopf weiter: „Meine armen Nerven... Warum wohl?!“ Als Antwort lachte ich den Aufsichtsbeamten aus. Er war auch einfach zu köstlich wie er sich brüskierte! „Ist“, hörte ich eine zarte Stimme hinter meinem Rücken: „Bei euch alles ok?“ Ich drehte mich herum und schaute in das ansatzweise irritierte Gesicht der jungen Skyler: „Oh! Hehehehe. Du bist ja schon da.“ „Ihr“, begann sie in einer zum Gesicht passenden Tonlage: „Wart vielleicht 15 Meter entfernt.“ „Ich dachte du zauderst länger“, grinste ich sie an: „Oder überlegst es dir doch nochmal anders.“ „Soll ich dich nochmal schubsen um deutlich zu machen, dass es nicht so kommen wird?“, entgegnete sie und verschränkte die Arme: „Und jetzt hör auf mir auszuweichen. Was ist los?“ „Oh, tihihihi! Gar nichts, gar nichts“, giggelte ich aufgrund dieses gelungenen Konters. „Sicher?“ „Ihihihi! Ja. William weiß nur den Wert echter Freundschaft nicht zu schätzen.“ Sie zog eine Augenbraue hoch: „Aha?“ „Der ‚Wert echter Freundschaft‘ liegt sicherlich nicht in albernen Spitznamen“, erwiderte William: „Es wäre wunderbar, wenn Sutcliff und du das endlich begreifen würden.“ Nach einem gespielten Seufzen giggelte ich weiter: „Ha… Ihihihihi! Sage ich doch. Nicht den Hauch von Wertschätzung. Tehehehehe!“ William seufzte auch nur ernsthaft angestrengt. Er hatte wahrscheinlich auch die Fähigkeit gestresst auszusehen wenn er gar nichts tat: „Ich muss gehen. Wir überspringen deinen Ausweis und hoffen, dass das gut geht. Aber Miss Rosewell braucht einen. Othello muss eine Akte anlegen, wenn dann kein Besucherausweis beiliegt kommen wir alle Drei in unaussprechliche Schwierigkeiten.“ „Und einen unaussprechlichen Berg Papierkram“, stöhnten Ronald und Grell im Chor, die nicht einmal die Hälfte von Williams Ambition besaßen. Ich öffnete den Mund um erneut Veto einzulegen, doch Skyler kam mir zu vor: „Gut. Dann hole ich mir halt einen Besucherausweis.“ „Den hole ich dir“, sagte William mittlerweile reichlich gereizt: „Du darfst diesen Raum bis dahin nicht verlassen.“ Sky nickte kurz: „Ok... Aber in diesem Raum darf ich mich bewegen, oder?“ „Ich beeile mich“, nickte William und streifte meinen Blick, als er sich umwandte. Wir sahen uns mit komplett gegensätzlichen Gesichtern an. Er gereizt, weil er wieder einige Vertuschungsversuch starten durfte und ich amüsiert, weil ich mich dafür rächen konnte, dass William mir heute furchtbar auf die Nerven ging. Es war einer dieser Tage an dem ich und der Aufsichtsbeamte nicht zueinander passten. Doch William wird alles regeln. Man konnte ihm viel unterstellen, aber nicht, dass er uns im Stich lassen würde. Er verschwand durch eine Tür. Mit geschlossenen Augen seufzte ich durch meine Nase. Das war nicht zwingend worüber ich mir Sorgen machte. William war ein hoch respektierter Reaper und sein Wort hatte Gewicht. Es war eher die ganze Situation, die mir wirklich nicht gefiel. Sky sollte nicht hier sein. Je nachdem zu was sie vielleicht noch fähig war, könnte der Dispatch auf ganz dumme Gedanken kommen. Dann stand es auch zur Frage, was William alles verhindern könnte. Ich war mir sicher er würde probieren größeres Unheil abzuwenden, aber wie gesagt: Ob er es konnte stand in den Sternen. Eigentlich war ich mehr als nur abenteuerlustig. Umso mehr unberechenbare Variablen es gab, umso besser und vor allem interessanter die Angelegenheit. Doch gerade widerstrebte es mir, den Ausgang nicht ganz abschätzen zu können. Ich wusste nur, dass Sky nicht hierbleiben würde, auch wenn die Reaper es wollten. Ich hatte den Dispatch schon einmal gegen seinen Willen verlassen, also würde ich es auch ein zweites Mal tun. Diese Aussicht trieb mir dann doch ein kleines Lächeln auf die Lippen und mir entfuhr ein kleines Lachen: „Ehehehehe! Diese ganzen Regeln! Ich weiß wieder warum ich gegangen bin. Das ist ja noch schlimmer als damals.“ „Wir kommen klar“, sprach Ronald gedehnt und neigte den Kopf leicht in meinem Richtung: „Es funktioniert ganz gut. Wir sind nur nicht darauf vorbereitet gewesen, mal so einen Fall wie Sky auf dem Tisch zu haben.“ Ich schaute von Ronald weg zu der jungen Skyler, deren Gesicht reichlich mitgenommen wirkte. Ihre Mundwinkel waren nach unten verzogen und sie blickte schon fast wehleidig in Ronalds Gesicht. „Mach nicht so ein langes Gesicht. Das wird schon wieder. Ich passe auf dich auf“, lächelte ich ihr aufmunternd entgegen, doch sie seufzte: „Das ist es doch gar nicht. Vor mir selbst kannst auch du mich nicht beschützen... Was ist, wenn ich ein ganz komischer Freak oder Mutant bin?! Irgendwas richtig Komisches und Ekliges?!“ Ich legte den Kopf schief und meine Hand auf ihre weichen Haare: „Weil du etwas Neues bist, sollst du komisch, mutiert oder eklig sein? Selbst wenn. Mutationen sind der Antrieb der Evolution, kleine Sky. Daran ist prinzipiell nichts Ekliges, Freakiges oder Komisches. Du bist perfekt, wie du bist, ok?“ Ihre blauen Augen musterten mich kurz überfordert, dann schaute sie schräg zu Boden: „Ich bin ganz sicher nicht perfekt...“ Ich fuhr mit der Hand ihr schönes, weiches Gesicht entlang und hob ihr Kinn zu mir: „Für mich schon. Ich finde deine Unvollkommenheit furchtbar perfekt.“ Ich lächelte, als Skyler wieder so unsagbar rot im Gesicht wurde: „Ach Quatsch.“ Sie wollte zur Seite schauen, doch ich ging mit meinem Kopf mit und ließ ihre himmelblauen Augen nicht aus den Augen: „Nichts Quatsch. Ich finde Ecken und Kanten sind eine Grundvoraussetzung für Perfektion.“ Sie starrte mir in das freigelegte Auge mit diesem blau so endlos wie ein blauer Sommerhimmel. Sie waren wunderschön. Zum niederknien und ganz und gar atemberaubend. Zu so vielen possierlichen Ausdrücken fähig. Mir fiel auf, dass sie ein wenig klarer wirkten als auf Amys Geburtstagsball. In ihnen lag immer noch der Schatten schmerzhafter Erfahrungswerte, doch wirkte er seit ein paar Tagen weniger schwer. Nicht mehr so im Vordergrund. Ein komisches Geräusch unterbrach meinen Gedankengang und ich schaute in die Richtung von Grell und Ronald, aus der das Geräusch kam. Der Blonde hatte den Rothaarigen von hinten unter die Achseln gegriffen, hielt mit einer Hand einen Arm in Schach und hatte die andere auf seinen Mund gedrückt: „Psst, verdammt versau' es nicht!“, tuschelte Ronald wohl in der Hoffnung wir würden ihn so nicht hören. Grell nuschelte etwas in seine Hand, doch war es nur ein abgewürgter Buchstabensalat. Diese alberne Szenerie brachte mich zum Lachen. Ich nahm meine Hand von Skys wunderbar warmer Haut und stemmte sie in die Hüfte, während ich die andere überlegend an mein Kinn legte: „Ehehehehe! Was wird das, wenn es fertig ist?“ Ronald und Grell schauten reichlich ertappt zu uns und erstarrten kurz in ihrem Rangeln. Dann ließ Ronald den Rothaarigen los: „Nichts!“ „Aha?“, machte Sky und war ohrenscheinlich genau so unüberzeugt wie ich. Grell kratzte sich breit grinsend am Hinterkopf und wedelte mit der anderen Hand: „Lasst euch von uns nicht stören!“ „Stören?“, zog sie eine Augenbraue hoch: „Wobei stören?“ „Öööööööhm“, machten die Beiden im Chor. Ihre Augen wechselten zwischen der schönen Sky und mir hin und her. Ich hatte das Gefühl ich ahnte worauf die beiden hinauswollten, aber die junge Skyler nicht. Ein komisches Gefühl gluckerte in mir auf, als mir klar wurde, dass sie keine Ahnung zu haben schien was ich wirklich fühlte. Das sollte mich eigentlich nicht verwundern. Ich hatte es nie ausgesprochen. Ich wusste nicht wirklich wie. Dieses Gefühl war gelinde gesagt grauenhaft. Doch ich kicherte: „Tihihi! Ihr seid manchmal ziemlich eigenartig, wisst ihr das?“ „Sagt der Richtige!“, gaben die Beiden ihm im Chor, mit in die Hüften gestemmten Händen und reichlich verständnisloser Mine zurück. Sky kicherte in ihre Hand: „Sie haben recht.“ „Hey!“, drehte ich lachend den Kopf zu ihr. Ihr helles Kichern vertrieb das grauenvolle Gefühl: „Ehehehehe! Bist du mir gerade in den Rücken gefallen?“ „Nein“, sagte sie mir wie vollkommen selbstverständlich ins Gesicht: „Ich habe nur die Wahrheit gesagt. Das willst du doch immer.“ Ich lachte weiter: „Nihihihi! Oh ja, oh ja, das ist wohl wahr.“ „Also“, verschränkte sie triumphierend die Arme und hob die Nase: „Beschwer' dich nicht!“ „Nehehehehehe!“, lachte ich erneut los, hob meine locker baumelnden Handrücken vor den Mund und drehte den Zeigefinger meiner anderen Hand auf ihrer erhobenen Nasenspitze, angetan von ihrer Verspieltheit: „Sei vorsichtig wenn es regnet. Sonst läuft deine kleine Stupsnase noch voll. Hehe!“ Sie wedelte meine Hand weg: „Lass das! Die darf gerade so hoch sein. Ich hab dich ausgespielt!“ Ich lachte noch lauter, als das kleine Spiel weiter ging. Solche Momente machte das wahrhaft gute Leben aus: „Pahahahaha! Denkst du ich hab kein Ass mehr im Ärmel?!“ Sie zog ihre schönen, großen Augen zu Schlitzen und ihren Mund in eine gespielt beleidigte Grimasse. Possierlich! Possierlich! „Kannst du die nicht einmal stecken lassen und mir ein bisschen Triumph gönnen?“ Als ich etwas antworten wollte um die kleine Spielerei weiter am Leben zu erhalten, fiel mir auf einmal Grell um den Hals: „Hey Herzchen?“ Ich wandte meinen Kopf mit einem fragenden Grinsen zu Grells spitzem Grinsen: „Was möchtest du, lieber Grell?“ Grell grinste breit und unterdrückte ein Lachen, konnte das Kichern aber nicht aus seiner Stimme verbannen: „Ich hab da eine Frage an dich!“ Meine Augenbraue wanderte über meinem konstanten Grinsen nach oben: „Aha? Ehehehe! Und die wäre?“ „Ist das nicht offensichtlich?!“, Grell schaute sich einmal um und stellte sich dann vor mich: „Was läuft da?“ „Ehehehe“, lachte ich: „Wie? Was läuft da?“ „Zwischen dir und der kleinen Sky!“ „Ehehehehe! Zwischen mir und Sky?“, ich schaute mich um, als ich mich wunderte, dass der Reaper über das junge Ding sprach, als sei sie nicht da. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, als ich merkte, DASS sie nicht da war. Ich schaute hinter mich und zur Seite: „Warte. Wo ist sie?“ „Mit Ronald weggegangen.“ Mein Kopf fuhr zu Grell: „Mit Ronald weggegangen? Warum? Wohin?“ Wenigstens war Skyler nicht alleine unterwegs, doch es widerstrebte mir sie nicht in meiner Nähe zu haben. Auf die eine... und andere Weise. Ronald war zuverlässig, auch wenn er hin und wieder nicht so wirkte, ja, aber ich wollte doch lieber immer selber sichergehen, dass Skyler wirklich in Sicherheit war. „Ich weiß nicht“, hob Grell beide Hände. „Du weißt es nicht?“, ich seufzte und setzte mich in Bewegung: „Na, dann muss ich sie wohl suchen.“ „Hey, hey, hey!“, Grell hüpfte vor mir her und hielt mich schließlich an den Schultern fest was mich stoppte: „Das meine ich mit offensichtlich! Ronald ist bei ihr und du vertraust Ronald. Nur wenn es um Skyler geht nicht. Du würdest dem lieben Gott nicht vertrauen, wenn es um dieses Mädchen geht!“ Ich zog eine Augenbraue hoch und musste trotzdem anfangen zu lachen: „Pahahahaha! Ich vertraue dem lieben Gott gar nicht und vollkommen überhaupt nicht!“ Grell stöhnte genervt, immer noch die Hände an meinen Schultern und rollte seine Augen zur Decke: „Himmel Herrgott. Das war eine Metapher!“ Ich verschränkte kichernd meine Arme um das ungute und fast ertappte Gefühl in mir zu kaschieren. Ich war mir nicht sicher, ob meine Gefühle wirklich so unfassbar offensichtlich waren oder der rothaarige Sensenmann einfach ein Auge dafür hatte. Es war bekannt, dass Grell für solche Dinge einen sechsten Sinn zu haben schien, doch war ich mir immer sicher gewesen recht undurchsichtig zu sein und genau kontrollieren zu können wer etwas von mir mitbekam und wenn was. „Nihihi! Grell! Was meinst du?“, fragte ich trotzdem nach um sicher zu gehen, dass Grell mich wirklich in dem Sinne ertappt hatte wie ich meinte, oder ob ich mittlerweile anfing Gespenster zu sehen: „Sprich schnell. Ich habe ein Mädchen einzufangen. Hehehehe!“ Auch mein alter Freund verschränkte seine Arme: „Ich wiederhole: Das ist doch offensichtlich! Und du bleibst jetzt hier und redest mit mir! Ronald ist bei ihr, ihr kann nichts passieren. Du kennst den Dispatch doch. Hier ist es ungefähr genauso gefährlich wie im Streichelzoo!“ Ich stützte meinen grinsenden Kopf in eine Hand, als ich Grell Recht geben musste. Das hieß allerdings nicht, dass es mein Widerstreben weniger werden ließ: „Fu fu fu. Fein, fein, aber dann erkläre dich.“ Grell ließ seufzend die Schultern hängen: „Undertaker, ich bin nicht blind.“ „Hehehehe, nein“, legte ich meinen aufgestützten Kopf schief: „Nicht, solange du deine Brille trägst.“ Grell seufzte wieder: „Verarsch‘ mich nicht, Herzchen.“ „Tue ich nicht!“, rief ich lachend aus und verschränkte meine Hand wieder unter dem anderen Arm: „Ihihihi! Was möchtest du mir sagen, Grell?“ Der rote Reaper stemmte die Arme in die Hüften und schaute mich nur vielsagend an. „Grell, jetzt sprich. Hehe.“ „Wie du sie anschaust und wie besorgt du bist!“, Grell zog beide Fäuste zum Kinn und wackelte mit seiner Hüfte hin und her, während er anfing zu quietschen: „Das ist sowas von süß!❤ Du magst sie oder?“ Ich nickte langsam und in mein Grinsen mischte sich eine Frage: „Ehehe. Ja, tue ich. Warum fragst du? Ist das nicht offensichtlich?“ „Das meine ich!“, Grell fing an zu hüpfen: „Es ist offensichtlich, dass du sie magst!“, dann streckte er mir seine Nase ins Gesicht: „Du magst sie sehr, ooooooder?“ Ich nickte ein weiteres Mal langsam: „Hehehehe! Ja und?“ „Wie sehr?“, legte der rote Reaper seinen Kopf schief. „Warum möchtest du das wissen? Hehe.“ Grell begann vor mir auf und ab zu gehen und streckte dabei einen Zeigefinger in die Höhe: „Ich habe an dir schon viele Blicke gesehen, über die Jahre. Alberne, vor Lachen heulende, ja sogar wütende und mordlüsternde! Aber nie hast du jemanden SO angeschaut!“ Ich lachte wieder: „Fuhuhuhu! Deinen theatralischen Hang zum Kryptischen in allen Ehren liebster Grell, aber wenn du eine Antwort möchtest solltest du endlich aussprechen was du von mir möchtest.“ „Ich glaube“, blieb er mit in die Hüften gestemmten Händen vor mir stehen und streckte eben diese in seiner gewohnt femininen Art zur Seite heraus: „Dass du verliebt bist, Undertaker! Nein, ich glaube es nicht nur! Ich bin mir sicher!“ Nun blinzelte ich ihn doch recht verwundert an. Irgendetwas in mir strauchelte und hielt mich davon ab sofort zu antworten. Hatte Ronald Skyler weggelockt, damit Grell ungestört mit mir sprechen konnte? Waren Beide dahinter gekommen? Auch Ronald hatte seine einschlägigen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht und war definitiv in der Lage Körpersprache zu deuten. Sahen die Beiden mehr als ich? Ich war verwirrt und irgendwie… fühlte ich mich sogar unsicher. Diese Empfindungen widerstrebten mir zutiefst. „Nun“, machte Grell erwartungsvoll: „Stimmt‘s, oder habe ich recht?“ Ich atmete einmal tief durch, was in einem Seufzen endete. Ich wandte meinem Blick von Grells mit spitzen Zähnen gespicktem Grinsen ab und schaute auf ein Bücherregal, als ich ebenfalls die Hände in die Hüften stemmte. „Ich… glaube schon, ja.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Zu lügen hatte nie einen Sinn und auch Grell war geschickt darin Lügner zu entlarven. Generell war mir Lügen auch einfach selbst viel zuwider, um es selber zu tun. „NOOOOOOAH! Wie süß! Oh mein Gott! Oh mein Gott! Wie süüüüüüüüß!❤“, rief der feminine Reaper aus und fiel mir um den Hals: „Erzähl mir alles! ALLES! Wie ist es? Nein! Wie ist sie?! Liebt sie dich auch?!“ Ich schaute Grell an und begann wieder zu grinsen: „Du bist aber neugierig. Hehe.“ „Aber sowas von!“, Grell wackelte mit mir hin und her und auf und ab: „Nun erzähl! Sonst muss ich platzen.“ „Ehehehehehe! Bitte nicht! Das wäre eine riesige Sauerei!“ „Lenk‘ nicht ab!“ Ein Seufzen mischte sich in mein Lachen: „Haa...Ehehehe… Es ist verwirrend, Grell. Sie ist wunderbar. Einfach vollkommen unfassbar wunderbar“, ich schaute wieder auf das Bücherregal: „Was sie fühlt weiß ich allerdings nicht.“ „BITTE?!“, Grell ließ mich los, aber nur um mir einen Arm richtig um die Schultern zu legen: „Das geht so nicht, Herzchen! Das müssen wir herausfinden!“ „Wir?“, lachte ich und mir schwante Böses. Grell meinte es oft nur gut. Nur leider ging es ebenso oft furchtbar in die Hose: „Ehehe! Warum wir?“ „Na, du scheinst es alleine ja nicht auf die Kette zu bekommen.“ „Ehehehe! Vielen Dank, Grell.“ „Nein, ehrlich! Ihr beide wärt so ein süßes Pärchen! Da muss was passieren! Verliebt! Oh mein Gott! Unserem Undertaker wurde das Herz geklaut“, Grell schüttelte mit einem zufriedenen Seufzer den Kopf: „Das ich das noch erleben darf“, dann streckte er einen Arm aus und zeigte mit seinem Zeigefinger elanvoll in die Luft: „Fürchte dich nicht mein Freund! Grell der Datedoctor ist auf deiner Seite!“ Ich fing an laut los zu lachen: „Pahahahahahaha! Ich fürchte mich nicht, Grell! Wuhuhu! Nun, jetzt schon. Aber vor dir! Fuhuhuhu!“ Mit einem vollkommen verständnislosen Ausdruck ließ er die Hand sinken und drehte langsam den Kopf zu mir: „Bitte was? Du könntest netter sein, wenn man dir Hilfe anbietet.“ Ich hob beide Hände: „Ihihihi! Wenn ich Hilfe brauche, melde ich mich. Gerade brauche ich nur eins.“ „Und was?“ „Ich will wissen, wo Skyler abgeblieben ist. Ehehehe! Komme mit oder bleibe hier“, ich wand mich aus Grells Arm und ging fort. „Nah! Die Liebe! Wie wunderbar!“, tauchte der Rothaarige neben mir auf: „Nun ja, es gibt eigentlich nur einen Ort hier, wo es etwas zu sehen gibt und du weißt wo.“ Ich lachte um das Seufzen zu kaschieren, was mir bei der Erkenntnis entfleuchen wollte: „Ehehehe! Ja, ich habe da leider so eine Ahnung.“ Grell und ich gingen ohne große Eile, aber mit einem klaren Ziel durch die Bibliothek. Auf halbem Wege stieß William wieder zu uns, einen Ausweis und drei Bücher in der Hand. Er wirkte als wäre er gerade aus einer Grube mit hungrigen Kobras geklettert und antwortete nur recht abgebunden auf unsere Begrüßung: „Ich habe alles. Lasst uns das schnell hinter uns bringen. Die Chefetage war nicht angetan von meinen Erzählungen.“ „Fu fu fu. Die sind von gar nicht angetan, liebster William.“ „Wie oft muss ich noch… Ach vergiss es. Wo ist Knox und Miss Rosewell. Sie soll den Raum doch nicht verlassen.“ „Hat sie nicht“, giggelte ich in meinen Handrücken: „Ihihihihi! Doch dieser Raum ist groß.“ „Und wo ist sie?“ „Tihihi! Das versuchen wir gerade selbst herauszufinden.“ „Wie bitte?!“, William schüttelte seinen Kopf: „Na wunderbar. Nicht eine Minute kann man euch alleine lassen.“ „Ronald ist bei ihr, Will. Beruhige dich“, legte Grell ihm eine Hand auf die Schulter: „Dein Blutdruck.“ „Mein Blutdruck“, schob William mit dem Ausweise seine Brille hoch: „Ist wirklich nicht das Problem. Ich hoffe Knox hat die Sache im Griff.“ „Ron ist kein Dilettant, Will.“ William schaute Grell an und wischte seine Hand von seiner Schulter: „Ansichtssache. Habt ihr eine Idee, wo sie sein könnten?“ „Statue“, seufzte Grell: „Ansonsten gibt es hier ja nichts zu sehen.“ „Nun“, William ging los: „Lasst sie uns schnell wieder einsammeln.“ Ich konterte nur mit einem herzlichen Lachen, was zu einer strafenden Stille führte. Zumindest hätte William sicher gerne gewollt, sie wäre strafend gewesen. Es dauerte nicht lange und wir schlenderten aus den hohen Bücherregalen heraus. Nun, Grell und ich schlenderten. William sah aus wie auf hoch geheimer Mission von internationaler Wichtigkeit. Also eigentlich wie immer. Dann öffneten sich die Buchreihen und wir kamen auf diesen unsäglichen Platz, mit dieser unsäglichen Vitrine und dieser noch viel unsäglicheren Statue. Davor standen Ronald und Sky, in ein Gespräch vertieft, die Augen an dieses Steinungetüm geheftet. Sky schaute dem blonden Reaper ins Gesicht: „Wieso?“ „Weil Claude es geschafft hat, dass Undertaker ihm die Kauleiste so richtig polieren will“, erklärte dieser im Plauderton und ich spitzte meine Ohren: „Also so richtig, richtig blank. Er hat sich heute Morgen beim Earl die Erlaubnis abgeholt Claude beim nächsten Treffen umbringen zu dürfen. Der Form halber. Getan hätte er es, glaube ich, so oder so.“ Sky machte große Augen und sah mehr als nur tief schockiert aus: „Wie bitte?! Um... um... umbringen?! Also töten?! So richtig... Tod?!“ Mein Kopf fiel zur Seite. Ich hatte immer noch das böse Gefühl, Sky hielt mich für viel netter und gütiger als ich wirklich war. Denn Fakt war: Ich war nicht nett und gütig schon gar nicht. „Ehehehehe! Was denn auch sonst?“, erhob ich schließlich meine Stimme und das junge Ding wirbelte zu mir herum. Sie lief nach ein paar irritierten Sekunden auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen: „Du willst Claude umbringen?!“ Lachend legte ich meinen Kopf auf die andere Seite: „Aber natürlich. Ehehehehehe! Diese kleine Made nervt mich jetzt seit 125 Jahren. Meine Geduld mit ihm ist am Ende, auch mit seinen kleinen, armseligen Tropfen von Meistern. Die Trancys und Claude haben in der letzten Zeit einiges getan, was besser nicht passiert wäre.“ Ich garnierte diese Aussage noch mit einem amüsierten Lachen. „Du willst Claude UND Oliver umbringen?“ „Und Hannah und Canterbury und Thompson und Timber. Hehehe!“ Skyler massierte mit einem schmerzvollen Gesichtsausdruck ihre Schläfen. Wer weiß was sie von der Plaudertasche Knox alles erfahren hatte. Der Junge musst dringend lernen seine Zähne zusammen zu halten. „Wer... wer ist das alles?“, fragte sie schließlich. „Die anderen Dämonen der Trancys“, antwortete William in einem Ton der verriet, dass wir uns in dieser Sache zumindest einig waren: „Ich begrüße dieses Unternehmen übrigens.“ „Was?!“, Sky wirbelte zu William: „Bist du verrückt, William?! Seid ihr an den Tod schon so gewöhnt, dass es euch nichts ausmacht einfach so 6 Wesen umzubringen?!“ Ich verschränkte die Arme. Warum hat sie Mitleid mit diesem schmierigen Aushilfsalptraum und seinen gestörten Strippenziehern? Der Gedanke an Claude machte mich rasend. Die Wut war zwar nicht mehr so sengend heiß, wie in dem Moment als ich Skyler am Boden liegen sah, doch nun war sie kalt und wartete in böswilliger Vorfreude auf ihre Chance. Und ich würde sie genießen, langsam und voller Pläsier, wenn ich sie zu fassen bekäme. Meine Wut war so kalt, dass sie mir bei dem Gedanken an den dämonischen Trancybutler durch den ganzen Körper kroch. Ich will diesen Mistkerl tot sehen. Ein für alle mal. Ich will, dass er die Mädchen in Ruhe lässt. Dass er Skyler in Ruhe lässt. „Wenn du jetzt Fragen möchtest“, konnte ich den kalten Hass nicht aus meiner Stimme verbannen. Ich konnte auch nicht verhindern, dass mein Gesicht eine grausame Fratze zu werden schien. Denn Grell schaute mich verstört an und hatte seine Gesichtsfarbe verloren. Skyler war mit dem Rücken zu mir eingefroren. Lediglich ihre Hände wanderten zu ihrer Brust. „Ob ich auch nur ein Fünkchen Mitleid mit diesen armen Gestalten habe“, führte ich meinen Satz zu Ende: „Ist die Antwort nein.“ Skyler fing an zu zittern. Ihre Hände wanderten über ihre Ohren und sie zog den Kopf mit ihren zusammengekniffenen Augen in die Schultern. Verwunderung erschien in allen Gesichtern. Dieser Anblick war… verstörend. Und er kam aus dem Nichts. Ich konnte ihn nicht beschreiben. Sie wirkte wie ein geschlagener Welpe, der sich klein machen wollte und versuchte aus der Welt zu verschwinden. Wir Shinigami schauten einander an. Keiner wusste was los war. Der kleine Schreck und die aufflackernde Sorge verscheuchte den eiskalten Hass: „Sky?“, sie reagierte nicht: „Skyler?!“ Als immer noch keine Reaktion kam kniete ich mich zu ihr herunter, nahm ihre Hände und zog sie von ihren Ohren. Ihre Augen sprangen auf. Ich hielt ihre dünnen, warmen, zittrigen Handgelenke fest: „Was hast du, Sky? Warum antwortest du mir nicht?“ Doch sie starrte mich nur an. Ich wollte gerade etwas sagen, da befreite sie eine Hand, streckte sie zu mir aus, strich mir sanft den Pony aus dem Gesicht und ließ ihre Hand an meiner Schläfe ruhen, ihre warmen Finger verworren in meinen Haaren. Ich blinzelte überrascht. Kniff dann die Augen ein Stück zusammen, als ich versuchte in ihrem Gesicht zu ergründen warum sie das tat. Doch ihre Augen wirkten, als seien ihre Gedanken ganz weit weg. Auf der Suche nach irgendwas im irgendwo. Ich legte meine nun freie Hand auf ihre: „Was ist los mit dir?“ „Ich hasse sie“, hauchte sie. Ich zog meine Augenbrauen zusammen als ich nicht recht verstand was los war. Ich drückte ihre Hand ein wenig fester, die immer noch in meiner Handfläche zitterte: „Was? Was hasst du?“ „Diese Tonlage“, sprach sie mit dünner Stimme. Ich blinzelte: „Tonlage?“ „Diese furchtbar kalte Tonlage“, sie atmete verkrampft durch: „Bitte... sprich nie wieder so... Sage nie wieder... solche Sachen...“ Ich wüsste nicht worauf sie hinaus wollte. Doch ich hatte eine Ahnung. Ich legte ihr meine andere Hand an die Wange, immer noch besorgt wegen ihrem doch sehr sonderbaren Verhalten: „Was für Sachen?“ „Das du jemanden umbringen willst... Du... Du bist doch kein Monster...“ Ich musste blinzeln und spürte wie ich die Kontrolle über mein Gesicht verlor. Ich, kein Monster? Dieses Mädchen hatte anscheinend ein furchtbar falsches Bild von mir. Ich schaffte es zwar mein Lächeln wiederherzustellen, doch mein Blick wanderte von Skyler weg. Ich wusste nicht ganz was ich davon halten sollte. Ich wusste nur, dass ihre Sicht auf mich viel Platz für böse Überraschungen bot, als ich wieder zu ihr schaute und lachte. Trotz allem: „Ehehehe. Sei dir dessen nicht allzu sicher.“ „Bin ich aber“, sagte sie auf einmal fest und vollkommen überzeugt, was mich ein weiteres Mal innerlich stocken ließ: „Du bist kein Monster. Warum... Ich meine... Was hat der Streit mit den Phantomhives und den Trancys eigentlich mit dir zu tun? Lass sich doch Sebastian um Claude kümmern.“ Diese herrlich naive Aussage ließ mich lachen. Ich schloss die Augen als ich kurz an die brennende Villa zurück denken musste, in der ich vor seinem letzten Atemzug meinem besten Freund versprach auf seine Familie zu achten. Sie zu beschützen. Ich lachte, auch wenn diese Erinnerung alles andere als lustig war. Sie schmerzte mir. Fürchterlich. Und weil ich diesen Schmerz nicht fühlen wollte, lächelte ich noch immer, als ich die Augen wieder aufschlug und in diese großen, jetzt irgendwie besorgten, blauen Augen schaute: „Ich habe jemandem versprochen auf die Phantomhives aufzupassen.“ „Wem denn?“, fragte sie und ihre Stirn kräuselte sich in ein paar besorgte Falten. „Vincent...“, sein Name versetzte mir einen Stich. Doch ich lächelte. Sky schaute zur Seite und biss sich auf ihre volle Unterlippe. „Und ich nehme meine Versprechen immer sehr ernst“, wollte ich jegliche Grundlage für Debatten oder Missverständnisse aus dem Raum schaffen: „Ich habe auch dir versprochen auf dich aufzupassen und der effektivste Weg dazu ist es diese unsäglichen Individuen ein für alle Mal loszuwerden.“ Ihre Augen richteten sich schlagartig wieder auf mich: „Hey! Halt! Für MICH musst du schon mal überhaupt niemanden umbringen, klar?!“ „Wenn ich nur damit sicher gehen kann, dass dir nichts mehr passiert, dann doch.“ Ihr klappte der Mund auf. Nach ein paar geschockten Sekunden nahm sie ihre Hand von meiner Schläfe und rüttelt mich an den Schultern: „Hast du ein Rad ab?!“ Um auf meinem Knie nicht umzufallen griff ich ihre Handgelenke und mein Kopf wurde nach vorne und nach hinten geworfen. „Hörst du mir eigentlich zu?! Schalt deine grauen Zellen wieder ein, mein Freund!“, schüttelte Skyler mich unentwegt. Nur leider hatte, was auch immer sie eigentlich vorhatte, nicht den gewünschten Effekt. Ihr Betragen, wie sie so energisch an mir herum schüttelte, fand ich mehr als nur furchtbar amüsant und fing an im Takt ihres Schüttelns zu lachen. „Was findest du daran denn jetzt so lustig, verdammt?!“, beschwerte sie sich als sie merkte, dass sie nicht erreichte was sie wollte. Ich legte ihr behutsam eine Hand auf den Kopf, als ich entschloss ihr die harte Wahrheit nun ein Stück näher bringen zu müssen. Sollte sie mehr mit uns zu tun haben, sollte sie ihr naives Bild von uns hinter sich lassen. Sie hörte auf mich zu schütteln, als meine Hand ihre seidigen Haare berührte: „Ehehehehe! Es gibt Dinge an die musst du dich gewöhnen, kleine Sky. Unser Leben ist blutiger, unsere Moral ist anders und wenn jemand nicht hören will, muss er fühlen. Ihihihihi! Die Trancys und all ihre Verbündete haben kein anderes Ziel, als uns zu vernichten. Wenn wir jetzt eine 'Keine-Gewalt-Politik' starten, sind wir alle einfach tot. Nehehehe! Die Phantomhives, die Shinigamis. Sie würden nicht aufhören bis sie jeden Feng, Hermanns und von Steinen zu ihren Ahnen geschickt haben und sie werden erst damit aufhören, wenn sie selbst tot sind. Tot und ausgerottet. Ehehehehehehe!“ „Aber“, sie legte abermals eine Hand auf ihre Brust und die andere fiel von meiner Schulter, wie ihre Augen aus meinem Gesicht: „Auge um Auge und die ganze Welt wird blind sein...“ Ich legte ihr die Hände auf die Schultern. Ein wahrer Satz. Doch nur benutzt von denen, die es nicht besser wussten: „Das ist sie schon. Schon lange. Glaube mir. Ich hab sie erblinden sehen.“ Ich lächelte sie an, als sie mich wieder anschaute. Irgendwie wirkte sie schon fast gepeinigt. Aber ich konnte nichts daran ändern, dass die Dinge so waren, wie sie waren. Und zwar schlecht und blutig. Dass Menschen starben. Gehasste Menschen. Geliebte Menschen…: „Ich tue, was ich tun muss. Für dich, ja, aber auch für Amy, Fred, Heph, Alex, Frank, Charlie, Grell, Ronald und William. Selbst für Sebastian. Sie brauchen meine Hilfe und das sind wahrlich nicht die ersten Wesen, deren Blut ich an meinen Händen kleben haben werde.“ „Du warst ein Sensenmann“, senkte sie wieder den Kopf: „Du hast Seelen geholt, weil es wichtig war, dass es einer tut.“ Ich lachte dünn. Diese unendliche Naivität. Sie war hinreißend. Und so gefährlich: „Du denkst wirklich, dass sei alles?“ Grell schüttelte den Kopf und stellte sich mit verschränkten Armen neben uns: „Mord und Totschlag sind sicher nicht unsere erste Wahl, aber einen anderen Ausweg sehe ich auch nicht mehr.“ „Jup“, mischte sich dann auch Ronald ein: „Aber die Trancys und ihre Dämonen sind einfach vollkommen plem plem. Da hilft kein Reden mehr.“ Sky schaute kurz Grell an. Hinter ihren Augen sah man ihre Gedanken rasen. Auch meine schlugen Purzelbäume. Mein Kopf repetierte so viele Tote. So viele Freunde. Ihre Geister werden mich ewig verfolgen, das wusste ich. Das war der Preis den ich zu zahlen hatte, für alles was ich getan oder auch nicht getan hatte. Für alles was mir gelungen oder auch misslungen war. Nach ein paar Augenblicken sah sie mich wieder an. Ich wuschelte ihr mit einem Lachen durch die Haare. Sie sollte sicher sein. Ich wollte dafür sorgen, dass sie sicher war. Doch die Wahrheit konnte ich ihr auch nicht verheimlichen, hatte ich ihr doch versprochen ihr alles zu erzählen: „Ich habe, seit ich bei den Menschen bin, hunderte Wesen umgebracht. Eine weiße Weste suchst du bei mir vergebens. Ich habe kein Problem damit Seelen in den Abgrund zu treten, wenn sie es verdienen und, Ehehehehehehe! Glaube mir ich bin gut darin“, mein dünnes Lächeln wurde zu einem Grinsen und ich dachte nun an die wesentlich amüsanteren Momente. So viele Feinde, deren verdorbene Seelen ich mit Pläsier und einem herzlichen Lachen dahin geschafft hatte, wo sie hingehörten. Direkt in die Hölle: „Hehehehe! Es macht mir sogar Spaß. Sky, ich bin ein Monster. Nihihihihi! Und ich lebe gut damit!“ Und das meinte ich wie ich es sagte. Ich hatte mit mir, wahrscheinlich als einziges Wesen dieser Welt, kein Problem. Sky musterte mich nun in einer endgültigen und genauso endlosen Fassungslosigkeit. Sie schien nicht zu wissen was sie denken sollte. Verübeln konnte ich es ihr nicht. Die Wahrheit war hart und meine Freude an dem Leid anderer unverständlich. Ich entschloss, dass diesem Thema nun genüge getan war und richtete mich mit einem Blick auf diese schändliche Statue auf, die alles repräsentierte was ich definitiv nicht mehr war: „Ehehehe! Steht das scheußliche Ding immer noch hier?“ „Bitte was?“, hörte ich Skys verständnislose Stimme neben mir. Doch ich verschränkte nur lachend die Arme, schaute sie an und nickte mit meinem Kopf und einem breiten Grinsen über ihr ungläubiges Gesicht auf die Statue: „Nehehehe! Na dieses unglaublich hässliche Steinungetüm.“ Sie schaute auf die Statue und dann zurück zu mir. Wieder purzelten die Gedanken durch ihre Augen: „Das… bist doch du. Beleidigst du dich nicht gerade selbst?“ „Ich?“, ich legte gespielt verwundert eine Hand an meine Brust: „Pahahahahahaha! Nein, das bin nicht ich.“ „Aber“, sie zeigte auf Ronald und ich lachte innerlich, dass ich sie tatsächlich soweit verwirrt hatte, dass sie ihre vorherigen Gedanken zu vergessen schien: „Ronald meinte...“ Ich drehte meinen Kopf zu Ronald: „Fu fu fu. Was hast du wieder erzählt? Ehehehe! Du musstest sie ja auch natürlich gerade hierher bringen.“ „Dass das du bist, als du noch als Sensenmann gearbeitet hast“, konterte Ronald trocken und ein wenig beleidigt: „Dafür, dass du über dein früheres Ich in der dritten Person sprichst, kann ich nichts und was anderes gibt es hier halt nicht zu sehen. Dafür kann ich übrigens auch nichts.“ „Tut er?“, fragte Sky verwirrt und schaute durch die Runde. „Tut er“, seufzte Grell und ließ die Schultern seiner verschränkten Arme hängen: „Ist furchtbar anstrengend.“ Sie schaute wieder zu mir: „Wieso? Du bist ein Idol, das ist doch klasse!“ Ich schaute sie an. Das Wörtchen ‚bin‘ war doch gehörig fehl am Platze. Ich bin definitiv kein Idol mehr. Für einen Shinigami war ich ungefähr so vorbildlich, wie die Borgia für das Christentum. Mein Kopf ratterte alles hinunter was an mir alles nicht mehr vorbildlich war. Die Liste war lang und umso mehr mir einfiel, umso breiter wurde mein Grinsen. Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass an mir einfach nichts mehr vorbildlich war und diese Erkenntnis brach in einem krachenden Gelächter aus mir heraus. Ein Gelächter, das sich jeglicher Kontrolle entzog. Dieses wunderbare Brennen fuhr in meine Lungen und ich fasste mir um den Bauch, als mir Skylers Ausspruch weiter im Kopf herumgeisterte und ich aufgrund dessen einfach immer weiter Lachen musste. Ich hatte keine Wahl. Irgendwann merkte ich wie mich jemanden an den Schultern packte und schüttelte: „Bist du denn vollends übergeschnappt?!“, erkannte ich die durch mein Lachen sehr leise Stimme als Grell und sah einen verschwommenen roten Schemen, durch meine Schleier von Lachtränen: „Du kannst doch nicht HIER stehen und lachen wie der Irre, der du bist!“ „Pahahahahahaha! Warum denn nicht?!“, fragte ich den roten Reaper in lachender Unverständnis. Lachen kann man doch wirklich überall und immer! Ich merkte Gewicht auf meinem Rücken und etwas fuchtelte in meinem Gesicht herum: „Vielleicht passt es dir nicht, aber das hier ist fast ein Heiligtum, verdammt!“ Die Hand wedelte unkontrolliert, wegen Grells konstanten Schütteln in meinem Gesicht herum, bis ich sie mir griff. „Bitte gehen Sie wieder ihren Beschäftigungen nach!“, hörte ich Williams laute, autoritäre Stimme: „Stellt ihn stumm, verdammt!“ „Ja, wie denn?!“, riefen die beiden Reaper im Chor, die mit ganzem Körperansatz und so wunderbar vergeblich versuchten mich aufzuhalten, dass es nur noch viel amüsanter wurde. „Lasst euch was einfallen!“ Auf einmal pikste mir etwas vollkommen unerwartet in die Seite: „Komm runter!“ Ich hatte es durch meinen von Lachtränen verschleierten Blick und mein lautes Lachen weder kommen sehen noch hören. Ich hüpfte wie vom Donner gerührt zur Seite und ließ Ronald los, dessen Gewicht auch sofort von meinem Rücken verschwand. Ich hörte auf zu lachen, nicht weil die Situation nicht mehr lustig war, sondern weil ich damit beschäftigt war alle potenzielle kitzligen Stellen hinter meinen Händen in Sicherheit zu bringen: „Tihihihihihihi! Lass das!“ Skyler stemmte die Hände in die Hüften: „Du hast es geschafft, dass die ganze Bibliothek auf uns aufmerksam geworden ist. Respekt.“ Ich wischte mir die Lachtränen aus den Augen: „Ach. Hahahahaha! Die sollen sich nicht so anstellen. Die können ein bisschen Lachen vertragen.“ William wandte sich zu uns während er sich mit einen Kamm durch die Haare fuhr: „So. Jetzt wo mein Ruf ruiniert ist: Können wir los?“ Ronald lag immer noch auf dem Boden, wo ich ihn hab fallen lassen: „Ich bleib liegen... Ich hab keine Lust mehr... und 'nen doppelten Schädelbasisbruch... Mindestens ne schwere Gehirnerschütterung....“ Grell gab William die Bücher zurück und zerrte dann an Rons Arm herum: „Stell dich nicht so an!“ Ich wandte mich mit einem Lächeln von der Szenerie ab. Meine Füße trugen mich wie von selbst zu der Glasvitrine und den alten Büchern. 10 Stück. 10 Bücher. 10 Leben. 10 Leben, die so lange gelebt hatten, weswegen sie so viele Geheimnisse hüten, das niemand erlaubt war hinein zuschauen. Mit verschränkten Armen ließ ich meine Augen über die Bücher schweifen: ‚Łucja … Marie… Pedro… John… Donovan… Akitsune… Nevet… Ehen… Alisa...‘ Ich hatte so viele Erinnerungen an diese 9 und sie waren alle so unendlich alt… Eine Stimme verhinderte den endgültigen Anflug von Nostalgie: „Was machst du?“ Meine Augen wanderten zur Seite. Neben mir stand Skyler, die Arme hinterm Rücken verschränkt und musterte mich immer noch recht sorgenvoll. „Hehe. Nostalgie“, lachte ich ihr leise entgegen. „Kanntest du sie? Alle? Warst du mit ihnen befreundet?“, fragte sie, während ihre Augen kurz über die alten Bücher und dann wieder zu mir wanderten. Ich nickte, als ich mit meiner Hand über das Glas fuhr, etwas was sich sonst kein anderer Reaper trauen würde außer die, die es sauber halten sollten. Ich schnaubte in Anbetracht meiner reichlich blassen Erinnerung an die Neun. Ich hatte keinen von ihnen vergessen, doch ich erinnerte mich wahrlich nicht mehr an alles. Doch das was ich wusste war schön. Alisa und William hätten sich gemocht. Sie war immer ähnlich gestresst und ernst, nur Nevet hatte sie hin und wieder zum Lachen gebracht. Nevet war auch nie wirklich erwachsen geworden, was gut und schlecht zu gleich war. Es war erfrischend, doch er hing nur allzu oft bis zur Nase in Schwierigkeiten. Ehen war das recht gewesen. Der ehrgeizige Hobbyforscher und selbsternannte Meisterdetektiv hatte nur oft genug Futter für seine Recherchen bei Nevets mehr oder weniger freiwilligen Abenteuern gefunden. Marie war immer sehr besorgt gewesen und hatte Nevet, und auch mich, nur allzu oft als ihre Sorgenkinder bezeichnet. Etwas, was Donovan und John nie so ganz verstanden. Die Beiden waren recht eigenbrötlerisch gewesen, doch wo John den Problemen ausweichen wollte, löste Donovan sie mit der Hand… oder einem Stuhlbein, je nachdem was gerade da war. Łucja hatte den Kopf oft soweit in den Wolken, dass sie alles um sich herum vergaß und Akitsune hatte immer versucht alles in Frieden und vollkommener Harmonie zu halten. Er hatte die Geduld eines Engels. Das brauchte er bei uns auch. Doch nun sind sie fort. Alle Neun: „Ja, aber, hehe, mittlerweile ist das alles nur noch ein Haufen Altpapier. Der Letzte von ihnen starb vor über 200 Jahren.“ „Das stimmt nicht“, legte Skyler den Kopf schief: „Du bist noch da.“ Meine Augen wanderten langsam zu der Statue. Ich hasste dieses Ding. Denn sie war im Endeffekt auch nicht mehr als ein riesiger Grabstein. Lauter lachend steckte ich meine Hände in die Hosentaschen: „Ehehehe! Ich wiederhole: Der Letzte starb vor über 200 Jahren.“ Sky zog fragend ihre Augen zusammen und schien meine Aussage nicht einschätzen zu können: „Welcher?“ Ich nickte zu der Statue: „Er“, dann ging ich wieder fort von dieser Gedenkstelle der Gefallen und Verlassenen. Im Vorbeigehen nahm ich Ronald am Schlafittchen und stellte den jammernden Reaper wieder auf seine Füße: „Ihihihi! Du faules Kerlchen. Jetzt stell dich nicht so an.“ „Ich bin ganz Undertakers Meinung“, sagte William in einem Tonfall der verriet wie selten dies vorkam: „Reiß dich zusammen Knox.“ „Haaaa… Ja, ja mach ich doch!“ „Ich meine das ernst, Knox. Wir haben für so ein Theater keine Zeit.“ „Haaaaa...Wir haben doch eigentlich frei!“ „Ja und da du dich so anstellst verlieren wir dadurch wertvolle FREIzeit“, William schob stöhnend seine Brille hoch: „Die Überstunden können wir nicht auf unsere Karte schreiben!“ „Noah! Echt nicht?!“, ließ der blonde Jüngling die Schultern hängen. „Nein.“ „Haaaa… Wasn Scheiß...“, verschränkte Ronald die Arme hinter seinem Kopf. Ich konnte mein Kichern nicht stoppen. Ich wusste nicht was witziger war: Ronald und Williams Privatkrieg, oder Grell der mit einem Handspiegel daneben stand und mit einem Finger am Kajal die Schlacht ignorierte. „Hey Will“, lenkte Grell irgendwann den strengen Aufsichtsbeamten an. „Was möchtest du, Sutcliff“, drehte er sich ein Stück zu ihm. „Kriegen wir das wenigstens bezahlt?“ William räusperte sich: „Was denkst du?“ Grell seufzte: „Offensichtlich nicht… Also sind wir wieder ehrenamtlich unterwegs, hm?“ „So scheint es“, nickte William fahrig. Während die Beiden sich unterhielten, drehte ich mich um. Sky stand immer noch an der Vitrine und schaute zu uns herüber. Ich lächelte ihrem ernsten Gesicht entgegen und winkte sie zu mir. Sie legte auch ihren Mund in einen Lächeln und kam auf uns zu: „So. Wo ist denn dieser Othello?“ „Wahrscheinlich in seinem Labor“, beschaute Grell irgendwie zerknautscht sein Gesicht im Spiegel. „Was machst du denn da?“, fragte ihn Skyler lachend. „Hach!“, Grell seufzte und zog an seiner Wange herum: „Ich glaube... ich hab da eine Falte...“ Das junge Ding klappte Grell den Spiegel zu und lächelte ihm entgegen: „Du siehst fabelhaft aus, Grell.“ Grells Augen fingen an zu leuchten: „Echt?! Findest du?!“ Sie nickte lächelnd: „Klar!“ Das schöne Ding erntete sofort die Früchte, die sie säte. Denn Grell fiel ihr um den Hals und kuschelte sie durch: „Noah! Du bist so süß!“ „Grell! Bitte lass das“, versuchte sie sich zu befreien. Erfolglos. „Oh, ist die Kleine nicht knuffig! Ein richtiges Herzchen!“, ignorierte Grell ihre Bemühungen ihn los zu werden. Eins von Skylers Augen zuckte: „Grell, bitte!“ Ich konnte nicht anders ich musste anfangen zu lachen. Ein herrliches Bild. Durch und durch. „Ah! So ein richtiges Schätzchen! Wir müssen mal zusammen shoppen gehen!“, freute sich Grell weiter. Irgendwie schaffte sie es unter Grells Armen hin weg zu tauchen. Sie lief zu mir und ich fühlte wie sie sich an meinem Rücken an meinem Hemd fest hielt: „Bei Zeiten, Grell... Sicherlich.... Irgendwann...“ „Sutcliff!“, rief William und die Freude schwand aus Grells Gesicht: „Benimm dich. Du repräsentierst den Dispatch. Was für ein Bild meinst du erzeugst du mit so einem Benehmen?“ „Es tut mir Leid, Will...“ Ich schaute Skyler mit einem Grinsen über meine Schulter an: „Ich hab dich gewarnt. Hehehehe!“ „Rette mich~“, fiepste sie leise. „Nehehehe. Ich schau was ich tun kann“, flüsterte ich zurück. William schob seine Brille wieder auf die Nase. Mal wieder: „Nun Miss Rosewell, folgt uns bitte.“ „William“, verschwand das Ziehen von meinem Hemd und Skyler trat neben mich: „Nenn mich doch Sky.“ William musterte sie kühl: „Ich bevorzuge Miss Rosewell. Lasst uns gehen.“ Das hübsche Ding und ich schauten uns gegenseitig an. Als sich unsere Blicke trafen mussten wir kichern. Es war schön zu sehen, dass sich die junge Frau wohl wieder ein Stück beruhigt hatte, von den ganzen nicht ganz so harmlosen Details die ihr gewahr geworden waren. Wir folgten den andern Dreien. Während wir durch die große Halle gingen, schaute Sky auf die Bücher die William mit sich herumtrug: „Was sind das für Bücher, William?“ „Das ist dein Record und der deiner Eltern“, erwiderte der Aufsichtsbeamte staubtrocken. Ich zog die Augenbrauen zusammen und eine hoch. Alles, was Skyler mir bisweilen über ihre Vergangenheit bei ihren Eltern erzählt hatte, war alles andere als schön und erbaulich gewesen. Nichts mit dem man hausieren ging. Sie wollte sicher nicht, dass die Reaper darüber im Bilde waren. Ich sollte recht behalten, denn Skyler rauschte an mir vorbei und drängte Grell so brachial zur Seite, dass er überrascht wie er war in ein leichtes Straucheln geriet. Ich hielt ihn an der Weste fest und der rote Reaper blieb auf seinen Füßen. „Bitte?!“, rief Sky zu William, obwohl er nun direkt neben ihr lief: „Mein Record?! Und der meiner Eltern?!“ „Ja, Informationen über deine frühe Kindheit und über deine Eltern, derer du dich wahrscheinlich nicht mehr erinnerst, könnten dem Finden der Wahrheit dienlich sein“, entgegnete William unemphatisch und von Skylers Aufregung vollkommen unbegeistert. Sky griff William am Arm: „Gib die her!“ William würde Skyler nichts tun, dass wusste ich. Doch sah man ihn seinen Widerwillen übers Skys Betragen deutlich an. Das Mädchen war definitiv mutig sich, trotz allem was sie nun über William und co. wusste, mit ihm anzulegen. William drehte sich zu ihr und wischte mit einer fahrigen Bewegung ihre Hände weg: „Das kann ich nicht tun.“ „Warum nicht?!“, blieb sie einfach stehen und nun war es einmal William der sich einer Standpauke erwehren musste: „Das sind meine Erinnerungen und die meiner Familie! Was bei mir Zuhause los war geht dich, oder irgendjemanden hier, gar nichts an! Das ist MEINE Sache! Das geht noch nicht einmal Gott etwas an!“ Doch Grell kam William, treudoof wie er war, zur Hilfe und versuchte Sky mit einer Hand auf ihrer Schulter zu beruhigen: „Beruhige dich Sky. William wird sich die Erlaubnis von der Administrative geholt haben. Wir gehen damit vertraulich um.“ Ich empfand Skylers Betragen ja als durchaus nachvollziehbar und vor allem vollends gerechtfertigt. Doch ich wollte sehen, ob sie es selber schaffte William und Grell umzustimmen. Ich hatte nicht viel Hoffnung dass sie es schaffte, doch ich wollte ihr nicht alles abnehmen. Sie war schließlich kein kleines Kind. Das hübsche Ding wischte Grells Hand von ihrer Schulter und drehte sich zu ihm: „Wer hier was erlaubt hat, ist mir vollkommen egal! Ich habe hier gar nichts erlaubt! Du hast gesagt wann ihr in die Bücher schauen dürft ist streng geregelt! Ich habe dir vertraut, Grell!“ Sie schaute Grell traurig und wütend an. Man sah ihr an, dass sie sich von ihm hintergangen fühlte. Von ihm und von William, da Grell eindeutig nicht auf ihrer Seite war. „Das ist es auch, Miss Rosewell“, Skyler fuhr herum, als William sie ansprach: „Doch wenn ein Mensch auf einmal Records sieht, bekommen wir natürlich die Erlaubnis seinen und die seiner genetisch nahen Verwandten durch zu sehen.“ „Aber...“, Syklers Stimme wurde immer leiser und das junge Ding immer kleiner: „Mein Wort muss doch schwerer wiegen, als...“ Nun war der Punkt gekommen, an dem Skyler nicht mehr weiter wusste. Es war nur allzu deutlich zu erkennen. Leider hatte das junge Ding keine Ahnung, dass sie auch laut Regelwerk im Recht war. Sie hatte die besten Voraussetzungen ihn auszuspielen. Also eilte ich zu ihrer Rettung, als William ein weiteres Mal seine Stimme erhob und zog ihm grinsend ein Buch nach dem anderen unter seinem Arm weg. William drehte sich zu mir um: „Was tust du da?“ „Regel 217, Absatz 9, §4“, sprach ich reichlich fahrig, da mich der Text der Regelbücher schon zu Tode langweilte wenn ich nur daran dachte: „'Der Cinematic Record ist das geistige Eigentum des in ihm dargestelltem Wesens. Dieses Eigentumsrecht wird nur zum offiziellen Todeszeitpunkt gänzlich außer Kraft gesetzt und ist ansonsten allen administrativen Äußerungen vorzuziehen.'“ Ich stapelte die Bücher ohne den Blick von William zu nehmen auf Skylers Arme. William kniff die Augen zusammen: „Ich kenne die Regeln.“ „Stirbt Skyler gerade? Hehe.“, fragte ich und mein Grinsen kehrte zurück. „Ganz offensichtlich nicht“, antwortete der Aufsichtsbeamte und kniff die Augen zusammen, als ihm klar zu werden schien, dass ich ihn mit seinem ach so heiß geliebten Regelwerk ausspielen werde. Und er konnte nichts dagegen tun: „Dann kann sie dir sehr wohl verbieten in ihren Record zu schauen. Dir und jedem Anderen. Nehehehe. Probier nicht sie auszumanövrieren, William. Ich kenne die Regeln genauso gut wie du. Hehe.“ „Du hast sie doch ständig gebrochen“, knirschte William mit seinen Zähnen. „Ehehehehehe! Aber ich wusste immer genau was für eine Regel ich breche! Durch besagte Regelverstöße war ich unfreiwilliger Weise sehr oft dazu gezwungen mich ausgiebig mit dem Regelwerk zu beschäftigen. Ich kenne es in- und auswendig, glaube mir. Hehe.“ Stunden. Ich hatte Stunden mit diesem unsäglichen Buch verbracht. Lebenszeit, die ich nie wieder bekommen werde. Viel davon. William verschränkte die Arme: „Aber über die Records ihrer Eltern hat sie keine Vollmacht.“ „Ehehe. Aber über alle Erinnerungen, die mit ihren korrespondieren. Tihihihi! Regel 217, Absatz 9, §5...“ William seufzte: „Es reicht! Ich hoffe ihr Beide seid euch bewusst, dass dieses Verhalten uns viel Kraft und Zeit kosten könnte.“ „Du wolltest sie hier haben“, grinste ich angesichts meines Triumphes: „Jetzt tue auch etwas dafür. Tehehehehehehehe!“ William schüttelte resigniert und genervt den Kopf und ging weiter. Grell schaute schräg zur Seite: „Es tut mir leid. Er will nur helfen! Wirklich!“ Skyler seufzte. Eine gewisse Art von Verständnis leuchtete in ihrem Blick: „Er hätte mich fragen müssen, Grell.“ „Er denkt manchmal einfach viel zu schnurstracks geradeaus... Auch wenn da eine Wand ist...“ „Du muss ihn nicht in Schutz nehmen“, lächelte sie den rothaarigen Reaper an: „Es ist alles gut.“ Grell nickte mit einem leichten Lächeln und folgte William. Ronald wartete schon ein paar Meter weiter darauf, dass wir aufschlossen. „Danke“, schaute mich Skyler mit einem herzzerreißend traurigen Lächeln an und drückte die Bücher fest gegen ihre Brust. Ich lachte das traurige, kleine Ding an: „Nicht dafür, hehehe! Verstehst du jetzt warum ich dich nicht alleine hier lassen will?“ Sie nickte: „Schon... Du kennst dich mit alldem hier immer noch ziemlich gut aus, oder?“ Ich nickte ebenfalls und lachte lauter: „Ehehehehe! Ich war schließlich viel länger hier, als fort. Ich erinnere mich noch an den schicksalshaften Tag an dem Alisa das Regelwerk einführte.“ Skyler lachte auf: „Hat sie 'ne Feier veranstaltet? Eine 'Eröffnungszeremonie'?“ Eben noch relativ bestürzt wirkte sie nun wieder leichter und sogar ziemlich amüsiert. Dieses Mädchen wechselte ihre Laune öfter als ich zählen konnte. Doch das Letzte was ich wollte war mich über ihre gebesserte Laune zu beschweren. Also stieg ich mit ein: „Pahahahahahahahaha! Nein. Aber ich verfluche diesen Tag, seitdem, jeden Tag.“ „Herrje, herrje!“, das Auflachen wurde kurz zu einem konstanten Kichern und sie schaute mich dann an: „Du verfluchst? Ich dachte du redest von dem 'Sensenmann Undertaker' immer in der dritten Person?“ Ich lachte immer weiter. Skyler hatte definitiv nicht nur ein Auge sondern auch ein Ohr für die kleinen Details und Feinheiten: „Ehehehehehe! Es kommt drauf an. Er ist irgendwie ich und irgendwie auch nicht.“ Sie blinzelte mich irritiert an: „Das klingt ziemlich kompliziert.“ Ich nickte abermals grinsend: „Hehe. Ist es auch. Versuche am besten nicht dahinter zu steigen.“ Nun seufzte sie: „Erinnerst du dich gerne an dein Leben hier?“ Wir schritten ein paar Meter hinter den andern Dreien durch die große Steinpforte, die die Bibliothek von der Außenwelt abschirmte. Der Geruch von Gras und Blumen schlägt mir entgegen, gefolgt von einer seichten Brise und dem warmen Licht der Sonne. Die Wahrheit war: Der Reaper Realm war eine wunderbare Welt. Nicht tot, trist und kahl wie man vielleicht denken könnte, sondern grün, warm und voller Leben. Die Shinigami kümmerten sich gut um ihre Heimat. Hegten und pflegten sie. Ich lachte ein weiteres Mal, als ich Skylers Augen sah, die ihre Umgebung ablief vollkommen verwundert, aber im genauso großem Maße begeistert: „Tehehehe! Es kommt drauf an, an was.“ Wir gingen weiter. Skylers Kopf wanderte staunend und rastlos herum. Über den großen Fluss, die kleinen Brücken, die vielen Häuser und den ganzen Pflanzen: „Wow! Hier ist so viel Grün! So hatte ich mir das Reich des Sensenmanns definitiv nicht vorgestellt.“ „Hihi. Die Reaper gärtnern gerne“, giggelte ich: „Eigentlich fast alle. Wenn man ewig mit dem Tod hantiert, beschäftigt man sich hin und wieder auch gerne mit etwas Lebendigem.“ „Leuchtet ein“, antwortete sie ohne ihren Blick von der Landschaft zu nehmen: „Machen sie gut.“ Wir schlossen zu Ronald, Grell und William auf kurz vor Ronalds bescheidener Behausung. Grell deutete lachend auf ein Fenster im 2ten Stock des kleines Hauses direkt am Wasser in dem der junge Reaper zu residieren pflegte: „Du hast schon wieder dein Fenster offengelassen, Roni.“ „Ach verdammt“, stöhnte Ron und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, als er sich wieder zum Gehen wand: „Ach, ich mach's später zu.“ „Typisch“, tadelte ihn William. „Wohnen alle Shinigamis in solchen Häusern?“, fragte die junge Frau in dieser herzerquickenden Neugierde und musterte Ronalds Häuschen im Vorbeigehen. Grell schaute sie über seine Schulter an, kicherte und zeigte dann in Richtung seines Heimes: „Ja. Wir wohnen alle in solchen Häusern. Ich wohne über diese Brücke, gerade aus und an der dritten Abzweigung links. Im Stadtkern.“ „Und du William?“, strahlte Skyler William an, der ihre gute Laune gekonnt ignorierte: „Weit weg von Herrn Sutcliff.“ Sky blinzelte kurz. Wahrscheinlich wollte sie den verspannten Aufsichtsbeamten etwas auflockern, doch sie hatte anscheinend noch nicht ganz verstanden wie sinnlos solche Unterfangen waren. Sie kannte ihn ja auch noch nicht solange. Sie wandte ihren Kopf wieder zu mir und musterte mich mit diesen vor Neugierde strahlenden großen Augen: „Hast du auch in so einem Haus gewohnt?“ Ich grinste sie an: „Eh he he. Warum willst du das wissen?“ Ich wollte, dass sie diesen Ausdruck behielt, doch ich wollte nicht im Detail über mein Leben hier sprechen. Vergangenes ist vergangen. Es kommt nie wieder zurück. Ich habe mein Leben als Grim Reaper aufgegeben. Wissentlich. Und ich wollte es auch nicht zurück. „Ich bin neugierig!“, rief sie aus und holte mich aus meinem kleinen Gedankengang. So wenig ich über meine Vergangenheit sprechen wollte, umso packender war dieser vor Neugier scheinender Gesichtsausdruck. Jugendlich, neugierig und vollkommen unvoreingenommen. Er brachte mich zu lachen: „Hehe. Na gut. Nein, habe ich nicht.“ Sie klimperte mit den Augen. Dann schien sie 1 Minute über Etwas nachzudenken, bevor sie weiter sprach: „Wo denn dann?“ Skyler erwies sich nicht nur als furchtbar neugierig, sondern auch als verdammt beharrlich. Meine einsilbigen Antworten würgten sie nicht ab, nein, sie stachelten sie zu immer neuen Fragen an. Ich ergab mich mit einem Lachen und streckte meinen Arm aus. Ich deutete auf den Wald der in normalen Tempo gut 1 ½ Stunden entfernt war, weiter ab von der florierenden Heimatstadt der Sensenmänner. Irgendwo dort am Rand stand meine alte Blockhütte. Verlassen und sicherlich mittlerweile furchtbar eingestaubt. Ich war nie wieder dort gewesen, doch ich wusste noch genau wie sie aussah. Ich erinnerte mich an die dunklen Schränke, meine vollen Bücherregale und die braune Echtledergarnitur auf dem grauen Teppich, auf der ich Stunden meines Lebens lesend verbracht hatte. Die Blumen in den Körben vor meinen alten Fenstern sind mittlerweile wahrscheinlich genauso tot, wie die Menschen um die ich mich nun in meinem aktuellen Leben zu kümmern pflegte. Meine armen, schönen Lilien. „Zeigst du auf den Wald?“, fragte Skyler irritiert, nachdem sie ein paar Wimpernschläge lang auf die dunstige Silhouette des großen Waldes geschaut hatte und ihren Kopf wieder zu mir drehte. „Ja, hehe. Tue ich.“ „Warum?“, legte sie ihren Kopf schief. „Dort habe ich gewohnt“, drehte ich mich weg von meinen dunklen Schränken, den vollen Bücherregalen, der braunen Couchgarnitur unter der der graue Teppich lag und den toten Blumen in ihren Blumenkörben. „Im Wald?“, wich die Verwirrung nicht aus der zarten Stimme. „Ihihi. Am Waldrand“, giggelte ich meine Antwort. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass sie mich anblinzelte. Da sie genau neben mir ging, erkannte ich ihr schönes Gesicht auch ohne Brille recht genau. „Echt jetzt?“, fragte sie immer noch so irritiert, wie sie blinzelte. „Nihihi! Warum denn nicht? Ich mochte meine Hütte“, grinste ich ihr eine Antwort entgegen. „Hütte?“, musterte sie mich und verzog nachdenklich den vollen Mund. „Ja, Hütte. Ehehehe!“ „Du hast in einer Hütte gewohnt?“ „Einer Blockhütte“, schielte Ronald über seine Schulter zu mir: „Warum auch immer.“ „Ich brauchte nicht mehr und sie war urig. Hehehe!“, konterte ich amüsiert. „Und sie ist so verträumt und romantisch!“, schwärmte Grell mit an seiner Wange gefalteten Händen: „Eine einsame, verlassene Blockhütte am Ende von Irgendwo und am Anfang von Nirgendwo, umringt von Nadelbäumen! Knisterndes Kaminfeuer und eine warme, weiche Decke zu zweit!“, Grell umarmte sich selbst und zwinkerte Skyler zu, die etwas verstört zu dem roten Reaper herüber schaute: „Das lässt doch Frauenherzen höherschlagen oder, süße Skyler?“ Auch ich konnte es nicht verhindern, dass ich Grell mit einem wahrscheinlich recht dümmlich verwunderten Gesichtsausdruck entgegen blinzelte. Mein Kopf fing leicht zu schütteln an, als ich ein wenig perplex über Grells… blumige Ausschmückungen, mit einer erhobenen Augenbraue Arme und Schultern hängen ließ: ‚Woher in drei Teufelsnamen wissen die Beiden das?‘ Im selben Moment klingelte der Groschen hell in meinem Kopf: „Ehehehehe! Äh... Schön, dass es dir gefällt.“ „Jaaaaa!“, Grell wackelte fiepsend mit der Hüfte und ignorierte mal wieder die verwirrt, verstörten Blicke die er erntete. „Warte mal… Sie ist?“, fragte die Brünette mit immer schiefer werdenden Kopf und ich schaute zwischen ihr und Grell einmal hin und her. Sie hatte Grell gefragt, nicht mich. Eine Tatsache die mich schmunzeln ließ. „Klar“, Grell hob einen Zeigefinger: „Seit über 200 Jahren war keiner mehr dort, aber weg gelaufen ist sie sicher nicht.“ „Außer dir und Ronald“, lachte ich. „Was soll das heißen“, verschränkte Grell die Arme. Auch Ronald drehte nun den Kopf endgültig zu mir. „Ehehehehe! Woher wollt ihr ansonsten wissen, dass ich in einer ach so romantisch, verträumten Blockhütte gewohnt habe? Ich habe nie darüber gesprochen. Hehe!“ Ronald und Grell tauschten die Blicke zweier enttarnter Mafiosi und man sah ihnen an wie peinlich es ihnen wurde. Ich muss mit meiner Spekulation ins Schwarze getroffen haben. Neben mir hörte ich Skyler kichern. Ich wandte meinen Blick ab von den zwei Aushilftsdetektiven und sah das junge, kichernde Ding an. Irgendwie stellte ich fest, dass es sicher schlimmeres gab als einen kleinen Spaziergang in einer frühlingshaften Umgebung, umringt von Wesen, die man Freunde nannte. „Ich würde sie gerne mal sehen“, mischte sich Skys Stimme meine Gedanken darüber, dass die Welt gerade irgendwie in Ordnung war. Ich grinste vor mich hin: „Falsche Welt, meine schöne Puppe.“ „Trotzdem.“ „Tihihihi! Mal schauen.“ „Wie?“ „Mal schauen“, wiederholte ich in einem finalen Ton. Ich wollte nicht, dass sie diese Welt mehr als einmal betreten musste. Ich wollte auch eigentlich nicht, dass sie mit ihrer schönen Nase meiner Vergangenheit zu nah kam. Doch anderseits kam ich ihrer Vergangenheit auch immer ziemlich schamlos ziemlich nahe und wenn sie mich mit ihren großen, tropfenförmigen, blauen Augen anschaute… Ich seufzte innerlich. Wir bogen um eine letzte Ecke und endeten vor einem großen Gebäude, welches ich nur selten zu Gesicht bekam. Bei meinen wenigen Besuchen in der Welt der Sensenmänner traf ich die Drei entweder in der Bibliothek, ihrem Büro, oder bei ihnen Zuhause. Letzteres macht William übrigens wahnsinnig und er versucht immer mich, erfolglos, hinauszuwerfen. Othello selber traf ich hier nur 2,3-mal und das war schon ein paar Jahre her. Meistens lief mir der Forscher auf Feldstudien in London über den Weg und wir fachsimpelten ein bisschen über Gott und die Welt. „Ist hier Othellos Labor?“, fragte Sky und musterte den Bau, als wir William der wie ein Fremdenführer vor uns her ging, ins Innere folgten. „Ja“, lächelte Grell: „Im dritten Stock. Das hier ist die forensische Abteilung der britischen Zweigstelle.“ Das Bouquet von Desinfektionsmitteln stieg mir in die Nase, als wir die Eingangshalle recht schnell hinter uns ließen und in einen Aufzug stiegen, der definitiv etwas neuer war, da ich ihn noch nicht kannte. Grell schüttelte den Kopf, als er einstieg und sah Ronald tadelnd an: „Du Schürzenjäger und Herzensbrecher.“ Ronald wackelte nur mit den Augenbrauen: „Ich bin halt ein Mann den die Frauen lieben, Grell.“ Sky erschien neben mir im Fahrstuhl. Ihr Gesicht ließ mich hoffen. Denn es lag ein kleines, verschmitztes fast schon verspielt böses Lächeln auf ihren Lippen. Ein vielversprechendes verspielt böses Lächeln. Und es war schlichtweg umwerfend. „Kann ich nicht bestätigen“, kam es trietzend aus besagt umwerfend, verspielt bösem Lächeln und erfüllte alle meine Hoffnungen auf einen Schlag. Ich hörte noch Ronalds empörtes: „Hey!“, bevor ich in schrill schallenden Gelächter ausbrach. Ich streckte Skyler meine Handfläche hin. Ein paar Dinge hatte ich mir über die Generationen bei den jungen Leuten doch abgeschaut. Mit einem nun possierlich, schüchternen Lächeln schlug Skyler ein und kicherte kurz mit mir. Sie konnte auf so viele Arten Lächeln und eine war schöner als die andere. Ich lernte nie aus. Ich liebte es. Die Fahrstuhltüren öffneten den Blick auf den klinisch weißen Gang mit Linoleumboden. Nach ein paar Metern erreichten wir das Labor mit Othellos in Mitleidenschaft gezogenem Namensschild. Man hörte Othello dahinter werkeln, was entweder in etwas furchtbar Genialem oder furchtbar Gefährlichem endete. „Othello zaubert wohl wieder“, sprach Ronald aus, was sich bis auf Skyler alle denken konnten. Grell verschränkte die Armen und schaute zu William: „Wir sollten später wieder kommen, wenn wir leben wollen.“ Ohne auch nur eine Seitenblick zu Grell zu werfen klopfte William an die Tür. „Ich hab dich gewarnt“, seufzte Grell. Wie auf Bestellen schlug uns mit einem großen Knall die Tür entgegen. Uns war vielleicht das falsche Wort. Doch Ronald traf die nicht ganz so unerwartete Wendung mit voller Wucht. Wo sich William neben die Tür stellte um zu klopfen, stand Ronald neben ihm. Auf der falschen Seite. Die Tür flog auf und traf den Blonden frontal. Er verschwand zwischen Wand und Tür. Sein Arm zuckte gequält. Ich wollte aufgrund dessen anfangen zu lachen, doch verschluckte ich mich sofort an dem uns im selben Moment entgegen schlagenden Qualm und fing an zu husten und mit der Hand vor meinem Gesicht herum zu wedeln. Es stank furchtbar. Nach allem. Es roch als sei Othello der ganze Chemieschrank explodiert, was sich definitiv nicht im Rahmen des Unmöglichen bewegte. Auch die anderen, die ich nicht mehr sah, hörte ich husten. „Ürgs! Was ist das denn?!“, hörte ich Skyler durch den Rauch und ihren eigenen Hustenanfall. „So wie das riecht“, lach-hustete ich: „Ehehe! Schwefelwasserstoff und noch irgendetwas anderes. Kehe! Ich glaube... Ammoniak... N-Butanol... Und einiges mehr. Nihihihihi! Was ein Bouquet!“ „Heilige Mutter Gottes“, stöhnt das junge Ding: „Das ist echt übel.“ Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht. „Woah Othello!“, Grell unterdrückte einen Brechanfall: „HIRKS!... Den Gestank kriege ich nie wieder aus meinen Klamotten...“ „Hallo! Hier ist gerade jemandem sein Labor um die Ohren geflogen!“, plöppte Ronald aus seinem Zwiespalt zwischen Tür und Wand heraus. Er rieb sich seine lädierte Nase und steckte den Kopf hustend durch Othellos Türe: „Othello?! Othello, geht es dir gut?!“ „Oh ja“, war mein Lachen immer noch von Husten unterjocht: „Dem Odeur nach mit dem ganzen Chemieschrank. Ehehehe!“ „Jaahaa!“, ertönte die Stimme des Shinigamiforscher aus dem gesprengten Labor. Ronald seufzte erleichtert und die Anspannung schwand aus seinem Körper: „Können wir reinkommen?!“ „Nein! Ich komm raus! Wartet!“ „Besser ist das...“, drückte sich Ronald seine Krawatte vor Mund und Nase. Grell hatte ein Fenster aufgerissen und sich zur Hälfte herausgehangen um dem stinkenden Qualm zu entkommen: „HIRKS!... Das ist nichts für eine Lady...“ „Othello!“, William marschierte in das Labor, vollkommen unbeeindruckt von der unwirtlichen Umgebung: „Das war die dritte chemische Explosion in 2 Wochen!“ Ein Feuerlöscher zischte. Wahrscheinlich rette Othello gerade was zu retten war. Ich tippte nur es war nicht viel. Durch das offene Fenster lichtete sich der Qualm, wenn auch nur sehr langsam. Skyler erschien wieder neben mir, ihr Gesicht im Cardigen versteckt und nass vor Tränen. Was für uns ungefährlich war, könnte für sie giftig sein. Also zog ich sie zu dem Fenster und drückte ihren Kopf hinaus: „Ehehe! Stehe besser nicht in der Qualmwolke. Wer weiß was da alles so drin herum schwebt. Hehehehe!“ „Aber die Qualmwolke ist überall!“, hustete sie. Sie schaute zu Grell: „Geht's, Grell?“ „Passt schon... mein armes Näschen...“, hüstelte der rote Reaper agonisch. Ich drehte mich auf dem Absatz um und betrat das Labor: „Hehehe. Othello? Was hast du getan?“ Othello hielt mit dem Feuerlöscher auf den Chemieschrank, der am Boden lag: „Ich bin gestolpert… und sehr ungünstig gelandet...“ William schrieb etwas auf eine Liste. Wahrscheinlich machte er gerade eine Bestandsaufnahme von den Schäden. Gekappte Stromleitungen schlugen ein paar Funken über unseren Köpfen und der ganze eigentlich weiß gekachelte Raum war kohlrabenschwarz: „Fu fu fu, das glaube ich dir sofort.“ Ich ging zur Wand und löste in dem Sicherungskasten die Sicherung. Die Stromkabel hörten auf mit Funken durch die Gegend zu spucken. William hatte mittlerweile angefangen beim Schreiben mit dem Fuß zu tippen, was ihn einige nervöse Blicke von Othello einhandelte, der gerade versuchte den verkohlten Schrank wieder in die Senkrechte zu ziehen. Doch der Forscher war recht schwächlich für einen Sensenmann und war selbstwissend und mit gutem Grund kein Mitglied des aktiven Außendienstes. Ich packte den Schrank an den anderen Ecken und hob ihn hoch. Wackelnd und staubend blieb er stehen. Ich kicherte: „Tihihihi! Othello. Engagiere doch das nächste Mal, wenn dir nach einem Tapetenwechsel ist, einen Maler. Ich habe mein Maßband nicht dabei.“ Othello schaute mich, verrußt wie er war, perplex an: „Maß… Maßband?“ Ich breitete lachend die Arme aus: „Fuhuhuhuhuhu! Ich glaube nicht, dass ich schon einen Sarg in deiner Größe habe!“ Othello richtete seine halb verbrannte Krawatte: „Wie… liebenswürdig… Aber das wird nicht nötig sein.“ „Othello“, unterbrach William unser kleines Intermezzo: „Miss Rosewell ist da. Du wurdest informiert?“ „Aber natürlich!“, nun war der Forscher wie ausgewechselt und hüpfte fast auf William zu: „Miss Rosewell. Miss Rosewell. Klemmbrett?“ William heftete das obere Blatt von seinem Klemmbrett ab und übergab es Othello, der es kurz durchlas und grinste wie ein Kind, welches eine Antwort vom Weihnachtsmann persönlich bekommen hatte: „Das ist ja… Unikat! Fantastisch!“ „Dann komm endlich“, William wandte sich ab und ging Richtung Tür. Ich tat es ihm gleich und hörte hinter uns Othellos Schritte. Skyler hob den Kopf als sie uns kommen hörte. Sie blinzelte Othello mit einem verwundernden und abschätzenden Ausdruck entgegen. Was auffällig war, waren ihre analysierenden Blicke. Immer wenn sich jemand Neuen traf, wurde er von ihre genau beschaut und vor ab eingeschätzt. Othello griff Skylers Hand und schüttelte sie überschwänglich: „Oh! Du musst Skyler Rosewell sein! Mein nächstes Forschungsobjekt! Ich bin Othello! Sehr erfreut! Sehr erfreut! Ein Mensch der Records sehen kann! Hab ich noch nie gehört! Man bin ich neugierig! Lass uns direkt anfangen!“ Dann zog Othello sie einfach weg. Natürlich folgte ich ihr. Skyler vergewisserte sich dessen auch. Denn sie schaute sich suchend über die Schulter und wirkte irgendwie erleichtert als sie mich sah. Othello sauste durch den Flur und man merkte ihn an, dass er es kaum noch erwarten konnte. „Hey!“, rief Skyler nach etlichen Metern Korridor: „Wo gehen wir eigentlich hin?!“ „Ins Untersuchungszimmer!“, lachte der Wissenschaftler zog sie zielstrebig weiter hinter sich her. Ich ließ ihn. Othello war vieles aber keine Gefahr. Ich mochte den Forscher sogar. Es waren immer sehr erhebende Unterhaltungen mit ihm, wenn sich unsere Wege kreuzten. Er sah in den Bizzare Dolls ein aufregendes Experiment und keine verfaulten, menschenfressende Kadaver, wie die anderen. Sie waren de facto beides und Othello versuchte schon etliche Male mir einen meiner manipulierten Records aus den Rippen zu leiern. Vergebens, versteht sich. Othello öffnete die Tür zu einem der Untersuchungszimmer. Skyler blieb wie vom Donner gerührt stehen und schaute auf die Wand mit Othellos gesammelten, menschlichen Operationswerkzeuge. Er nimmt solchen Kram immer mit, wenn er sie auf Forschungsgängen fand. Es waren Ausstellungsstücke, Trophäen. Sky deutete auf eben diese Trophäen: „Aber... das brauchst du nicht... oder?“ An seinem Computer sitzend versuchte Othello sein Gesicht mit einem Feuchttuch zu säubern: „Mal schauen. Setz dich doch bitte.“ „WAS?!“, Sky stolperte zurück: „Das war ein Scherz, oder?!“ Ich unterdrückte ein Lachen. Natürlich war das ein Scherz. Das waren Othellos Schätze. Er benutzte sie nie. Doch Othello blinzelte sie verständnislos und Brille putzend an, als er vollkommen unaufgeregt sein kleines Spiel weiter spielte: „Nein. Je nachdem was ich rausbekomme brauche ich das. Wenn es eine körperliche Veränderung ist, muss ich doch herausfinden wo sie liegt.“ Ich legte eine Hand an meinen Mund um mein Lachen in meinem Kopf zu behalten: ‚Othello! Pahahahahaha! Du Schuft!‘ „Das ist nicht dein ernst!“, rief das junge Ding aus, machte noch einen Schritt nach hinten und stieß gegen mich. Ich legte ihr aufmunternd die Hände auf die Schultern, erzählte ihr aber nicht, dass Othello sich auf ihre Kosten lediglich einen Scherz erlaubt hatte. Vielleicht tat ich das. Irgendwann. Vielleicht auch nicht. Das schöne Ding drehte sich mit einem flehenden Blick zu mir um. „Ganz ruhig“, sprach mein lächelnder Mund ohne ein wirkliches Wort zu verlieren: „Ich passe auch dich auf.“ Sie ging Richtung Liege, drehte sich allerdings noch 2 x zu mir um. Ich winkte sie weiter und sie setzte sich. „Dann wollen wir mal!“, zog Othello einen Teleskopstock aus. Ich lehnte mich gegen die Wand. Othello wedelte mit dem Stock vor einem Poster herum. Was darauf stand konnte ich nicht sagen: „Vorlesen bitte!“ Sky las brav einen großen Buchstabensalat vor. Dadurch wusste ich um was es sich bei diesem Poster handelt. Ein Sehtest. Es ist vorgeschrieben, dass jeder Reaper halbjährlich seine Augen überprüfen lassen muss. Sollte sich etwas verändert haben, musste Anderson die Brillen anpassen. Selbst meine Brille stammte aus Andersons geschickten Händen. Auf Lawrence Anderson zu treffen wäre gefährlich. Der Direktor der Brillen Abteilung war über 500 Jahre alt. Er kannte mich noch. Folglich würde er mich auch erkennen. Ich machte folglich um diese Abteilung für gewöhnlich einen größeren Bogen. Als Skyler geendet hatte, schob Othello den Stock wieder zusammen und drehte sich zu ihr um: „Wow. Du hast ziemlich gute Augen. Sieht man hier nicht jeden Tag.“ Ich zog beide Augenbrauen hoch, als der Forscher anfing über seinen Witz zu kichern: ‚Der war… schlecht...‘ Skyler lachte und nickte gequält: „Ähähä... Glaub ich dir...“ Dann schaute sie kurz zu mir. Natürlich lachte ich nicht. Ich weigerte mich über einen Witz zu lachen, der so überaus… flach war. „Das hat meine erste Theorie schon fast widerlegt“, Othello hatte in die Schublade gegriffen und rollte zu Skyler herüber. „Theorie?“, fragte sie verwundert, doch Othello zog freudig ihre Lider auseinander und hielt eine kleine Pipette über ihr Auge. Meine Augen zuckten kurz, als ich nicht wusste was Othello mit Skyler machen wollte. Ich verschwand von meinem Platz, tauchte neben dem Forscher wieder auf und griff ihm forsch am Handgelenk. Mein Gesichtsausdruck muss Bände gesprochen haben, denn Othello sah mich recht blass und auch ein wenig eingeschüchtert an. Trotz allem war der Forscher recht stur, weswegen meine Stimme gewollt sehr hart aus mir heraus fuhr: „Was hast du vor?“ Othello schaute mir verständnislos entgegen: „Sie untersuchen.“ „Sag mir genau was du machen willst, bevor du mit Tinkturen und Fläschchen herum hantierst.“ Solange ich nicht wusste was Othello vorhatte, würde er Skyler keine Medizin oder Medikamente oder sonst irgendetwas geben und wenn er auf seinem Hocker sitzen bleiben wollte, sollte er das schnell akzeptieren. Ein Anflug kalter Ärgernis surrte durch mein Herz und richtete sich gegen Othello, der Skylers Auge zwischen seinen Fingern hatte. „Was soll das?“, fragte der Wissenschaftler. Dann lachte er kurz: „Ooooh! Sag mir nicht du bist als ihr Wachhund hier!“ „Doch“, wuchs sich das kleine Ärgernis weiter in Richtung großer Ärger aus: „In der Tat. Sag mir was du vorhast oder du wirst es nicht tun.“ „Aha?“, Othello wirkte amüsiert, was weiteres Futter für das kalt, ärgerliche Gefühl in mir war: „Sie muss wirklich was Besonderes sein, wenn du für sie den Schießhund spielst.“ „Hör einfach auf ihn“, die Türe schwang auf und Ronald trat mit Grell herein. Der rote Reaper schien sich von der Qualmwolke erholt zu haben. „Oder es tut weh“, säuselte Grell: „Denn er wird dich von vorne, von hinten und von der Seite... in den Boden rammen! Yeeeey!“ „Grell?“, Othello beschaute die Neuankömmlinge: „Ronald? Ihr seid auch hier?“ „Ja“, antwortete Grell: „Die Kleine ist unsere Freundin. Sei bitte nachsichtig.“ Othello seufzte: „Ok, ok. Das ist Atropin. Nichts Gefährliches. Ich will ihre Augen weiter untersuchen. Ist doch das Naheliegendste, wenn es darum geht etwas zu sehen, oder?“ Ich nahm meine Hand weg. Othello wirkte als habe er verstanden, dass Lügen nicht gesund für ihn wäre. Mir entfloh ein Giggeln, als ich zurück zu meinem Platz an der Wand ging: „Ehehehe! Warum nicht gleich so?!“ William seufzte. Othello drehte sich zurück zu Skyler: „Nanu? Warum bist du denn so rot im Gesicht?“ Auch ich schaute dem jungen Ding ins Gesicht, welches wirklich von einem satten Zinnoberrot heimgesucht worden war:„ I-i-i-i-i-ich bin einfach nur... ein... ein bisschen ge-ge-gestresst!“ Othello lachte: „Von einer Augenuntersuchung? Ich habe bis jetzt nichts gemacht, was ein menschlicher Augenarzt nicht auch tut, oder?“ „Nicht davon“, rief sie rasch und stotterte dann ganz komisch vor sich her: „Sonder... ähm... also wegen... ich...“ Grell und Ronald kicherte. Ich schaute sie kurz an und war mir fast sicher, dass die Beiden zuvor in der Bibliothek gemeinsame Sache gemacht hatten. Skyler holte tief Luft: „Die Anwesenheit von Knochensägen machen mich nervös!“ „Jaja“, lachte Othello wieder und schaute mit diesen unsäglich vielsagenden Grinsen zu mir, welches auch Ron immer mal wieder auflegte. Ich ahnte mittlerweile was es mir sagen wollte. „Tu einfach so, als seien sie nicht da“, drehte er lachend den Kopf zurück zu dem hübschen Ding. Othello träufelte Skyler Atropin in die Augen und sie blinzelte darauf hin heftig. Ich hasste Atropin. Augenuntersuchungen an sich waren nicht mein größtes Hobby. Langwierig und langweilig. Othello zog eine kleine Lupe und eine Taschenlampe aus dem Kittel Dann leuchtete er Skyler ins Gesicht: „Augen öffnen.“ „Aber... das tut weh und ist furchtbar grell!“ Ich konnte Skyler wie schon erwähnt nachfühlen. Doch sie wollte hier sein, also musste sie da nun durch. Ich hatte sie gewarnt. „Ich brauche nicht lange.“, seufzte Othello: „Augen öffnen bitte.“ Othello musterte Skylers Augen ausgiebig und schaltete nach ein paar Minuten die Lampe wieder aus: „Hmpf… Meine Theorie ist glaube ich hin.“ „Was hattest du denn für eine?“, fragte Ronald und Skyler blinzelte zu uns. Sie wirkte halb blind. „Dass sie ein Shinigamimischling sein könnte“, stemmte der Forscher seine Hände in die Hüften. „Nehehe!“, entfuhr es mir sofort: „Das wäre generell total unmöglich. Das solltest du auch wissen.“ „Sag niemals nie“, zuckte Othello mit den Schultern: „Irgendwie ist sicher alles möglich und es war eine naheliegende Hypothese.“ „Aber“, rieb Skyler sich durch ihre in Mitleidenschaft gezogenen Augen: „Ich bin keiner... oder?“ Othello drehte den Kopf zu ihr: „Nah. Höchstwahrscheinlich nicht. Deine Augen sind zu gut.“ „Und damit schließt du das aus?“, fragte die junge Frau ein wenig hin und her gerissen. Othello rollte zurück zu Schreibtisch und begann wieder auf den komischen kleinen Tasten herum zu tippen: „Jup. Wenn man von einer 50/50 Konstellation ausgeht, wäre es sehr unwahrscheinlich, bis fast unmöglich, dass eine Sehschwäche ausbleibt, so blind wie hier alle sind. Aber deine Augen sind perfekt. Du liegst irgendwo um die +/- 0 Dioptrien. Du brauchst keine Brille. Die meisten hier liegen zwischen -4,50 - -6,75 Dioptrien, manche noch schlechter, und sind ohne Brille echt am... du weißt schon. Von einem + vor dieser Zahl träumen wir nicht einmal. Selbst sollten wir davon ausgehen du würdest nur einen Anteil von 25 oder 12,5% eines Shinigamis besitzen, würdest du niemals solche Werte haben. Glaub mir. Wenn du mir jetzt allerdings erzählen möchtest, einer deiner Eltern hat verräterisch grüne Augen oder trägt eine Brille, weil er ansonsten die Leuchtreklame in Las Vegas mit der Nase lesen müsste, schmeiße ich mich augenblicklich aus dem Fenster.“ Ich kicherte leise, als ich mir vorstellen musste wie Othello in seiner gebrochenen Forscherehre aus dem Fenster sprang. „Nein“, antwortete Skyler und nahm mir alle Hoffnung darauf: „ Du darfst leben. Die Augen meiner Mutter sind braun, die meines Vater blau und sie tragen beide keine Brille.“ Othello drehte sich wieder zu ihr um: „Gut. Aus dem Fenster springen ist jetzt auch nicht mein liebster Zeitvertreib.“ Dann lehnte sich der Forscher grübelnd und mit wackelnden Fuß auf seinen Schreibtisch: „Deine Augen sind normal... Also kann es nur... hmmmmmm...“ „Sag mir nicht du bist schon mit deinem Latein am Ende“, verschränkte Grell die Arme. „Nein...“, seufzte Othello und stützte den Kopf auf seine Hand: „Die naheliegendste Hypothese habe ich noch.“ „Das mit dem Mischling war gar nicht deine naheliegendste Theorie?“, fragte Ronald und zog seine Augenbrauen zusammen, während er die Arme verschränkte. „Nein“, Othello schüttelte den Kopf: „Wie Undertaker schon sagte: Das ist eigentlich unmöglich. Ich hätte es nur spannend gefunden. Dann hätte ich wirklich mal was zum Forschen gehabt.“ „Oh ja“, lachte ich als ich mir das Theater bildlich vorstellen konnte, welches in den oberen Reihen des Dispatch bei solch einer Nachricht ausgebrochen wäre: „Tihihihihihihih! Und die Chefetage wäre ein vollkommen aufgescheuchter Hühnerhaufen! Das würde zugehen wie im Taubenschlag! Hahahahahaha!“, ich seufzte wohlig und schaute an die Decke als diese Bilder in meinem Kopf noch nach halten: „Eine wundervolle Vorstellung. Nihihihihi! Das will ich sehen.“ Othello kicherte mit: „Ich wusste du bist auch hier, weil du neugierig bist.“ Ich schaute immer noch giggelnd zu Othello: „Fu hu hu hu! Ist Gras grün?“ „So lange der Himmel blau ist“, antwortete Othello grinsend: „Naja. Vielleicht haben wir ein anderes Mal Glück.“ „Warum?“, hörte ich Skylers verständnislose Stimme: „Fantasiert ihr so viel darüber?“ „Weil es unmöglich ist!“, grinsten Othello und ich synchron. „Aber“, schüttelte sie den Kopf: „Warum findest ihr etwas interessant, was nie passieren wird?“ „Weil nichts unmöglich ist!“, grinsten wir weiter. Ihre Schultern fielen herunter und sie musterte uns mit klimpernden Augen: „Ihr... widersprecht euch selbst...“ „Nein“, lachte ich: „Aber die Wissenschaft tut das. Manchmal. Ihihihi! Immer öfter.“ Othello schlug eine Faust in die Hand: „Und es ist unsere Aufgabe diese Widersprüche aufzuklären! Rein wissenschaftlich gesehen ist nämlich nichts unmöglich! Aufklärung! Wo wir wieder beim Thema wären!“, der Forscher hüpfte von seinem Stuhl und schaute Skyler in seinem fast hyperaktiven Forschereifer an: „Darf ich mir deine Haut anschauen?“ „Meine“, Sky stockte in die Irritation in den großen blauen Augen wuchs an: „Haut?“ „Nun ja“, Othello schnappte sich das Klemmbrett vom Schreibtisch und kratzte sich am Hinterkopf: „Ich tippe in deinen Knochen oder inneren Organen finden wir keine Anhaltspunkte die mit deinen Augen zusammenhängen oder deinem Gespür, also kann ich meine Instrumente an der Wand lassen.“ Sky seufzte erleichtert. Ich hielt ein weiteres Mal meine Hand vor den Mund. Es war ja schon fast fies Skyler so auszutricksen, nur, damit sie sich gruselte. Aber ihr Gesicht! Dieses possierlich geschockte Gesicht! „Körperlich scheint alles normal zu sein“, studierte der Shinigamiforscher sein Klemmbrett: „Aber 'visuelles Wahrnehmen von Cinematic Records', 'Affiner Spürsinn gegenüber Dämonen in höchst überdurchschnittlichen Maße'. Oh, doppelte Steigerung! Muss ernst sein wenn du so etwas benutzt, William.“ William seufzte genervt, als Othello ihn kurz anschaute. „Da stimmt was nicht“, betonte der Forscher das nur allzu Offensichtliche: „Und wenn es dein Körper nicht ist, gibt es nur eine andere Variable, die durcheinander sein könnte.“ „Und die wäre?“, fragte Sky skeptisch. „Hehe“, kroch mir dann schließlich doch ein Lachen aus der Kehle. Othello hatte dieselbe Theorie wie ich. Eine Theorie die alles erklärte. Gut erklärte. Die schöne Skyler schaute mich fragend und auch reichlich besorgt an. „Deine Seele“, grinste ich ihr entgegen. „Dafür Indizien zu finden ist allerdings meist schwierig“, seufzte Othello: „Aber wenn etwas, oder jemand, solche Fähigkeiten besitzt liegt es meist an der Seele. Ich hatte zwar gehofft mich mit deinen Augen aus der Affäre ziehen zu können, aber nein. Natürlich nicht... Wenn meine zweite Hypothese allerdings stimmt, gibt es dafür ein eindeutiges Merkmal auf deiner Haut. Das würde eine Menge Zeit sparen. Ich muss mein Labor nämlich dieses Mal selber renovieren.“ „Du hast das gesamte Budget für Oktober und November schon in die Luft gejagt“, antwortete William staubtrocken und ungefragt. Der Wissenschaftler stöhnte geknickt: „Ich weiß...“ Skylers Augen klebten an mir. In ihnen stand Unsicherheit. Nein, das Gefühl war mehr. Es war Angst: „Aber... wie soll da denn etwas durcheinander gekommen sein?“ Kaum hatte sie zu Ende gesprochen fielen ihre Augen zu Boden und ihr Oberkörper sackte ein Stück zusammen. Ein jammervoller Anblick… den ich nicht recht ertragen konnte. Ich setzte mich neben sie auf die Liege und schob mit meiner Hand behutsam ihr Kinn nach oben. Ihre Haut war so wunderbar warm und weich. Ich lächelte ihr so aufmunternd entgegen wie ich nur konnte: „Es gibt einige Möglichkeiten wie da etwas durcheinander kommen kann. Charakterliche Entwicklung, moralische Entscheidungen. Entgegengesetzt des normalen Volksglaubens entstehen Engel und Dämonen vor dem Tod aus Menschen, die sich zu sehr in ein Extrem entwickelt haben um menschlich zu bleiben.“ „Heißt das...?“, ihre Stimme erstarb, bevor sie aussprechen konnte. Doch ich schüttelte den Kopf: „Nein. Du bist ein Mensch. Nach wie vor. Was auch immer anders ist, Sky, es ist höchstwahrscheinlich, dass es schon immer anders war. Von Beginn an. Es war schon immer ein Teil von dir. Du bist immer noch dieselbe wie vorher. Es gibt noch andere Möglichkeiten.“ „Welche...?“, fragte sie unsicher. Ich war mir auch nicht sicher, ob sie die Wahrheit ertragen konnte. Sie wirkt gerade so unglaublich zerbrechlich, so als könnte alles Ungeahnte sie zerbrechen. Doch es gab kein Zurück mehr. „Ein Segen oder ein Fluch“, sprach ich ruhig um den Wörtern ein bisschen ihre verunsichernde Schwere zunehmen: „Zumindest wäre das die Möglichkeit, die am einfachsten festzustellen wäre.“ Skyler legte reichlich verunsichert auf meiner Hand den schönen Kopf schief: „Bi... Bitte?“ Ich nickte. Meine Hand wanderte auf ihre Schulter um ich fing an meinen Finger an einer ihrer seidigen Haarsträhnen herum zu zupfen. Ich mochte das Gefühl an meinen Fingerkuppen, doch aktiv bekam ich gar nicht mit, dass ich ihre Haarsträhne immer wieder durch meine Finger streifen ließ: „Engel und Dämonen können menschliche Seelen beeinflussen. Engel segnen, Dämonen verfluchen. Ihre Motive dazu sind nur allzu oft gänzlich gegensätzlich, wie man sich vorstellen kann“, ich lachte kurz einem breiten Grinsen auf: „Ehehehe. Die Seele des Menschen wird dabei gewissermaßen verändert, ist aber immer noch menschlich. Doch, hehe, die Medaille hat immer zwei Seiten. Vor- und Nachteile. Es muss so sein. Die Natur verlangt es. Die Nachteile bei Flüchen sind meist schwerwiegender, weil Dämonen Flüche benutzen um Menschen offen zu schaden. Engel benutzen Segen meist um die Menschen zu unterstützten. Zumindest, tehehe, war es mal so oder sollte so sein. Diese Segen und Flüche werden vererbt. Doch das Wesen muss ein Zeichen dafür hinterlassen, welches ebenfalls mit vererbt wird. Ein Fluch oder ein Segen sind allerdings keine Bündnisse. Die Menschen und das Wesen gehen danach wieder ihrer Wege, im Gegensatz zu, beispielsweise, unserem geliebten Earl und seinem dämonischen Mädchen für alles. Manche Familien schleppen diese Bürden seit 100ten Generationen mit sich herum. Einige sogar unbemerkt. Um ehrlich zu sein, die Theorie du könntest zu einer dieser Familien gehören, habe ich schon ein paar Tage.“ „Was?!“, Sie machte große, ungläubige Augen: „Warum hast du...?“ „Weil ich meine Theorien gerne überprüfe, bevor ich sie an die große Glocke hänge“, unterbrach ich sie mit einem allgegenwärtigen Grinsen: „Ich hatte einfach noch nicht genügend Anhaltspunkte. Bis... nun... jetzt.“ „Durch Othello?“, fragte sie mit zittriger Stimme. „Unter anderem. Ich bin heute Morgen nicht verschwunden, weil ich beleidigt war oder dir etwas beweisen wollte. Ich wollte herausfinden, ob du mich genauso spürst wie Claude gestern.“ „Aber...“, sie rieb sich nervös den Nacken und schluckte: „Das habe ich nicht.“ „Du hast auch den Engel nicht bemerkt.“ „Ich glaube nicht, nein“, antwortete das junge Ding kleinlaut. Sie war so wechselhaft. Mal glücklich, mal so unendlich betrübt. Mal energisch, mal so unfassbar kleinlaut. Mal selbstsicher und mal von allem Selbstvertrauen verlassen. Es war schwer einzuschätzen, wann sich ihre Laune änderte. Mit ihr wurde es wirklich nie langweilig. Sie wurde nie uninteressant. Ich entdeckte an ihr immer wieder neue Eigenschaften und Verhaltensmuster. Sie war bei weitem nicht so einseitig wie die meisten anderen Menschen. Selbst die Phantomhives waren teilweise schon fast berechnend im Vergleich zu ihr. „Deswegen denke ich, dass du eine Flucherbin seien könnest“, ließ ich eine weitere Katze aus dem Sack. Sie blinzelte mir ins Gesicht: „Fluch... Flucherbin?“ „Genau.“ „Was... heißt das?“, fragte sie nun endgültig eingeschüchtert. Doch ich konnte leider nur den Kopf schütteln um deutlich zu machen, dass ich ihr keine richtige Antwort geben konnte: „Ehehehe. Alles und nichts. Leider. Du könntest schon alles gezeigt haben was außergewöhnlich ist oder es folgen noch hundert Dinge. Ich kann es dir nicht sagen. Gerade Dämonen sind was Flüche angeht unheimlich kreativ“, mit einem lauterem, fröhlicherem Lachen verschränkte ich meine Fingerkuppe. Ich liebte Überraschungen und Skyler war voll davon. Ich konnte gar nicht abwarten sie alle nach einander zu ergründen: „ Fu fu fu! Du bist eine kleine Wundertüte, meine Schöne. Wie überaus spannend.“ „Schön, dass du das so lustig findest...“, nuschelte sie unangetan. Ich hob giggelnd meinen Zeigefinger: „Tihi! Interessant, nicht lustig.“ „Warum lachst du dann?“ „Hast du gerade tatsächlich gefragt warum er lacht?“, hob Ronald eine Augenbraue. Auch Sky zog eine Augenbraue hoch und schaute Ronald böse an. Doch ich musste anfangen zu lachen. Wenn Skyler böse schaute, sah das aus wie einen kleinen, knuffigen Welpen den man sein Spielzeug geklaut hatte. Ich machte mich mit meinem Zeigefinger auf den Weg zu ihrer Augenbraue, doch das hübsche Ding hielt mich auf. Mein zweiter Zeigefinger machte sich auf seinen Weg „Okay“, drehte sie sich zu mir und zog auch meinen zweiten Zeigefinger nach unten: „Kannst du das mal lassen? Also... Wenn ich dich richtig verstanden habe: Dem Begriff 'Flucherbin' entnehme ich du hast die Theorie, dass meine Familie schon länger unter dem Fluch eines Dämons steht und ich jetzt, wahrscheinlich aus reiner Böswilligkeit des Schicksals oder wegen schlechten Karmas, das zweifelhafte Vergnügen habe mich damit auseinander setzten zu müssen. Richtig?“ Ich giggelte und eroberte meine Finger zurück: „Ihihi! Exakt.“ „Darf ich nun?“, legte Othello den Kopf schief, als er mal wieder mit seinem Fuß wackelte. Sie zog die Augen zu Schlitzen: „Ich zieh die Jacke aus. Nicht mehr!“ Othello seufzte: „Menschen und ihre Empfindlichkeiten“, seine Augen wanderten zu mir. Ich warf ihm einen mahnenden Blick zu und er hob abwehrend die Hände: „Ok! Ok!“ Ich merkte Skylers Blick auf mir und grinste ihr mit einem Seitenblick entgegen. Grell und Ronald kicherten in ihre Hände. Sky tat das anscheinend nichtsahnend mit einem Kopfschütteln ab und zog seufzend ihre Arme aus den Ärmeln. Sofort griff Othello ihre Handgelenke und zog ihre Arme an sich heran um sie eingehend zu mustern. Er kam ihr mit seiner Nase sehr nah, stieß damit hier und da gegen ihren Arm. Widerstreben blühte aus dem Nichts in mir auf. Widerstreben dagegen, dass Othello Skylers warmer Haut so nah kam. Doch ich schluckte dieses Gefühl herunter, wodurch es schwellend in meiner Bauchgegend zurück blieb. „Wonach genau suchst du denn?“, fragte sie Othello skeptisch. „Einem Fluchmal“, murmelte Othello und zog weiter vollkommen ungeniert und mit seiner Nase ihrer Haut so nah an ihr herum. Ich wandte meinen Kopf ein Stück ab, versuchte dieses Gefühl aus meinem Bauch zu vertreiben und nur noch Othello in meinem Blickfeld zu haben. Ich griff die Kante der Liege und wackelte mit den Beinen, um dieses Gefühl loszuwerden, welches drohte Rastlosigkeit in mir auszulösen. „Wie sieht das denn aus?“, fragte Skyler nach einer Zeit. „Wie eine sehr helle, dünne Narbe die ein komisches Muster bildet.“, antwortete Othello immer noch murmelnd und mental abwesend. „Und wenn du so etwas findest ist die Sache klar, oder?“ Othello nickte: „Kristallklar. Eindeutiger ginge es nicht. Vorbeugen bitte.“ „Warum?“, fragten Skyler und ich skeptisch und im Chor. Unwillkürlich schauten wir einander an. Wieder zog sie eine Augenbraue hoch: „Warum möchtest du das wissen?“ „Nehehe!“, konterte ich lachend und war diesem unsäglichem Gefühl immer noch nicht Herr geworden. Ich lachte in der Hoffnung man sah es mir nicht an: „Wer bettelte denn um meine Hilfe, als er die Knochensägen sah?“ „Weißt du was du mich mal kannst?“, warf Sky mir beleidigt entgegen. Doch ich mochte ihr so herrlich beleidigtes Gesicht so sehr: „Pahahahahahaha! Ich habe dir nicht ohne Grund abgeraten hierher zu kommen.“ „Es hat dir doch was gebracht!“ Ich lachte immer weiter und hob einen Handrücken vor meinen Mund. Jetzt wo sie mich ansah, mit mir sprach und mich mit ihren possierlichen Gesichtsausdrücken zum Lachen brachte, schwand das sengende Gefühl aus meinem Magen: „Tihihihi! Stimmt. Das wäre ja auch alles für mich vollkommen unmöglich herauszufinden gewesen. Ehehehehe!“ „Könntest du aufhören ständig meine Entscheidungen zu kritisieren?“, keifte sie verärgert und ihr Gesichtsausdruck wurde immer besser. Ein Teddybär kann einfach nicht böse schauen. „Hallo?! Ich bin auch noch da! Also?“, forderte Othello unsere Aufmerksamkeit, doch wieder brachten wir synchron den Forscher zum Schweigen in dem wir einen Zeigefinger hoben: „Später!“ Ich legte kichernd den Kopf schief: „Ich kritisiere deine Entscheidungen gar nicht. Ehehe.“ „Neeeeein“, machte Sykler gedehnt: „Was denn sonst?!“ Ich lachte weiter: „Ehehehehe! Ich kann doch nichts dafür, dass alles so kam, wie ich es kommen sah! Ahahahahaha!“ Plötzlich griff sie ihr Rekordbuch und haute es mir immer wieder gegen den Kopf: „ I-d-i-ot!“ Es war nicht feste. Nicht mehr als eine weitere Spielerei, was mich noch lauter lachen ließ. Sie legte das Buch weg und wandte sich betont beleidigt mit verschränkten Armen ab. Knuffig: „Für mich hat sich der Ausflug gelohnt!“ „Warum?“, beugte ich mich ein Stück zu ihrem abgewendeten Kopf um ihr genau in Ohr sprechen zu können. „Weil Ronald mir Sachen erzählt hat, die du mir anscheinend nicht erzählen wolltest“, sie drehte ihren Kopf zurück zu mir: „Zum Beispiel das mit dieser riesigen Statue! Wie Shinigamis entstehen und ihr euch alle auf einem Schiff an die Gurgel gegangen seid. Die Untersuchung war für mich von vorne herein eher zweitrangig.“ Ich drehte meinen Kopf langsam zu Ronald. Er hat ihr von der Campania erzählt? Fantastisch. Ich bereute nichts was auf der Campania passiert war. Es war einer der besten Momente meines langen Lebens gewesen. So viel Spaß durfte ich selten haben. Doch ein gutes Licht warf es wahrscheinlich nicht auf mich, das wusste ich selbst. „Nehehe! Aha?“, bohrte ich meinen Blick in Ronalds grell grün-gelbe Reaperaugen. Ronald lachte verstört, wohl sehend, dass mein Grinsen versteckte wie unangetan ich davon war, dass er gerade darüber sprechen musste. Er zog gestresst seine Krawatte locker: „Öhöhö... öööhm. Ich habe nur ein bisschen in den guten alten Zeiten und Legenden geschwelgt.“ „Tehehehehehehehehe! Ich wusste gar nicht, dass verprügelt zu werden bei dir unter den guten Erinnerungen verbucht wird“, mein Grinsen wurde weiter, was dem jungen Reaper sichtlich nicht behagte. Er schien begriffen zu haben, dass alles was folgen würde ihm noch weniger gefallen würde: „Nehe! Also, wenn das so ist...“ „Nein!“, wedelte Ronald abwehrend mit seinen Händen: „Das meinte ich auch nicht!“ „Schade. Hehe. Ich erinnere mich gerne daran“, giggelte ich vollkommen wahrheitsgemäß. Wie gesagt ich hatte meinen Spaß auf der Campania. Das Gesicht des jungen Earls, als Zombies drohten ihn aufzufressen. Sein geschockter Ausdruck, als er meinen Verrat begriff. Sebastians blutiges Röcheln, nachdem ich ihm meine Sense in den Rücken gesteckt hatte. Ronalds und Grells entgleiste Gesichter, als sie bemerkten, dass ich ebenfalls ein Shinigami war. Der Moment, in dem ihr Grinsen aus ihrem Gesicht gewischt wurde, als sie darüber hinaus bemerkten, dass mich eine fehlende Brille nicht einschränkte. Es gab viele Gründe sich gerne daran zu erinnern. Doch gerade wollte ich wissen was Ronald noch aus meinem Nähkästchen geplaudert hatte: „.Ansonsten?“ „Sky hat recht“, schüttelte Ronald den Kopf. Er erinnerte sich offensichtlich nicht so gern an unsere gemeinsame Kreuzfahrt: „Du bist ein Idiot! Und nein. 'Das' habe ich nicht erzählt.“ Ich drehte lachend meinen Kopf nach vorne: „Tehehehehe! Wahrscheinlich! Braver Ronald.“ „'Das'?“, klang Skylers Stimme in mein rechtes Ohr. „Nicht wichtig“, antworteten alle, die wussten was gemeint war. Lediglich Othello teilte seufzend Skylers Verwirrung: „Das reinste Irrenhaus...“ „Oh ja“, nickte das junge Ding: „Wie lange brauchtest du, um das herauszufinden?“ „Nicht lange. Ich verdränge es nur jedes Mal aufs Neue, weswegen ich es auch jedes Mal aufs Neue wieder feststelle...“, legte der Forscher seinen Kopf schief. „Keine gute Taktik“, grinste die schöne Brünette, ohne dass es auch nur einen Hauch einer Beleidigung innehatte. „Ich weiß“, seufzte Othello. Der kleine Dialog amüsierte mich. Doch etwas Anderes interessierte mich viel mehr. Mit einem immer weiter werdenden Grinsen kippte ich ein Stück zur Seite und beugt mich so zu Skys schönem Gesicht: „Was meintest du eigentlich mit zweitrangig?“ Ich hatte noch nicht ganz zu ende gesprochen, da flog schon wieder ein roter Schimmer auf Skys leicht hervorstehende Wangenknochen: „Ähm...“, sie sah starr gerade aus: „Ich bin nur mitbekommen um ein bisschen was über dich herauszufinden...“ Ich kam nicht umhin irritiert zu blinzeln. Ich setzte mich wieder gerade hin und meine Irritation fand ihren Weg in mein Lachen: „Ähehehe?! Über mich?“ Sie nickte und drehte ihren Kopf halb in meine Richtung: „Ja... schon...“ „Ehehehehehe! Warum das denn?“, ich merkte wie das Grinsen in meinem Gesicht etwas schiefer hing als üblich: ‚Was will sie denn über mich herausfinden?‘ „Warum wohl?!“, weckte mich Skylers Stimme aus meinem leichten Grübeln mit einer Selbstverständlichkeit, als läge alles glasklar und überdeutlich auf der Hand. Die Wahrheit war, dass ich leider noch immer keine Ahnung hatte was sie eigentlich meinte. Das führte dazu, dass mein Kopf zur Seite fiel und ich ein weiteres Mal fragend blinzeln musste, während ich das schöne, junge Gesicht musterte: „Ehehehe! Erleuchte mich.“ „Also...“, die junge Frau stotterte auf einmal unbeholfen vor sich her. Der rote Schimmer wurde ein satter Schleier: „Also... ja... es ist doch offensichtlich, dass... Ähm... Was ich sagen will... Also... Ich... Äh... du...“ Ihre Verschämtheit erschloss sich mir nicht, was mich nicht davon abhielt mich darüber zu amüsieren. Mein Kichern wurde lauter: „Ihihihihihihihi! Ja?“ „Ich...“, sie schaute zur Seite und sprach so schnell, dass meine Lider kurz anfingen zu flattern, als ich zu folgen versuchte: „Wollte ein bisschen über dich wissen! Du weißt so viel über mich, doch du redest nie über dich!“ „Das stimmt wohl, das stimmt wohl“, lachte ich, als ich den Schwall von Buchstaben geordnet hatte, der wie ein Wildwasserlauf aus diesem immer dunkler werdenden Gesicht heraus gebrochen war: „Doch du weißt genauso viel über mich wie alle hier in diesem Raum. Wenn nicht sogar ein wenig mehr. Natürlich hoffe ich Ronald konnte deine Fragen zu deiner vollsten Zufriedenheit beantworten. Auch wenn du mich natürlich einfach selbst hättest fragen können. Tehehehehe!“ Sky drehte den Kopf ruckartig zu mir und musterte mir kurz, fast perplex: „Mehr? Wie?! Ich habe keine Ahnung was du vorher so gemacht hast, außer Leute zu begraben, bei den Phantomhives herumzuhängen und Seelen zu holen! Ich kenne deine Vergangenheit nicht! Ich kenne ja noch nicht einmal deine Hobbys! Ich weiß nicht was dir Spaß macht! Ich weiß eigentlich gar nichts über dich und...“, sie stockte genau so abrupt wie ihr Kopf zu mir gefahren war und ließ die Augen nach unten fallen: „Und...“ „Und?“ „Und...“, zauderte sie weiter und schaute schief zur Seite: „Naja... ich... würde das alles gerne wissen... und so...“ „Tehe. Und so?“, ihr Verhalten war zu gleichen Teilen amüsant, wie verwirrend. Warum wollte sie überhaupt so viel über mich wissen? Die meisten Leute waren froh, wenn sie so wenig wie möglich mit mir zu tun hatten, geschweige denn wollten sie eine Ahnung davon haben was in meinem Kopf vorging. Verübeln tat ich es ihnen nicht: „Warum? Meine Vergangenheit ist furchtbar öde, meine Hobbys ziemlich makaber und einige nur allzu offensichtlich und Dinge die mir Spaß machen gibt es nur sehr wenige. Hehehe! Für mein Vergnügen sorge ich meistens selbst. Nihihihi!“ Sie seufzte: „Aber... solche Dinge sagen doch etwas über den Charakter von Jemandem aus...“ Ich lachte weiter. Mir ging ein kleines Licht auf. Das junge Ding hatte wohl in den letzten paar Stunden so viel Neues und Anderes über mich erfahren, dass sie sich nicht mehr wirklich sicher war, mit wem sie es zu tun hatte. So weit zumindest meine Theorie. Doch Fakt war, dass ich mich ihr gegenüber nie verstellt hatte. Ich verstellte mich generell nicht, ich wähle nur sorgsam aus wer etwas von mir wann erfahren durfte: „Du kennst meinen Charakter doch! Tihihihihihi! Also darum habe ich wirklich nie ein Geheimnis gemacht!“ Das Himmelblau ihrer großen Augen bohrte sich in meinen Blick: „Als ob du nur ein vergnügungssüchtiger Irrer bist!“ Ich lachte noch lauter. Was auch immer sie nun in mich hineininterpretierte: „Pahahahahahahaha! Was soll ich denn ansonsten noch sein? Reicht das denn nicht? Ehehehe!“ „Ein verdammter legendä...“, mir wurde sofort gewahr, was die junge Skyler sagen wollte. Für weniger als eine Sekunde machte mein Herz einen schmerzhaften Sprung zur Seite. Meine Hand schnellte nach vorne und hielt sie so gerade noch rechtzeitig davon ab ihren Satz zu Ende zu führen. Ich wollte mir nicht vorstellen was Othello getan hätte, nachdem er damit fertig gewesen wäre vom Hocker zu fallen, hätte Skyler verlauten zu lassen wer ich mal gewesen war. „Ärer Sonderling, dessen größtes Hobby es ist Tote aufzuschneiden und mit ihnen lockere Konversation zu betreiben. Nihihihihihi!“, fing mein Herz wieder an zu schlagen, als das Unglück abgewendet war. Othello legte eine Hand über seine Augen: „Das ist so... Ihr wisst schon...“ Ich schüttelte erleichtert lachend den Kopf und schloss dabei kurz die Augen: ‚Puuuuh...‘ Ich nahm meine Hand herunter, als ich Skyler in das immer noch sehr ungläubig und geschockt wirkende Gesicht schaute. Wieder purzelten einige Gedanken durch ihre Augen. Das arme Ding schien in letzter Zeit nur noch zu denken. Ich hoffte sie verkraftete das. „Ich bin nicht mehr und, ihihi, wenn du irgendwelche Fragen hast, dann frage doch einfach direkt mich“, hoffte ich ihren Gedankenmarathon ein wenig ausbremsen zu können. „Antwortest du mir auch?“, schaute Sky mich ein wenig besorgt an. Ich nickte knapp, als ich kurz darüber nachdachte warum sie meinte das fragen zu müssen. Hatte ich mich in letzter Zeit nicht als vertrauenswürdig erwiesen? Ich hatte doch auf jede ihrer Fragen geantwortet, egal wie hart, oder komisch die Antwort ausgesehen hatte. Oder?: „Natürlich und wenn du mich jetzt fragen möchtest, ob ich dir auch ehrlich antworte erinnere dich. Ich lüge nie. Fuhuhuhu.“ Sie seufzte und ließ das schöne Köpfchen hängen: „Es tut mir leid... Das war link von mir.“ Ein weiteres Mal lachte ich auf, als ich ihr durch die so unglaublich weichen Haare wuschelte: „Pahahahahahaha! Es geht schlimmer, glaube mir. Es ist alles ok.“ Ich hatte in meinem langen Leben zahllose Aktionen und Situationen erlebt, die um einiges dreister, rücksichtsloser und gemeiner waren als alles was Skyler je versuchen könnte. „Noaaaaaah!“, erkannte ich Ronalds und Grells Stimme hinter mir. Gleichzeitig landete der Blick der schönen Brünetten und meiner auf den Beiden. Grell hatte seinen Kopf auf Ronalds Schulter abgelegt und Ronald seinen wiederum auf Grells. Die beiden seufzten verträumt: „Wie süüüüüüüüüüß!“ William nahm mir das Seufzen ab. Ich wollte nicht, dass die Beiden über alles Bescheid wussten. Das eröffnete zu viel Platz für… Überraschungen. Gut gemeinte Überraschungen. Aber gut gedacht war noch lange nicht gut gemacht und jeder der Beiden war für sich schon das Chaos auf zwei Beinen. In Kombination… Gute Nacht Marie. Sky und ich schauten wieder gleichzeitig einander ins Gesicht. „Die Beiden sind aber auch nicht mehr ganz knusper, oder?“, fragte sie gefangen zwischen Lachen und einem eigenen Seufzen. „Ehehehehehehehehe!“, ihr Gesichtsausdruck in Kombination mit ihrer unsteten Tonlage kitzelte einen kleinen Lachanfall aus mir heraus: „Man kann mir viel unterstellen, aber nicht, dass ich in unserer wunderbar illusteren Runde der einzige Verrückte wäre. Ahahahaha! Das macht das Leben ja so unsagbar wunderbar!“ Jetzt entschied sie sich zu seufzen und danach zu lachen: „Und das war ein Reim, das find' ich fein.“ Ich lachte wieder auf. Ich mochte ihre kleinen Kommentare: „Ihihihi! Stimmt! Mein kluges kluges Mädchen.“ Sie strahlte mich an. Sie sah irgendwie stolz aus und spannte mit einem leichten Wackeln Schultern und Wirbelsäule, während sie mich weiter anlächelte. Ehrlich, herrlich, wunderbar. Sie war einfach wunderbar, wenn sie so lächelte. Othello lachte: „Die Beiden haben recht. Ihr Beide seid furchtbar knuffig!“ Sky schaute Othello mit zusammengezogenen Augen an und der Stolz wich einer gewissen Verstimmtheit: „Ich bin nicht knuffig!“ Ich musste giggelte: „Oh doch. Nihihihihihi!“ Sie drehte ihren Kopf wieder zu mir: „Nein!“ „Doch. Thehe!“ „Stimmt nicht!“ „Aber Ja! Ehehehe!“ „Nein!“ „Ich bleibe dabei. Fu fu fu fu!“ „Lass das!“ „Tehe, was?“ „Zu sagen ich sei knuffig!“ „Aber ich lüge nie. Ehehehehe!“, mein Lachen wurde während unseres Wortwechsels immer lauter. Denn genau jetzt war sie so unsagbar knuffig. Ich sah wie sie ein zweites Mal ihr Buch nahm und ordentlich Schwung holte: „Du bist doof!“ Ich sah kommen was folgen wird. Natürlich tat ich das. Doch ich entschloss mich ihr ihren Spaß zu lassen. So landete das Buch mit reichlich Schwung auf meiner Nase. Mit einem Lachen fiel ich rücklings von der Liege und blieb auf dem Boden liegen. Lachend rümpfte ich meine Nase. Der Schlag war nicht schlecht gewesen. Natürlich war er kein Vergleich zu zum Beispiel Sebastian, doch für einen Menschen nicht schlecht. Vor allem für ein junges, dünnes Mädchen. „Ehehehehehe!“, lachte ich von meinem neuen Liegeplatz aus: „Frauen Komplimente zu machen ist wirklich wie Topfschlagen im Minenfeld. Tihihihihihi!“ Ich hörte Ronald lachend seufzen, denn sehen tat ich gerade nur die verschwommenen Schemen der Weißen Deckenverkleidung und der Leuchtstoffröhren: „Du hast einfach kein Händchen für so etwas.“ „Du auch nicht“, hörte ich Sky kontern. Irgendwann verleih ich ihr für diese Aussagen einen Orden! „Hey!“, entfuhr es Ronald mehr als nur empört, als er ein weiteres Mal in seiner Männlichkeit und in seinem Selbstbild als Don Juan beschnitten wurde. Von einer Frau, was noch unwesentlich mehr schmerzen musste. In mein schadenfrohes Lachen mischte sich auch das Lachen der schönen Skyler. Sie könnte öfter so possierlich stolz auf sich sein. Viel öfter. Denn im verbalen Kontern war sie alles andere als schlecht. „Willst du jetzt da liegen bleiben?“, hörte ich Grell fragen. „Joa“, antwortete ich kichernd: „Ihihihihihi! Ich glaube das wäre im Moment die weiseste Entscheidung.“ „Ja. Unsere Kleine hat es streckenweise faustdick hinter den Ohren“, fasste Grell es wunderbar zusammen. Ich hatte nichts zum widersprechen. Nach einer kleinen Stille lachte Ronald noch einmal: „Das ist ein Kompliment. Mit Püppchen und Ladys können wir auf Dauer nicht viel anfangen.“ „Nihihihi!“, auch dieser Aussage hatte ich nichts abzusprechen oder hinzuzufügen: „Wie wahr. Zu schwach! Zu zerbrechlich!“ „Ihr habt sie wirklich nicht mehr alle“, hörte ich schließlich wieder Othellos Stimme: „Doch was ist nun? Ich möchte nur deine Schulterblätter, deinen Nacken und deinen Rücken sehen.“ Die Entscheidung lag nur bei der jungen Sky alleine. Von meiner Position konnte ich ihren Rücken und ihre schönen langen Haare sehen. Naja, die Schemen davon. Meine Brille hing ja immer noch an meinem Hemd. „Ok...“, antwortete Sky schließlich immer noch ein bisschen misstrauisch und skeptisch. Dann verschwand ein Großteil ihres Schemens aus meinem Blick. Wahrscheinlich, weil sie sich nach vorne beugte. „Oh!“, entfuhr es Othello mit so einer Bedeutungsschwere, dass er sofort meine ganze Aufmerksamkeit bei sich hatte. Ich schwang meine Beine von der Liege und stand mit einem Satz: „Ok, damit ist alles klar.“ Ich konnte mir denken was gemeint war. Doch dann sah ich es. Über die Haut von Skylers Nacken zog sich eine feine, weiße Narbe über ihre für einen Menschen recht blasse Haut. Man könnte meinen es handele sich um eine Narbe, hätte sie nicht eine ungeahnt atypische Form. Ein großer Kreis, in dessen Mitte ein kleinerer. Von dem kleineren Kreis zogen sich 8 längliche Dreiecke mit runden Ecken über den größeren Kreis hinaus. In diesen Dreiecken stand jeweils ein Pfeil, der nach außen zeigte. Ich zog meine Augen zu Schlitzen. Dieses Mal war eine Kombination aus dem Symbol für Ordnung und dem Symbol für Chaos, was selbst für meine alten Augen ungewöhnlich war. Interessant ungewöhnlich, was meine Neugier entfachte und mich zum Lachen brachte: „Tatsächlich! Ehehehehe! Ein wunderschönes Exemplar!“ Die anderen traten näher und beschauten das zarte Narbengewebe. „Ähm... Leute?“, klang es aus Skylers Haaren dem Boden entgegen: „Erzählt ihr mir auch was los ist?“ Doch alle schienen doch viel zu verwundert um ihr irgendetwas zu erklären. Selbst ich war nun doch etwas erstaunt, obwohl ich die Theorie schon seit der Situation hegte, in der Merkenau der jungen Frau 1:1 nachempfunden hatte. „Öhm...“, tat Ronald seiner Überraschung recht geistlos kund: „Ist das dieses komische ...Dingens?“ „Hallo?!“, versuchte Sky ein weiteres Mal unsere Aufmerksamkeit zu erlangen: „Was ist denn da?!“ Vergebens. „Na herrlich“, seufzte William: „Aber damit sind alle Absonderlichkeiten Miss Rosewells nicht unser Problem. Gut.“ „Absonderlichkeiten!?“, das war dann wohl doch zu viel für das junge Ding. Sie richtete sich mit Schwung auf und warf ihre Haare nach hinten, die William einmal quer durch sein Gesicht peitschten. Er tat dies mit einem verwunderten Blinzeln und Nasekratzen wortlos ab. „Du bist so charmant wie deine Heckenschere, du Arsch!“, bellte Sky den Aufsichtsbeamten weiter zusammen. Ich überlegte mit einem gefälligen Grinsen, welche Form ihr Orden haben sollte. Danach schaute sie jedem einmal ins Gesicht: „Was ist da?!“ „Astschere“, warf William ein und richtete seine verrutschte Brille. Sie schaute ihn wütend an und William verschränkte seine Arme mit einem kalten Blick, der allerdings dieses Mal an Skyler abzuprallen schien. „Ein Fluchmal. Ihihihi!“, stützte ich lachend meinen Kopf in Daumen und Zeigefinger. Die hübschen blauen Augen fuhren zu mir herum: „Was...?“ Alle schwiegen in Anbetracht des Schocks in ihrem Gesicht. Man sah ihr Weltbild und auch ihr Selbstbild in ihren Augen wackeln, während die Nachricht nur langsam zu ihr durchzusickern schien: „Fluch... Fluch...“ Sie atmete rasselnd durch, was nicht viel zu nützen schien, denn im künstlichen Schein der Leuchtstoffröhren sah ich Tränen in den großen Augen glänzen: „Das.. das heißt...“ Der Anblick zerriss mir fast das Herz. Ihr Schock, er war verständlich. Ich wollte ihr helfen. Doch ich wusste atok nicht wie. Sie schaute zu Boden und begann auf einem Fingernagel herum zu kauen. Dann begann sie auch noch heftig zu zittern. Umso mehr sich die Erkenntnis zu setzen schien, umso schlechter schien es ihr zu gehen. Und ich hatte keine Ahnung was ich jetzt tun sollte. Keiner hier schien eine Idee zu haben. William und Othello schauten sich an. Selbst der strenge Aufsichtsbeamte hatte Mitgefühl und auch eine gewisse Ideenlosigkeit in seinem Blick, auch wenn es sein Gesicht nicht wirklich erreichte. Auch Grell und Ronald, die eigentlich gute Redner waren und immer eine mehr oder weniger passende Antwort fanden, schwiegen betreten. Als ich wieder zu Skyler schaute bekam ich einen Tritt in meine Magengrube, ein so schlechtes Gefühl verlieh mir das Bild was sich mir bot. Was für ein Gefühl es war konnte ich nicht sagen. Es war kalt, eng und beklemmend. Skys schlanke Finger hatten sich in ihren Haaren verkrampft, die immer noch ihr Gesicht verhangen. Ihr Kopf war zwischen ihre Schultern zurückgezogen und ein paar kleine, kreisrunde Stellen auf ihrer Jeans lösten einen mehr als nur unangenehmen Verdacht in mir aus. Dieser bestätigte sich prompt und ließ das Gefühl in mir schlimmer werden, als eine im künstlichen Licht glitzernde Träne auf ihre Hose tropfte und darin versickerte. Zitternd und weinend war die junge Frau vollkommen stumm. Sie machte kein Geräusch und wirkte vollkommen apathisch. Ich setzte mich neben Skyler, legte ihr eine Hand auf die Schulter und neigte meinen Kopf zu ihrem verhangenen Gesicht. „Sky? Hörst du mich? Sky?!“ Nichts. Nicht den Hauch eine Reaktion. Eine brennende Sorge verscheuchte das starre, erschrockene Gefühl. Ich schüttelte sie zweimal: „Hey! Was hast du? Sky?!“ Immer noch nichts. Skyler schien komplett in sich versunken und sich aus der Realität zurückgezogen zu haben. „Skyler!!“, rief ich ein letztes Mal ergebnislos. Ich zog ihre Hände von den Ohren. Sie waren ganz steif. Ich wischte ihre Haare bei Seite und drehte ihr Gesicht an ihrer Wange zu mir. Dann nahm ich es in beide Hände. Ihre Augen sprangen auf und starrten mich an. Fahl, als sei sie noch nicht ganz da. Die Wangen unter meinen Fingern feucht von ihren Tränen. Ich rieb ihr mit dem Daumen die Tränen von einer, als ich ihre Augen eindringlich musterte. Ich wollte sie so nicht sehen: „Na na. Es gibt keinen Grund für Tränen, meine schöne Puppe“, ich legte mit einem Lächeln den Kopf schief. Alles würde in Ordnung kommen. Dafür würde ich Sorgen. Mit allem was ich konnte. Und ich konnte einiges. „...Ich“, würgte sie gequält heraus und ihre Augen wirkten als käme sie langsam wieder in der Realität an: „... Ich bin... ein... Freak...“ Ihr Zustand war nicht zum Lachen, doch diese Aussage brachte mich dazu. Sie hatte Dämonen getroffen, Sensenmänner, ihre beste Freundin war die Tochter eines gnadenlosen Earls mit einem teuflischen Butler, sie saß in einer fremden Welt auf der Liege eines verrückten Schnitterforschers, aber SIE war der Freak?! Das empfand selbst ich als verdreht: „Nihihihihi! Willkommen in meiner Welt, kleine Skyler. Glaube mir. Im Vergleich zu uns bist du trotz allem noch ziemlich normal.“ Ihre Augenlider flatterten: „Aber... was ist wenn...“ Ich schüttelte bestimmt meinen Kopf. Sicherlich denkt sie nun sie sei unberechenbar oder irgendwie gefährlich. Unmöglich war es nicht, doch hätte sie arg destruktive Züge hätten sie sich schon mal bemerkbar gemacht. Vor allem bei ihrer Vergangenheit: „Nein, nein, nein. Skyler nein. Es gibt nichts worüber du dir Sorgen machen müsstest. Wir sind da. Du stehst nicht alleine im Regen. Ok?“ „Aber...“, ein Schluchzen erstickte ihre Worte. Ihr Kopf fiel schlaff in meine Hände. Tränen rollten über meine Finger. Sie waren ganz heiß. Ein Beben ging durch ihren zierlichen Körper. Ich nahm sie in den Arm. Fest. So fest, dass sie nicht mehr zittern konnte: „Scchhhh. Alles ist in Ordnung.“ Ich fuhr ihr mit den Fingern durch die Haare. Ihr Körper verlor ihre Spannung und ich hatte ihr ganzes Gewicht in den Armen. Doch sie war so leicht. Und sie wirkte immer so zerbrechlich. Sie war zerbrechlich, auch wenn sie manchmal so taff wirkte. „Was...“, schluchzte sie in mein Hemd: „Ist, wenn ich gefährlich bin? Du sagtest selbst es könnte noch alles passieren...“ „Oh je, oh je“, stricht ich ihr mit einem seichten Lachen weiter durch das Haar und versuchte sie so irgendwie zu beruhigen: „Armes Ding. So beruhige dich doch. An dir gibt es nichts was wir nicht in den Griff kriegen könnten. Glaube mir.“ „Aber... aber...“ „Nichts aber“, mit einer Hand an ihrer Wange drückte ich sie ein kleines Stück von mir weg um ihr ins Gesicht zu schauen und ihr die andere Wange trocken zu streichen: „Vertraue mir doch, kleine Sky. Wir schaffen das, ok? Du musst da nicht alleine durch.“ Sie fiel mir um den Hals und versteckte ihr Gesicht in meiner Schulter: „Du willst dir doch nicht tatsächlich einen Freak ans Bein binden...“ Erst blinzelte ich kurz, überrascht von ihren Armen an meinem Hals. Dann lachte ich auf und hielt sie wieder fest: „Ehehe! Dann dürfte ich ja nicht mehr in den Spiegel schauen! Alle hier in diesem Raum sind immer noch viel größere ‚Freaks‘ als du. So glaube mir das doch endlich. Was genau du alles kannst bekommen wir schon noch heraus. Wahrscheinlich bist du eher sehr sehr nützlich anstatt gefährlich.“ Sie nahm ihren Kopf hoch, sodass nur ihre Augen mir von unten ins Gesicht blinzelten und ich musste genauer hinhören, um ihre von meinem Hemd gedämpften Worte zu verstehen: „Wie meinst du das...?“ „Nun ja“, lachte ich weiter und drückte ihr mit dem Finger auf ihre gerade so sichtbare Nasenspitze: „Du bist ein kleiner Dämonenradar! Wenn das nicht praktisch ist! Vielleicht ist dir aufgefallen, dass du die Einzige bist die eine Ahnung hat wann Claude und Co. in der Nähe sind“, ich hob einen Zeigefinger um die Bedeutsamkeit meiner Worte zu unterstreichen: „Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich, mein schönes verfluchtes Kind. Und mit wichtig, meine ich wichtig. Sehr wichtig.“ Sie blinzelte ein paar Tränen weg. „Welche?“, nahm sie ihr Gesicht nun gänzlich aus meiner Schulter. „Auf Amy aufzupassen“, lächelte ich ihr entgegen. Sie streckte ihren Rücken und brachte so ein wenig mehr Platz zwischen uns: „Wie...?“ Als ich ihre Schulter griff, wischte ich ihr mit meiner verbleibenden Hand die restlichen Tränen von dem schönen Gesicht: „Wenn ich ganz ehrlich bin kommen deine ungewöhnlichen Begabungen zur allzu rechten Zeit.“ Ich hörte Grells Absätze ein paar Schritte näher kommen, als ich Sky ein paar nasse Strähnen ihrer schimmernden, braunen Haare von den feuchten Wangen wischte. „Wie es scheint wollen die Trancys Amy entführen und damit die Phantomhives erpressen. Ihre Ausgangslage für diesen Plan war ziemlich gut. Dann kamst du“, stemmte der rote Reaper die Hände in die Hüften. Wie recht er hatte. Das wäre ein wahres Albtraumszenario. Für einfach alle. „Wenn sie das schaffen sollten“, fuhr ich weiter aus und hielt Skys Blick mit einer Hand an ihrer Wange in meinem Gesicht: „Haben sie mit einem Schlag unser aller Hände gebunden. Dass Amy etwas zustößt, könnte keiner hier verantworten. Ich möchte, dass du, wie die treue Freundin und Seelenschwester die du bist, nicht vom Amys Seite weichst und Alarm schlägst, sobald du auch nur die vage Ahnung hast irgendetwas Komisches könnte in der Nähe sein, verstehst du mich?“ „Genau“, betonte auch Ronald die Wichtigkeit dieser Bitte: „Wir werden dir sämtliche Nummern geben, die wir zusammen bekommen. Alex, Heph, Fred, Lee, Sebastian, unsere, Undertakers Festnetznummer. Klingel alles durch sobald dir etwas nicht geheuer ist.“ „Aber“, ihre Augen wanderte zwischen Grell, Ronald und mir hin und her: „Was ist, wenn ich ständig falschen Alarm schlage?“ „Dann“, ertönte Williams kühle Stimme hinter Grell und Ronald: „Freuen wir uns dieses Umstandes. Immer wieder aufs Neue. Auch bei solchen Fähig- und Fertigkeiten macht Übung den Meister, Miss Rosewell.“ Sky beschaute William einige Momente. Sehr genau. Sie beobachtete oft sehr genau und war in der Lage selbst kleine Gefühlsregungen zu erkennen. Ein künstlerisch begabter Blick half sicher dabei, doch ich fand diese Fähigkeit immer wieder erstaunenswert. Dann atmete sie ein weiteres Mal raschelnd durch und nickte: „Ok“, ihre Augen wanderten wieder zu mir: „Natürlich. Ich bleibe bei Amy.“ Mein Lächeln wurde weiter. Sie war so ein loyales Ding: „Ich habe nichts anderes von dir erwartet.“ Doch trotz allem fielen ihre Augen noch einmal nach unten. Ich seufzte, konnte allerdings ein mitfühlendes Schmunzeln nicht verdrängen. Sie war eben doch nur ein Mensch. Ein recht junger und in sich unsicherer Mensch, wie ihre extreme Reaktion ein weiteres Mal zeigte. „Schau nicht so resigniert“, versuchte ich sie aufzumuntern und ihr irgendwie eine hellere Seite an dieser für sie wohl absolut dunklen Tatsache zu zeigen: „Wo ist deine Abenteuerlust?!“ Davon hatte sie dringend ein wenig mehr nötig. Doch sie blinzelte nur verwirrt zu mir hoch: „Abenteuerlust?“ Ein Lachen stahl sich aus meiner Kehle, als ich mit einem weiteren Schmunzeln feststellen musste, dass ich Abenteuerlust wohl vollends vergeblich bei ihr suchen würde: „Tihihihihi! Aber natürlich! Das alles ist doch furchtbar spannend! So viel, dass nur darauf wartet entdeckt zu werden!“, mit einem Grinsen drehte ich meinen Zeigefinger auf ihrer Nase. Ich hoffte, dass diese Geste so albern war, dass es sie ein wenig auflockerte. Und tatsächlich schüttelte sie mit einem Schnauben ihren Kopf und rümpfte die süße Nase. „Einiges“, William hatte seine Death Scythe in der Hand und war vorgetreten. Grell und Ronald ließen ihn kommentarlos durch, doch ich schaute ihm trotzdem mit einem grinsenden, doch skeptischen Blick entgegen. William sah sie mit einem Seitenblick. Die Warnung in meinem Gesicht. Die Warnung die sagte, dass ich mit dem kleinen Krater in der Wand der Phantomhives gerade erst begonnen hatte und weiter machen könne, wolle er die lange Schere in seiner Hand benutzen wollen um Skyler zu verletzen. „Könnten wir jetzt schon herausfinden“, schob William seine Brille hoch. „Wie meinst du das?“, fragte Sky verständlich irritiert und vor allem ängstlich. William räusperte sich: „Ihr könnt Records sehen. Eigentlich ist diese Fähigkeit Sensenmännern vorbehalten. Allerdings sehen Engel und Dämonen sie auch. Von daher erklärt ein Fluch diese Fähigkeit ebenfalls. Es gibt sogar Engel, die sie beeinflussen können. Ob es auch Dämonen gibt die dessen mächtig sind ist unbekannt, aber nicht ausgeschlossen. Doch es würde mich interessieren, ob es sich bei ihnen auf sehen beschränkt.“ Sky verschwand in meinen Armen: „Und wie… willst du das herausbekommen…?“ Ich merkte wie sie ihre Finger in mein Hemd krallte, also drückte ich sie fester an mich: „Ehehehe. Eine mehr als berechtigte Frage, William.“ William hob erst kopfschüttelnd eine Hand, um sie dann zum Blatt seiner Astschere zu bewegen und einmal mit der Handfläche über die Schneide zufahren: „Nicht, indem ich der jungen Miss Rosewell schade.“ Williams Film wirbelte durch den Raum. All seine Erinnerungen flogen durch den Raum und füllten ihn schon bald fast gänzlich. „Nimm ihn in die Hand“, sprach William reichlich genervt, als Skyler sich nicht rührte. Ich wusste warum der Aufsichtsbeamte gerade noch einmal angespannter war als üblich. Er hatte seine Erinnerungen offen gelegt der höheren Sache wegen. Es war das Naheliegendste seine eigenen zu wählen. Er musste so mit niemanden diskutieren und es kamen ihm keine Regeln in den Weg. Doch William an sich, der Charakter William, war eigentlich viel zu verschlossen und in sich gekehrt um so etwas zu tun. Er entschied immer danach was für die Situation am einfachsten, logischsten und dienlichsten war, selbst wenn es ihm persönlich mehr als nur widerstrebte. Sky blinzelte ihn an: „Bitte was?!“ „Meinen Record. Nimm ihn in deine Hand.“ „Bist du… sicher?“, schien auch Skyler Williams unterdrückte Gegenwehr zu spüren. Doch der strenge Reaper zuckte nicht mit einer Wimper. Er nickte nur kurz. Skys Augen wanderten zu mir. Ich nickte ebenfalls: „Tehe. Wenn William es sagt.“ Zaghaft streckte sie ihre schlanke Hand aus und griff nach den Filmstreifen. Doch er flog einfach durch ihre Hand hindurch. Mir rollte eine Horde Steine vom Herzen. Das war eine Entwarnung. Die Reaper hätten keine Grundlage mehr, Skyler festhalten zu wollen. Skyler beschaute ihre Hand ein wenig verwundert. Ich lachte durch meine Nase, als das Wummern der vielen Steine in meiner Brust nachgelassen hatte: „Nun. Bist du beruhigt, William?“ Will nickte kurz: „In der Tat.“ Sky schaute abwechselnd zu William und zu mir: „Ist… das gut?“ „Dass du Records nicht berühren kannst?“, legte ich meinen Kopf schief und der Schatten meines Ponys rutschte von meinem rechten Auge. Mit nun beiden Augen lächelte ich dem jungen Ding entgegen. Sie starrte. Sie starrte mich an, tief in Gedanken versunken. 1 Minute, 2, dann 3. Worüber sie nachdachte konnte ich nicht sagen. Sicherlich hatte sie mittlerweile genug Stoff um sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich habe selten so hart arbeitenden Augen gesehen, was ein kurzes Lachen durch meine geschlossenen Lippen schob. Die Realität hielt Einzug in ihren Augen und ein sattes Rot in ihr Gesicht. Warum sie jetzt schon wieder rot wurde, vermochte ich auch nicht zu sagen. Dieses Mädchen war doch hin und wieder recht rätselhaft. Ich wandte meine Augen endgültig von ihr ab und griff Williams Record. Ich bekam ihm natürlich zu fassen und der dünne, braune Film der Williams ganzes Leben erzählte surrte durch meine Finger. Ich hatte ja schließlich noch eine Frage zu beantworten: „ Dass du sie nicht greifen kannst, ist eher beruhigend. Das heißt du kannst keinen Schindluder mit ihnen treiben.“ „Sei ja vorsichtig damit“, schaute William schon fast mürrisch auf meine Hand, durch den sein Film lief. Ich kicherte nur. „Schindluder?“, Skyler musterte den Record: „Wie soll man denn damit Schindluder treiben?“ „Ehehehehehe!“, lachte ich, als mich die Erinnerungen an Angela beschlichen. Wie sie den jungen Ciel fast so weit in Trance geredet hatte, dass sie seinen Record hätte ändern können. Wir hatten alle alles in die Waagschale geworfen was wir hatten, um dies zu verhindern. Gott sei Dank war der kleine Earl recht stur und bockig gewesen. Es war irgendwie amüsant, dass uns genau diese beiden Charakterzüge vor unfassbar viel Ärger bewahrt hatten: „Wir hatten mal das zweifelhafte Vergnügen mit einem ganz“, ich wog grinsend den Kopf hin und her. Für Ash und Angela gab es viele gute Beschreibungen. Zum Beispiel die, dass ich in Vergleich zu diesem Engel der reinste Engel war: „Einzigartigen Vertreter der Engel. Er, oder sie, hatte die Fähigkeiten Records umzuschreiben.“ Ihre Augen wurden groß: „Records umzuschreiben? Ich dachte die Records sind die Erinnerungen eines Wesens!“ „Sind sie. Diese… ‚Gabe‘ war auf viele Art und Weisen ärgerlich“, schaute William missbilligend auf seinem Film in meinen Fingern. Das war sicher der letzte Ort wo er ihn sehen wollte. Denn tatsächlich wie er so durch meine Finger lief, sah ich auf einem Auge ganz deutlich Williams Erinnerungen. Als er Grell vor Sebastian gerettet hatte. Der Zirkus. Die brennenden Kinder. Wie er Grell und Ronald aus dem Eiswasser gefischt hatte. Selbst seine Zeit auf der Akademie und seine Abschlussprüfung mit Grell, die doch sehr anders verlaufen war, als es sich William sicherlich gewünscht hatte. Doch der Aufsichtsbeamte hielt seine Füße still. Ich hatte ihn ja schließlich auch so gesehen… am Schlafittchen. Mit dem anderen Auge sah ich Skylers Kopf zum wiederholten Male zwischen mir und William hin und her wandern: „Auf welche denn?“ Ich giggelte ein wenig, als auch ich noch einmal zu William schaute und diesen angestrengt steinernen Ausdruck sah: „Tihihihihihihi! Wie schon gesagt: Die Records sind die Erinnerungen eines Menschen oder anderer Wesen. Seine Vergangenheit. Doch die Vergangenheit, die kann selbst Gott nicht mehr ändern. Manipuliert man also die Records zeigen sie nicht mehr die Wahrheit. Sie stimmen nicht mehr mit dem überein was wirklich geschehen ist.“ William rückte seine Brille zurecht: „Sind der Record und die Vergangenheit nicht mehr synchron, können Seelen nicht mehr beurteilt und überführt werden.“ „Was bedeutet das genau?“, sprach Sky ein wenig angestrengt und zog die Stirn kraus als habe sie Schmerzen. Kopfschmerzen sicherlich. Nachvollziehbare Kopfschmerzen. „Shinigami“, Ich hielt Skyler den Filmstreifen näher ins Gesicht: „Haben nur Einfluss auf die Seele. Die sterbliche Hülle unterliegt den physischen Begebenheiten ihrer Welt. Sie stirbt und verrottet und wir können nicht viel dagegen tun. Selbst wenn wir eine Person verschonen wollen würden, ist ihr Körper zu schwer verletzt, nicht mehr zu retten, müssen wir ihre Seele mitnehmen. Wie wir schon einmal kurz erwähnten, werden nicht abgeholte Seelen zu Geistern und Geister leben außerhalb der Zeit, gefangen in der Welt der Lebenden. Sie sind zwar nicht unsichtbar, zumindest nicht zwingend, doch unsterblich, weswegen sie irgendwann gezwungener Maßen vereinsamen und wahnsinnig werden. Einen Geist einzufangen ist eine ziemlich anstrengende und lästige Angelegenheit und wird nur von höheren Reapern in Angriff genommen.“ „So wie...“, begann Sky und ich hatte abermals eine böse Vorahnung. „Grell und William einer sind“, sagte ich rasch, bevor sie ihren Satz beenden konnte. Sie immer wieder so zu unterbrechen war sicherlich nicht die feine englische Art, aber notwendig. Othello hatte teilweise ein sehr loses Mundwerk. Sie blinzelte verwundert und schien abermals über etwas zu sinnieren. Dann wanderte ihr Blick zu Othello, der sich an seinem Schreibtisch zurück gezogen hatte. Ich hatte ihn einige Zeit tippen hören. Während wir uns unterhielten hatte er wohl seinen Bericht geschrieben und Williams Experiment mit seinem Ergebnis hatte er wohl auch nieder geschrieben. Doch gerade beschaute er unsere illustere Runde und hörte zu. Skyler überlegte noch eine kurze Weile, bevor sie ihre Stimme erhob: „Also… Seelen, die ihr nicht mitnehmt, werden Geister. Seelen mit veränderten Records könnt ihr nicht mitnehmen, also werden sie zwangsläufig zu Geistern. Doch… Gegen Geister könnt ihr etwas tun, so wie es klingt. Auch wenn es anstrengend ist. Richtig?“ William nickte knapp: „Es gibt vier Möglichkeiten mit einem Geist fertig zu werden. Das variiert ein bisschen je nach Art von Geist, den man vor sich hat.“ „Geister“, stemmte Grell mit seinem spitzen Grinsen eine Hand in seine Hüfte und machte sein allseits bekanntes Handzeichen mit der anderen: „Die aufgrund einer nicht erfüllten Angelegenheit auf halben Weg zum Jenseits kehrt machen, wird man los indem man ihnen hilft ihre Angelegenheiten zu klären.“ „Oder“, kicherte ich: „Ihihihihi! Man begibt sich an die Disziplinen der Meisterklasse, die nur sehr wenige Shinigamis je beherrschen. Man kann ihnen erfolgreich einreden auf der anderen Seite sei das Gras grüner, bis sie sich freiwillig richten lassen oder man gibt ihnen den ein oder anderen rabiaten Stoß in die richtige Richtung und richtet sie gezwungenermaßen. Ein menschliches Leben ist ziemlich hart auszulöschen. Das sollte man wirklich nicht unterschätzen. Den menschlichen Starrsinn übrigens, ehehehe, auch nicht.“ Ronald stöhnte: „Wenn der Geist nicht aufgrund unerledigter Angelegenheiten, sondern wegen irgendwas anderem noch in der Welt der Lebenden abhängt kann man ihn oft nur noch zerstören. Doch wild wutschnaubende Gespenster sind teilweise echt taffe Gegner. Natürlich ist dann auch die Seele futsch und der Papieraufwand enorm. Also ist das eher so das letzte Mittel.“ „Aha“, Sky schaute den blonden Reaper mit einer recht kalten Verständnislosigkeit an: „Papieraufwand, ja? Warum klingt es bei euch eigentlich immer öfter so als sei der Papierkram das, was für euch wirklich schlimm ist, wenn ihr darüber sprecht eine EXISTENZ auszulöschen!?“ Ronald verschränkte die Arme und überschlug lässig die Beine im Stehen: „Ist es nicht. Ist ungefähr gleich schlimm.“ Sky klappten die vollen Lippen auseinander. Grell schüttelte seufzend den Kopf: „Wir sind keine Menschen. Vergiss das nicht.“ „Das ist doch kein Argument!“, polterte sie los: „Mitgefühl ist doch nichts was uns Menschen vorbehalten ist!“ William schüttelte seinen Kopf. Ich fragte mich immer mal wieder, ob ihm nicht schwindelig werden sollte, so oft wie er das tat: „Aber Mitgefühl an der falschen Stelle zu haben, das ist nur allzu menschlich. Wir erledigen die Aufträge von Oben. Sachlich und emotionslos.“ „Bitte? Was soll das denn heißen?“, wuchs Skylers verständliche Verständnislosigkeit. Die allgemeine Ansicht der Grim Reaper sind für Menschen sicherlich schwer bis gar nicht nachvollziehbar, doch wenn man jeden Tag so viele Leben sieht und mit sich nimmt, verändert sich die Einstellung zum Tod und auch zum Sterben. „Das unser lieber William es nur allzu sehr darauf anlegt die Dornen des Todes abzukriegen“, lachte ich auf. William schaute mich nur eisig an. Dornen des Todes. Böses Thema. „Das ist totaler Schwachsinn. So etwas wünscht sich wirklich niemand“, surrte mir seine strenge Stimme kalt entgegen. „Dafür arbeitest du aber ziemlich hartnäckig darauf hin“, lachte ich weiter. William und ich hatten nie zusammen als Sensenmann gearbeitet. Wahrscheinlich war es besser so. Denn unsere Vorgehensweise war wie Tag und Nacht. Während William befreit von allen Emotionen und unter Anbetracht aller Regeln seine Liste, am besten in der vorgegebenen Zeit, abarbeitete, hatte ich mich um die Sterbenden geschert. Zumindest um die, die es verdient hatten. Auch wenn es gegen Regeln verstoßen hatte. Es hatte offen gesagt sehr oft gegen Regeln verstoßen. „Wie kommst du auf so einen Blödsinn?“, giftete mir William entgegen. Seine Gereiztheit amüsierte mich. Heute mehr als sonst. Seine unverschämte Anschuldigung hatte ich bei weitem noch nicht vergessen und mitnichten oder auch nur ansatzweise verziehen. Mit einem breiten Grinsen gab ich William meine Antwort: „Manchmal kommt man mit einem Hauch Menschlichkeit weiter als einen Sterbenden im Todeskampf mit kalter Logik zu konfrontieren. Ehehehehehe! Das könnte Seelen rasend machen, William.“ William schaute stöhnend und kopfschüttelnd zur Decke: „In Mitleid zu vergehen bringt weder uns noch sie weiter.“ „Wer redetet denn davon in Mitleid zu vergehen?“, konterte ich ihn lachen: „Ich rede von Mitgefühl, William. Verständnis gegenüber der Angst im Angesicht des Todes. Ehehehehe! Unserem Angesicht, William.“ „War es dieses ‚Verständnis‘ weswegen du so oft Regelbruch begangen hast, wie andere ihre Brille putzen?“, stöhnte Will erneut auf und verschränkte verständnislos seine Arme. Ja, Verständnis suchte man bei William des Öfteren vergebens: „Hehehe. Dass du stark, effektiv und schnell bist, William, wird dich nicht ewig vor Zorn bewahren.“ „Das weißt du woher?“, zog William eine Augenbraue hoch. „Erfahrungswerte“, grinste ich. Ich habe diesen Job lange gemacht, ich habe diesen Job gut gemacht, doch ich habe ihn bei weitem nicht Fehlerfrei gemacht. William zog seine Augenbrauen zusammen: „Hast du…?“ Trotz seiner kalten Art schien er seine Ahnung nicht wirklich aus seinem Mund zu bekommen. Doch ich schüttelte grinsend den Kopf: „Nein, ich bin gesund.“ „Hattest du...“, wanderte diesmal die andere Augenbraue hoch. William zog seine linke Augenbraue hoch, wenn er skeptisch, verständnislos oder sauer war und die rechte, wenn er verwundert, verwirrt oder besorgt war. Gerade zog er seine rechte hoch. Ich spekulierte, dass William gerade darüber nachdachte ob ich es geschafft hatte den Dornen Herr zu werden. Es war sicher nicht schwer vorstellbar, dass ich durch die Gegend zog und 1000 reine Seelen gesammelt hatte. Was de facto bedeutete, dass William mir zutraute 1000 vollkommen unschuldige Menschen abgeschlachtet zu haben. Ich glaube seit der Campania hatte ich meinen Ruf bei ihm weg. Doch hätte ich auf der Campania sicherlich keine 1000 reinen Seelen sammeln können. Vielleicht 5, großzügig geschätzt: „Nein, tihihi, ich hatte sie auch nie.“ In Williams Blick stand so etwas wie Beruhigung. Doch er stöhnte abermals: „Und jetzt willst du mir wahrscheinlich erzählen, dass du aufgrund deiner bravourösen feinfühligen Arbeitsweise nie in die Gefahr gekommen bist, richtig?“ „Mitnichten“, lachte ich schrill: „Fuhuhuhuhuhu! Wenn ich einen kleinen Bastard vor mir hatte, ist er auch wie ein kleiner Bastard abgetreten, da drauf darfst du wetten, werter William.“ „Könntest du endlich...“, noch ein Stöhnen: „Es ist so nervig… Deine ungestüme Art hat dir doch nur Sanktionen eingebracht.“ „Tehehehe! Oh ja“, lachte ich weiter: „Hunderte davon.“ „Ich habe auf diese Diskussion keine Lust“, schüttelte William in einer abschließenden Tonlage den Kopf. Doch Williams Starrsinn entlockte mir nur ein weiteres Lachen, in dem die dunkle Sicherheit lag, dass der Shinigami früher oder später noch in Teufels Küche kommen würde: „Ehehehehehe! Wie du willst. Aber beschwere dich nicht, wenn deine Arbeitsweise irgendwann nach hinten los geht.“ „Wird sie nicht“, konterte William stur: „Ich mache den Job nicht seit Gestern.“ Ein Lachanfall platzte aus mir heraus. Nicht seit Gestern! Was will William mir erzählen? Das klag ja als hätte ich meinen Job nur 2 Wochen gemacht! Ich hatte den Job Jahrtausende nicht nur gelebt, ich hatte ihn überlebt. Nur wenige Reaper konnten dasselbe von sich behaupten. Diese Gewissheit und Williams Antwort, die schon fast als dreist zu bezeichnen war, ließ mich fast von der Liege fallen. Ich schlang einen Arm um meinen Bauch und klopfte mir mit dem anderen auf den Schenkel. Ich weiß nicht wie lange ich lachen musste. Es war mir auch egal. Williams Dreistigkeit und sein Hang zu einer gefährlichen Selbstsicherheit belustigten mich ungemein. Ich schlug meine Augen auf und sah, dass die Gruppe reichlich durch den Wind war. Wortwörtlich. Ronald und Grell hielten einander im Arm und hatten die Augen zusammen gekniffen. William hüpfte noch zur Seite, bis er seine Balance wiedergefunden hatte. Ich hatte vergessen, dass ich seinen Record immer noch in der Hand hatte: ‚Ups.‘ Sky schaute mich mit großen verwunderten Augen an, die Finger in ihren Ohren. Doch Othello. Othello war eine wahre Augenweide. Er hatte etliche Glasbehälter im Arm, hielt mir der anderen einen Rippenspreizer an seiner Trophäenwand und zwischen seinen gespreizten Beinen steckte ein großes Messer im Boden. Langsam zog Othello mit einem fast wütenden Gesichtsausdruck das Messer aus dem Boden. Mein Lachanfall war wohl ungewollt zu einem kleinen Mordanschlag geworden. Doch seine provokativ langsamen Bewegungen, als er alles wieder an seinen Platz stellte ohne seinen Blick von mir zu nehmen, ließ mich in meine Hand giggeln. „Du sollst aufpassen!“, fauchte mir William entgegen: „Das ist kein schlechter Hollywoodstreifen!“ Ich ließ seinen Record los und er verschwand in Williams Hand. „Wie auch immer“, schaute William nun Skyler an und schien das Gespräch zurück auf sein eigentliches Thema zu lenken: „Ein tobender Geist ist extrem gefährlich. Für alle. Auch für andere Menschen. Manchmal muss man zu den drastischen Mitteln greifen. Für das höhere Wohl“, William schaute mit einer bedeutungsschweren Tonlage zu mir: „Da ist so oder so kein Platz für Mitgefühl.“ „In solch einem Fall gebe ich dir ja auch Recht, William“, stimmte ich William zu. Der Aufsichtsbeamte selbst wirkte nicht so, als habe er damit gerechnet. Ebenso wenig Grell und Ronald. Ich kicherte in mich hinein, als ich zu Skyler schaute. Auch sie schaute mich an. Sie wirkt so mitgenommen, gestresst und überfordert. Ein Ausdruck der mir Sorgen machte, doch ich wusste er wird noch etwas gegenwärtig bleiben. Skyler möchte uns wahrscheinlich nicht als das sehen, was wir waren. Als kalt und berechnend. Doch manchmal war es auch Mitgefühl einem tristen Dasein ein Ende zu bereiten. Gequälte Seele zu erlösen: „Bedenke auch, dass dieses Dasein für die armen Seelen selbst nicht wirklich… nun ja hehe, erfreuend ist. Für die Ewigkeit ist nichts geschaffen. Früher oder später wird alles verrückt, was nicht sterben kann. Sie sehen ihre Lieben sterben. Alles geht, nichts bleibt. Ein grausames Schicksal.“ Ich hielt meinen lachenden Tonfall. Doch die Wahrheit war, dass ich den Geistern nachfühlen konnte, die festhingen und nicht fortkamen. Wesen sterben zu sehen, die man mag ist grausam. Den Malstrom der Zeit zu trotzen, zu dem man selber nicht gehörte, ist anstrengend und fordert sehr viel Kraft. Sky musterte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Irgendwie sah sie gerade anders drein. Ich legte den Kopf schief, als ich versuchte den Ausdruck in den großen Augen zu entschlüsseln: „Ist etwas?“ „Nein“, schüttelte sie hektisch den braunen Schopf: „Alles in Ordnung!… Nun ja…“, sie ließ ihren schönen Kopf herunterfallen: „Eigentlich nicht…“ „Der Schock wird sich setzen“, lachte ich ihr warm entgegen: „Danach ist es um einiges weniger schlimm.“ Ich schüttelte kurz den Kopf und fuhr ihr dann abermals mit den Fingern durch die Haare, in der Hoffnung sie etwas beruhigen zu können: „Dieser Ausdruck steht dir nicht.“ Sie blinzelte mich von unten an. Als ihre Augen bei mir angekommen waren, legte ich meine Mundwinkel in ein aufbauendes Lächeln. Ich konnte nur hoffen, dass es wirkte. Sie machte mir Sorgen. Sie hatte viel zu verkraften. Ich wusste nicht ob sie das konnte, doch es war ihr Wille gewesen her zu kommen. Ich konnte nur wenig für sie tun. „Es dauerte keine 24 Stunden“, weckte ihre entkräftete Stimme weitere Sorge in mir. Ich sah ihr Limit näher kommen, wenn sie nicht schon dort angekommen war. Warum musste Ronald ihr denn auch noch unbedingt eine kleine Lehrstunde in Shinigamiegeschichte geben? Dieser Jungspund denkt streckenweise wirklich nicht mit: „Und mein furchtbar ordinäres Leben… wurde zu einer ziemlich bizarren Freakshow...“ Alle Sorge und alle Erschöpfung in allen Ehren. Doch dieser Ausspruch brachte mich zum Lachen. Ich war mir sicher, ihr Leben war eine Freakshow seit dem Tag, an dem sie das erste Mal meinen Laden betreten hatte. Sie war immer wieder dorthin zurückgekehrt. Ich konnte mir nicht erklären wieso sie immer wieder kam, doch natürlich begrüßte ich es und wollte mich im Leben nicht darüber beschweren. Außerdem sah ich eine Möglichkeit sie ein wenig von all dem Befremdlichen und Anstrengenden abzulenken, indem ich etwas tat was für sie schon fast alltäglich geworden sein musst. Lachen. Der Erfahrung nach irritierte sie das oft, so sehr, dass ich sie ablenken konnte, ohne, dass sie es wirklich merkte. Ich hielt mir meinen sich vor lachen verkrampfenden Bauch: „Pahahahahahahaha! Das ist es erst jetzt?! Dabei hab ich mir so viel Mühe gegeben! Ehehehehehe!“ Ich schüttelte kurz lachend den Kopf und schaute dann zu Skyler. Auch sie drehte ihren Kopf zu mir. Sie sah so müde aus. Ich beschloss, dass alles gesagt und getan war. Die Grim Reaper sollten nun zufrieden sein. Also zog ich meinen Mund wieder zu einen Grinsen und giggelte, um den schweren Gedanken an Vincent ein weiteres Mal von mir weg zu schieben. Es gelang nur teilweise: „Nun? Tihi. Ich glaube wir können die Heimreise antreten. Was sagst du?“ Skyler atmete kurz durch, doch Othello antwortete für sie: „Wir haben alles was wir brauchen. Skyler ist verflucht, sonst nichts. Sie kann Records nicht beeinflussen. Damit gilt sie als ungewöhnlich, aber unbedenklich.“ Sky schaute zu Othello. Der Forscher lächelte und stand auf: „Und ich muss dieses Mal mein Labor selber wieder in Schwung bringen, da ich in diesen Monat keine Fördermittel mehr bekomme…“ William schnaubte in alter Manier, anscheinend halbwegs erholt von meinem Vortrag, den er doch recht unfreiwillig ertragen hatte: „Du hast schon alle Fördermittel aufgebraucht.“ „Ich weiß… ich weiß...“, seufzte Othello ergebend. Ich stand auf und hielt Skyler die Hand hin. Sie griff danach und ich zog sie auf die Füße. Behutsam legte ich ihr meine Hände auf die Schultern und immer noch besorgt um sie musterte ich ihr dünnes Gesicht: „Wie geht es dir?“ Sie blinzelte kurz: „Öhm… Ich weiß es nicht… Ich… Ich bin müde und furchtbar platt… Und... ich habe Kopfschmerzen...“ Grell verschränkte neben mir die Arme: „Du bist auch recht blass, Herzchen.“ Sky schaute Grell kurz an: „Kann sein...“ „Isso“, tauchte Ronald wieder auf, der der Szenerie bis jetzt still beigewohnt hatte: „Aber du hast jetzt auch ein paar Nüsschen zu knacken. Dafür hältst du dich echt gut. Muss man dir lassen.“ Für diesen Satz erntete der Jüngling ein gefälliges Grinsen meinerseits. Vielleicht nicht immer so überlegt wie es angebracht wäre, war er wirklich kein schlechter Charakter. Keiner von ihnen war ein schlechter Charakter, nur war mit Ronald wohl am einfachsten umzugehen. „Ich“, begann Skyler und atmete abermals tief durch: „Weiß nicht so recht wie es jetzt weiter geht...“ „Viel wird sich erst einmal nicht ändern. Denn bedenke: Es hat sich nichts geändert. Du bist so geboren worden, meine schöne Puppe“, lächelte ich ihr entgegen und legte ihr aufmunternd eine Hand auf die Wange: „Wir werden uns etwas überlegen müssen, um herauszukitzeln was du kannst und dann musst du lernen damit umzugehen, solltest du irgendwelche Fähigkeiten haben die man aktiv steuern kann.“ „Es gibt… verschiedene Fähigkeiten?“, fragte sie verwirrt. Es muss schlimm für sie sein vor so vielen ungewissen Fragezeichen zu stehen. Auf einmal flatterten ihre Augenlider. Ich zog meine Augen zusammen und musterte sie skeptisch. Sie wurde blass. Noch blasser, als sie nicht eh schon geworden war. Sie legte ihre Hand auf das weiße Pflaster auf ihrer Schläfe und taumelte einen Schritt nach hinten. Ich packte sie wieder mit beiden Händen an den Schultern, da ich das Gefühl hatte, dass sie ihre Balance verließ: „Sky? Was hast du?“ Sie legte die andere Hand auf ihren Bauch und schüttelte mit dem Kopf. In ihrem Gesicht stand ein gepeinigter Ausdruck. „Was ist los?“, fragte ich abermals und die Besorgnis in mir wuchs. Sky nahm die Hand von ihrem Bauch und hielt sich an meiner Schulter fest: „Ich… Mir...“ Dann klappte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. Trotz des plötzlichen heißen Schrecks schaffte ich es sie an der Taille zu greifen und an mich zu ziehen, damit sie nicht auf den Boden fiel. Ich war mir sicher, dass sie es nicht geschaffte hätte sich abzufangen und einfach aufgeprallt wäre: „Setz dich.“ Sie schüttelte mit geschlossenen Augen das bleiche Gesicht: „Es geht gleich sicher wieder… Ich… bin ok.“ Meine Befürchtungen wurden wahr. Sie schien ihr Limit überschritten zu haben: „Ich hätte es wissen müssen.“ Langsam öffnete sie wieder ihre Augen: „Was…? Was hättest du wissen müssen?“ Ich schüttelte den Kopf und schloss beschämt meine Augen. Ich hätte verhindern müssen, dass Ronald sie mit nahm. Ich hätte versuchen müssen ihr die ganzen Wahrheiten, die sie heute erfahren hatte, irgendwie schonender beizubringen. Hätte ich sie raus schicken sollen, alles mit den Sensenmännern besprechen sollen und es ihr erst später erzählen sollen? Nein. Ich hätte Skyler nie aus dem Zimmer bekommen. Mir fiel nicht ein wie es realistisch anders hätte verlaufen können, doch ich wusste, dass ich irgendwie dafür hätte sorgen müssen, dass es anders verlaufen wäre: „Dass du viel zu schwach bist. Du hast zu wenig geschlafen und fast nichts gegessen. Gestern war auch nicht gerade einfach. Ich hätte es dir irgendwie ausreden müssen.“ Ich schlug die Augen wieder auf und versuchte in ihren herauszufinden, wie viel Kraft sie noch übrig hatte. Doch das Himmelblau ihrer Augen war so unendlich müde und überstrapaziert. Behutsam wischte ich ein paar Strähnen fort, die sich in ihren langen, dunkel getuschten Wimpern verfangen hatten. Dann schüttelte sie zu meiner Überraschung leicht den Kopf. „Es ist nicht deine Schuld. Ich wollte unbedingt hierher kommen. Du wolltest es mir doch die ganze Zeit ausreden.“ Diese Aussage sorgte nicht dafür, dass es mir besser ging. Wo hörte ein gut gemeintes Bewahren vor Schaden auf und endete in dem Absprechen eigener Entscheidungen. Eine Gratwanderung, die mir nicht gelungen war. Ich hob sie von den Füßen und setzte sie auf die Liege, obwohl sie noch betont hatte sich nicht setzen zu wollen. Doch so kraftlos wie sie in meinen Armen lag, konnte ich diese Entscheidung ihrerseits einfach nicht akzeptieren. Sie konnte ja anscheinend nicht recht eigenständig stehen. Grell hob seufzend eine Hand in die Luft: „Warum sagst du denn nichts?“ Skyler presste erst die Augen angestrengt zusammen und blinzelte dann Grell entgegen: „Was… sagen?“ „Na, dass es dir nicht gut geht!“, sprach Grell aus, was wahrscheinlich alle dachten. „Ich…“, seufzte sie entkräftet: „Wusste es nicht...“ „Wie kann man so etwas denn nicht wissen?“, schüttelte William seinen Kopf. Das erschloss sich mir tatsächlich auch nicht. Ich erinnerte mich kurz an Ciel, der unter schwerem Asthma litt, doch leider ein so schlechtes Körpergefühl hatte, dass seine Krankheit ihn in ungünstigen Situationen aus dem Nichts überraschen konnte. War es bei Skyler ähnlich? Konnte sie auch Anzeichen ihres Körpers so schlecht deuten? Augenscheinlich. Sie war ja auch schon fiebrig zu mir in den Laden gekommen um sich zu entschuldigen oder wollte Essen verweigern, obwohl sie ganz offensichtlich hungrig war. „Ich“, sie stockte, ließ abermals an diesem Tag den Kopf hängen und brach ab. Sie sah so gebrochen aus. Ich hockte mich vor ihr hin und legte meine Hand auf ihren Kopf. „Ihihihihi! Ich verstehe schon“, lachte ich, obwohl ich was gerade vor sich ging nicht erquicklich fand. Doch ich wollte, dass Skyler sich besser fühlte. Ihre Augen hoben sich in mein Gesicht. Ich lächelte weiter: „Sage uns einfach Bescheid, wenn es dir besser geht. Hehe.“ „Ach… es geht gleich sicher wieder“, flüsterte sie und ließ die angestrengten Augen wieder sinken. Neben mir erschien ein verdreckter weißer Kittel. Ich schaute hoch zu Othello und er wackelte mit einer Packung Traubenzucker. Ich nickte. Es wird keine Wunder wirken, aber vielleicht helfen die junge Frau heil Heim zu bekommen. So hielt Othello Skyler ein Stück Traubenzucker unter die Nase: „Traubenzucker?“ Skyler hob mit sichtlicher Anstrengung den Kopf und musterte Othello irritiert. „Ist gut für den Kreislauf“, sprach er weiter. Sie schaute mich an, wahrscheinlich da ich am Anfang der Untersuchung verlauten ließ, dass Othello ihr Nichts geben wird ohne das ich Bescheid wusste was oder warum. Also nickte ich bestätigend mit dem Kopf auf Othellos Hand. „Danke“, nuschelte sie und schob sich das kleine Stück Traubenzucker in den Mund. Othello seufzte amüsiert: „Menschen sind schon echt komisch.“ Ich lachte auf: „Ehehehehehe! Du hast ja keine Ahnung wovon du redest!“ Othello lachte mit. Ein Stück Normalität mischte sich in die schon seit einiger Zeit anstrengend angespannte Atmosphäre. Das war für alle ein harter Tag. Wenn auch für jeden auf eigene Weise. „Was bringt einen Sensenmann überhaupt dazu unter Menschen zu leben?“, fragte Othello plötzlich. Wahrscheinlich wollte er die Situation mit einem recht belanglosen Gespräch wieder lockern. Doch er wirkte auch auf eine Art wirklich interessiert. Ich lachte amüsiert: „Ehehehehehe! Vieles Othello. Vieles.“ „Erkläre es mir! Du hast schließlich deine Brille und deine Death Scythe dafür abgegeben!“ Diese Aussage war für mich nun ungünstig. Denn ja, eigentlich hätte ich das tun müssen, hatte es aber nicht getan. Meine Death Scythe hatte ich mitgenommen und mir dafür eine Narbe am Hals und im Gesicht eingehandelt, mir beigebracht von dem Sensenmann, der mich stoppen wollte. Mein Bekannter Eric, der ein tragisches, ein wunderschön tragisches Ende einige Jahre später durch die Hand des teuflischen Butlers fand. Vergessen würde ich ihn nie, trug ich doch die Erinnerung an ihm im Gesicht. Schließlich entschloss ich mich diesen Fakt einfach unkommentiert zu lassen um nicht lügen oder mich verraten zu müssen: „Nihihihi! Menschen sind einfach interessanter, als Sensenmänner.“ „Hmpf“, schnaubte der Forscher: „Wenn du meinst und es dir das wirklich wert war.“ „Tehehehehe! Ich bereue nichts“, grinste ich ihm entgegen. Skyler hob ihren Kopf und ließ so meine Augen zu ihr wandern, ohne das ich meinen Kopf drehte: „Hehe. Geht es dir besser?“ „Ja“, log sie ganz offensichtlich: „Es geht wieder.“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Bist du dir sicher?“ „Ja...“, log sie weiter und wurde immer unüberzeugender dabei. „Ganz sicher?“ „Ja doch...“ „Wirklich sicher?“ „Jaaaaaa…“ „Lügst du mich gerade an?“, endete ich das kleine Spiel, was sie nicht in der Absicht mit mir trieb Spiele zu spielen. Ihre Schultern fielen herunter als sie einen tiefen Atemzug entließ: „Ja...“ Ich lachte schrill auf: „Hehehehehe! Wusste ich es doch.“ Es war nun auch nicht wirklich schwer zu entdecken gewesen. „Ich kann doch nicht ewig auf dieser Liege sitzen bleiben! Ich… ich möchte langsam aber sicher heim… und Othello hat noch zu tun...“ „Ich“, nahm der Forscher beide Hände in die Höhe: „Nehme dankbar alles entgegen, was mich tragischerweise davon abhält mein Labor...“ Unwillkürlich traf sein Blick Williams. In Williams Blick stand eine Todesdrohung. „Also!“, ich musste kichern, als Othello in der Absicht sein Leben zu retten eine Hand hinter den Rücken nahm und sich mit der anderen am Hinterkopf kratze: „Es gibt natürlich nichts was ich lieber täte, als jetzt sofort mein Labor aufzuräumen, aber weißt du ich… kann ja nicht einfach ein junges Mädel hier sitzen lassen… so ganz einsam und verlassen! Hehe…“ Der Aufsichtsbeamte verschränkte aufgrund der schlechten Ausrede die Arme: „Ich zähle hier noch 4 andere Reaper.“ „Natürlich!“, druckste Othello: „Aber… Ich hab ja… ähm... hier Hausrecht! Und bin so gesehen der Gastgeber… Weißt du da...“ „Reichen vier andere Reaper trotzdem vollkommen aus um sich um Miss Rosewells Wohlergehen zu kümmern“, ließ William Othello nicht um seine Pflicht herumkommen. „Aber William...“ „Othello“, erlag William ein weiteres Mal seinem Tick grundlos die Brille die Nase hochzuschieben. Ich führte dies auf die Situation in seiner Prüfung zurück, die ich durch seinen Record beobachtet hatte. Die Situation, wo Grell ihm sein liebes Leben retten musste, weil er seine Brille verloren hatte. Er hatte dort eine wichtige Lektion gelernt, denn der Aufsichtsbeamte war stark und dementsprechend blind wie ein Maulwurf. Umso stärker der Reaper, umso schlechter die Augen. Doch er hatte Grells Ratschlag auf seine Brille zu achten nie vergessen und trug ihn weiter an jeden Schüler, den er hatte. Grells Gesicht strahlte dann immer. „An. Die. Arbeit.“, sprach William ungeduldig. Der Forscher stand stramm im Angesichts des nahenden Unheils und salutierte: „Aye! Aye!“ Dann rauschte er aus dem Zimmer. Bevor er die Tür hinter sich schloss drehte er sich kurz zu Sky und winkte recht heiter in ihre Richtung: „Lebt wohl Miss Rosewell! Ich hoffe wir sehen uns nie wieder!“ Kapitel 9: Saudade ------------------ Sky Ich blinzelte immer noch die Türe an, obwohl Othello sie schon geschlossen hatte. Mein Gehirn brauchte tatsächlich ein paar Sekunden bis ich verstand, dass ein ‚Auf Nimmerwiedersehen‘ aus dem Munde eines Sensenmannes ein großer Glückwunsch für die nähere Zukunft war und keine Geste pietätloser Antipathie. Ich legte seufzend den Kopf schief. Undertaker legte den Kopf in dieselbe Richtung schief: „Glaubst du, dass du laufen kannst?“ Verlegen rieb ich mir über den Nacken. Seitdem gesagt wurde, dass dort dieses komische Mal sei, zwickte und kribbelte die Stelle. Ich konnte allerdings nicht sagen, ob ich laufen könnte. Ich konnte es schlicht und einfach nicht richtig einschätzen. „Ich“, begann ich schließlich: „Weiß nicht so recht.“ „Willst du es probieren?“, stand der hochgewachsene Totengräber aus der Hocke auf. Ich bemerkte erst jetzt, dass er überhaupt in die Hocke gegangen war um mit mir auf Augenhöhe zu sein. Mit einem kleinen Nicken antwortete ich auf die Frage des Bestatters und rutschte von dem grünen Plastik. Mein Kopf drehte sich immer noch, aber ich schaffte es halbwegs zu stehen. Bevor ich auch nur den ersten Schritt versucht hatte, hielt Undertaker mir seinen angewinkelten Arm hin. Mein Blick wanderte an besagtem Arm hinauf, in das vernarbte Gesicht, was trotz des riesigen Schnitts darin nicht auch nur ansatzweise abstoßend wirkte… eher… im Gegenteil... Kaum war mein Blick in seinem Gesicht angekommen, lachte Undertaker auch schon wieder vor sich hin: „Fu fu fu fu! Na komm. Gemeinsam sind wir stark.“ Ich merkte wie mein Gesicht zu brennen begann, doch trotzdem entfuhr mir ein kleines Lachen und ich harkte mich bei dem morbiden Totengräber ein. „Ein richtiger Gentleman“, seufzte Grell angetan und verschränkte die Arme. Bei der Hälfte des Satzes allerdings wurde sein Ton etwas vorwurfsvoll und er schaute zu William. Dieser würdigte Grell allerdings nur eine halbherzig hochgezogene Augenbraue. Wir setzten uns in Bewegung. Ronald hielt die Türe auf. Grell und William schlüpften hindurch und ich stolperte an Undertakers Arm hinterher. Obwohl ich versuchte so viel wie möglich meines Körpergewichtes selbst zu tragen, war ich doch sehr auf Undertakers Unterstützung angewiesen. Doch er ging durch den Flur, grinsend und federleicht, als würde ich gar nicht so furchtbar wackelig an seinem Arm hängen. Ohne Eile und relativ schweigsam gingen wir durch das klinische Gebäude, bis wir es schließlich verließen. Nun brachen Grell und Ronald die Stille und fingen an sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Hin und wieder gab William einen Kommentar dazu ab und Undertaker lachte sie hier und da, mal lauter, mal leiser, an oder aus. So schlenderten wir den vor sich hin plätschernden Fluss entlang Richtung Bibliothek. Die frische Luft stieg durch meine Kopfschmerzen, beruhigte meinen Magen und ließ mich langsam aber sicher wieder selber Herr meines Körpers werden. Es war kein langer Fußmarsch, aber er reichte und kurz bevor wie die Bibliothek erreichten konnte ich meinen Körper auch schon wieder selber tragen. Doch Undertaker entließ mich nicht, obwohl er merken müsste, dass nicht mehr so viel Gewicht an seinem Arm hing. Ich sagte auch nichts, denn irgendwie… war dieses Gefühl schön. Verstohlen schielte ich hoch in das Gesicht des Leichengräbers, der gerade ein weiteres Mal darüber lachte, dass Ronald sich einen Kommentar von William eingefangen hatte. Ich mochte sein Lachen. Egal ob es schrill war oder leise. Es wirkte immer ehrlich. Ich mochte auch sein Grinsen, welches so breit war, dass er einen Hot Dog quer rein schieben könnte. Und sein Lächeln: ‚Awwwww!‘ Dieses Gefühl was mich beschlich, als ich den Totengräber beobachtete, war ein warmes Kribbeln in meinem Bauch, was einen großen Teil des Unwohlseins verscheuchte. Mir war immer noch schwindelig und ich hatte Kopfschmerzen, doch nun ging es mir irgendwie viel besser. Auch wenn mich dieses Kribbeln wieder verwirrte. Ich wusste nicht woher es kam oder was es zu bedeuten hatte. Als das große Gebäude der Bibliothek in Sichtweite kam, ergriff William zum ersten Mal als Erster selbst das Wort: „Knox, Sutcliff. Ihr kommt gleich mit mir hoch.“ „Warum?“, fragten die beiden aus einem Munde. „Ich will euch als Leumundszeugen dabei haben. Für den Fall der Fälle.“ „Othello hat doch sicher schon den Report weggeschickt“, verschränkte Ronald die Hände hinter dem Kopf: „Die wissen schon alle Bescheid.“ „Trotzdem Knox“, betonte William sein Anliegen sehr deutlich: „Ich möchte sicher gehen, dass es keinen… Redebedarf mit Miss Rosewell mehr gibt.“ Grell und Ronald drehten kurz den Kopf zu mir. Dann nickten sie. So kam es, dass wir die Bibliothek betraten und William von mir den Besucherausweis forderte, um ihn mit in die Akte legen zu können. Dann verließen uns William, Grell und Ronald. William nahm mir noch die Bücher aus der Hand um sie wieder einsortieren zu können. Ich musterte ihn zwar kurz ein wenig skeptisch, überließ sie ihm aber schließlich. William war nicht der Typ, der sich wissentlich und vollkommen unnötig gegen die Regeln stemmte. Undertaker führte mich zu einer der freien Sitzgruppen und drückte mich sanft an den Schultern auf die weichen Polster. „Ehehehe! Ich möchte schnell etwas nachschauen“, grinste der Bestatter: „Ich bin nicht mehr oft hier. Nihihi. Kann ich dich kurz hier alleine lassen?“ Ich nickte: „Klar. Ich komm schon klar.“ Zumindest für Undertaker schien sich die Situation entspannt zu haben. Wollte er vorher auf keinen Fall das ich irgendwie alleine bleibe, ließ er mich nun wissentlich allein. Irgendwie war es beruhigend. Doch was genau ich nun mit mir machen sollte, wusste ich immer noch nicht. Verflucht. Ich war verflucht. Zum ersten Mal konnte ich es in meinen Gedanken in Worte fassen. Undertaker lachte noch einmal und wandte sich dann zum Gehen: „Ehehe. Vorzüglich. Ich bin nicht lange weg. Versprochen. Warte hier.“ „Lass dir ruhig Zeit“, sagte ich noch einmal und dann verschwand der Bestatter in den Bücherregalen, wo wir auch die anderen Dreien aus dem Blick verloren hatten. Das Schwirren in meinem Kopf hatte nun fast komplett nachgelassen und die Kopfschmerzen waren auf ein unterschwelliges Wummern zurückgegangen, was nervig, aber aushaltbar war. Ich blieb einige Momente sitzen. Es herrschte reger Verkehr in dem großen Raum und die Besucherflut musste unvermeidlich an mir vorbei. Dabei musterten sie mich reichlich kurios, begannen erneut zu tuscheln. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr wie auf dem Silbertablett herumzusitzen. Undertaker wird mich finden. Wahrscheinlich ohne sich groß anstrengen zu müssen. Da meine Beine mir zum größten Teil wieder gehorchten, entschloss ich mich sie zu benutzen. Also wanderte ich so unauffällig wie möglich von der Sitzgruppe weg und schlüpfte durch die Bücherregale hindurch. Leider war ich noch immer etwas wackelig auf den Beinen und wankte. Ab und an tat ich einen ausladeneren Schritt als ich wollte. Zweimal rempelte ich sogar jemanden an. Die Shinigamis drehten sich erst ansatzweise genervt um, verschluckten dann aber ihren Satz auf halbem Wege, nachdem sie mich sahen. Nach einigen Metern Herumgetapse landete ich in dem kleinen Bereich vor der großen Statue und der Glasvitrine mit 10 Büchern. Während ich die Statue des früheren Lebens des Bestatters so musterte, sausten die Gedanken durch meinen Kopf: Flüche, Segen, Dämonen, Engel, Sensenmänner, Legenden, Fehden. Ich wusste nicht ob ich nun besser verstand was vor sich ging, oder nur 100 Fragen mehr hatte. Wieder rieb ich mir den kribbelnden Nacken, während meine Augen an den steinernen Zügen klebten. „Die ist cool, nicht?“ Ich zuckte zusammen. Ich musste mich dringend daran gewöhnen, dass um mich herum auf einmal Leute auftauchten. Vielleicht sollte ich auch nur langsam damit beginnen intensiver auf meine Umgebung zu achten als früher. Mein Kopf fuhr herum, die Hand immer noch in meinem Nacken. Neben mir stand ein… Junge?… Mädchen? Es könnte beides sein. Sicher war nur es war relativ jung. Die Gestalt war nicht sonderlich groß, eher ein Stückchen kleiner als ich und ich war mit 1.72 m nun nicht gerade riesig. Sie hatte kurze dunkle Haare, vorne zwei lange Strähnen und einen seitlichen Pony. Eine große, weiße Brille lag über den großen und aus voller Begeisterung auf die Statue strahlenden, gelb-grünen Augen. Der Reaper trug einen formalen, schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. An Stelle einer Weste trug er/sie allerdings einen langen, beigen Cardigan. Dazu schwarze Lackschuhe. Um den Hals baumelte eine Kamera. Das feine Gesicht dreht sich zu mir. Unwillkürlich, als ich mich immer noch fragte ob ich neben einen Jungen oder einem Mädchen stand, stellte ich fest, dass Sensenmann wohl ein ziemlich typischer Männerberuf sein musste, hatte ich bis jetzt nur sehr wenige Frauen unter den Besuchern gesichtet. Mit einem großen Lächeln schaute mich der Reaper neugierig an: „Du bist kein Shinigami.“ Die Stimme deutete allerdings eher auf einen Jungen hin. Er klang fast noch jünger, als er aussah. Doch von dem was er sagte hatte ich kein Wort verstanden. Der Junge sprach eine andere Sprache als ich. Dem Klang nach tippte ich auf Deutsch. Es klang zumindest so ähnlich, wie ein paar Gesprächsbrocken, die ich zwischen Frank und Charlie hier und da mal aufgeschnappt hatte. „Bitte?“, fragte ich also, natürlich auf Englisch, nach. Der Reaper schloss die großen Augen und legte zum Lachen die halb in der beigen Strickjacke verschwundene Hand über den Mund: „Du bist kein Shinigami“, sprach er abermals, aber nun in Englisch. Ich stockte: „Wo… woher?“ „Na“, kicherte er und zeigte mir ins Gesicht: „Deine Augen! Ein schönes Himmelblau! Aber dadurch sind sie nur allzu deutlich keine Reaperaugen.“ Ja, klar. Das hätte ich mir auch selber denken können: „Nein… ich bin kein Shinigami.“ „Was dann?“, fiel sein Kopf zur Seite. „Ich… Ich bin ein Mensch.“ „Ehrlich?“, wurde die Neugier in dem jungen Gesicht größer: „Was machst du denn dann hier?“ Jetzt… hatte ich ein Problem und keine Ahnung wie ich es lösen sollte. Meine Augen klimperten dem Jungen entgegen und ich blieb stumm. Nach ein paar Sekunden trat er zwei Schritte näher und steckte mir die Nase ins Gesicht: „Sag nicht es ist Top Secret!“ Er versuchte sicherlich zu flüstern, doch war er dafür viel zu aufgeregt. Mein Hirn ratterte und ich nickte. Ob meine Angelegenheit wirklich ‚Top Secret‘ war, ich hatte keine Ahnung. Doch Fakt war, dass ich wohl keine bessere Option bekommen würde, um aus der Sache so glimpflich herauszukommen. „Wow“, sagte der Junge fasziniert: „Echt aufregend! Und warum stehst du hier? Du weißt doch gar nicht wer das ist.“ Ich entschloss mich, dass es besser war den Reaper in seinem Glauben zu lassen ich hätte keine Ahnung. Ich war mir noch nicht einmal sicher in wie weit ich damit tatsächlich log. Den ‚Shinigami-Undertaker‘, den kannte ich ja wirklich nicht: „Nein. Weiß ich nicht.“ „Das“, lachte er immer noch vollkommen begeistert und machte eine ausschweifende Armgeste: „Ist der größte Sensenmann, der je gelebt hat. Der Legendäre Todesgott.“ „Öhm, also“, versuchte ich den Redeschwall des jungen Reaper zu stoppen. Doch der Junge beachtete mich eigentlich gar nicht und plauderte fröhlich weiter: „Legendär auf zweierlei Arten: Einmal, weil seine Fähigkeiten als Schnitter immer noch unerreicht sind und einmal, weil es über ihn mehr Legenden als Sterne am Himmel gibt!“ Meine Ohren wurden größer: „Aha?“ Der Reaper schaute mich wieder an: „Aber das interessiert dich sicher nicht. Du kennst dich mit dem allem hier ja gar nicht aus.“ „Doch, mich interessiert das und ein bisschen weiß ich schon.“ „Echt?“, drehte sich der mädchenhafte Junge wieder ganz zu mir und musterte mich kurios durch seine weiße Brille. Ich nickte: „Shinigamis überführen die Seelen der Sterbenden. Dafür lesen sie die Cinematic Records eines Menschen aus. Sie sind extrem kurzsichtig, haben eine für sie charakteristische Augenfarbe und sind im ‚Grim Reaper Dispatch‘ organisiert. Sie sind die Seelen von verstorbenen Selbstmördern, verflucht den Job so lange zu machen bis ihnen irgendwann… vergeben wird.“ Der Sensenmann blinzelte: „Okaaaay. Du weißt ja wirklich Bescheid.“ Ich lachte kurz: „Nun ja… Ein bisschen halt.“ Als ich die Augen wieder öffnete hing das Gesicht mit der weißen Brille fast auf meiner Schulter und musterte meins: „Man. Ich würde so gern wissen was du hier tust. Aber dafür habe ich zu kleine Zahlen auf meinem Gehaltscheck, oder?“ „Ähm“, reckte ich meinen Kopf ein Stück nach hinten: „So gut kenne ich mich mit der Organisation hier nun auch nicht aus. Damit eigentlich gar nicht… Aber ich bin neugierig auf, nun ja“, ich drehte meinen Kopf in Richtung Statue und Bücher: „Das hier… Die Reaper, die ich getroffen habe, waren nicht gerade die Typen für Götzenverehrung. Deswegen frage ich mich was man tun muss, damit einem die Grim Reaper eine Statue bauen.“ Der Reaper lachte auf und hielt sich kurz den Bauch: „Na! Du musst atemberaubend sein. Total hervorragend und herausstechend! Einfach so wie er.“ Ich schielte einmal zu der Statue und dann zu dem immer noch lachenden Sensenmann: „Was hat er denn so tolles gemacht?“ „Vieles!“, rief er. Ich neigte meinen Kopf auffordern ein Stück zu dem jungen Schnitter mit den fröhlichen Augen: „Zum Beispiel?“ „Er soll Seelen geholt haben, wie Marie Antoinette und Robin Hood!“, strahlte er weiter. Ich erinnerte mich, dass Ronald mir dasselbe erzählt hatte. „Die waren sicher furchtbar zickig auf ihren letzten Metern!“, fuhr der Sensenmann fort: „Herrscher, Adel und Leute, die Großes bewirkt haben, wehren sich sehr oft sehr vehement und stürzen einige Reaper echt ins Unglück. Arme Tröpfe. Aber ihn! Ihn nicht! Man erzählt sich, dass weinende Kinder ihm freiwillig ihre Seelen überließen. Seine Augen sind legendär!“ ‚Seine Augen... sind legendär?‘, mein Kopf baute abermals kleine Unfälle, als mir unwillkürlich diese zwei unglaublichen, kristallklaren Augen in den Sinn sprangen. Ich glaubte irgendwie sofort, dass diese Augen etwas ganz besonderes waren: „Warum seine Augen?“ „Es heißt, dass sie auf Menschen hypnotisierend gewirkt haben“, grinste der junge Reaper schon fast verschmitzt. Ich schluckte trocken: „Wir… wirklich?“ Dass Undertakers Augen ungewöhnlich waren bejahte ich sofort, aber hypnotisierend? Das klang doch eher nach Fantasterei. „Keine Ahnung“, kam sein Schulterzucken relativ unerwartet, hatte er doch vorher mit so viel Feuereifer erzählt: „Viel wurde sicher auch dazu gedichtet. Einige Ereignisse sind ja mittlerweile über 2000 Jahre her.“ „Tatsächlich? Welche?“ „Nun“, der Schnitter kratzte sich nachdenklich an der Nase und ich wandte meinen schief gelegten Kopf zu ihm: „Die Jagd auf Kain und Abel, die Schlacht bei Jerusalem, das Einsammeln der Seelen der Propheten und etlicher altertümlicher Könige. Seine To Do Liste war das Who is who des Altertums und vielen Epochen danach und...“ „Schlacht bei Jerusalem?“, ich legte den Kopf noch schiefer und der Junge blinzelte ein bisschen überrascht von meiner Unterbrechung: „Das klingt ja wie Krieg!“ „Das war Krieg“, grinste er irgendwie zu fröhlich: „Da war mal richtig was los!“ „Der Tod zieht in den Krieg?“, blinzelte ich weiter. Ich hörte ein tiefes Wackeln hinter mir. Doch als ich mich umdrehte war nichts Außergewöhnliches zu sehen. Ich tippte, dass Jemand gegen eines der Regale gestoßen war. Auch der junge Reaper hatte sich umgewandt und schaute dann kopfschüttelnd wieder zu mir, als auch er nichts Besonderes zu entdecken schien: „Da schon. Naja, er ist mit den andern 9 Alten und ein paar höheren Reapern nach Jerusalem gestiefelt. Die Babylonier haben Dämonen beschworen um Israel und Ägypten einzunehmen, ein paar Engel hatten allerdings einen ziemlichen Narren an Jerusalem gefressen. Wollten es ‚läutern‘ und ‚erstrahlen‘ lassen“, er wedelte einmal kurz mit seinen Händen auf Kopfhöhe herum, als wolle er heiliges Licht parodieren: „Sie konnten die Dämonen nur nicht richtig aufhalten, also haben sie versucht den Tod auszusperren, damit nur die starben, die sie tot sehen wollten. Irgendwie haben sie es geschafft ein paar Menschen abzuschirmen. Die Engel haben natürlich auch die Sensenmänner attackiert und Dämonen machen ja eh vor nix halt. Auf jeden Fall fanden die Alten ausgesperrt und attackiert zu werden nicht allzu lustig.“ Irgendwo kicherte jemand leise. Wieder drehte ich mich um: ‚Undertaker?‘ Niemand war zu sehen und die Bibliothek lag ruhig und friedlich hinter mir. Wenn ich Undertaker kichern hörte, stand er eigentlich immer genau hinter mir um mich damit zu erschrecken. Doch gerade stand niemand hinter mir. Wahrscheinlich hörte ich mittlerweile Gespenster. Es wurde Zeit mir Sorgen zu machen. Denn der Schnitter neben mir schien nichts bemerkt zu haben. Und mittlerweile wusste ich ja, dass Reaper aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit ziemlich gute Ohren hatten. Er redete allerdings einfach fröhlich weiter: „Irgendwann war es ein großer, prügelnder Ball aus so ziemlich allem, was es so gibt.“ „Und wer hat gewonnen?“, fragte ich zögerlich, als ich den Kopf wieder zu der weißen Brille gedreht hatte. Es erklang ein leises ‚Wumps‘. Ich drehte mich erneut zu den Regalen. Eine kleine Staubwolke schwebte darüber hinweg. Doch der Sensenmann schüttelte lachend den dunkelbraunen Schopf und ich wandte mich wieder zu ihm: „Der Tod gewinnt immer. Uns entkommt einfach keiner. Schon gar nicht, wenn sich die Alten darum gekümmert haben. Die waren so cool!“, kurz kicherte der junge Reaper in beide Hände, doch dann seufzte er. Ein weiteres leises ‚Wumps‘ ließ zwar meine Augen zur Seite zucken, doch ich richtete sie eigentlich sofort wieder auf den Reaper. Was die Shinigami da auch immer taten, interessierte mich nicht halb so sehr wie das, was der Junge mir nach dem Seufzen wohl zu erzählen hatte. Wahrscheinlich sortieren sie eh nur irgendetwas um oder machten Inventur, oder so. „Naja“, schüttelte er den Kopf: „Das klingt alles so glorreich. Viele Reaper haben es nicht geschafft. Einer von den Alten ist dabei wohl auch drauf gegangen. Naja, schwere Zeiten. Doch wenigstens war es damals nicht so furchtbar langweilig.“ Der Spruch hätte auch von einem gewissen Jemand kommen können. Ich glaube der jungen Sensenmann und der Bestatter würden sich verstehen. „Sascha?! Sascha, wo steckst du?!“, hallte eine Männerstimme durch die Bücherregale und sprach wieder eine andere Sprache. Ohrenscheinlich war es wieder deutsch: „Hast du Sascha gesehen?“ „Psssst!“, wurde ihr geantwortet. „Hast du?“ „Nein“, antwortete das Pssst nach einem Räuspern dunkel. Irgendwie klang die Stimme komisch. „Sascha!“ „Pssst!“ „Hilf mir oder halt die Klappe!“ Noch ein Räuspern: „Das hier ist eine Bibliothek!“ Der Junge kicherte in seine Hand. „Wer ist das?“, fragte ich und schaute zu den Regalen. „Mein Partner“, lachte er: „Und der Verfechter des Redeverbots ist einer der Bibliothekare.“ „Sascha! Unsere Schicht beginnt! Wir müssen los!“ „Ich komme!“, rief der Junge auf Deutsch. Er drehte sich nochmal kurz zu mir und schloss die Augen über dem breiten Strahlen, als er überschwänglich winkte und noch einmal auf Englisch umstieg: „Ich muss los oder meine Seele ist die erste auf der Liste. Mach‘s gut, Mädchen mit den Himmelaugen! Ich hoffe wir sehen uns so schnell nicht wieder!“ Der Reaper rauschte an mir vorbei und war wieder auf und davon. Ich schaute ihm ein bisschen hinterher. Dann schüttelte ich mit einen amüsierten Schnauben den Kopf. Schon wieder ein ‚Auf Nimmerwiedersehen‘. Ich schaute noch einmal zu der Statue: „Also auch noch ein Kriegsheld, hm?“ „Nehehehehe! Mach dich nicht lächerlich.“ „WA!“, ich sprang mit schlackernden Armen zur Seite. Jetzt hatte mich der Bestatter erschreckt! Undertaker stand mit verschränkten Armen auf einmal genau neben mir. Sein Kopf kippte grinsender Weise zur Seite, sodass er mich anschauen konnte: „Tehehehe. Du bist so endlos neugierig.“ Ich atmete schwer. Dabei stellte ich fest wie sehr ich anfing es zu HASSEN wenn auf einmal, ohne Vorwarnung und vollkommen aus dem nichts, Leute neben mir auftauchten! Die Shinigami schienen einen Faible dafür zu haben: „Verdammt noch mal! Erschreck‘ mich nicht immer so!“ Undertaker lachte darauf hin nur: „Aber mir würde ohne dein possierliches Aufschreien etwas fehlen, liebe Skyler. Ehehehehehe!“ Ich ließ die Schultern hängen und zog eine Schnute: „Echt jetzt? Ich sterbe jedes Mal einen kleinen Tod und du findest das possierlich?“ Der Bestatter lachte lauter: „Pahahahahahahaha! Glaube mir! Sterbende Menschen sehen anders aus!“ Sein Kopf kippte ein Stück nach vorne. Dabei hüpfte der Pony ein Stück aus seinem Gesicht und das Lachen wurde zu einem breiten Lächeln, welches einen sehr sehr düsteren Touch hatte. Sein schmales, fluoreszierend grünes Auge blitzte in kaltem Amüsement: „Glaube mir, damit kenne ich mich aus. Ehehehe.“ „Keine weiteren Fragen, euer Ehren“, fiepste ich, machte große Augen und hob die Hände, als ich begriff was dieses düstere Lächeln eigentlich aussagte. Dass er sich damit auskannte, weil er schon oft genug dafür gesorgt hatte, dass jemand stirbt. Und das nicht nur durch seine Tätigkeit als Sensenmann, sollte man den vorherigen Gesprächen Glauben schenken. Undertaker warf den Kopf wieder in den Nacken, als er erneut anfing laut zu lachen: „Ahahahahahahaha! Schaue nicht so, als ob ich dich fressen wolle!“ „Bist du sicher, dass du das nicht willst?“, sprudelte mein erster Gedanke vollkommen unreflektiert aus meinem Mund. Eine Röte getragen von purer Peinlichkeit flammte in meinem Gesicht auf, als mir wirklich bewusst wurde was ich gerade gesagt hatte. Undertaker starb der Weilen einen langsamen, aber lachenden Tod. Ich versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen, während ich mir wünschte endlich im Erdboden zu versinken. „Wahahahahahahahahaha! Wie herrlich! Fuhuhuhuhuhu! Aber nein. Hehehehe! Heute habe ich gut gefrühstückt. Es wird nicht nötig sein.“ Ich riss die Hände vom Gesicht, als ich erschrocken feststellte wie nah seine Stimme war. Und tatsächlich hatte er sich mit in die Taille gestemmten Armen zu mir herunter gebeugt. Sein grünes Auge funkelte mir nun aus nur noch ein paar Zentimeter Entfernung entgegen. „Ähm“, wischte das wohl intensivste Grün was ich je gesehen hatte mir erneut die Gedanken aus dem Kopf und trieb mir die Röte noch stärker auf die Wangen: „Du hast ein paar Löffel Marmite gegessen… Wie auch immer du das geschafft hast...“ „Ehehe. Das war mehr als du gegessen hast. Für den Augenblick reicht es. Aber vielleicht sollten wir zurück, damit wir das Abendessen nicht verpassen. Was sagst du? Tehe“, er schaute kurz auf seine alte Taschenuhr. Er muss sie sehr gut gepflegt und gehegt haben, denn sie tickte stramm und fleißig vor sich her: „Wir haben zwar noch etwas Zeit, hehehe, aber Sebastian schätzt Unpünktlichkeit nicht. Außerdem ist hier nun wirklich alles getan.“ „Ähm… Sind wir wirklich schon so lange hier?“ „Ihihihi. Ja. Schon eine ganze Weile.“ Ich seufzte: „Ich tippe Grell, Ronald und William bleiben hier, oder?“ „Warum sollten wir? Wir haben doch noch frei!“ „AAAAAAAHHHHHH!“, kreischte ich aufgrund der Stimme hinter meinem Rücken auf. Mein Herz setzte sehr schmerzhaft aus und ich sprang wie von der Tarantel gestochen in die Luft. Für einen Moment wackelte und ruckelte die ganze Welt. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust und es tat furchtbar weh. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich keuchte als wäre ich gerade die Tour de France ohne Pause im höchsten Gang durch geradelt. Ronald stand dort, wo eben noch hinter meinem Rücken gewesen war und lachte sich ins Fäustchen. Hinter ihm Grell und William. „Du bist furchtbar gemein“, stemmte Grell in seinem unglaublich femininen Habitus einen Handrücken in die Hüfte und streckte selbige zur Seite heraus. Ronald kicherte weiter in seinen schwarzen Handschuh: „Ich weiß. Hihi. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.“ „DU!“, schrie ich und begann mit den Fußen zu strampeln und das, was auch immer ich umarmte, fester an mich zu drücken: „Bist doch ein kleines, verdammtes Arschloch! Hast du sie nicht mehr alle! Ich HASSE es! Ständig taucht irgendwer hinter mir oder neben mir auf und erschreckt mich zu Tode! SCHÖN, wenn IHR daran so viel SPAß habt, aber ICH habe keine LUST mehr darauf, KLAR?! Ihr seid doch alle nicht mehr ganz koscher! Es reicht ja nicht, dass Undertaker immer dafür sorgen muss, dass ich `nen halben Herzinfarkt bekomme, dann musst du Aushilfspausenclown nicht auch noch mitmachen! Und du willst ein Gentleman sein?!“ „Naja“, legte Ronald den Kopf schief und ich schaute ihn mit verärgert aufgeblähten Wangen an, als er die Arme verschränkte und weiter grinste: „So schlimm kann Undertaker ja nun auf nicht sein.“ Ich zog skeptisch Augen und Brauen zusammen, als ich die Andeutung nicht verstand: „Warum?“ Grell kicherte in die freie Hand hinein. William zog mit einem ungläubig, verständnislosen Blick seine linke Braue in die Höhe. Ronald breitete die Hände aus, als er lachend den Kopf schüttelte: „Ehrlich jetzt? Das fragst du wirklich?“ Aus Grells Kichern wurde ein Lachen. William stützte einen Ellbogen auf den anderen Arm und sein Kinn in die Hand, als seine zweite Braue der ersten folgte. „Was… habt ihr?“, fragte ich irritiert. „Pahahahahaha! Fuhuhuhuhuhuhuhuhuhu! Ich hab da eine Theorie“, lachte eine sehr wohlbekannte Stimme direkt neben meinem Ohr. Mein Kopf flog herum und das Gesicht des Totengräbers grinste mir aus MEINEN EIGENEN Armen entgegen! Erst jetzt realisierte ich, dass ich gar nicht stand. Natürlich, ich hatte ja auch mit den Füßen strampeln können. Ich fühlte Druck in meiner Kniekehle und in meinem Rücken. Ich muss in meinem blanken Schreck dem Bestatter… vollkommen unbewusst… und ungewollt… in die Arme gesprungen sein. Ich merkte wie der Pegel meiner Schamesröte in Rekordzeit anstieg und ich mit weit aufgerissenen Augen in eine Art Schockstarre verfiel. „Ehehehe! Willst du sie hören?“, grinste der Bestatter weiter. Ich schüttelte nur den Kopf. „Zeit nach Hause zu gehen“, lachte der Bestatter weiter und drehte sich um. „Du… Du kannst mich ruhig runter lassen...“, murmelte ich, als der Leichengräber sich in Bewegung setzen wollte. „Wie weit würdest du kommen? Hehe.“ „Haaaaaaa! Hinter dem verrückten Totengräber versteckt sich ja wirklich ein kleiner Gentleman“, hörte ich Grells Stimme hinter Undertakers Rücken, was unsere Konversation kurz unterbrach. „Er schlägt sich ganz gut“, konterte Ronald halb lachend. „Ach, pluster dich nicht so auf“, schnauzte Grell. „Ihr könntet einfach Beide ruhig sein“, grätschte William in seiner gewohnt trockenen Art dazwischen. Undertaker lachte leise, aber gewohnt schrill. „Hm?“, machte ich reichlich ermüdet und von meiner Erschöpfung geplagt. „Sind sie nicht süß? Ihihihihihihi!“, giggelte der Bestatter und grinste von einem Ohr bis zum Anderen. Ich lachte leise mit: „Schon… Irgendwie. Aber du kannst mich jetzt wirklich runter lassen… Es war nicht meine Absicht dir… ja… ähm...“ „Mit reichlich Schwung um den Hals zu fallen? Hehe“, grinste der Totengräber. „Ähm ja… Ich glaube... das beschreibt es ganz gut… Also... würdest du bitte?“ „Nihihi! Wie du wünschst“, Undertaker stellte mich sacht auf meine Füße und legte den Kopf schief: „Kannst du wirklich laufen?“ Ich nickte leicht. William hatte uns überholt und die Hand auf ein Nichts gelegt. Die Luft riss auf und ich sah die Eingangshalle der Villa Phantomhive durch das Loch. Nacheinander schlüpften wir durch das Loch. Ronald streckte sich: „So viel Rennerei… und das an meinem freien Tag.“ Ich ging an Ronald vorbei: „Willst du dich wirklich beschweren?“ Ronald machte den Mund auf. Grell stupste in daraufhin mit dem Ellbogen an. „Hey!“, Ronald stupste zurück, dann wieder Grell, wieder Ronald und so weiter. Die Beiden verfielen schnell in eine kleine Keilerei. Ich blieb noch einmal stehen und beschaute das Schauspiel mit einer hoch und einer runter gezogenen Augenbraue. Undertakers Giggeln sickerte durch den großen Saal. Dann erschien William hinter den Beiden und brachte sie mit einem synchronen Klaps auf den Hinterkopf zum Schweigen. Ich schüttelte kurz den Kopf und ließ die Grim Reaper hinter mir, die mittlerweile begonnen hatten darüber zu diskutieren ob es denn wirklich nötig gewesen war, dass William sie so harsch stoppte. Wo genau ich hin wollte wusste ich gar nicht. Ich wollte nur irgendwie weg. Ich hatte das Gefühl alles was ich erfahren hatte, über Undertaker, die Shinigamis, über mich selbst noch die Erkenntnisse von heute früh, das alles steckte in meinem Kopf und es ging nicht vor und nicht zurück. Kopfschmerzen surrten wieder durch meine vollgestopften Gedanken, die zu keinem richtigen Denkprozess fähig schienen. Meine weichen Knie trugen mich zwar, doch hatte ich das Gefühl mein Körper wäre ein Bleiklumpen, der von zwei dünnen Strichhölzern getragen wurde. Mein flauer Magen gluckerte wieder. Ich schaute auf die Uhr auf meinem Handy: 15:14 Uhr. Leise Schritte neben mir. Meine Augen wanderten zu meiner rechten. Undertaker hatte mich mit ruhigen, aber zügigen Schritten eingeholt. Ich steckte mein Handy wieder in die Hosentasche. Sein Grinsen lachte mir entgegen, aber sein Auge musterte mich besorgt: „Hehe. Wohin des Weges?“ „Ich weiß nicht“, seufzte ich. „Tihihihihi! Welch fantastisch ausgeklügelter Plan“, lachte der Bestatter ironisch. Dann wurde er ernster: „Du gefällst mir nicht.“ Ich steckte die Hände in die Hosentaschen: „Wundert dich das?“ „Nein“, gab der Bestatter zurück: „Das waren ja ein paar ziemlich ereignisreiche Stunden für dich.“ Ich schnaubte: „Ereignisreich… Ich bin ein Freak, verdammt...“ „Hehehe. Ach Sky“, klang die Stimme des Bestatters schon fast wie ein Seufzen: „Ich habe dir doch gesagt, dass...“ Ich hob die Hand und gebar dem Bestatter damit zu schweigen. Er blinzelte ein wenig verwundert. „Bitte“, sagte ich: „Ich… möchte gerade nichts hören...“ „Was möchtest du dann?“ „Ich weiß es nicht...“ „Sky“, Undertaker stoppte meinen Gang indem er mich bei den Schultern nahm. Sein grünes Auge ruhte auf meinem Gesicht: „Du bist nicht allein.“ Ich schaute zu Boden und zog meine Augenbrauen zusammen: „… Wirklich?“ Eine Hand an meiner Wange hob meinen Kopf wieder an. Der Bestatter lächelte sanft: „Wirklich.“ Ich schloss mit einem traurigen Lächeln die Augen: „Danke… Aber ich glaube… Gerade möchte ich alleine sein...“ „Welt sortieren, hm?“ Ich nickte und die Hand verschwand: „Du solltest das Abendessen aber nicht verschmähen.“ Ich neigte den Kopf: „Gerade… kann ich nichts essen.“ „Sky“, sagte Undertaker bedeutungsschwer und ich wusste, dass ihm widerstrebte was ich sagte. Doch ich schüttelte den Kopf: „Mach dir keine Sorgen. Ich mach das schon… irgendwie.“ „Und wie?“ „Erst einmal... muss ich meine Welt sortieren. Soweit es eben geht.“ „Wenn du etwas brauchst, rufe nach mir. Ich werde dich hören, versprochen.“ Ich seufzte erneut: „Mach dir nicht so viele Umstände wegen mir.“ „Wenn es nach mir ginge“, verschränkte der Bestatter die Arme: „Würdest du jetzt nicht alleine weiter ziehen. Doch wenn du dich so entscheidest. Bleibe bitte in der Nähe. Dann muss ich mir ein paar Sorgen weniger um dich machen.“ Ich blinzelte dem Bestatter in die mehr als nur smaragdgrünen Augen: „Du… machst dir wirklich Sorgen um mich?“ So ganz konnte ich das noch nicht glauben. Dass sich jemand wie Undertaker Sorgen um mich machte. Ein Jemand, der auf mehr Art und Weisen besonders war, als ich immer dachte. Ich hatte darüber hinaus das Gefühl ich hatte noch nicht alle Besonderheiten an dem skurrilen Bestatter gesehen. „Natürlich“, lachte er. Er hob die Hand und die Rückseiten seiner kalten, langen Finger streiften kurz sanft meine rechte Wange. Ein Knistern ging dort durch die Haut und surrte durch meine Nerven. Eine Gänsehaut folgte dem Knistern und rieselte meinen rechte Arm herunter. „Wie könnte ich nicht?“, fragte der Totengräber leise und lächelte mich weiter milde an. Ich seufzte erneut, getragen von diesem innerlichen, doch unglaublich angenehmen, Schaudern: „I-Ich... bin ok. Gib mir… nur ein bisschen Zeit, ja?“ Die Hand, die eben noch meine Wange gestreift hatte, wanderte vor den giggelnden Mund des Leichengräbers: „Ihihihi. Wie gesagt: Wenn du das wünschst kann ich dich nicht aufhalten.“ Ich wusste, er konnte. Natürlich konnte er. Aber mein Herz ging auf, als er meine Entscheidungen und meine Gefühlslage respektierte. Irgendwie dann doch mit einem gewissen inneren Widerstand wandte ich mich ab und durchquerte die Eingangshalle. Ich schlüpfte durch eine Türe in den Garten und die kalte Novemberluft schlug mir entgegen. Hier, in der Menschenwelt, war es kälter als im Reaper Realm. Um einiges sogar. Doch ich hatte nicht die Muse umzudrehen und mir eine Jacke zu besorgen. Also nahm ich nur die vorderen Säume meines Cardigans und schob sie übereinander. Auch neigte sich die Sonne gen Horizont und der Himmel driftete langsam in eine satte Abendröte. Mit verschränkten Armen ging ich zügig über das noch grüne Gras, den Bach entlang. Die kalte Novemberluft ließ mich frösteln und wehte durch meinen umgestürzten Kartenhaufen von Gedanken. Irgendwann… saß ich am Bach. An derselben Stelle, wo ich gestern noch mit Undertaker gesessen und den kleinen Schiffen zugeschaut hatte. Mein Kopf ratterte schmerzvoll, ohne dass ich wirklich dachte und irgendwann fiel ich auf den Rücken und blieb alle 4re von mir gestreckt liegen. Ich schaute in den blauen Novemberhimmel, in den sich ein rot-orangener Schein mischte und der kühle Wind einige Schäfchenwolken vorantrieb: „Hast du einen guten Rat für mich Oma? Irgendeinen?“ Ich schloss meine schweren Augen. Natürlich wusste ich, dass meine verstorbene Großmutter mir nicht mehr antwortete. Es war nur umso tragischer, da sie immer einen guten Rat gehabt hatte. Sie starb als ich 4 war, doch ich wusste noch ganz genau wie sie aussah, wie sie gewesen war und dass sie vielleicht nicht immer eine Antwort, aber immer einen Ansatz zur Lösung parat gehabt hatte. Doch sie war fort und ihre Ratschläge und Ansätze mit ihr. Erinnerungen tanzten durch meinen Kopf. Meine Oma hatte immer ein Lied mit mir gesungen. Ich liebte dieses Lied. Ich hatte es nie vergessen. Die Stimme meiner Großmutter schwirrte durch meinen Kopf. Singend. Sie sang so schön. Ein Lächeln schlich auf mein Gesicht, während ich wieder auf die Wolken schaute die langsam vorbeizogen. Obwohl es so schöne Erinnerungen waren, taten sie so furchtbar weh: ‚♪ Old Roger is dead and he lies in his grave, lies in his grave, lies in his grave. Old Roger is dead and he lies in his grave, ay ee aye over...♫‘ Ich hatte als kleines Kind immer darüber gelacht und versucht mitzusingen. Doch ich hatte nie so schön geklungen wie sie. Das hatte mich schon als junges Kind frustriert. Meine Oma hatte dann gelacht: ‚Immer mit der Ruhe, meine Kleine. Irgendwann schaffst du es.‘ Dann hatten wir immer gemeinsam weiter gesungen, egal wie schief es war: ‚♪ They planted an apple tree over his head, over his head, over his head. They planted an apple tree over his head, ay ee aye over...♫‘ Ich atmete einmal tief durch: „...♪ The apple got ripe and began to fall, began to fall, began to fall. The apples got ripe and began to fall. Ay ee aye over...♫“ Meine Stimme zitterte als ich leise gesungen hatte. Denn mir waren schon wieder die Tränen in die Augen gestiegen. Nicht zwingend, weil ich mit mir selbst so unsagbar im unreinen war, sondern eher, weil ich mir einmal mehr gewahr wurde wie furchtbar ich meine Großmutter vermisste. Ich drehte mich auf die Seite, fasste an mein Medaillon und schaute auf die vielen grüne Grasstängel. „Jetzt kann ich es Oma...“, flüsterte ich ins Gras: „Doch was tue ich nun?“ Warum ich mich jetzt an all das erinnerte, ich wusste es nicht. Ich hatte doch eigentlich viel anderes über das ich nachdenken musste. Flüche wurden vererbt, hatte Undertaker erklärt: „Von wem habe ich das…?“ Von ihr vielleicht? Doch meine Großmutter war eine so wunderbare Frau gewesen. War das ein Ausschlusskriterium? Ein guter Mensch zu sein? Wie mein Vater so verkommen konnte, war mir immer ein Rätsel gewesen. Ja, diese Frau war die Mutter meines Vaters gewesen. Die wunderbarste Frau die ich kannte, erzog den Menschen der mein Leben 3 Jahre zu der Hölle auf Erden gemacht hatte. Mit ihrem Tod hatte sich alles verändert. Mein Vater hatte sich verändert. Zumindest hatte meine Mutter immer gesagt, er sei eigentlich ein ganz wunderbarer Mensch. Irgendwann mal gewesen, vielleicht. Für mich war er ein Monster. Solche Leute waren Monster, nicht Wesen wie der giggelnde Totengräber. Ich hatte meinen Vater, als ich ganz klein war, nicht oft gesehen, da er im Ausland im Einsatz gewesen war. Jahrelang. Ich wusste also kaum was für ein Mensch er vorher gewesen war. Ich konnte mich einfach nicht erinnern. Doch nach Omas Tod war er endgültig nach Hause zurückgekommen, weil er unehrenhaft aus der Britsh Army entlassen wurde. Von da an war mein Leben, mein Zuhause ein feindseliger Ort gewesen. Ein grausamer Ort, der mir Angst machte. Und immer noch macht. Ein grausamer Ort wo es niemanden mehr gab, der sich um mich scherte. Denn meine Großmutter, sie war ja tot. Eine Träne fiel von meiner Wange. Obwohl ich den Worten des Bestatters wirklich glaubte, fühlte ich mich furchtbar alleine. Denn im Endeffekt musste nur ich mit mir selber leben und ich wusste gerade nicht wie das gehen sollte. Eigentlich hatte ich das noch nie wirklich gewusst. Ich dachte immer es kommt Zeit und damit auch Rat. Das ich irgendwann erwachsen war und es dann schon funktionierte. Irgendwie. Doch nun? Nun war ich erwachen. Doch… wer war ich überhaupt? Was war ich? Trotz aller so aufmunternden Worte hatte ich Angst gefährlich zu werden. Was war, wenn ich ausversehen andere Schüler verletzte? Oder sogar Amy? Was sollte ich denn dann tun? Was sollte ich jetzt noch von mir halten? Entkräftet schloss ich meine Augen, doch auch so konnte ich die Tränen nicht halten, die unentwegt weiter in das grüne Gras tropften. Ich wusste nicht wie lange ich dort gelegen hatte und meine Gedanken wälzte. So unfassbar ergebnislos. Ich dachte über alles nach. Gleichzeitig. Unsortiert. Total wirr. In meinem Kopf regierte das Chaos. Die Gedanken über das was ich heute erfahren hatte wurden ständig von Gedanken an meine Familie unterbrochen. Ich hatte das Gefühl innerlich daran auseinander zu fallen. Ich war mir ganz sicher, dass ich wirklich auf dem besten Weg war endgültig verrückt zu werden und an den Schmerzen, an der Angst und an diesem Gefühl der alles verzehrenden Einsamkeit in mir zu ersticken. Und ich konnte nichts dagegen tun. Ich lag einfach so im Gras, hörte viel zu weit entfernt den Bach vorbei rauschen und war vollkommen ohnmächtig gegenüber allem was in meinem Kopf vor sich ging. Gegenüber den Tränen, die den Rasen gossen. Meine Hände waren von der Novemberkälte schon ganz taub, aber wirklich erreichen tat mich das frieren nicht. Denn mein Körper fühlte sich an, als sei er eigentlich gar nicht da. Ich war eine Gefangene meines eigenen Kopfes und mir wurde gar nicht klar, dass ich im Gras liegend den Bezug zu Realität oder zu meiner Umgebung eigentlich schon gänzlich verloren hatte. So auch den Bezug zu mir selbst. Hatte ich immer das Gefühl gehabt zu normal zu sein, fühlte ich mich nun zu abnormal. Von einem Extrem ins Nächste, was nicht wirklich ein besseres Gefühl war. Perfekt? Ich war nicht perfekt. Zum ersten Mal glaubte ich, dass der Bestatter mich tatsächlich belogen hatte. Wahrscheinlich, damit es mir besser ging, doch machte auch dies das Gefühl nicht besser. Wie stand es denn um mich, wenn ein so Grund auf ehrliches Wesen das Gefühl hatte es müsse mich belügen, damit ich auch nur ansatzweise mit der Situation zurechtkam? Ab gesehen der Tatsache, dass ich es nicht tat. Ich kam mit der Situation nicht zurecht. Ich hatte keine Ahnung wie. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, die sich wie eine anfühlte, aber irgendwie auch nicht, atmete ich das erste Mal aktiv daran denkend durch. Dabei rollte ich mich im Gras zusammen und versteckte mein Gesicht hinter meinen Armen: „♪ ...And then an old woman came picking them up, picking them up, picking them up. And then an old woman came picking them up, ay ee aye over...♫“ Etwas landete auf mir: „♪Old Roger got up and gave her a whack, gave her a whack, gave her a whack. Old Roger got up and gave her a whack, ay ee aye over.♫“ Ich hatte die Stimme sofort erkannt. Ich hörte sie jeden Tag. Diese Erkenntnis holte mich ein weiteres Stück in die Realität um mich herum zurück. „...Was machst du hier, Amy?“, fragte ich ohne mein Gesicht aus den Armen zu nehmen. Amy setzte sich ungefragt neben mich ins Gras: „Dasselbe könnte ich dich fragen.“ „Selbstfindungsphase...“, blieb ich zusammengerollt liegen. „Erfolgreich?“ „Nicht ansatzweise...“ „Übel.“ „Oui...“ „Was kann ich für dich tun?“ „Nichts...“ „Sicher? „Glaube schon...“ Amy seufzte: „Die Shinigamis haben uns alles erzählt.“ „War‘s interessant?“ „Unerwartet. Deswegen dachte ich, ich schau‘ mal nach dir.“ „Es geht mir gut Amy...“ „Du siehst nicht so aus.“ Ich schwieg. Ich wusste weder was ich Amy antworten sollte, noch hatte ich dazu die nötige Lust. Mein Kopf war voll, heiß und schmerzerfüllt genug. Da brauchte ich nicht noch eine Konversation, auf die ich mich konzentrieren musste. Amy wusste, dass ich in schwierigen Situationen nie zum Sprechen aufgelegt war. Also sprach sie dann meistens solange über irgendetwas, bis ich mich erbarmte zu antworten. Sie ließ nie zu, dass ich mich vergrub, so wie ich es früher immer getan hatte, als ich noch vollkommen alleine war. In einem Kinderheim hatte man niemanden zum Reden. Seit ich Amy an meiner Seite hatte, hatte sich viel verändert. Die junge Phantomhive seufzte: „Weißt du?“, begann sie: „Du bist sicher ein bisschen durcheinander, aber… wenn ich ganz ehrlich bin… Macht mich das froh.“ Ich nahm mein Gesicht aus den Armen. Meine Augen wanderten zu Amy. Sie hatte die Arme locker um ihre angezogenen Knie gelegt und ihre langen, wilden Haare wogten in einer kleinen Brise, die mich frösteln ließ: „Wie meinst du das?“ „Nun ja“, Amys Augen klebten an dem kleinen Bach: „Ich… bin anders, Sky. Schon immer gewesen. Von dem Tag an dem ich geboren wurde, war in meinem Leben nichts normal. Und das wird sich auch nie mehr ändern. Meine Schulbrote wurden mir von einem Dämon geschmiert und mein Patenonkel, der früher ab und an auf uns aufgepasst hat, wenn meine Eltern mit Sebastian im Ausland waren, ist ein vollkommen verrückter und ewig lachender Sensenmann in Frührente. Das waren wahrscheinlich ziemlich verrückte Wochenenden für zwei Grundschüler, hahaha! Naja... mein erstes Gespräch über Jungs hatte ich übrigens nicht mit meiner Mum, sondern mit Grell und erklären wie Jungs ticken wollte mir nicht mein Vater, sondern Ronald… beides ebenfalls Reaper. William war 3 Jahre mein Nachhilfelehrer in Mathe und glaube mir, das war nicht schön und der beste Freund meines Bruders, mit dem auch ich eng aufgewachsen bin, war von vorne rein ein Anwärter auf eine Führungsposition bei den Triaden. Die Beiden waren auch die einzigen Gleichaltrigen, die eine Ahnung hatte was hinter der höflicher Fassade Sebastians steckt. Sie waren die Einzigen die wussten, wie es hinter Undertakers langen Haaren wirklich aussah. Nur mit ihnen konnte ich mich über das verrückte Zeug unterhalten was uns mit Will, Ron und Grell so passierte. Und es war eine Menge verrücktes Zeug passiert. Sie waren die Einzigen in meinem Alter die verstanden, wie es um Tod und Sterben wirklich steht. Wie diese Welt wirklich ist und sie funktioniert. Und es sind beides Jungs… und älter als ich. Nur ein paar Jahre, aber für sie machte das einen signifikanten Unterschied. Ich hatte nie das Gefühl… dass mich jemand verstand, verstehst du? Dann kam ich auf das College und traf dich. Dann verstand mich endlich jemand. Doch über alles konnte ich mit dir auch nicht reden. Du hast mir erlaubt einen Teil deiner Welt zu werden, obwohl du so viel erlebt hast und ich wollte dich auch an meiner Welt teilhaben lassen, doch… das durfte ich nicht...“ Ich setzte mich auf, als Amy die Augen nieder schlug. Dabei merkte ich, dass das was auf mir gelandet war mein Poncho war. Mittlerweile war es komplett dunkel. Ich muss wohl einige Zeit hier gelegen haben. Ich schaute auf mein Handy: 18:56 Uhr. Also waren es 3 Stunden und 42 Minuten gewesen. Amy fuhr sich betrübt durch die Haare: „Du hättest wahrscheinlich relativ normal gelebt, hättest du mich nie getroffen, Sky. Oder hätte ich dich nicht in die Villa mitgenommen. Doch… es macht mich irgendwie froh, dass… gerade du auch anders bist… Denn… dadurch fühle ich mich nicht mehr so alleine damit. Und naja… wir sind beste Freunde, oder? Jetzt kann ich wirklich mit dir über alles reden,“ Amy ließ den Kopf hängen und ihr Gesicht verschwand hinter ihrer dichten schwarzen Mähne: „Auch wenn das furchtbar egoistisch ist. Ich freue mich, dass du dein normales Leben losgeworden bist, nur damit ich jemanden zum Reden habe...“ Ich legte Amy meine Arme um den Hals und meine Schläfe auf ihre Haare: „Das ist nicht egoistisch. Du warst immer für mich da und jetzt kann ich endlich richtig für dich da sein. Das ist definitiv einer der positiven Aspekte an der ganzen Sache und das ich jetzt auf dich aufpassen kann.“ Amy hob den Kopf und schaute mich ein wenig verwundert an: „Denkst du das wirklich? Und was meinst du mit ‚auf dich aufpassen‘?“ „Nun“, ich legte den Kopf schief: „Undertaker bat mich in deiner Nähe zu bleiben und Alarm zu schlagen, wenn Claude oder sonst jemand von denen bei dir auf der Matte stehen sollte. Er sagte… ich sei ein kleiner Dämonenradar und das sei überaus praktisch...“ Amy blinzelte: „Kleiner Dämonenradar? Schön und gut. Vielleicht… Wahrscheinlich. Aber ich will nicht, dass dir wegen mir etwas passiert, Sky. So wie gestern. Das könnte immer wieder passieren.“ Ich schüttelte den Kopf: „Wir sitzen jetzt in einem Boot, vergessen?“ Amy lächelte wieder: „Du hast recht“, dann knuffelte sie mich zurück: „Du bist der Hammer, Sky!“ „Du viel mehr“, flüsterte ich und warf uns beiden meinen Poncho über die Schultern. Eine Zeitlang schwiegen wir, die Arme umeinander gelegt. Ich spürte wie mein überstrapaziertes Gehirn ein wenig herunter fuhr und das schlechte Gefühl in meinem Magen nach ließ. „Bist du auch verflucht, Amy?“, brach ich schließlich die Stille. Amy lachte auf: „Hahaha! Nein! Nein, wir sind nicht verflucht. Doch trotzdem wahrscheinlich anormaler, als du.“ Ich stutzte: „Ok… Es hätte mich nicht gewundert, ich meine ihr habt Sebastian und… Naja ihr habt Sebastian, das reicht eigentlich.“ Amy nickte und schaute mich an: „Du denkst Sebastian hätte uns irgendwann mal verflucht? Nein nein, das hat er nicht. Es wäre nur umständlich, wenn das Essen sich wehren könnte.“ „Das...“, ich stockte: „Das Essen!?“ Amy nickte erneut: „Die Gegenleistung für Sebastians Dienste ist die Seele des Earls Phantomhive. Also die meines Vater und irgendwann die von Fred.“ „Aber… Aber du…?“ Amy schüttelte lachend den Kopf und schloss kurz die königsblauen Augen: „Ich bin in der Erbfolge zu weit unten. Doch sollten Fred und Papa sterben, bevor Fred Kinder hat oder die Kinder alt genug sind, würde ich einspringen. Aber Sebastian passt auf uns auf, die anderen Aristokraten und Undertaker auch.“ Ich seufzte: ‚Undertaker...‘ Amys königsblaue Augen schauten mich wieder an: „Du hast doch noch mehr.“ Ich lachte kurz ohne amüsiert zu sein: „Ronald hat mir ein bisschen was erzählt… und ein anderer Reaper auch… über Reaper so allgemein und… ja… und...“ „Undertaker?“, fuhr Amy fort. „Woher weißt du das?“, blinzelte ich sie an. „Nun“, Amy lachte: „Über ihn gibt es wahrscheinlich das Meiste zu erzählen. So als Legende.“ „Ihr wisst das?!“ „Er hat sich vor einigen Jahren mal geoutet, ja.“ „Und wie habt ihr reagiert?“ „Wir?“, Amy lachte wieder: „Vor einigen Jahren ist ungefähr 120 Jahre her! Wir haben gar nicht reagiert. Zu der Zeit hat keiner daran gedacht, dass wir überhaupt mal existieren könnten. Aber Wissen wird bei uns immer weitergegeben. Denn Wissen ist Macht. Die Phantomhives haben ihre Position nicht nur durch Sebastian, sondern weil sie schlicht und einfach wissen wie diese Welt eigentlich wirklich funktioniert.“ Ich seufzte: „Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich niemanden hier wirklich kenne...“ „Mich kennst du“, lächelte Amy: „Trotz allem.“ Ich schaute sie von unten an: „Wirklich?“ Die Phantomhive drückte mich fester an sich: „Natürlich! Ich habe mich nie verstellt. Du bist meine allerbeste Freundin, Sky. Nein. Du bist meine Schwester! Für mich bist du eine Schwester und ich wäre tot traurig ohne dich.“ Eine weitere, nun etwas steifere Brise, rauschte kurz über uns beide hinweg. Ich überlegte ein paar Minuten, doch konnte keinen ordentlichen Satz als Antwort darauf formulieren. Natürlich. Auch für mich war Amy wie eine Schwester. Der wichtigste Mensch in meinem Leben. Und nicht einmal ein Dämon würde sie mir wegnehmen. Zumindest würde ich das nicht einfach so zulassen. „Lass uns zusammen total anders sein“, lachte Amy schließlich leise: „Wir rocken das.“ „…Wirklich?“ Amy nickte: „Klar!“ Ich schloss kurz meine müden Augen: „Du bist die Beste, Amy… Ich passe auf dich auf. Für immer. Versprochen.“ „Hmmm, ich habe wirklich keine große Lust von den Trancys entführt zu werden. Aber solange du in der Nähe bist, bin ich ja sicher.“ Wir beide schauten einander an. Dann lachten wir uns gegenseitig ins Gesicht und mit dem Lachen mit meiner besten Freundin schwand ein Stück der schweren Unsicherheit. „Und nun erzähl!“, Amy piekste mir in die Wange: „Was an Undertaker beschäftigt dich?“ Ich schlug die Augen nieder, als ich mir abermals ein paar Minuten zum Überlegen nehmen musste. Mich beschäftigte in seiner Sache vieles: Seine Einstellung zu seinem alten Leben, das totale Abstreiten jedes Lobes, sein Verhältnis zu den Menschen, den Shinigamis und die Tatsache, dass er selber von sich sagte, er sei ein mordendes Monster. „Also… ähm… eigentlich… Am meisten stört mich, dass er sich selbst als ein mordendes Monster sieht… Ich meine er ist doch gar kein… Monster. Dafür ist er viel zu lieb.“ „Er ist lieb“, nickte Amy: „Und er ist ein Mörder.“ „...Ehrlich?“, fragte ich unsicher. Amy nickte wieder: „Selbst Fred und Lee haben schon Blut auf ihrer weißen Weste und die sind viel kürzer dabei, als Undertaker. Die Aristokraten agieren im Londoner Untergrund, Sky. Das ist gefährlich und viele… Zielpersonen sind echt nicht nett. Hin und wieder sind es nicht einmal Menschen. Ich glaube teilweise… machen sie die Welt so zu einem besseren Ort. Es ist nicht so, dass es jeden Tag vorkommt. Es ist eher die Ausnahme. Meistens landen die Typen fein säuberlich mit einer roten Schleife verschnürt vor dem Türen des Scotland Yards, daneben ein Päckchen voller Beweise und ein Grußkärtchen mit Sebastians Handschrift. Undertaker selber schustert ihnen meistens nur Informationen zu. Für die Angelegenheiten mit Menschen brauchen sie von ihm auch gar nicht mehr. Er geht nur mit an die Front, wenn es sich um Übernatürliches handelt und selbst dann nur, wenn die Wesen wirklich stark sind… oder bei Geistern. Kommt noch seltener vor. Also mach nicht so ein Gesicht!“ Ich seufzte: „Das ist eine sehr schmutzige Ansicht von Gerechtigkeit, oder?“ „Diese Welt funktioniert aber so. Auch Gangster haben Netzwerke. Sie wegzusperren stoppt sie nicht. Gefängnis ändert sie auch nicht. Sie lernen nur es besser zu verstecken.“ „Wo du recht hast“, seufzte ich nochmal. Ich hatte auf einmal ein ganz eigenartiges Gefühl. Ich rollte die Schultern um es zu vertreiben. „Denkst du jetzt anders über uns?“, fragte Amy leise. Doch ich schüttelte den Kopf, als ich den Gedanken an das komische Gefühl zur Seite schob: „Ihr… macht das ja für das Gemeinwohl und rennt nicht lachend und tötend durch die Gegend, oder?“ „Natürlich nicht!“ „Also“, ich schaute auf den Bach: „Es ist eher tragisch, dass wir in einer Welt leben, wo die Guten sowas machen müssen.“ Wieder rollte ich die Schultern. Das Gefühl kribbelte in meinem Nacken und gab nicht nach. Ich rieb ihn mir. Amys Blick folgte meinen: „Ja. Wenn du sie als die Guten sehen willst hast du wohl recht, aber “, sie seufzte: „Sie heißen nicht ohne Grund Aristokraten des Bösen und nicht Justice League“, dann stand die Phantomhive auf und warf mir ihren Zipfel meines Ponchos über die Schulter. Sie musste auch nicht mehr sagen. Ich hatte schon verstanden. Die Aristokraten des Bösen machten sich die Hände schmutzig, wenn sie mussten und zwar ohne vorher mit der Wimper zu zucken. Ich streckte meine Wirbelsäule aufgrund des komischen Gefühls in meinem Nacken und rieb ihn mir ein weiteres Mal. Es war nicht das komische Zippen, was mich schon in der Welt der Shinigami befallen hatte. Es war eher wie im Flur, kurz bevor Claude aufgetaucht war. Amber streckte mir eine Hand hin und lies mich aus meinen Gedanken über mein komisches Gefühl aufblinzeln: „Komm. Das Abendessen ist fertig.“ Ich blinzelte sie über meine Schulter an: „Woher weißt du das?“ Die Hand, die Amy mir entgegenstreckte, zeigte auf einmal mit ihrem Zeigefinger nach links. Meine Augen folgten dem Finger. Ein paar Meter entfernt stand Sebastian und winkte freundlich lächelnd. Natürlich. Sebastian war ja auch ein Dämon. Schlechtes Gefühl = Dämon. Eine Gleichung, die in nächster Zeit sehr wichtig werden könnte. Jetzt wo wir ihn gesehen hatten, kam der Butler ohne Eile näher. „Sebastian kommt selbst?“, fragte ich und schaute Amy an. Sie zuckte mit den Schultern: „Wenn er sicher gehen will, dass Dinge auch wirklich passieren, kommt er immer selbst. Doch ich frage mich was er sicherstellen muss.“ „Ich mich auch“, kratzte ich mich an der Schläfe. Sebastian verbeugte sich, als er bei uns angekommen war: „Myladys? Das Abendessen steht bereit. Die Herrschaften erwarten sie.“ Ich schaute ihn immer noch verwundert an. Der Butler richtete sich auf, schloss beim Lächeln seine rostroten Augen und zeigte mit einer Hand in Richtung Manor: „Der Earl und die Countess möchten sicher gehen, dass ihr etwas zu euch nehmt, Lady Rosewell.“ „Oh...“, machte ich und stand auf. Ich fühlte mich immer noch ein wenig schwächlich, doch Hunger hatte ich nach den Ereignissen des Tages nun wirklich nicht: „Sebastian… ich...“ „Der Meister und seine Gattin scheinen nicht diskutieren zu wollen“, hob Sebastian immer noch mit geschlossenen Augen lächelnd einen Zeigefinger: „Sie machen sich Sorgen um Ihre Gesundheit.“ Ich schaute Amy an. Sie verschränkte die Arme: „Ich sehe das genauso. Der Tag war anstrengend. Du musst essen, Sky.“ „Aber...“, doch Amy harkte sich bei mir ein und unterbrach mich: „Lass uns gehen, Sebastian!“ „Wie ihr wünscht, junge Lady“, legte der Butler eine Hand aufs Herz und ging uns dann voraus. Kaum waren wir fast an der Villa angekommen, erreichte uns ein ungeahnter Lärm. „Nicht so fest, verdammt!“ Ich erkannte die Stimme. Sie gehörte zu Ronald. Kurz darauf heulte ein Motor auf. Durch das Heulen des Motors mischte sich ein Lachen, welches ich auch sofort erkannte. Ich erkannte es noch schneller, als die Stimme des jungen Reapers: „Stell dich nicht so an! Ahahahahaha! Du wolltest trainieren. Dann gebe dir auch Mühe!“ Es erklang das Krachen von Metall auf Metall. „Was ist denn da los?“, fragte ich ratlos, als wir an der letzten Baumgruppe vorbei gelaufen waren und ich die Szenerie ganz erblicken konnte. Ronald und Undertaker hieben mit ihren Death Scythes auf sich ein. Naja, zumindest versuchte Ronald es, wurde von dem Bestatter aber immer mehr als leichthändig abgewehrt und musste dann dem Blatt der langen, silbernen Sense ausweichen. Einigen Schnitten in seinem Anzug nach, schaffte er es wohl nicht immer. „Die Herrschaften trainieren“, antwortete der Butler trocken: „Sie belagern dafür den Garten des Öfteren.“ „Und Alex sagt nichts dagegen?“, fragte ich ein weiteres Mal, als wir der Szenerie näher kamen. Hinter den beiden Trainierenden lag Grell auf einer Gartenliege aus Korb. Er schien unbeeindruckt von der Szenerie, schlürfte an einem fast leeren Cocktail, hatte die Augen geschlossen und Brille in die Haare geschoben. Der Kontrast zwischen dem die Seele baumeln lassenden Grell, dem angestrengten Ronald und dem lachenden Bestatter war schon irgendwie lustig. Es wirkte auch wieder so harmonisch, obwohl Undertaker Ronald mächtig zusetzte. Wie die Drei es schafften dabei so friedvoll auszusehen, war mir ein Rätsel. „Nein“, antwortete der Butler: „Die Shinigami haben nicht oft die Möglichkeit sich zu treffen. Ihre Arbeitszeiten sind recht streng.“ Ich nickte, während das Klirren der ungewöhnlichen Waffen, begleitet von Ronalds Ächzen und Undertakers Lachen, durch den Garten surrte. „Au! Au, au, au!“, jammerte Ronald und wedelte mit einer Hand, auf die er gerade den Kopf von Undertakers Skelettezierde bekommen hatte: „Man, verdammt!“ Der junge Reaper griff seinen Rasenmäher und hob ihn über die Schulter, als er nach vorne stürmte: „Ich krieg dich noch!“ Undertaker drehte sich einfach aus der Bahn, als Ronald seinen Rasenmäher herunter fahren ließ: „Ehehehe! So nicht“, haute er Ronald mit dem Totenschädel auf den Hinterkopf. Ronald wandte sich um und schlug ein weiteres Mal mit dem drehenden Blatt seines Rasenmähers zu. Es drehte sich auf der silbernen Sense. Funken flogen durch die Luft. Doch Undertaker ließ die Sense mit einem Lachen nach oben schnaken, was Ronalds Rasenmäher wegstieß und den Reaper ihm hinterher nach hinten ins Gras kippen ließ. „Wieso?“, machte Ronald auf dem Boden: „Was mache ich falsch?“ Er setzte sich auf und beschaute das mittlerweile stehengebliebene Blatt seiner Waffe: „Ist was mit meiner Death Scythe nicht in Ordnung?“ Undertakers Sense verschwand: „Ehehehehe. Steck sie weg.“ „Was?!“, rief Ronald aus und schaute Undertaker an: „Ich stecke doch nicht meine Death Scythe weg! Ich will noch nicht sterben, verdammt!“ Undertaker schüttelte lachend den Kopf, als er seine Arme verschränkte: „Ehehehe. Herrje, herrje. Mit deiner Death Scythe ist alles in Ordnung. Du bist das Problem.“ Ronald Schultern sanken ein Stück und er ließ den Kopf hängen: „Ja… Eigentlich weiß ich das...“ Undertaker seufzte. Er ging auf den Blonden zu und legte ihm verständnisvoll die Hand auf den Kopf: „Schau nicht so schwer. Das ist ja furchtbar! Ehehehehe, du bist jung, Ronald. Da kann noch viel passieren.“ „Da muss viel passieren...“, seufzte der Reaper mit hängendem Kopf: „Ich hänge William und Grell immer wie ein Klotz am Bein...“ „Das hast du gesagt“, säuselte Grell auf seiner Liege an seinem Strohhalm vorbei. „Tehehehe! Ich glaube auch nicht, dass es so schlimm ist. Ehehehe. Du hast Talent, Ronald. Es fehlt dir lediglich noch ein bisschen an Übung.“ „Ich weiß… ich müsste viel geübter sein...“, wirkte Ron immer noch unfassbar niedergeschlagen. „Woher willst du die denn haben?“, sprach Grell wieder ohne seine Augen zu öffnen und unterbrach seinen Satz kurz, als er den letzten Rest seines Cocktails geräuschvoll durch den Strohhalm zog: „Wie gesagt, du bist noch jung.“ „Aber...“ „Nichts aber“, unterbrach ihn Undertaker und wuschelte final durch den kurzen braun- blonden Schopf: „Höre auf dich zu beschweren und steh auf. Death Scythe weg! Ehehehe! Du bist gut mit ihr, aber du musst deinen Körper besser unter Kontrolle bekommen und deine Reflexe müssen besser werden.“ Der Rasenmäher verschwand und Ronald erhob sich: „Das wird jetzt richtig wehtun, oder?“ Undertaker lachte mit seinem breiten Grinsen im Gesicht: „Tihihihi! Wahrscheinlich.“ Dann zog er sein Bein hoch. Ronald konnte gerade so beide Arme vor seine Nase heben um nicht frontal im Gesicht getroffen zu werden. Er rutschte mindestens zwei Meter über das Gras nach hinten. Mir klappte der Mund auf. So leger wie Undertaker sein Bein hochgezogen hatte, hatte es fast fahrig gewirkt. Nie im Leben hätte ich diesen Tritt so viel Schwung zugesagt. Ronald schüttelte mit verzogenem Gesicht seine anscheinend schmerzenden Arme aus, hatte aber keine Zeit ihnen weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn der Bestatter war einfach von seinem Platz verschwunden und direkt vor seine Nase wieder aufgetaucht. Ronald tauchte unter dem Schlag hinweg, beugte sich nach vorne und wollte Undertaker wohl in die Magengrube schlagen. Doch in dem Moment war der Totengräber auch schon wieder verschwunden, hinter Ronald aufgetaucht und hatte ihm in den Rücken getreten. Die Beiden waren unglaublich schnell. Ich konnte die Bewegungen fast nicht sehen. Ein weiteres Mal landete Ronald im Gras: „Autsch… Jetzt weiß ich warum man als Mann Absätze trägt… Tut das weh...“ Sebastian klatschte in die Hände: „Meine Herren?“ Undertaker wandte den Kopf um und Ronald stützte sich auf die Hände. Grell sprang auf einmal auf Sebastian zu und sein Glas segelte durch die Luft: „Bassy!~♥“ Sebastian schritt zur Seite, fing das Glas und auch Grell landete im Rasen: „Das Abendessen ist angerichtet.“ Undertaker zog Ronald auf die Füße. Dieser rieb sich die Unterarme: „Machen wir nach dem Essen weiter?“ Undertaker lachte: „Ehehehe! Wenn du mich bezahlen kannst?“ Ich war verwundert: ‚Bezahlen?‘ Undertaker wirkte nicht wie jemand, dem Geld wirklich wichtig wäre. „Komm schon!“, machte der Blonde: „Lass mich anschreiben!“ „Anschreiben?“, Undertaker lachte schrill auf: „Pahahahahaha! So läuft diese Welt nicht. Das weißt du.“ „Komm schon. Du bist doch nun wirklich nicht von dieser Welt!“ „Wahrscheinlich hast du damit recht“, Undertaker lachte ein weiteres Mal: „Tehehehe. Weil du es bist.“ „Juhu!“, rief der junge Reaper aus, auch wenn mir wirklich nicht erschloss, was daran so erquicklich war von Undertaker verdroschen zu werden: „Aber jetzt hab‘ ich Hunger!“ Grell hatte sich aufgerappelt: „Ihr seid hier auch schon eine Weile zugange.“ „Oh ja!“, Ronald ging Richtung Eingang: „Irgendwann Undertaker! Ich sage es dir!“ Dann war der Blonde auch schon verschwunden. Undertaker kam zu uns herüber. „Macht er sich gut?“, fragte Grell und Undertaker nickte: „Hehehe. Er lernt recht schnell.“ „Du gibst dir wirklich viel Mühe mit ihm“, verschränkte der rote Reaper die Arme. „Tehe. Wie gesagt, er hat Talent“, grinste Undertaker: „Und er ist lernbegierig und vor allem -willig. Eehehehehe.“ „Trotzdem kriegt er für seine Mühe von dir nur auf die Nase“, Grell hob kopfschüttelnd die Hände: „Ich wäre frustriert.“ „Vergeudete Anstrengung ist eines der Privilegien der Jugend“, hob der Bestatter einen Zeigefinger: „Wer lernen will, muss einstecken können. Nehehehehe!“ „Den Spruch hast du auch mir schon mal gedrückt“, Grell verschränkte wieder die Arme: „Man, war ich sauer auf dich.“ „Es ist wie es ist“, lachte Undertaker. „Ich hätte nie erwartet, dass du Ronald als Schüler nimmst. Dein Letzter ist schon ein paar Jahre her.“ „Und er ist tot“, lachte der Bestatter: „Mein Schüler zu sein ist kein Garant für irgendetwas. Außerdem, ehehehehe, würde ich nicht so weit gehen und ihn als meinen Schüler bezeichnen.“ Ich wusste wirklich nicht was ihm an dieser Aussage zum Lachen brachte. Noch weniger wusste ich, dass Undertaker Schüler hatte. Mir wurde ein weiteres Mal klar, dass ich über ihn eigentlich gar nichts wusste. „Was soll er denn sonst sein?“, fragte Grell verständnislos. „Ich löse Schulden ein. Tehehe. Das ist alles. Dass sich Ronald immer dasselbe von mir wünscht, ist seine Angelegenheit.“ Grell seufzte: „Du gibst dir zu viel Mühe mit ihm und bist viel zu verständnisvoll, als das du nur Schulden bezahlst. Außerdem lässt du ihn anschreiben! Ich muss immer bezahlen! Im Voraus! Genau wie alle anderen auch! Er ist dein Schüler und du legst Wert darauf, dass er den Vorangegangenen nicht folgt. Er ist so eifrig in seinem Bestreben mit uns mit zu halten und so ungeduldig mit sich selbst. Der einzige Grund warum er noch nie resigniert hat ist, dass du nicht zulässt, dass er es tut. Du bist viel zu faul um dir bei irgendjemanden bei dem du ‚nur Schulden bezahlst‘ die Mühe zu machen, dass seine Gefühlswelt nicht vor die Hunde geht.“ Ich legte den Kopf schief. Ronald wirkte immer so selbstsicher. Ich hätte nicht gedacht, dass er Bestätigung in seiner Person brauchen würde. Andererseits war Ronald wohl für einen Sensenmann noch relativ jung. Er wurde auch nie als höherer Reaper bezeichnet, im Vergleich zu Grell und William. Schon gar nicht war er eine Legende wie Undertaker. Diese Tatsachen und das er gerade mit den Dreien so viel zu tun hatte, war für ihn, so klang es, wohl recht belastend. Undertaker grinste weiter: „Nenne es wie du möchtest.“ „Schlägt er sich wenigstens besser als die anderen?“, fragte nun Amy und lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf das Gespräch. Der Bestatter lachte: „Schwer zu sagen. Ehehehe. Viele waren nicht schlecht.“ „Sie waren sicher akzeptabel stark“, lächelte Sebastian. Dieses Lächeln war eiskalt und wissend. Es wirkte auch nicht nur ansatzweise so, als läge darin irgendeine Art von Anerkennung. Ich fragte mich woher der Dämon über die Stärke von Undertakers Schülern Bescheid wissen wollte. Undertakers Grinsen verrutschte auf Grund dieser kalten Aussage nicht einen Millimeter: „Du machst dir gar keine Vorstellung, Dämon. Nehehehehehe! Jeder von ihnen hätte dir unsagbare Probleme bereitet.“ Doch auch das Lächeln des Butlers blieb konstant: „Wenn du es sagst.“ Grell seufzte erneut: „Oh bitte. Keine tragischen Geschichten.“ Ich verstand diese Konversation nicht. Ich entnahm nur Grell, dass sie nicht so belustigend war, wie man bei einem Blick auf Undertakers breites Grinsen vermuten könnte. Eben dieses Grinsen wandte sich nun zu mir: „Tehe. Du siehst immer noch nicht besser aus, meine schöne Puppe.“ Ich nickte langsam: „Es… es geht...“ Undertaker schüttelte immer noch grinsend den Kopf: „Keine gute Nachricht. Doch glaube mir, hehe, morgen sieht die Welt auch wieder ein Stück anders aus. Wenn du erst einmal ordentlich gegessen und geschlafen hast.“ „Also… eigentlich...“ „Lasst uns weiter“, unterbrach mich der Butler in dem Wissen, dass er das was folgen würde nicht hören wolle: „Das Essen wird ansonsten kalt.“ Der Butler setzte sich in Bewegung. Wir folgten. In der Eingangshalle stoppten wir zuerst an den Waschräumen, um uns die Hände zu waschen. Grell und Undertaker verschwanden in einem anderen als wir. Als ich mir die Hände einseifte schaute ich zu Amy: „Wusstest du, dass Undertaker Schüler hatte?“ Amy nickte: „Ja, aber er redet nicht darüber.“ „Sein Letzter ist wirklich gestorben?“ „Jub. Soweit ich weiß sind sie alle tot.“ „Warum weiß Sebastian darüber Bescheid? Hat er es ihm erzählt?“ Der Butler schien nicht gerade der Ansprechpartner für solche Themen zu sein. Schon gar nicht, wenn man ansonsten nicht darüber sprach. Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass man generell gut mit ihm reden konnte. Vor allem Undertaker nicht. Sebastians Lächeln war immer falsch. Undertaker müsste es, so wie ich ihn kennen gelernt hatte, verabscheuen. Doch ich wusste um ehrlich zu sein nicht mehr, wie gut ich ihn wirklich kannte. „Nein“, trocknete sich Amy die Hände ab: „Soweit ich mich an die Geschichten erinnere, waren sie ziemlich tragisch und Sebastian ist nicht der Typ, der Seelensorge betreibt. Er ist ein Dämon. Er kann das nicht und will es mit ziemlicher Sicherheit auch gar nicht.“ Ich nickte in Zustimmung: „Aber woher weiß er es dann?“ „Wissen ist Macht. Sebastian hat seine Mittel und Wege um dran zu kommen.“ „Aber...“, ich klimperte Amy an: „Welche?“ „Grell zum Beispiel“, Amy drehte sich um und lehnte sich gegen das Waschbecken: „In dem Sebastian ihm Hoffnungen macht, bringt er ihn dazu zu tun was er will.“ Meine Verwirrung legte sich nicht ansatzweise: „Hö? Erzähl.“ „Er bringt ihm dazu ihm Geschichten der Shinigamis zu verraten“, begann Amy: „Sebastian empfindet Undertaker als gefährlich, nachdem er mal einen meiner Vorfahren verraten hat.“ Meine Augen wurden groß. Undertaker und jemanden verraten? Das passte wieder einmal nicht zu dem Bild was ich von ihm hatte: „Welchen?“ „Ciel“, Amy schaute mich an: „Wenn es dich interessiert frage Sebastian oder Undertaker. Es ist eine ziemlich lange Geschichte. Sie wurde mir nie ganz erzählt.“ Ich wusste sofort, dass ich nicht Sebastian fragen wollte. Der Butler war mir unglaublich unheimlich und suspekt: „Okay. Mach‘ ich. Sie ist wohl nicht ansatzweise schön, hm?“ „Nein. Aber ich kann dir da echt nicht helfen.“ „Es scheint ziemlich viele tragische Geschichten zu geben“, nuschelte ich. Keiner von denen hier Anwesenden hatte so viel Tragik verdient, wie in der Vergangenheit, wahrscheinlich weit vor Amys und meiner Zeit, vorgefallen sein musste. Amy nickte: „Ja. Eigentlich habe ich nur sehr wenige schöne Geschichten gehört. Undertaker sagt immer, dass man Tragik viel länger in Erinnerung behält, als Freude“, sie seufzte frustriert: „Er wirkt als spricht er aus Erfahrung.“ Amy schien von der vielen Tragik genau so unangetan wie ich. „Das ist echt… tragisch“, schüttelte ich meinen Kopf, als dieses Wort wieder fiel. Amy nickte: „Er hätte mehr schöne Erinnerungen verdient. Er hat einige. Das sagt er immer wieder, doch ich weiß nicht ganz wie ich das einschätzen soll.“ „Inwiefern?“ „Nun“, Amy schüttelte den Kopf: „Undertaker ist unsterblich und stark und alt. Das heißt er ist schon seit Ewigkeiten unterwegs und sein Ende liegt in weiter, weiter Ferne.“ Das leuchtete mir ein. Der Umstand, dass Undertakers Ableben aber noch einige Zeit auf sich warten ließe, fand ich doch überhaupt nicht tragisch. Eher ganz im Gegenteil. Es konnte ganz, ganz weit weg bleiben. Ich verstand aber auch auf was Amy eigentlich hinaus wollte. „Er trifft Menschen und sieht sie gehen“, ich legte nachdenklich eine Hand ans Kinn: „Immer und immer wieder. Für sein Verhältnis zur Zeit bleibt keiner wirklich lange an seiner Seite. Ein menschliches Leben dauert für ihn nur ein Wimpernschlag. Er kommt und kommt aus diesem Teufelskreis einfach nicht heraus. Er trifft Menschen, einige mag er auch und dann beerdigt er sie. Immer und immer wieder...“ Amy nickte abermals: „Umbringen kann er sich ja auch nicht, dass hat er ja schon mal getan und sich damit den ganzen Schlamassel überhaupt erst eingebrockt. Und bis jetzt war keiner stark genug ihn zu töten.“ Die Ansprache, dass Undertaker sich schon einmal selbst umgebracht hatte, versetzte mir wieder einen Stich. Auch Amys darauf folgende Ausführungen trafen mich wie viele feine Nadeln: „Hat er… mal gesagt es sei schlimm für ihn?“ Amy schüttelte den Kopf: „Nein. Nicht direkt. Er sagt immer man gewöhne sich an alles. Aber ich glaube schon, dass es schlimm für ihn ist.“ „Vielleicht...“, ich seufzte: „Sieht er das selber gar nicht ein, oder denkt er darf es nicht. Vielleicht hat er sich auch seiner eigenen Trauer gegenüber mittlerweile komplett verschlossen und sperrt sie aus. Versteckt sie ganz weit hinten, hinter seinem ewigen Grinsen.“ Amy nickte stumm mit verschränkten Armen. Meine Augen fielen auf das weiße Waschbecken. Mein Herz fühlte sich ganz schwer an. Der Bestatter… er tat mir so unfassbar leid. Ich wusste nur leider, dass Mitleid nicht half. Es machte oft alles nur viel schlimmer, weil man sich seiner Ohnmacht in Anbetracht der Dinge gewahr wurde: „Ich frage mich, ob man ihm irgendwie helfen kann...“ „Wir müssen alle sterben. Das Einzige was wir tun können ist ihm gute Freunde zu sein, solange wir da sind.“ „Aber… das macht es doch gleichzeitig auch viel schlimmer, oder? Wenn er einen wirklich mag… und man dann weg ist...“ „Aber was sollen wir denn tun?“, fragte Amy zu Recht. Ich schüttelte den Kopf: „Ich weiß es nicht...“ „Ich auch nicht“, Amy schwang sich von dem Waschbecken und ging zur Türe: „Komm, Sebastian wartet.“ Jetzt wo Amy es ansprach bemerkte ich, dass das Gefühl immer noch nicht verschwunden war. Es war unterschwelliger, doch es fühlte sich an als kroch irgendeine Art von Unheil von außen durch die Türe zu uns herein. Ich spürte Sebastians Anwesenheit, doch ich fragte mich woher Amy wusste, dass der Butler immer noch vor der Türe stand oder auch am Bach auf uns gewartet hatte. Vor der Türe stoppte ich sie: „Woher weißt du, dass Sebastian wartet? Oder am Bach stand?“ Amy drehte sich zu mir um: „Hm? Ach so. Am Bach habe ich auf dich geachtet. Du hast die Schultern gerollt und dir den Nacken gerieben, genau wie gestern im Flur. Gerade ist es einfach Erfahrung. Sebastian ist trotz allem ein alter, englischer Gentleman, also wartet er auf uns, weil wir Mädchen sind. Das gehört sich so für einen Butler.“ Ich nickte kurz. Für Amy konnte es in nächster Zeit wichtig werden, meine Körpersprache deuten zu können. Ich war irgendwie beruhigt, dass sie es augenscheinlich schon konnte. Wir kamen aus dem Waschraum und tatsächlich stand der Butler immer noch davor und wartete geduldig auf uns. Sebastian führte uns durch die halbe Villa. Dieses komische Gefühl in seiner Nähe. Mittlerweile wusste ich was es war, auch wenn ich es immer noch nicht ganz fassen konnte. Vielleicht konnte ich dieses Gefühl irgendwann ausblenden. Heute war dieser Tag auf jeden Fall noch nicht. Nachdem er unsere Jacken an sich genommen hatte, stieß Sebastian eine weiße, große Flügeltüre auf. Dahinter lag ein mit Holz vertäfelter Raum, der fast gänzlich von einer langen Tafel gefüllt wurde, die auf einem großen, eckigen, azurblauen Teppich stand. Dasselbe Blau, mit dem auch die 20 Stühle gepolstert waren, von denen im Moment nur 10 besetzt waren. Der Boden war ein Naturholzpaket und unsere Schritte klapperten darauf. Hier und da standen kleine Skulpturen oder Tische mit bunt gefüllten und extravagant gestalteten, großen Blumenvasen. Abgesehen von der schönen Einrichtung war das Bild was sich uns bot nur mit eigentümlich zu beschreiben. Eigentümlich und trotzdem harmonisch, heimisch und irgendwie entspannt. Als erstes fielen definitiv Grell und Undertaker auf. Die Beiden saßen am Ende einer Reihe, Undertaker an einem von den Plätzen ohne Besteck, was mich wunderte. Grell ging voll darin auf die langen, silbernen Haare des Bestatters zu einem buschigen Zopf zu flechten und redete dabei wie ein Wasserfall. Undertaker beschränkte sich auf ein konstantes Nicken und Giggeln, während er die Beine überschlagen relativ schief auf seinem Stuhl hing und sich bei jedem Nicken von Grell anhören durfte er solle gefälligst seinen Kopf still halten. Lee und Fred unterhielten sich über den Tisch hinweg. Lee hatte die Beine überschlagen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt, während er mit einer ziemlich heiteren Stimme vor sich hin sprach. Fred seufzte viel und wirkte wie immer ein wenig grummelig mit seinen aufgestützten Ellbogen und den vor der Nase verschränkten Händen. Amys Eltern führten eine 4 Mann Konversation mit Charlie und Frank und wirkten damit noch am normalsten an dem Tisch, würde Frank nicht immer schauen, als würde gleich die Welt untergehen. Wer gar nicht normal wirkte waren William und Ronald. William hatte seine Nase in einem Buch mit vielen bunten Klebezetteln in den Seiten und redete über irgendwas, wahrscheinlich mit Ronald. Doch Ronald hing schlaff auf seinem Stuhl, von der Konversation sichtlich nicht angetan, den Kopf hinten über gekippt und die Augen unter der schwarzen Brille geschlossen. Das kleine Zucken, welches hin und wieder durch seinen Körper fuhr, zeugte zu gleichen Teilen davon, dass Ronald noch lebte und noch nicht ganz schlief. Das Training mit Undertaker war wohl anstrengender, als er durchblicken lassen wollte. Ich schaute mich um und stellte fest, dass Sebastian schon wieder verschwunden war. Doch Zeit zu fragen wo er hin sei hatte ich nicht, denn Amy zog mich zu den freien Plätzen zwischen Heather und Lee. Kaum waren wir am Tisch angekommen erntete ich unzählige mitleidige Blicke. Ich hasste mitleidige Blicke. Sie machten auch nichts besser. Sie sagten nur ‚Hey! Wir wissen, dass alles scheiße ist, doch etwas dagegen tun können wir trotzdem nicht‘. Das war immer ganz großes Kino. Ich setzte mich zwischen Amy, welche sich neben ihre Mutter gesetzt hatte, und Lee. Zwischen dem Asiaten und mir war allerdings noch ein eingedeckter Platz frei. „So!“, hörte ich Grells Stimme: „Fertig! Noooah! Es steht dir!~♥ Du solltest viel öfter was mit deinen Haaren machen!“ Ich hörte das Knirschen eines Stuhls auf dem Boden, bevor ich meinen Kopf endgültig zu den Beiden gedreht hatte. Undertaker war aufgestanden und hatte seinen Stuhl wieder unter den Tisch geschoben, als er Grell angrinste: „Nihihihi! Denkst du das, ja?“ „Jaaaaa!“ „Thihi! Ich denke darüber nach.“ Nach diesem Satz ging er gemütlich um den Tisch herum. Lee schob seine Beine endgültig unter den Tisch, sodass sich der Bestatter anständig zwischen dem Drogenbaron und mir hinsetzen konnte. Der von Grell in Perfektion geflochtene Zopf hing lässig über seiner Schulter, als mich sein freigelegtes Auge anlächelte: „Hast du dich noch ein wenig mehr beruhigen können?“ Es klang, als fragte der Bestatter sehr bewusst nicht nach, ob es mir besser ginge. Ich atmete durch: „Ja… Ein bisschen zumindest.“ Das Lächeln wurde ein wenig weiter und ging nun mehr in Richtung eines Grinsens: „Das ist gut. Ehehehe. Wirklich. Der erste Schritt in die richtige Richtung. Der Zweite wäre...“ Aus einem plötzlichen unbestimmten Gefühl fuhr ich herum. Der Bestatter verstummte im Satz und hinter mir stand Sebastian. Er lächelte mit einem Teller mit Tellerglocke in beiden Händen und einem Servierwagen neben sich: „Etwas zu speisen.“ Undertaker giggelte nur, als Sebastian seinen Satz beendet hatte, den ich durch das Wegdrehen meines Gesichtes relativ unelegant und fast schon schroff beendet hatte. Ich war erleichtert, dass zumindest Sebastian mich nicht so hemmungslos erschrecken konnte, wie die Grim Reaper es taten. Mit Wonne, wie ich das Gefühl hatte. Ein weiterer Vorteil an dieser außerordentlich bescheidenen Fluchgeschichte. Sebastian fing natürlich bei seinem Meister mit dem Servieren an und ging dann reihum. Die Komposition von Lebensmitteln auf den Tellern sah herrlich aus und mir war noch nie etwas begegnet was so gut roch. „Ich darf servieren“, sprach der Butler in einen für ihn schon sehr beschwingten Tonfall, als wolle er mit jedem Wort das Gericht unterstreichen: „Jakobsmuscheltatar in Sherry. Serviert mit geräucherter Blumenkohl, Blumenkohlcreme und gegrillte Shiitakepilze. Dazu gereicht ein Litmus White Pinot Jahrgang 2013 aus den nördlichen Länderein von Surrey. Ich wünsche besten Appetit.“ Als Sebastien die Tellerglocke vor mir hochhob wusste mein Magen nicht so recht was er tun sollte. Es roch so gut, doch mein Magen hüpfte einmal auf den Kopf. Ich schaute wie ein geprügelter Hund zu den Anderen. Auf Undertakers Teller lag tatsächlich nur ein Häufchen knochenförmiger Kekse, doch der Bestatter rieb sich freudig lachend die Hände, als habe er die goldene Gans auf dem Teller. William legte das Buch weg und es verschwand, als Sebastian den Teller vor ihn auf den Tisch stellte. Der Dämon lächelte den Grim Reaper an, doch dieser drehte sich weg und schob seine Brille die Nase hoch. Ronalds Teller rutschte dem Butler ‚ganz ausversehen‘ aus der Hand und krachte geräuschvoll auf den Tisch. Der blonder Reaper fuhr aus seinem Dämmerzustand, wedelte mit den Armen, als sich sein Stuhl wie ein wütendes Pferd auf die Hinterbeine stellte und schaffte es mit einem gestressten Gesichtsausdruck irgendwie sein Stuhl wieder auf alle vier Füße zu stellen, bevor ihm die Balance verließ. Geschockt von dem Krachen japste der junge Sensenmann vor sich her. „Pardon“, lächelte Sebastian mit geschlossenen Augen und Ronald schaute ihn mit dem Wissen an, dass dem Dämon gerade gar nichts Leid tat und es grausame Berechnung gewesen war, sparte sich aber jeglichen Kommentar. Neben mir hörte ich ein schrilles, amüsiertes Lachen, was mich nicht verwunderte. Die restlichen Teller verteilte Sebastian relativ unspektakulär, musste sich allerdings einmal Grells erwehren, als dieser äußerte er hätte doch gerne den Butler selbst als Dessert. „Guten Appetit“, lächelte Alexander von seinem Platz vor Kopf in die Runde und alle begangen zu essen, nachdem sie einen Essensgruß zurück geworfen hatten. Geschirr klirrte, leise Gespräche schwirrten über den Tisch und ich saß dort, starrte auf meine Jakobsmuscheln und wusste nicht was ich mit ihnen tun sollte, oder wollte. „Nihihihi“, machte es neben mir und mein Kopf wanderte ein Stück herum. Mit einem Zeigefinger schob der Bestatter sich den Rest eines Kekses in den Mund, kaute genüsslich darauf herum und schaute mich mit seinem strahlend, grünen Auge an. „Wartest du darauf, dass sie wieder lebendig werden?“, fragte er amüsiert, nachdem er hinunter geschluckt hatte. Ich schaute wieder auf mein Tatar: „Ich… ähm.“ Ich drehte meinen Kopf wieder, bevor ich auch nur zu Ende denken konnte. Sebastians immer noch lächelndes Gesicht schaute mir entgegen, als er sich in einem ziemlich akkuraten 90 ° Winkel zu mir herunterbeugte: „Kann ich behilflich sein, Lady Rosewell?“ „Ööööhm...“, nahm ich meinen Kopf soweit es ging zurück: „Ich wüsste nicht wie.“ „Nun“, Sebastian hob eine Hand, in der er einen silbernen Löffel hielt: „Ich könnte...“ „Nein!“, unterbrach ich den Butler und unterlag einem Miniflashback zu den drei Bissen des peinlichsten Frühstücks meines Lebens: „Vergiss den Gedanken bevor du ihn zu Ende denkst, Sebastian!“ Der Butler stellte sich wieder gerade hin und verschränkte nachdenkend die Arme: „Aber wie bekomme ich sie ansonsten zum Essen, Miss Rosewell?“ „Hört doch auf damit“, jammerte ich. In meiner puren Hilflosigkeit schnappte ich mir Undertakers Arm und rüttelte daran: „Hilf mir, man!“ Undertaker fiel fast sein Keks aus der Hand und er machte ein paar Saltos bis der Bestatter ihn wieder zu fassen bekam. Der Totengräber legte lachend seinen Keks auf den Teller und grinste mich an. Nur irgendwie verursachte dieses Grinsen in mir kein gutes Gefühl: „Oh, natürlich helfe ich dir. Ehehehehehe! Zu jeder Zeit, meine Schöne. Ihihihihi!“ Ich konnte nicht reagieren, da hatte Undertaker auch schon meine Arme fest im Griff. „Hey!“, rief ich aus. Ich kam aus dem Griff des unmenschlichen Totengräbers nicht heraus, obwohl er nicht fest genug drückte um mir zu schmerzen. „Sebastian? Du kannst. Ehehehehehe!“ Der Butler nickte lächelnd und versenkte den Löffel in meinem Essen. „Oh! Bitte nicht nochmal! Das ist vollkommen entwürdigend!“, echauffierte ich mich und versuchte aus Undertakers Griff heraus zu kommen: „Undertaker, du treulose Tomate!“ „Iss einfach selbst und deine Schmach hat ein Ende. Ehehehehehehe!“ Sebastian lächelte mich an und streckte mir den Löffel ins Gesicht: „Hier kommt der Zug.“ „Ich ergebe mich!“, jammerte ich: „Ihr habt gewonnen! Ich gebe auf! Ich gebe auf!“ Undertaker ließ mich laut lachend los und Sebastian legte mir den Löffel mit Tatar in die Hand: „Bon Appetit.“ Ich schaute auf den Löffel, dann zu Sebastian und dann zu Undertaker. Undertaker hob die Hände und wackelte grinsend mit dem Finger, als würde er mir androhen wollen mich ein weiteres Mal fest zuhalten. Ich schaute wieder auf den Löffel… und steckte ihn mir in den Mund. Als ich mich wieder zu meinem Teller drehte schaute ich in einige belustigte Gesichter. Doch ich ertrug sie einfach und aß schweigend meine geschredderten Muscheln. Sie schmeckten wirklich ausgezeichnet und nachdem ich den Punkt der alles verzehrenden Übelkeit, in endloser Angst vor weiteren Attentaten Undertakers und Sebastians, überwunden hatte, merkte ich wie viel Hunger ich hatte. Allerdings fühlte sich mein ganzer Körper furchtbar steif an, denn ich war so nervös mit so vielen besser Gestellten an einem Tisch zu sitzen, die ich nicht richtig kannte, dass meine Bewegungen ungefähr so geschmeidig waren, wie die eines eingerosteten Roboters. Ein Roboter mit Akkuschaden. Denn ich könnte essen und schlafen zur selben Zeit. „Tihihihi! Entspann dich“, lach-nuschelte Undertaker neben mir an seinem Keks vorbei. „Du“, sagte ich ohne ihn anzusehen: „Hast Sendepause, klar?“ Um sicher zu gehen, dass er auch wirklich verstand, dass ich mit ihm nicht reden wollte, steckte ich mir provokativ einen Löffel Tatar in den Mund. „Hm“, lachte der Bestatter und stellte seinen Stuhl auf die Hinterbeine, als er seinen Keks beschaute, die Beine überschlug und die freie Hand locker auf seinem Schoß ablegte: „Ehehe. Da du endlich isst, ertrage ich deinen Misskredit liebend gern.“ „Weißt du“, ich legte meinen Löffel weg und schaute ihn an: „Wenn du dich nicht wenigstens ein bisschen aufregst, macht das einfach keinen Spaß.“ Undertaker lachte wieder schrill auf und steckte sich seinen Keks in den Mund. Er kaute und lachte gleichzeitig, ohne an den Kekskrümmeln in seinem Mund zu ersticken. „Ich habe eine Menge Spaß. Fuhuhuhuhuhuhu!“, lachte Undertaker weiter, klemmte sein oben auf liegendes Bein unter eine Kante des Esstisches und wackelte mit dem Stuhl leicht vor und zurück. Ich hatte meinen Teller irgendwann als Letzte besiegt und mein Magen wusste nicht, ob er überglücklich oder überstrapaziert war. Sebastian räumte die Teller ab, außer Undertakers auf dem immer noch Kekse lagen. Kaum hatte Sebastian unsere Teller mit sich genommen stand er auch schon wieder hinter Alex mit einer weiteren Tellerglocke: „Zum Hauptgang...“ Ich stockte: ‚Hauptgang?! Oh... Oh nö...‘ 2 Dinge waren mir klar: Undertaker würde dafür sorgen, dass ich diesen Teller essen werde und ich werde am Ende deswegen brechen. Oder einfach platzen. Meinem momentanen Glück nach eher Zweiteres. Spontane Selbstverpuffung durch Gourmetessen. Ich bin für die besseren Kreise einfach nicht geschaffen. Es gab gepuderte Entenbrust mit geschmortem und gegrilltem Rotkohl, dazu gewürzte Birnen und eingelegte Kirschen. Als Beilage Karotten mit Kümmel und gemischter Blattsalat mit einem leichten Dressing. Sebastian goss jedem noch ein Glas schwarzen Riesling ein und Charlie freute sich darüber einen guten deutschen Wein zu trinken zu bekommen. Er erging sich 30 Minuten in eine ausführliche Beschreibung über diesen Wein und das er ja mal ein paar Tage auf einem Weingut gewesen war. Was Charlie erzählte war schon interessant. Wie Winzern funktionierte, wie ein Weinberg aussähe und und und. Doch viel beeindruckender als seine Erzählung an sich war die begeisterte Art, mit der Charlie erzählte. Er sprach und sprach, doch man fühlte sich nicht an die Wand geredet. Es sei denn man hieß Frank. Aber dann schien man schon ansatzweise genervt zu sein, wenn Menschen um einen herum atmen. Doch seine Kommentare waren weniger schnippisch, als mehr trocken informativ. So verlief das Gespräch während des Hauptgerichts und irgendwie zwang ich diesen Teller noch in meinen Magen. Langsam wurde mir wieder übel. Denn Wein gab ich an Amy ab. Das wäre für meinen Magen wirklich zu viel gewesen. Ich wusste ja jetzt schon nicht mehr wie ich laufen sollte. Doch die Welt war grausam und Sebastian machte den Dämonen alle Ehre, als er es schaffte, dass sich ein Dessert wie Folter anfühlte. Es gab Sambocade, ein Ziegenmilchkäsekuchen mit Holunderblüten, Apfel, pochierte Birnen & geräuchert wie kandierten Walnüssen. Ein Gedicht, wäre die Speicherkapazität meines Magens nicht eigentlich schon überschritten. „Ich kann nicht mehr“, fiel mein Kopf nach unten: „Wirklich...“ Doch Amy nahm meine Gabel, erstach ein Stückchen Kuchen und hielt es vor mein hängendes Gesicht: „Hier kommt der Zug!“ Mein Kopf flog hoch: „Amy!“ Wären wir in der Schule gewesen, ich hätte meinen Teller genommen und meinen Kuchen in ihrem Gesicht versenkt. Doch ich beschränkte mich darauf ihr die Gabel aus der Hand zu reißen: „Nicht du auch noch.“ Amy lachte. Undertaker neben mir auch. Es lachten eigentlich einfach alle. Außer William und Frank natürlich. Also aß ich mal wieder in schweigender Schmach. „Hm“, machte es irgendwann und Alexander deutete mit seiner Kuchengabel auf Undertaker, der immer noch seine Kekse aß: „Undertaker, ich habe nachgedacht.“ „Oh weia. Ehehehehe“, grinste der Bestatter und wackelte immer noch mit seinem Stuhl vor und zurück: „Das ist meistens der Beginn fantastischer Geschichten! Oder des perfektem Chaos. Je nachdem auch beidem. Tehehehehe!“ „Naja“, lachte Alex: „Spektakulär wird es dieses Mal nicht werden, aber ich habe eine Bitte an dich.“ „Oh! Wenn ihr mich bezahlen könnt, Earl. Ehehehehehe!“, giggelte Undertaker und musterte Alexander mit einer belustigten Neugierde. Ein weiteres Mal war ich darüber verwundert, dass der Bestatter Bezahlung verlangte. Andererseits war wohl eine der wenigen Dinge, worum sich ein Phantomhive keine Gedanken machen musste, Geld. Alexander seufzte seicht: „Werde ich, Undertaker. Keine Sorge. Die Idee mit den Telefonnummern und mit Skyler ist ganz gut, doch es beruhigt mich nicht so ganz. Ich würde dich bitten alle zwei Tage bei den Mädchen nach dem Rechten zu sehen. Ich kann Sebastian nicht immer entbehren und du wohnst in der Nähe. Sei so gütig.“ „Was?!“, kam es von Amy und mir wie aus einem Munde. „Dad!“, machte Amy: „Das ist wirklich nicht...“ „Wie ihr wünscht, Earl“, sagte Undertaker mit ruhiger Stimme und grinste weiter vor sich her. Unsere Köpfe flogen herum: „Bitte was?!“ „Meine Damen, meine Damen“, machte der Bestatter lachend und wackelte mit dem Kopf: „Ich werde nicht Stunden meines Lebens bei euch verbringen. Ehehehe! Ich bin nicht eure Anstandsdame und dazu habe ich nun wirklich auch keine Lust. Ich stecke kurz meine Nase durch Fenster, erkundige mich und verschwinde wieder.“ „Aber“, versuchte Amy ein letztes Mal unsere Privatsphäre zu retten. Doch ihr Vater zeigte sich erbarmungslos und beendete die Diskussion, bevor sie richtig starten konnte: „Nichts aber. In dieser Sache überlasse ich nichts dem Zufall.“ Amy seufzte und schaute mich an: „Hach verdammt“, dann lachte sie in die Runde: „Dann muss ich ja mein Zimmer aufräumen.“ Wir saßen noch eine Weile zusammen. Die Anderen tranken noch ein paar Gläser Wein und redeten über Gott und die Welt. Irgendwann war Alexander auf seinen Geburtstag zu sprechen gekommen, der wohl in ein wenig mehr als einem Monat vor der Türe stand: „Und ich weiß nicht, was ich dieses Jahr machen soll.“ „Oh!“, rief Grell aus: „Einen Kostümball!“ „Wir hatten doch erst einen“, nuschelte William unbegeistert in sein Weinglas. „Man kann nie genug davon haben!“, erwiderte der Rothaarige aufgeregt. Alexander lachte: „Hättest du denn auch ein Vorschlag für ein Thema, Grell?“ „Oh ja!~♥“ „Dann sprich“, lachte der Earl weiter. Grell schaute durch die Runde: „Alice im Wunderland!“ „Oh nein...“, stöhnte William. „Oh ja!~♥“ „Was denn?“, blieb Ronald William auch nicht treu: „Alice im Wunderland war immer cool!“ William trank nur weiter seinen Wein und schien sich alles zu verkneifen was er hätte sagen können. Genauso überdeutlich stand dafür das Missfallen in seinem Gesicht. Ich hatte den Kopf schief gelegt: „War?“ Ronalds Lächeln schien mir begeistert entgegen: „Wir hatten das Thema schon ein paar Mal! Grell wünscht es sich ständig. Eigentlich mindestens ein oder zweimal in jeder Generation. Es ist eigentlich Tradition.“ „Oh ja! Und diese Generation hatten wir es noch nicht! Und irgendwann!“, Grell war aufgesprungen, hatte ein Bein auf den Stuhl gestellt und eine Faust in die Luft gestreckt: „Wird Sebastian mich lieben! Und wenn ich aussehe wie eins seiner geliebten Kätzchen, kann er mir ganz sicher nicht widerstehen!~♥“ An Sebastians Schläfe hing ein großer Schweißtropfen: „Oh doch. Kann ich. Ganz sicher.“ „Aber… aber Bassy!“ „Nichts aber“, Sebastian schüttelte den Kopf: „Nicht in diesem Leben und in keinem das folgen wird...“ Grell ließ die Arme hängen. „Fuß vom Polster“, betonte der Butler noch trockener und Grell folgt der Anweisung und setzte sich wieder. „Was sagen die anderen?“, Alexander lächelte durch die Runde: „Außer Frank und William.“ Was die Beiden davon hielten, war auch nur allzu offensichtlich: Nichts. Amy hatte zu kichern begonnen: „Ich bin dabei!“ Lee und Fred hatten ebenfalls genickt, Lee wirklich begeistert, Fred eher gezwungen. Undertaker klatschte neben mir in die Hände: „Ein fantastisches Stück Literatur! Ehehehehehe! Immer wieder gerne!“ Heather lachte fein und herzlich: „Gut. Also? Wer verkleidet sich als was?“ Lee hob die Hand als Erster: „Absolem!“ Fred schnaubte lachend in sein Weinglas: „War ja klar. Der Drogenbaron nimmt die Kifferraupe.“ Lee hob nur lachend die Hände: „Man soll sich selbst treu bleiben. Was nimmst du denn, hm?“ Fred schaute zu seinem Vater: „Kann ich den Herzbuben nehmen?“ Alexander nickte gefällig: „Warum nicht. Dann übernehme ich den Herzkönig“, dann nahm Alex Heathers Hand in seine eigene: „Möchtest du meine Herzkönigin sein, meine Teuerste?“ Heather kicherte etwas schüchtern in ihre andere Hand. Die Beiden waren so süß: „Liebend gerne, Liebling.“ Ich seufzte: ‚Awwwwww! Das muss Liebe sein!‘ Aus irgendeinem Grund wanderte mein Blick kurz zu Undertaker, der die Szenerie ruhig, mit einem breiten Grinsen und verschränkten Beinen beschaute. Sein Weinglas baumelte locker in der Hand, deren Arm er auf seinen, über den Bauch verschränkten, anderen Arm stützte. Sein Blick wanderte plötzlich zu mir und sein Kopf legte sich mit einer Frage im Grinsen schief. Ich drehte meinen Kopf abrupt weg, wurde rot und ließ die stumme Frage des Bestatters unbeantwortet, da ich die Antwort selbst nicht wusste: ‚Warum schaust du dahin?‘ Die zweite Stimme in meinem Kopf zog ihre Augenbraue hoch. ‚Kusch!‘ Sie ging seufzend in den hintersten Teil meiner Gedanken zurück. „Oh! Oh!“, ließ Amys aufgeregte Stimme meinem Kopf zu ihr hoch zucken: „Ich will die weiße Königin!“ Dann wandte sich die junge Phantomhive zu mir: „Und du! Du machst Alice!“ „Ich?“, fragte ich verwirrt. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht wen ich übernehmen wollen würde, da ich mir sicher war ich war gar nicht eingeladen: „Warum ich? Ich bin doch gar nicht eingeladen.“ „Natürlich bist du das“, lachte Alexander: „Du bist ein immer gern gesehener Gast bei uns, Skyler. Ich wäre geehrt, wenn du meine Einladung annehmen würdest.“ Ich senkte meinen Blick, als ich nicht wusste was ich sagen sollte. „Komm!“, machte Amy: „Sei unsere Alice.“ Ich schaute Amy an und merkte diese unangenehme Wärme in meinem Gesicht: „Ich habe aber keine langen, blonden Haare...“ „Niemand hier hat lange, blonde Ha… oh...“, Amber brach in ihrem Ausruf ab, als sei ihr siedend heiß etwas aufgefallen. „PFFFFFFF!“, prustete es neben mir zweistimmig, wie laut im Chor und Undertaker brach mit Lee in ein tobendes Gelächter aus. Selbst Fred lachte in seine Hand. Alexander und Heather hatten die Köpfe schmunzelt zueinander gedreht und selbst Frank hatte begonnen den Kopf zu schütteln mit so etwas ähnlichem wie einem Lächeln im Gesicht. Sebastian lächelte mit geschlossenen Augen und Ronald stimmte mit Grell in Lees und Undertakers Lachen ein, nur nicht ganz so laut. William hatte die Hand über seinen Augen gelegt und seine Mundwinkel waren ein, wenn auch nur ganz kleines, Stück nach oben gezuckt. Ich war von diesem spontanen Ausbruch allgemeiner Belustigung ja nur verwirrt, da ich ihn nicht verstand. „Tja, Charlie“, lachte Lee: „Du bist wohl dran!“ „Pahahahahahaha!“, lachte Undertaker wie von Sinnen und legte den Kopf auf den Tisch: „Charlie in einem blauem Kleidchen! Awuwuwuwuwuwuwuwuwu! Ich kann nicht mehr! Fuhuhuhuhuhuhu! Vergiss die Schürze nicht! Tehehehehehehehe!“ Mein Blick drehte sich zu Charlie, der selber lachte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Charlie war der Einzige, der lange, blonde Haare hatte. Als mich die Erkenntnis als Letzte erreichte musste auch ich kichern. „Oh nein, nein, nein!“, rief er lachend aus: „Ich ziehe kein Kleid an! Vergesst es Leute!“ „Ach komm schon!“, lachte Lee und stützte sich auf den Tisch: „Das steht dir sicherlich ausgesprochen gut!“ Die Weingläser, die auf dem Tisch standen begangen zu hüpfen, als Undertaker in seinem Lachanfall anfing auf den Tisch zu klopfen: „Tahahahahahahaha! Schon allein die Vorstellung ist ein Bild für die Götter!“ Charlie lachte weiter, versuchte sich trotzdem diesen Scherz auf seine Kosten zu erwehren: „Wenn du es so unsagbar lustig findest, wenn Männer ein Kleid tragen Undertaker, dann zieh es doch selber an!“ Undertaker warf sich zurück ein seinem Stuhl: „Nihihihihihihihihi! Ich im Kleid! Das gab es schon!“ Mein Kopf flog zu Undertaker: „Woas?!“ Doch der Bestatter war viel zu sehr mit Lachen beschäftigt um mir zu antworten. Grell wischte sich lachend ein paar Tränen aus ein Augen: „Ja, ja. Dich im rosa Prinzessinnenkostüm! Ich werde es nie vergessen!“ Ich schaute mit großen Augen zu Grell: „Rosa… Prinzessinnen… kostüm?“ Ronald nickte lachend: „Ja, man! Vor etlichen Jahren haben einige von uns Hamlet nachgespielt! Undertaker war die Königin! In einem knarsch rosa Kleid! Ich hab es leider verpasst! Das ärgert mich heute immer noch!“ Ich schaute zu dem Bestatter, den ich mir definitiv nicht in einem rosernen Kleid vorstellen konnte: „Was?“ Der Gedanke an das alte Theaterstück muss für Undertaker so unglaublich belustigend sein, dass er einfach seitlich vom Stuhl fiel. Er lag mit wedelnden Beinen auf dem Boden, schlang beide Arme um den Bauch und lachte weiter. „Armer Irrer“, nuschelte Frank, was sich sicherlich auf Undertakers aktuellen Lachanfall, wie auch auf die Tatsache bezog, dass er in der Öffentlichkeit ein rosernes Kleid getragen hatte. „Oh man!“, lachte Amy neben mir: „Das hätte ich zu gerne gesehen!“ „Hier, Mylady“, Sebastian stand zwischen mir und Amy und hatte ein aufgeschlagenes Fotoalbum in der Hand. Wo auch immer er das jetzt her hatte. Auf den Seiten prangte ein Gruppenfoto. Es war zwar Schwarz/Weiß, doch ließ es mir den Kiefer aus den Angeln rutschen. Ich erkannte zwar nur Undertaker, Grell, William und Sebastian, doch schwankte ich irgendwo zwischen tief geschockt und hoch amüsiert. Nicht, dass mich Grell in einem Kleid verwundert hätte, nein, doch tatsächlich erkannte ich das vernarbte Gesicht unter einem langem Pony, in einem wallenden Kleid mit einem Schleier und einer Krone in den Haaren. Undertaker war auch eng an einen anderen Mann geschmiegt, was mich irgendwie tief verstörte und mir irgendwie so gar nicht passte. „Oh mein Gott!“, trotz allem hob ich meine Hand vor dem Mund, jetzt, wo ich doch lachen musste, als ich mir das Kleid in rosa vorstellte: „Ach du meine Güte!“ Das Grinsen des Bestatter auf dem Foto war hinter dem langen Ärmel seines Kleides versteckt, doch deutlich zu erahnen, so dermaßen souverän und amüsiert, dass man ihm ansah, dass er sich in seinem Aufzug nicht ansatzweise unwohl fühlte. Amy war neben mir in schallendes Lachen ausgebrochen: „Ich fass‘ es nicht! Ich bin definitiv zu spät geboren worden!“ Undertakers Kopf erschien wieder über der Tischplatte: „Wuhuhuhuhuhuhuhu! Ja, ja! Das war definitiv ein guter Tag! Tehehehe! Wie Grell aus dem Boot gesegelt ist, als William ein Seil durchgeschnitten hat!“ Grell schaute mit aufgeplusterten Wangen zu William: „Du hast meinen Auftritt sabotiert!“ William wirkte wieder vollkommen neutral: „Du hättest arbeiten sollen.“ „Du bist so gemein!“, ärgerte sich Grell weiter, was William gekonnt ignorierte. Ich schaute noch einmal auf das Foto. Man sah ihm an, dass es ein guter Tag war. Nur William, der Grell am Ohr gepackt hatte und wirkte als gehörte er gar nicht zum Assembel, und ein Junge neben Sebastian sahen nicht begeistert aus, wie die anderen. „Wer sind die anderen?“, fragte ich nachdenklich. Undertaker hatte sich wieder gesetzt und nahm Sebastian giggelnd das Fotoalbum aus der Hand: „Fu fu fu! Das ist so lange her! Doch ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen!“ Ein kleiner Schatten tanzten durch sein Auge, obwohl sein Grinsen so freudig und ehrlich war. Dieser Schatten piekste in meiner Brust. Doch Undertaker schien ihn selber zu ignorieren, was mich an das Gespräch mit Amy im Waschraum zurück denken ließ: ‚Vielleicht hat er sich auch seiner eigenen Trauer gegenüber mittlerweile komplett verschlossen und sperrt sie aus. Versteckt sie ganz weit hinten, hinter seinem ewigen Grinsen.‘ Mein Herz wurde wieder so unsagbar schwer, doch der lange Finger des Bestatters zeigte auf eine Frau im Algenköstum ganz rechts auf dem Foto. Ich beugte mich übers das Fotoalbum, genau wie Amy und Lee. Auch alle andern Menschen reckten ihre Hälse um sehen zu können auf wen der Totengräber deutete: „Tehehehe! Das ist Ran Mao. Lees Urururgroßmutter.“ „Meine Urururgroßmutter war eine Alge?“, lachte Lee: „Na wunderbar.“ „Erklärt einiges“, trietzte Fred seinen besten Freund. „Ruhe auf den billigen Plätzen“, nickte Lee lachend und gespielt provokant mit dem Kopf zu Amys älterem Bruder. Undertakers Finger wanderte eine Person nach links. Ein großer Mann mit Baskenmütze: „Das war Baldroy. Der damalige Chief der Phantomhives. Er war nur leider kein guter Koch. Tehehehehehe!“ Sebastian schüttelte den Kopf: „Erinnere mich nicht…“ Undertaker giggelte darauf hin: „Ja, der kleine Feuerteufel“, sein Grinsen drehte sich zu mir und Amy: „Hat immer mit einen Flammenwerfer gekocht und die Küche in Brand gesetzt. Tehehehehe!“ Ich zog die Augenbrauen zusammen und lachte verwirrt: „Was? Echt jetzt?“ „Oh, ja… In der Tat“, seufzte Sebastian. Undertakers Finger wanderte weiter auf eine Frau mit großer runder Brille, zwei kurzen Zöpfen und einem knielangen Kleid: „Mey-Rin. Das alte Hausmädchen. Nehehehehe! Hat immer das Geschirr zerlegt!“ „Und alles andere was ihr in den Weg kam“, seufzte der Butler erneut. Wieder rutschte der Finger weiter auf einen fröhlich lachenden Teenager im billigen Anzug: „Tihihi Finnian. Der Gärtner, der seine Kraft nicht unter Kontrolle hatte.“ „Ebenfalls das wandelnde Chaos“, stöhnte der Dämon hinter mir. Die Person neben dem Gärtner war sehr klein, alt und trug eine Robe und ein Monokel: „Tanaka, der alte Hausverwalter. Ich kannte ihn ewig. Fu fu fu.“ „Der Einzige, mit dem man ansatzweise arbeiten konnte“, schüttelte Sebastian den Kopf. Der Finger des Totengräbers wanderte wieder weiter. Ein blondes, sehr junges Mädchen mit zwei gelockten Zöpfen in einem Ritterkostüm: „Lizzy. Amys Ururgroßmutter. Puhuhuhuhu! Wollte unbedingt die Königin spielen und war noch mindestens drei Wochen nach der Aufführung sauer auf mich! Daneben ihr Verlobter Ciel, der damalige Earl, Amys Ururgroßvater. Tehehe. In der Hauptrolle, versteht sich.“ „Warte!“, ich schaute zu dem Bestatter: „Der Earl war ein Kind?!“ Dieser nickte immer noch mit dem breiten Grinsen und dem verdrängten Schatten in den Augen: „In der Tat. Tehehehehe! Das waren verrückte Zeiten!“ Mit einem weiteren Blick auf dem Foto glaubte ich ihm sofort. Sein Finger übersprang Sebastian: „Den kennt ihr ja alle, tehehe“, dann blieb auf zwei die Arme weit hochstreckenden und breit lächelnden Gestalten stehen. Einer mit einem mittellangen Halbzopf und einer mit kurzen Haaren: „Soma und Agni. Hehe. Zwei vollkommen bescheuerte Inder.“ Dann landete sein Finger auf dem Mann, an den sich der Bestatter auf dem Bild vollkommen ungeniert ran schmiegte. Er trug eine große Krone auf dem kurzem Haar und ein prächtiges Gewand: „Und Lau. Fuhuhuhuhu! Lees Urururgroßvater.“ „Was!?“, Lee schaute von dem Foto auf Undertaker: „Warum… kuschelt ihr auf dem Bild, verdammt?!“ Fred drückte sich seine Hand fester auf dem Mund, doch sein Lachen war klar hörbar. „Hör auf zu lachen, man! Das ist extrem verstörend!“, keifte Lee nun gar nicht mehr belustigt. Das war wohl selbst für ihn zu viel, was Fred sichtlich Freude bereitete. Doch auch Undertaker fing an zu lachen: „Na! Hehehehehe! Er hat den König gespielt!“ Sebastian rollte die Augen nach oben: „Mit viel zu viel Elan.“ Lees Auge zuckte: „Wie…. meint ihr das?“ Der Bestatter verfing sich wieder in einem kleinen Lachanfall: „Tehehehehehehe! Wenn es nach Lau gegangen wäre, hätte auch ich deine Urururgroßmutter werden können. Fuhuhuhuhuhu!“ Stille. Abgesehen von Undertaker, der seinem Lachanfall noch nicht Herr geworden war, waren alle totenstill. Lee hatte den Kopf soweit es ihm möglich war nach hinten gezogen. Er starrte den Totengräber leichenblass entgegen, den Mund zu einer verstörten, wie halb angewiderten Grimasse verzogen und die Augen so weit aufgerissen, dass sie ihm fast aus den Höhlen fielen. Alle Blicke an dem Tisch starrten den immer noch lachenden Totengräber in geschockter und verständnisloser Perplexität an. Frank hatte synchron mit William seine Augen kopfschüttelnd hinter einer Hand versteckt. Selbst Fred konnte anscheinend über das, was gerade vor sich ging einfach nicht mehr lachen, obwohl es immer noch auf Kosten seines besten Freundes war. Meine eigenen Gedanken krachten in eine Wand und blieben unter ihren Trümmern verschüttet und in den letzten Atemzügen zuckend liegen. „Was?“, fragte Lee irgendwann leise und vollkommen verstört. Der Butler schüttelte nur den Kopf: „Oh bitte, fragt nicht. Es war… mehr als nur obszön.“ „Awuwuwuwuwu! Also ich möchte anmerken, dass ich mich seiner Avancen erwehrt habe! Ehehehehe! Denn...“, lachte Undertaker, doch Lee schnellte nach vorne und hielt ihm den Mund zu: „NEIN! Behalte alles Weitere für dich! Ich will es NICHT mehr wissen!“ Der Bestatter lachte unter Lees Fingern immer lauter. Nun unterlag die Gruppe doch wieder einem allgemeinen Lachanfall. Außer Lee natürlich. Auch Frank und William schauten aus ihrer Hand nicht auf. Aber Lees Reaktion und das schwere Trauma, was er augenscheinlich davon getragen hatte, war auch wirklich einfach nur zum Lachen und das nicht nur für den vergnügungssüchtigen Totengräber. Lee hatte mittlerweile von ihm abgelassen, wirkte aber immer noch von dem Schock nicht ganz erholt. Alexander schüttelte den Kopf, doch wirkte auch er wie die meisten anderen nun mächtig amüsiert dabei: „Genug in Erinnerungen geschwelgt. Zurück zum Thema. Da Charlie ja nicht Manns genug ist ein Kleid zu tragen, springe doch für ihn ein Skyler.“ Undertaker klappte das Album zu und strich liebevoll mit der langen Hand darüber. Ich schaute zu dem Earl und dann zu Charlie. Dieser lächelte mir entgegen: „Es stände dir viel besser als mir. Wirklich.“ Ich schüttelte mit einem leichten Lachen den Kopf: „Aber ich habe kein blaues Kleid.“ „Lasst dies meine Sorge sein, Lady Rosewell“, verneigte sich der Butler. „Also… Ich weiß nicht“, senkte ich den Kopf. „Ok“, lächelte Heather und ich schaute sie an: „Versuchen wir etwas anderes. Welches sind denn deine Lieblingsfiguren?“ „Öhm...“, ich überlegte kurz: „Also… die Grinsekatze ist echt cool… und der Hutmacher wirklich lustig. Wenn ich mich entscheiden müsste, der Hutmacher.“ Amy fing neben mir wieder an zu lachen. Ich wusste nur nicht warum. Sie schielte grinsend und giggelnd an mir vorbei. „Was ist so lustig?“, fragte ich sie fast gereizt. Amy schaute mich kichernd an: „Sind beide schon vergeben.“ „Woher weiß du das?“ „Erzählungen“, kicherte sie weiter. „Die Grinsekatze kriegst du nicht“, kreischte Grell: „Das ist mein Freifahrtschein in Bassys Herz!“ „Nein“, stöhnte der Butler erneut: „Ist es nicht...“ „Aber Bassy!“ „Und…“, ich traute mich ja fast nicht zu fragen: „...Wer ist der Hutmacher?“ Amy deutete lachend an mir vorbei. Mein Kopf wandte sich um und Undertaker winkte mir mit einem riesigen Grinsen entgegen. Ich blinzelte und ließ die Schultern hängen: „Warum überrascht mich das so gar nicht?“ Undertaker gigglte: „Das könnte daran liegen, dass du mich kennst. Fu fu fu fu!“ Ich stockte kurz: ‚Tue ich das?‘ Ich war mir dessen wirklich nicht mehr sicher. Obwohl die Stimmung so ausgelassen war, griff eine klamme Hand mein Herz. Undertaker legte den Kopf schief: „Du wärst eine wundervolle Alice.“ „Denkst du?“ „Tehe. Aber ja!“ „Okay“, seufzte ich: „Gut, ich mach‘s...“ „Meine Heldin!“, lachte Charlie. „Dich im Kleid hätte ich ja schon gerne gesehen“, kicherte Lee nun wieder. Undertaker schlug das Fotoalbum wieder auf und hielt dem Asiaten giggelnd das Foto vors Gesicht. Dieser klappte hektisch das Büchlein wieder zu: „Wä! Tu‘ das weg, verdammt!“ Der Bestatter kicherte zufrieden. Amy schaute fröhlich zu Ronald und William: „Wer seid ihr?“ Ronald legte William grinsend den Arm um die Schulter: „Haselmaus und Märzhase. Ich bin die Haselmaus.“ „Tu deine Hand da weg“, grummelte William düster. Der junge Reaper zog seinen Arm zu sich: „Ist ja gut... Sorry.“ „Und du?“, drehte sich Amy zu dem Butler. Dieser legte eine Hand auf sein Herz: „Das weiße Kaninchen, Mylady.“ Ronald drehte sich zu Charlie und Frank: „Aber wer bleibt denn dann für die Beiden übrig?“ Frank seufzte: „Gar nichts. Wie überaus tragisch.“ „Oh!“, klatschte Charlie in die Hände und stupste Frank mit dem Ellbogen an: „Komm, wir machen die Kartensoldaten!“ „Fantastische Idee“, lachte Alexander. „Ich hasse dich“, stöhnte Frank. „Du Pik“, grinste Charlie in dem Wissen weiter wie wenig Frank sein Einfall gefiel: „Und ich Herz.“ „Ich glaube ich kann dieses Jahr leider nicht kommen“, drehte Frank mit verschränkten Armen den Kopf zu Alexander. „Du kannst mich doch nicht hängen lassen“, lächelte dieser voll Schadenfreude. „Oh doch, kann ich“, konterte Frank kühl. „Oh nein, das bringst du nicht fertig.“ „Ist das eine Kampfansage, Alex?“ „Ich kann dich auch von Sebastian abholen lassen.“ Frank schüttelte weiter mit dem Kopf: „Ihr seid furchtbar. Alle miteinander.“ Die Gruppe lachte wieder. Ausgelassen unterhielt sie sich noch eine Weile weiter und tranken Wein. Irgendwann drohten meine Augen zu zu fallen. War es doch wirklich noch ein sehr amüsanter, in Teilen auch wirklich verstörender, Abend geworden, war der Tag an sich einfach furchtbar anstrengend gewesen. Doch wenigstens hatten mich die Anderen für ein paar Stunden erfolgreich abgelenkt. Ich stellte fest, dass es mit dieser Gruppe unmöglich langweilig werden konnte. Ich fühlte mich wirklich ein Stück wie Alice im Wunderland. Doch nun entschuldigte ich mich und die Anderen hatten es auch zum Anlass genommen zu gehen. Auf ihr Zimmer oder in einer kleineren Gruppe noch in einen der Salons. Ronald und Undertaker verschwanden tatsächlich noch einmal im Garten. Morgen würden Amy und ich noch hier bleiben. Alexander wollte uns so spät nicht wegschicken und morgen nicht so früh aus den Federn scheuchen. Um 22 Uhr lag ich schließlich vollkommen ermattet in meinem Gästebett. Allerdings war ich nach 3 Stunden, wie mir der Wecker auf meinem Nachtisch verriet, immer noch wach und konnte einfach nicht einschlafen. Es lag nicht an dem Fluchen und Lachen, was leise von Undertaker und Ronald durch mein Fenster sickerte, die darunter trainierten. Nun, wo ich alleine war, verfolgten mich wieder zu sehr die Ereignisse dieses Tages. Nach zwei Stunden war der Lärm der beiden Shinigamis verebbt. Wahrscheinlich waren auch sie mittlerweile ins Bett gefallen. Eine weitere schlaflose Stunde später, warf ich meine Beine aus dem Bett und meinen Poncho über das dünne Nachthemd, welches mir Amy geliehen hatte. Ich begab mich zu der Balkontür, schob die Gardinen zur Seite und schaute ein paar Minuten auf den vollen Mond. Sein silbernes Licht erleuchtete die Nacht. Die Bäume und Büsche im Garten warfen blasse Schatten auf den Rasen, der im fahlen Mondlicht fast so aussah als läge dort schon Schnee. So silbern leuchtete er. Mir fiel sofort etwas ein, was auch immer so silbern leuchtete. Das fahle Mondlicht hatte genau dieselbe Farbe wie die langen Haare des Bestatters. Die, die immer so herrlich nach gemähtem Gras rochen. Gemähtem Gras, Zedernholz und Zucker. Ich öffnete die Tür. Nicht einen Schritt hatte ich mit meinen nackten Füßen auf den Balkon getan, da stoppte mich eine Stimme: „Du solltest wenigstens Socken tragen, aber ich habe ja Sendepause. Hehehehe.“ Mein Kopf zuckte nach rechts, wo ich den Bestatter mit seinen Ellbogen auf der Brüstung seines Balkons lehnen sah, der nur einen schmalen Spalt von meinem entfernt war. Seine Haut wirkte im hellen Mondlicht noch blasser als sonst und in den drahtigen Händen hatte er seine Anhänger und eine Zange. Er bog an dem Verschluss herum, den ich so grausam zu Grunde gerichtet hatte. Sein Auge funkelte mit dem vollen Mond um die Wette und gewann. Obwohl seine Aussage relativ schnippisch war, wirkte Undertaker nicht beleidigt oder ähnliches. Eher amüsiert, wie immer. „Ich“, machte ich und ging endgültig durch die Balkontür: „Wollte dich nicht… Naja… Dir nicht zu nahe treten.“ Mit einem Lächeln wanderte sein Auge kurz von den Anhängern weg: „Ehehe. Mir zu nahe zu treten ist sehr schwierig, kleine Skyler.“ „Sicher?“, fragte ich unsicher und stellte mich auf die Ecke meines Balkons, so dass ich eigentlich neben den Bestatter stand. Dieser hatte sich wieder seinen Anhängern zugewandt: „Ja doch.“ Ich wartete auf das gewohnte Lachen, doch es blieb aus. Der Bestatter wirkte sehr ruhig und wieder so unendlich melancholisch, als er tief in Gedanken versunken an dem Verschluss werkelte. Ich wusste nicht ob ich jetzt etwas sagen musste. Ich war nicht gut in solchen Dingen. Doch irgendwie fühlte sich die Stille zwischen uns nicht komisch an. Es war eher die Art von Stille bei der Niemand etwas sagen musste. Meine Gedanken fingen wieder an unaufhörlich diesen außergewöhnlichen 1.11 zu repetieren. Das Gespräch im Garten, das Gespräch mit Ronald, mit dem anderen Reaper, mit Amy. Ich wusste immer noch nicht ganz wie ich mit der Wahrheit über mich umgehen sollte, doch es fühlte sich nun ein bisschen weniger hoffnungslos an. Ich wusste auch nicht ganz was ich von dem ganzen Anderen halten sollte, doch ich wusste ganz genau, dass mir in der Welt der Shinigami bewusst geworden war, dass ich die Reaper eigentlich mochte. Die Reaper… und Undertaker auch. Ich würde ihn so sehr vermissen. Ich mochte ihn bei weitem mehr, als ich ihn fürchten könnte. Ich seufzte kurz und verschränkte meine Arme gegen das Frösteln. Die eh schon kalte Luft war noch kühler geworden. „Herrje, herrje“, lachte Undertaker sanft: „So ein schweres Seufzen und abermals scheinst du vollkommen schlaf- und rastlos.“ Ich nickte: „Ja, ich… überlege noch.“ „Tehe. Worüber?“ „Über… mich… und ein paar andere Dinge.“ „Hehe. Zum Beispiel?“ Ich schaute den Bestatter an: „Warum hast du mir nicht erzählt, wie man zum Reaper wird?“ „Weil es nicht wichtig ist.“ „Du hast dich selbst umgebracht...“ „Vor wahrlich Ewigkeiten!“, der Bestatter lachte wieder: „Ehehehehe! Da kräht nun wirklich kein Hahn mehr nach.“ Ich schaute ihn an und zog meine Augenbrauen zusammen: „Kikeriki.“ Undertakers Kopf zuckte zu mir: „Bitte?“ „Kikeriki.“ „Pffffffff!“, kam es aus den zusammengepressten Lippen des Bestatters, als er krampfhaft versuchte ein Lachen zu unterdrücken. Seine Wangen blähten sich auf und als er mich anschaute füllte sich das eine Auge, das ich sehen konnte, mit Tränen. Lachtränen. Denn sein Lachen war ein weiteres Mal stärker als er. Wie es eigentlich immer der Fall war. Und laut. Es war sehr laut. Ein paar Bröckchen des Außenputzes rieselten durch den Spalt zwischen seinem und meinem Balkon. Ich war mir sicher das Manor war jetzt wieder wach. Doch Undertaker lachte weiter, krümmte sich ein wenig und hielt sich dabei den Bauch. Und das sicherlich 5 Minuten lang. Irgendwann wedelte er mit seiner Hand vor seinem Gesicht herum und atmete tief durch: „Wie unendlich kreativ! Fuhuhuhuhuhuhu! Du bist ein nicht versiegender Quell endloser Freude!“ „Nimmst du mich auch ernst?… Lachen ist ok, aber… ich mein das ernst, Undertaker.“ Er wuschelte mir durch die Haare: „Fu fu fu! Du bist so herrlich. Natürlich nehme ich dich ernst! Aber warum interessierst du dich für so langweilige Geschichten?“ „Es klang nicht so, als seien sie langweilig“, konterte ich: „Die Reaper sind vollkommen begeistert davon.“ „Die Reaper“, schnaubte Undertaker und wandte sich wieder ab: „Ehehehehe! Haben schon so viel dazu gedichtet. Es war alles nur halb so glorreich und nur halb so episch. Im Endeffekt“, Undertaker bog, während er redete mit diesem melancholischen Ausdruck in dem Auge über dem üblichen Lächeln weiter an seinen Anhängern herum: „War ich auch nur ein Shinigami wie jeder andere. Ich hing in meinem Büro herum, hab Formulare ausgefüllt, oder Papierflieger daraus gebastelt, je nach Laune. Und ich habe mich gelangweilt! Unendlich gelangweilt! Meine Fälle waren nur etwas schwieriger und ich hatte das Doppelte an Aufgaben. Ehehe! Wer viel kann, muss viel tun.“ „Was für Aufgaben hattest du denn noch? Außer Seelen holen.“ „Ich war Lehrer an der Akademie, Ausbilder im Dispatch und befugt die Liste zu ändern. Viele übernatürliche Wesen haben im Laufe der Jahre versucht mich zu ihrem Werkzeug zu machen. Ihihihihi! Zwang, Versuchung, Erpressung. Sie haben alles ausprobiert“, sein Lächeln wurde ein Grinsen: „Erfolglos. Gihi!“ „Die… Liste?“ „Die Liste mit den Todesdaten. Dieses sympathische, kleine Büchlein mit den bunten Zettelchen, welches William des Öfteren in der Hand hat. Darin stehen die allgemeinen Informationen, ein nicht ansatzweise vorteilhaftes Foto und Todesart, wie -uhrzeit. Die Reaper arbeiten sie ab. Nihihihi! Eine endlose Aufgabe, versteht sich.“ „Und... du kannst sie ändern? Also… Todesart und -uhrzeit und so?“ Undertaker nickte nur und bog mit seinen geschickten Fingern weiter an dem Verschluss. „Passierte das oft?“, trieb ich das Thema weiter an, doch erntete nur ein Kopfschütteln. Mein Kopf fiel ein Stück zur Seite und mein Blick ein weiteres Mal auf die Anhänger in den langen Fingern: „Waren sie ein Geschenk?“ Wichtig waren diese Anhänger dem Inkognito- Sensenmann, so viel konnte man erkennen. Er trug sie immer bei sich, als ob sie ein Teil von ihm wären. „Ehehehe“, Undertaker hob die Anhänger in die Höhe. Er betrachtete sie mit einem komischen Gesichtsausdruck. Obwohl er grinste wurde sein Auge immer schattiger: „Ja und Nein.“ „Wie?“, fragte ich mehr als nur verwirrt. „Ich hab sie mir anfertigen lassen“, leuchtete dieses unglaubliche grüne Augen so unglaublich traurig im fahlen Mondlicht, als es mit einem schweren, aber nicht ganz unehrlichen Lächeln der goldenen Kette mit den 12 Anhängern entgegen schaute: „Doch das wofür sie stehen, das war ein Geschenk.“ Ich war wieder einmal nicht in der Lage von diesem Auge wegzublicken. Es funkelte in diesem Silberlicht und sah so herrlich aus. Herrlich und traurig. Daran änderte auch sein Grinsen nichts. In meinem Kopf kehrte der Gedanke zurück, dass das Grinsen des Bestatters wohl nicht nur ein Stilmittel war um seine bizarre Art zu unterstreichen. Nein. Es war auch eine Möglichkeit seine Empfindungen zu verstecken. Seine Augen sah man ja für gewöhnlich nicht. Nur dieses Grinsen. Ich wurde traurig, als ich mir vorstellen musste, wie oft Undertaker wohl schon bei den Anderen und den Anderen vor den Anderen gestanden hatte, umringt von Menschen und gegrinst hatte. Und sie hatten nur sein Grinsen gesehen, nicht seine Augen die dunkel und schwer gewesen waren. Gelegt in tiefe, tiefe Schatten deren Trauer ein Mensch wahrscheinlich gar nicht gänzlich verstand. Wie oft ihm vielleicht schon Taktlosigkeit wegen diesem Grinsen unterstellt wurde, obwohl in seinen Augen eine unendliche Melancholie gestanden hatte. Versteckt hinter einem dichten, silbernen Vorhang, hinter den die meisten Menschen noch nicht mal einen Blick riskieren würden, wenn sie dafür Geld bekämen. Vielleicht weil es zu anstrengend oder der Totengräber zu seltsam war. Sie waren dumm. Sie waren alle so dumm. Ich blinzelte ein paar Tränen weg, die sich bei der Vorstellung, wie einsam sich der Bestatter manchmal in der Gegenwart anderer Menschen fühlen musste, in meine Augen gestohlen hatte. Ohne wirklich darüber nachzudenken griff ich den Arm des Totengräbers und zog ihn in meine eigenen. Über die Distanz von zwei Brüstungen und dem kleinen Spalt hinweg legte ich meine Schläfe an seinen Oberarm und schaute auf den runden Mond, der groß und voll direkt über uns stand: „Und wofür stehen sie?“ Undertaker antwortete nicht sofort. Eine kalte Hand legte sich auf meine. Als er nach ein paar Wimpernschlägen antwortete, tat er dies mit einem sehr seichten Schnauben: „Freundschaft.“ „Und wer hat dir dieses Geschenk gemacht?“ „Viele“, jetzt wurde das Schnauben zu einem leisen Lachen. „Die Erste war Cloudia.“ „Cloudia?“, wieder sprang in meinem Kopf das Bild von den 3 Sarkophagen im Mausoleum an: „Sie war eine Phantomhive, richtig?“ „Exakt. Vincents Mutter. Ciels Großmutter.“ „Die Phantomhives bedeuten die Welt für dich, oder?“ Wieder ließ die Antwort ein paar Sekunden auf sich warten: „Einen großen Teil davon. Mit Cloudia fing damals alles an.“ Ein weiteres Mal konnte ich mir nicht vorstellen, dass Undertaker wirklich mal einen Phantomhive verraten hatte. Es musste etwas anderes gewesen sein: „Was hat sie denn gemacht?“ „Herrje“, seufzte Undertaker und lachte dann: „Ein paar Dinge. Sie hat mir unter anderem geholfen mein Bestattungsunternehmen zu eröffnen. Durch ihre Tätigkeit als Wachhund der Königin stolperte sie eines Tages über mich. Da war ich nicht mehr als ein morbider Landstreicher, der die Welt nicht verstand. Sie griff mir unter die Arme und das gegenseitige Hände waschen begann.“ „Sie griff dir unter die Arme? Einfach so?“ „Klingt das so unmöglich?“, klang ein Grinsen ganz deutlich in seiner Stimme mit. „Nein, aber… die Phantomhives sind sicher nicht die schlechtesten Menschen, aber sie wirken nicht so als würden sie aus reiner Nächstenliebe jedem Straßenhund ein Zuhause geben.“ Sein Arm bebte kurz, als der Bestatter einmal herzlich lachte: „Ahahaha! Da hast du wohl Recht. Nein. Eigentlich hat sie versucht mich umzubringen. Das hat nicht funktioniert und sie entschied mich lieber als Freund, als als Feind zu haben.“ Ich nahm erschrocken meinen Kopf von seinen Arm ohne ihn los zu lassen und schaute zu ihm hoch: „Wie?! Was?! Wieso?!“ Doch Undertaker kicherte nun wieder wirklich belustigt in eine Hand und schloss dabei sein Auge. Mir fiel auf, dass Zange wie auch Anhänger ihren Platz auf der Brüstung gefunden hatten und die andere Hand des Bestatters immer noch auf meinen Fingern lag: „Naja. Ehehehehehehehehehehehehehehe! Ich bin kein gütiges Wesen, Sky. Wenn du diesem Irrtum unterlegen bist, solltest du ihn schnell loswerden. Ehehehehe!“ „Ich glaube du bist eins“, meine Hand drehte sich und schnappte seine Finger, ohne dass ich aktiv daran gedacht hatte es zu tun. Seine Hand war so kalt wie der frische Novemberwind: „Nur nicht bedingungslos.“ Er lachte: „Tehehe. Sei nur vorsichtig mit solchen Annahmen. Die Dinge sind nicht immer annähernd wie sie scheinen. Oft sind Tagträume doch nur verkleidete Schreckgespenster.“ Meine Augen fielen nach unten. Irgendetwas daran klang furchtbar grausam. Doch nach einem Durchatmen schaute ich den Totengräber wieder ins Gesicht: „Aber für Cloudia warst du kein Schreckgespenst, oder?“ „Nein“, er schüttelte grinsend mit den Kopf und sein Daumen begann sanft über die Rückseite meiner Finger zu streichen, als sein Grinsen eine endlos melancholische, wie gleichzeitig freudige Nostalgie beschlich. Das Streichen war ein beruhigendes Gefühl. Seine Hände waren relativ rau, wahrscheinlich weil er so viel damit arbeitete, doch auch irgendwie ganz weich. Als hätte man raues Leder über ein weiches Kissen gespannt: „Ich habe angefangen einige Dinge für die Familie Phantomhive zu erledigen und schnell ging ich in meiner neuen Berufung auf und konzentrierte mich zum größten Teil darauf. Tehehe.“ „Nicht gesucht, aber doch gefunden“, sagte ich leise mit einem leichten Lächeln. Doch Undertaker hatte mich gehört und nickte: „Das ist eine sehr gute Bezeichnung dafür. Hihi. Auf jeden Fall. Cloudia half mir, mir ein Leben aufzubauen und ich half ihr, wenn die Dinge übernatürlich wurden. So lernte ich auch Vincent kennen. Zu dieser Zeit war er noch ein Teenager mit dem Kopf in den Wolken“, Undertaker schaute wieder auf den Mond und schüttelte leicht den Kopf, als er leise vor sich hin lachte. Auch sein Auge lachte und lachte doch wieder nicht. Mir fiel ein Wort dafür ein. Saudade. Das fortwährende Betrachten von Erinnerungen an glückliche Tage, mit der traurigen Gewissheit, dass diese nie wiederkehren. „Er hat ihn nie wirklich dort heraus bekommen“, fuhr Undertaker mit diesem Ausdruck in dem Auge fort und weckte mich aus meinen Gedankengang: „Doch ich mochte ihn sofort. Er war lustig. Ehehehe. Als Cloudia bei ihrer Pflicht umkam und Vincent der neue Wachhund wurde, beschloss er mich endgültig in die Pflicht zu nehmen. Er machte mich zu einem Aristokraten des Bösen und ich war eine Zeitlang endgültig die Zähne des Wachhundes. Ich habe jeden Tag genossen. Doch dann...“, sein Lächeln brach so plötzlich in sich zusammen, dass ich das Gefühl hatte mein Herz blieb stehen. Sein Daumen stoppte, als er seine Augen abermals schloss und ich merkte wie der Griff seiner Hand um meine fester wurde. Mit Schock geweiteten Augen schaute ich ihn an. Was in seinem Gesicht stand war nicht länger Saudade. Das war Trauer und das war Schmerz. „Brannte die Villa“, sprach Undertaker mit einem unterdrückten Zittern in der Stimme nach einem kurzen Moment weiter, öffnete wieder sein Auge und etwas blitzte in seinem Gesicht auf. Eine kleine Träne, angestrahlt vom silbernen Mondlicht: „Und alle darin mit ihr. Was ein grausamer Tod.“ Sein Smaragdauge fiel hinunter und mein Herz zog sich zusammen. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Ob ich überhaupt etwas tun oder sagen konnte. Der Tod Vincents schien für Undertaker nach wie vor unendlich schmerzvoll zu sein. Er weinte. Es war nur eine kleine Träne, die langsam seine bleiche Wange hinunter rollte, doch… er weinte. Und es wirkte so unendlich bitterlich: „Er ist bis auf die Knochen zu Asche verbrannt. Ich habe einen fast leeren Sarg beerdigt.“ Ich hatte einen Kloß in meinem Hals. Nie hätte ich gedacht den Bestatter so zu sehen. Ihn, der immer grinste. Ihn, der selbst Gott auslachen würde. Ich zog seinen Arm näher zu mir heran und kletterte, mit seinem Arm als Halt, mit meinen Knien auf die Balustrade. Überrascht von dem kleinen Ruck wandte er sich zu mir. In diesem Moment hob ich meine Hand in sein Gesicht und wischte die kleine Träne fort. Der Totengräber schaute mich mit einem großen Auge vollkommen überrascht an. „Vincent würde das nicht wollen“, sagte ich ohne die Hand von seiner kalten Wange zu nehmen: „Er würde wollen, dass du weiter lachst und fröhlich bist. Ich bin sicher das hat er immer sehr an dir geschätzt.“ Sein Mund zog sich wieder in ein sanftes Lächeln. Er schloss langsam die Lider und öffnete sie wieder, als er seine Hand auf meine Hand in seinem Gesicht legte: „Das tat er. Ich habe das Gefühl in gewisser Weise taten sie das alle.“ „Alle?“ „Vincent, Cloudia, Diedrich, Ciel, Lau, Madame Red, Claus“, sein Blick fiel auf die Anhänger: „Jeder für den ein Medaillon an dieser… Kette hängt.“ „Nicht nur sie taten das“, legte ich mit einem Lächeln den Kopf schief: „Wir tun das auch. Alexander, Heather, Amy, Fred, Lee, Charlie und Frank. Grell, Ronald und William. Und ich auch.“ Undertakers Gesicht drehte sich wieder zu mir und das sanfte Lächeln wurde weiter: „Du bist zu liebenswürdig für diese kalte Welt, schöne Skyler.“ „Das bedeutet dieses Geschenk doch, oder? Freundschaft meint doch liebenswürdig zueinander zu sein, gerade wenn die Welt furchtbar kalt zu sein scheint.“ Der Bestatter lachte seicht auf: „Ich habe noch niemanden kennen gelernt, der es schöner formulierte. Und da waren einige sehr gute Redner dabei.“ Ich schloss die Augen, als ich weiter lächeln musste: „Danke für die Blumen! Aber… ich glaube das war ein bisschen zu geschwollen.“ Undertaker lachte wieder, nahm meine Hand von seinem Gesicht und beschaute sie als er mit seinem Daumen sanft über meine Handfläche strich: „Ehehehe! Und zu bescheiden bist du auch.“ Meine Handfläche surrte unter seiner Berührung. Ich öffnete die Augen wieder und als mein Blick den des Totengräbers traf fingen wir gemeinschaftlich an zu lachen. Danach schob ich meine Beine nach vorne und setzte mich ganz auf die beiden Balustraden. „Fall nicht“, lächelte Undertaker und hielt meine Hand fester, wahrscheinlich um mich zu halten sollte ich doch abstürzen. Ich schüttelte den Kopf: „So ungeschickt bin ich auch nicht.“ „Du bist aber auch nicht gerade deines Karmas bester Freund“, grinste der Bestatter seicht, doch amüsiert. Ich schnaufte schwer und meine Augen fielen nach unten, als mich die ganzen Gedanken einholten, die ich mir den Tag über über den Bestatter gemacht hatte. Ich schaute ihn von unten an: „Du auch nicht, oder?“ Er legte den Kopf schief: „Wie meinst du das?“ Ich drehte meine Hand in seiner, schloss wieder meine Finger darum und nahm sie auch in meine andere. Ich beschaute sie ein paar Sekunden. Dann schaute ich dem Bestatter wieder ins Gesicht: „Bist du glücklich, Undertaker?“ Ich wollte sein Gesicht sehen, wenn er antwortete. Tatsächlich fielen seine Augen kurz nach unten und wurden dabei für einen kurzen Moment unsagbar dunkel. Der Schatten huschte hindurch und verschwand wieder in den Hintergrund, als er sie wieder auf mein Gesicht richtete. Ich war mir sicher, der Bestatter versteckte etwas. Nicht zwingend vor mir, sondern eher vor sich selbst. „Warum fragst du?“, fragte er, als seine Augen meine wieder erreicht hatten. „Du hattest mal Schüler“, sagte ich und ein weiterer Schatten huschten durch seine Augen. „Ja“, antwortete er: „Hatte ich.“ „Viele?“ „Einige“, nickte er. „Mochtest du sie?“ Wieder ein Nicken. „Sie sind tot, nicht wahr?“ „Ja.“ „Alle?“ „Alle.“ „Du hattest auch schon viele Freunde, oder?“ „In der Tat“, er lachte seicht, doch hatte ich noch nie ein Lachen gehört, das bei ihm so künstlich klang: „Tehe. Sie wussten es nicht immer, doch sie waren meine Freunde.“ „Die Meisten davon sind auch tot, richtig?“, fragte ich weiter ohne seinem Lachen auch nur einen Funken an Glauben zu schenken. Undertaker nickte und schaute auf den runden Mond. Er grinste, doch seine Augen verrieten mir, dass es in ihm anders aussah: „Viele. Ja.“ „Macht dich das nicht traurig? Die Gewissheit, dass jeder geht? Dass keiner bleibt?“ Der Bestatter schloss die Augen. Für einen Moment sagte er nichts. Als er die Augen öffnete, wanderten sie über seinem immer noch allgegenwärtigen Grinsen langsam wieder zu mir: „Ich frage dich erneut: Warum fragst du?“ Ich schaute ihn an: „Weil ich es gerne hätte, dass du glücklich bist.“ Er schaute mich eine kurze Weile an: „Warum?“ Ich wunderte mich wirklich, dass sein Grinsen immer noch an Ort und Stelle war: „Weil du es verdient hast.“ „Habe ich nicht.“ „Warum?“ „Dafür gibt es viele Gründe.“ „Erzähl sie mir.“ „Warum sollte ich?“ „Ich würde dich gerne kennen lernen. Das habe ich doch schon mal gesagt. Ich wäre gerne eine Freundin für dich, Undertaker. Ich würde dir gerne helfen, doch das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß wobei.“ Der Bestatter schaute mich für einen Moment ganz komisch an. Sein Grinsen hing schief. Furchtbar schief. Hinter den kristallklaren Augen tobte Krieg. Ich zog seine Hand in meinen Händen zu mir: „Du bist auch nicht alleine, Undertaker.“ Mit einem traurigen Schmunzeln schloss der Bestatter abermals seine Augen. Dann öffnete er sie wieder und sein schiefes Grinsen wirkte so herzzerreißend traurig: „Hehe. Am Ende bin ich es doch.“ Ich ließ meine Augen sinken. „Ich habe mich daran gewöhnt“, fuhr er mit einem traurigen Lachen fort: „Denn man gewöhnt sich an alles, kleine Sky.“ Ich schaute ihn wieder an. An so etwas sollte man sich nicht gewöhnen müssen! Niemand! Schon gar nicht er! Ich wurde sauer. Nicht auf ihn, sondern auf das Schicksal. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass man sich wirklich an so etwas gewöhnen konnte. Ich seufzte: „Heute war ein lustiger Abend, oder?“ Er blinzelte ein wenig irritiert. Dann lachte er kurz: „Tehe. Ja. Vortrefflich, wieso?“ „Es haben alle viel gelacht.“ Der Totengräber lachte ein wenig amüsierter: „Ehehehe! Lees Gesichtsausdruck lud auch herzlich dazu ein!“ „Wenn du in, sagen wir, 100 Jahren daran zurück denkst“, begann ich und schaute dem Bestatter fest in das freigelegte Auge: „Dann sind alle Menschen, die mit dir an diesem Tisch saßen, tot.“ Sein Grinsen brach endgültig in sich zusammen. Er musterte mich mit einem ernsten und skeptischen Gesichtsausdruck, der so streng wirkte das er gruselig war: „Fein erkannt.“ Ich atmete tief durch: „Wie fühlst du dich dann?“ Urplötzlich riss er seine Hand aus meinen Händen. Geschockt blinzelte ich ihn an. Undertaker hatte sich mit den Händen auf die Brüstung gestemmt und schaute in den vom Mond erhellten Garten. Aus seinem Mund, gerade wie ein Strich, kam nichts. Kein Giggeln, kein Kichern, kein Lachen, kein Wort. Er schaute nur in den Garten. Ich hörte ein Knacken. Die Finger des Bestatter hatten sich so fest um die Balustrade gezogen, dass sie sie an den Ecken eingedrückt hatten. Mein Herz setzte aus. Doch mir wurde klar, ich hatte recht. Er hatte sich an gar nichts gewöhnt. Er hätte nur gerne, dass es so wäre. Die nun folgende Stille war wirklich unangenehm. Doch mir fiel nichts ein um sie zu brechen. Ich wollte irgendwie, dass der Bestatter aufhörte alles in sich hinein zu fressen. Dass er es aufarbeitete und irgendwie loswurde. Doch wahrscheinlich war ich zu weit gegangen. Viel zu weit. Ich hatte kein Recht dazu gehabt. Ich hasste mich selbst. So unendlich. Mich und meine große Klappe. Natürlich war es nicht gesund, dass er das alles in sich hineinfraß, doch konnte er alles überhaupt aufarbeiten? War das überhaupt noch möglich? Ich machte mir Sorgen um ihn. Viele. Nach einigen Minuten zog sich sein gerader Mund in ein düsteres Lächeln: „Tehehe. Was möchtest du jetzt von mir hören?“ Ich schaute ihn besorgt entgegen: „Die Wahrheit.“ „Ich sage immer die Wahrheit.“ „Oder gar nichts.“ „In der Tat.“ „Sagst du mir jetzt die Wahrheit, oder gar nichts?“ Seine Augen wanderten zu mir, ohne dass er seinen Kopf drehte. Einen Moment musterte er mich. Dann schaute er wieder auf den Garten und sein düsteres Grinsen wurde eine furchtbare Grimasse. Sie sah grässlich aus. Wütend. Schmerzerfüllt. Gepeinigt. „Willst du von mir hören, dass ich traurig bin wenn ich an schöne Momente zurück denke?“, sprach er ruhig, obwohl seine Gesicht alles andere als ruhig wirkte: „Dann ist die Antwort ja. Ich erfreue mich daran und gleichzeitig sind sie schmerzlich. Willst du hören, dass ich jedes Mal einen kleinen Tod mit meinen Freunden sterbe? Auch hier ist die Antwort ja. Willst du hören, dass es kein Geschenk ist unsterblich zu sein? Nein, ist es wirklich nicht“, er seufzte gestresst und sein Gesicht entspannte sich in einen nicht mehr wütenden, aber traurigen Ausdruck. Er verschränkte die Arme auf der Balustrade: „Willst du hören, dass ich sie alle vermisse? Tue ich. Jeden Tag.“ Dann drehte er den Kopf zu mir: „Ich frage mich nur, warum du das alles wissen willst.“ Ich seufzte: „Immer wenn du von Vincent sprichst oder von anderen alten Freunden, grinst du und lachst, aber… deine Augen tun das nicht. Sie werden ganz dunkel und traurig. Dann siehst du so... verlassen aus. Das… ist kein schöner Anblick.“ Sein Gesicht drehte sich wieder zum Garten: „Es ist auch kein schönes Gefühl.“ „Du redest auch nie darüber.“ „Warum sollte ich?“, fragte er einsilbig. „Ein bisschen Schmerz von der Seele reden, tut doch immer gut, oder?“ Er schwieg. Ich schaute nach unten: „Immer wenn du so traurig schaust, frage ich mich wie ich dir helfen kann...“ „Hehe“, das Lachen überraschte mich und ich schaute wieder in sein Gesicht, auf dem dieses gottverdammte traurige Grinsen lag: „Das kannst du nicht.“ „Wer dann?“ „Niemand.“ Ich schüttelte frustriert den Kopf und schaute wieder betreten nach unten: „Das kann doch nicht wahr sein…“ Zwei Finger schoben mein Kinn sachte nach oben. Undertaker schaute mich an: „Es ist wie es ist. Niemand kann etwas daran ändern. Nicht ich, kein Mensch, kein Shinigami, kein Dämon, kein Engel. Ich habe nur zwei Möglichkeiten: Ich gehe daran zu Grunde, oder ich mache das Beste daraus. Ersteres ist sinnlos und bringt mich auch nicht weiter. Das Zweite ist nicht immer einfach, doch die beste Option die ich habe. Auf meinem Weg haben mich schon viele Wesen begleitet. Einige länger, andere kürzer und ich bin ihnen für jede Sekunde dankbar, die sie da waren. Ich nehme Freundschaften wie sie kommen, auch wenn das heißt, dass ich sie verabschieden muss. Was soll ich sonst tun? Mich einschließen? Schau nicht so traurig, meine schöne Puppe. Das musst du nicht. Du musst dir keine Gedanken um mich machen. Es geht mir gut. Trotz allem, eigentlich geht es mir gut. Auch wenn Erinnerungen bitter schmecken und Freunde kommen und gehen. Im Grunde geht es mir gut“, er lächelte immer noch schwer, aber ehrlich: „Ich mache, wie gesagt, das Beste daraus.“ Ich glaubte ihm, dass was er sagte die Wahrheit war, doch es klang auch ein Stück danach als habe sich der Bestatter selber daran erinnern müssen. Ich griff die Hand die an meinem Kinn ruhte und zog einmal kräftig daran. Wieder einmal schien der Totengräber damit nicht gerechnet zu haben und strauchelte auf mich zu. Ich griff seine Taille und drückte ihn an mich. So fest ich konnte: „Ich möchte, dass du glücklich bist...“, nuschelte ich in sein Hemd. Ich hörte ihn seufzen und dann leise lachen, als auch er seine Arme um mich schloss. Das er es tat verwunderte mich. Ich könnte verstehen, wenn er sauer auf mich war. Doch ich merkte Gewicht auf meinem Kopf, das der Kopf des Bestatters war. „Das glaube ich dir“, hauchte er in meine Haare. Ich nahm den Kopf hoch, ohne ihn los zu lassen, was auch ihn dazu brachte das Gesicht hochzunehmen und schaute ihn an. Auch er ließ mich nicht los. Sorgen machte ich mir immer noch. Also musterte ich sein Gesicht. Sein Mund war zu einem sanften Lächeln geworden: „Danke.“ Ich blinzelte überrascht: „Was? Warum?… I-Ich… wollte dir helfen, doch ich… ich habe das Gefühl ich habe es eher geschafft dich zu foltern…“ Er wackelte mit seinem lächelnden Kopf: „Ehehehe. Teilweise. Ein bisschen. Doch es tut doch immer gut sich ein bisschen Schmerz von der Seele zureden“, er zeigte beim Lächeln die Zähne: „Oder?“ Ein erleichtertes Lachen entfloh mir, als mich dieses Lächeln irgendwie total aus dem Konzept brachte: „Ich hoffe.“ Er neigte ein wenig den lächelnden Kopf: „Tut es.“ Ein kleines Lächeln der Erleichterung erschien auf meinen Gesicht: „Wenn du wieder Jemanden zum Reden brauchst, mach einfach Kikeriki.“ Der Bestatter fing an amüsiert zu lachen: „Ehehehehehe! Ich werde es mir merken!“ Ich stieg in sein Lachen ein. Es war wieder so leicht, dass es mich entspannte. Doch mitten in dem seichten, doch wieder recht fröhlichen Gelächter rollte ein steifer, sehr kalter Windstoß über uns hinweg. Der Wind kroch mir in die Kleidung. Meine Haare flogen nach vorne und ich zog meinen Kopf ein, als ich heftig zu zittern begann, durch mein dünnes Nachtkleid und meine nackten Füße. Erst jetzt merkte ich wie taub meine Füße waren. Doch Undertaker zog mich auf einmal wieder zu sich. Einen Arm um meine Schultern gefaltet und die andere auf meine Haare gelegt, drückte mich der Leichengräber an sich und schirmte mich so gut es ging von dem kalten Wind ab, der mir in den Rücken blies. Der Geruch von Gras, Zucker und Zedernholz stieg mir in die Nase und der Wind ließ wieder nach. „Du solltest wieder rein gehen und dich hin legen“, hörte ich seine sanfte, tiefe Stimme. Sanft und tief wie schwarzer Samt. Er nahm mich an den Schultern, schob mich ein Stück nach hinten und legte den Kopf schief: „Du wirst noch krank und du müsstest doch langsam wirklich müde sein, oder?“ Ich nickte. Müde war ich schon den ganzen Tag, doch das hieß nicht, dass ich schlafen konnte. Doch es war wirklich, wirklich kalt geworden und ich spürte meine Füße nicht mehr. Die Hände des Totengräbers schnappten mich und hoben mich ungefragt zurück auf meinen Balkon: „Schlaf gut, meine schöne Puppe“, sprach er mit seinem herrlichen Lächeln. Ich trat einen Schritt zurück und faltete zu Boden schauend meine Hände vor meinem Bauch: „Schlaf… Schlaf du auch gut.“ Sein beringter Zeigefinger drückte ein letztes Mal mein Kinn nach oben. „Werde ich“, lächelte er mir entgegen. Dann nahm er seine Hand weg und schubste leicht vor meine Schulter: „Und nun geh. Hehehe!“ Mit einem letzten Lächeln verschwand ich wieder in mein Zimmer. Dieses Gespräch war irgendwie anstrengend gewesen. Doch ich hatte ein komisch warmes Kribbeln in meinem Bauch. Die schweren Gardinen blieben zur Seite geschoben und im Schein des vollen Mondes fand ich schließlich endlich etwas Schlaf. Undertaker Sky blinzelte immer noch die Türe an, obwohl Othello schon verschwunden war und schien über etwas nachzudenken, als sie seufzend den Kopf schief legte. Ich tat es ihr gleich: „Glaubst du, dass du laufen kannst?“ Verlegen rieb sie sich den Nacken, dort wo die feine Zeichnung saß: „Ich… weiß nicht so recht.“ „Willst du es probieren?“, richtete ich mich auf und Skyler rutschte mit einem leichten Nicken von der Liege. Sie stand, doch so ganz vertraute ich ihren wackeligen Knien nicht. Also streckte ich ihr in bekannter Manier meinen Ellbogen hin. Ihr Blick wanderte langsam zu mir herauf und ich lachte sie an: „Fu fu fu fu! Na komm. Gemeinsam sind wir stark.“ Mit einem kleinen Lachen und einem herrlich roten Gesicht harkte sie sich bei mir ein. „Ein richtiger Gentleman“, seufzte Grell mit verschränkten Arme, bevor er William strafend anblickte und dieser nur eine Augenbraue hoch zog. Dann gingen wir alle durch die Tür, die Ronald uns aufhielt. Skyler versuchte alles ihr Mögliche um eigenständig zu laufen, doch war sie eindeutig auf meinen Arm angewiesen. Doch sie war so leicht. Wäre das Ruckeln an meinem Arm nicht, würde ich sie fast nicht merken. Schweigsam verließen wir das Gebäude. Grell und Ronald starteten eine Unterhaltung, sobald wir es verlassen hatte und versuchten auch William einzubinden, der aber nicht wirklich in Laune schien und mich zum Lachen brachte. So spazierten wir durch meine alte Welt, den gepflasterten Boden unter den Füßen, die Sonne über den Köpfen und den Fluss an unserer Seite. Das eh kaum merkliche Gewicht schwand nach und nach von meinem Arm, was mir verriet, dass Skyler langsam ihres Körpers wieder Herr zu werden schien. Alle Medizin in allen Ehren, doch frische Luft wirkte doch manchmal die besten Wunder. Doch ich machte keine Anstalten Skylers Arm zu entlassen. Ich mochte das Gefühl mit ihren Arm in meinen geharkt durch eine frühlingshafte Welt zu schlendern. Nebenbei lachte ich Ronald aus, der gerade einen spitzen Kommentar Williams verschmerzen musste. Als sich die Bibliothek vor uns auftürmte ergriff William von sich aus das Wort: „Knox, Sutcliff. Ihr kommt gleich mit mir hoch.“ „Warum?“ „Ich will euch als Leumundszeugen dabei haben. Für den Fall der Fälle.“ „Othello hat doch sicher schon den Report weggeschickt“, machte Ronald genervt: „Die wissen schon alle Bescheid.“ „Trotzdem Knox“, sprach William bedeutungsschwer: „Ich möchte sicher gehen, dass es keinen… Redebedarf mit Miss Rosewell mehr gibt.“ Grell und Ronald drehen kurz den Kopf zu ihr. Dann nickten sie. Als wir die große Halle betraten nahm William von Skyler Bücher und Ausweis entgegen. Eher skeptisch übergab die schöne Brünette die Bücher. Dann verschwanden sie in den Regalen, da William immer als erste Amtshandlung die Bücher weg sortierte. Ich schaute ihnen kurz hinter her und haderte mit mir selbst über den nächsten Schritt. Doch recht zügig entschloss ich mich. Ich führte Sky zu einer der freien Sitzgruppen und setzte sie auf eine Couch: „Ehehehe! Ich möchte schnell etwas nachschauen. Ich bin nicht mehr oft hier. Nihihi. Kann ich dich kurz hier alleine lassen?“ Sie nickte: „Klar. Ich komm schon klar.“ Nun, da sie für die Shinigami keine Gefahr oder sonstiges mehr war, drohte ihr nichts mehr. Beruhigend. Beruhigend genug, um sie einen kurzen Moment verschnaufen zu lassen. Ein bisschen Zeit für sich selbst schadete nicht und ich hatte noch etwas vor. „Ehehe. Vorzüglich“, lachte ich: „Ich bin nicht lange weg. Versprochen. Warte hier.“ „Lass dir ruhig Zeit“, sagte sie immer noch etwas ermattet, doch zumindest ging es ihr körperlich wohl wieder ein wenig besser. Ich verschwand in den Bücherregalen, dort wo sie auch Grell, Ronald und William verschluckt hatten. Ich zog mir meine Brille auf die Nase und verschwand so endgültig in der Menge. Ich war nur ein Typ in Hemd und mit Brille über den gleichen grellen Augen. Vielleicht waren meine Schuhe doch etwas außergewöhnlicher, denn ein paar Shinigami, die ich passierte, musterten mich doch recht irritiert. Doch mein Blick wanderte durch die ewig langen Regalreihen. M... N... O... Ich seufzte aufgrund der vielen Bücherreihen mit denselben Buchstaben. P... Q... R! Ich bog ein und fuhr mit meinem Zeigefinger über die vielen Buchrücken: ‚Ra… Ra… Ra… Re… Re… Re… immer noch Re… Ri… bla… bla… bla… Ri… Na komm schon… Ro!‘, ich schaute dir Reihe entlang. Seufzend stellte ich fest, dass auch sie endlos schien. Also schlenderte ich die Hände in den Hosentaschen weiter: ‚Robert… Roberts… nein… auch nicht… nop… net… Haaaaaa… bla bla bla…“, mein Kopf fiel ein Stück zur Seite, als die Reihe zu Ende war und ich das Regal an der anderen Seite wieder zurückging: ‚Wie endlos... Ronalds… Ronil… suche ich nicht… will ich nicht… brauche ich nicht... Rosewell!‘ Ich kicherte leise und murmelte vor mich her: „Alyson… Angelika… Benjamin… David… Graham...“, ich wackelte kurz abfällig mit der Nase, als mir dieser Name ins Auge fiel: „Bastard… Julie… Kylen… Lenc… Lewis… Libby… Rachel… Ha! Skyler!“ Ich zog das in rotes Leder gebundene Buch heraus. Silberne Lettern schienen mir entgegen »Skyler Rosewell, geb. Nightingale«. Es wunderte mich doch, dass es augenscheinlich einige Roswells gab. Zumindest väterlicherseits hatte sie einige Verwandte. Auch verwunderte mich, dass Rosewell nicht ihr Geburtsname war: ‚Hmmm… Nightingale … Skyler Nightingale‘, ich seufzte halb lachend: ‚Klingt ja fast noch besser. Hehehe.‘ Ich schob einen Fingernagel zwischen die Seiten. Meine Neugier hatte mich gepackt und ich wollte wissen wie es um die junge Skyler wirklich stand. Natürlich war ich nicht mehr ansatzweise befugt meine Nase hier in irgendwelche Bücher zu stecken und genauso natürlich war mir das vollkommen egal. Die ‚Administrative‘ der Shinigamis konnte sich von mir aus auf den Kopf stellen und mit den Beinen Hurra schreien. Fast meine ganze unsägliche Amtszeit war ich selber Teil der Administrative gewesen. Ich hatte nie jemanden nach irgendetwas fragen müssen! Also fing ich nun sicher nicht damit an. Es war des Weiteren furchtbar langweilig, unendlich einschläfernd und über alle Maßen ätzend gewesen. Doch als ich im Begriff war dieses Buch aufzuklappen, zauderte ich. ‚Das geht nicht einmal Gott etwas an!‘, rief die Stimme der jungen Sky durch meinen Kopf. Scham war für gewöhnlich ein Gefühl, das ich nicht kannte. Doch gerade klopfte ich unschlüssig, immer noch den Daumennagel in den Seiten mit dem Buch auf meine andere Hand. Ich pfiff unstet durch die Zähne, als meine Neugier mit meinem Anstand diskutierte. Oder was auch immer es war, dass mich gerade davon abhielt dieses Buch aufzuschlagen. Ich wechselte mein Standbein, verschränkte einen Arm um meinen Oberkörper und stützte die Hand mit dem Buch darauf ab. ‚Warum?‘, fragte ich mich selbst und wackelte mit dem roten Buch: ‚Ansonsten hab ich doch auch wirklich kein Problem damit.‘ Doch Skyler hatte so wütend ausgesehen, als sie William zusammen gekeift hatte. Wütend und verzweifelt. So enttäuscht darüber, dass Grell nicht zu ihr gestanden hatte und so erleichtert und doch traurig, als ich ihr diese drei Bücher gegeben hatte. Mit einem seichten Lachen schob ich das Buch zurück in seine Nische. Ich brachte es nicht übers Herz der jungen Skyler derartig in den Rücken zu fallen. Vincent, Ciel, Diedrich. Bei ihnen war es so leicht gewesen, doch bei ihr… ging es nicht. Ich ging wieder zurück. Doch die Regale mit dem Buchstaben P stoppten mich. Wo dieses andere Buch stand wusste ich auswendig. Als ich die erste Seite aufschlug, die eigentlich immer leer war, schien mir das Gesicht meines toten besten Freundes entgegen. Das Wort darunter ließ mein Herz schwer werden: ‚Deceased‘ Ich beschaute dieses Wort eine Zeit lang. Es legte mir Blei in den ganzen Körper und einen immer wieder zu stechenden Schmerz in mein Herz, als ich mich an die lichterloh brennende Villa erinnerte. Ich war hinein gelaufen. Vorbei an Madame Red, die mit großen ungläubigen Augen davor gestanden hatte. Sie hatte mich noch nicht einmal gesehen, so wenig konnte sie die Szenerie begreifen, die vor sich gegangen war. Doch in der Villa hatte ich Vincent auch nicht mehr retten können. Als ich ihn fand war er schon mehr tot als lebendig gewesen. Rachel ebenso. Und Ciel war fort gewesen. Verschleppt. Nur Tanaka, zu der Zeit noch Butler, unter Ciel später Verwalter, hatte ich lebend aus dem brennenden Gebäude schaffen können. Er wollte nicht gehen. Nicht ohne seinen Herren und in der Hitze der Flammen musste ich ihm erklären, dass er schon tot war. In meinem Armen gestorben, von mir zurück gelassen und zu Asche verbrannt. Ich schloss die Augen. Wäre ich auf diese Fehde doch nie hereingefallen… Wäre ich doch nur pünktlich dort gewesen… nur 10 Minuten schneller… Ich schaute wieder auf das gedruckte Abbild meines Freundes. Selbst seinen Wunsch hatte ich ihm nicht erfüllen können. Seinen letzten. Seinen Sohn zu retten. Ich hatte ganz London und Umgebung tagelang auf links gedreht. Doch als ich den jungen Earl in der Nähe von London fand, war er blutverschmiert und mit seinem Butler auf dem Weg zurück in die Heimat. Wo niemand mehr auf ihn gewartete hatte. Niemand außer Tanaka. Und auch ich. Doch das hatte der junge Earl vorerst nicht gewusst. Ich hatte mich den Beiden damals am Tag von Ciels Rückkehr nicht gezeigt. Wozu? Ich hatte versagt, von Anfang bis Ende, auf ganzer Linie, was vollkommen unverzeihlich war. Egal wie viele Generationen der Phantomhives ich begleiten werde, ich werde es nie gut machen können diesen Jungen, diese dummdreiste kleine Rotzgöre, nicht gerettet zu haben. Mein Kopf fiel seufzend zur Seite. Das waren alte Geschichten. Alles. Wahrscheinlich nie mehr der Rede wert. Doch die Blätter bogen sich unter meinen Fingern, um dann schnell hintereinander auf die andere Seite zu hüpften. Ein paar Stellen las ich mir durch. An allen schmunzelte ich amüsiert, schwelgend in viel besseren Erinnerungen. Niemand konnte mich so bezahlen wie Vincent. Das junge Ding kam schon recht nah an ihn heran. Aber es reichte noch nicht ganz. Doch nach 10 Minuten schob ich auch dieses Buch schwungvoll, belustigt und trotzdem ansatzweise frustriert und wütend, zurück in seinen Spalt, als ich seinem Ende, seinem plötzlichen Ende, gefährlich nah kam: ‚Tehehe! Zur Hölle mit all dem!‘ Ich schlenderte aus den Bücherregalen wieder heraus und mein Blick fiel auf die Sitzgruppe, wo ich die junge Skyler zurück gelassen hatte. Eigentlich. Ich seufzte der leeren Couch entgegen: ‚Dieses Mädchen ist schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe…‘ Da ich meine Brille immer noch trug sah ich die Umgebung um mich herum ungewohnt gut. Doch nirgendwo wuselte ein schönes, brünettes Mädchen mit der falschen Augenfarbe umher. Wohin ging man, an einem Ort den man nicht kannte, in einer Welt die man nicht kannte? Wahrscheinlich an einen der wenigen Orte, die man ansatzweise kennt. Das war für sie in diesem großen Saal nur einer: ‚Och nein… Was will sie da nur?‘ Mit einem halb genervten und halb amüsierten Schnauben begab ich mich also zu meinem ganz persönlichen Nichtlieblingsort. Und tatsächlich. Kaum hatten sich die Regale gelichtet, erblickte ich den Rücken der schönen Brünette vor der Statue und der Vitrine, neben einer anderen Gestalt. Sie war kleiner als das junge Ding. Zierlicher. Doch seine Stimme wirkte wie die eines Jungen. Trotz der kurzen, braunen Haare hätte es sehr gut auch ein Mädchen sein können. Unter dem schwarzen Jackett schaute ein beiger Cardigan hervor. „Na!“, machte der andere Reaper ganz aufgeregt mit seiner jungen Jungenstimme: „Du musst atemberaubend sein. Total hervorragend und herausstechend! Einfach so wie er.“ Skys Kopf drehte sich leicht zu dem immer noch lachenden Sensenmann: „Was hat er denn so tolles gemacht?“ ‚Er? Oh nein...‘, er war wahrscheinlich ich. Das junge Ding wühlte schon wieder in meiner Vergangenheit herum. Im Gegensatz zu mir schien sie keinerlei Skrupel davor zu haben. „Vieles!“, rief der junge Reaper, den ich so ca. auf Ronalds Alter schätzen würde, auch wenn er jünger aussah. Das hieß hier in dieser Welt nicht zwingend viel. Skyler neigte auffordernd den Kopf ein Stück zu dem Schnitter: „Zum Beispiel?“ „Er soll Seelen geholt haben, wie Marie Antoinette und Robin Hood!“, ja, sie redeten über mich: „Die waren sicher furchtbar zickig auf ihren letzten Metern!“ ‚Oh ja. Ehehehehehehe! Und wie!‘ „Herrscher, Adel und Leute, die Großes bewirkt haben wehren sich sehr oft sehr vehement und stürzen einige Reaper echt ins Unglück. Arme Tröpfe. Aber ihn! Ihn nicht! Man erzählt sich, dass weinende Kinder ihm freiwillig ihre Seelen überließen. Seine Augen sind legendär!“, man konnte das Grinsen des Reapers förmlich hören. Obwohl mir seine Loblieder furchtbar gegen den Strich gingen, mochte ich irgendwie die fröhliche Art des jungen Reapers, wie er so vollkommen unbeschwert über das düstere Schicksal seiner Kollegen sprach. Das Problem war nur, dass ich ihn nicht kannte. Im Gegensatz zu, zum Beispiel Ronald, hatte ich ihn nicht gebrieft und so wirkte er als posaunte er ungefragt und vollkommen freiwillig wirklich alles heraus. Ich machte mich bereit dem kleinen Schnitter in den Nacken springen zu können, sollte ich müssen. „Warum seine Augen?“, fragte Sky eher verwundert nach. „Es heißt, dass sie auf Menschen hypnotisierend gewirkt haben!“ ‚Nicht die Geschichte‘, seufzte ich innerlich. Meine Augen waren nicht hypnotisch. Sie waren lediglich ausdrucksstark. Für Menschen streckenweise zu ausdrucksstark, zugegeben. Sky schluckte trocken: „Wir… wirklich?“ Ich hoffte inständig, dass sie den Mist nicht wirklich glaubte. „Keine Ahnung“, kam ein Schulterzucken des kleinen Sensenmannes, was mich erleichtert durchatmen lies: „Viel wurde sicher auch dazu gedichtet. Einige Ereignisse sind ja mittlerweile über 2000 Jahre her.“ „Tatsächlich? Welche?“ „Nun“, und das war es auch schon wieder mit der Erleichterung. Ich ging zwei Schritte auf die Beiden zu, hob meine Hände und wollte den kleinen Schnitter von hinten packen. Doch Skys Kopf zuckte in diesem Moment zu ihm und ich verschwand mit einem Satz hinter der zweiten Bücherregalreihe. So nah an dieser Statue lief ich immer Gefahr aufzufallen. Sie sah mir ja leider nicht ganz unähnlich. Einige Reaper die hier hinten herumstreunten interessierten sich darüber hinaus sehr für die alten Geschichten. Vorher hatte mein Lachanfall für sie alle die Möglichkeit vertrieben, ich könnte ein legendärer Shinigami gewesen sein. Niemand von ihnen dachte, dass das lebende Gegenstück der Statue mittlerweile ein lachender Irrer war, oder überhaupt noch am Leben, was gut für mich war. Noch dachten sie, dass andere Reaper sich trauen würden, einer Legende fluchend und zeternd an die Gurgel zugehen, so wie Grell und Ronald es getan hatten. Diese Deckung fehlte mir nun und so begeistert wie der Kleine dort schien, hätte er mich wahrscheinlich sofort erkannt. Ich stupste bei meiner Flucht einen weiblichen Schnitter an, die schon vor mir hinter dem Regal gestanden hatte. „Die Jagd auf Kain und Abel, die Schlacht bei Jerusalem, das Einsammeln der Seelen der Propheten und etlicher altertümlicher Könige“, plapperte der fremde Reaper neben Skyler. „He…!“, begann die Sensenfrau neben mir zu rufen, erstarrte dann aber als sie mich sah. Unglauben schwang durch ihr Stottern und sie zeigte mit zittriger Hand auf mich: „Ihr… ihr seid… ihr seid der...“ ‚Oh nein...‘, ihr Mund verschwand hinter meiner Hand. Vom Regen in die Traufe hatte wohl gerade seinen Höhepunkt erreicht. Die Reaper unter meiner Hand dachte sich sicher ähnliches, denn sie zog wütend nuschelnd an meinem Arm. „Scht!“, zischte ich leise und schickte sie mit einem kontrollierten Schlag in den Nacken ins Land der Träume. Viel hielt die Gute ja nicht aus: ‚Huch...Ähähä...Upsala.‘ Da stand ich nun, eine K.o. geschlagene Frau am Kragen gepackt, zwischen den Bücherregalen der Shinigamibibliothek. Ungünstig. „Seine To Do Liste war das Who is who des Altertums“, klang der andere Reaper immer noch ganz begeistert, als ich darauf achtete kein Geräusch mit dem Bücherregal zu machen, auf dessen oberen Brett ich in einer recht wackeligen, aber geräuschlosen, Kletterpartie die ohnmächtige Reaper ablegen wollte und nichts mehr verhindern konnte: „Und vielen Epochen danach und...“ „Schlacht bei Jerusalem?“, hörte ich Skylers erstaunte Stimme: „Das klingt ja wie Krieg!“ Das Regal wackelte leicht, als ich versuchte den letzten Arm des Reapers auf das Brett zu schubsen: ‚Jetzt frag nicht auch noch nach, du neugieriges, kleines Schlitzohr!‘ „Das war Krieg“, lachte der andere Sensenmann fröhlich: „Da war mal richtig was los!“ Ich wackelte abwägend mit dem Kopf. Unsympathisch war das kleine Kerlchen ja wirklich nicht. Ich kletterte vom Regal, als ich den schlaffen Körper der Shinigami verstaut hatte und wollte wieder zu der Ecke. Doch hatte ich die Sensenfrau wohl nicht ganz mittig abgelegt und das Regal kippte mir entgegen. Ich stemmte mich gerade noch rechtzeitig in Dreiecksstellung dagegen und ein paar Bücher rutschten nur ein bisschen auf den Brettern nach vorne ohne heraus zu fallen. „Der Tod zieht in den Krieg?“, hörte ich Skylers Stimme. Ich wollte das Regal wieder auf seinen Füße schieben und am besten einen großen Satz darüber tun, um den zu gesprächigen Reaper von seinen Füßen zu reißen damit er nicht weiter sprach, doch der Körper der ausgeknockten Schnitterin rutschte wieder vom Brett. Ich hüpfte mit ausgestreckten Armen nach hinten, um das Regal vor mir in seiner wackeligen Position zu halten und legte hastig einen Fuß auf ein Regalbrett hinter mir. Die Reaper landete auf meinem Bein, anstatt krachend auf dem Boden. Zumindest blieb ich trotz allem fast geräuschlos und unentdeckt. Doch die Position, die ich nun innehatte, war weder sonderlich bequem, noch sonderlich vorteilhaft. Ich korrigierte meine vorangegangene Vermutung. Denn nun war ich endgültig in der Traufe angekommen: ‚Warum hasst mich das Schicksal eigentlich so sehr?‘ Denn mit etwas anderem, außer einer Verschwörung höherer Mächte, konnte ich mir meine Situation nicht erklären. Und sie wurde nicht besser, als die Quasselstrippe neben Skyler weitersprach: „Da schon. Naja, er ist mit den andern 9 Alten und ein paar höheren Reapern nach Jerusalem gestiefelt. Die Babylonier haben Dämonen beschworen um Israel und Ägypten einzunehmen, ein paar Engel hatten allerdings einen ziemlichen Narren an Jerusalem gefressen. Wollten es ‚läutern‘ und ‚erstrahlen‘ lassen.“ Ich seufzte. Der Kleine machte sich ja keine Vorstellung über die Beharrlichkeit hoch ambitionierter Engelchen. Ich schaute mich um. Wie kam ich nun hier wieder raus? Das Schicksal, in Form eines kleinen Sensenmannes, erbarmte sich meiner der Weilen nicht: „Sie konnten die Dämonen nur nicht richtig aufhalten, also haben sie versucht den Tod auszusperren, damit nur die starben, die sie tot sehen wollten. Irgendwie haben sie es geschafft ein paar Menschen abzuschirmen. Die Engel haben natürlich auch die Sensenmänner attackiert und Dämonen machen ja eh vor nix halt. Auf jeden Fall fanden die Alten ausgesperrt und attackiert zu werden nicht allzu lustig.“ Ich musste kichern. Eigentlich war Jerusalem sehr lustig gewesen. Zumindest für mich. Und interessant! Ich hatte Ehen vorher noch nie mit so leuchtenden Augen gesehen. Denn das ‚Irgendwie‘ war das Tau-Zeichen gewesen, welches mein alter Weggefährte natürlich sofort unter die Lupe hatte nehmen musste. Nur das Ende, da hatte der Kleine recht, dass fand wirklich niemand von uns sonderlich erquicklich. „Irgendwann war es ein großer, prügelnder Ball aus so ziemlich allem was es so gibt.“ Ich zog mit zuckenden Bewegungen mein Bein in die Luft und der Körper der ohnmächtigen Sensenfrau hüpfte auf meinem Oberschenkel. Das Bein immer noch erhoben, damit die Reaper nicht doch noch unnötigerweise auf dem Boden landete, hüpfte ich wieder zu dem vorderen Regal. Ich kippte es auf die Füße. Leider nicht ganz so stumm, wie ich es gerne gehabt hätte. „Und wer hat gewonnen?“, fragte Skyler nach einem kurzen Augenblick zögerlich. Ich seufzte ein weiteres Mal. Das Kind war eh schon in den Brunnen gefallen. Nein. Mittlerweile war es ertrunken. Kläglich. „Der Tod gewinnt immer. Uns entkommt einfach keiner. Schon gar nicht wenn sich die Alten darum gekümmert haben. Die waren so cool!“ Ich seufzte erneut recht unangetan. Mit einem Ruck meines Beines, landete die Shinigami endlich endgültig auf dem Regal, wenn auch mit einem hörbaren Geräusch. Auch der junge Reaper seufzte, als ich meine Nase wieder um die Ecke schob: „Naja. Das klingt alles so glorreich. Viele Reaper haben es nicht geschafft. Einer von den Alten ist dabei wohl auch drauf gegangen. Naja, schwere Zeiten. Doch wenigstens war es damals nicht so furchtbar langweilig.“ Ich drehte mich wieder zurück und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Regal, als meine Augen zu Boden fielen: ‚Nevet...‘ Das Schlimme an der Geschichte war, dass ich daran schuld gewesen war, dass Nevet gestorben war. Ich seufzte schwer. „Sascha?! Sascha, wo steckst du?!“, hallte eine Männerstimme durch die Bücherregale und weckte mich aus meinen Gedanken. Sie sprach deutsch und war gefährlich nah. Als der Reaper, zu dem die Stimme gehörte, um die Ecke schaute, hatte ich meine Nase tief in einem Buch versteckt und tat so als würde ich es lesen. „Hast du Sascha gesehen?“, fragte der Reaper und sprach mich auf Deutsch an. Gott sei Dank konnte ich durch die Hermanns und Von Steinen flüssig deutsch sprechen und verstehen. Der Sensenmann war eine bebrillte, große, schlanke Gestalt mit kurzen braunen Haaren. Er trug ein Paar weiße Sportschuhe und einen formalen Anzug, bestehend aus einer schwarzen Jacke, einem weißen Hemd mit einer schwarzen Krawatte und einer ebenso schwarzen Hose. „Psssst!“, antwortete ich ihm, ohne die Nase aus dem Buch zu nehmen. „Hast du?“ „Nein“, antwortete ich nach einem Räuspern mit verstellt tiefer Stimme. „Sascha!“ „Pssst!“ „Hilf mir oder halt die Klappe!“ Ich wackelte überlegend mit dem Kopf. Ich räusperte mich erneut, um die Stimmlage zu halten, als ich nach bestem Wissen über die Sensenmänner improvisierte: „Das hier ist eine Bibliothek!“ Ich hörte von der anderen Seite des Regals ein Kichern. „Wer ist das?“, fragte Skyler. „Mein Partner“, lachte der andere Reaper: „Und der Verfechter des Redeverbots ist einer der Bibliothekare.“ Ich drückte das Buch in mein Gesicht, als ich merkte wie der Lachanfall anklopfte. Der Junge hält mich für einen Bibliothekar! „Dieser Junge ist so eine Plage“, stöhnte der andere Reaper, bevor er wieder anfing zu rufen: „Sascha! Unsere Schicht beginnt! Wir müssen los!“ „Ich komme!“, rief der Junge auf Deutsch. Dann sprach er noch einmal englisch: „Ich muss los, oder meine Seele ist die Erste auf der Liste. Mach‘s gut, Mädchen mit den Himmelaugen! Ich hoffe wir sehen uns so schnell nicht wieder!“ Ich lugte über das Buch. Der Reaper tauchte neben seinem Partner auf. „Da bist du ja, Sascha“, schüttelte der hochgewachsene Reaper den Kopf. „Tut mir leid, Ludgar. Ich hab die Zeit vergessen“, grinste der Kleine, der eine große weiße Brille auf der Nase hatte. „Komm“, nickte Ludgar mit den Kopf: „Wir müssen.“ Die Beiden verschwanden und mit einem erleichterten Seufzen ließ ich das Buch sinken: ‚Was ein Affentanz...‘ Das junge Ding weiß wirklich wie man jemanden, vollkommen ohne jegliche Motivation dazu, in Teufelsküche brachte. Doch ich erinnerte mich, dass Dämonen Menschen nur allzu liebend gerne mit Unglück verfluchten. Für ihre Tollpatschigkeit, ihr ganzes Pech und das Talent auch andere regelrecht in die Zwickmühle zu bringen konnte sie vielleicht gar nichts. Ich steckte das Buch zurück und hing meine Brille an mein Hemd, als ich mich mit verschränkten Armen neben das auf die Statue schauende Mädchen stellte. „Also auch noch ein Kriegsheld, hm?“, hauchte sie seicht. „Nehehehehe! Mach dich nicht lächerlich“, lachte ich erheblich amüsiert. Ich war kein Held, Himmel Herrgott Sakrament! „WA!“, sprang sie mit wedelnden Armen zur Seite. „Tehehehe“, kippte mein Kopf in ihre Richtung: „Du bist so endlos neugierig.“ Sie atmete schwer und schaute mich böse an. Naja, so böse wie das knuffige Ding halt schauen konnte: „Verdammt noch mal! Erschreck‘ mich nicht immer so!“ Ich lachte sie an: „Aber mir würde ohne dein possierliches Aufschreien etwas fehlen, liebe Skyler. Ehehehehehe!“ ‚Außerdem hast du eine Menge gut zu machen ohne es zu wissen, hehehe!‘, setzte ich hinter meinem Grinsen in meinen Gedanken hinzu. Sie ließ ihre Schultern hängen und verzog den geschwungenen Mund: „Echt jetzt? Ich sterbe jedes Mal einen kleinen Tod und du findest das possierlich?“ Ich lachte lauter: „Pahahahahahahaha! Glaube mir! Sterbende Menschen sehen anders aus!“ Mein Kopf kippte ein Stück nach vorne, als mein breites Lächeln wieder von den vielen herrlichen Toden zeugte, die mein Kopf für mich abspielte: „Glaube mir, damit kenne ich mich aus. Ehehehe.“ „Keine weiteren Fragen, euer Ehren“, hob sie fiepsend ihre Hände und machte riesige Augen. Ich warf lachend meinen Kopf in den Nacken: „Ahahahahahahaha! Schaue nicht so, als ob ich dich fressen wolle!“ „Bist du sicher, dass du das nicht willst?“, sprach sie schnell und ihr Gesicht entflammte sofort in einem satten Rot, was mich einen weiteren Lachanfall unterwarf. Sie versteckte ihr Gesicht hinter den Händen. „Wahahahahahahahahaha! Wie herrlich! Fuhuhuhuhuhu! Aber nein. Hehehehe! Heute habe ich gut gefrühstückt. Es wird nicht nötig sein“, beugte ich mich mit in die Taille gestemmten Handrücken zu ihr hinunter. Sie nahm abrupt die Hände vom Gesicht und schaute mir immer noch so wunderbar satt rot im Gesicht entgegen: „Ähm… Du hast ein paar Löffel Marmite gegessen… Wie auch immer du das geschafft hast...“ „Ehehe. Das war mehr als du gegessen hast. Für den Augenblick reicht es. Aber vielleicht sollten wir zurück, damit wir das Abendessen nicht verpassen. Was sagst du? Tehe“, ich schaute auf meine alte Taschenuhr. Immer wieder auf das kleine Ding zuschauen war eine der wenigen Angewohnheiten die verrieten, dass ich mal ein Shinigami gewesen war: „Wir haben zwar noch etwas Zeit, hehehe, aber Sebastian schätzt Unpünktlichkeit nicht. Außerdem ist hier nun wirklich alles getan.“ „Ähm… Sind wir wirklich schon so lange hier?“, fragte sie unsicher. Zeit war wahrscheinlich einer der Dinge, um die sie sich in den letzten Stunden keine Gedanken gemacht hatte. Ich sah Grell, Ronald und William hinter Skyler auftauchen: „Ihihihi. Ja. Schon eine ganze Weile.“ Sie seufzte: „Ich tippe Grell, Ronald und William bleiben hier, oder?“ „Warum sollten wir? Wir haben doch noch frei!“, sprach Ronald grinsend genau hinter der jungen Frau. „AAAAAAAHHHHHH!“, kreischte das hübsche Ding und sprang mit einem Satz in die Luft. Ich wollte lachen, doch kam ich nicht dazu. Denn ich musste die schöne Brünette fangen, die mir genau in die Arme sprang und mir ihre fest um den Hals legte. Sehr fest. Davon doch reichlich überrascht wie irritiert, strauchelte ich zwei Schritte nach hinten, bis ich meine Balance wieder gefunden hatte. Sie keuchte in kalten Schweiß ausgebrochen, während Ronald in seine Hand kicherte. „Du bist furchtbar gemein“, stemmte Grell seine Hände in die raus gestreckte Hüfte. Ronald kicherte weiter: „Ich weiß. Hihi. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.“ „DU!“, schrie Sky und begann in meinem Armen mit den Fußen zu strampeln und meinen Hals noch fester zu drücken: „Bist doch ein kleines, verdammtes Arschloch! Hast du sie nicht mehr alle! Ich HASSE es! Ständig taucht irgendwer hinter mir oder neben mir auf und erschreckt mich zu Tode! SCHÖN wenn IHR daran so viel SPAß habt, aber ICH habe keine LUST mehr darauf, KLAR?! Ihr seid doch alle nicht mehr ganz koscher! Es reicht ja nicht, dass Undertaker immer dafür sorgen muss, dass ich `nen halben Herzinfarkt bekomme, dann musst du Aushilfspausenclown nicht auch noch mitmachen! Und du willst ein Gentleman sein?!“ Meine Augen wanderten amüsiert, aber mit fragend erhobenen Augenbrauen zu ihr. „Naja“, legte Ronald lachend den Kopf schief und Sky schaute ihn mit verärgert aufgeblähten Wangen an. Ich hätte von diesem süßen Gesicht so gerne ein Foto! Als der junge Reaper die Arme verschränkte sprach er grinsend weiter: „So schlimm kann Undertaker ja nun auf nicht sein.“ Sky zog skeptisch Augen und ihre geschwungenen Brauen in einem Anfall von Unverständnis zusammen: „Warum?“ Ich fragte mich still und leise, ob das hübsche Ding überhaupt wusste wo sie gelandet war. Dieser Gedanke amüsierte mich stumm, aber mit einem breiten Grinsen. Grell kicherte in eine Hand hinein. William zog mit einem ungläubig, verständnislosen Blick seine linke Augenbraue hoch. Ronald breitete lachend kopfschüttelnd die Hände aus: „Ehrlich jetzt? Das fragst du wirklich?“ Mein Grinsen wurde weiter. Denn auch ich empfand das als eine sehr gute Frage. Grell begann leise zu lachen. William stützte einen Ellbogen auf den anderen Arm und legte sein Kinn nun beiden Brauen hochgezogenen in die Hand. „Was… habt ihr?“, fragte Skyler irritiert. „Pahahahahaha! Fuhuhuhuhuhuhuhuhuhu! Ich hab da eine Theorie“, konnte ich mein Lachen schließlich nicht mehr zurückhalten. Ihr Kopf flog zu mir und ich grinste ihr entgegen. Das durch den Schreck verscheuchte Rot kehrte zurück und sie starrte mich an, als glaube sie selber nicht was sie getan hatte. Jetzt wusste ich, dass sie definitiv nicht gemerkt hatte wo sie gelandet war und die Erkenntnis wurde zu einem belustigen Giggeln meinerseits: „Ehehehe! Willst du sie hören?“ Sie schüttelte stumm den Kopf. „Zeit nach Hause zu gehen“, lachte ich und drehte mich um. Wenn man schon nicht mehr mitbekam, dass man jemandem in die Arme sprang, war es wirklich Zeit zu gehen. „Du… Du kannst mich ruhig runter lassen...“, murmelte sie nach meinem ersten Schritt. Die hübsche Brünette war so leicht, so zerbrechlich und so angeschlagen. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass sich ihr Körper recht gut von ihrem Schwindelanfall erholt hatte, war ich ihrem Schlafmangel und der ihr fehlenden Nahrung mehr als nur gewahr. Gerade weil sie so dünn und so zerbrechlich war verursachten mir diese Umstände Sorgen: „Wie weit würdest du kommen? Hehe.“ „Haaaaaaa! Hinter dem verrückten Totengräber versteckt sich ja wirklich ein kleiner Gentleman“, seufzte Grell hinter mir. Ich wünschte mir augenblicklich, dass er wieder die Klappe hielt und keine Ahnung hatte wie es um mich stand. „Er schlägt sich ganz gut“, konterte Ronald halb lachend. Auch hier sah mein inneres Empfinden sehr ähnlich aus. „Ach, pluster dich nicht so auf“, schnauzte Grell den Jüngling an. Eine Kartoffel zwischen den rot geschminkten Lippen stände Grell jetzt gerade sicherlich ausgesprochen gut. „Ihr könntet einfach Beide ruhig sein“, unterbrach sie William und ich war zum ersten Mal an diesem Tag dankbar, dass er da war. Auch wenn er das natürlich nicht tat um mir zu helfen. Denn wenn ich mir einem sicher sein konnte, dann das William nicht gemerkt hatte was mit mir los war. Der Gedanke ließ mich leise, aber gewohnt schrill lachen. „Hm?“, machte Skyler, die mittlerweile recht schlaff in meinen Armen lag. Sie schien müde. Natürlich war sie müde. „Sind sie nicht süß? Ihihihihihihi!“, giggelte ich ihr entgegen. Sie lachte leise mit mir. Dann wurde sie wieder so wunderbar schüchtern unbeholfen: „Schon… Irgendwie. Aber du kannst mich jetzt wirklich runter lassen… Es war nicht meine Absicht dir… ja… ähm...“ „Mit reichlich Schwung um den Hals zu fallen? Hehe“, grinste ich ihren Satz zu Ende. Ich liebte dieses Spiel! „Ähm ja… Ich glaube... das beschreibt es ganz gut… Also... würdest du bitte?“ „Nihihi! Wie du wünscht“, stellte ich sie behutsam wieder auf ihre Füße und legte grinsend, aber skeptisch Kopf schief: „Kannst du wirklich laufen?“ Sie nickte leicht. William hatte derweilen ein Tor zurück in die Menschenwelt geöffnet. Wir huschten hindurch und Ronald streckte sich auf der anderen Seite: „So viel Rennerei… und das an meinem freien Tag.“ Skyler ging an Ronald vorbei: „Willst du dich wirklich beschweren?“ Zu Recht. Wenn einer sagen könne, sein Tag wäre anstrengend gewesen dann das hübsche Ding. Ronald machte den Mund auf, doch Grell gebar ihn mit einem Stupsen mit dem Ellbogen zu schweigen. „Hey!“, schwieg Ronald natürlich nicht und stupste zurück, dann wieder Grell, wieder Ronald und irgendwann hingen die Beiden sich am Hals. Dann erschien William wie das Demoglasschwert hinter ihnen. Was jetzt folgte, musste gut werden. Ich giggelte in vorfreudiger Schadenfreude. Und es kam wie ich erhoffte: Mit einem parallelen Klaps auf dem Hinterkopf schwiegen die Beiden, Hände an die aufblühende Beule erhoben. Ich schaute mich um, als die drei zu diskutieren begannen. Skyler war schon einige Schritte weit weg, ging selbständig, wirkte aber immer noch unsäglich geschwächt. Sie schaute auf ihren komischen kleinen Taschencomputer. Zügig, doch ohne Eile schloss ich zu ihr auf. Wo sie wohl hin wollte? Ihre Augen wanderten zu mir, als ich an ihrer Seite erschien. Sie packte das komische Ding weg. „Hehe. Wohin des Weges?“ „Ich weiß nicht“, seufzte sie. „Tihihihihi! Welch fantastisch ausgeklügelter Plan“, lachte ich ironisch. Dann vertrieb ich den Spaß zum größten Teil aus meiner Stimme: „Du gefällst mir nicht.“ Sie steckte die Hände in die Hosentaschen: „Wundert dich das?“ „Nein. Das waren ja ein paar ziemlich ereignisreiche Stunden für dich.“ Sie schnaubte geschwächt: „Ereignisreich… Ich bin ein Freak, verdammt...“ „Hehehe. Ach Sky“, es war doch gar nicht so dramatisch. Ich wusste langsam nicht mehr was ich ihr sagen sollte, damit es ihr besser ging. Das ich in Wortnot kam war selten und ließ mich seufzen: „Ich habe dir doch gesagt, dass...“ Sie hob mir die Hand ins Gesicht ohne mich anzuschauen. Ich blinzelte verwundert, folgte aber ihren Wunsch und brach ab. „Bitte… Ich… möchte gerade nichts hören...“ „Was möchtest du dann?“, zog ich besorgt die Augenbrauen zusammen. „Ich weiß es nicht...“ Sie sah so herzzerreißend aus. Ich nahm sie an den Schultern und blieb stehen, wodurch auch sie stoppen musste: „Sky. Du bist nicht allein.“ Sie schaute zu Boden und zog ihre Augenbrauen zusammen: „…Wirklich?“ Mit einem Lächeln im Gesicht und eine Hand an ihrer Wange hob ich ihren Kopf wieder zu mir. Ihre Haut fühlte sich so unbeschreiblich gut an. Ein weiteres Mal fand ich für etwas keine Worte. In beachtlich kurzer Zeit. Ich wollte so gern, dass sie wieder lachte: „Wirklich.“ Sie lachte. Doch schloss sie mit einem traurigen Lächeln die Augen, was nun nicht das war, was ich gerne in ihrem so schönen Gesicht wiedergesehen hätte: „Danke… Aber ich glaube… Gerade möchte ich alleine sein...“ „Welt sortieren, hm?“, ich konnte sie verstehen. Manchmal brauchte man Zeit für sich. Vor allem, wenn man wie Sky relativ verschlossen war. Gestern war sie von Menschen belagert worden, dann von Höllenhunden angegriffen und heute waren die ganze Zeit Shinigami um sie herum getanzt. Von allem was sie erfahren hatte ganz zu schwiegen. Sie nickte und ich nahm die Hand von ihrer weichen Wange: „Du solltest das Abendessen aber nicht verschmähen.“ Sie neigte den Kopf: „Gerade… kann ich nichts essen.“ Das könnte eine ewige Diskussion sein und immer bleiben. Warum wollte sie nicht essen? Sie muss doch unsagbar hungrig sein. „Sky“, sprach ich ihren Namen bedeutungsschwer in der Gewissheit nicht mehr sagen zu müssen. Doch sie schüttelte den Kopf: „Mach dir keine Sorgen. Ich mach das schon… irgendwie.“ „Und wie?“, legte ich den Kopf schief. Mir widerstrebte es nicht zu wissen wohin die Schöne gerade ging und was sie dort wollte. Was ist, wenn sich ihre Achtlosigkeit ihrem Körper gegenüber wieder rächte und sie dann keiner fand? Ich würde nie mehr glücklich werden, passierte ihr etwas. Ihr war schon zu viel passiert und das obwohl ich in der Nähe gewesen war. Ich musste endlich aufhören immer mal wieder, auch in kleinen Dingen, so schädlich zu versagen oder nur halb zu siegen. „Erst einmal... muss ich meine Welt sortieren. Soweit es eben geht“, führte sie aus und schien mir nicht so antworten zu können wie ich es gerne hätte, da sie selbst die Antwort nicht hatte. „Wenn du etwas brauchst, rufe nach mir. Ich werde dich hören, versprochen.“ Sky seufzte erneut: „Mach dir nicht so viele Umstände wegen mir.“ „Wenn es nach mir ginge“, verschränkte ich die Arme und sprach meinen vorherigen Gedanken wenigstens halb aus: „Würdest du jetzt nicht alleine weiter ziehen. Doch wenn du dich so entscheidest. Bleibe bitte in der Nähe. Dann muss ich mir ein paar Sorgen weniger um dich machen.“ Sie blinzelte mir in die Augen: „Du… machst dir wirklich Sorgen um mich?“ „Natürlich“, lachte ich. Unwillkürlich hob ich die Hand und die Rückseiten meiner kalten Finger streiften wunderbar warme Wange. Bevor ich sie kannte, hatte ich mich nach Wärme nicht gesehnt. Kälte gefiel mir, da ich sie nicht spürte. Da jede Hand die ich griff kalt gewesen war. Doch nun? Nun sehnte ich mich nach Wärme und ich nahm jeden schlechten Vorwand an um mir ein Stück davon zu klauen. Ein Knistern ging durch meine Finger, als sie ihr Gesicht wieder verließen: „Wie könnte ich nicht?“ Sie seufzte abermals. Nur klang es dieses Mal anders. Nicht frustriert oder gestresst. Ich wusste nur nicht recht nach was: „I-Ich... bin ok. Gib mir… nur ein bisschen Zeit, ja?“ Auf Grund ihres so wunderbar unbeholfenen Stotterns wanderte meine Hand vor meinen giggelnden Mund: „Ihihihi. Wie gesagt: Wenn du das wünschst kann ich dich nicht aufhalten.“ Ich hätte gekonnt. Ich hätte auch gewollt, doch Sky war kein Kind mehr. Ich stand wieder auf dem Drahtseil zwischen dem gut gemeinten Willen sie zu beschützen und dem Absprechen ihrer Entscheidungen. Im Endeffekt war ihr Wort, was sie selbst betraf, aber Gesetz. Sie drehte sich mit einem verunglückten Lächeln weg, welches ich heute wirklich nicht mehr ehrlich erwarten durfte, und verschwand in einer Tür. „Yo! Undertaker!“, ich drehte mich zu Ronalds Stimme. Er winkte mir, eine Hand in der Hosentasche: „Wir wollen zum Earl! Kommst du?!“ Auch die anderen Beiden sahen nach Aufbruch aus. Ich schaute ein letztes Mal kurz auf die Tür, durch die die junge Skyler verschwunden war, dann ging ich zu den drei bebrillten Gestalten. „Wo will sie hin?“, fragte Grell seinen Zeigefinger an der Wange. „Welt sortieren“, grinste ich als Antwort. „Armes Ding“, seufzte Grell. Doch Ronald lachte, als er die Finger hinter dem Kopf verschränkte: „Wenigstens passt sie jetzt ziemlich gut zu uns.“ Wir setzten uns in Bewegung. „Ja, ja“, lachte ich derweilen: „Irgendwann wird sie schon noch merken, dass wir viel schlimmer sind, als sie je sein könnte. Hehehe!“ „Du“, meinte William kurz abgebunden. Ich lachte ein weiteres Mal: „Na fein. Tehehe. Dass ich viel schlimmer bin, als sie je sein könnte. Nehehe!“ Wir schlenderten ein paar Minuten durch die weitläufigen Flure des Manors, bis wir in den Salon traten, den der Earl immer für die Treffen der Aristokraten nutzte. In goldenen Bilderrahmen hingen Gemälde der vergangenen Generationen der Aristokraten an den dunkel getäfelten Wänden. Mein eigenes Gesicht schaute mir aus ihnen viel zu oft entgegen. Auf dem dunklem Parkett standen große, dunkelrot gepolsterte Sessel und Couchen, sowie ein paar Kommoden aus dunklem Holz. Das Mobiliar hatte sich seit Jahrzehnten so gut wie nicht verändert. Folglich waren die Möbel massiv und ziemlich alt, doch von Sebastian mit Perfektion gepflegt. In der Mitte stand ein großer Billardtisch, dessen Stoff schon unzählige Male zerspielt und von dem Butler ausgetauscht worden ist. Ein Feuer in dem großen, alten Kamin legte den düsteren Raum und die Gesichter darin in einen zusätzlich unheimlichen Schatten. Alle waren dort. Selbst Amy saß neben ihrem telefonierenden Bruder auf einer Couch und sprach mit Lee, der auf einem Sessel immer wieder das Ober- und Unterteil einer kleinen Metalldose ratschend in entgegengesetzte Richtungen drehte. Frank und Charlie blinzelten von einer Partie Pool hoch und Sebastian regelte das Feuer in dem Kamin vor dem das Ehepaar Phantomhive in zwei Ohrensesseln saß. Der Kopf des Earls wandte sich von seiner Frau weg und schaute uns an: „Willkommen zurück.“ „Hallo Earl“, grinste ich. William nickte stumm. Grell und Ronald winkten. „Wo ist Sky?“, fragt Amy und schaute auf die Türe, als wartete sie darauf, dass die schöne Brünette hindurch kommt. „Sie braucht etwas Zeit für sich“, lächelte ich der jungen Phantomhive entgegen. „Also habt ihr Ergebnisse dabei?“, legte Heph den Kopf schief. Ich nickte: „Ehehe! Ja und nein.“ „Wie?“, machte Frank genervt. Ich grinste ihn an: „Wie ich es sagte: Ja und nein. Ehehehehe!“ Frank schüttelte genervt seinen kurzen braunen Schopf und zündete sich eine Zigarette an. „Herrje“, lachte Lee und kippte den Inhalt des Metalldöschen auf ein kleines mit Tabak ausgelegtes Papier: „So kryptisch. Muss ja spannend gewesen sein.“ „Das kann man so sagen“, lachte Ronald. „Und das bleibt es wohl auch noch ein wenig“, ich hob giggelnd meine Hand vor den Mund: „Wie wundervoll. Tehehehe! Oder nicht?“ „Nun sprecht schon“, lächelte der Earl mit einer Engelsgeduld auf den noblen Zügen. Ich lachte weiter: „Nehehehe! Haaaa… Weißt du Earl. In meinem Alter, da wird man so vergesslich. Fu fu fu. Ein Lachen könnte meinen Erinnerungen allerdings auf die Sprünge helfen.“ Alex lachte, als habe er nur auf diese Aussage nur gewartet. Sebastian stellte sich hinter seinen Meister und seufzte. Der Earl öffnete den Mund, doch William war schneller: „Die junge Miss Rosewell scheint verflucht zu sein.“ Stöhnend ließ ich die Schultern hängen. Dann schaute ich zu William: „Tehehe. Du bist ein verdammter Spielverderber.“ „Nein“, erwiderte er trocken: „Aber meine Zeit ist mir heilig. Bevor Etwas gefunden ist, was dich zu genüge belustigt, ist die Sonne unter und schon 3 x wieder auf gegangen.“ Ich seufzte, allerdings nur gespielt gestresst: „Haaaa, was ein tristes Dasein ich fristen muss. Hehe.“ Erst jetzt bemerkte ich, dass die Menschen uns mit großen Augen entgegen klimperten. Selbst der Butler sah bedeckt erstaunt aus. Lee war, seine Zunge an dem Papier, eingefroren. Fred steckte blinzelnd sein Handy weg und Amy schien das Atmen vergessen zu haben. „Woas?!“, schaffte es die junge Phantomhive schließlich zu sagen: „Sky ist verflucht?!“ Ich nickte und verschränkte die Arme, als ich mich gegen eine kleine Kommode lehnte: „In der Tat.“ Die Reaper setzte sich auf ein paar leere Sessel. Lee lachte kopfschüttelnd, während er das Papier zu Ende anleckte und einrollte: „Die beste Freundin einer Phantomhive ist verflucht. Sobald der Name ‚Phantomhive‘ in dem Satz auftaucht, ist es irgendwie nur noch halb so kurios.“ Amy wirkte immer noch mehr als nur verwirrt: „Aber… Seit wann? Von wem? Sky hat in letzter Zeit nur Sebastian und Claude getroffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der Beiden sie verflucht hat.“ „Ich wasche meine Hände in Unschuld“, legte der Butler seine Rechte auf sein Herz und neigte den Kopf. Ein Lachen platzte aus mir heraus: „Pahahahahahahaha! Durch diesen Satz ist sicherlich irgendwo ein Engel tot vom Stuhl gefallen. Tihhihihihi!“ „Ich hoffe“, lächelte der Butler kalt. „Bleib bei der Sache, Undertaker“, grummelte Frank an seiner Zigarette vorbei. „Ehehehehe! Ich bin bei der Sache!“, lachte ich zurück. „Natürlich“, stöhnte der Deutsche unbeeindruckt. Ein erdiger Geruch schwebte durch den Raum, als Lee sein selbst gewickeltes Stängelchen anzündete: „Entspann dich Frank! Es bringt doch nichts.“ Frank schaute den Asiaten gereizt an. Ich drehte meinen Kopf wieder zu Amber: „Nihihi. Skyler ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine Flucherbin. Das heißt sie wurde nie verflucht. Sie hat ihn vererbt bekommen.“ „Aber“, Amy schien noch nicht überzeugt: „Von wem?“ Ich hob meine Hände: „Eine ausgezeichnete Frage, liebste Amber. Ihihihi.“ „Amber“, sprach Alex seine Tochter an: „Du kennst Skyler am besten. Ist jemals etwas Ungewöhnliches passiert, als ihr zusammen unterwegs wart?“ Amy legte eine Hand an ihr Kinn und einige Minuten konnte man ihren Kopf förmlich rattern hören. Der angestrengte Gesichtsausdruck der Adelstochter lag gleichzeitig in besorgten Falten. „Nein“, schüttelte sie schließlich den Kopf: „Sky war immer ein bisschen seltsam. Sehr ruhig. Verschlossen, wenn nicht sogar eigenbrötlerisch. Doch das habe ich alles auf ihre Familiengeschichte gemünzt. Die war nicht schön. Die ersten zwei Schuljahre war Sky sogar in Therapie. Danach ging es besser. Aber… ganz normal wurde sie nie. Doch sie war nie in dem Sinne ungewöhnlich wie… wir.“ Ich zog die Augen ein Stück zusammen. Dass das junge Ding nach ihrer Familiensituation professionelle Hilfe nötig gehabt hatte, konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. Ich war ein weiteres Mal froh, dass es sie aufs Weston Ladys College verschlagen hatte. Dort wurde das Wohl der Schüler wenigstens ernst genommen und dafür gesorgt, dass sie die Hilfe bekamen die sie nötig hatten. Was aus dem jungen Ding wohl ansonsten geworden wäre? Wahrscheinlich hätte ich sie irgendwann zu Tode gefixt oder ermordet nach einer langen Laufbahn in etlichen Professionen denen man niemandem wünscht, auf dem Tisch gehabt. Doch aus ihr war eine atemberaubende, wenn auch recht in sich gekehrte, junge Frau geworden. „Gut“, machte Charlie: „Zumindest mehr oder weniger. Doch was nun?“ Ich schaute den Butler an: „Warum fragen wir nicht den Dämon in unserer Runde. Hehehehe. Eigentlich hättest du den Fluch förmlich riechen müssen, Butler.“ Doch Sebastian schüttelte den Kopf: „Ich muss verneinen, Undertaker. Ich habe nichts Ungewöhnliches an Lady Rosewell bemerkt.“ „Aber warum?“, lehnte sich Lee in seinen Sessel zurück. Frank drückte seine Zigarette aus: „So etwas ist noch nie passiert. Ansonsten hat Sebastian Flüche immer bemerkt.“ Mein Kopf fiel zur Seite. Das war wahr. Skyler war nicht die erste Verfluchte, die Sebastian und mir über den Weg gelaufen war. Doch auch auf mich hatte das junge Ding anfangs ganz normal gewirkt: „Mysteriös. Hehehe.“ „Unbehaglich“, erwiderte der Butler: „So etwas sollte nicht möglich sein. Was bringt euch zu der Überzeugung sie könnte einen Fluch geerbt haben?“ „Sie hat ein äh...“, Ronald wedelte mit einer Hand: „Fluch… Dingens.“ „Fluchdingens?“, lachte der Butler kalt: „Ihr sprecht nicht zufällig von einem Fluchmal, oder?“ „Öh“, Ronald nickte: „Ich glaube schon.“ „Tun wir“, blitzte William den Dämon kalt an: „In ihrem Nacken.“ „Wie sieht es aus?“, fragte der Butler nach. „Eine Kombination aus dem Symbol für Chaos und Ordnung. Ehehehehe.“ „Ungewöhnlich“, neigte der Butler den Kopf: „Diese Kombination passt zu keiner Familie, die ich kenne.“ Ich nickte grinsend: „Tehehe. Ich sah es auch zum ersten Mal.“ Grell seufzte: „Die Sache bleibt also ein Rätsel...“ Auch Fred seufzte: „Das ist eigentlich jetzt auch egal. Es gibt verschiedene Arten von Flüchen, oder? Duvall erzählte das mal.“ „Ehehehe. So viele Arten, wie es Sterne am Himmel gibt. Dämonen sind recht vielfältig in der Art wie sie Menschen verfluchen können.“ „Lediglich die Stärke des Dämons schränkt ihn ein“, führt der Butler weiter fort: „Je stärker der Dämon, desto... extravaganter kann ein Fluch ausfallen. Unglück, ein verändertes Aussehen, hohe Empfindlichkeiten, oder Immunitäten, Nachtsicht, gesteigerte oder gehemmte körperliche oder geistige Attribute sind Klassiker. Doch immer werden die Betroffenen affine gegenüber Dämonen.“ Alex wandte das Gesicht zu seinem Butler: „Gibt es irgendwelche Regeln die Dämonen folgen müssen, wenn sie einen Fluch aussprechen?“ „Nein“, schüttelte der teuflische Butler den Kopf: „Auch hier beschränkt die Kraft des Dämons das Maß der Möglichkeiten. Ein Fluch ist nicht recht zu steuern. Selbst die Dämonen wissen oft nicht was am Ende geschieht. Genauso oft ist es ihnen auch recht egal.“ Lee machte beim Auspusten einer dünnen Qualmwolke ein Geräusch und erhob das Wort: „Duvall hatte doch einen ganz besonderen Fluch, oder? Wie hieß der nochmal?“ Ich lachte auf: „Nehehe. Wiccacurse.“ „Das heißt?“, stöhnte Frank und steckte sich auch schon die nächste Zigarette an. „Hexen“, lächelte der Butler: „Einer der wenigen namentlich benannten Flüche, was nicht heißt, dass er immer gleich ausfällt. Hexen bekommen dämonische Fähigkeiten, die Menschen gerne mit Magie umschreiben. Allerdings sind sie Dämonen immer noch stark unterlegen. Dafür sind die Nachteile massiv. Beispielsweise ist Duvalls Aussehen rabiat verändert, sie hat unglaublich schlechte regenerative Fähigkeiten und ist hoch empfindlich gegenüber Eisen. Des Weiteren kann sie mit ihren Schlangen sprechen, wie ihr Vater. Ein sehr seltener Fluch. Ein Dämon muss mächtig sein um ihn zu wirken.“ „Schön und gut“, erhob Amy das Wort: „Doch Duvall leuchtet für Sebastian auch wie ein Weihnachtsbaum und ist so was von offensichtlich nicht normal! Sky ist total unauffällig. Sebastian hatte keine Ahnung. Sie kann nur die Dämonen spüren, obwohl die die Ketten tragen. Sie sieht weder komisch aus, noch ist sie gegen irgendetwas hochempfindlich oder immun, noch hat sie…“, Amy brach ab und zwinkerte in einer unangenehmen Erkenntnis: „Sie hat furchtbar viel Pech. Sky ist der reinste Unglücksrabe. Sie wird auch unglaublich schnell krank und bleibt es recht lang.“ „Hmmm“, lachte ich: „Eine schlechte körperliche Wiederstandfähigkeit ist ein häufiger Nachteil. Rabe ist auch ein gutes Stichwort, hehehe. Merkenau fühlt nämlich mit dem jungen Ding mit. Ehehehehe!“ Einige Augen wandern zu mir. „Merkenau?“, fragte Heather. „Ah!“, machte Amy: „Der kleine Rabe!“ „Rabe?“, fragte Ronald. Grell verschränkte mit aufgeblähten Wangen die Arme: „Zickiges Mistvieh...“ „Du hast ihn auch halb zu Tode erschreckt. Ehehehe.“ „Das Vieh ist trotzdem zickig!“ Ich lachte weiter: „Merkenau ist nicht zickig. Tehehehehe! Du bist zickig.“ „Stimmt nicht!“ „Hallo!“, rief Frank wütend: „Seid ihr fertig?!“ „Also“, grinste ich: „Wenn du so fragst...“ Charlies Lachen unterbrach mich: „Ach Gott! Also Merkenau ist ein Rabe. Aber was meinst du mit ‚mitfühlen‘?“ „Sobald“, grinste ich weiter: „Das junge Ding den Raben berührt spiegelt er ihre Gefühlswelt. Sie hat sich mal ganz furchtbar geschämt, da ist der kleine Piepmatz einfach, ehehehehe, in ihrer Hand umgefallen! Fu fu fu fu fu!“ „Nicht unüblich“, seufzte der Butler: „Raben und Krähen sind symbolbehaftete Tiere. Genau wie Schlangen, Ratten, Katzen, Wölfe und einige weitere. Es kommt öfter vor, dass solche Tiere auf Verfluchte oder Gesegnete reagieren. Die Menschen haben mit all ihren Errungenschaften einen großen Teil ihrer natürlichen Intuition eingebüßt. Tiere nicht.“ Ich nickte: „Fabelhaft ausgedrückt, Butler. Nehehehehe!“ Alexander wandte sich noch einmal seiner Tochter zu: „War das wirklich alles? Überlege genau. Der Teufel liegt hier wahrscheinlich wortwörtlich im Detail.“ Amy grübelte weiter. Sie überschlug ihre Beine und ihr Fuß hüpfte unstet auf und ab. Nach ein paar Minuten zuckte auf einmal ihr Kopf hoch und mit einem fast erschrockenen Ausdruck streckte sie ihre Wirbelsäule: „Doch! Da war mal was!“ „Was?“, fragte die ganze Gruppe aus einem Munde. Amy schnippste aufgeregt mit einer Hand: „Das… ist schon etwas her. Sky hatte Ärger mit einem Lehrer. Das war vor… oh man… 3 Jahren! An dem Tag, wo es so furchtbar gestürmt hatte, erinnert ihr euch? Ich weiß noch es war mitten am Tag nachtdunklel draußen und es hatte geblitzt und gedonnert. Der Lehrer hatte sie ganz furchtbar angeschrien, ich weiß nicht mehr weswegen. Skyler ist neben mir immer kleiner geworden und ich hatte das Gefühl sie fängt gleich an zu weinen. In dem Moment hatte ein Blitz eine der Fahnenstangen auf dem Hof, direkt neben unserem Fenster erwischt und es war ganz kurz unglaublich hell und laut geworden. Kaum konnten wir wieder sehen, war sie verschwunden! Ich hatte damals gedacht sie ist einfach raus gelaufen, doch müsste sie schon verdammt schnell gewesen sein… Das waren höchstens 1,2 Sekunden in denen wir nichts sehen konnten. Sie hätte auch an mir vorbei gemusst, doch ich hatte nichts bemerkt. Ich hab sie nach dem Unterricht total nass geregnet im Irrgarten hinterm Vampires Castle gefunden. Sie meinte auch sie hatte keine Ahnung wie sie dahin gekommen war“, Amy blinzelte seufzend: „Jetzt wo ich daran denke… Es kam ein paar Mal vor, dass Sky einfach verschwunden ist und immer waren es Situationen gewesen, in denen sie sich echt nicht wohl fühlte. Einmal war es ein angekündigter Besuch vom Jugendamt. Ein anderes Mal hatte sie eine Gruppe Mädchen wegen ihrer billigen Schuhe geärgert und noch 2 oder 3-mal mehr. Ich hab sie immer im Irrgarten aufgelesen, doch sie meinte jedes Mal sie wusste weder was sie dort mache, noch wie sie dahin gekommen sei. Ich hab immer gedacht sie schämte sich und wollte einfach nicht reden. Auch wenn ich mir nie erklären konnte, wie sie verschwinden konnte, ohne dass jemand es gesehen oder gehört hatte. Außerdem war sie nie der Typ fürs wegrennen gewesen. Sie erstarrte eher. Man sah ihr zwar immer an, dass sie am liebsten rennen würde wie ein Hase, doch sie schien irgendwie immer Angst gehabt zu haben, es zu tun.“ Ich schaute von Amy zum Butler. Er hatte überlegend die Hand an ein Kinn gehoben: „Interessant. Ein unterdrückter Fluchtreflex, Angst und Scham. So heftige Gefühlsregungen könnten auslösen was tief in einem schlummert. “ Amy hob die Hände: „Wie gesagt ich bin mir nicht sicher. Sky ist immer noch auf den Straßen des East Ends aufgewachsen. Das wird man nie mehr los. Ich dachte immer sie hat einfach Übung darin sich ungesehen aus dem Staub zu machen.“ Lee lachte auf: „Ja, ja, in der Tat. Auf den Straßen des East Ends hat man entweder die richtigen falschen Freunde oder ist lieber unsichtbar.“ Amy nickte: „Sky war dort unterwegs bis sie 13 war. Von Freunden hat sie mir nie erzählt und ich meine behaupten zu können das Meiste zu wissen. Sie fährt auch in den Ferien nie zurück ins Wohnheim, im Gegensatz zu anderen Stipendiaten, die dort noch Freunde oder Familie haben. Keine Post, keine Email, keine Nachrichten, gar nichts.“ „Dann“, schüttelte Lee den Kopf: „Hat sie gelernt ein Geist zu sein.“ „Und hatte dafür vielleicht die ein oder andere hilfreiche Eigenschaft“, ergänzte Charlie: „Doch im Endeffekt sind das alles nur Vermutungen.“ Das Gespräch ging noch eine halbe Stunde hin und her, ohne weitere Erkenntnisse zu liefern. Es wurde nur immer wieder festgestellt, dass das junge Ding selbst für jemand komischen wie einen Verfluchten komisch war und das Gespräch drehte sich im Kreis. Allerdings waren sowohl Amy, als auch ich der Meinung, dass dieser Fakt diesen Raum vorerst nicht verlassen sollte. So verwirrt wie Skyler war, war sie sicher noch gänzlich mit sich selbst beschäftigt. Es wäre für sie sicherlich alles andere als hilfreich auch noch eröffnet zu bekommen, dass sie noch komischer als komisch war. Ich machte mir Sorgen. Denn auf Amys Frage wo Skyler jetzt sei, konnte ich nicht antworten. Das Mädchen war noch nicht wieder aufgetaucht. Die junge Adelstochter wollte zu ihrer Freundin, allerdings wirkte auch sie mittlerweile reichlich neben sich. Man sah ihr an, dass sie genau wusste wie ihre beste Freundin sich fühlen musste und ein gewisses Stück mit ihr litt. Heather mahnte Amy, dass sie sich erst selbst beruhigen müsse, um Sky helfen zu können und ging mit ihr nach besagter halben Stunde aus dem Raum. Fred seufzte schwer: „Kann sie jetzt nur Dämonen spüren und das war‘s, oder auch verschwinden? Wir sind keinen Schritt weiter gekommen!“ „Das“, lachte ich: „Gilt es herauszufinden. Hehehehe.“ „Wie? Wir brauchen Gewissheit“, fragte der junge Phantomhive. „Ich setzte Duvall darauf an“, seufzte Alexander: „Sie hat da Ahnung. Sebastian! Ich möchte, dass du Duvall zur Hand gehst, sollte sie deiner Unterstützung bedürfen.“ Der Butler verneigte sich: „Ja, mein Lord.“ „Gut“, Alexander seufzte: „Das ist zwar eine ziemlich unvorhergesehene Wendung und ich hätte gerne mehr Antworten, als Fragen gehabt, doch sehen wir es positiv. Skyler hat uns allen vorweg einen immensen Vorteil. Denn sie weiß wann ein Dämon in der Nähe ist, im Gegensatz zu uns.“ Ich nickte lachend: „Hehehe! In der Tat, in der Tat. Ich war so frei uns das zu Nutze zu machen.“ Frank bekam schmale Augen: „Was in drei Teufels Namen hast du mit dem Mädchen vor?“ Ich hob lachend eine Hand: „Vertraust du mir denn gar nicht, werter Frank? Tehehe.“ „Nicht ansatzweise“, gab mir der Deutsche kalt zurück. Ich seufzte ein weiteres Mal gespielt: „Herrje. Das habe ich einfach nicht verdient. Hehehe!“ „Doch“, grummelte der Baron: „Hast du. Was hast du vor?“ Ich legte meine Finger an meine Brust: „Nicht schlimmes, mein Lieber. Ehehehehe! Ich habe unsere kleine Skyler lediglich angehalten bei Amy zu bleiben. Den Umständen mit den Trancys entgegensehend, wäre alles andere eine achtlose Verschwendung wertvoller Ressourcen, findest du nicht Frank? Ronald hatte dazu den fabulösen Vorschlag ihr unsere Telefonnummern mitzugeben, damit sie uns alarmieren kann sollte es zu gewissen, ehehehehe, unangenehmen Besuchen kommen. Ich dachte dies sei in deinem Wille, Earl. Nehehe.“ Der Earl Phantomhive nickte: „In der Tat. Das ist in meinem Sinne. Gut. Undertaker, Ronald, wir machen es so. Ich hoffe nur es kommt nicht zu… unangebrachten Heldentaten.“ „Jup“, machte Ronald: „Das könnte in die Hose gehen.“ Ich schaute Ronald an: „Die Mädchen sind nicht blöd.“ Ronald zog eine Augenbraue hoch: „Habe ich das gesagt?“ „Es schwang so mit, hehehe.“ „Nein, tat es nicht“, seufzte der blonde Reaper: „Chill mal.“ Ich breitete die Arme aus: „Ich bin tiefenentspannt, Ronald! Wie immer! Ahahahaha!“ „Tiefenentspannt“, lachte Frank abfällig: „Wann warst du hyperaktiver Irrer denn bitte das letzte Mal tiefenentspannt?“ „Ich bin es immer! Nihihihi!“ Frank rollte kopfschüttelnd mit den Augen: „Sagt er und lacht wie ein Clown auf Crack...“ Diese Aussage brachte mich dazu schriller zu lachen: „Gihihihihi! Was du nur für ein Bild von mir hast!“ „Kein gutes“, fauchte der strenge Deutsche zurück, was ich auch nur wieder herzlich belachte. Ronald warf die Hände nach oben: „Ihr seid wie ein altes Ehepaar!“ Ich lachte. Doch Frank zog Ronald dafür wortlos seinen Queue über den Schädel, was mich noch mehr zum Lachen brachte. Alex schüttelte irgendwann lachend den Kopf: „Ihr seid wahrlich unglaublich.“ Frank schaute ihn böse an und dann ebenso böse zu Charlie, der hinter ihm zu kichern angefangen hatte. „Sind wir durch, Earl?“, fragte Ronald nachdem er ausgiebig seine zweite oder dritte Beule dieses Tages gerieben hatte: „Ich will noch was machen, solange ich hier bin.“ Alex seufzte seicht: „Sind wir, Ron. Was hast du denn noch vor?“ Der Blonde schnippste in seine Richtung: „Trainieren!“, dann drehte er sich zu mir: „Du hast es mir versprochen!“ Ich kicherte: „Tihihi. In der Tat. Von mir aus.“ Der Blonde sprang auf: „Los! Dann komm!“ Keine 10 Minuten später standen wir auf dem grünen Rassen der Phantomhives und hieben mit unseren Death Scythes aufeinander ein. Grell war uns gefolgt, doch lag er nur, einen aufklappbaren Handreflektor unter dem Kinn und seine Nase in der Abendsonne in einer Gartenliege und schlürfte die rote Brille in die Haare geschoben Cocktails, die er sich nur aus dem Grund orderte um Sebastian immer und immer wieder antanzen zu lassen und ihn belagern zu können, was wie immer nur in Ablehnungen und Beulen endete. Ich stellte fest, dass Ronald sich gemacht hatte. Er war kein Vergleich mehr zu dem ungestümen Jungspund der auf der Campania den fatalen Fehler begangen hatte Sebastian als leichten Gegner zu interpretieren. Der junge Mann hatte Talent. Schon damals. Doch mittlerweile schaffte er es sein bloßes Talent auch mit einer gewissen Taktik zu unterstreichen. Trotz allem war der junge Reaper noch nicht dort abgekommen wo er hin wollte. In Vergleich zu William und Grell war er immer noch ein recht kleines Licht. Was nicht hieß, dass er nicht gut war. Grell und William waren einfach ungemein stark, hatten ebenfalls viel Talent und um die 100 Jahre mehr Erfahrung als er. Obwohl Ronald regelmäßig Nase oder Allerwertesten voran im Gras landete, rappelte er sich jedes Mal wieder auf und stürmte erneut auf mich zu. Mit dieser Beharrlichkeit und diesem Ehrgeiz zeigte der junge Schnitter ein weiteres Mal, dass er durchaus Potential zu Höherem hatte. Ich wünschte ihm, dass er seine jugendliche Energie noch lange behielt. War ich ganz ehrlich mit mir selbst, so lobte ich mir doch diese kleinen Trainingseinheiten mit dem jungen Schnitter. Ich merkte gar nicht wie rasch die Zeit verstrich und das schon bald die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war. „Nicht so fest, verdammt!“, rief er zum wiederholten Male aus, ohne es wirklich zu meinen, als er sich recht unsanft ins Gras gesetzt hatte. Ich wusste, dass Ronald eine Behandlung mit Samthandschuhen von mir weder erwartete, noch wollte. Ich gab nicht alles was ich konnte, schließlich wollte ich den blonden Reaper an einem Stück lassen, doch konnte ich mittlerweile wesentlich härtere Bandagen aufziehen, als es noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen war. Die Entwicklung des Jungspunds gefiel mir. Also lachte ich los, als er sich abermals auf die Füße gerappelt hatte: „Stell dich nicht so an! Ahahahahaha! Du wolltest trainieren. Dann gebe dir auch Mühe!“ Mit einem Satz war ich bei ihm und meine Sense krachte auf seinen Rasenmäher. Ron ächzte während er es mittlerweile viel öfter schaffte sich aus meiner Sense zu drehen. Doch nach einigen Schlagabtauschen haute ich ihm den Totenschädel meiner Sense auf die schwarz behandschuhten Finger. „Au! Au, au, au!“, jammerte Ron und wedelte mit seiner lädierten Hand: „Man, verdammt!“ Doch er hob seinen Rasenmäher über seine Schulter und lief auf mich zu: „Ich krieg dich noch!“ Mit einem Lachen tauchte ich unter dem schweren Gartengerät hinweg, drehte mich um ihn und haute ihn den Totenschädel auf den Hinterkopf: „Ehehehe! So nicht.“ Ronald wirbelte herum, schluckte gekonnt den Schmerz hinunter und schlug ein weiteres Mal mit seinem aufheulenden Rasenmäher auf mich ein. Seine drehenden Messerbalken vibrierten auf dem Kopf meiner Sense und schlugen Funken auf ihrem Metall. Ich lachte auf, zog unsanft meine Sense nach oben, was den Reaper samt Sichelmäher nach hinten kippen ließ. „Wieso?“, blieb Ronald liegen: „Was mache ich falsch?“ Er setzte sich auf und musterte seine Death Scythe: „Ist was mit meiner Death Scythe nicht in Ordnung?“ Ich ließ meine Sense verschwinden: „Ehehehehe. Steck sie weg.“ Sein Umgang mit dem doch recht unhandlichen Kampfwerkzeug war ausgezeichnet. Doch ihm fehlte definitiv Erfahrung im direkten Zweikampf. Solche Erfahrungswerte schlugen sich ebenfalls auf die Führung von Waffen nieder, auch wenn einige meiner alten Schüler das nie so recht verstehen wollten. Außerdem gab es immer die Möglichkeit seine Death Scythe im Kampf zu verlieren. Konnte man sich dann nicht ordentlich verteidigen, stand man im übertragenen Sinne nackt im Wind. „Was?!“, rief Ronald aus und schaute mich schon fast pikiert an: „Ich stecke doch nicht meine Death Scythe weg! Ich will noch nicht sterben, verdammt!“ Ich schüttelte lachend den Kopf, als ich meine Arme verschränkte. Ich wusste, dass er diesen Ausruf nicht ernst meinte, doch ein weiteres Mal stand ich einem altbekannten Unverständnis gegenüber. Auf ihre Death Scythe verließen sich die Shinigami viel zu sehr. Ein Grund warum ich im Kampf oft meine Sotoba vorzog. Es war gefährlich sich so einzuschränken: „Ehehehe. Herrje, herrje. Mit deiner Death Scythe ist alles in Ordnung. Du bist das Problem.“ Rons Schultern sackten ein Stück ab und sein Kopf fiel hinunter: „Ja… Eigentlich weiß ich das...“ Ich seufzte in Anbetracht der sich anschleichenden Frustration und legte ihm eine Hand auf den kurzen Schopf: „Schau nicht so schwer. Das ist ja furchtbar! Ehehehehe, du bist jung, Ronald. Da kann noch viel passieren.“ „Da muss viel passieren...“, seufzte der Jüngling: „Ich hänge William und Grell immer wie ein Klotz am Bein...“ Ich seufzte ein weiteres Mal, nur dieses Mal innerlich. Ronald war niemand, der noch einen Babysitter brauchte. Er war nur viel zu viel mit Grell und Will unterwegs, die ein oder zwei Kampfklassen über ihm lagen und musste sich folglich auch mit ihren Problemen herumschlagen. Dafür schlug er sich bei weitem mehr als nur ordentlich. „Das hast du gesagt“, schwebte Grells Stimme zu uns herüber. Vielleicht war der Rothaarige doch nicht nur hier, um einen schlechten Grund zu haben Sebastian zu sich zu locken. Ich hatte das Gefühl für Grell war Ronald fast so etwas wie ein kleiner Bruder. „Tehehehe! Ich glaube auch nicht, dass es so schlimm ist“, stimmte ich Grell zu: „Ehehehe. Du hast Talent, Ronald. Es fehlt dir lediglich noch ein bisschen an Übung.“ „Ich weiß… ich müsste viel geübter sein...“, nahm der Junge das Lob nicht an und kritisierte sich weiter selbst am härtesten. „Woher willst du die denn haben?“, schlürfte Grell seinen Cocktail zu Ende, wodurch er teilnahmsloser wirkte, als er war: „Wie gesagt, du bist noch jung.“ „Aber...“, fing Ronald wieder an, doch ich stoppte ihn, als ich mit meiner Hand seine Haare zerwuschelte: „Nichts aber. Höre auf dich zu beschweren und steh auf. Death Scythe weg! Ehehehe! Du bist gut mit ihr, aber du musst deinen Körper besser unter Kontrolle bekommen und deine Reflexe müssen besser werden.“ Mit einem leichten Widerwillen im Gesicht entließ Ronald endlich seinen Rasenmäher und richtete sich auf: „Das wird jetzt richtig wehtun, oder?“ Ich lachte: „Tihihihi! Wahrscheinlich.“ Direkt im Anschluss zog ich mein Bein hoch. Wenn ich sagte er brauche bessere Reflexe kann er davon ausgehen, dass ich mit ihm eben dieses trainieren werde. Komme was da wolle. Doch Ronald schaffte es seine Arme zwischen meinem Absatz und seiner Nase zu bringen. Obwohl er ein ganzes Stück über den Rasen nach hinten schlitterte, wurde mein Grinsen weiter angetan von Ronalds schneller Reaktion. Der Jungspund schüttelte seine Arme aus. Eine Unachtsamkeit, die ihm in einem richtigen Kampf teuer zu stehen kommen könnte. Also erschien ich direkt vor seiner Nase und schlug nach ihm. Ronald wich mir aus und beugte sich in einer flüssigen Bewegung nach vorne, um mir in die Magengrube zu schlagen. Gut reagiert, doch zu vorhersehbar. Ich verschwand, tauchte hinter ihm auf und beförderte ihn mit meinem Fuß in seinem Rücken erneut ins Gras. „Autsch…“, machte er die Nase im Rasen: „Jetzt weiß ich warum man als Mann Absätze trägt… Tut das weh...“ Ein Klatschen unterbrach uns: „Meine Herren?“ Ich schaute über die Schulter und erblickte Sebastian gefolgt von Amber und der jungen Skyler. Ich war unglaublich erleichtert zu sehen, dass Amy ihre beste Freundin wieder gefunden hatte und das junge Ding zumindest körperlich wohlauf zu sein schien. Doch in ihr drinnen herrschte immer noch Chaos. Es stand ihr so deutlich in dem schönen Gesicht. Plötzlich segelte Grell durch mein Sichtfeld: „Bassy!~♥“ Doch Sebastian schritt zur Seite, fing Grells durch die Luft fliegendes Glas und der Rothaarige machte einen unfreiwilligen Köpfer in den Rasen. Sicherlich zum 4 oder 5-mal an diesem Abend. „Das Abendessen ist angerichtet“, sprach der Butler als würde Grell gar nicht existieren. Ich zog Ronald auf die Füße. Nun nahm er sich die Zeit sich ausgiebig seine Unterarme zu reiben, die ich doch sehr hart getroffen hatte: „Machen wir nach dem Essen weiter?“ Ich lachte ihn an: „Ehehehe! Wenn du mich bezahlen kannst?“ „Komm schon!“, zeterte der Blonde: „Lass mich anschreiben!“ „Anschreiben? Pahahahahaha! So läuft diese Welt nicht. Das weißt du“, warum gönnt mir eigentlich niemand ein bisschen Spaß? „Komm schon. Du bist doch nun wirklich nicht von dieser Welt!“, bettelte der junge Reaper weiter. Mit einem hinter meinem Lachen versteckten Seufzen schüttelte ich den Kopf: „Wahrscheinlich hast du damit recht. Tehehehe. Weil du es bist.“ „Juhu!“, rief der junge Reaper aus: „Aber jetzt hab‘ ich Hunger!“ Grell war derweilen wieder aufgestanden: „Ihr seid hier auch schon eine Weile zugange.“ „Oh ja!“, Ronald schlenderte Richtung Eingang: „Irgendwann Undertaker! Ich sage es dir!“ Ein weiteres Mal kam ich nicht herum seinen Eifer stumm zu loben. Ich ging zu Grell, Sebastian, Amber und der hübschen Skyler. „Macht er sich gut?“, fragte Grell, worauf ich nickte: „Hehehe. Er lernt recht schnell.“ „Du gibst dir wirklich viel Mühe mit ihm“, verschränkte mein alter Freund die Arme. „Tehe. Wie gesagt, er hat Talent und er ist lernbegierig und vor allem -willig. Eehehehehe.“ Nur allzu oft hatte ich erfahren, dass Schüler sich dachten Erfolg käme von alleine und ein hoch angesehener Lehrer sei alles was man dazu bräuchte. Ronald hatte von Anfang an verstanden, dass dem nicht so war. „Trotzdem kriegt er für seine Mühe von dir nur auf die Nase“, schüttelte der Rothaarige den Kopf: „Ich wäre frustriert.“ „Vergeudete Anstrengung ist eines der Privilegien der Jugend“, hob ich meinen beringten Zeigefinger: „Wer lernen will, muss Einstecken können. Nehehehehe!“ „Den Spruch hast du auch mir schon mal gedrückt“, Grell verschränkte wieder die Arme: „Man, war ich sauer auf dich.“ „Es ist wie es ist“, lachte ich in an und aus. „Ich hätte nie erwartet, dass du Ronald als Schüler nimmst. Dein Letzter ist schon ein paar Jahre her.“ Etwas zuckte für einen Bruchteil einer Sekunde scharf durch meine Brust, doch blieb mein Grinsen davon unerreicht: „Und er ist tot. Mein Schüler zu sein ist kein Garant für irgendetwas. Außerdem, ehehehehe, würde ich nicht so weit gehen und ihn als meinen Schüler bezeichnen.“ „Was soll er denn sonst sein?“, schnauzte Grell verständnislos. „Ich löse Schulden ein. Tehehe. Das ist alles. Das sich Ronald immer dasselbe von mir wünscht, ist seine Angelegenheit.“ Der feminine Reaper seufzte: „Du gibst dir zu viel Mühe mit ihm und bist viel zu verständnisvoll, als das du nur Schulden bezahlst. Außerdem lässt du ihn anschreiben! Ich muss immer bezahlen! Im Voraus! Genau wie alle anderen auch! Er ist dein Schüler und du legst Wert darauf, dass er den vorangegangenen nicht folgt. Er ist so eifrig in seinem Bestreben mit uns mitzuhalten und so ungeduldig mit sich selbst. Der einzige Grund warum er noch nie resigniert hat ist, dass du nicht zulässt, dass er es tut. Du bist viel zu faul um dir bei irgendjemanden bei dem du ‚nur Schulden bezahlst‘ die Mühe zu machen, dass seine Gefühlswelt nicht vor die Hunde geht.“ „Nenne es wie du möchtest“, wollte ich diese Diskussion eigentlich beenden. Ich wollte keine Schüler mehr haben. Die Verantwortung war mir viel zu lästig. Doch Amber war mit dem Thema wohl noch nicht fertig: „Schlägt er sich wenigstens besser als die anderen?“ Ich drehte den Kopf lachend zu der jüngsten Phantomhive: „Schwer zu sagen. Ehehehe. Viele waren nicht schlecht.“ „Sie waren sicher akzeptabel stark“, richtete ich meine Augen auf das kalte Lächeln des Butlers. Grell hatte ihm sicher wieder irgendetwas erzählt. Der Butler war geschickt darin den roten Reaper um den Finger zu wickeln. Es war, zugegeben, auch nicht sonderlich schwierig. Doch ich grinste dem Butler ungerührt entgegen: „Du machst dir gar keine Vorstellung, Dämon. Nehehehehehe! Jeder von ihnen hätte dir unsagbare Probleme bereitet.“ Schließlich redeten wir hier unter anderem von den anderen 9 Alten. Ich war mir ziemlich sicher, der Butler war sich dessen auch bewusst. Doch immer noch blitzte das Lächeln des Dämons falsch und scharf: „Wenn du es sagst.“ Grell seufzte hörbar: „Oh bitte. Keine tragischen Geschichten.“ Ich lachte. Ich hatte auch keine Lust auf diese alten Geschichten. Also suchte ich mir mit einem Blick in das müde Gesicht der schönen Skyler ein neues Thema: „Tehe. Du siehst immer noch nicht besser aus, meine schöne Puppe.“ Sie nickte zögerlich: „Es… es geht...“ Ich schüttelte, immer noch grinsend, den Kopf: „Keine gute Nachricht. Doch glaube mir, hehe, morgen sieht die Welt auch wieder ein Stück anders aus. Wenn du erst einmal ordentlich gegessen und geschlafen hast.“ „Also… eigentlich...“, begann sie und ich wusste ein weiteres Mal worauf es hinaus laufen wird. Der Butler hatte wohl denselben Gedanken, ließ Sky aber noch nicht einmal aussprechen: „Lasst uns weiter. Das Essen wird ansonsten kalt.“ Wir gingen in die Villa und verschwanden in einem Waschraum, bevor es weiter zum Speisesaal ging. Sky und Amy verschwanden im rechten und Grell mit mir im linken. Irgendwann begann Grell zu lachen, als ich damit beschäftigt war mir Erde mit einer Nagelbürste aus meinen langen Fingernägeln zu schrubben. Meine Augen wanderten zu ihm herüber: „Hehe. Was ist so lustig? Ich will auch lachen. Fu fu fu.“ Grell kicherte weiter: „Ich musste gerade daran denken, dass du dir natürlich aus den abertausend Mädchen auf dieser Welt eine Verfluchte aussuchen musstest.“ Ich wechselte die Hand: „Tehe. Das scheint dich ja reichlich zu beschäftigen.“ „Klar!“, machte Grell, als wäre es selbstverständlich: „Du bist verliebt! Das ist sowas wie das 8 Weltwunder!“ Ich seufzte: „Wenn du meinst.“ Grell trocknete sich die Hände ab: „Warum so grummelig, Undertaker?“ Ich legte die Bürste bei Seite: „Naja. Ehehehe. Es wäre eher das 8 Weltwunder, wenn...“, ich brach ab. Meine Augen fielen ein Stück weiter nach unten. Grell beugte sich zu mir und lehnte sich auf mein Waschbecken: „Weeeeeeeenn?“ Ich seufzte, verschränkte meine Finger und machte mit schmatzenden Geräuschen kleine Seifenblasen aus meiner Handwaschseife: „Hmmm… Wenn… ich mit meinem Gefühl nicht alleine wäre.“ Grell ließ mit einem Zeigefinger die Seifenblasen platzen: „Was hält dich davon ab dem Kind einen Namen zugeben, hm? Du bist doch ansonsten nicht auf den Mund gefallen.“ Mit einem weiteren Seufzen wusch ich mir die Seife von den Händen. Das warme Wasser knisterte durch meine Finger: „Ich kann es dir nicht sagen, Grell.“ „Das kommt ebenfalls sehr selten vor.“ „Ich weiß, doch… es ist gerade so. Ich habe keine Ahnung was ich sagen soll. Wie ich das alles beschreiben soll. Was ich mir...“, mein Satz endete in einem dritten Seufzer. „Was du dir wünschen sollst“, vollendete ihn Grell für mich. Ich nickte, drehte den Hahn zu und schnappte mir ein Handtuch. „Sprich es an.“ Mein Kopf zuckte zu ihm: „Bitte?“ „Du sollst sie darauf ansprechen“, sprach Grell überbetont. Eine meiner Augenbrauen wanderte nach oben: „Und dann?“ Grell hob die Hände: „Mal sehen.“ Jetzt lachte ich doch wieder: „Hehehe. Das klingt nicht nach einem durchdachten Plan.“ „Das Leben ist ein Spiel, Undertaker. Gerade für jemanden wie dich.“ „Das ist wahr“, nickte ich, als ich das Handtuch weg hing: „Doch ich verliere nicht gerne. Tehehe.“ Grell verschränkte die Arme: „Sonst bist du doch auch mehr als nur risikofreudig. Warum jetzt nicht? Was hast du denn zu verlieren?“ Ich ging an dem roten Reaper vorbei zu Türe: „Würde, Ehre, Anstand. Nehehe!“ Grell folgt mir mit einem Seufzen auf dem Waschraum: „Wenn du denkst, dass du das noch hast...“ Wir gingen an dem Butler vorbei, der offenbar auf die beiden Damen wartete. Ich wollte mich in dem Speisesaal auf meinen üblichen Platz neben Lee setzten, doch Grell hielt mich fest. Er zog mich zu dem Platz neben seinen, der nicht gedeckt war, da Sebastian genau wusste wer wo saß und wir unsere Sitzplätze eigentlich auch nicht wechselten. Nur als die kleine Skyler dazugekommen war, war ich einen Platz nach links gerückt um ihr Platz neben ihrer besten Freundin zu machen. Ich setzte mich dorthin wo Grell mich haben wollte und er drehte meinen Stuhl mit der Lehne zu sich. Er griff meine Haare und begann sie zu flechten: „Ich bin immer noch der Meinung du solltest das machen“, sprach Grell überraschend leise für seine sonst immer so überschäumende Art. Ich wackelte mit meinem grinsenden Kopf. „Hey! Still halten! Nein ehrlich. Eigentlich ist es doch genau das, was du tun willst.“ Ich nickte. Eigentlich wollte ich das wirklich, doch wusste ich nicht wie. Ich war einfach nicht gut in solchen Dingen. „Still halten! Wenn jemand anders in deiner Situation wäre, würdest du genau dasselbe sagen wie ich.“ Ich nickte wieder. Doch hätte ich nur allzu gerne Grell würde einfach gar nichts sagen. „Nicht bewegen, man! Haaa… Mach es doch nicht so kompliziert. Eigentlich ist es doch ganz einfach.“ Ich nickte wieder grinsend. Es war ganz einfach und auch wieder so gar nicht. „Kannst du endlich den Kopf still halten? Es passt nicht zu dir etwas nicht zu tun, was du eigentlich tun willst.“ Ich nickte wieder. Zum Teil, weil es stimmte und zum Teil um Grell zu ärgern. Er zog schroff an meinem Zopf: „Lass das! Wenn du es gemacht hast, musst du es mir erzählen, ja?“ Wieder nickte ich. Gleichzeitig hoffte ich, dass Grell endlich damit fertig war auf mich einzureden. Es achtete keiner sonderlich auf uns. Lee redete mit Fred, das Ehepaar Phantomhive mit den beiden Deutschen, William redete eigentlich mit Ronald, doch eher mit sich selbst, da seine Ausführungen, die sich in Anbetracht der Todesliste in seiner Hand wohl auf die Arbeit bezogen, den blonden Reaper eher einzuschläfern schienen und Sebastian war noch mit den Mädchen unterwegs. Trotzdem wollte ich nach Möglichkeit nicht, dass es noch mehr Leute mitbekamen. Grell und Ronald reichten. Vollkommen. Das konnte mit den Beiden noch sehr, sehr heiter werden. Die Türe ging auf und der Butler kam mit den beiden jungen Damen in den Speisesaal. Kaum waren die Mädchen eingetreten verschwand der Butler, wahrscheinlich um das Abendessen zu holen. Amy zog Sky mit sich und setzte sie neben sich. Unbegeistert musterte die schöne Brünette die vielen mitleidigen Gesichter. „So!“, warf Grell den Zopf über meine Schulter: „Fertig! Noooah! Es steht dir!~♥ Du solltest viel öfter was mit deinen Haaren machen!“ Ich stand auf, schob den Stuhl unter den Tisch und schaute noch einmal zu Grell: „Nihihihi! Denkst du das, ja?“ „Jaaaaa!“ „Thihi! Ich denke darüber nach“, ging ich um die lange Tafel herum und setzte mich auf den freien Platz zwischen Sky und Lee. Ich lächelte das junge Ding an: „Hast du dich noch ein wenig mehr beruhigen können?“ Sie atmete durch: „Ja… Ein bisschen zumindest.“ Aus meinem Lächeln wurde ein Grinsen: „Das ist gut. Ehehehe. Wirklich. Der erste Schritt in die richtige Richtung. Der Zweite wäre...“ Plötzlich drehte sich das junge Ding um. Sebastian war hinter ihr aufgetaucht. Sie hatte den Butler prompt bemerkt, obwohl auch er einer meiner Ketten trug. Ich wusste, dass sie funktionierten, denn ich spürte niemanden an und um den Tisch. Skys Fähigkeit Dämonen zu entdecken war wirklich erstaunlich. Der Butler lächelte sie mit geschlossenen Augen an: „Etwas zu speisen.“ Ich giggelte auf Grund der Erkenntnis, dass der Butler und ich dasselbe zu denken schienen. Sebastian begann bei Alexander mit dem servieren: „Ich darf servieren: Jakobsmuscheltatar in Sherry. Serviert mit geräucherter Blumenkohl, Blumenkohlcreme und gegrillte Shiitakepilze. Dazu gereicht ein Litmus White Pinot Jahrgang 2013 aus den nördlichen Ländereien von Surrey. Ich wünsche besten Appetit.“ Sebastian war ein ausgezeichneter Koch. Obwohl sein Essen ebenso ausgezeichnet aussah wie roch, verschmähte ich es.Aus dem einfachen Grund, dass ich nie auf die Idee kommen würde Leichen zu essen. Der Butler wusste um diesen Umstand natürlich Bescheid, wie es sich für einen guten Butler nun mal gehörte, woher auch immer er das wusste. So landete vor meiner Nase ein Teller voller Kekse. Ich lachte und rieb mir die Hände in Vorfreude auf Sebastians selbstgebackene Biskuits. William legte die Liste weg und lieferte sich mit dem Dämon ein kurzes Blickduell. Anschließend weckte er Ronald, indem der Teller des blonden Reaper krachend auf dem Tisch landete. Der junge Reaper kippte fast mit seinem Stuhl nach hinten, fing sich aber japsend und schaute den Butler böse an. „Pardon“, lächelte Sebastian mit geschlossenen Augen und Ronald hielt einfach den Mund, wissend das es nichts gab was er kontern konnte. Diese Szenerie belustigte mich ungemein. Grell versuchte ein weiteres Mal mit dem Butler zu flirten, doch der Butler ließ ihn wie gewohnt abblitzen. „Guten Appetit“, lächelte Alexander und nachdem es ihm jeder gleichgetan hatte, verfiel die Gruppe in ein lockeres Reden und Essen. Es war friedlich. Nach dem anstrengenden Tag, angenehmes Gefühl. Doch nur die junge Skyler schien die entspannte Atmosphäre nicht zu erreichen. Während ich meine Kekse knusperte, sah ich wie sie ihr Essen musterte und nicht so recht zu wissen schien, was sie damit tun sollte. „Nihihihi“, lachte ich reichlich unelegant mit vollem Mund und schluckte meinen Keks hinunter, nachdem die schöne Brünette ihr feines Gesicht zu mir gedreht hatte: „Wartest du darauf, dass sie wieder lebendig werden?“ Sie schaute wieder auf die Muscheln auf ihrem Teller: „Ich… ähm.“ Dann fuhr ihr Kopf wieder herum. Sebastian beugte sich zu ihr herunter: „Kann ich behilflich sein, Lady Rosewell?“ „Ööööhm...“, schob sie ihren Kopf von dem des Butlers weg: „Ich wüsste nicht wie.“ Ich schon. Der Butler auch. Denn er hob einen Silberlöffel in die Luft: „Nun, ich könnte...“ „Nein!“, entfuhr es der jungen Skyler: „Vergiss den Gedanken bevor du ihn zu Ende denkst, Sebastian!“ Der Butler richtete sich auf und verschränkte nachdenklich die Arme: „Aber wie bekomme ich sie ansonsten zum Essen, Lady Rosewell?“ „Hört doch auf damit“, klagte Sky wie schon am Frühstückstisch. Sie griff meinen Arm und schüttelte mich: „Hilf mir, man!“ Mein Keks rutschte aufgrund des plötzlichen Schüttelns aus meinen Fingern und ich fing ihn, nachdem er mit dreimal mit einem Salto wieder aus der Hand gehüpft war. Ich legte ihn auf meinen Teller: „Oh, natürlich helfe ich dir. Ehehehehehe! Zu jeder Zeit, meine Schöne. Ihihihihi!“ Ich griff mir ihre Arme. Leider hatte sie sich den falschen Verbündeten für ihre Absichten ausgesucht. Nach dem Frühstück hätte sie sich das eigentlich denken können: „Sebastian? Du kannst. Ehehehehehe!“ „Hey!“, protestierte sie und wandte sich in meinen Griff. Das junge Ding war so possierlich schwächlich. Der Butler tat ein wenig Tatar auf den Löffel, nachdem er lächelnd genickt hatte. Ein Lächeln in Anbetracht seiner Absichten, die aus Skylers Position definitiv diabolisch war. Man sah dem Butler an, wie gut er sich dessen im Bilde war. „Oh! Bitte nicht nochmal! Das ist vollkommen entwürdigend!“, zeterte das junge Ding: „Undertaker, du treulose Tomate!“ „Iss einfach selbst und deine Schmach hat ein Ende. Ehehehehehehe!“, konterte ich lachend. Ich war nicht treulos. Ich war ehrlich besorgt! „Hier kommt der Zug“, setzte Sebastian lächelnd der Situation die Krone auf. Die anderem am Tisch begannen, mich natürlich eingeschlossen, zu kichern. Außer Frank und William, die ja bekannterweise vollends humorbefreit waren. „Ich ergebe mich!“, jammerte sie: „Ihr habt gewonnen! Ich gebe auf! Ich gebe auf!“ Ich musste laut lachen, als ich ihre Arme entließ und Sebastian ihr den Löffel in die Hand drückte: „Bon Appetit.“ Sie musterte mutlos den Löffel, dann Sebastian und dann mich. Ich wackelte grinsend mit dem Finger. Skyler verstand meine Drohung und schob sich den Löffel in den Mund. Sie drehte sich zu ihrem Teller und musterte die anderen Gesichter. Dann aß sie, mit diesem herrlich rosernen Schimmer auf den Wangenknochen, weiter. Sie wirkte ein bisschen grün um die Nase. Ihr leerer Magen schien sich noch nicht entschieden zu haben, ob Essensaufnahme gut oder schlecht war. Doch sie war nötig. Bitter nötig. Die Übelkeit wird vergehen. Doch das junge Ding war ungeahnt steif. Alle am Tisch redeten entspannt und aßen lachend, während sie sich über alles Mögliche unterhielten. Skyler antwortete eher einsilbig, wirkte verunsichert und bekam kein richtiges Lächeln zustande. Nur dieses messerscharfe, verunglückte Grinsen, was selbst das dämonische Lächeln des Butlers um Längen übertraf. Im negativen Sinne, versteht sich. „Tihihihi! Entspann dich“, lachte ich an meinem Keks vorbei. „Du“, schaute Sky provokant von mir weg: „Hast Sendepause, klar?“ Sie steckte sich zänkisch einen Löffel Tatar in den Mund. Wie sie auf die Idee kam mich mit der Zurschaustellung meines Erfolges ärgern zu können erschloss sich mir nicht. Aber es belustigte mich und war von daher gern gesehen. „Hm“, lachte ich und kippte meinen Stuhl nach hinten, als ich einen Keks beschaute: „Ehehe. Da du endlich isst, ertrage ich deinen Misskredit liebend gern.“ „Weißt du“, sie legte ihren Löffel weg und schaute mich beleidigt an: „Wenn du dich nicht wenigstens ein bisschen aufregst, macht das einfach keinen Spaß.“ Ich lachte wieder schrill auf und steckte mir lachend den Keks in den Mund. Ich klemmte meinen Fuß unter den Tisch und wackelte mit dem Stuhl vor und zurück: „Ich habe eine Menge Spaß. Fuhuhuhuhuhuhu!“ Sebastian räumte bis auf meinen die Teller ab. Kaum war er damit fertig stand er auch schon mit dem nächsten Teller hinter Alexander: „Zum Hauptgang...“ Skyler schaute dem Dämon mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck entgegen. Zugleich sah sie irgendwie gepeinigt aus. Doch nach fast 48 Stunden auf nüchternen Magen, kannte ich kein Erbarmen mit ihr und diese Gewissheit lag in ihrem Gesicht. Sebastian servierte zu dem Hauptgang schwarzen Riesling, worauf hin Charlie 30 Minuten von seinem Aufenthalt auf einem Weingut erzählte. Nach und nach fanden auch wir wieder in das Gespräch und so verlief der Hauptgang in lockerem Geplaudere. Nach dem Hauptgang gab es für die anderen Sambocade als Dessert. Ich aß weiter meine Kekse. „Ich kann nicht mehr“, fiel Syklers Kopf nach unten: „Wirklich...“ Dieses Mal war es Amy, die ihre Gabel nahm und sie ihr mit einen Stück ihres Kuchens daran vor die süße Nase hielt: „Hier kommt der Zug!“ Skylers Kopf flog hoch: „Amy!“ Sie wirkte als wolle sie Amy am liebsten mit irgendetwas schlagen, doch sie besann sich darauf ihr nur reichlich schroff die Gabel aus der Hand zu reißen: „Nicht du auch noch.“ Amy lachte. Ich ebenfalls. Genau wir alle anderen, außer William und Frank natürlich. Mit gesenktem Kopf aß die schöne Brünette ihren Kuchen, genau so langsam und gequält wie die restlichen Gänge. „Hm“, machte der Earl ein halbes Kuchenstück später und deutete mit seiner kleinen Gabel in meine Richtung: „Undertaker, ich habe nachgedacht.“ „Oh weia. Ehehehehe“, lachte ich vorfreudig darauf, was dem Earl wohl eingefallen war: „Das ist meistens der Beginn fantastischer Geschichten! Oder des perfektem Chaos. Je nachdem auch beidem. Tehehehehe!“ Auch Alexander lachte: „Naja. Spektakulär wird es dieses Mal nicht werden, aber ich habe eine Bitte an dich.“ „Oh! Wenn ihr mich bezahlen könnt, Earl. Ehehehehehe!“, giggelte ich in meiner vorfreudigen Neugierde. Der Earl seufzte in Anbetracht meiner üblichen Forderung: „Werde ich, Undertaker. Keine Sorge. Die Idee mit den Telefonnummern und mit Skyler ist ganz gut, doch es beruhigt mich nicht so ganz. Ich würde dich bitten alle zwei Tage bei den Mädchen nach dem Rechten zu sehen. Ich kann Sebastian nicht immer entbehren und du wohnst in der Nähe. Sei so gütig.“ „Was?!“, die beiden Mädchen schauten den Earl fast geschockt an. „Dad!“, knirschte Amber: „Das ist wirklich nicht...“ „Wie ihr wünscht, Earl“, unterbrach ich sie allerdings grinsend. Das war eine Bitte, der ich doch liebend gerne Folge leistete. Ganz uneigennützig, versteht sich. Die Köpfe der beiden flogen zu mir: „Bitte was?!“ „Meine Damen, meine Damen“, lachte ich mit wackelndem Kopf: „Ich werde nicht Stunden meines Lebens bei euch verbringen. Ehehehe! Ich bin nicht eure Anstandsdame und dazu habe ich nun wirklich auch keine Lust. Ich stecke kurz meine Nase durch Fenster, erkundige mich und verschwinde wieder.“ „Aber“, versuchte Amy ein weiteres Mal zu protestieren, doch hatte sie gegen ihren Vater keine Chance: „Nichts aber. In dieser Sache überlasse ich nichts den Zufall.“ Amy seufzte und schaute ihre beste Freundin an: „ Hach verdammt“, dann lachte sie in die Runde: „Dann muss ich ja mein Zimmer aufräumen.“ Nachdem der Butler abgeräumt hatte, genehmigten wir uns alle noch ein paar Gläser Wein in lockerer Runde. Die Gespräche streiften durch alle möglichen Themen und erreichten irgendwann Alexanders bevorstehenden Geburtstag: „Und ich weiß nicht was ich dieses Jahr machen soll.“ Natürlich haben die Phantomhives den Ruf zu verteidigen immer fantastische und extravagante Bälle zu geben und Grell war immer erpicht darauf, weswegen er auch gleich einen Vorschlag zum unterbreiten hatte: „Oh! Einen Kostümball!“ „Wir hatten doch erst einen“, war William nicht ansatzweise so begeistert wie sein Kollege in Rot. „Man kann nie genug davon haben!“, konterte Grell aufgeregt. Alexander lachte sichtlich angetan von der Idee: „Hättest du den auch ein Vorschlag für ein Thema, Grell?“ „Oh ja!~♥“ „Dann sprich.“ Grell schaute jeden einmal mit leuchtenden Augen ins Gesicht: „Alice im Wunderland!“ „Oh nein...“, stöhnte William. „Oh ja!~♥“, flötete Grell. „Was denn?“, kicherte Ron: „Alice im Wunderland war immer cool!“ Offensichtliches Missfallen in seinem Gesicht ergab sich William schweigend und trank einen Schluck seines Weißweines. Skyler legte den Kopf schief: „War?“ „Wir hatten das Thema schon ein paar Mal!“, erklärte der blonde Reaper ihr aufgeregt: „Grell wünscht es sich ständig. Eigentlich mindestens ein oder zweimal in jeder Generation. Es ist eigentlich Tradition.“ „Oh ja! Und diese Generation hatten wir es noch nicht! Und irgendwann!“, rief Grell aufgesprungen, ein Bein auf den Stuhl gestellt und eine Faust in die Luft gestreckt: „Wird Sebastian mich lieben! Und wenn ich aussehe wie eins seiner geliebten Kätzchen, kann er mir ganz sicher nicht widerstehen!~♥“ Der Butler klimperte ihm ein wenig verstört entgegen: „Oh doch. Kann ich. Ganz sicher.“ „Aber… aber Bassy!“ „Nichts aber“, Sebastian schüttelte den Kopf: „Nicht in diesem Leben und in keinem das folgen wird...“ Grells Arme fielen nach unten. „Fuß vom Polster“, betonte der Butler noch trockener und Grell folgte seiner Anweisung mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck. „Was sagen die anderen?“, fragte der Earl: „Außer Frank und William.“ Ich kicherte. Die Beiden waren wirklich für nichts zu begeistern. Amber kicherte: „Ich bin dabei!“ Lee und Fred hatten ebenfalls genickt mit zwei gänzlich unterschiedlichen Gesichtsausdrücken. Ich klatschte in die Hände. Ich liebte dieses Thema. Mein Hutmacherkostüm hing schon viel zu lange ungetragen in meinem Schrank: „Ein fantastisches Stück Literatur! Ehehehehehe! Immer wieder gerne!“ Heather lachte: „Gut. Also? Wer verkleidet sich als was?“ Lees Hand flog in die Luft: „Absolem!“ Fred lachte in sein Glas: „War ja klar. Der Drogenbaron nimmt die Kifferraupe.“ „Man soll sich selbst treu bleiben. Was nimmst du denn, hm?“, konterte der Asiate. Freds Kopf wanderte zu seinem Vater: „Kann ich den Herzbuben nehmen?“ Dieser nickte: „Warum nicht. Dann übernehme ich den Herzkönig“, er nahm Heathers Hand und lächelte sie an: „Möchtest du meine Herzkönigin sein, meine Teuerste?“ Heather kicherte schüchtern: „Liebend gerne, Liebling.“ Skyler seufzte verträumt. Dann sah ich aus meinem Augenwinkel wie ihr Kopf mit einem unergründlichen Gesicht zu mir wanderte. Ich schaute sie an und musterte ihr Gesicht. Da ich nicht ergründen konnte, was sie genau von mir wollte oder warum sie zu mir schaute, legte ich die Frage in meinem Grinsen den Kopf schief. Das Skyler schlagartig dunkelrot im Gesicht wurde und den Kopf wegdrehte machte das Fragezeichen in meinem Gesicht eher größer anstatt kleiner. „Oh! Oh!“, Amy hüpfte auf ihrem Stuhl auf und ab und lenkte mich von dem roten Gesicht ihrer Freundin ab: „Ich will die weiße Königin!“ Dann schaute Amy zu Skyler: „Und du! Du machst Alice!“ Mein Grinsen wurde schlagartig größer, als ich mir das hübsche Ding in einem possierlichen himmelblauen Kleidchen vorstellen musste. Das Bild in meinem Kopf war perfekt, genau wie sie. Skyler blinzelte ihrer Freundin eher verwirrt und arg skeptisch entgegen: „Ich? Warum ich? Ich bin doch gar nicht eingeladen.“ Alexander lachte auf als klar wurde, dass Skylers Kopf noch nicht ganz erreicht hatte, dass sie jetzt Teil unserer illustren Runde war. Alex brauchte sie schließlich, damit Amy sicherer war und außerdem hatte die junge Phantomhive ihrem Vater erzählt wie glücklich sie ist eine Freundin auf den Bällen dabei zu haben: „Natürlich bist du das. Du bist ein immer gern gesehener Gast bei uns, Skyler. Ich wäre geehrt, wenn du meine Einladung annehmen würdest.“ Skylers Kopf fiel wieder nach unten und sie wackelte nervös mit den Beinen. „Komm!“, bettelte Amy: „Sei unsere Alice.“ Sky schaute Amy wieder an und wurde ein weiteres Mal rot im Gesicht: „Ich habe aber keine langen, blonden Haare...“ Amy lachte: „Niemand hier hat lange, blonde Ha… oh...“ Mein Blick wanderte zu Charlie. Der aller anderen auch. Dem Mann mit den langen, blonden Haaren erschien die Erkenntnis, warum ihn auf einmal alle anschauten, sofort im Gesicht. „PFFFFFFF!“, prustete ich los und hörte mit meinem linken Ohr, dass Lee es mir gleich tat. Dann brachen wir in schallendes Gelächter aus, in das auch Grell und Ronald einstimmten. Fred lachte in seine Hand. Das Ehepaar Phantomhive hatte die Köpfe schmunzelt zueinander gedreht und selbst Frank schüttelte mit etwas, was man mit viel gutem Willen als Lächeln bezeichnen könnte, den Kopf. Während Sebastian die Situation belächelte, versteckte William seine Augen hinter seiner Hand, doch ich sah seine Mundwinkel zucken. Warum wehrte er sich dagegen zu lächeln oder zu lachen? Ich verstand ihn einfach nicht. Skyler allerdings schaute recht verwirrt durch die Runde. „Tja, Charlie“, lachte Lee: „Du bist wohl dran!“ Das Bild was ich nun im Kopf hatte war nicht halb so ansehnlich wie das der kleinen Skyler, dafür aber um Längen amüsanter. Mein Kopf fiel in meinem Lachanfall auf den Tisch: „Pahahahahahaha! Charlie in einem blauen Kleidchen! Awuwuwuwuwuwuwuwuwu! Ich kann nicht mehr! Fuhuhuhuhuhuhu! Vergiss die Schürze nicht! Tehehehehehehehe!“ Ich schloss meine Augen, doch meine Lachtränen kullerten auf den Tisch. „Oh nein, nein, nein!“, hörte ich Charlie lachend rufen: „Ich ziehe kein Kleid an! Vergesst es Leute!“ „Ach komm schon!“, machte der Asiate neben mir: „Das steht dir sicherlich ausgesprochen gut!“ Ich klopfte auf die Tischplatte, ohnmächtig gegenüber meines wachsenden Lachanfalls: „Tahahahahahahaha! Schon allein die Vorstellung ist ein Bild für die Götter!“ „Wenn du es so unsagbar lustig findest, wenn Männer ein Kleid tragen Undertaker“, konterte Charlie amüsiert: „Dann zieh es doch selber an!“ Ich warf mich zurück in meinem Stuhl: „Nihihihihihihihihi! Ich im Kleid! Das gab es schon!“ Ich war fast überrascht als Skylers Kopf sich mit ungläubig geweiteten Augen zu mir drehte: „Woas?!“ Doch ich konnte ihr nicht antworten. Ich musste wieder viel zu viel lachen, um sprechen zu können. Grell schaute mich an, als er sich mit spitzen Fingern Lachtränen aus den Augen rieb, bemüht seinen Kajal nicht zu verwischen: „Ja, ja. Dich im rosa Prinzessinnenkostüm! Ich werde es nie vergessen!“ Fast verstört wanderten Skylers Augen zu Grell: „Rosa… Prinzessinnen… kostüm?“ Ronald nickte lachend: „Ja, man! Vor etlichen Jahren haben einige von uns Hamlet nachgespielt! Undertaker war die Königin! In einem knarsch rosa Kleid! Ich hab es leider verpasst! Das ärgert mich heute immer noch!“ Sie schaute wieder zu mir und schien was sie hörte nicht in Kontext zu dem bringen zu können was sie sah: „Was?“ Doch antworten konnte ich immer noch nicht. Denn ich musste mich an die Theaterstunden erinnern. An Grells Passion, Ciels Aversion, Sebastians Bemühungen, Lizzys Groll, als ich das Kleid bekam und nicht sie und Soma, der eifersüchtig auf seinen eigenen Butler war, weil er eine Rolle bekam und er nicht. Ich erinnerte mich an Lau, der mir auf eine unglaublich obszöne Art und Weise nah gekommen war, die selbst ich nicht mehr feierlich gefunden hatte und mich dabei auch noch ausgekitzelt hatte, weil er mich sehr ungeniert begrapschen wollte. „Armer Irrer“, stöhnte der deutsche Baron, doch selbst das brachte mich nur noch mehr zum Lachen. Mit einem vollkommen verkrampften Bauch fiel ich von meinem Stuhl und wackelte lachend auf dem Boden mit den Beiden. „Oh man!“, lachte Amy: „Das hätte ich zu gerne gesehen!“ „Hier, Mylady“, tauchte der Butler aus dem Nichts mit dem alten Fotoalbum von 1889 auf. Hin und wieder fanden meine Füße wie von selbst den Weg zu den alten Alben und die von 1800 schaute ich mir mit am liebsten an. Ich hatte viele gute Erinnerungen an die Phantomhives und die Aristokraten, doch die mit Vincent und Ciel waren doch die Besten. „Oh mein Gott!“, hörte ich Skylers glockenhelles Lachen und die eh schon fantastische Situation wurde fabelhaft: „Ach du meine Güte!“ Dass das junge Mädchen jetzt lachte, trotz des Hagels schlechter Nachrichten des heutigen Tages, zündete einen noch wärmeren Funken in meinem heiß gelachten Bauch an. Ich fühlte wie ein Stück der Sorgen schwand, die ich mir seit gestern Abend um das hübsche Ding machte. Denn eine ehrliche Lache war für mich an Zeichen dafür, dass sie sich langsam erholte. Es könnte auch daran liegen, dass sie endlich etwas gegessen hatte. Doch die Hauptsache war, dass sie jetzt lachte. Hell, ehrlich und ehrlich amüsiert. Es klang wie Musik in meinen Ohren. Auch Amy hörte ich schallend durch mein eigenes Lachen lachen: „Ich fass‘ es nicht! Ich bin definitiv zu spät geboren worden!“ Ich atmete einmal durch und setzte mich auf, sodass ich über die Tischplatte schauen konnte: „Wuhuhuhuhuhuhuhu! Ja, ja! Das war definitiv ein guter Tag! Tehehehe! Wie Grell aus dem Boot gesegelt ist, als William ein Seil durchgeschnitten hat!“ Grell plusterte seine Wangen auf als er William beleidigt musterte: „Du hast meinen Auftritt sabotiert!“ Doch William war inzwischen wieder gewohnt ernst geworden: „Du hättest arbeiten sollen.“ „Du bist so gemein!“, zeterte Grell weiter. Skyler schaute noch einmal auf das Foto. Ein schönes Foto. Eins meiner Lieblingsfotos. Ein Foto von einem unglaublich schönen Abend, der so deutlich in Erinnerung gewesen war, als wäre es gestern gewesen. Doch es war nicht gestern. Ein bitterer Geschmack legte sich auf diese wunderbare Erinnerung. Er war bald 130 Jahre her. Die Menschen darauf. Sie waren fort. „Wer sind die anderen?“, weckte mich Skyler, als meine Augen ein kleines Stück auf die Tischplatte gefallen waren. Zur rechten Zeit. Denn so blieb die Bitterkeit ein feiner Hall in meinem sonst recht belustigten Gemüt. Ich schluckte einmal um die bittere Note aus meinem Mund zu vertreiben, doch sie blieb als ein kleines, aber merkliches Gewicht auf meinem Herzen zurück, als ich mich auf den Stuhl setzte und Sebastian das Album aus der Hand nahm: „Fu fu fu! Das ist so lange her! Doch ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen!“ Die Bitterkeit stieg mir kurz noch einmal sauer in den Hals, als ich die vielen Gesichter sah. Doch ich drängte ihn in den Hintergrund. Es war eh unnötig sich damit zu beschäftigen. Tot ist tot. Basta. Stattdessen zeigte ich mit dem Finger auf die kleine Alge ganz rechts: „Tehehehe! Das ist Ran Mao. Lees Urururgroßmutter.“ „Meine Urururgroßmutter war eine Alge?“, lachte mich Lee an: „Na wunderbar.“ „Erklärt einiges“, zog Fred seinen besten Freund auf. „Ruhe auf den billigen Plätzen“, nickte Lee Fred lachend und gespielt provokant entgegen. Die Heiterkeit der beiden Jungs schwächte die Bitterkeit ein wenig. Ich zeigte auf den blonden Chaoskoch: „Das war Baldroy. Der damalige Chief der Phantomhives. Er war nur leider kein guter Koch. Tehehehehehe!“ Seine Kekse waren meistens Briketts gewesen und selbst wenn sie mal nicht verbrannt waren, hätte ich auch auf einem Echtlederschuh herum kauen können. Der Butler schüttelte hinter Skyler den Kopf: „Erinnere mich nicht…“ Die Pein des perfektionistischen Butler war deutlich zu sehen, als er an daran zurückdachte wie viel Zeit er sich damit um die Ohren geschlagen hatte hinter unserer persönlichen Version von Trick, Tick, und Track hinterher zu räumen. „Ja, der kleine Feuerteufel“, grinste ich zu Amy und Skyler, die mir mit neugierig leuchtenden Augen entgegen schauten. Ein herrlicher Anblick. Sky lehnte mit ihren Händen und ausgestreckten Arme auf dem Rand ihres Stuhls und ihre scheinenden Augen hingen abwechselnd an meinem Finger oder meinen Lippen und Amy hatte sie an den Schultern und schaute mich über diese hinweg an. Die beiden Mädchen waren so gespannt, neugierig und in Kombination zum Anbeißen niedlich: „Hat immer mit einen Flammenwerfer gekocht und die Küche in Brand gesetzt. Tehehehehe!“ Sky zog in einem verwirrten Lachen die Augenbrauen zusammen: „Was? Echt jetzt?“ „Oh, ja… In der Tat“, seufzte Sebastian. Mein Finger wanderte zu dem Hausmädchen, als ich den Butler durch meine geschlossen Lippen belachte: „Mey-Rin. Das alte Hausmädchen. Nehehehehe! Hat immer das Geschirr zerlegt!“ „Und alles andere was ihr in den Weg kam“, seufzte Sebastian weiter. Nun zeigte ich auf den Gärtner mit den strahlend, unschuldigen Augen: „Tihihi Finnian. Der Gärtner, der seine Kraft nicht unter Kontrolle hatte.“ „Ebenfalls das wandelnde Chaos“, stöhnte der Butler und verschränkte seine Arme. Nun zeigte ich auf den Hausverwalter: „Tanaka, der alte Hausverwalter. Ich kannte ihn ewig. Fu fu fu.“ „Der Einzige, mit dem man ansatzweise arbeiten konnte“, schüttelte Sebastian den Kopf. Mein Finger rutschte zu Lizzy, die ihr Ritterkostüm am Ende doch mit mehr Bravour als erwartet getragen hatte, und dem jungen Earl, der zu diesem Zeitpunkt die Begeisterung eines Kindes schon lange verloren hatte: „Lizzy. Amys Ururgroßmutter. Puhuhuhuhu! Wollte unbedingt die Königin spielen und war noch mindestens drei Wochen nach der Aufführung sauer auf mich! Daneben ihr Verlobter Ciel, der damalige Earl, Amys Ururgroßvater. Tehehe. In der Hauptrolle, versteht sich.“ „Warte!“, Sky klimperte mir irritiert entgegen: „Der Earl war ein Kind?!“ Ich nickte mit einem Grinsen im Gesicht und schaffte es das Aufbrodeln der Bitterkeit ein weiteres Mal zu ersticken, als ich an den jungen Earl und die vielen amüsanten Abenteuer dachte: „In der Tat. Tehehehehe! Das waren verrückte Zeiten!“ Sky schaute wieder auf das Foto. Ein Grübeln lag in ihrem Himmelblau. Mein Finger übersprang Sebastian: „Den kennt ihr ja alle, tehehe“, dann zeigte ich auf den indischen Prinzen und seinem Butler, ein unglaublich sympathisch tollpatschiges Duo: „Soma und Agni. Hehe. Zwei vollkommen bescheuerte Inder.“ Und zu guter Letzt landete mein Finger auf Lau, der auch auf dem Foto nicht daran gedacht hatte eine akzeptable Distanz zu mir herzustellen. Wenigstens hatte er aufgehört an mir herum zu tatschen, nachdem ich ihn hinter der Bühne eine gepfefferte Ohrfeige verpasst hatte: „Und Lau. Fuhuhuhuhu! Lees Urururgroßvater.“ „Was!?“, machte Lee empört: „Warum… kuschelt ihr auf dem Bild, verdammt?!“ Fred versuchte vergebens sein Lachen mit der Hand zu ersticken. „Hör auf zu lachen, man! Das ist extrem verstörend!“, keifte Lee und schien gar nicht mehr belustigt. Ich fing laut an zu lachen, als ich die trotz allem doch sehr amüsanten Szenen mit Lau in meinem Kopf Revue passieren ließ: „Na! Hehehehehe! Er hat den König gespielt!“ Sebastian rollte mit den Augen, die Szenerie wohl genauso deutlich vor eben diesen wie ich: „Mit viel zu viel Elan.“ Lees Auge zuckte verstört: „Wie…. meint ihr das?“ Ein kleiner Lachanfall fing mich, als ich wusste das Lees Verstörtheit gerade erst seinen Anfang erreicht hatte: „Tehehehehehehe! Wenn es nach Lau gegangen wäre, hätte auch ich deine Urururgroßmutter werden können. Fuhuhuhuhuhu!“ Abgesehen von mir sprach niemand mehr. Es lachte auch niemand mehr. Die verstörten Gesichter amüsierten mich ungemein, soweit ich sie durch meine Lachtränen erkennen konnte. „Was?“, fragte Lee nach einer geschockten Weile. Sebastian schüttelte wieder den Kopf: „Oh bitte, fragt nicht. Es war… mehr als nur obszön.“ Nachdem mir heute sowohl William, als auch Ronald keinen Spaß gegönnt hatten und der Earl mich für seine Bitte noch nicht bezahlt hatte, sah ich meine Gelegenheit mir noch ein bisschen Pläsier bei dem jungen Asiaten abzustauben: „Awuwuwuwuwu! Also ich möchte anmerken, dass ich mich seiner Avancen erwehrt habe! Ehehehehe! Denn...“ Und wie erhofft reagierte er fast aggressiv, als er von seinem Stuhl aufsprang und mir den Mund zu hielt: „NEIN! Behalte alles Weitere für dich! Ich will es NICHT mehr wissen!“ Trotz der Hand des Chinesen, die mir Mund und Nase zu drückte, wurde mein Lachen immer lauter. Die Anderen lachten mit mir. Lee ließ mich wieder los, sah aber immer noch reichlich verstört, wie überfordert aus. Alexander schüttelte den Kopf: „Genug in Erinnerungen geschwelgt. Zurück zum Thema. Da Charlie ja nicht Manns genug ist ein Kleid zu tragen, springe doch für ihn ein Skyler.“ Ich klappte das Album zu und strich über das alte Leder: ‚Ruht in Frieden...‘ Sky schaute von dem Earl und zu Charlie. Dieser grinste sie an: „Es stände dir viel besser als mir. Wirklich.“ Sky schüttelte mit einem leichten Lachen den Kopf: „Aber ich habe kein blaues Kleid.“ Es war tragisch, dass Skyler von dieser Idee so ungebeistert schien. Sie sähe fabelhaft aus! „Lasst dies meine Sorge sein, Lady Rosewell“, verneigte sich der Butler. Ich feuerte ihn in meinem Kopf an. Wenn Sebastian Skyler ein Kleid besorgt, musste sie am Ende gar atemberaubend aussehen. Doch sie senkte nur ihren schönen Kopf: „Also… Ich weiß nicht...“ „Ok“, lächelte Heather und Skyler blinzelte sie an: „Versuchen wir etwas anderes. Welches sind denn deine Lieblingsfiguren?“ „Öhm...“, überlegte die schöne junge Frau kurz: „Also… die Grinsekatze ist echt cool… und der Hutmacher wirklich lustig. Wenn ich mich entscheiden müsste, der Hutmacher.“ Amy fing neben ihr an zu lachen und grinste einmal verstohlen zu mir herüber. Ich verstand. Sie wusste, dass ich immer den Hutmacher machte. „Was ist so lustig?“, fragte Sky ihre beste Freundin allerdings fast gereizt. Amy schaute sie wieder an und kicherte weiter: „Sind beide schon vergeben.“ „Woher weiß du das?“, fragte Sky skeptisch. Grell hatte ja schon erwähnt, dass diese Phantomhives das Thema noch nicht hatten. „Erzählungen“, kicherte sie weiter. „Die Grinsekatze kriegst du nicht“, quietschte Grell: „Das ist mein Freifahrtschein in Bassys Herz!“ „Nein“, stöhnte der Dämon genervt: „Ist es nicht...“ „Aber Bassy!“ „Und…“, unterbrach Skyler die Beiden mit zögerlicher Stimme: „...Wer ist der Hutmacher?“ Amy deutete lachend auf mich. Skys Kopf drehte sich zu mir und ich winkte ihr mit meinem breitesten Grinsen entgegen. Sie blinzelte und ließ die Schultern hängen: „Warum überrascht mich das so gar nicht?“ Ich gigglte: „Das könnte daran liegen, das du mich kennst. Fu fu fu fu!“ Aus irgendwelchen Gründen schaute mich das junge Ding ganz komisch an. Sie musterte überlegend mein Gesicht und sah dabei irgendwie traurig drein. Schon wieder. Und ich wusste wirklich nicht warum. Sie war doch so gut drauf gewesen. Es war lustig gewesen. Und daran hatte sich auch nichts geändert. Ich legte den Kopf schief und schaute der junge Frau tief in ihr endloses Himmelblau: „Du wärst eine wundervolle Alice.“ „Denkst du?“, fragte sie zögerlich. „Tehe. Aber ja!“, antwortete ich in ehrlicher Zuversicht. „Okay“, seufzte sie: „Gut, ich mach‘s...“ „Meine Heldin!“, lachte Charlie. „Dich im Kleid hätte ich ja schon gerne gesehen“, hatte Lee sein Lachen wiedergefunden und ich eine weitere Möglichkeit für ein wenig Spaß. Wissend was es auslösen wird, hielt ich dem Chinesen das Foto vor die Nase und er schlug so schnell er konnte das Buch zu und klemmt damit meinen Daumen ein: „Wä! Tu‘ das weg, verdammt!“ Ich kicherte zufrieden, trotz pukerndem Daumens. Amy schaute fröhlich zu Ronald und William: „Wer seid ihr?“ Ronald legte William überschwänglich den Arm um die Schulter, was dem Aufsichtsbeamten sichtlich nicht passte: „Haselmaus und Märzhase. Ich bin die Haselmaus.“ „Tu deine Hand da weg“, raunte William unheilverheißend. Ron zog seinen Arm zu sich: „Ist ja gut... Sorry.“ „Und du?“, drehte sich Amy zu dem Dämon. Dieser legte eine Hand auf sein Herz: „Das weiße Kaninchen, Mylady.“ Ronald drehte sich zu den beiden Deutschen: „Aber wer bleibt denn dann für die Beiden übrig?“ Frank seufzte: „Gar nichts. Wie überaus tragisch.“ „Oh!“, klatschte Charlie in die Hände und stupste den Baron mit dem Ellbogen an: „Komm, wir machen die Kartensoldaten!“ „Fantastische Idee“, lachte der Earl angetan. Frank teilte diese Angetanheit nicht ansatzweise: „Ich hasse dich“ „Du Pik“, grinste Charlie weiter, wie der netteste Folterknecht Londons: „Und ich Herz.“ „Ich glaube ich kann dieses Jahr leider nicht kommen“, verschränkte der Baron von Steinen die Arme und schaute den Earl Phantomhive an. „Du kannst mich doch nicht hängen lassen“, lächelte Alex schadenfroh. „Oh doch, kann ich“, grummelte Frank kühl. „Oh nein, das bringst du nicht fertig“, grinste Alexander weiter. „Ist das eine Kampfansage, Alex?“, feixte der Deutsche. „Ich kann dich auch von Sebastian abholen lassen“, konterte der Earl gelassen. Frank schüttelte weiter mit dem Kopf: „Ihr seid furchtbar. Alle miteinander.“ Alle lachten wieder, außer der geschlagene Deutsche und der freuderesistente William. Wir sprachen noch eine Weile weiter und tranken weiter Wein. Man merkte den Menschen an, dass sie langsam ein wenig torkelig wurden, aufgrund des guten Weines, der Sebastian so bereitwillig immer und immer wieder in unsere Gläser schüttete. Lediglich die Shinigamis blieben vom Effekt des Alkohols unbeeindruckt. Wir reagierten so nicht auf Alkohol wie die Menschen. Zumindest hatte ich noch nie so viel getrunken, dass ich etwas davon gemerkt hätte. Sebastian konnte Skyler allerdings mit dem Wein keine Freude machen. Das Mädchen sah zunehmend müde aus und irgendwann merkte ich wie ihr Kopf neben mir nach unten kippte. Ich hatte die Hoffnung, dass sie diese Nacht ein wenig erholsamen Schlaf finden würde, wenn sie schon auf ihrem Stuhl einnickte. Sie entschuldigte sich von uns und ging zu Bett. Auch die anderen verliefen sich. Doch Ronald erwischte mich, bevor ich klang heimlich in meinem Zimmer verschwinden konnte und zog mich in den Garten. Obwohl der Abend mit 22 Uhr schon weiter fortgeschritten war, trainierte ich noch 2 Stunden mit dem jungen Reaper wie mir ein Blick auf meine alte Uhr verriet, als Ron auch wegen Erschöpfung das Training beenden wollte. Ich war sowohl nun, als auch vor ein paar Stunden nicht gerade zimperlich mit dem jungen Mann umgegangen und konnte seine Ermattung verstehen. „Bist du denn gar nicht müde?“, regte sich der Jüngling, als wir durch die ruhigen Flure der Villa schritten. Ich lachte: „Ein wenig.“ Ich war relativ müde sogar. Auch ich hatte nicht viel Ruhe bekommen diese Nacht. Doch seit ich das Foto in der Hand gehabt hatte, denke ich ständig an ältere Zeiten zurück und betrachte sie mit einem lachenden und einem weinenden inneren Auge. Ronald verschwand in seinem Zimmer und ein paar Minuten halten meine Schritte einsam durch den Gang. In meinem Zimmer angekommen, lag ich eine Zeit auf diesem unsäglichen Bett und schaute durch meine Balkontür und die zurückgeschobenen Gardinen auf den vollen Mond, der uns während unserem Training eine gute Sicht gewährt hatte, und streunte durch unzählige Erinnerungen. Ich hatte davon so viele. Zu viele. Wieder beschlich mich das Gefühl mich selbst überlebt zu haben. Ich griff mir meine Kette, die auf meinem Nachttisch lag und die Zange, die ich mir von Sebastian hatte geben lassen. Sie blitzte in dem silbernen Mondlicht. Ich stellte mich auf den Balkon und begann an dem Verschluss herum zu biegen. Die Anhänger in der Hand zu haben machte die drohende Melancholie leider nicht besser. Eher schlechter. Diese Anhänger, sie waren mein ganz persönlicher Schatz. Nur einmal hatte ich sie aus der Hand gegeben und das war auf der Campania, in die Obhut des jungen Earls und des dämonischen Butlers. Ich wusste, dass er darauf achten würde. Ich wusste, dass sie ihn Hinweise geben wird, um herauszufinden was hinter meinem Verrat wirklich stand. Der Versuch aus ihm einen respektablen Edelmann zu machen, so wie es sich sein Vater für ihn gewünscht hätte. Leider hatte der kleine Lord eine ganze Zeit lang auf einen viel zu hohem Ross geritten. Durch seinen teuflischen Butler fühlte er sich unverwundbar. Ich musste ihm zeigen, dass dem nicht so war. Gab ihm Ratschläge, Tipps und Hinweise. Doch nichts hatte gefruchtet, sodass ich am Ende gezwungen war, meine Position als Aristokrat aufzugeben, meinen Laden eine Weile zu verlassen und ihn mit reichlich Schwung von seinem hohen Ross zu treten. Ins kühle Nass. Garniert mit ein paar geifernden Dolls. Ich hörte das Öffnen einer Tür. Aus dem Augenwinkel sah ich die junge Skyler. Sie schlief also immer noch nicht. Wie kann man nur so unruhig sein? Sie stand nur ihren Poncho über dem dünnen Nachthemd und nackten Füßen in der Türe und beschaute verträumt den runden Mond. In ihrem Himmelblau lag ein atemberaubender dunstig silberner Schleier. Ich erinnerte mich, dass Amy sagte das junge Ding sei für Krankheit recht anfällig. Deswegen musterte ich mit Ungefallen ihre nackten, zarten Füße, drehte mich aber wieder gänzlich zu meiner Kette: „Du solltest wenigstens Socken tragen, aber ich habe ja Sendepause. Hehehehe.“ Sky blieb einen kurzen Moment stehen. Was sie tat sah ich nicht, da es eine pfriemelige Arbeit war den Verschluss auszubeulen. „Ich“, hörte ich ihre zögerliche Stimme: „Wollte dich nicht… Naja… Dir nicht zu nahe treten.“ Mit einem Lächeln schaute ich sie kurz an: „Ehehe. Mir zu nahe zu treten ist sehr schwierig, kleine Skyler.“ „Sicher?“, fragte sie unsicher und stellte sich an die äußerste Ecke ihres Balkons. Da unsere Balkons nur durch einen schmalen Spalt getrennt waren, hätte ich meinen Arm nicht ganz ausstrecken müssen um ihre Schulter zu greifen. „Ja doch“, antwortete ich flach und schaute wieder auf meine Anhänger. Obwohl ich mir die Anwesenheit des jungen Dings eigentlich immer lobte. Gerade gefiel sie mir nicht. Auch ich hatte heute eine Menge um die Ohren gehabt und wünschte mir etwas Ruhe, was sich daran niederschlug, dass ich bei weitem weniger gesprächig war als üblich. Außerdem surrten immer noch Erinnerungen in meinem Kopf auf und ab wie ein Schwarm wütender, asiatischer Bienen und zerstachen meine Gedanken. Dieses unwohle Gefühl von Bitterkeit lag wie ein dunkler Schleier in meinen Gedanken, obwohl ich die ganze Zeit versuchte es nieder zu kämpfen und zu verbannen. Ich wollte nicht, dass dieser Schatten da war. Ich wollte, dass er verschwand. Doch das tat er nicht und dies frustrierte mich. Meine gute Laune war, seit ich alleine war, dahin. Skyler schwieg, was ich begrüßte. Ich hatte wirklich keine Lust zu reden, doch wegschicken konnte ich sie auch nicht. Ich brachte es nicht übers Herz ihr verständlich zu machen, dass ich alleine sein möchte. Sie würde es auf sich beziehen, was Sonstiges in der zerbrechlichen Seele auslösen könnte. Irgendwann seufzte Skyler und verschränkte ihre dünnen Arme. „Herrje, herrje“, entfuhr mir ein halbherziges seichtes Lachen, welches meinen Mund aus Gewohnheit und nicht aus Pläsier verließ: „So ein schweres Seufzen und abermals scheinst du vollkommen schlaf- und rastlos.“ Sie nickte knapp: „Ja, ich… überlege noch.“ „Tehe. Worüber?“, fragte ich ein einer versteckten Besorgnis. Es konnte nicht so weiter gehen, dass man sie zum Essen und Schlafen zwingen musste. Menschen können wegen so etwas dauerhaften Schaden davon tragen. Außerdem machte ich mir immer noch Sorgen um ihr Seelenheil. Diese Sorge war sogar noch größer, als mein Wunsch nach ein bisschen friedvoller Einsamkeit. „Über… mich… und ein paar andere Dinge...“ „Hehe. Zum Beispiel?“ „Warum hast du mir nicht erzählt, wie man zum Reaper wird?“ Ich stockte innerlich. Sie hatte prompt ein Thema angeschnitten über das gerade überhaupt nicht reden wollte. Woher wusste sie überhaupt wie man ein Sensenmann wird? Ich stöhnte innerlich als mich die Erkenntnis griff: ‚Ronald… Du Volltrottel...‘ Ich werde ihn irgendwann knebeln. Irgendwann. „Weil es nicht wichtig ist“, wollte ich dieses unangenehme Thema schnellst möglich beenden. Menschen denken immer wir müssten depressiv sein, sobald sie von unserem Ursprung wussten. Dem war nicht so. Wir erinnern uns an unser menschliches Leben ja nicht einmal. „Du hast dich selbst umgebracht...“, wisperte das hübsche Ding. Ich lachte in Anbetracht ihres Schwermuts: „Vor wahrlich Ewigkeiten! Ehehehehe! Da kräht nun wirklich kein Hahn mehr nach.“ „Kikeriki“, machte es neben mir. Meine Gedanken stoppten abermals in verwunderter Überraschung. Ich drehte meinen Kopf zu dem hübschen Ding: „Bitte?“ „Kikeriki“, wiederholte sie mit einem bedeutungsschweren Ausdruck in dem silbrig schimmernden Himmelblau. Ich brauchte 1,2 Sekunden um zu realisieren, dass sie tatsächlich einen Hahn nachgeahmt hatte um meine Metapher aufzugreifen und gegen mich auszuspielen. Wie fantastisch! Und überaus amüsant! Ich kniff meinen immer noch recht verwunderten Blick an ihre ernsten Augen gerichtete, die Lippen aufeinander und versuchte meinem Lachen Herr zu bleiben. Dem jungen Ding war was sie mit diesem Geräusch implizierte augenscheinlich sehr wichtig, weswegen ich sie dafür nicht auslachen wollte. Doch ich schaffte es nicht! Dieser Ausruf in Kombination mit diesen ernsten unsagbar seicht schimmernden Augen, war zu viel für mich: „Pffffffff! PAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHA! AWUWUWUWUWUWUWU! Wie unendlich kreativ! Fuhuhuhuhuhuhu! Du bist ein nicht versiegender Quell endloser Freude!“ Mein Lachen krachte förmlich durch die ruhige Nacht und ein bisschen Außenputz rieselte an mir vorbei. Aus den Bäumen stoben ein paar Vögel, die ich wohl recht unsanft geweckt hatte. Sicherlich saßen irgendwo jetzt Frank und William aufrecht im Bett und überlegten wie sie mich am besten umbringen können. „Nimmst du mich auch ernst?…“, schaute mich die junge Skyler besorgt an: „Lachen ist ok, aber… ich mein das ernst, Undertaker.“ Ich wuschelte ihr durch die seidigen Haare: „Fu fu fu! Du bist so herrlich. Natürlich nehme ich dich ernst! Aber warum interessierst du dich für so langweilige Geschichten?“ „Es klang nicht so, als seien sie langweilig. Die Reaper sind vollkommen begeistert davon.“ Sie musste ja auch unbedingt einen erwischen, der die ganzen alten Kamellen so unglaublich toll fand. Waren sie aber nicht. „Die Reaper“, schnaubte ich einmal, jetzt doch wieder bei weitem weniger belustigt. Diese Vergangenheit war so endlos langweilig. Warum kann sie nicht nach etwas Lustigem fragen? Noch einmal nach Hamlet, dem Zirkus, oder dieser psychotischen Puppe die andere Puppen auf Menschen gehetzt hatte. Warum musste sie ausgerechnet nach diesen abgewetzten Geschichten fragen? Doch ich hatte ihr versprochen zu antworten. Leider. Also bog ich weiter an meiner Kette herum um zu suggerieren wie unglaublich uninteressant dieses Thema war. Vincent hätte gelacht hätte er diese Szenerie mit angesehen. Er hätte...: „Ehehehehe! Haben schon so viel dazu gedichtet. Es war alles nur halb so glorreich und nur halb so episch. Im Endeffekt war ich auch nur ein Shinigami wie jeder andere. Ich hing in meinem Büro herum, hab Formulare ausgefüllt oder Papierflieger daraus gebastelt, je nach Laune. Und ich habe mich gelangweilt! Unendlich gelangweilt! Meine Fälle waren nur etwas schwieriger und ich hatte das Doppelte an Aufgaben. Ehehe! Wer viel kann, muss viel tun.“ „Was für Aufgaben hattest du denn noch? Außer Seelen holen“, ein weiteres schnarch langweiliges Thema. Warum interessierten sich nur alle so dafür? Für gewöhnlich umschiffte ich die Antworten ja einfach und lenkte das Gespräch vom Thema weg. Oft auf so bizarre Weise, dass sich mein Gegenüber nicht mehr traute nachzufragen. Doch ich hatte es versprochen…: „Ich war Lehrer an der Akademie, Ausbilder im Dispatch und befugt die Liste zu ändern. Viele übernatürliche Wesen haben im Laufe der Jahre versucht mich zu ihrem Werkzeug zu machen. Ihihihihi! Zwang, Versuchung, Erpressung. Sie haben alles ausprobiert“, ich versuchte mit einem düsteren Grinsen ihre Neugierde zu zerschlagen: „Erfolglos. Gihi!“ Erfolglos. „Die… Liste?“, fragte sie weiter nach. Ich seufzte innerlich: „Die Liste mit den Todesdaten. Dieses sympathische, kleine Büchlein mit den bunten Zettelchen, welches William des Öfteren in der Hand hat. Darin stehen die allgemeinen Informationen, ein nicht ansatzweise vorteilhaftes Foto und Todesart, wie -uhrzeit. Die Reaper arbeiten sie ab. Nihihihi! Eine endlose Aufgabe, versteht sich.“ „Und... du kannst sie ändern? Also… Todesart und -uhrzeit und so?“ Meine Antwort beschränkte sich auf ein Nicken. Ich hatte keine Lust weiter darüber zu sprechen. „Passierte das oft?“, stocherte sie weiter auf diesem toten Thema herum. Es war so tot, dass es sogar mir stank. Und dafür brauchte es einiges. Also schüttelte ich wortlos den Kopf und reparierte weiter meine Kette, ohne sie anzuschauen. „Waren sie ein Geschenk?“, wechselte sie endlich das Thema. Nur leider nicht zum Besseren. „Ehehehe“, brachte ich ein Lachen zustande um meinen Unmut zu kaschieren und hob die Kette ins silbrige Licht. Sie funkelte. Ein trauriges Funkeln: „Ja und Nein.“ „Wie?“, fragte das junge Ding verwirrt. „Ich hab sie mir anfertigen lassen“, mein Blick wanderte über jedes einzelne Amulette, indem sich eine Haarsträhne von jedem meiner gefallen Freunde versteckte: „Doch das wofür sie stehen, das war ein Geschenk.“ Wieder fiel eine kleine Stille zwischen mir und die hübsche junge Frau. Ich schaffte es nicht meine Augen von den Anhängern zu nehmen, von denen jedes Einzelne Erinnerungen wie Filme in meinem Kopf abspielen ließ. Auf einmal griff sie meinen Arm, zog mich über die Brüstungen zu sich und legte ihren Kopf an meinen Oberarm: „Und wofür stehen sie?“ Ich blinzelte ihr ein paar Sekunden in einer komischen Überraschung entgegen. Ein ungewohntes warmes Kribbeln surrte durch meine Magengegend und löste irgendetwas in mir aus. Es war nicht zwingend ein unangenehmes Gefühl, doch machte es mich irgendwie unruhig. Ich legte Kette und Zange auf die Balustrade und legte ihr meine Hand auf die Finger, in der Bemühung die aufkochende Unruhe niederzuringen. Doch als ich meine Antwort überlegte und an dieses wunderbare Geschenk denken musste entfuhr mir ein Schnauben, welches meine unterdrückte Bitterkeit nun doch ein Stück in diese Welt trug: „Freundschaft.“ „Und wer hat dir dieses Geschenk gemacht?“ „Viele“, ich lachte leise und meine Erinnerungen rasten durcheinander: „Die Erste war Cloudia.“ „Cloudia? Sie war eine Phantomhive, richtig?“ „Exakt“, nickte ich, obwohl sie es nicht sehen konnte: „Vincents Mutter. Ciels Großmutter.“ „Die Phantomhives bedeuten die Welt für dich, oder?“ Ich stockte. Mittlerweile gab es etwas, was mir genauso viel bedeutete. Ich überlegte. Wenn ich einmal vor der Wahl stand einen der Phantomhives oder sie beschützen zu müssen, wen würde ich wählen? Würde ich mein Versprechen fallen lassen? Konnte ich das? „Einen großen Teil davon. Mit Cloudia fing damals alles an.“ „Was hat sie denn gemacht?“, schürte sie weitere Erinnerungen in mir an. Cloudia war eine wundervolle Frau gewesen. Ihr Verlust war plötzlich gewesen. Plötzlich und…: „Herrje. Ehehe. Ein paar Dinge. Sie hat mir unter anderem geholfen mein Bestattungsunternehmen zu eröffnen. Durch ihre Tätigkeit als Wachhund der Königin stolperte sie eines Tages über mich. Da war ich nicht mehr als ein morbider Landstreicher, der die Welt nicht verstand. Sie griff mir unter die Arme und das gegenseitige Hände waschen begann.“ „Sie griff dir unter die Arme? Einfach so?“ „Klingt das so unmöglich?“, musste ich doch kurz grinsen. „Nein, aber… die Phantomhives sind sicher nicht die schlechtesten Menschen, aber sie wirken nicht so als würden sie aus reiner Nächstenliebe jedem Straßenhund ein Zuhause geben.“ Diese sehr passende Feststellung schüttelte mich in einem kurzen, aber lauten Lachen: „Ahahaha! Da hast du wohl Recht. Nein. Eigentlich hat sie versucht mich umzubringen. Das hat nicht funktioniert und sie entschied mich lieber als Freund, als als Feind zu haben.“ Ich merkte wie ihr Kopf erschrocken von meinem Arm zuckte und sah ihre aufgerissenen Augen, als ich den Kopf zu Skyler drehte: „Wie?! Was?! Wieso?!“ Ich schloss beim Kichern in meine Hand die Augen. Ihr erschrockenes Gesicht ist so unendlich niedlich. Ihre tropfenförmigen Augen wurden immer so herrlich riesig: „Naja. Ehehehehehehehehehehehehehehe! Ich bin kein gütiges Wesen, Sky. Wenn du diesem Irrtum unterlegen bist, solltest du ihn schnell loswerden. Ehehehehe!“ „Ich glaube du bist eins“, mein Herz übersprang einen Schlag, als sie ihre Hand unter meiner drehten und meine Finger griff. Sie hatte trotz der Kühle so herrlich warme Hände. Nicht so warm wie die der meisten Menschen, die ich kannte und die noch atmeten, doch im Vergleich zu meinen oder der meiner Gäste. „Nur nicht Bedingungslos“, beendete sie ihren Satz. Ich lachte auf. Ich war unter keinen Bedienungen gütig oder nett: „Tehehe. Sei nur vorsichtig mit solchen Annahmen. Die Dinge sind nicht immer annähernd wie sie scheinen. Oft sind Tagträume doch nur verkleidete Schreckgespenster.“ Ihre Augen fielen kurz nach unten, doch sie atmete bestimmt durch und schaute mich wieder an: „Aber für Cloudia warst du kein Schreckgespenst, oder?“ „Nein“, schüttelte ich grinsend den Kopf und strich mit den Daumen über ihre zarte Haut, als ich die Erinnerungen an Cloudia repetierte: „Ich habe angefangen einige Dinge für die Familie Phantomhive zu erledigen und schnell ging ich in meiner neuen Berufung auf und konzentrierte mich zum größten Teil darauf. Tehehe.“ „Nicht gesucht, aber doch gefunden“, hörte ich ein Lächeln aus ihrer leisen Stimme heraus. Ich nickte: „Das ist eine sehr gute Bezeichnung dafür. Hihi. Auf jeden Fall. Cloudia half mir, mir ein Leben aufzubauen und ich half ihr, wenn die Dinge übernatürlich wurden. So lernte ich auch Vincent kennen. Zu dieser Zeit war er noch ein Teenager mit dem Kopf in den Wolken“, mein Blick fiel auf den runden Mond, als ich an die Familie Phantomhive dachte, wie sie damals gewesen war. An Claudia, Vincent und Francis. Eine liebevolle wenn auch strenge Mutter, mit einem Träumer als Sohn und einer rigorosen Tochter, die sich ständig irgendwie zankten. Die Beiden waren so herrlich gewesen und hatten ihre Mutter das ein oder andere Mal fast um den Verstand gebracht! „Er hat ihn nie wirklich dort heraus bekommen“, erzählte ich weiter, mit den Gedanken an den im Gras liegenden, jungen Vincent, als er der Blue Prefect gewesen war. Wie egal ihm die Blicke der anderen waren und er nur da lag, in die Wolken schauend und mit einem leichten Lächeln träumend. Ohne darüber nachzudenken plauderte ich weiter und meine Erinnerungen schritten voran, zeigte mir gern erinnerte Szenen an Fälle und kämpfe und an Abenteuern. An ruhigen Abenden und lustigen Momente. An Vincent Hochzeit, die Geburt von Ciel. An diese glückliche Familie. Diese liebevollen Eltern. Dieses süße, glückliche Kind, das Ciel bis zu seinem 10. Lebensjahr gewesen war. Er hätte so wunderbar aufwachsen können: „Doch ich mochte ihn sofort. Er war lustig. Ehehehe. Als Cloudia bei ihrer Pflicht umkam und Vincent der neue Wachhund wurde, beschloss er mich endgültig in die Pflicht zu nehmen. Er machte mich zu einem Aristokraten des Bösen und ich war eine Zeitlang endgültig die Zähne des Wachhundes. Ich habe jeden Tag genossen. Doch dann...“, als ich merkte wohin mich meine Erinnerungen trieben, war es zu spät. Da konnte ich schon nichts mehr verhindern. Denn eigentlich hatte ich diese Erinnerung da schon gedacht. Auch Gedachtes kann nicht rückgängig gemacht werden. Es war so heiß gewesen. Seit diesem Tag mochte ich Hitze nicht mehr. Mein Mund brach in sich zusammen, als ich an die roten Flammen dachte. Den schwarzen Qualm. ‚Finde ihn, Adrian... Finde Ciel... Bitte… Lass mich hier und passe auf ihn auf… Pass… auf… meine… Familie…. auf….‘ Ich hatte es nicht geschafft. Ich schloss die Augen und hielt mein Gesicht davon ab sich zu verkrampfen. Genau wie meine Hände. Meinen ganzen Körper. Doch ganz gelang es mir nicht. Ich wurde überwältigt von einem heißen, weißglühenden Gefühl, was mir Herz und Magen zerriss. Er war voller Ruß gewesen. Er hatte gehustet. Er konnte nicht mehr atmen. Und ich hatte nichts mehr tun können, außer ihn anzuschauen und zu sprechen, dass ich tat worum er mich bat. Und die erste Hälfte hatte ich noch nicht einmal geschafft. Ich... hatte... es... nicht... geschafft... Es soll verschwinden. Ich wollte, dass dieses Gefühl so plötzlich wieder verschwand wie es gekommen war. „Brannte die Villa“, schaute ich wieder in das fahle Mondlicht und zwang meine Stimme, wie der Rest meines Körper irgendwie ruhig zu bleiben: „Und alle darin mit ihr. Was ein grausamer Tod.“ Ich ließ meine Augen von dem hellen Mond in das düstere Gras fallen. Dieses Gefühl. Es ging nicht weg. Es packte mich nur immer fester, als ich mich an die Beerdigung erinnern musste. Die einzige Beerdigung, die mir keine Freude bereitet hatte. Im Gegenteil: „Er ist bis auf die Knochen zu Asche verbrannt. Ich habe einen fast leeren Sarg beerdigt.“ Plötzlich zog etwas an meinem Arm. Ich schreckte aus dieser stechenden Erinnerung, bevor ich in meinem Kopf die erste Schaufel Erde auf den Sarg meines besten Freundes geworfen hatte. Mein Kopf flog zu Skyler, die mich an meinem Arm zu sich gezogen hatte. Sie war auf die Balustrade geklettert. Erst verstand ich nicht wieso das hübsche Ding tat, was sie tat. Doch sie hob ihre Hand in mein Gesicht und ihre flinken, schlanken Künstlerfinger strichen etwas von meiner Wange. Es war nass und es war kalt. Es war eine kleine Träne gewesen. Ich hatte geweint? Bemerkt hatte ich die kleine Träne bis jetzt nicht. Ich will nicht weinen. Ich hasste Tränen. Mehr als Papierkram, Langeweile, diese furchtbare Statue oder Betten. Ich hasste Tränen. Ich hasste Trauer. Ich hasste es… traurig… zu sein. Ich wusste auch nicht, ob mich die Träne überraschte oder diese warme Hand, die mir die Träne so zaghaft, aber bestimmt aus dem Gesicht gewischt hatte. „Vincent würde das nicht wollen“, sprach Sky eindringlich und die Wärme ihrer Finger knisterte über die schmale, feuchte Spur, die die kleine Träne zurück gelassen hatte: „Er würde wollen, dass du weiter lachst und fröhlich bist. Ich bin sicher das hat er immer sehr an dir geschätzt.“ Kurz schloss ich meine Augen und meine Mundwinkel wanderten ein Stück nach oben, als sie Vincent so vortrefflich beschrieb. Ich legte meine Hand auf ihre, genoss kurz ihre aufbauende Wärme und der scharfe Sturm piksender Splitter in meinem Inneren ebbte ein wenig ab. Leider waren meine Mundwinkel nicht so weit oben wie ich wollte, als ich die hübsche, junge Dame wieder anschaute: „Das tat er. Ich habe das Gefühl in gewisser Weise taten sie das alle.“ „Alle?“ „Vincent, Cloudia, Diedrich, Ciel, Lau, Madame Red, Claus“, mein Blick fiel auf die Anhänger und ich merkte die Traurigkeit, dass sie als einziges von ihnen übrig waren. Goldenes Metall und eine Haarsträhne. Mehr war von ihnen nicht mehr da. Ich versteckte dieses grässliche Gefühl hinter einem leichten Lächeln: „Jeder für den ein Medaillon an dieser… Kette hängt.“ „Nicht nur sie taten das“, sprach das schöne Ding so einfühlsam wie ich es selten gehört hatte. Ich hatte es nicht oft erlebt, dass Jemand so mit mir sprach. Denn eigentlich sprach ich ja auch nicht über diese Dinge. Wozu auch? Es ändert nichts. Macht nichts besser oder schlechter. Es war, wie es war. „Wir tun das auch“, fuhr sie fort: „Alexander, Heather, Amy, Fred, Lee, Charlie und Frank. Grell, Ronald und William. Und ich auch.“ Ich drehte mein Gesicht wieder zu ihr und mein Lächeln wurde weiter: „Du bist zu liebenswürdig für diese kalte Welt, schöne Skyler.“ „Das bedeutet dieses Geschenk doch, oder?“, sie lächelte mir aufbauend entgegen. Ein herrlicher Anblick: „Freundschaft meint doch liebenswürdig zueinander zu sein, gerade wenn die Welt furchtbar kalt zu sein scheint.“ Ich lachte auf. Ihre Art zu formulieren war wundervoll: „Ich habe noch niemanden kennen gelernt, der es schöner formulierte. Und da waren einige sehr gute Redner dabei.“ Skyler schloss die Augen und lächelte weiter. Ich wünschte mir sie hörte nie mehr damit auf. Das dieser Ausdruck blieb: „Danke für die Blumen! Aber… ich glaube das war ein bisschen zu geschwollen.“ Mit einem weiteren kleinen Lachen nahm ich ihre Hand von meinem Gesicht, beschaute ihre schön definierten Finger und strich langsam über ihre zarte Handfläche: „Ehehehe! Und zu bescheiden bist du auch.“ Als Skyler ihre Augen wieder aufschlug schaute sie mich an. Unwillkürlich und aus dem Nichts, vor allem aber ohne jeden Grund verfingen wir uns in einem herzlichen Lachen und dieses schneidende Gefühl verschwand ein Stück mehr. Die Hübsche streckte ihre endlos langen Beine nach vorne und setzte sich auf die Brüstung. „Fall nicht“, hielt ich ihre Hand fester. Dass ihr Fluch, Karma oder sonst irgendwas jetzt zu schlug, wollte ich zu verhindern wissen. Sie schüttelte den Kopf: „So ungeschickt bin ich auch nicht.“ Ich musste amüsiert grinsen. Sie war furchtbar ungeschickt: „Du bist aber auch nicht gerade deines Karmas bester Freund.“ Ihre Augen fielen nach unten und verursachten in mir ein skeptisches Gefühl. Der Heiterkeit war fort, was tragisch war und ihr Gesichtsausdruck kündigte weiteres Unheil an, als sie mir von unten entgegen schaute: „Du auch nicht, oder?“ Ich legte den Kopf schief: „Wie meinst du das?“ Dann nahm sie meine Hand in beide Hände. Von allen Seiten fuhr diese Wärme durch meine Finger und ließ sie kribbeln. Dann schaute Sky mir wieder ins Gesicht: „Bist du glücklich, Undertaker?“ Aus irgendeinem Grund traf mich diese Frage unvorhergesehen und relativ hart. Härter als mir lieb war. Ich strauchelte innerlich über meine Antwort. Was sollte ich sagen? Ja? Nein? Mein Leben gefiel mir. War das schon Glück? „Warum fragst du?“, drückte ich mich um die Antwort und richtete meine Augen skeptisch in ihr Gesicht, die mir kurz nach unten gefallen waren. „Du hattest mal Schüler“, diese Aussage schickte irgendetwas durch mich hindurch. Es war unterschwellig und nicht schön. „Ja“, antwortete ich knapp: „Hatte ich.“ „Viele?“ Die Richtung, die dieses Gespräch einschlug, gefiel mir abermals nicht. Aber nicht, weil die Themen langweilig waren. „Einige“, nickte ich. „Mochtest du sie?“, mit dieser Richtung hatte ich gerechnet. Was wollte sie von mir? Ich nickte stumm. „Sie sind tot, nicht wahr?“ ‚Fast jeder ist tot.‘ „Ja.“ „Alle?“ „Alle.“ „Du hattest auch schon viele Freunde, oder?“ Mein inneres Widerstreben wurde größer und größer. Ich schickte ein Lachen durch meinen Mund um es zu kaschieren: „In der Tat. Tehe. Sie wussten es nicht immer, doch sie waren meine Freunde.“ „Die Meisten davon sind auch tot, richtig?“ Nachdenklich wanderte mein Blick auf den Mond, als stünde dort die Antwort, die ich suchte. Die diesen geschwungenen Mund verstummen ließ, der in meiner Seele bohrte. Auch die Menschen mit denen ich eben noch am Tisch gesessen hatte waren meine Freunde. Sie waren auch die Kinder meiner Freunde, die die Kinder meiner Freunde gewesen waren, welche ebenfalls die Kinder meiner Freunde waren. Einige davon waren auch die Kinder von Freunden gewesen: „Viele. Ja.“ „Macht dich das nicht traurig? Die Gewissheit, dass jeder geht? Dass keiner bleibt?“ Ich schloss abermals die Augen. Ich wollte nicht darüber nachdenken. Diese Gedanken waren verschwendet. Was nützt mir Trauer denn? Trauer ist nur eine der sinnlosesten Formen der Selbstgeißelung. Sie brachte mir nichts und denen um die ich trauere auch nicht. Denn denen brachte gar nichts mehr irgendetwas. Ein hartes Gefühl auf meinen Herzen schaute ich grinsenderweise in das schöne Gesicht der jungen Brünetten: „Ich frage dich erneut: Warum fragst du?“ Sie schaute zurück: „Weil ich es gerne hätte, dass du glücklich bist.“ Auch diese Aussage traf mich unvorhergesehen. Woran machte sie fest, dass ich nicht glücklich war? Was brachte es ihr, wenn ich glücklich war? Was tut sie hier? „Warum?“, stocherte in mir doch die Neugierde um ihre Beweggründe. „Weil du es verdient hast.“ „Habe ich nicht“, antwortete ich ohne zu zögern. „Warum?“ „Dafür gibt es viele Gründe“, darüber muss ich nicht nachdenken. Ich hatte in Punkten in meinem Leben versagt, die mir niemand verzeihen kann. „Erzähl sie mir.“ „Warum sollte ich?“ Ich wollte nicht darüber reden. Unter keinen Umständen. Nicht mit ihr. Mit niemanden. Gar nicht. „Ich würde dich gerne kennen lernen. Das habe ich doch schon mal gesagt. Ich wäre gerne eine Freundin für dich, Undertaker. Ich würde dir gerne helfen, doch das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß wobei.“ ‚Eine Freundin...‘, diese Formulierung traf mich. Sie traf mich schmerzlich. Ich fragte mich gleichzeitig was ich denn bitte erwartet hatte. Doch sie zog meine Hand in meinen Händen zu sich: „Du bist auch nicht alleine, Undertaker.“ Ich musste schmunzeln. Jetzt gerade vielleicht nicht. Sie meinte es sicher wirklich ehrlich, doch das änderte nichts an der Wahrheit. Eine Wahrheit, die so lächerlich bitter war, dass man nur darüber lachen konnte: „Hehe. Am Ende bin ich es doch.“ Sky ließ ihre Augen sinken. Das war nicht was sie hören wollte. Doch auch sie wird gehen. Entweder, weil ich am Ende doch zu komisch war oder weil auch sie starb. Früher oder später. In naher Zukunft. Sie war der einzige Mensch, dem ich in meinem Leben nie einen Sarg bauen wollte. Auch diese Erkenntnis war so bitter. Sie war so bitter, dass ich sie ganz weit nach hinten schob und ein Lachen hervor kramte: „Ich habe mich daran gewöhnt. Denn man gewöhnt sich an alles, kleine Sky.“ Skys Augen sprangen zurück in mein Gesicht. Irgendwie sah sie wütend aus. Etwas widerstrebte ihr gewaltig. Sie seufzte: „Heute war ein lustiger Abend, oder?“ Diese Frage verwirrte mich. War es nicht offensichtlich? Ich lachte, als ich mich an den heiteren Abend zurück dachte. An Lee, der Dinge erfahren hatte, die ihn wirklich nicht behagten. An Frank, der die Diskussion mit Alex und Charlie verloren hatte. An Charlie, für den dieser Abend fast in einem blauen Kleidchen mit Schürze geendet hatte: „Tehe. Ja. Vortrefflich, wieso?“ „Es haben alle viel gelacht“, betonte sie das Offensichtliche. Doch ich lachte lauter bei dem Gedanken an die lachende Runde: „Ehehehe! Lees Gesichtsausdruck lud auch herzlich dazu ein!“ „Wenn du in, sagen wir, 100 Jahren daran zurück denkst“, Sky schaute mir fest in die Augen und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass es nicht bei einer lustigen Konversation blieb: „Dann sind alle Menschen, die mit dir an diesem Tisch saßen, tot.“ Ich bekam einen Schlag. Das… war wirklich nicht lustig. Ich hatte keine Lust mehr auf dieses wehleidige Gespräch: „Fein erkannt.“ Doch Sky atmete tief durch, während ich mir nur wünschte sie würde endlich ihren schönen kleinen Mund halten: „Wie fühlst du dich dann?“ Ich riss meine Hand wieder an mich, übermannt von einer Welle unendlichen Unmutes und bodenlosen Widerstrebens. Wieder hatte ich die Gedanken gedacht, in dem Moment, indem ich wusste, dass ich sie nicht denken wollte. Das Paradoxe war, dass man es erst denken musste, um zu wissen, dass man es nicht denken wollte. Ich krallte meine Hände um die Brüstung. Eine unendliche Anspannung hatte mich gepackt und ich entließ sie durch meine Finger. Ich spürte die Balustrade darunter bröckeln, als ich auf den seichte erhellten Rasen schaute. Stumm. Ich konnte nichts sagen. Zumindest nichts, was diese Ohren vertragen würden. Auch Skyler schwieg. Ich wusste nicht was sie tat, denn ich schaffte es nicht sie anzusehen. Mein Kopf raste so ungeordnet. Warum hatte ich zu gelassen, dass sie mich so weit brachte? Jeden anderen hätte ich bei weniger als der Hälfte dieses Gesprächs einfach stehen lassen, wenn er nicht aufgehört hätte. Doch sie. Sie konnte ich nicht stehen lassen. Sie wollte mir ja nur eine gute Freundin sein. ‚Eine Freundin...‘, warum störte mich diese Formulierung so sehr? Weil es zu wenig war? Weil es mir zu wenig war, wenn sie mir nur eine gute Freundin war? Durch diesen ganzen Wulst an schlechten Empfindungen erschien ein Lächeln auf meinem Mund. Es war nicht nett. Ich wusste, dass es nicht nett war. Doch meine Kontenance ging auf ihr Ende zu: „Tehehe. Was möchtest du jetzt von mir hören?“ „Die Wahrheit.“ „Ich sage immer die Wahrheit.“ „Oder gar nichts.“ „In der Tat.“ „Sagst du mir jetzt die Wahrheit oder gar nichts?“ Etwas in meinen Kopf machte Klick, als ich nur die Augen zu ihr wandte. Die Balustrade bröckelte weiter unter meinen Fingern. Ich wusste auch nicht, warum ich nicht einfach nichts sagte. Mein Gesicht entgleiste mir in eine fast zornige Fratze. Alles was folgte sprach ich ruhig, doch war das alles was von meiner Beherrschung übrig war. Denn ich sprach, ehrlich, aber ohne nachzudenken, was selten war: „Willst du von mir hören, dass ich traurig bin wenn ich an schöne Momente zurückdenke? Dann ist die Antwort ja. Ich erfreue mich daran und gleichzeitig sind sie schmerzlich. Willst du hören, dass ich jedes Mal einen kleinen Tod mit meinen Freunden sterbe? Auch hier ist die Antwort ja. Willst du hören, dass es kein Geschenk ist unsterblich zu sein? Nein, ist es wirklich nicht“, ich seufzte gestresst und schaffte es mein Gesicht zu entspannen. Dann verschränkte ich die Arme auf der Balustrade, damit Sebastian nicht morgen eine neue anbringen muss. Ich wollte unter keinen Umständen, dass er nachfragte, was denn mit ihr passiert sei: „Willst du hören, dass ich sie alle vermisse? Tue ich. Jeden Tag.“ Ich schaute zu Skyler, die mich etwas überfahren musterte. Und besorgt. Sie schaute so besorgt, was ich nicht einordnen konnte: „Ich frage mich nur, warum du das alles wissen willst.“ Die Schöne seufzte kurz: „Immer wenn du von Vincent sprichst oder von anderen alten Freunden, grinst du und lachst, aber… deine Augen tun das nicht. Sie werden ganz dunkel und traurig. Dann siehst du so... verlassen aus. Das… ist kein schöner Anblick.“ Ich schaute wieder in den Garten. Ich wusste, dass meine Augen immer viel über mich verrieten. Sie zu verstecken hatte viele Gründe. Unerkannt bleiben, aber in mehr als einem Sinne: „Es ist auch kein schönes Gefühl.“ „Du redest auch nie darüber.“ „Warum sollte ich?“ „Ein bisschen Schmerz von der Seele reden tut doch immer gut, oder?“ Ich schwieg. Ich hatte kein Händchen für Schmerzen. Zumindest nicht für meinen eigenen. Er sollte mir so fern bleiben wie möglich. Es brachte auch alles nicht. Sich ärgern, trauern, reden. Was bringt es denn? „Immer wenn du so traurig schaust, frage ich mich wie ich dir helfen kann...“ Nun brachte mich ihre Aussage zum Lachen. Weil sie so gut gemeint und so herrlich blauäugig war: „Hehe. Das kannst du nicht.“ „Wer dann?“ „Niemand.“ Als ich zu ihr schaute sah ich, dass ihr schöner Kopf wieder herunter gefallen war. Sie sah so bekümmert aus: „Das kann doch nicht wahr sein…“ Ich hob sachte ihr Kinn an, um sie zu zwingen mich anzuschauen. Was ich sagte sollte, sollte final sein. Die Konversation sollte jetzt zu Ende sein: „Es ist wie es ist. Niemand kann etwas daran ändern. Nicht ich, kein Mensch, kein Shinigami, kein Dämon, kein Engel. Ich habe nur zwei Möglichkeiten: Ich gehe daran zu Grunde oder ich mache das Beste daraus. Ersteres ist sinnlos und bringt mich auch nicht weiter. Das Zweite ist nicht immer einfach, doch die beste Option die ich habe. Auf meinem Weg haben mich schon viele Wesen begleitet. Einige länger, andere kürzer und ich bin ihnen für jede Sekunde dankbar, die sie da waren. Ich nehme Freundschaften wie sie kommen, auch wenn das heißt, dass ich sie verabschieden muss. Was soll ich sonst tun? Mich einschließen? Schau nicht so traurig, meine schöne Puppe. Das musst du nicht. Du musst dir keine Gedanken um mich machen. Es geht mir gut. Trotz allem, eigentlich geht es mir gut. Auch wenn Erinnerungen bitter schmecken und Freunde kommen und gehen. Im Grunde geht es mir gut“, ich lächelte immer noch schwer, aber ehrlich: „Ich mache, wie gesagt, das Beste daraus.“ Die Brünette musterte mich abwägend. Durch diesen Gesichtsausdruck hatte ich die Befürchtung, dass diese Konversation immer noch kein Ende fand. Doch plötzlich griff sie meine Hand. Verwunderung wischte kurz alles andere fort, als sich mich zu sich zog, meine Taille griff und mich an sie drückte. Fest an sie drückte und ihr Gesicht in meinem Hemd versteckte: „Ich möchte, dass du glücklich bist...“ Mit einem Seufzen setzte sich meine Verwunderung und wurde zu einem leisen Lachen. Was auch immer das junge Ding bezwecken wollte, sie hatte es gut gemeint. Wir kann man so einem possierlichen Ding sauer sein, wenn sie es doch nur gut meint? Ich legte meinen Kopf auf ihre nach Lavendel riechenden Haare: „Das glaube ich dir.“ Ich wusste gerade nur kaum wie ich mich fühlte. Komisch. Erschöpft, doch irgendwie hatte diese Erschöpfung eine angenehme Nuance. Sie nahm ihren Kopf hoch, sodass auch ich meinen aus ihren Haaren nehmen musste. Sie musterte mich immer noch mit einem besorgten Gesichtsausdruck und tat keine Anstalten mich aus der Umarmung zu entlassen. Nicht, dass ich mir das gewünscht hätte. Ich lächelte ihr seicht entgegen. Vielleicht war ich zu dem zerbrechlichen Ding doch ein wenig zu schroff gewesen. Sie wollte ja nur Gutes für mich: „Danke.“ Skyler blinzelte überrascht: „Was? Warum?… I-Ich… wollte dir helfen, doch ich… ich habe das Gefühl ich habe es eher geschafft dich zu foltern…“ Lächelnd wackelte ich mit dem Kopf: „Ehehehe. Teilweise. Ein bisschen. Doch es tut doch immer gut sich ein bisschen Schmerz von der Seele zu reden“, dann zog ich meinen Mund in mein alt bewehrtes Grinsen: „Oder?“ Sie lachte erleichtert und ihr Gesicht wirkte nicht mehr so schwer. Ich kann die vielen kleinen Steine fast von ihrem Herzen kullern hören: „Ich hoffe.“ Also neigte ich den lächelnden Kopf: „Tut es.“ Ihr Lächeln blieb erleichtert: „Wenn du wieder Jemanden zum Reden brauchst, mach einfach Kikeriki.“ Dieses Kikeriki brachte mich zu einem wieder gänzlich amüsierten Lachen: „Ehehehehehe! Ich werde es mir merken!“ Sie stieg in mein Lachen ein und die Situation verließ endlich diese ätzende Schwere. Gerade als ich merkte, dass ich mich wieder entspannte hatte, rollte eine steife Brise über uns hinweg. Ich merkte wie das hübsche Ding, was doch so schnell krank wurde, in meinem Armen zu zittern begann. Ich zog sie zu mir um den kalten Wind auszusperren, doch ich wusste das ich das kaum konnte: „Du solltest wieder rein gehen und dich hinlegen“, ich schob sie an den Schultern ein Stück von mir weg und legte meinen Kopf schief, als ich sie musterte: „Du wirst noch krank und du müsstest doch langsam wirklich müde sein, oder?“ Sie nickte und ihre Augen sahen furchtbar erschöpft aus. Dieser Tag sollte nun ein Ende haben. Er war anstrengend genug gewesen. Für sie und auch für mich. Mit einem kleinen Lachen hob ich sie behutsam auf ihren Balkon: „Schlaf gut, meine schöne Puppe.“ Sky ging einen zögerlichen Schritt zurück und faltete ihre hängenden Hände mit ihrem Blick zu Boden: „Schlaf… Schlaf du auch gut.“ Ich hob ihr Kinn nach oben. Einmal wollte ich noch ihre schönen blauen Augen in dem fahlen Mondlicht sehen: „Werde ich“, dann stieß ich ihr spielerischer gegen die Schulter: „Und nun geh. Hehehe!“ Sie verschwand mit einem letzten scheuen Lächeln. Als ihre Balkontür zugefallen war, verschwand auch ich in mein Zimmer. Ich legte behutsam die Kette auf den Nachttisch und warf mich auf mein Bett. Liegend zog ihr mir wahrscheinlich eher umständlich meine Schuhe aus und ließ sie einfach auf den Boden fallen. Ich schaute auf meine Anhänger: „Eine gute Freundin...“ Seufzend schaute ich gegen den Himmel meines Gästebettes. Unruhig wackelte mein eines angezogenes Knie hin und her und ich wischte mir durch mein erschöpftes Gesicht. Trotz des warmen Nachhalls in meiner Brust, herrschte in mir ungeahnt viel Chaos. Alte und neue Gefühle. Meine Gedanken schweiften durch das Hier und Jetzt, dann in alte Zeiten, wieder zurück und wieder in verblasste Erinnerungen. Ich starrte Stunden mit einem wackeligen Knie an diese Decke: „Eine gute Freundin...“ Ich hasste diese Formulierung. Kapitel 10: Aushilfsdetektive ----------------------------- Sky „Nein!“, schrie ich. Meine Lungen brannten. Ich rannte atemlos durch die schwarze Nacht. Ich spürte die Überanstrengung in meinen Beinen, doch das Adrenalin in meinen Venen ließ mich immer und immer und immer weiter rennen. Die Welt um mich herum war formlos. Eisige Luft zieht an meinen Kleidern. Meine nackten Fußsohlen schrammten beim Rennen über das unregelmäßige Kopfsteinpflaster. Hinter den verwitterten Straßenlaternen hörte die Welt auf. Wurde zu einer schwarzen Maische großem Nichts. Doch ich rannte. Immer weiter. Immer weiter in das Nichts hinein. Hinter mir langsam, aber viel zu nah die bedrohlichen Schritte. Die gelben Lichtkegel der Laternen flogen an mir vorbei, wie wütende Glühwürmchen, während ich durch meinen raschelnden Atem und mein wummerndes Herz nur zu überdeutlich diese Schritte hinter mir hörte. Tip tap tip tap. „Geh weg! Lass mich in Ruhe! Hilfe! HILFE!“, meine Tränen flogen von meinen hitzigen Wangen. Doch ich rannte. Trotz aller Schmerzen rannte ich immer weiter. Öfter strauchelte ich, fing mich gerade rechtzeitig mit den Händen ab und rannte weiter. Immer, immer weiter. Die Straße vor mir verlassen und endlos lang. Niemand dort, der mir helfen konnte. Niemand der mich schreien hörte. „Hilfe! Hört mich denn niemand?!“ Tip tap tip tap. „HILFE!“ Tip tap tip tap. „Irgendjemand! BITTE!“ Tip tap tip tap. „HIL… ARG!“, meine nackten Zehen blieben schmerzhaft in einem der grobschlächtigen Spalten hängen. Brutal schlug ich auf den Boden auf. Tip tap tip tap. Hastig wollte ich aufstehen, doch mein Vater hatte mich am Arm gepackt und zog mich zu sich herum. Sein Griff, schmerzhaft und stramm wie ein Schraubstock, zog sich um meinen Bizeps: „Lass mich los! Zur Hölle, lass mich in Ruhe. VERSCHWINDE!“ Ich zog an meinem Arm, wie von Sinnen, in schierer Todesangst. Doch ich kam nicht frei. „Nein! Nein!“, ich rief und flehte: „Lass mich los! Nein! Lass mich los!“ Meine weit aufgerissenen Augen klebten an ihm. Er holte aus. „NEIN!“ „NEIN!“, ich saß aufrecht im Bett. Schwitzend. Keuchend. Mein Kopf surrte. Heiße Tränen mischten sich auf meinen Wangen mit meinem kalten Schweiß. Ich schaute mich in dem Zimmer um. Dem Gästezimmer der Phantomhives. Ich war in Sicherheit. Ich war wahrscheinlich im sichersten Haus von ganz London. Weit, weit weg vom East End. Weit, weit weg von… ihm. Meine Augen fielen zu, als ich erleichtert ausatmete und mir mit zittriger Hand über das Gesicht wischte: „Ein Traum… Es war nur ein Traum...“ Ich schnappte mein Handy und schaute auf das Display: 07:09 Uhr, Mo. 2. Nov. 2015. Ich rieb mir über den Oberarm, an dem mich das grauenhafte Alptraumbild meines Vaters gegriffen hatte. Dann zog ich meine Beine zu mir und versteckte schluchzend mein Gesicht in meinen Händen. Ich fühlte mich so furchtbar alleine. So unendlich, furchtbar alleine. Nach einigen Minuten rieb ich mir Schweiß und Tränen aus dem Gesicht. Ich atmete tief durch und warf die Beine aus dem Bett. Solche Alpträume waren nichts Besonderes. Regelmäßig erwehrte ich mich, oder eben nicht, in meinem Träumen meinem eigenen Vater, der mir nur Böses wollte. Doch… Wahrscheinlich hatte ich nichts anderes verdient… Ich schüttelte mich und versuchte das klamme Gefühl los zu werden. Es war nur ein Traum. Nun war er vorbei. Das war alles was zählte. Stöhnend wischte ich mir den nassgeschwitzten Pony aus dem Gesicht. Ich musste dringend duschen gehen. Wahrscheinlich ging es mir nach ein paar Minuten unter der riesigen Regendusche gleich besser. Ich war ja schon ein wenig neidisch auf die Phantomhives. Ein Heimkind aus dem East End kannte so einen Wohlstand nicht. Doch die Phantomhives und ihre Angestellten gaben mir nicht eine Minute das Gefühl ein minderer Mensch zu sein. Im Gegenteil. So tapste ich, die Kleidung die mir Sebastian gestern gab über den Arm gelegt hatte, aus meinem Zimmer und wollte die paar Schritte quer durch den Flur in das Badezimmer gehen, da stoppte mich das Aufgehen eben dieser Türe. Eine Gestalt mit nassen, langen, silbernen Haaren kam heraus. Ich holte Luft, um den Bestatter einen guten Morgen zu wünschen, doch er ging zu seiner Zimmertüre ohne mich anzuschauen. Tropfen sickerten von seinen langen Haaren in den Stoff seines weißen Baumwohlhemdes mit dem Stehkragen und den überlangen Ärmeln und machte ihn an den Schultern fast durchsichtig. Doch das Gesicht des Bestatters lag in ungeahnt dunklen Schatten. Seine Mundwinkel ließen sein übliches Grinsen missen und waren düster gerade. ‚Fein erkannt‘, surrte seine kalte Stimme durch meinen Kopf. Mir war viel zu spät gewahr geworden, wie hart meine Worte den Totengräber getroffen haben mussten. Eine weitere Art von Panik wallte in mir auf. Ignorierte er mich? Hatte ich ihn gestern Abend doch so sehr verärgert, dass er mich nun mit einer kalten Schulter strafte? Ich wollte nicht, dass er sauer auf mich war... Mit einem Klicken schloss sich seine Zimmertür hinter ihm, ohne dass ich ihn stoppte. Meine Augen wanderten zu Boden. Ich glaubte ich verstand erst jetzt, wie viel giftigen Staub ich aus dem Grunde der Seele des Bestatters aufgewirbelt hatte, indem ich ihn gezwungen hatte sich seiner Trauer gewahr zu werden. Ich wollte es ändern. Mich entschuldigen. Doch ich wusste nicht wie. Also setzte ich vorerst meinen Weg fort. In dem für mich großen, für die Verhältnisse der Phantomhives aber relativ kleinen, marmorgetäfelten Badezimmer mit der ebenerdigen Regenwalddusche schaute ich mich sorgfältiger um. Die Haare des Bestatters waren nass gewesen, also tippte ich, dass er gerade aus der Dusche gekommen war. Doch der Spiegel über dem großen, weißen Waschbecken war nicht beschlagen. Generell war es in dem Badezimmer relativ kühl. Mit meinen nackten Füßen lief ich über den schwarzen Boden auf die Dusche zu. Sie war nass. Doch der Blick auf den Wasserregler ließ mich verwundert blinzeln. Der Einhebelmischer war komplett nach rechts gedreht. Hatte der Bestatter mit kaltem Wasser geduscht? Wer macht denn sowas? Ich konnte es mir nicht vorstellen und öffnete den Hahn. Aus dem großen, eckigen Duschkopf prasselte das Wasser auf die großen Kacheln. Ich hielt meine Hand darunter. Das Wasser war nicht nur kalt, es war eiskalt und ließ mich schaudern. Eine unwillkürliche Sorge wallte in mir auf. Das düstere Gesicht des Totengräbers geisterte durch meinen Kopf. So schwer. So düster. Ich seufzte und drehte den Mischer ein ganzes Stück nach Links. Während mein Nachthemd zu Boden fiel und ich mir mit der großen Bürste durch meine Haare fuhr, waberte die Dampfwolke des mittlerweile warmen Duschwassers zu mir herüber. Mein Gesicht in dem Spiegel verschwand hinter dem dunstigen Niederschlag. Ich stellte mich unter die warme Dusche und rieb mir meinen Nacken. Das Fluchmal... Ich seufzte gestresst und hielt mein Gesicht in das warme Wasser. Doch der Gedanke an das Fluchmal wurde schnell wieder von der Frage fort gewaschen, warum jemand mit komplett kaltem Wasser duschte. Sicherlich könnte man nun sagen es sei nicht weiter verwunderlich, da der Bestatter eh durch und durch komisch war. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl es war ein Indiz dafür, dass er schon um sieben Uhr Morgens einen schlechten Tag hatte. Ich diskutierte mit mir selbst, während ich mich wusch. Sollte ich mit ihm reden? Ich war mir nicht sicher. Wenn ich richtig dachte, hatte so sein schlechter Tag ja erst angefangen. Vielleicht, oder eher wahrscheinlich, will er mich gar nicht sehen… Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, während mir die warmen Tropfen in Strömen über das Gesicht rannen. Ich hatte keine Ahnung was ich ihm sagen wollen würde. Es sei alles ok? Eigentlich war das alles gar nicht so schlimm? Natürlich… ungefähr 2 Jahrhunderte lang seine eigenen Freunde unter die Erde zu bringen ist ja keine große Sache. Ich könnte verstehen, wenn er jemanden für so eine Aussage ziemlich skrupellos die Nase einmal schief und wieder gerade bog. Wenn er sich darauf überhaupt beschränkte, verdiente er für seine Selbstbeherrschung eigentlich einen Orden. Ich glaubte einfach, gerade gab es nichts wirklich Sinnvolles was man ihm sagen konnte, was nicht prinzipiell dazu einlud es in den falschen Hals zu bekommen. Sollte ich einfach fragen wie es ihm ging? Ob er gut geschlafen hatte? Doch eigentlich konnte ich mir diese Fragen nach dem Anblick seines halb abgewandten Gesichtes selbst beantworten. Ich trocknete mich ab und zog mich an. Dann föhnte ich mir die Haare. Ich drehte sie in einen lockeren Dutt, wischte mit einer Hand den Dunst vom Spiegel und schaute mir nachdenklich eine Weile in die eigenen Augen. Ich sollte seine Gefühlslage einfach akzeptieren und auch, dass er augenscheinlich nicht zum Reden aufgelegt war. Auch wenn ich selbst nichts dringlicher wollte, als ihm zu helfen. Doch… das wollte ich gestern auch… und es war augenscheinlich furchtbar schief gegangen... Auch ich verschwand in mein Zimmer und begann mich zu schminken. Ich schaute auf mein Handy. Es blinkte. Mit meinem Gesicht nur halbfertig zückte ich es. – Amy [02.11.15; 07:36] Guten Morgen :* Falls du schon wach bist^^ Frühstück heute um 8! Die Reaper müssen arbeiten. Solltest du noch schlafen weckt dich Sebastian. Nur damit du nicht zu Tode erschrocken aus dem Bett fällst ;D - Ich schaute auf die Uhrzeit in der oberen Ecke des Displays: 07:42 Uhr. Der Butler würde sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen. – Sky [02.11.15; 07:42] Morgen! Ich bin wach. Ist Undertaker schon unten? - Amys Antwort kam prompt: – Amy [02.11.15; 07:42] Nein. Warum? - Ich seufzte: – Sky [02.11.15; 07:42] Interesse - – Amy [02.11.15; 07:43] Aha? Das heißt? - – Sky [02.11.15; 07:43] Nichts - – Amy [02.11.15; 07:43] Siiiiiiiicher? ~8D - – Sky [02.11.15; 07:43] Ja... - – Amy [02.11.15; 07:44] Du weißt schon, dass er das Zimmer neben dir hat, wenn du Sehnsucht nach ihm hast, ja? <(¬v¬<) - Ich merkte sofort eine unangenehme Wärme in meinem Gesicht: – Sky [02.11.15; 07:44] Amy! - – Amy [02.11.15; 07:44] So heiß ich :P - – Sky [02.11.15; 07:44] Sehnsucht?! (o)_(o) Du solltest weniger Wein trinken! Das bekommt dir nicht! - – Amy [02.11.15; 07:44] Du hast noch eine viertel Stunde. Nutze sie c[= - – Sky [02.11.15; 07:44] Wofür denn bitte?! (¬_¬*) - – Amy [02.11.15; 07:45] Ich hab gehört Gardinenbänder eignen sich super zum fesseln -.^ - Mein Rot wurde dunkler: – Sky [02.11.15; 07:45] D8… Hallo?! Ich wiederhole!: Weniger Wein! - – Amy [02.11.15; 07:45] >///< ← Dein Gesicht! - – Sky [02.11.15; 07:45] (눈_눈) Du kannst mich mal... - – Amy [02.11.15; 07:45] Gern haben? Tu ich doch immer. Weißt du doch ( ˘ ³˘) - – Sky [02.11.15; 07:46] -.-* … Bis gleich… Werd nüchtern! Oder ich zeige die Nachrichten Sebastian!- – Amy [02.11.15; 07:46] Willst du mich umbringen?! o_O"' - – Sky [02.11.15; 07:47] (҂`_´) <︻╦╤─ ҉ - - - - - - Ra Ta Ta Ta Ta Ta Ta! - – Amy [02.11.15; 07:47] Spielverderber °^° - – Sky [02.11.15; 07:47] Bis gleich! - Mit einem Stöhnen legte ich das Handy weg und schminkte mich zu Ende. Ich seufzte dem noch nicht ganz wachen Ich in dem Kommodenspiegel entgegen. Dann griff ich mir eine Packung Foundation aus meiner Make up Tasche. Eigentlich benutzte ich sie kaum. Doch nun schmierte ich sie mir unter die Augen um meine Augenringe zu verdecken. Ich war immer noch müde. Ich hatte zwar geschlafen, doch es war nicht viel und nicht sonderlich erholsam gewesen. Mit einem letzten Blick auf mein Handy entschloss ich mich, meinen Weg zum Esstisch anzutreten. Ich stand nur vor der großen Frage: Welchen? Esszimmer oder Wintergarten? Der Butler wusste sicher, dass ich wach war, weil Amy es wusste. Deswegen konnte ich mir vorstellen er kam nicht um mich zu eskortieren. Sicherlich denkt er ich kämme wieder mit Undertaker zum Frühstück. Doch da stand ich auch schon vor dem nächsten Problem: Der Totengräber will mich sicherlich nicht sehen und ich ihn nicht nerven… Warum hab ich Hohlfrucht auch meine verdammte Klappe so weit aufgerissen? Gut gedacht war immer noch weit entfernt von gut gemacht… Seufzend stellte ich fest, dass mich einfach nichts mehr retten konnte. Nicht in Punkt A) und nicht in Punkt B). Also verließ ich mein Zimmer und versuchte meinen Bestimmungsort eigenständig zu finden. … Erfolglos…. Irgendwann stand ich in einem Teil der Villa, den ich definitiv noch nie gesehen hatte und hatte keine Ahnung mehr wo ich eigentlich war. Ich sah auch keinen Bediensteten. Die Welt schien mich ein weiteres Mal verlassen zu haben. Warum hatte ich nur immer so ein Pech? Ich konnte lediglich sagen, dass ich im Erdgeschoss sein musste. Eine Erkenntnis, die mich auch nur minimal weiter brachte. Sowohl Wintergarten, als auch Esszimmer waren im Erdgeschoss. Das war es aber auch schon mit meiner Orientierung gewesen. Also wanderte ich weiter durch die Villa, vollkommen überfordert mit der unsäglichen Größe dieses Hauses. Mein Handy vibrierte: – Amy [02.11.15; 08:22] Sky? Wo bist du? - Ich seufzte, als ich meine Antwort tippte: – Sky [02.11.15; 08:22] Ich habe keine Ahnung... - – Amy [02.11.15; 08:23] Wie? - – Sky [02.11.15; 08:23] Ich… hab mich verlaufen - Jetzt dauerte es eine Minute bis Amy antwortete: – Amy [02.11.15; 08:24] Warum sagst du denn nichts? Undertaker hätte dich doch hergebracht! - Ich seufzte abermals, als ich nicht wusste wie ich Amy meine Situation erklären sollte: – Sky [02.11.15; 08:24] Ist er denn schon da? - – Amy [02.11.15; 08:25] Ja. Er sitzt vor mir und schaut mich verwundert an - – Sky [02.11.15; 08:25] Warum verwundert? - Wieder dauerte es eine Weile länger bis mir die Phantomhive antwortete: – Amy [02.11.15; 08:27] Er fragt sich warum du ihn nicht gefragt hast, wo du hin musst - Erklärungsnot die Zweite. Was sollte ich Amy jetzt darauf antworten? – Sky [02.11.15; 08:29] Ähm… Ich dachte er wäre schon unten - – Amy [02.11.15; 08:29] Du hast mich doch gefragt und ich hab nein gesagt! - – Sky [02.11.15; 08:30] Er ist doch nicht mein Fremdenführer! - ‚Scheiße...‘, ließ ich den Kopf hängen. Das war ja mal ein wunderhübsches Eigentor gewesen. – Amy [02.11.15; 08:35] Sag ihm das selbst - – Sky [02.11.15; 08:35] Wie… meinst du das? - – Amy [02.11.15; 08:36] Dreh dich um #-) - Ich drehte mich um… und bekam einen halben Herzinfarkt. Ein breites Grinsen schaute mir aus einer langen Robe, unter einem langen Pony mit verschränkten Armen und einen Keks zwischen den Lippen entgegen. Ich starrte den Totengräber nur an: ‚Er… ist hier?‘ Doch Undertaker lachte wie eh und je. Sein Grinsen war wie gewohnt und sein Gesicht wirkte nicht mehr im Ansatz düster oder verstimmt: „Eh he he he. Du weißt schon, dass du in die komplett falsche Richtung gelaufen bist, oder?“ Ich schüttelte immer noch perplex den Kopf: ‚Warum ist gerade er gekommen, um mir zu helfen?‘ Und warum wirkte er auf einmal wieder so, als sei Nichts geschehen? Wenn man das Gesicht des Bestatters musterte, lag kein Anzeichnen mehr für unsere, für ihn recht unerfreuliche, gestrige Konversation darin. Es grinste einfach amüsiert vor sich hin. Jeder andere wäre jetzt wahrscheinlich erleichtert, doch mir stieß dieser Ausdruck sauer auf. Ich konnte mich noch allzu deutlich an sein Gesicht vor knapp 1 ½ Stunden erinnern, welches gänzlich gegensätzlich gewesen war. So schnell konnte auch Undertaker seine Launen nicht wechseln. „Nun ja, tehehe, jetzt weißt du es. Folge mir“, der Bestatter ging an mir vorbei. Immer noch im Unreinen mit der Welt, ging ich hinter ihm her. Doch ließ ich die Augen hängen. Mein schlechtes Gewissen war so massiv, dass ich es nicht einmal schaffte den Rücken des Totengräbers zu mustern. Wir gingen durch die langen Flure. Schweigend. Nur unsere Schritte störten die Stille, denn nun hörte man auch wieder die Absätze des Leichengräbers auf dem feinen Steinboden. Ich fragte mich, ob ich ihn darauf ansprechen sollte. Auf die kalte Dusche. Auf diesen unendlich düsteren Gesichtsausdruck. Doch ich blieb stumm. „Warum belügst du deine beste Freundin, kleine Sky?“, brach Undertaker das Schweigen. „Ich ähm...“, meine Kopf raste: ‚Mist! Verdammt! Scheiße! Was soll ich nur sagen?!‘ Mein Kopf spuckte keinen Masterplan aus. Sollte ich die Wahrheit sagen? Doch mir war das alles so peinlich. Ich schämte mich so sondergleichen für meine vorlaute Klappe. Ich legte eine Hand beschämt über meine Augen und lief, den Kopf immer noch zu Boden, weiter hinter dem Bestatter her. Dann stoppte ich. Unfreiwillig. Denn ich rasselte in den Rücken des Totengräbers, dessen Stoppen ich nicht gesehen hatte. Aufgrund der unvorhergesehenen Berührung schreckte ich zurück und schaffte es immer noch nicht Undertaker anzuschauen: „… Sorry… ich ähm… wollte nicht in dich hineinlaufen...“ „Hehehe. Was ist los mit dir, Skyler?“ Ich verschränkte die Arme hinter meinem Rücken und schaute meinen über den Steinboden scharrenden Fuß an: „Nichts… was soll denn sein?“ „Ich würde nicht fragen, wenn ich es wüsste“, erwiderte der Totengräber hörbar unangetan von meiner Aussage: „Ich finde es allerdings seltsam, dass du Amy und nun auch mich belügst.“ „Ich… ähm… also… äh… es ist nichts...“ „Sky?“ „Ja?“ „Höre auf zu lügen. Es gibt keinen Grund dafür.“ Doch… gab es. Nur leider keinen guten, das wusste ich selbst. Eigentlich müsste ich mich entschuldigen. Rede und Antwort stehen. Am Besten falle ich einfach auf die Knie und bitte, nein flehe, untertänigst um Vergebung! Doch mein Körper verwehrte mir jede Bewegung. Der Kloß in meinem Hals würgte mich und machte Sprechen unmöglich. Ich fing an zu zittern, aufgrund meiner Nervosität, der Scham, dem schlechten Gewissen und meiner vollkommenen Inkompetenz. „Skyler?“, hörte ich die Stimme des Totengräbers und die Spitzen seiner Lackschuhe erschienen in meinem zu Boden gesenkten Blickfeld: „Schau mich an.“ „Ich… ähm… Ich“, ich konnte nicht. Meine Unterlippe begann zu zittern und ich hatte ein saures Gefühl in meinem Hals. Doch zwei Finger an meinem Kinn sagten mir, dass ich zu können hatte: „Was ist los, hm?“ Das Gesicht des Bestatters schien mir mit einem so herrlich weichem Lächeln entgegen, dass es mir einen Tritt in die Magengrube versetzte. Meine Augen wanderten wieder nach schräg unten, in dem verzweifelten Versuch diesem weichen Blick auszuweichen, der mein schlechtes Gewissen zum überschäumen brachte. Doch nun legte er seine ganze lange Hand an meine Wange und schob meinen Kopf so, dass ich seinen grünen Augen nicht mehr fliehen konnte: „Warum sprichst du nicht?“ Ich kniff meine Augen zu: „Es… es- es- es- es- es tut mir leid!“ Nichts. Für eine Minute hörte ich von dem Bestatter gar nichts. Jetzt war es soweit. Sicherlich überlegte er gerade wie er mir unmissverständlich klar machen konnte, wo ich mir meine Entschuldigung denn bitte hin stecken könne. Meine Hände fingen an zu schwitzen und ich rieb meine Finger mit einem nervösen Brennen in meinem Magen aneinander. Doch dann flogen mir die paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich wie immer aus meiner Frisur gestohlen hatten. Das Lachen des Bestatters war so laut und unendlich belustigt, dass ich anfing ihn verwundert anzublinzeln. Seine Hand war verschwunden. Sie war mit seiner anderen zu seinem Bauch gewandert und er krümmte sich ein wenig nach vorne. Wie üblich dauerte es ein paar Minuten bis sich Undertaker wieder so weit beruhigt hatte, dass er sprechen konnte. Als er mich wieder anschaute wischte er sich ein paar Tränen aus den Augen, die man allerdings heute nicht sah. Sie waren wieder hinter seinem langen Pony verschwunden. „Awuwuwuwuwuwu! Du denkst doch nicht tatsächlich ich würde dir gestern Abend nachtragen, oder? Fuhuhuhuhu!“ „Öhm...“, meine Gedanken purzelten durcheinander und ich musste ein paar weitere Male blinzeln, bis ich meine Sprache einigermaßen wiedergefunden hatte: „Doch?“ Wieder lachte der Bestatter und hielt sich dabei die Hand vor den Mund: „Pahahahahahaha! Wieso denn?!“ Ich ließ den Kopf ein weiteres Mal hängen und scharrte wieder nervös mit meinem Fuß: „Naja… Du hast heute Morgen so düster geschaut… und du hast kalt geduscht… Da dachte ich… ja.. du seist… also...“ Wieder hob seine Hand mein Gesicht zu seinem. Durch seine fehlenden Augen war sein Gesichtsausdruck kaum zu deuten. Das Einzige, was man erkennen konnte, war sein riesiges Grinsen, was ja bekanntlich alles bedeuten konnte: „Ehehe. Woher weißt du das?“ „Nun ja“, irgendwie fühlte ich mich wie ein Spanner. Dabei hatte ich gar nicht gespannt! Er war mir ja zufällig über den Weg gelaufen! Ich fühlte mich trotzdem mies…: „Als ich unter die Dusche wollte, kamst du gerade aus dem Bad… I-i-i-ich wollte dich nicht bespitzeln! D-d-du bist mir einfach über den Weg gelaufen und und und da da da hab ich dein Gesicht gesehen und du hast mich vollkommen ignoriert und d-de-deswegen dachte ich du seist sauer auf mich... Da-das mit der Dusche hab ich gemerkt, als ich selber drunter wollte. Es… tut mir leid! Dass ich dich heute Morgen bespitzelt habe und und dass ich dir gestern solche… solche Sachen an den Kopf geworfen habe! I-ich wollte dich nicht traurig machen. Ich Ich wollte dir helfen!“, ich holte tief Luft, da sich meine Stimme beim Sprechen immer wieder überschlagen hatte. Auch meine Augen fielen wieder nach schief unten, da die Finger des Bestatters abermals verhinderten, dass mein ganzer Kopf folgen konnte: „Doch das ist wohl reichlich nach hinten losgegangen… Es tut mir wirklich so... so unendlich leid… Ich… möchte nicht… wollte nicht… dass du sauer auf mich bist...“ Die andere Hand des Bestatters landete ebenfalls auf meinem Gesicht und ich schaute den Totengräber von unten an. Ich fühlte mich so niedergeschlagen. Dieser Gesichtsausdruck von heute Morgen… er war so schlimm gewesen. Auch wenn er nun fehlte, die Gewissheit, dass er da gewesen war, war furchtbar. Doch Undertaker lächelte: „Ich bin nicht sauer auf dich. Ehehehe! Ich habe dich einfach nicht gesehen! Warum hast du nichts gesagt?“ Er hatte mich nicht gesehen? Das kam mir komisch vor. Ich hatte offen auf dem Flur gestanden und eigentlich wirkte Undertaker immer so, als ob er einem auch im besten Versteck aller Zeiten einfach sofort finden könne. „Nun…“, redete ich zögerlich, was sowohl auf meine emotionale Angeschlagenheit aufgrund dieses unsäglich schlechten Gewissens, als auch auf meine Verwirrtheit seiner vorangegangenen Aussage gegenüber zu münzen war: „Wie gesagt, ich dachte du seist sauer... zeigst mir die kalte Schulter und… und möchtest mich nicht sehen...“ „Das ist Blödsinn“, dann fuhr er mich mit seinen langen Fingern durch meinen Pony. Es fühlte sich so gut an und das Brennen in meinem Magen verschwand: „Hach kleine, süße Skyler. Das kommt davon, wenn man vermutet und nicht spricht“, er drehte seinen Zeigefinger in einer meiner dicken Strähnen: „Es ist alles ok. Hehehe. Ich war heute Morgen nur ein wenig in Gedanken, aber das hatte nichts mit dir zu tun.“ Ich zog meine Augenbrauen zusammen, als Undertaker seinen Finger wieder aus meinen Haaren zog. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht so unschuldig an seinen Gedanken war, wie es klang. Des Weiteren war ich mir mehr als nur sicher, dass es keine schönen Gedanken gewesen waren. Warum duschte man sonst kalt? Doch Undertaker giggelte mich nur an: „Das nächste Mal, hehehehe, frage doch einfach und zerbrich dir nicht dein schönes Köpfchen mit irgendwelchen Vermutungen“, dann nahm er auch die andere Hand von meiner Wange und hielt mir seinen Ellbogen hin: „Frühstück?“ Nach einem erleichterten Ausatmen schaute ich dem Bestatter wieder in sein verhangenes Gesicht. Mir war als sei das Gewicht der Welt von meinen Schultern gewichen, als ich so etwas wie ein Lächeln zustande brachte und mich einharkte: „Frühstück.“ Mit Undertaker als Begleitung fand ich nun ohne Schwierigkeiten den Weg in den Wintergarten und zu den Anderen. Nur waren William, Grell und Ronald schon fort. „Ohne sich zu verabschieden, hehe“, fiel Undertaker auf seinen angestammten Platz griff sich seinen Löffel und, zu meinem großen Bedauern, leider auch das Glas Marmite: „Wie unhöflich. Tihihi!“ Ich setzte mich ebenfalls zwischen ihn und Amy, wo schon ein bis zum Rand gefüllter Teller auf mich wartete. Sebastian warf mir ein unheilverheißendes Lächeln zu, also nahm ich den Teller in Angriff, bevor mir der Butler ein weiteres Mal seine ‚Unterstützung‘ anbieten konnte. Frank seufzte, eine Reaktion, die ich schon mehr als nur erwartet hatte: „Die Drei haben auch geregelte Arbeitszeiten, im Gegensatz zu dir.“ „Was soll das heißen?“, nuschelte der Totengräber fast beleidigt an seinem Silberlöffel voll Marmite vorbei: „Ich leite schließlich ein ganzes Bestattungsunternehmen!“ Frank schaute ihn mit gestresst großen Augen an: „Aber dein Bestattungsunternehmen besteht nur aus dir!“ „Ja, tut es“, stimmte Undertaker zu, doch brach dann in ein schrilles Lachen aus: „Pahahahahaha! Und ich bin wahrlich nicht einfach zu leiten! Tihihihihihihi!“ Mir fiel ein Stück Spiegelei von der Gabel, als ich mein Gesicht, eine Augenbraue erhoben, zu dem Leichengräber drehte. Frank war der Kiefer aufgeklappt: „Das hast du jetzt gerade nicht wirklich gesagt“, hauchte der Deutsche und musterte Undertaker, als würde der Bestatter gleich sein Pferd satteln um gegen Windmühlen in eine epische Schlacht zu ziehen. „Doch“, lachte der Totengräber belustigt hinter seinem nächsten Löffel der schwarz-braunen Abscheulichkeit: „Nihihihi! Habe ich!“ Frank stützte seine Augen hinter seine Hand: „Oh mein Gott.“ Dieses Mal fing ich als Erste an zu kichern. Doch Amy und auch die Anderen ließen nicht lange auf sich warten. Vor allem Undertaker nicht. Das Frühstück verlief entspannt und alle schienen bester Laune zu sein, auch wenn mir Undertakers Amüsement immer noch bitter aufstieß. Er war heute Morgen in Gedanken gewesen? Das waren aber definitiv keine Gedanken gewesen, die er irgendwie belustigend fand, so düster wie er drein geschaut hatte. Wie war er sie so schnell los geworden? Wie konnte er jetzt wieder so fröhlich sein? Gerade amüsierte sich Undertaker nur darüber, dass Ronald wohl mit einem gehörigen Muskelkater zur Arbeit gehumpelt sei, wie Charlie ihm erzählte. War er sie überhaupt los geworden? Oder hatte er sie wieder einfach hinter sein breites Grinsen gesperrt? Amy holte mich aus meinem Grübeln, als sie mich darüber ausfragen wollte warum ich mich verlaufen hatte. Doch sie bekam nur als Antwort, dass ich alle Anderen nicht immer mit meinem Mangel an Orientierung nerven wolle. Vor allen Leuten wollte ich meine Gefühlslage von heute morgen nicht ausbreiten. Undertaker fiel mir auch nicht in den Rücken, obwohl er den wahren Grund kannte. Ich tippte er war schon dahinter gestiegen, dass es mir hier für die Wahrheit ein paar Ohren zu viel gab. Als ich meinen Teller mit dem fabelhaften, traditionellen english Breakfast zur Hälfte bekämpft hatte, stellte Undertaker sein leeres und bis zum letzte Tropfen ausgeschabtes Marmiteglas auf den Tisch: „Puuuuh… Ehehehe! Das war gut!“ Ich unterdrückte ein Würgen: „Jirks… Wenn du es sagst...“ „Hey“, drehte er seinen Kopf zu mir: „Ihihi! Nicht so abfällig! Es ist eine wahre Delikatesse!“ Ich zog nur eine Augenbraue hoch: „Wenn du es sagst.“ Amüsiert seufzend schüttelte der Bestatter den Kopf: „Du kleiner Banause. Da ist wahrlich Hopfen und Malz verloren, ehehe!“ Auch ich schüttelte den Kopf, konnte mich dem kleinen Grinsen aber nicht erwehren, welches sich auf meine Lippen schlich. Dann erhob sich Undertaker: „So Earl. Ich empfehle mich, ehehe. Schließlich warten 15 neue Gäste auf meine Dienste und ein paar verstörte Familien, denen ich irgendwie erklären muss, warum man sie nicht in einem offenen Sarg aufbahren sollte. Fu fu fu!“ Der Earl Phantomhive nickte kurz: „Ich versteh schon. Während ihr im Dispatch unterwegs wart, hat Sebastian im Naturschutzamt ein paar… Unterlagen bereit gelegt“, ein vielsagendes Lächeln erschien auf den Zügen des Earls und seines Butlers: „Offiziell hat sich ein Rudel Wölfe in unser Waldstück verirrt und diese traurigen Gestalten hatten zur falschen Zeit die Idee eine kleine Nachtwanderung durch den Wald zu unternehmen. Natürlich sind die Tiere schon eingefangen. Wir mussten allerdings deinen Laden angeben. Wundere dich also nicht, solltest du Besuch bekommen“, ein weiteres vielsagendes Lachen, das verriet, dass Sebastian wohl in ein Amtsgebäude eingebrochen war und Dokumente gefälscht hatte, um so jeden Verdacht von dem abzulenken, was wirklich vorgefallen war. Auch verriet dieses Lachen, dass es definitiv nicht das erste Mal vorgekommen war. Auch Undertakers Grinsen war ein klares Zeichen dafür, dass was er hörte mitnichten neu war: „Fu fu fu. Ja, ja der gute, eifrige Butler, nehehe! Ich werde sagen sie seien wilden Tieren zum Opfer gefallen und ansonsten auf dich verweisen, Earl. Mit Besuch werde ich schon fertig. Die Frage ist eher ob, kehehehe, er mit mir fertig wird. Hihi!“ Auch das erschloss sich mir. Undertaker log nicht, auch nicht für den Earl. Eher sagte er gar nichts: „Was allerdings denkt ihr sagen die Familienmitglieder, die gerade so ihre liebe Haut retten konnten und über dem Vorfall mehr als nur bestens im Bilde sind? Ehehehe!“ Alexander seufzte nun: „Frag mich nicht. Mir sind wegen diesem Vorfall schon 6 Geschäftspartner abgesprungen. Wenn es die Intension der Trancys war, dass mir Geschäftspartner abhanden kommen, muss ich leider zugeben sie haben ihr Ziel erreicht. Diesen Verlust zu kompensieren stellt mich wahrlich vor eine Herausforderung.“ „Ihr schaffte das schon, Earl“, verriet Undertakers Grinsen sein offenes Desinteresse an trockenen Geschäftsvorgängen und wandte sich zum gehen: „Wenn ihr mich nun entschul...“ „Eine Sache noch“, unterbrach ihn allerdings der Earl im Satz und Undertaker drehte noch einmal den Kopf zu ihm: „Kannst du hinterher die Mädchen mitnehmen? Ich müsste mit Lee, Fred und Sebastian ins East End.“ Der Kopf des Bestatters fiel zur Seite: „Ah! Haben meine Erkenntnisse doch etwas gebracht? Tehehe!“ „Einiges sogar“, wackelte Lee mit einer Augenbraue: „Die Zusammensetzung war sehr typisch für einen Händler, von dem ich recht genau weiß, wo er ist. Ich hab ihn schon länger im Blick, doch dank dir weiß ich nun, dass ich mit meinen Vermutungen richtig lag. Er kauft von mir, panscht dann MEINE Ware und verdient sich so mit dreckigem Zeug und meinem guten Ruf dumm und dämlich!“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Ein Drogenbaron und ein guter Ruf? Inwiefern dieser Ruf ‚gut‘ war kam wohl definitiv auf das Milieu an, in dem man sich bewegte. Doch Undertaker belachte es: „Hehehe. Du wirst ihn lehren, Lee. Da bin ich mir sicher.“ „Aber hallo!“, rief der Asiate: „Darauf kannst du Gift nehmen!“ „Nehehe!“, lachte der Bestatter auf: „Das ist nicht halb so effektiv wie du denken mögest. Tihihihi! Ich lehne trotzdem dankend ab. Fu fu fu.“ „Metaphern, Undertaker!“, erwiderte der Chinese: „Metaphern!“ „Ich weiß, ich weiß, hehe“, dann wandte sich sein verhangenes Gesicht zu Alexander: „Natürlich kann ich die Mädchen mitnehmen, doch Eine muss Sarg fahren. Nehehehe!“ „Sarg fahren?“, fragte ich verwirrt, doch Amy verhinderte mit einem auf und ab hüpfenden Handwedeln jede Antwort: „Oh! Hier! Ich! Ich fahr Sarg! Ich fahr Sarg!“ Kopfschüttelnd griff ich Amy am Handgelenk und drückte ihre Hand wieder auf den Tisch: „Wovon redet ihr?!“ Doch Amber lachte weiter: „Na, ist dir das noch nicht aufgefallen? Du kennst sein Auto doch!“ „Ja, klar. Aber was soll mir denn aufgefallen sein?“ „Es hat nur zwei Sitze! Also muss Einer im Sarg im Kofferraum mitfahren!“ Ich klimperte Amy mit großen Augen an: „Warum willst du das unbedingt? Ich meine… er bringt doch in dem Sarg jetzt wahrscheinlich die Lei… Kada… seine Gäste weg!“ „Nihihi. Nein. Das dauert mir zu lange.“ Mein Kopf wandte sich wieder zu Undertaker: „Wie?“ Doch dieser lachte wieder schrill: „Gihihihihi! Zu Fuß bin ich schneller! Meine Damen? Seid in 15 Minuten reisefertig! Tehehehe!“ Dann fegte ein leichter Luftstoß über den Esstisch hinweg und Undertaker war einfach verschwunden. Ich blinzelte verwirrt auf die Stelle, an der der Bestatter eben noch gestanden hatte. Ein weiteres Detail, an das ich mich definitiv noch gewöhnen musste. Frank klaubte seine Serviette, die ihm der Luftzug ins Gesicht gepustet hatte, von seinen Augen und seufzte abermals: „Warum tun wir uns den Irren eigentlich an?“ ‚Irren?!‘, schaute ich Frank an und ein heißes, unangenehmes Gefühl gluckerte in meiner Magengrube auf, als ich den Deutschen mit zusammengezogenen Augen musterte, der auch noch mit einem abfälligen Gesichtsausdruck seine über alle Maßen unfreundliche Aussage unterstreichen musste. Dieser Ausdruck in seinem strengen Gesicht war mir gelinde gesagt einfach nur zuwider. Doch Alexander lachte seicht: „Weil er gut ist, Frank und eigentlich weißt du das auch. Es ist praktisch ihn zu haben, ansonsten müssten wir uns ständig mit dem Scotland Yard herumärgern.“ Während Charlie wieder kicherte, seufzte Frank erneut: „Er könnte von mir aus trotzdem immer öfter in seiner Höhle bleiben, die Andere fälschlicherweise als Laden bezeichnen...“ Das Gefühl wurde schlimmer und mir aus irgendwelchen Gründen auf einmal furchtbar warm. Was denkt Frank sich? Warum hatte er das Recht hier zu sein und Undertaker nicht? Die ständig schlechte Laune des deutschen Nobelmannes empfand ich als weitaus störender, als Undertakers übersteuerte Heiterkeit. „Warum so böse, Frank?“, breitete Lee die Arme aus: „Denkst du nicht es ist für ihn nicht hin und wieder schön aus seiner ‚Höhle‘ herauszukommen?“ „Für den Spinner ist das doch das Paradies auf Erden“, grummelte der Deutsche verständnislos. ‚Spinner?! Bitte was?!‘, war das Letzte was ich dachte, bevor meine Gedanken endgültig aussetzten: „Du bist trotzdem gemein!“, sprudelte es aus mir heraus, ohne dass ich darüber nachdachte. Doch das Gefühl in meinem Magen war eine heiße Wut geworden. Sie brodelte auf wegen den gehäuften lauten und auch stummen Beleidigungen Franks gegenüber des lachenden Totengräbers und überrannte mich aus heiterem Himmel: „Undertaker hilft euch immer und du beleidigst ihn pausenlos!“ Kaum hatte ich zu Ende gesprochen fiel eine erschrockene Stille über den Esstisch. Alle, auch Frank, blinzelten mich mit leicht geöffnetem Mund an. Selbst Sebastian klimperte verwundert mit den Augen, behielt jedoch als einziger seine Kinnlade unter Kontrolle. Die Schamesröte schoss in mein Gesicht, als ich merkte wie vorlaut ich, ein Heimkind aus dem schlechtesten Winkel des East Ends, einen deutschen Nobelmann angekeift hatte, der in der gesellschaftlichen Rangordnung wahrscheinlich mehrere hundert Stellen über mir stand. Aber ich empfand Franks Verhalten teilweise wirklich als furchtbar gemein und auch vollkommen pietätlos, wie er Undertaker immer als Irren beschimpfte und sagte er solle den Mund halten oder verschwinden. Das hatte der Bestatter wirklich einfach nicht verdient! Er war komisch, ja, aber wenigstens behandelte er jeden in dieser Runde trotz allem mit Respekt und Achtung, auch wenn es eine äußerst kuriose Form davon war. Etwas, dass der deutsche Adelige dem Bestatter gegenüber fast immer vollkommen vermissen ließ. Und das obwohl er es schon von seiner Abstammung her besser wissen müsste. Doch nun wo ich wieder ans denken gekommen war, wusste ich nicht mehr was ich sagen sollte. Mein eigener Ausbruch hatte mich so dermaßen überrascht, dass ich selbst nicht wusste wie ich damit umgehen sollte. Offenbar war ich auch nicht die Einzige die ein bisschen überfordert war. Denn die Stille am Tisch währte lange. Unangenehm lange sogar. Warum war ich so sauer geworden? „Sie hat recht!“, eilte schließlich Amy zu meiner Rettung: „Du benimmst dich teilweise wirklich unmöglich!“ Es fühlte sich an als entwich langsam die Spannung aus einem zu straff aufgeblasenen Ballon. Denn alle schienen wieder zu atmen angefangen zu haben. Alexander lachte zu mir herüber: „Für die Beiden ist das ein Spiel, Skyler. Keiner von ihnen wäre glücklich, könnten sie den anderen nicht ein wenig foppen, auch wenn unser lieber Frank das nie zugeben würde.“ Besagter Deutscher grummelte etwas mit einer düsteren Mine in seinen drei Tage Bart. Alexander wandte ihm den Kopf zu: „Trotz allem, die Mädchen haben Recht. Denke mal darüber nach.“ Frank verschränkte die Arme: „Wenn ihr meint. Denkt doch was ihr wollt.“ Dann erhob sich der Earl: „Sebastian. Fred. Lee. Es wird Zeit.“ Die beiden Jungs erhoben sich und die Gruppe um den Earl verabschiedete sich kurz. Alexander gab mir noch wie besprochen eine Liste mit allen Telefonnummern, die ich sicher in meine Tasche steckte. Heather ging in einen der Salons. Kurz darauf gingen auch Charlie und Frank. Frank meinte er habe noch ein paar Besuche zu erledigen, doch ich war mir relativ sicher er wollte nur seine Wunden lecken. So blieben ich und Amy alleine zurück. Amy schaute zu mir: „Gemein, ja?“ Ich stocherte in dem letzten Rest meines Frühstücks herum und schaute nicht zu meiner besten Freundin hoch: „Lass mich...“ „Ich habe nie erlebt, dass du so eine große Klappe hast.“ „Das ist doch einfach unfair… oder?“ „Ja, schon. Trotzdem wundert es mich, dass du die Zähne auseinander gekriegt hast!“ „Du bist auch gemein...“ „Warum?“ „Darum…“ Doch Amy lachte auf: „Was ist los mit dir, Sky?“ „Warum?“ „Weil du heute so komisch bist.“ Ich pikste eine einzelne Bohne auf meine Gabel und beschaute sie: „Inwiefern?“ „Naja. Du fährst Frank einmal quer übers Maul, belügst mich und als ich dich frage wieso, belügst du mich wieder.“ Ich seufzte und ließ die Gabel wieder sinken: „Ich wollte dich nicht belügen. Ich wollte nur nicht, dass es gleich jeder weiß...“ „Was denn?“ „Warum ich dich belogen habe.“ „Nun sind wir aber allein.“ Ich legte meine Gabel komplett weg und verschränkte die Arme auf der Tischplatte. Nun hatte ich wirklich keinen Appetit mehr: „Ich hatte ein schlechtes Gewissen...“ „Warum?“ „Ich habe mich gestern Abend noch mit Undertaker unterhalten und es maßlos übertrieben...“ „Aha? Das geht?“ Ich schaute sie an: „Wie?“ Doch die Phantomhive lachte leise: „Na, es bei ihm übertreiben natürlich!“ Ich seufzte und schaute wieder auf meinen Teller: „Wenn man das falsche Thema anspricht...“ „Es gibt falsche Themen?“ Nun wanderten nur meine Augen zu ihr: „Tust du gerade nur so, als wärst du ein bisschen blöd?“ „Nein!“, rief Amy aus: „Ich habe nur in mittlerweile 18 Jahren kein Thema gefunden auf das er so reagiert hat, dass man ein schlechtes Gewissen haben musste. Was hast du denn gesagt?“ Meine Augen wanderten wieder zurück. Ich merkte wie mein Bein nervös zu wippen begann. Doch wenn ich nicht mit Amy über so etwas sprechen konnte, mit wem dann? Sollte ich einfach gar nicht darüber sprechen? Ich schwieg ein paar Augenblicke und sinnierte darüber, ob es wirklich sinnvoll war irgendjemanden von gestern Abend auf dem Balkon zu erzählen. „Nun spuck‘s schon aus. Es belastet dich doch immer noch“, schaute Amy wie immer direkt in meine Seele. Das konnten nicht viele Menschen, doch die junge Phantomhive schien immer genau zu wissen wie es in mir aussah. Vormachen konnte ich ihr schon lange nichts mehr. Wahrscheinlich weil sie der einzige Mensch war, der mich länger gut kannte. Ich hörte das Knarren ihres Stuhles und wusste, dass sie ihn in meine Richtung gedreht hatte. Ich seufzte: „Wir haben so ein bisschen hin und her geredet und irgendwie kamen wir durch seine Anhänger auf seine Vergangenheit zu sprechen. Über all die Leute, die er kannte und die jetzt weg sind...“ „Ja und?“ Ich schüttelte den Kopf: „Dann habe ich gefragt wie er sich fühlt, wenn er daran denkt, dass wir bald auch alle weg sein werden...“ Jetzt war es Amy, die ein paar Sekunden schwieg. „Wow“, sagte sie schließlich: „Damit hast du tatsächlich das einzige Thema erwischt bei dem ich mir vorstellen kann, dass er empfindlich reagiert.“ „Tat er auch“, seufzte ich: „Er ist sauer geworden...“ „Nein, ist er nicht.“ „Woher willst du das wissen?“ „Wenn Undertaker sauer wird, geht die Welt unter. Du lebst noch, also war er nicht wirklich sauer auf dich.“ Ich seufzte abermals: „Er war auf jeden Fall… nicht gut drauf...“ „Und weiter?“ „Nichts weiter“, ich schüttelte den Kopf: „Er ist relativ schnell wieder normal geworden und ich bin ins Bett gegangen.“ „Was hat er denn geantwortet, dass du dachtest er könnte sauer sein?“ „Er… meinte, dass es ihm gut ginge. Er sagte allerdings nicht er sei glücklich, nur es ginge ihm gut… Dass er alle vermisse und es ihn traurig mache wenn seine Freunde starben, er aber kein andere Wahl hätte als einfach weiter zu machen, Freundschaften nehme wie sie kommen und gehen und sich daran gewöhnt habe…“ „Was du ihm nicht glaubst.“ „Nope...“ Überlegend legte die Phantomhive eine Hand ans Kinn: „Also heute wirkte er wieder ganz normal. Er war ein bisschen verdutzt, dass du nicht in deinem Zimmer warst, als er dich zum Frühstück abholen wollte und dass du mich belogen hast. Aber ansonsten war alles wie immer.“ Ein wenig verwirrt drehte sich mein Kopf zu Amy. Sie saß tatsächlich halb in meine Richtung gedreht, die Beine überschlagen: „Er wollte mich abholen?“ Amber nickte: „Jup.“ Meine Augen fielen herunter. „Du siehst nicht überzeugt aus“, stellte Amy fest. „Wie duscht Undertaker?“, fragte ich Amy und schaute sie wieder an. Augenscheinlich war meine Frage für sie vollkommen kontextlos und brachte sie dazu mit verwirrt großen Augen zu blinzeln: „Woher soll ich das denn wissen?“ Ich ließ die Schultern hängen: „Ich dachte du hast es vielleicht mal mitbekommen.“ „Nein“, schüttelte sie immer noch recht verwundert ihren wilden, schwarzen Schopf: „Warum ist das überhaupt wichtig?“ „Weil...“, ich rieb mir durch mein immer noch müdes Gesicht: „Ich ihn heute morgen kurz gesehen hatte...“ „Und?“ „Er hat… komisch geschaut… Düster und echt mies gelaunt...“ „Und was zur Hölle hat das mit duschen zu tun?“ „Naja… er lief mir über den Weg, da war ich auf dem Weg ins Bad und… da kam er da gerade raus und… seine Haare waren nass und er schaute halt so finster. Ich habe mich nicht getraut was zu sagen und er meinte er habe mich auch gar nicht bemerkt. Auf jeden Fall ging ich ins Bad und die Dusche war auch nass und da sah ich das der Hahn komplett auf kalt Wasser stand...“ „Komplett auf kalt Wasser?“, Amy schüttelte sich: „Brrrr! Ich krieg‘ ne Lungenentzündung wenn ich nur daran denke. Aber ihn als Shinigami kratzt das wahrscheinlich nicht. Aber doch, das ist schon irgendwie komisch. Undertaker bemerkt einen eigentlich sofort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ketten so stark sind, dass er es nicht rafft wenn jemand genau vor ihm steht.“ „Die Ketten?“, fragte ich verwirrt. „Hat dir das noch keiner erzählt?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung von irgendwelchen Ketten. Doch Amy zückte die kleine Pentagrammkette, die laut Undertaker jeder von uns hatte: „Na, die hier! Das ist nicht nur ein Schmuckstück. Dad hat es mir erklärt. Da drin ist irgendein komischer Stein, der unsere Präsenzen verschluckt. Übernatürliche Wesen können die Anwesenheit von Menschen und anderen übernatürlichen Lebewesen auch spüren. Nur Menschen schaffen das nicht wirklich. Sie haben höchstes ein vages Gefühl. Auf jeden Fall die Trancys haben wohl solche Dinger als erstes gehabt, deswegen war ihr Angriff auf dich an meinem Geburtstag auch so überraschend gewesen. Da ist Undertaker mit Charlie losgezogen, hat ein paar der Steine besorgt und uns auch welche gemacht. Jetzt haben wir wieder Chancengleichheit. Naja“, Amy lachte hämisch: „Zum größten Teil. Doch wir sind im Vorteil!“ „Warum?“ „Wegen dir!“ „Hö?“ „Sebastian und Claude tragen auch so ne Kette. Weder Undertaker, noch Grell, noch Will und auch nicht Sebastian können den Träger so einer Kette spüren. Wir Menschen schon gar nicht. Doch du. Du schon.“ „Echt?… Ähm… okaay...“ „Du verschaffst uns einen riesen Vorteil, Sky!“ Ich wusste ja atok nicht, ob diese Information ein gutes oder ein schlechtes Gefühl auslöste. Natürlich war es gut, dass sie… wir… einen Vorteil gegenüber der Trancys hatten, doch… warum sollte ich in irgendetwas besser sein als Reaper oder Dämonen? Nur weil ich verflucht war? Ich war immer noch ein Mensch und dachte folglich, dass was auch immer ich konnte die übernatürlich Fraktion nie schlagen konnte. Ich war verwirrt. Ein weiteres Mal. Und verunsichert. Endlos verunsichert. Die ganzen Warums trieben mich noch in den Wahnsinn. Wieder einmal schien Amy genau zu wissen wie es mir ging: „Freue dich einfach darüber, ja?“ Ich nickte, was laut Amys Seufzer nicht wirklich überzeugend war. Doch die Phantomhive wechselte wieder das Thema: „Wie auch immer. Also dass Undertaker dich nicht sah, kommt mir auch komisch vor. Ich habe ihn auch noch nie wirklich düster schauen sehen. Über die Dusche kann ich nichts sagen, aber im Kontext… Vielleicht… hat er gerade wirklich intensiv nachgedacht. Hin und wieder kommt es mir so vor als würde er denken“, beendete die Phantomhive ihre Aussage mit einem kleinen Lachen. Dieses Lachen gefiel mir genau so wenig wie Franks Gesichtsausdruck: „Warum bist du jetzt so schnippisch?“ „Wie schnippisch?“ „Natürlich denkt er! Undertaker ist doch nicht doof!“ „Gott, das war ein Witz!“, klimperte Amy mit ihren großen, königsblauen Augen: „Er hätte gelacht.“ „Aber ich nicht!“ „Warum nicht?“ „Weil das nicht lustig ist!“ „Warum erträgst du es nicht, wenn man Witze über ihn macht? Eben bei Frank auch.“ „Das war kein Witz“, ich verschränkte Arme und Beine: „Der hat das doch wirklich so gemeint. Was einfach Scheiße ist.“ „Höre ich da den Anklang eines Beschützerinstinktes?“ Ich zog meine Augenbrauen zusammen und musterte Amy betont verständnislos: „Nein. Wieso?“ „Na, weil du Undertaker total in Schutz nimmst!“ „Tue ich nicht!“ „Neeeeein“, lachte Amy gedehnt: „Gar nicht. Hihi!“ „Warum sollte ich ihn in Schutz nehmen?“ „Weiß ich auch nicht, deswegen hab ich ja gefragt.“ „Ich tue das auch gar nicht!“ „Doch! Total!“ „Nein!“ „Aber hallo!“ „Nein, man!“ „Aber sowas von!“ „Nein!!“ „Doch klar!“ Ich nahm eine Serviette vom Tisch, knüllte sie zusammen und bewarf sie damit: „Nein!“ Doch Amy drehte mit lachend erhobenen Händen den Kopf weg und die Serviette prallte von ihr ab: „Doch, tust du.“ Ich warf die nächste Serviette: „Hör auf so einen Mist zu erzählen!“ „Das ist kein Mist!“ Und die dritte Serviette: „Doch!“ Amy fing derweilen an zu lachen. „Nihihihi!“, unterbrach mich allerdings ein weiteres Lachen, was nicht zu Amy gehörte, als ich mit der vierten Serviette ausgeholt hatte. Amys und mein Kopf flogen herum. Undertaker schaute uns breit grinsend, mit in der Hand gestütztem Kopf, an: „Krieg im Paradies?“ „Nein!“, rief ich genervt. „Jap“, lachte Amy gleichzeitig. Wir schauten einander an. Ich sauer, sie belustigt. Undertaker lachte amüsiert: „Hehehe! Wir herrlich ihr euch einig seid.“ Ich schaute wieder zu dem Totengräber: „Wie lange stehst du hier?“ „Ihihi! Zwei Servietten“, giggelte er. Ich atmete erleichtert aus. Hätte er das ganze Gespräch mit gehört, wäre ich von der nächsten Brücke gesprungen. Mit Anlauf und einem dreifachen Auerbach. „Nehehe. Wieso? Störe ich?“ „Ja!“, rief ich. „Nein“, lachte Amy. Wieder schauten die Phantomhive und ich uns an. Amy lachte recht ungeniert. Ich fühlte mich einfach nur verarscht. Undertaker lachte derweilen noch lauter und ungenierter als Amy: „Wie köstlich! Pahahahahaha! Was nun? Fuhuhuhu!“ „Nein...“ seufzte ich geschlagen: „Tust du nicht...“ „Frauengespräche“, legte Amy ihren Ellbogen auf die Stuhllehne und schaute den Bestatter an: „Aber wir waren eh gerade fertig.“ „Ehehe! Wie ihr meint. Seid ihr bereit?“ Wieder schauten meine beste Freundin und ich uns an. Wir hatten komplett vergessen unsere Sachen zusammen zu packen und uns aufbruchsfertig zu machen. „Nein“, grinste Amy den Totengräber betont unschuldig entgegen: „Sind wir nicht. Wir haben uns total verquatscht.“ Lachend verschränkte der Bestatter die Arme: „Nehehe. Das muss ja auch mal sein. Doch nun hop! Ich habe einiges an Arbeit auf dem Tisch. Tihihihihi!“ „Ay!“, riefen Amy und ich aus einem Munde und verschwanden schleunigst in unsere Zimmer, um unsere Sachen zusammen zu suchen. Es dauerte vielleicht 10 Minuten und wir fanden den Bestatter mit verschränkten Armen und Beinen, sowie seinem großen Grinsen im Gesicht, auf dem Parkplatz an seinem Wagen lehnend. Er grinste uns an. Sein Pony war ein Stück auseinander geschoben und seine dicken Brillengläser blitzten in der hellen Novembersonne: „Nehehe. Fertig?“ Amy und ich nickten. Dann nahm mir Amy meine Gitarrentasche ab und stellte sie mit ihrer in den Kofferraum. Sie öffnete den Sarg und kletterte hinein. „Wenn wir da sind“, grinste sie eine Hand am Sargdeckel: „Weckt mich, ja?“ Dann schloss sie den Deckel. Ich schaute Undertaker mit einer erhobenen Augenbraue an: „Wecken?“ Das eh schon große Grinsen des Totengräbers war noch größer geworden: „Sie schläft immer ein. Nihi!“ „Also… fährt sie nicht das erste Mal… Sarg?“ Mit einem lachenden Kopfschütteln schloss der Bestatter seinen Kofferraum: „Mitnichten“, er ging um sein Auto herum und öffnete mir die Beifahrertür: „Immer wenn ich sie und Fred mitgenommen habe, bestand Fred auf das Recht des Älteren und verbannte sie in den Kofferraum. Tihihihi! Eine Geschwistersache vermute ich.“ Dann nickte er mit seinem Kopf auf den Innenraum seines Wagens. Ich verstand und stieg ein. Während ich mich anschnallte stieg auch der Bestatter ein und ließ den Wagen an. Kaum drehte er den Kopf um rückwärts auszuparken, stoppte ich ihn: „Warte!“ Er schaute mich mit blinzelnden grellgrünen Augen an: „Nihi. Was hast du?“ Ich hangelte mich wieder halb über den Totengräber, griff seinen Sicherheitsgurt, den er mal wieder mit Bravour ignoriert hatte, und zog ihn über ihn herüber in sein Schloss. Undertaker lachte mir entgegen: „Tehehe! Du denkst nicht wirklich ein Autounfall wäre gefährlich für mich, oder?“ Ich stockte… wahrscheinlich war es das nicht, doch diesmal spuckte mein Gehirn wenigstens recht schnell einen halbwegs plausiblen Grund für meine einfach nicht durchdachte Aktion aus: „Nein, aber öööööhm… Wenn du kontrolliert wirst gibt es ein Bußgeld, wenn du nicht angeschnallt bist.“ „Aha“, lachte der Bestatter: „Wenn du es sagst, hehe.“ Dann drehte er sich um und fuhr das Auto aus der Parklücke. Relativ schweigsam rollten wir in dem alten Leichenwagen über die Straßen Londons. Durch das Randgebiet, in dem die Villa Phantomhive lag, kamen wir relativ zügig, da dort nicht viel Verkehr herrschte. Doch je näher wir der City of London kamen, umso dichter wurde der Verkehr. Undertaker allerdings wirkte, als habe er alle Zeit der Welt. Selbst als wir das dritte Mal in eher schleppendem Verkehr festhingen machte der Bestatter kein Anstalten irgendwie ungeduldig zu werden. Irgendwann hatte er sogar angefangen mit in eine Hand gestütztem Kopf eine Melodie vor sich hin zu summen. Ich erkannte sie. Es war ein relativ altes Volkslied: Tom was a Pipersson. Ich selber verrannte mich irgendwann wieder in meinen eigenen Gedanken. Mein Kopf war immer noch so voll mit allem, was in den letzten paar Tagen passiert war. Es hatte meine Welt auf Links gedrehte. Im Handumdrehen. So schnell, dass es schon fast gruselig war. Alles was ich dachte, was war, begann ich in Frage zu stellen. Wie die Wirklichkeit wirklich aussah wusste ich kaum noch. Nachdem auch dieser Knoten irgendwann geplatzt war, trennten uns noch knapp 20 Minuten von unserer Schule. Dort angekommen wollte Undertaker aussteigen, doch ein spontaner Geistesblitz verleitete mich dazu ihn am Arm festzuhalten: „Warte!“ Ein weiteres Mal schaute mich der Bestatter ein wenig irritiert an: „Ehehe. Was ist denn nun? Laufe ich wieder Gefahr mir ein Bußgeld einzuhandeln, hm?“ „Ääääh…“, machte ich gedehnt und fasste all meinen Mut zusammen, den die reichlich amüsierte Aussage des Totengräbers fast wieder zerschlagen hatte: „Nein… Ich ähm… Hast du etwas zu schreiben?“ Der Kopf des Leichengräbers fiel ein Stück zur Seite: „Ja, wieso?“ „Weil… ich dir etwas aufschreiben möchte...“ „Ehehehe! Was denn?“ „Gib… mir doch bitte einfach etwas zu schreiben, ja?“ Aus irgendeinem Grund bekam ich nicht über die Lippen, was ich vorhatte. Ich merkte wie ich ein weiteres Mal rot anlief, was mir mindestens genau so peinlich war wie meine Unfähigkeit zu sprechen. Doch Undertaker langte mit seiner langen Hand an meine Seite des Armaturenbretts und öffnete mit einem Knopfdruck ein Handschuhfach. Mir schaute Sämtliches entgegen. In dem kleinen Stauraum herrschte das heillose Chaos. Darin tummelten sich zwei Rosenscheren mit Taschentüchern - sowohl Stoff, als auch Papier - , zerknüllten Zetteln, kleinen, braunen Glasflaschen - die so aussahen als waren sie mal Behälter für Chemikalien, zumindest verriet mir das der sympathische Totenkopf und diese vertrauensselige Abbildung eines sterbenden Fisches wie Baumes auf signalorangenen Quadraten -, ein paar schwarzen Plastikrosen, einigen verirrten Keksen: ‚Na yami...‘, 5 alten Füllern, einem Paar schwarzer Leder- und einem anderen Paar reinweißer Stoffhandschuhe, einem kleinen Notizblock und einem Brillenetui. Die langen Finger des Bestatters hielten mir besagten Notizblock und einen der alten Füller entgegen. „Wie wäre es mal mit aufräumen? Das sieht ja genau so schlimm aus wie deine Manteltaschen. Wenn nicht schlimmer“, blinzelte ich ihn an und nahm das Schreibwerkzeug entgegen: „Oder gehörst du zu der Art Mensch, die einfach alles in eine Schublade pfeffern, sie zumachen und dann behaupten es sei alles ordentlich?“ Der Totengräber lachte schrill: „Nihihihihi! Wäre ich ein Mensch würde ich sicherlich streckenweise unter diese Kategorie fallen.“ Ich machte ein betont verständnisloses Gesicht: „Musst du jedes Wort auf die Goldwaage legen?“ Wieder kicherte der Bestatter nur so schaurig schrill: „Tihihihi! Wozu ist sie denn sonst da? Und nun schreib schon! Ich bin neugierig.“ Mit einem Seufzen suchte ich eine leere Seite und schrieb mein Anliegen darauf. Als ich den Block zu machen wollte fischte der Bestatter ihn mir nonchalant aus der Hand und hielt ihn mit zwei Fingern vor sein Gesicht. Sein Grinsen wurde während er las immer weiter und mein Rot immer dunkler. Ich ballte die Hände auf meinen Knien zu Fäusten und ließ den Kopf hängen. „Nehehehe! Deine Handynummer?“ Ich nickte mit hochrotem Kopf. „Nicht, dass ich mich darüber beschweren möchte, dass mir schöne, junge Damen ihre Handynummer zustecken, aber, nehehehe, was verschafft mir die Ehre?“ „Ich...“, ich seufzte und befühlte die Tasche, in der die Liste mit allen Telefonnummern steckte: „Ich habe ja auch deine, da dachte ich es sei nur fair… und für den Fall der Fälle kannst du mich erreichen...“ „Sky? Meine Telefonnummer ist eine Geschäftsnummer und für die ganze Welt einsehbar, seitdem es dieses komische Internet gibt und Ronald unbedingt meinte er müsse sie angeben und mein Geschäft mit 5 Sternen bewerten. Was auch immer das heißt. Tehehehe!“ „Das sagt anderen Kunden dein Geschäft sei gut. Eigentlich war das ziemlich nett. Du hast übrigens viele ziemlich gute Kundenbewertungen.“ „Fu fu fu. Wirklich?“ Ich nickte. Undertaker kicherte: „Nihihihi! Das freut mich natürlich ungemein“, dann wedelte er grinsend mit dem Notizblock: „Ich schreibe mir deine Nummer auf jeden Fall in mein Telefonbuch. Für, tihihihi, den Fall der Fälle.“ ‚Warum hast du das getan, Sky~?‘, ich nickte beschämt: „Tu das...“ Mit einem weiteren Lachen seitens des Totengräbers stiegen wir aus und Undertaker öffnete wieder mit einem kleinen Lachen seinen Kofferraum und den Sarg darin. Das Lachen wurde mit einem Blick in den Sarg lauter. Ich stellte mich an den Kofferraum: „Was hast du?“ „Nihihi! Sie ist tatsächlich mal wieder eingeschlafen“, dann beugte er sich zu dem Sarg, dessen Deckel er mit einer Hand offen hielt. Ich konnte nicht richtig sehen was er tat, doch es sah aus als drehte er seinen langen, beringten Zeigefinger auf Amys Nase: „Schlafmütze. Ehehehe! Aufwachen, Prinzessin!“ Trotz des Lachens wirkte seine Stimme ganz weich, als er Amy weckte. Mein Herz hüpfte bei diesem Tonfall in meiner Brust herum und verschlug mir fast den Atem. Amys Kopf erschien als sie sich aufsetzte, ein paar Mal verschlafen blinzelte und sich reckte: „Manno… Ich hatte gerade so gut geschlafen...“ Amber rieb sich durch die Augen, als Undertaker ihr natürlich lachenderweise antwortete: „Tehehehe! Es bricht mir das Herz dich aus deinen schönen Träumen reißen zu müssen, Amber. Doch wir sind da.“ Amy krabbelte aus dem Sarg und schnappte sich die Taschen: „Ich weiß, ich weiß“, gähnte sie: „Danke für‘s herbringen.“ Sie hüpfte aus dem Kofferraum und gab mir meine Gitarrentasche. Ich hing sie über eine Schulter: „Bist du echt eingeschlafen?“ „Ja“, gähnte Amy ein weiteres Mal: „Diese Särge sind einfach sowas von gemütlich.“ Dem konnte ich nur zustimmen. Schließlich hatte ich selber schon mal die Erfahrung gemacht in einem von Undertakers Särgen zu liegen. Schlafen wie ein Toter hatte seit diesem Tag in vielerlei Hinsicht eine neue Bedeutung bekommen. Neben uns ging der Kofferraum zu. Unsere Köpfe drehten sich zu Undertaker. Dieser verneigte sich ein Stück: „Die Damen? Ehehehe. Ich entschuldige mich nun.“ „Okay“, irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl bei diesem Abschied, hatte ich doch die letzten drei Tage eigentlich kontinuierlich mit dem Bestatter zu tun gehabt: „Danke für‘s herbringen. Viel Spaß bei deiner Arbeit.“ „Werde ich haben“, lachte der Totengräber und ich glaube ihm sofort: „Bis übermorgen. Ehehehe.“ Ich wunderte mich kurz, doch dann fiel mir ein dass Alexander ja wollte, dass Undertaker jeden zweiten Tag nach dem Rechten sah. Amy nickte mit einem kleinen Lächeln: „Jup. Bis dann!“ Dann harkte sie sich bei mir ein und zog mich Richtung Tor. Doch nach drei Schritten stoppte sie abrupt und schaute mich mit schreckgeweiteten Augen an. „Was hast du?“, fragte ich verwirrt. „Scheiße!“, machte Amy nur laut. Eine kleine Panik schlich sich in mein Unverständnis. Offensichtlich war Amy gerade siedend heiß irgendwas Wichtiges eingefallen. „Was?“, fragte ich weiter verwirrt. „Hast du für die Klausur in bildende Kunst gelernt?“ Es traf mich wie ein Schlag. Ein schmerzhafter Schlag. Da war ja noch etwas Anderes neben Dämonen, Sensenmännern, Engeln, anderen Welten, irgendwelchen komischen Steinen und abstrusen Flüchen. Das ganz normale Leben. Die Klausur war nämlich morgen in den ersten beiden Stunden und auch ich hatte sie komplett vergessen: „Nein… Oh Mist!“ „Wir sind am Arsch. Lowell viertelt uns...“, mit diesem Satz drehte sich Amy noch mal um. Mein Kopf folgte ihr. Undertaker lehnte auf seiner Fahrertür und schaute uns leise lachend entgegen. „Undertaker?“, rief Amy zu ihm. „Was kann ich noch für dich tun, liebste Amber? Ehehehehe!“ Amy hob zwei Finger in die Höhe: „Zwei Särge bitte. Einmal 1,72m und einmal 1,78m.“ Der Kopf des Bestatters fiel lauter lachend zur Seite: „Wieso meinst du ihr bräuchtet sie? Gihihi!“ „Verarsch‘ mich nicht“, konterte Amy lachend: „Du hast doch alles gehört!“ „Ihr werdet das schon schaffen. Nihihihihihihi! Außerdem glaube ich nicht, dass du mich bezahlen kannst!“ „Doch, kann ich!“ Undertaker lachte schriller: „Tihihihihihihihi! Dann mach. Nachdem sowohl Ronald, als auch dein Vater noch nicht bezahlt haben, kassiere ich im Voraus. Ehehehehehehe!“ Ich schaute Amy an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Amy, auch wenn sie eine Phantomhive war, das nötige Kleingeld einfach so im Portmonee hatte, um mal eben zwei, bei seiner Qualität definitiv kostspielige, Särge von dem Bestatter zu kaufen. Doch Amy lachte: „In Deutschland macht ein Hund wau wau, in Tschechien Haff Haff, und in Holland Blaf Blaf! Wie macht er in China?!“ ‚Was?‘, war Amy jetzt ebenfalls verrückt geworden? Was will sie denn damit bezwecken? Ich musterte Amy mit schüttelndem Kopf: „Was in aller Herren Länder tust du da?“ Doch Amy gebar mir mit einer Hand zu schweigen. Undertaker grinste amüsiert erwartungsvoll. Es wunderte mich, dass er nicht lachte oder giggelte: „Ich weiß nicht. Wuff wuff?“ „Nein! Bruzzel bruzzel!“ Mir entgleisten die Gesichtszüge. Warum riss Amy jetzt diesen total dämlichen Witz? Dann flogen mir ein weiteres mal die Haare aus dem Gesicht. Undertaker hatte angefangen zu lachen und zu grölen und war hinter seiner Autotür einfach umgefallen. Er hing der Länge nach auf seinem Fahrersitz und nur seine wedelnden Beine waren hin und wieder in dem Spalt zwischen Autotüre und Boden zu sehen. Es wunderte mich irgendwie nicht, dass er selbst so etwas lustig fand. Doch Amy und ich blieben stehen, bis erst die lange Hand des Bestatter die Autotür griff und sich der Totengräber wenig später schwer atmend und mit hängenden Armen darüber hing: „Fuhuhuhuhuhu! Lass den Lee nicht hören!“ Amy grinste: „Den hab ich von Lee!“ Wieder fing Undertaker an zu lachen und rutschte wieder fast seitlich von seiner Autotür: „Ahuhuhuhuhuhu! Ok, ok. Bezahlt! Tihihihi! Ich glaube trotzdem nicht, dass ihr sie so früh brauchen werdet, aber ich mache mir eine Notiz. Puhuhu!“ Ich hatte in meinem Leben wahrscheinlich noch nie so ein dummes Gesicht gemacht wie in diesem Moment. Bezahlt? Amy hatte ihn nicht bezahlt! Sie hatte ihm doch nur einen Witz erzählt! Doch Amy grinste: „Sei dir dessen nicht so sicher. Lowell ist echt streng.“ Undertaker richtete sich wieder auf: „Dann solltet ihr zwei Hübschen euch hier nicht die Beine in den Bauch stehen, sondern in euer Zimmer verschwinden und lernen. Fu fu fu fu!“ Amy seufzte: „Ja, du hast wahrscheinlich Recht. Bye, Onkelchen!“ Undertaker winkte, setzte sich in seinen Wagen und ließ den Motor an. „Anschnallen!“, rief ich ihm zum Abschied zu. Ich sah durch die Windschutzscheibe wie der Bestatter lachend seinen Gurt griff und ihn in sein Schloss harkte. Dann zog mich Amy auch schon mit sich. Als wir durch das Tor gingen hörten wir das Auto wegfahren. Wir schlenderten über die gewohnten Wege. Sie waren fast leer. Nur Schüler der höheren Klassen waren zu sehen. Es war halb elf und gerade Fag Time. Na herrlich. Ich kam heute vielleicht um Unterricht, aber nicht um meine Pflichten als Fag herum. Doch gerade hatte ich etwas viel dringlicheres auf der Seele. Ich schaute Amy an: „Was sollte das?“ „Was?“ „Dieser dämliche Witz natürlich!“ „Ich hab Undertaker bezahlt.“ „Hä?“, war das Einzige, was mir in meiner geistigen Verwirrung über die Lippen kam. „Undertaker macht sich nichts aus Geld. Er hat Tonnen davon und für seine normalen Dienste berechnet er es natürlich. Dank William auch nicht gerade knapp, aber angemessen. Doch von uns will er eine Bezahlung, die ihm besser gefällt.“ „Und… das sind… Witze?“ „Nicht zwingend“, grinste Amy: „Er will nur irgendwie zum Lachen gebracht werden.“ In meinem Kopf machte es klick. Also hatte er auch von Ronald und Alexander kein Geld erwartet. Er wollte, dass die Beiden ihn irgendwie geartete amüsierten. Das war… ungewöhnlich. Doch musste ich zu geben, dass es zu dem generell sehr ungewöhnlichen Bestatter passte. „Okaaaay“, antwortete ich gedehnt: „Komisch.“ „An Undertaker ist vieles komisch“, zwinkerte mir Amy entgegen. „Ich glaube“, sagte ich mit einem leicht angesäuerten Gesichtsausdruck: „Das habe ich am Rande mit bekommen.“ Doch die Phantomhive lachte: „Gut zu wissen.“ „Du kannst mich mal...“ „Ich habe dich doch immer gerne, Sky.“ „Nein! Am Arsc...“ „Phantomhive! Rosewell!“, die strenge Frauenstimme hinter unseren Rücken ließ uns zusammenzucken. „Oh Mist“, murmelte die Phantomhive. „Aber hallo“, murmelte ich genauso leise zurück. Dann wirbelten wir zu Miss Lowell herum. Die Hauslehrerin der Wölfe sah unangetan aus, als sie zu uns herüber kam: „Was macht ihr Beiden ständig?!“ Amy lächelte verunglückt: „Hallo Miss Lowell. Was… äh... meinen sie genau?“ Lowell verschränkte die Arme in ihrer langen Lehrerrobe: „Es geht nicht, dass euer Vater euch immer länger Zuhause lässt, Phantomhive.“ „Miss Lowell... Das war nicht unsere Entscheidung...“ Doch Lowell war von der Ausrede der Phantomhive sichtlich unbegeistert: „Wessen Entscheidung das war interessiert mich wenig. Wie wollt ihr den Abschluss schaffen, wenn ihr so oft fehlt?“ „Es war bis jetzt zweimal Miss Lowell und...“ „Zweimal zu viel, Phantomhive!“ Wir neigten unsere Köpfe: „Es kommt nicht wieder vor, Miss Lowell. Ich werde mit meinem Vater sprechen...“ „Seid euch eurer Noten nicht zu sicher! Die Abschlussprüfungen kommen schnell näher und sie werden euch nicht geschenkt!“ „Ja, Miss Lowell“, antworteten Amy und ich mit gesenkten Köpfen. „Da ihr beiden euch bester Gesundheit erfreut“, sprach die Lehrerin weiter: „Erwarte ich euch zur nächsten Unterrichtstunde. In die Uniformen mit euch!“ „Natürlich, Miss Lowell“, antworteten wir wieder untertänigst im Chor. Dann rauschte die Lehrerin an uns vorbei. Amy und ich schauten uns niedergeschlagen an. „Wenn wir die Klausur versieben“, stellte Amber fest: „Haben wir ein monströses Problem...“ Ich nickte nur. Dann gingen wir ins Wohnheim, zogen uns um und der ganze normale Schulwahnsinn hatte uns wieder. Ich hatte nachdem wir im Wohnheim angekommen waren noch die letzten 20 Minuten der Fag Zeit damit verbracht Amys Blusen zu bügeln. Dann waren wir in den Unterricht gegangen. Doch konzentrieren konnte ich mich kaum. Die meiste Zeit musterte ich die wehenden Flaggen vor dem Fenster. Meine Gedanken tanzten ohne mich. Ich dachte an den Besuch im Dispatch, doch nicht zwingend an die Fluchgeschichte wie ich es eher erwartet hätte. Ich brütete darüber was wohl vorgefallen sein musste, dass Undertaker seine Vergangenheit so vehement abstritt. Langeweile? Es gab für ein so altes Wesen wohl kaum etwas schlimmeres, weswegen ich seinen Austritt verstand. Doch das erklärte mir nicht, warum er es abstritt eine Legende und ein Vorbild zu sein. Er stritt es ja nicht nur ab, es schien ihn regelrecht auf die Nerven zu gehen, wenn man ihn als dieses bezeichnete. Dann erinnerte ich mich an das Gespräch auf dem Balkon. Es verfolgte mich wie ein unglaublich aufdringlicher Poltergeist. Ich hatte so viele Fragen, doch ich glaubte nicht, dass der Totengräber sie mir wirklich beantworten würde. Ich hatte das Gefühl auf dem Balkon hatte ich mein Maß an Antworten, die er mir eigentlich nicht geben wollte, ausgeschöpft. Das gefühlt hundertste Mal zog ich mein Handy unauffällig halb aus meiner Tasche. Nichts. Keine SMS, keine verpassten Anrufe. Irgendwie war es komisch von dem verrückten Totengräber einfach nichts zu hören und irgendetwas in mir hoffte inständig, dass es sich änderte. Es war albern und überaus peinlich. Warum ich es so unbedingt hoffte wusste ich nicht. Doch irgendwie vermisste ich die Stimme des silberhaarigen Mannes, dessen Lachen und Kichern mit in Gedanken ständig und überall hin nach lief. Ich versuchte diese Gedanken zu verbannen, doch immer wieder brachten sie mich aus den hintersten Winkeln meines Kopfes dazu auf mein Handy zuschauen, nur damit er wieder in den Vordergrund meiner Gedankenwelt preschen konnte. Ich seufzte, als ich das Gesicht in meine Hand gestützt weiter aus dem Fenster schaute und dem Giggeln in meinem Kopf zuhörte. Es war schön. Ich mochte es und…: „Rosewell!“ Mein Kopf flog zur Tafel: „Ja?“ „Antworte!“ „Öhm…“, ich hatte keine Ahnung worauf. Ich war viel zu sehr in Gedanken gewesen: „Ähm… also...“ „Rokoko“, zischte Amy: „Was, wann, wo und woraus entstanden.“ „Ah!“, machte ich: „Äh… Rokoko war eine Stilrichtung der europäischen Kunst von etwa… öööhm... 1730 bis 1780 und entwickelte sich aus dem späten Barock. Äh… Ausgangspunkt war Frankreich.“ Lowell hatte eine skeptisch Augenbraue hochgezogen: „Richtig. Glück gehabt, Rosewell.“ Dann wandte sie sich zu Tafel und schrieb auf, was ich gerade gesagt hatte. Ich seufzte erleichtert. „Mitschreiben“, zischte Amy lachend. „Danke“, nuschelte ich ihr zu. „Kein Ding, aber pass‘ auf. Unser Leben hängt am seidenen Faden.“ „Wie gut, dass du unsere Särge schon bezahlt hast...“ „Trotzdem!“ Ich schlug mein Heft auf und schrieb seufzend von der Tafel ab. Amy rettete mich an diesem Schultag noch ganze dreimal. Ich konnte meine Gedanken einfach nicht in die richtigen Bahnen lenken. Als der Unterricht vorbei war, machte ich drei Kreuze. Auch beim Mittagessen war meine Aufmerksamkeitsspanne eher schmal bemessen. Amy erzählte mir und erzählte mir und fragte mich mehr als nur einmal, ob ich ihr überhaupt zuhörte. Ich tat es nicht wirklich, obwohl ich gewollt hätte. Doch was die Phantomhive mir erzählte bekam ich nur so am Rande mit, dass nichts davon hängen blieb. Ich stocherte nur ziemlich lustlos in meinem Essen herum und bekam keinen Bissen wirklich herunter. In unserem kleinen Apartment entschuldigte ich mich sofort in mein Zimmer, mit dem Vorwand ich wollte lernen. Und tatsächlich klappte ich an meinem Schreibtisch meinen Laptop auf mit dem Vorsatz Rokoko zu googeln, über das wir unsere Arbeiten schreiben würden. Ich legte mein Medaillon ab und nach einem leichten Zaudern auch die Pentagrammkette. Sie fanden ihren Platz neben dem Laptop auf dem Schreibtisch. Während ich mir meinen Nacken rieb, was ich seitdem ich von dem Mal wusste ziemlich oft tat, tippte ich mit der anderen Hand »Rokoko« in die Suchzeile. Doch bevor ich Enter drücken konnte fiel mein Blick wieder auf die Pentagrammkette. Ich nahm sie in beide Hände und beschaute sie. Sie war also eigentlich ein Stein, der unsere Präsenz versteckte. Wahrscheinlich hatte sie deswegen auch jeder bekommen, der dem Totengräber irgendwie wichtig war. Auch ich. Also war ich ihm wichtig… oder? Irgendwie traute ich mich fast nicht auch nur daran zu denken, dass die Möglichkeit bestünde. Doch er hatte genau das gesagt, oder? Dann stolperte mein Kopf über einen ganz anderen Zusammenhang. Nämlich über etwas, was Ronald mir vor der Statue erzählt hatte: ‚Ich wollte ihm ins Handwerk fuschen, also hat er mir reichlich in die körperliche Unversehrtheit gefuscht. Ich war für ihn ein One Hit Wonder...‘ Doch Ronald hatte auch eine Kette. Also war auch Ronald ihm wichtig. Auch wie er mit ihm trainierte erhärtete diesen Eindruck. Warum hatte er ihn also damals verletzt? Das passt doch einfach nicht zusammen! Ich löschte wieder den Suchbegriff »Rokoko« und tippte stattdessen »Campania April 1889« ein. Etliche Links blinkten auf meinem Bildschirm auf. Ich wühlte mich hindurch. In vielen wurde nur die Jungfernfahrt des Schiffes beschrieben, die mit dem Auflaufen auf einen Eisberg ein jähes Ende fand. Doch das wusste ich schon. Ronald hatte es erzählt. Auch das eigentlich nicht der Eisberg, sondern Undertaker das Schiff endgültig versenkt hatte. Doch ich suchte weiter und stieß schließlich auf die Bachelorarbeit eines Psychologiestudenten zum Thema Massenhalluzinationen. Ich blinzelte: ‚Massenhalluzinationen?‘ Doch der Artikel erzählte die Geschehnisse auf dem Kreuzfahrtschiff nicht. Nur in einer kleinen Passage berief er sich unter anderem auf die Ereignisse auf der Campania, wo wohl die gesamte Crew einschließlich aller überlebenden Passagiere einer solchen Halluzination zum Opfer gefallen waren. Noch nicht einmal was für eine es gewesen war fand Erwähnung. Er führte diese Halluzination lediglich auf ein Trauma zurück, was sich die Überlebenden in Folge einer wohl recht blutigen Massenschlachterei zugezogen hatten, welche er wiederum auf die Panik aufgrund des sinkenden Schiffes und den negativen Ausmaßen von Gruppendynamik zurückführte. Doch was genau vorgefallen war, blieb mir weiter ein Rätsel. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass die Präsenz mehrerer übernatürlicher Wesenheiten gänzlich unschuldig an dieser Massenhalluzination gewesen war. Doch das Wort ‚Massenschlachterei‘ stieß mir sauer auf. Als Ronald erzählte, er habe dort Seelen sammeln wollen, dachte ich an die Ertrunkenen, oder im Eiswasser Erfrorenen, nicht an ein blutiges Massenmordszenario. Ich fand in den Quellen des Artikels allerdings einen kleinen Anhaltspunkt: Ein Zeitungsartikel in den Archiven der British Library. Ich schaute auf die Uhr auf meinem Display: 17:16 Uhr. Es war kein Problem mit dem Bus nach Kings Cross zu fahren und pünktlich zur Ausgangssperre wieder daheim zu sein. Also schlüpfte ich schnell in eine schwarze Schlaghose, einen violetten Rollkragen Pulli und meine schwarzen Segeltuchschuhe. Während ich mir den Poncho überwarf erklärte ich Amy ich wolle in der Bibliothek weiter lernen und mir dort ein paar Bücher anschauen. Ich musste sie nicht abwimmeln. Die Phantomhive war wie erwartet von sich aus zu faul mich zu begleiten. Obwohl ich hoffte, dass mich meine Musik in den Ohren etwas beruhigte, war ich die ganze Busfahrt relativ unruhig. Die Wörter ‚Massenhalluzination‘ und ‚Massenschlachterei‘ hallten in meinem Kopf nach und machten mich auf meinem Bussitz fast rastlos. Ich spielte pausenlos mit dem geflochtenen Zopf herum, den ich mir immer noch genau dort band, wo es auch Undertaker getan hatte: ‚Das wird ein Zeichen. Für unsere Verbundenheit.‘ Ich seufzte stumm: ‚Verbundenheit...‘ Ich wusste nur leider nicht genau, was mich und den Totengräber verbannt. Mein Grübeln wurde auch je unterbrochen, als der Bus an der Haltestelle der British Library hielt. Dank des Schülerausweises vom Weston Ladys College schaffte ich es tatsächlich in die Zeitungsarchive der Bibliothek zu kommen. Ich durfte zwar nichts von dort mitnehmen, doch wozu hatte ein Handy bitte eine Kamera? Ich suchte angestrengt in den vielen, mittlerweile braun gewordenen, alten Zeitungen bis mir schließlich die vom 22. April 1889 in die Hände fiel, in der die Vorfälle auf der Campania Schlagzeile sein sollte. Und tatsächlich schaute mir das Foto eines Schiffes aus der alten Ausgabe der London Times entgegen. Ich setzte mich an einen Tisch und schlug raschelnd das trockene Papier auf: »Tragödie auf der RMS Campania Jungfernfahrt des Luxuskreuzers stürzt hunderte Menschen in den Tod Nord Atlantischer Ozean: Massenpanik auf dem sinkenden Kreuzfahrtschiff endet mit ca. 2195 Toten.« Mein Atem stockte: ‚2195 Tote?! Bitte was?!‘ Ich wusste nicht mehr. ob ich wirklich wissen wollte was auf diesem Schiff vorgefallen war, doch meine unsägliche Neugier trieb mich dazu doch weiter zu lesen: »Am 17. April diesen Jahres trat das große Luxuskreuzfahrtschiff der Blue Star Line, die ‚RMS Campania‘, mit knapp 1500 Passagieren ihre Jungfernfahrt von Southampton in Richtung New York an. Unter den Passagieren befanden sich einige Prominente der britischen High Society. Doch nach drei Tagen auf See kreuzte das Schiff einen großen Eisberg. Durch einen Riss im Bug trat Wasser ins Schiffsinnere ein und zog es auf den Grund der Meere. Aufgrund dieser Gefahrensituation muss auf dem Schiff eine Massenpanik ausgebrochen sein, die zum Tod mehrerer hundert Menschen führte. Eine genaue Zahl zu ermitteln sei unmöglich, versichert Inspector Fred Abberline: „Viele Opfer konnten noch nicht geborgen werden, die Bergungsarbeiten dauern noch an. Des Weiteren ist es schwer zu unterscheiden, welche Verletzungen durch das sinkende Schiff oder andere Passagiere hervorgerufen wurden.“ So ist unter anderem der Stararzt des Karnstein Hospital, Dr. Rian Stoker, immer noch verschollen. Zu weiteren Aussagen war der leitende Inspector Abberline nicht zu bewegen. Doch anderen zuverlässigen Quellen aus dem Hause des Scotland Yards war zu entlocken, dass nun schon die Zahl der Überlebenden und geborgenen Toten deutlich über der Passagiergrenze der Campania lag, selbst wenn man die knapp 900 Mann starke Besatzung dazu rechnen möge. Genaue Zahlen sind noch nicht bekannt. Woher diese Differenz stammt ist ebenfalls ein Rätsel, an dessen Lösung noch gearbeitet wird. Sicher konnte jedoch gesagt werden, dass einige Leichen mit schweren Verstümmlungen im Kopf- und Brustbereich geborgen wurden und andere seltsame Bissmarken aufwiesen. Auch waren einigen Verblichenen die Augen verbunden, was das Scotland Yard nach wie vor vor ungeklärte Fragen stellt. „Es war ein Blutbad“, offenbarte uns der Überlebende und Augenzeuge der Massenpanik, Viscount Aleistor Chamber of Druitt: „Traumatisierend gar! Blut und Schreie überall! Diese Monster haben Menschen angefallen wie wilde Tiere!“ Die von dem Viscount of Druitt erwähnten ‚Monster‘ sind eine weitere mysteriöse Tatsache, von der eine Vielzahl der knapp 700 Überlebenden der Campania berichteten. Die Augenzeugen beteuerten vehement in den Sälen des Kreuzfahrtschiffes von mehreren hundert ‚Zombies‘, wie sie sie nennen, angefallen worden zu sein.« Ich stockte eine weiteres Mal und las diese Zeile noch 4-mal: ‚Zombies?! Waren denn um 1800 alle verrückt?‘ Doch nun war meine eh schon sengende Neugierde nur noch größer: »Lediglich der junge Earl Ciel Phantomhive stemmt sich dieser Behauptung entgegen: „Es gab keine Zombies oder Monster auf dem Schiff“, berichtet der 13-jährige Kopf der Familie Phantomhive und der Funtom Company: „Als das Schiff zu sinken begann sind die Anwesenden in Panik verfallen. Jeder war sich selbst der Nächste. Wer auf der Strecke blieb hatte Pech. Die Betroffenen spinnen sich eine abstruse Geschichte von Zombies und Monstern zusammen, um sich von aller Schuld rein waschen zu können. Erbärmlich. Höchst erbärmlich.“ Doch von der aufkommenden Differenz wolle auch der Earl nichts wissen: „Das ist die Angelegenheit des Scotland Yards. Ich habe wichtigeres zu tun.“ Experten führen die ungewöhnlichen, doch einheitlichen Aussagen der Passagiere auf eine so genannte ‚Massenhalluzination‘ zurück, der ein schweres psychisches Trauma aller Überlebenden zu Grunde liegen könnte. Warum der Kapitän und die Crew der Campania den Eisberg nicht rechtzeitig entdeckten und den Kurs änderten, ist immer noch unklar. Denn der Kapitän der Campania ist ebenfalls eines der vielen Opfer des Vorfalles. Führende Offiziere des Schiffes berichteten ebenfalls von einer Zombieepidemie, die sie noch vor dem Aufprall auf den Eisberg in ein Kampf um Leben und Tot verstrickte, so das eine Sichtung und Umschiffung des Eisberges unmöglich war. Viele der Passagiere und Crewmitglieder wurden vom Krankenhaus direkt in eine Nervenheilanstalt verlegt. Der Fall der Campania bleibt weiter hin ein Mysterium mit vielen Rätseln, deren Lösung wohl noch einiger Ermittlungs- und Bergungsarbeiten bedarf.« Ich ließ die Zeitung sinken. Was ich von dem halten sollte, was ich gerade gelesen hatte, wusste ich nicht. Zombieepidemie? Massenpanik? Kampf um Leben und Tod? Das klingt total verrückt! Und wie es klang hielt auch der damalige Earl Phantomhive nicht viel von der Geschichte. Doch die Aussage eines Einzelnen, gegen die Aussagen von knapp 700 anderen Überlebenden? Ich konnte mir weder vorstellen, dass das was die Betroffenen gesehen haben wollen stimmte, noch dass alle derselben Wahnvorstellung unterlagen. Anderseits war eine Massenhalluzination ein weit diskutiertes Phänomen, welches genau so oft widerlegt wie bestätigt wurde. Ich war verwirrt. Aber es gab einen Menschen, nein, ein Wesen, welches in der Lage war Licht in mein Dunkel zu bringen: „Undertaker...“ Ich fotografierte den Artikel ab, legte die Zeitung zurück und haderte mit mir selbst. Eigentlich war mir danach direkt zu seinem Bestattungsunternehmen zu fahren und ihn zu fragen, was auf der Campania damals wirklich geschehen war. Andererseits hatte ich aber noch Miss Lowell und eine Klausur im Nacken. So entschloss ich den Bestatter heute nicht mehr zu nerven. Er kam ja eh übermorgen vorbei. Also lieh ich mir noch drei Bücher über die Kunstform des Rokokos aus dem normalen Bestand der Nationalbibliothek aus und fuhr zurück ins Wohnheim, wo ich versuchte mir irgendwie trockene Fakten über Rokoko einzupauken. Doch etliche Fragen über Zombies, fast 2200 Toten und Ronalds vorangegangenen Erzählungen hielten mich fast gänzlich erfolgreich davon ab. Wie gänzlich sie mich davon abhielten, stellte ich am nächsten Morgen in der Klausur fest. Nicht, dass mich dieser Zeitungsartikel schon ums lernen gebracht hatte. Er hatte mir dazu noch den größten Teil meines Schlafes geraubt. Es gab keine Zombies. Das war vollkommener Blödsinn. Doch die in dem Artikel erwähnten Bissmarken verursachten in mir in Kombination mit den Aussagen der Überlebenden kein sonderlich gutes Gefühl. Des Nachts war ich ein-, zweimal fast geneigt gewesen in Betracht zu ziehen, dass die Passagiere der Campania die Wahrheit gesprochen hatten und nicht einfach nur alle verrückt geworden waren. Doch mein gesunder Menschenverstand hatte sich eingeschaltet, bevor ich wirklich daran glauben konnte. Vielleicht waren nur ein paare Leute in ihrer Todesangst so durchgedreht, dass sie gebissen und gekratzt hatten um auf jeden Fall ein Platz im Rettungsboot zu erhaschen. Vielleicht waren es auch eben diese Ausfälle gewesen, die die Halluzination der Zombieapokalypse auf hoher See ausgelöst hatte. So muss es gewesen sein! Es war das einzig Logische. Das andere einzig Logische war, dass ich die Klausur natürlich horrend in den Sand setzte. Ich musste sogar einmal das Wort ‚Zombie‘ aus meinem Aufsatz killern, da meine Gedanken zu einem sehr ungünstigen Zeitpunk wieder angefangen hatten ihre unguten Runden zu drehen. Warum musste ich auch ausgerechnet einen Tag vor einer Klausur über ein untergegangenes Schiff nachforschen, wo ich mir schon auf Grund von Ronalds Erzählungen hätte denken können, dass nichts Schönes dort geschehen sein konnte? Ich hätte einfach Rokoko googeln sollen! Ich überlegte dennoch, ob ich vielleicht heute zu dem Bestatter fahren sollte, da mir die ganze Angelegenheit mit dem Kreuzfahrtschiff furchtbar unter den Nägeln brannte. Doch eine unerwartete Nachricht von Amy, kurz nach dem Mittagessen, hielt mich davon ab: „Sky? Wir sind tot! Tot, sag ich dir! Einfach tot!“ Ich schaute nicht von meinem Wäscheberg auf, den ich gerade am zusammenfalten war und in einen Stapel für Amy und einen für mich sortierte: „Hast du Lowell getroffen, nachdem sie den ersten Blick in die Klausuren geworfen hatte?“ „War deine so schlecht?“ „Oh ja.“ „Meine auch… aber nein. Schlimmer, Sky. Viel, viel schlimmer.“ Jetzt schaute ich Amy an: „Wir haben heute wahrscheinlich unsere schulische Laufbahn zu Grunde gerichtet. Was kann denn bitte schlimmer sein?“ „Sebastian!“ Ich gluckste: „Okay, Touché. Das hat definitiv viel Potenzial schlimmer zu sein. Aber was will Sebastian von uns, dass uns umbringen wird?“ „Wir haben November, Sky!“ Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Ja, ich weiß. Ich besitze einen Kalender.“ „Was ist Ende November?!“ „Keine Ahnung. Anfang Dezember? Was willst du von mir, Amy?“ Amy nahm mich an den Schultern und schüttelte mich: „Das Volleyballturnier!“ ‚Hirks!‘, machte es in meinen Gedanken: ‚Verdaaaaaaaammt...‘ Aber das war wirklich nicht mein Problem. Ich würde nie, niemals, niemals nie und unter gar keinen Umständen Volleyball spielen und damit mein letztes bisschen Ehre, Würde und Anstand aufs Spiel setzten: „Ja, viel Spaß dabei! Hör auf an mir herum zu ruckeln!“ „Ey, ey, ey, halt stopp“, Amy hörte tatsächlich auf, doch hielt sie mich immer noch an den Schultern, als sie mich musterte: „Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass du mich hängen lässt, oder?“ „Ich lass‘ dich nicht hängen. Ich war nie im Sportteam im Gegensatz zu dir. Sport ist Mord und meine Nase wirkt auf Bälle magnetisch. Äh-äh! Unter keinen Umständen bekommst du mich hinter ein Volleyballnetz. Das steht so nicht im ‚Beste-Freundinnen-Vertrag‘!“ Amy klappte der Kiefer auf: „Aber… du bist mein Fag!“ „Genau“, erwiderte ich: „Dein Fag, nicht dein Hauself.“ „Aber Sky!“ „Nope! Nope, nope, nope, nope! Eher stelle ich mich im Winter in einem Bikini auf den Schulhof und tanze la cucaracha!“ Amy streckte mir ihre Hand hin: „Deal?“ Ich schlug sie weg: „Im Leben nicht!“ Dann wandte ich mich wieder meiner Wäsche zu. Amy fiel mit einem lauten ‚Plumps‘ neben mir auf die Couch: „Aber du kannst doch nicht einfach vom Rand aus zusehen und la paloma pfeifen, während ich mich abstrample, man!“ „Oh, ich kann“, konterte ich trocken: „Und wie ich kann. Wirst du sehen.“ „Aber da spielt Sebastian nicht mit!“ Ich schaute sie wieder an: „Was hat denn bitte Sebastian mit mir zu tun?“ „Ne Menge“, sagte Amy mit großen Augen: „Wenn er das will.“ „Was euer Butler will, ist mir egal. Er hat mir nichts zu sagen.“ „Oh“, Amy zückte ihr Handy und tippte darauf herum: „Warte. Ich klingel kurz bei ihm durch, dann kannst du ihm das selber sagen.“ Ich riss ihr das Handy aus der Hand: „Bist du Gaskrank? Der bringt mich um!“ „Aha“, machte Amy mit finster zusammengekniffenen Augen: „Hast du vielleicht ein kleines Deja vú?“ Ich seufzte: „Du bist nicht tatsächlich noch sauer, wegen der Nachricht von gestern morgen, oder?“ Amy kniff ihre Augen weiter zusammen: „Das war eine ernstzunehmende Drohung, Sky.“ „Und du könntest mich endlich mal ernst nehmen und aufhören auf diesem dämlichen Fesselthema herum zu reiten, verdammt!“ Amy kicherte dreckig. „Was?“, fragte ich sie verständnislos. „Herumreiten war vielleicht nicht die beste Formulierung. Tihi!“ Ich nahm einen meiner langen Socken, zog ihn stramm und ließ ihn der Phantomhive ins Gesichts schnacken, woraufhin Amy mit wedelnden Gliedmaßen von der Couch polterte: „Oh! Du bist sowas von unmöglich!“ „In der Tat“, sprach eine leise Stimme. Nur gehörte sie nicht zu Amy oder zu mir. Der Kopf meiner besten Freundin erschien über den Wäscheberg und blinzelte mich verwirrt an: „Hast du was gesagt?“ „Nein“, sagte ich mit einem unguten Gefühl: „Du?“ „Äh-äh“, schüttelte Amy den Kopf. Wir schauten uns um. „Aber“, Amys Stimme war ein wenig zittrig: „Du hast das auch gehört, oder?“ „Uh-huh“, machte ich zustimmend und suchte mit meinen Augen und einem kalten Schreck in den Gliedern die Stube ab. „Gut, oder eher nicht“, sagte Amy in einen gegruselten Ton: „Geisterhafte Stimmen sind in unserer Welt kein gutes Zeichen...“ Ich stockte und konzentrierte mich. Ich spürte gar nicht. Nicht den kleinsten Hauch von Unwohlsein. Mein Nacken kribbelte nicht und das unangenehme Gefühl in meiner Wirbelsäule war klar auf den Schreck über die gespenstische Stimme zurückzuführen: „Aber… hier ist keiner. Ich… spüre nichts.“ „Mylady“, erklang die Stimme wieder und wir schauten einander mit schreckgeweiteten Augen an: „Euer Handy.“ Unsere Blicke fielen auf das Handy, das ich mir in den Schoss gelegt hatte, als ich Amy mit meinem Socken beschossen hatte. Der Anrufbildschirm leuchtete. Auf dem Display stand groß der Name ‚Sebastian Michaelis‘. „Och nö...“, stöhnte Amy: „Oh, verdammt...“ Wir müssen versehentlich auf ‚Anrufen‘ gedrückt haben, als ich Amy das Handy aus der Hand gerissen hatte. Die Geisterstimme war lediglich die Stimme des Butlers aus dem Telefon. „Was kann ich für euch tun, junge Lady? Außer mir euren schmutzigen Ausdruck anzuhören“, hörten wir die leise Stimme des Butlers: „Ich glaube ich muss mit euch noch einmal die gängigen Umgangsformen durchgehen.“ In Amys Gesicht stand kreideweiß der Anbruch der Apokalypse. Ich kicherte schadenfroh. Die Phantomhive schaute mich daraufhin boshaft an, dann erschien ein fieses Grinsen in ihrem Gesicht, was mir sofortige Rache versprach. Sie griff ihr Handy. „Was hast du vor?!“, rief ich aus. Doch Amy hatte schon auf Lautsprecher gedrückt und grinste weiter wie eine kleine Hyäne: „Wir wollten dir nur sagen, dass sowohl ich, als auch Sky, am Wochenende zum Training kommen!“ „Training?!“, fragte ich verwirrt: „Was für ein Training?!“ „Fabulös“, lachte der Dämon, sich wohl gewahr, dass meine Partizipation in Was-auch-immer nicht meinem freiwilligen Wunsch entstammte: „Ich hole sie am Samstag gegen 11 Uhr zum Volleyballtraining ab. Es ist wichtig, dass Prefect und Prefect Fag Vorbilder für die restliche Schülerschaft sind. Eine respektable Einstellung.“ Mir krachte der Kiefer nach unten: „Hey! Halt! War…!“ „Alles klar, Sebastian“, lachte nun Amy schadenfroh und unterbrach mich mit lauter Stimme: „Bis Samstag!“ „Bis dann, junge Lady. Ach ja! Lady Phantomhive? Nehmt bitte euer Benimmbuch mit.“ Dann hatte der Butler auch schon aufgelegt. Amy grinste: „Wenn ich untergehe, nehme ich dich mit.“ Ich tat einen Satz über den Wäschehaufen: „Du Natter!“ Amy lachte allerdings nur, als ich versuchte ihr an die Gurgel zu gehen. Der nächste Schultag ging auch eher schleppend voran. Hatte der Schock über meinen definitiv ungewollten Platz im Volleyballteam mich gestern weitestgehend von der Schiffsgeschichte abgelenkt, war sie heute nur allzu gegenwärtig. Denn heute wollte der Bestatter vorbei schauen und ich hatte mir fest vorgenommen ihn darauf anzusprechen. Was auch immer auf den Schiff wirklich passiert war, ich war mir sicher Grell, Ronald, Sebastian und auch Undertaker hatten dort ihre Finger im Spiel gehabt. Doch erst einmal quälte ich mich durch 6 Stunden zermürbenden Unterricht. Mir war der Unterricht in den letzten 4 Jahren nie so schwer vorgekommen. War es das letzte Jahr oder meine geistige Zerstreutheit, die ihn so anstrengend machte? Ich wusste es nicht. Zumindest schien Amy ähnlich angestrengt wie ich. Denn beim Mittagessen seufzte sie: „Lass uns heute einen Kaffee bei Ginos trinken gehen.“ Ich schaute von meinem zerstocherten Teller auf: „Aber Undertaker kommt doch heute vorbei.“ „Ach, der taucht wahrscheinlich erst gegen Abend hier auf. Der hat ‘ne Menge Arbeit und lebt deswegen im Moment wie Gott in Frankreich.“ „Ich weiß nicht“, nuschelte ich: „Letztes mal war er auch Nachmittags, da...“ „Du musst es ja wissen“, triezte mich Amy. „Ja… Ich hab mich ja auch zu Tode erschreckt...“ „Und ihm voll eine reingehauen!“ „Das war im Affekt!“ „Sah trotzdem gut aus“, grinste die junge Phantomhive. Ich seufzte: „Du bist unverbesserlich. Diese hämische Schadenfreude. Wie eine kleine Hyäne.“ Amy klimperte mit ihren großen Augen: „Aber ich bin eine schöne Hyäne, oder?“ Ich schüttelte nur den Kopf: „Hyänen sind nie schön...“ „Oh! Du Elster!“ „Elstern sind schön.“ „Und Diebe!“ „Wenigstens seh‘ ich dabei gut aus.“ Jetzt seufzte Amy: „Wie auch immer. Also?“ „Ist es nicht unhöflich? Wenn er doch früher kommen sollte und wir sind nicht da? Er macht sich doch dann Sorgen, oder? Und dein Vater auch.“ „Ach! Der kommt nicht so früh. Ich kenn‘ ihn, glaub‘ mir doch. Komm. Wir gehen uns umziehen und ab zu Ginos. Wir waren ewig nicht mehr dort. Irgendwann verfällt noch unser Stammkundenrabatt.“ Ich seufzte. Eigentlich würde ich schon gerne mal wieder die Nase ein wenig in den Wind halten und Amy hatte recht, sie kannte Undertaker länger als ich. Also nickte ich, wenn auch mit einem kleinen Widerstand: „Wenn du dir wirklich sicher bist.“ „Klar!“, Amy stand auf und ich ging hinter ihr her. Nachdem ich meine Schuluniform gegen den violetten Rollkragenpullover, eine schwarze Strumpfhose, Hotpants und Beinstulpen, sowie meine Segeltuchschuhe ausgetauscht hatte, verließ ich in meinen Poncho gewickelt an Amys Seite das Gelände. Die Phantomhive trug eine schwarze ripped Röhrenjeans, Rockerboots, ein weißes Top und ihre enge Lederjacke. Wir fuhren mit der Metro nach Westminster und waren eigentlich bester Laune. Lediglich die Geschichte mit der Campania schoss mir hier und da durch den Kopf und ich hoffte wirklich, dass wir vor dem Bestatter wieder zurück im Vampires Castle waren. An der Embankment Station stiegen wir aus und plauderten so vor uns hin, als wir den Restweg zu Ginos, unseren Stammcafé mit dem besten Bicerin außerhalb Italiens, über die Victoria Embankment an der Themse entlang schlenderten. Auf der Höhe der Whitehall Gardens surrte es auf einmal in meinem Nacken. Eine Hand an meinem zwickenden Mal fuhr ich herum. „Was hast du?“, fragte Amy. „Hier...“, ich musterte die Straße hinter uns, doch konnte niemanden ausmachen. Lediglich einer schlanken Frau mit schönen Kurven und langen, silbernen Haaren war ihre Handtasche heruntergefallen und sie bückte sich um sie aufzuheben. Ich schaute von ihr weg zu Amy: „Ist irgendwer.“ „Ein Dämon?“ Ich nickte. Auch Amy schaute sich um: „Aber ich sehe… da!“ Ich folgte Amys ausgestrecktem Zeigefinger. Ein paar Meter vor uns lief ein blonder Junge in dunklen, teuer trendigen Designerklamotten die Straße entlang. Neben ihm eine große Gestalt im Frack. Ich schluckte, als ich den Dämon Claude erkannte. Doch die Beiden hatten uns nicht gesehen. Denn sie gingen einfach weiter, ohne uns zu beachten. Dank unseren Ketten wussten sie wahrscheinlich gar nicht, dass wir da waren. Amy nahm mich von hinten an den Schultern, beugte ihr Gesicht zu mir und flüsterte mir ins Ohr: „Oliver und Claude. Die Beiden haben keine Ahnung, dass wir da sind.“ „Was gut ist“, machte ich flüsternd einen Schritt nach hinten: „Komm weg hier!“ „Ah, ah, ah, ah“, hielt Amy mich am Handgelenk fest und mein Laufschritt zurück zum London Underground wurde nur eine Runde im Kreis. Als ich vor der Phantomhive zum Stehen kam, hielt sich mich an den Schultern fest und flüsterte weiter: „Das ist unsere Chance!“ „Chance wofür denn?“, zischte ich: „Den Freitod? Die sind offensichtlich nicht wegen uns hier. Lass uns sämtlichen Göttern dafür dankbar sein und hier verschwinden.“ „Wer weiß wo die hinwollen“, wisperte Amy: „Wir könnten was herausfinden!“ „Bist du des Wahnsinns?“, tuschelte ich zurück: „Wenn die uns sehen machen die sonst was mit uns!“ „Wenn“, wackelte Amy mit den Augenbrauen: „Die Straße ist belebt, Claude kann hier nicht einfach durchstarten und solange sie uns nicht sehen ist alles gut. Komm! Sei nicht so ein Hase!“ „Lass uns die anderen anrufen.“ „Lass uns doch vorher schauen, was wir finden.“ „Vielleicht wollen die Beiden nur einkaufen und das Einzige was wir finden ist die Mall. Unter Einsatz unseres Lebens übrigens! Schon mal daran gedacht?“ „Oder sie treffen sich mit dem Engel“, munkelte die Phantomhive: „Das ist eine Information, die wir dringend bräuchten.“ Sie zog mich am Arm mit sich: „Komm! Die Beiden sind schon fast außer Sicht.“ Ich hatte keine Chance. Wenn die Jüngste der Phantomhives sich erst einmal etwas in den hübschen Kopf gesetzt hatte, brauchte es einiges um sie davon abzubringen. Wir holten flotten Schrittes ein paar Meter auf. Obwohl wir ein gemütliches Tempo angenommen hatten, klopfte mein Herz als liefe ich einen Marathon. Wir blieben außer Hörweite. Folglich konnten wir nur sehen, dass Oliver immer mal wieder mit seinem Butler sprach, aber nicht verstehen was sie sagten. Nach einer Weile zückte Claude ein Handy und telefonierte kurz. Wieder wechselte er ein paar Worte mit seinem Meister, doch wir konnten immer noch nicht verstehen was gesprochen wurde. Ich hatte ja keine große Lust auf dieses Abenteuer. Das ungute Gefühl lief mir Nacken und Wirbelsäule auf und ab und machte mich halb wahnsinnig. Ich rieb meinen Nacken immer wieder. Sicher war er schon ganz rot. Irgendwie war das Gefühl auch stärker, als an Halloween im Flur. „Nervös?“, hauchte mir die Phantomhive zu. „Du hast ja keine Ahnung wie es sich anfühlt, einen Dämonen zu verfolgen wenn man ihn spüren kann.“ „Reiß dich zusammen, ja?“ „Warum? Damit für deinem Vater etwas zum auseinandernehmen übrig bleibt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Alexander dich für diese heroische Tat sonderlich hoch loben wird.“ „Wenn wir was Wichtiges herausfinden hat er keine Wahl“, raunte Amy verstimmt und sah fast traurig drein: „Ich habe keine Lust mehr das Nesthäkchen zu sein... Fred ist voll im Aristokratengeschäft mit drin, nur ich, ich bleib immer außen vor...“ „Willst du mir etwa erzählen du wirfst gerade dein Leben, und meins nebenbei, in die Waagschale, weil du eifersüchtig auf deinen großen Bruder bist?“ „Ich bin nicht eifersüchtig“, zischte Amber enttäuscht. Nicht wegen mir, sondern eher wegen ihrem Stand in ihrer Familie: „Aber ich bekomme nie die Chance zu beweisen, dass ich auch was kann... Weil ich die Jüngste und ein Mädchen bin… Und hier hab ich sie auf dem Silbertablett!“ Ich wollte protestieren, doch merkte ich gleichzeitig wie wichtig es Amy war. Sie sah fast leidend aus bei dem Gedanken, dass ihr Vater Fred mehr zutraute als ihr. Ich seufzte. Gegen dieses Gesicht war ich einfach machtlos: „Bei der kleinsten Komplikation ziehen wir aber Leine.“ „Versprochen“, grinste Amy und harkte sich bei mir ein: „Tu einfach so, als gingen wir spazieren. Verhalte dich ganz natürlich.“ „Erkläre das mal meinem Dämonen-Peilsinn!“ „Versuchs‘s einfach!“, dann schaute sie mich komisch an: „Abgesehen davon: Dämonen-Peilsinn? Echt jetzt? Nein, nein. Wir brauchen ein Wort dafür, dass besser von den Lippen geht.“ Ich schaute sie verständnislos an: „Ist das jetzt echt dein einziges Problem?“ „Spidersense!“, ignorierte sie mich einfach. „Was? Warum? Warte. Ist das nicht aus Spiderman?“ „Jop. Aber es beschreibt doch genau die Sache, oder? Außerdem ist Claude ein Spinnendämon.“ „Da gibt‘s Unterschiede?“ „Klar. Sebastian zum Beispiel ist ‘ne Krähe.“ „Aha… aber Sebastian spüre ich doch auch.“ „Aber auf Claude achtest du. Doch, Spidersense find‘ ich gut. Kurz, prägnant und jeder weiß was gemeint ist!“ Ich seufzte geschlagen: „Wenn du meinst...“ Mit diesen Worten gingen wir unseren Zielpersonen eine Weile nach. Wir verließen kurz den Weg an der Themse, als wir den Palace of Westminster passierten. Doch an Oliver und Claude war nichts außergewöhnlich, außer dass Claude eigentlich ein Dämon war. Aber das sah man ihm ja nicht direkt an. Hinter dem Victoria Tower Gardens folgten wir den zwei Männern zurück an die Themse. Sie schlenderten unaufgeregt den großen Fluss entlang. Auf Grund des Gefühls in meinem Nacken waren meine Nerven bis zum zerreißen gespannt und ich hatte das Gefühl unter ständiger Alarmbereitschaft zu stehen. Verständlich. Schließlich lief ich hinter dem Dämonen(!) und seinem Meister her, die mir schon zweimal recht brutal das Licht ausgeknipst hatten. Ich wollte doch nur nach ein paar anstrengenden Tagen mit meiner besten Freundin einen Kaffee trinken gehen. Mich gemütlich mit Amy in Gino‘s Café an das große Schaufenster setzen, wo unser Stammplatz war. Mit ihr die Leute beobachten, die am Fenster vorbei liefen und über Amys gehässige Kommentare über eben jene lachen. Mit meiner besten Freundin liebevoll über das, durch ihren italienischen Dialekt schwer erkennbare, Englisch der nur wenig älteren Kellnerin Romana schmunzeln, die sich ihr Studiengeld dort erschuftete, während ich meinen heißgeliebten Bicerin und Amy ihren Ciocolaccino trank. Warum? Was hatte ich der Welt getan, dass ich nun hier gelandet war? Nachdem wir die Chelsea Harbour passiert hatten verließ mich langsam die Orientierung. Mir war nicht wohl, doch Amy wollte davon nichts wissen. Sie verfolgte die Beiden unabdingbar und mit einem Eifer, zudem ich einfach nicht nein sagen konnte. Die Phantomhive würde nicht mehr umdrehen und ich konnte sie ja nicht einfach alleine lassen. Ich hatte schließlich Undertaker versprochen immer bei ihr zu bleiben und mit meinem eigenen Gewissen hätte ich es auch nicht ausmachen können. Als wir die Beiden einige Zeit verfolgt hatten, gingen sie über eine längere Brücke, die ich schon nicht mehr kannte und bogen schließlich in einen kleinen, ruhigen Park ab. Doch verdeckten Bäume und dichtes Buschwerk fast den ganzen Blick von der Straße. Das bisschen was ich sah war allerdings verlassene Grünfläche. Amy wollte hinterher, doch ich blieb stehen: „Amy nein! Dahinten ist niemand mehr!“ „Aber da muss was sein!“, zischte sie leise. „Woher willst du das wissen?“ „Weil dahinten gar nichts ist. Nur ein kleiner Park an der Themse. Warum sollten die sonst dahin wollen? Komm. Sonst verlieren wir sie.“ Wir huschten zu der Ecke. Nun war aus einem ‚Wir laufen ihnen nach und tun so als seien wir einfach da‘ ein ‚Wir schleichen wie die Verbrecher von Ecke zu Ecke und kundschaften sie wie die Möchtegernassasinen aus‘ geworden. „Das kann nicht gut gehen, Amy“, wisperte ich, als wir um die letzte Mauerecke lugten und sahen, dass Oliver und Claude in dem kleinen Park vor dem Zaun vor der Themse zum stehen gekommen waren. Wir waren mittlerweile relativ weit ab von allem, was ich kannte. Der Park war, abgesehen von Oliver, menschenleer. „Komm! Sei leise“, Amy hielt den Finger vor ihren Mund und huschte mit mir am Handgelenk zu einer Buschgruppe relativ nah an den beiden Gestalten. Mein Herz raste wie verrückt und das Kribbeln war zu einem stechend heißen Brodeln geworden. Ich hatte noch nie etwas so unangenehmes gefühlt. Ich merkte auch wie Amys Hand an meinem Handgelenk zitterte. Denn sie hatte es immer noch nicht los gelassen, obwohl wir mittlerweile schon in den Büschen versteckt waren. Amy gab sich bei weitem cooler, als sie war. Sie hatte Angst, ich konnte es spüren, doch der unablässige Wille ihrem Vater etwas zu beweisen trieb sie weiter an. Für meine Verhältnisse waren wir dem Dämon schon seit mindestens zwei Stunden viel zu nah. Denn das war die gefühlte Zeit, die wir schon hinter ihnen her schlichen. Doch nun waren wir definitiv viel zu nah, denn wir konnten hören, was die beiden sprachen. „Glaubst du sie sind schon da, Claude?“, fragte Oliver amüsiert lachend. „Wir werden sehen, Eure Hoheit. Hannah wird uns Bescheid geben“, antwortete sein Butler mit dem unbeteiligtsten Tonfall, den ich je gehört hatte. Er übertraf selbst Frank und William. Bei weitem. „Es wäre eine Schande wenn sie nicht kommen würden, oder?“, lehnte sich der Blonde mit verschränkten Armen an den Zaun. Claude schob seine Brille hoch: „Ich glaube das steht außer Frage.“ „Ich hoffe“, grinste der Trancy verschlagen: „Ansonsten hat sich das alles ja gar nicht gelohnt.“ „Geduld. Es mangelt euch an der Fähigkeit abzuwarten.“ „Ich will auch nicht warten! Wo bleiben sie?! Sie sollen kommen, verdammt!“ „Wer?“, zischte Amy kaum hörbar und eher zu sich selbst: „Wer soll kommen?!“ Aus einem unbestimmten Impuls drehte ich meinen Kopf ein Stück zu ihr. In diesem Moment fielen ein paar silberne Haarsträhnen zwischen mir und Amy. Mein Herz sackte ab: ‚Under...‘ Doch dann stockten meine Gedanken und bevor ich meinen Kopf weiter drehen konnte, setzte mein Herz endgültig aus. Ich fror ein. In tiefem Schock. Die Welt zog sich wie Teer und ging in Zeitlupe an mit vorbei. Denn es roch weder nach Gras, noch nach Zucker, noch nach Zedernholz. Es roch nach einem hochwertigen, aber künstlichen Rosenparfüm. „Ihr“, sprach eine Frauenstimme hinter uns. Unsere Köpfe flogen herum. Die silberhaarige Frau hockte hinter uns. Nur jetzt erkannte ich, dass ihre Haare gar nicht silbern waren, wie beispielsweise die des Bestatter, sondern eher einen Stich in Richtung lavendel inne hatten. Ihre marineblauen Augen musterten uns kalt und eines war hinter einer Bandage versteckt. Sie trug einen hellen lilanen Lippenstift, zu ihrem schlichten schwarzen Kostüm. Über ihre Schulter hing eine kleine Handtasche. Zum Erfassen all dieser Details hatte ich nur eine, vielleicht auch zwei, erschrockenen Sekunden in denen ich mich nicht rühren konnte. Ihre Hände packten uns und schubsten uns grob aus unserem Versteck. Mit einem lauten und schrillen Aufschrei landete ich hart auf dem Boden. Die Phantomhive landete hart auf mir und drückte mir schmerzhaft die Luft aus den Lungen. „Seht ihr“, hörten wir Claudes kalte Stimme: „Sie sind da, eure Hoheit.“ Füße erschienen in unserem Sichtfeld. Claude und Oliver waren zu uns herangetreten. Auch die Frau stand nun dabei und bildete einen Kreis um uns. „Du hast lange gebraucht, Hannah“, lachte Oliver bösartig belustigt. „Verzeiht mir, eure Hoheit“, senkte die Frau, Hannah, demütig den Kopf. Hannah. Ich hatte diesen Namen schon einmal gehört: ‚Und Hannah und Canterbury und Thompson und Timber. Hehehe!‘ Natürlich! Die Erkenntnis war scharf wie gesprungenes Glas: Hannah war einer der anderen Dämonen der Trancys! Wir lagen also zwischen zwei Dämonen und dem Erzfeind der Phantomhives. Ich sah es ein. Wir waren einfach tot. Das Gefühl in meinem Nacken und Rücken war sengend heiß und fast unerträglich. Während mich die pure Panik übermannte und mein verlorengegangener Atem nun zu hyperventilieren drohte, stemmte sich Amy auf die Hände und schaute Oliver giftig an: „Woher…?!“ „Ihr könnt“, unterbrach Claude sie mit einer Stimme kälter als Eis. Er beugte sich hinunter und griff Amys Pentagrammkette. Der Butler ging auf ein Knie und zog die Phantomhive vor seine Nase: „Vielleicht eure Präsenz verstecken, doch nicht eure wild wummernden, von Aufregung geplagten Herzen.“ Der Dämon hatte uns gehört? Er hatte unseren Herzschlag gehört? Anscheinend haben euch Dämonen teuflisch gute Ohren. Eigentlich ein Faktum, was im Nachhinein nicht wirklich überraschend war. Doch gerade wusste ich nicht, was mein Herz tat. Es raste und gleichzeitig hatte ich das Gefühl es war stehen geblieben. Meine Hände waren klamm und schwitzig und der kalte Angstschweiß stand mir auf der Stirn. Auch Amy war weiß wie die Wand. Nur hatte sie sich selbst besser im Griff, als ich. Gönnte es den Trancys nicht ihre Angst zu sehen. „Wir mussten euch nur von den belebten Straßen weglocken. Während ihr der naiven Ansicht unterlagt unentdeckt zu sein, hatte Hannah euch ständig im Blick“, redete der junge Trancy im Plauderton, doch mit einem abartig widerlichen Pläsier in der Stimme. „Scher dich zum Teufel“, spuckte Amy ihm entgegen und Claude zog wieder harsch an ihrer Halskette, was sie dazu brachte ihren Kopf zu ihm zu drehen: „Ihr liegt vor ihm, Lady Phantomhive.“ Die Art wie der Dämon den Namen ‚Phantomhive‘ aussprach zeugte das erste Mal von Emotionen und ließ mich schaudern. Darin lag Abfälligkeit, Missgunst und der blanke Hass. Auf einmal griff eine Hand mit lila lackierten, manikürten Nägeln meine Kette. „Hey!“, rief ich der Dämonin entgegen und griff ihren Arm: „Lass mich los! Finger weg!“ „Die braucht ihr nicht mehr“, sprach die Frau ruhig, doch mit einem klaren Anflug nahenden Unheils in der Stimme. Synchron riss mir Hannah und Claude Amy schmerzhaft die Ketten von unseren Hälsen. Dann griff Claude Amy am Hals und drückte sie auf dem Boden. Ein Glucksen entfleuchte ihr, als sie erstickend begann mit den Beinen zu strampeln und versuchte die Hände des dämonischen Butlers von ihrem Hals zu ziehen. Ich holte Luft um etwas zu rufen, wollte aufspringen und ihr helfen, doch dann hatte ich selber Hannahs Hand am Hals. Auch mich drückte die Dämonin ins Gras, eine Hand wie eine Schraubzwinge und erstickte jedes Geräusch was ich hätte machen wollen. Meine Lunge verlangte glühend und krampfend nach Luft. Schwarze Ränder krochen in mein Blickfeld: ‚Nein… Nein, nicht nochmal! Amy… Amy!‘ Ich blinzelte die Ränder weg und bot alles auf was ich hatte. Ich versuchte nach ihr zu treten, kratze wie eine Furie an ihren Arm, doch nicht passierte. Weder traf ich das dämonische Hausmädchen, noch hinterließ mein Kratzen irgendwelche Spuren an ihr. Sie hatte einen Körper hart und glatt wie Marmor. Schmerzhaft brachen mir daran zwei Fingernägel ab, doch ich kratzte weiter, was rote Schlieren meines Blutes auf ihrer gebräunten Haut zurück ließ. Ich rammte ihr mein Knie in den Magen und ein heißer Schmerz schoss hindurch, als es auf ihren Marmorkörper traf. Die Dämonin sah aus, als hätte sie meinen Tritt gar nicht bemerkt. Sie schaute mir stumm in die Augen, verfolgte aufmerksam wie mich langsam die Kräfte verließen. „Stellt sie ruhig und packt sie ein“, ordnete Oliver kalt an und drehte sich dann zur Themse. Er lachte ekelerregend in die Spätnachmittagssonne: „Hahaha! Was ein herrlicher Tag! Zwei auf einen Streich und ganz von alleine!“ Meine Augen wanderten von Hannah weg. Amys Strampeln unter Claudes Hand war schwächer geworden. Lange konnte sie ihre Gegenwehr und wahrscheinlich auch ihr Bewusstsein nicht mehr halten. Ich musste ihr irgendwie helfen! Mein erstickender Verstand raste. Dann hatte ich eine Idee. Eine Schnapsidee, aber eine Idee: Wenn ich jetzt die Augen schloss und so tat als hätte mich mein Bewusstsein schon verlasen, vielleicht ließ Hannah dann von mir ab und gab mir die Möglichkeit zu Amy zu hechten. Ich war gerade dabei betont langsam meine Lider zu schließen, da schnitt ein Sirren durch die Luft und ließ sie wieder aufspringen. Oliver fuhr mit wut- und schreckgeweiteten Augen herum. Hannah sprang von mir weg, genau wie Claude von Amy. Wo die beiden Dämonen vor weniger als einer Sekunde noch gehockt hatten, bohrten sich zwei Holzplanken die an ihren Enden spitz zu liefen in die Erde. Rote japanische Schriftzeichen prangten darauf. „Verdammt!“, zischte Oliver erbost, als Claude und Hannah neben ihm gelandet waren: „Scheiße! Nicht der!“ Ich schnappte nach Luft und stützte mich halb auf. Auch Amy japste und drehte sich hechelnd auf dem Bauch, um sich auf die Unterarme zu stemmen. Trotz meines fehlendem Atems kam ich nicht umher mich über Olivers Ausruf zu wundern: ‚Nicht der?‘ „Tehehehehe!“ Ein weiteres Mal blieb mir die Luft weg. Doch nun aufgrund des Lachens, welches definitiv von weiter oben kam und mir mehr als nur bekannt war. Mein Kopf flog zu den Bäumen. Auch Amy und die Trancys schauten in die Baumkronen. Was wir sahen ließ uns alle stocken. Auf einem dicken Ast einer alten Borke hockte eine nun wirklich silberhaarige Gestalt im langen Mantel, Lederhose und schnallenbesetzten Lackschuhen. „Undertaker!“, rief Amy mit erschöpftem Atem aus. „Schnappt die Mädchen!“, brüllte Oliver vor Wut schäumend und nun hörbar unter Stress: „Und dann schnell weg hier!“ „Ja, eure Hoheit!“, sprachen die Dämonen im Chor und stürmten auf uns zu. „Ehehehe! Ihr hättet laufen sollen“, Undertaker verschwand von dem Ast und tauchte vor Amy und mir auf. Sein Mantel flog auseinander. Darin kamen 8 weitere der seltsamen Holzscheite zum Vorschein: „Als ihr die Möglichkeit dazu hattet. Tihihihhihi!“ Seine Hände verschwanden kurz und zwei weitere Scheite sirrten durch die Luft. Hannah musste in ihrem Sprint abdrehen um nicht getroffen zu werden. Erde und Grashalme stoben vom Boden auf, als sie mit ihren Absatzschuhen durch ihren überschüssigen Schwung über den Rasen schlitterte. Oliver ächzte kurz und sprang um Haaresbreite unter dem Stück Holz weg, dem Hannah ausgewichen war. Claude drehte sich im Sprint halb um seine eigene Achse und trat vor den Holzscheit. Er flog drehend in die Höhe und landete platschend hinter dem Trancy in das Wasser der Themse. Hätte der Butler dies nicht getan, hätte Undertaker zumindest Oliver damit gepfählt. Es war klar zu sehen, dass der Blonde ebenfalls ein Ziel des Totengräbers war. Claude verlor durch seine Rettungsaktion allerdings den Großteil seines Schwungs und sprang zur Seite. „Was willst du mit deinen überdimensionalen Zahnstochern erreichen, Shinigami?“, putzte Claude teilnahmslos seine Brille an seinem Frack und setzte sie wieder auf die Nase: „Damit kommst du nicht weit.“ „Oh, sicher?“, grinste der Bestatter amüsiert: „Und nenne mich nicht Shinigami. Hehe. So hat mich seit Jahren niemand mehr genannt. Kehehehe!“ „Wie auch immer“, Claude schob ein Bein nach vorne und Hannah spannte ihren Körper an: „Gegen uns beide hast du so keine Chance.“ „Au contraire“, lachte Undertaker: „Aber redet ruhig weiter. Mehr Spaß für mich. Hehehe.“ Auf Claudes Gesicht erschien ein von Wut verzerrter Ausdruck. Aber er stürmt ein weiteres Mal auf den Bestatter zu. Auch Hannah erschien neben dem silberhaarigen Mann. Die Füße der Dämonen wollten ihm im Gesicht und der Andere am Hinterkopf treffen, doch der Totengräber griff die Knöchel der beiden Trancydiener und warf sie zu anderen Seite weg. Sie fingen sich ab und landeten sicher. „Wenn ihr so weiter macht“, fiel der Kopf des nicht menschlichen Leichengräbers zur Seite: „Fu fu fu fu. Brauche ich noch nicht einmal meiner ‚Zahnstocher‘ für euch. Nehehehe!“ Claude und Hannah entfuhr ein gereiztes Zischen. „Holt die Weiber!“, keifte Oliver von hinten: „Ich will hier… Nah!“ Kaum hatte Oliver seinen zweiten Satz begonnen, schnellte ein weiterer Holzscheit auf ihn zu. Für das menschliche Auge war er zu schnell geflogen. Oliver sah ihn nur, weil Claude los gesprungen war und ihn vor seiner Nase gefangen hatte. „Wo sind deine Manieren, Oliver?“, lachte der Leichengräber: „So redet man nicht über zwei Damen!“ Doch der bleiche Schreck in dem jungen Gesicht mit den abgrundtief hasserfüllten eisblauen Augen, wich schnell einer satten Zornesröte: „Du! Du kleiner…!“ „Sprich dich aus, Oliver. Nehe!“, lachte Undertaker: „5 habe ich noch.“ „Claude!“ Claude nahm den Holzscheit des Bestatter und stieß damit wie mit einem Degen zu. Mit einem seiner übrigen wehrte Undertaker ihn ab. Die beiden Männer tauschten unfassbar schnell ein paar Schläge, da wollte Hannah dem Totengräber in den Rücken fallen, wofür sie aber nur einen Ellbogen in der Magengrube als Dankeschön bekam. Im Vergleich zu meinem immer noch schmerzenden Knie, hatte der Ellbogen des Bestatters einen sehr wohl sichtbaren Effekt. Hannah fiel auf ihre Knie und hielt sich die Stelle wo Undertaker sie getroffen hatte. Doch die kleine Ablenkung hatte Claude einen ebenso kleinen Vorteil verschafft. Sein Holzscheit traf den Leichengräber an der Schulter. Das Reißen von Stoff flog durch die Luft und Undertaker trat einen Schritt nach hinten um sich wieder auszubalancieren. In dem Moment setzte Claude nach. Obwohl der Bestatter nun eine defensive Kampfhaltung gerutscht war, wirkte er nicht ansatzweise als sei er in Bredouille. Im Gegenteil. Er lachte und giggelte unbeirrt weiter, während er die Tritte und Schläge des Dämons abwehrte oder ihnen auswich. Irgendwann schaffte er es sich mit einem gekonnten Ausweichen hinter den Dämon zu drehen und rammte ihn seinen Absatz ohne Gnade in den Rücken. Claude taumelte auf die Hände, fing sich und sprang einige Schritte von den Inkognito- Sensenmann weg. Der Dämon warf den Holzscheit weg. „Es reicht. Hannah!“, die Dämonin erschien neben ihm: „Wir machen ernst.“ Sie nickte stumm. Dann klappte sie ihren Mund auf. Sehr weit auf. Zu weit auf… und steckte ihre Hand in ihren Schlund. Sie zog und zog und zog. Mit einem schmatzenden Geräusch riss sie ein in sich gewundenes Schwert von einer komischen blauen Farbe mit einem genau so komischen gelben Schimmer aus ihrem Rachen. Ein zischendes Geräusch ertönte, als Hannah die Waffe, der sie wohl selbst als Schwertscheide diente, einmal kurz durch die Luft fahren ließ. Claude streckte derweilen seine rechte Hand aus. Unter ihr färbte sich der Boden in ein tiefes teerschwarz und begann zu schwellen. Es stank fürchterlich. Ein großer Einhänder kam hervor geschossen. Das Schwert war pechschwarz. In seiner Klinge waren Rillen ausgespart, durch die das Blut der Gegner abfließen konnte. Der dämonische Butler umfasste mit einer Hand den Griff und zog es aus seinem schwarzen Schlammloch. Die Luft vibriere, als Claude einmal das große Schwert um seine Schultern drehte, bis es auf selbiger zum Ruhen kam. Diese Schwerter waren mehr als alles Anderen zum töten geschaffen. Es war als verzerrten sie die Realität, die sie direkt berührten in eine höllische Fratze, die man nicht sehen, aber deutlich spüren konnte. Doch Undertaker lachte. Erst ganz gewöhnlich: „ Wen haben wir denn da? Hehehe! Lævateinn und Dáinsleif“, dann lachte der Bestatter wieder durch die geschlossenen Lippen. Es klang so grausam, wenn er es tat. So kalt, nach Untergang und vollkommener Verdammnis: „Dämonenschwerter. Eh he he! Ich habe lange keine mehr gesehen.“ ‚Dämonenschwerter?‘, ich war ein weiteres Mal mit der neuen Welt um mich herum überfordert. Doch verwundert war ich nicht. Diese Waffen waren nicht von dieser Welt. Claude schob seine Brille hoch: „Dáinsleif ist ein besonderes Schwert. Von ihm geschlagenen Wunden können nie wieder verheilen.“ „Ich weiß, ich weiß. Ich kenne Dáinsleif. Ne he he. Aber du anscheinend noch nicht ganz genau.“ ‚Nie verheilen? Bitte was?! Und… er kennt es schon?!‘, es gefiel mir ganz und gar nicht den Bestatter, nur bewaffnet mit einem Stück Holz, den zwei Schwertern gegenüber stehen zu sehen, von dem eins Wunden schlagen sollte, die nie wieder heilen sollten. Noch weniger erschloss sich mir, dass er sich nicht im Mindesten unsicher zu sein schien. Im Gegenteil! Er wirkte so als freue er sich diebisch auf das, was kommen und was folgen möge. Das konnte ich nicht nachvollziehen, da er um den grausamen Fähigkeiten dieses Schwertes Bescheid zu wissen schien. Das war doch verdammt nochmal furchtbar gefährlich! „Du bist tot“, setzte Claude vollkommen emotionsfrei nach: „ Wenn du Dáinsleif kennst, weißt du wie stark es ist.“ „Um mich ins Grab zu bringen“, Undertaker legte den Holzscheit auf seiner Schulter ab und wischte sich den Pony aus dem Gesicht. Dabei fiel sein Hut zu Boden: „Musst du trotz deines schönen, neuen Spielzeugs noch ein bisschen üben. Tehehe!“ „Wir werden sehen“, raunte der Dämon kalt. „Dann lasse mich nicht länger warten, Dämon. Ehehe!“ Ein zweites Mal musste er Claude auch nicht bitten. Kaum hatte der Bestatter zu Ende gesprochen waren die Dämonen von ihren Plätzen verschwunden und es erklang ein lautes Klirren. Das Klirren von Metall auf Metall. Was unmöglich war. Denn Undertaker hatte beide Schwerter mit seinem Holzscheit abgewehrt. Ich fragte mich gleichzeitig was für ein Holz das bitte sein musste, denn es hatte nicht eine Kerbe von den Klingen der monströsen Schwerter. „Was?!“, wurde Hannahs sichtbares Auge größer, als sie meinen Gedankengang zu teilen schien: „Wie kann das sein?!“ „Überraschung“, grinste der Totengräber belustigt und kurz verschwand die Welt in einem gleißendem, grünem Licht. Ich blinzelte und hielt mir eine Hand vor die Augen. Das Licht schmerzte, so hell war es. Doch ganz schließen konnte ich meine Augen nicht. Was war, wenn Undertaker etwas passiert war? Was war das für ein Licht, verdammt?! Kam es von Claude und Hannah? Hatten sie endgültig ernst gemacht? Es machte mich fast wahnsinnig nicht zu wissen was passierte. Zwei Schatten flogen durch die Luft. Mehr erkannte ich durch den Lichtschleier nicht. Als er verebbt war, atmete ich erleichtert aus. Die Dämonen lagen auf dem Rasen. Undertaker stand breit grinsend an Ort und Stelle, anstatt dem Holzscheit seine Death Scythe in der Hand. „Reingefallen, hehe!“, lachte er fies und mehr als nur gehässig. Mit langsamen Schritten ging er auf den sich aufrappelnden Claude zu und hielt ihn die Spitze seines Sensenblattes unter die Nase: „Ist dir dieser Zahnstocher lieber, Butler? Kehehe!“ Das Wort ‚Butler‘ spuckte Undertaker mit einer Abfälligkeit aus, die das Maß welches er Sebastian immer entgegen brachte weit überstieg. Als Antwort quoll ein dunkles und erbostes Grollen aus Claudes Kehle: „Sei dir deiner Unsterblichkeit nicht zu sicher!“ „Der Einzige“, das Grinsen des Bestatters wurde kälter, als die Stimme des Dämonenbutlers obwohl eine Menge Pläsier darin lag. Ein dunkles Pläsier. Ein blutiges Pläsier: „Der heute sterben wird“, hob er mit einem langsamen, düster-freudigen Lachen seine Sense mit beiden Händen über seinen Kopf: „He he he. Bist du!“ Die Sense schnellte hinunter. Mit einem Satz entkam der Dämon nur knapp. Undertaker setzte sofort nach und schlug mit runden und drehenden Bewegungen auf den Dämon ein, der nun reichlich in die Enge gedrängt wirkte. Es krachte und schepperte, wenn die Klingen der beiden Kämpfer, hart und brutal, aufeinander krachten. Was ich sah, konnte ich nicht verarbeiten. Man konnte die beiden Kämpfer nur mit einem Ausdruck beschreiben: Bestialische Eleganz. So brutal ihre Hiebe und Tritte waren, so weich und flüssig wirkten sie. Nicht halb so kraftvoll, wie sie dem Lärmpegel nach sein mussten. Hannah wollte Claude zur Hilfe eilen. Doch parierte Undertaker den einen mit der Sense, trat er den anderen mit seinem Fuß weg. Immer im Wechsel. Die Dämonen setzten keinen Treffer. Undertaker selbst zerriss Claude nur das Frack. Der Kampf schien weder vor, noch zurück zu gehen. „Weg hier!“, hörte ich Olivers Stimme, der sich auch sicher zu sein schien, dass sie trotz doppelter Kampfkraft keinen Vorteil inne hatten: „Wir verschwinden!“ „Wie ihr wünscht, eure Hoheit!“, riefen die Trancydiener angestrengt, aber perfekt synchron. Hannah sprang zurück, griff sich Oliver und verschwand mit einem großen Satz mit ihm über den Zaun. Claude hielt Undertaker bei der Stange, sodass die Beiden sicher fliehen konnten. „Dein kleines Extra, pahaha!“, lachte der Bestatter Claude abfällig direkt ins Gesicht, als dieser mit seinem Schwert auf seiner Sense hing: „Nützt nichts, wenn du nicht triffst!“ „Irgendwann“, grollte der Butler dämonisch wie er war: „Bekommst du das alles zurück.“ „Für dich gibt es kein Irgendwann mehr, wenn ich mir dir fertig bin, Dämon. Tehehe!“ „Oh doch, gibt es“, fauchte Claude: „Auch du hast Schwachstellen.“ „Zum Beispiel?“, lachte der Bestatter. „Zwei, die sich nicht wehren können.“ Der Dämon sprang von Undertaker weg in die Höhe. Er zog eine Hand hoch. Etwas blitzte in der untergehenden Sonne auf und surrte durch die Luft. In unsere Richtung! Das Etwas wird uns treffen. Niemand kann das verhindern. Es wird Amy treffen und meine beste Freundin wird wahrscheinlich furchtbar verletzt werden. Ich wollte nicht, dass sie verletzt wird! „Amy!“, in einem Geistesblitz warf ich mich über sie. Ich war mir egal, doch ich wollte unter keinen Umständen, dass Amy etwas passierte. Ich wollte sie beschützen, egal was es mich kosten sollte und bereitete mich darauf vor von dem, was Claude geworfen hatte, in den Rücken getroffen zu werden. Doch der Schmerz blieb aus. Stattdessen schwand auf einmal der Boden unter mir. Mit einem spitzen Aufschrei fielen Amber und ich umeinander geklammert ein paar Zentimeter in die Tiefe. Der Boden, der uns fing war steinern. Kopfsteinpflaster. Hart schlug ich mit meinem Rücken auf und sah für einen Moment viele bunte Sterne hinter meinen zusammengekniffenen Augenlidern. Ich fühlte mich auf plötzlich furchtbar erschöpft. Mein Körper brannte ohne ersichtlichen Grund. Doch das sengende, bedrohliche Brodeln in meinem Nacken. Es war verschwunden. „Wie?“, hörte ich Amys fragende Stimme nach einigen Augenblicken durch meine Sternchen: „Sind wir denn hier her gekommen?“ Ich öffnete die Augen, blieb allerdings alle Viere von mir gestreckt liegen. Amy kniete mittlerweile neben mir und schaute sich weiter verwundert um. Meine Augen huschten über die Umgebung. Ich glaubte ihnen nicht was sie sahen: Die Landschaft um uns herum war der Irrgarten hinter dem Vampires Castle! Wir waren genau in der Mitte vor dem großen Steinengel gelandet. Wie auch immer wir das getan hatten. „Öhm… Undertaker vielleicht?“ Amy blinzelte weiter durch die Gegend: „Das er so was kann wäre mir neu.“ „Dann“, schüttelte ich langsam den Kopf: „Hab ich keine Ahnung.“ Wie waren wir nur hierher gekommen? Dann sprang siedend heiß ein ganz anderer Gedanke durch meine Verwunderung. Mein Kopf schnellte zu Amy und ich saß mit einem mal kerzengerade: „Undertaker! Er ist alleine mit Claude!“ „Jap“, hatte sich Amber in einen Schneidersitz gesetzt und wirkte nicht ansatzweise besorgt, was mir schleierhaft war und mich gleichzeitig furchtbar wütend machte. Schließlich war sie ja eigentlich Schuld an der ganzen Misere! Doch die Phantomhive schien die Situation um den Bestatter nicht als halb so dramatisch zu empfinden, wie ich: „Für ihn fallen gerade Weihnachten, Ostern, Totensonntag und Geburtstag auf den selben Tag“, sie zog eine Augenbraue hoch und schaute überlegend schräg nach oben: „Obwohl keiner mehr weiß wann er Geburtstag hat. Selbst er nicht.“ „Wie?“, fragte ich sie irritiert und verlor aufgrund meiner Verwirrung für einen Moment meinen eigentlichen Gedanken aus dem Auge: ‚Keiner weiß wann er Geburtstag hat? Auch er nicht? Man weiß doch wann man Geburtstag hat!‘ Sie schaute mich an: „Der Mann weiß nicht mal mehr wie alt er ist. Woher soll er denn dann noch wissen wann er Geburtstag hat, du Depp. Außerdem ist er entstanden, da hat noch keiner daran gedacht einen Kalender zu erfinden.“ „Hast ja recht...“, gab ich mich geschlagen. Doch dann fiel mir wieder ein, dass wir gerade ganz andere Probleme hatten: „Doch… Claude hat dieses Schwert. Was ist wenn stimmt was er sagt und die Wunden wirklich nicht mehr verheilen?! Und er Undertaker erwischt?!“ „Was willst du denn tun, sollte es so kommen? Dich in endlosem Todesmut davor werfen?“ „Was weiß ich denn?!“, schnauzte ich die Phantomhive laut an, als meine Wut über ihre fehlende Besorgnis überzukochen drohte: „Du warst bis eben noch ganz wild darauf die Welt zu retten!“ „Ja… Ich gebe ja zu, es lief anders als geplant...“ „Anders als geplant?!“, mir sprang die Hutschnur. Ich nahm sie an den Schultern und schüttelte sie: „Du hattest rein GAR NICHTS geplant, Amy! Du und dein verdammter Dickschädel! Wie oft habe ich dir gesagt, dass das voll in die Hose geht? Habe ich nicht prophezeit, dass es genau so endet?!“ „Ist ja gut!“, schrie mich Amy zurück an und schubste mich ein Stück weg: „Du hattest recht und ich hatte unrecht! Zufrieden?!“ Ich warf meine Hände nach vorne: „Darum geht es doch gerade gar nicht! Es geht darum, dass sich Undertaker gerade wegen uns mit einem Dämon prügelt, der irgendein komisches Höllenschwert mit sich herumschleppt, das schon echt nicht nett aussieht! Wenn Claude dann auch noch die Wahrheit gesagt hat, ist das scheiße gefährlich verdammt noch mal!“ Amy griff sich gequält mit beiden Händen an den Kopf, als sie zu begreifen schien in was für eine Situation wir Undertaker manövriert hatten : „Ich weiß, ich weiß! Man! Aber wir können nichts tun!“ „Es muss doch etwas geben, Amy! Irgendwas!“ Die Phantomhive wedelte verzweifelt mit ihren Händen: „Aber ich weiß nicht...“, dann schaute sie mich mit einer riesigen Erkenntnis in den Augen an und zeigte mit einem hüpfenden Zeigefinger auf mich: „Doch! Doch, ich weiß!“ „Was?!“, rief ich hysterisch. Wenn Undertaker wegen uns irgendwas passierte, ich weiß nicht was ich dann tun würde. Ich würde meines Lebens nicht mehr froh werden! Amy zückte ihr Handy: „Ich ruf Sebastian an und schick ihn hinterher. Sobald es um Claude geht ist er Feuer und Flamme!“ „Red nicht lange! Hau in die Tasten!“ Kaum hatte die jüngste Phantomhive ihr Smartphone entsperrt, nahmen ein paar lange Finger es ihr harsch aus den Händen: „Nicht nötig. Lass den Hund in seiner Hütte.“ Amy fiel erschrocken schreiend und mit rudernden Armen wieder auf den Rücken, als Undertaker auf einmal neben ihr aufgetaucht war und ihr grob das Handy wegnahm. Ich schaute mit großen Augen zu dem Shinigami. Es ging ihm gut, zumindest sah ich nichts was auf größere Verletzungen hin deutete. Lediglich die kleine rote Schramme von Halloween schien immer noch matt und fast verheilt aus seinem Gesicht, sein nach hinten gestrichener Pony war etwas wirr, sein Hut fehlte und der äußere Mantel stand immer noch offen. Ein paar der Holzscheide schienen noch durch die Ritzen. Ich schnellte auf meine Knie: „Undertaker! Geht es dir gut?!“ Doch der Bestatter antwortete mir nicht. Mit verschränkten Armen musterte er uns. Sein rechter Fuß tippte unaufhörlich auf das saubere Kopfsteinpflaster und sein Mund war zu einem geraden Strich verzogen, als uns seine reichlich unbegeisterten grellgrünen Augen erwartend anschauten. Meine Worte verließen mich bei diesem Anblick sofort. Strauchelnd schreckte ich zurück und setzte mich zwischen meine Füße wieder auf den Hosenboden. Ich hatte das Gefühl der Leibhaftige stand vor mir. Wahrscheinlich tat er es auch. Amy ging es augenscheinlich sehr sehr ähnlich. Doch während ich in eine erschrockene Starre verfiel, krabbelte sie wieder auf ihre Knie und rief aus: „Undertaker, wir…!“ „Hush!“, unterbrach Undertaker Amy mit unbeschreiblich strenger, autoritärer Stimme und gebar ihr sofort zu schweigen, indem er die Hand hob, in der er Amys Handy hielt. Amy und ich stellten sofort und synchron sogar das Atmen ein, um wirklich kein Geräusch mehr machen zu können. Ich hätte nie gedacht, dass er so klingen konnte. Der Bestatter überraschte mich immer und immer wieder. Hinter seinem konstanten Grinsen verbargen sich Seiten, die definitiv nicht witzig waren und gerade sah ich eine davon. Wenn ich dachte Lowell sei furchteinflößend wenn sie verärgert war, wusste ich nun, dass sie eigentlich aussah wie ein beleidigtes Kätzchen. Denn das Gesicht des Bestatters, garniert mit seinem strickten, kühlen und von jedem Pläsier befreiten Ton. Das war wirklich furchteinflößend. Denn im Vergleich zu letztens schien er jetzt wirklich sauer auf mich zu sein. Auf mich und auf Amy. „Ich will deine Ausflüchte nicht hören, Amber“, der Totengräber schob seine Hand wieder unter die Andere. Der Ton, mit dem er Amys vollen Namen aussprach, war der Ton eines Erwachsenen, der gerade dabei war ein außerordentlich vorlautes Kind zu schallen: „Ich will wissen wie ihr Beide darauf gekommen seid, es sei eine wunderbare Idee den Wesen hinterher zu schleichen, die euch offenkundig entführen wollen. Wenn nicht sogar Schlimmeres. Welcher Teufel euch geritten hat, das interessiert mich wirklich brennend.“ Brennen würde hier gleich nur eins: Mein Gesicht. Denn mir war sämtliches Blut was ich hatte in den Kopf geschossen und pulsierte schmerzhaft durch meine Venen. Es hämmerte gegen meinen Schädel wie eine Abrissbirne. Es könnte daran liegen, dass ich immer noch nicht atmete. Denn der Totengräber war nun nur allzu offensichtlich wirklich mies gelaunt: „Warum denkt ihr veranstalten wir so einen Zirkus, damit euch nichts passiert, hm? Weil die Trancys ja eigentlich gar nicht so gefährlich sind und wir eigentlich nur nichts Besseres zu tun haben? Habt ihr den Verstand verloren?“ Ich schaute auf das Kopfsteinpflaster und blieb stumm wie ein Fisch. Ich schaffte es nicht in dieses Gesicht zu schauen, was ich eigentlich so gerne mochte. Diesen Ausdruck ertrug ich einfach nicht. „Ihr sollt mir jetzt übrigens antworten“, setzte er nach zwei Minuten mit immer noch tippenden Fuß nach, die Amy und ich uns weiter auf schweigen, starren und beten beschränkt hatten. „Wir… also… nein“, Amy ließ mit einem Seufzen ihren Kopf hängen: „Sky hat nichts gemacht. Wirklich. Sie hat die ganze Zeit probiert mich davon abzuhalten...“ Ich schüttelte den Kopf und meine hängenden Augen wanderten zu meiner besten Freundin, als ich es kurz schaffte meine dünne Stimme an dem riesigen, mich würgenden Kloß in meinem Hals vorbei zu schieben: „Wir, Amy... Mitgehangen, mitgefangen...“ Amy schaute mich mit einem verwundert fragenden Blick an. „Eure Loyalität in allen Ehren“, schnitt die strenge Stimme des Totengräbers durch die Luft: „Eine Antwort von euch habe ich immer noch nicht. Nun?“ „Ich...“, begann Amy: „...Wir… Wir wollten… eigentlich nur einen Kaffee trinken und...ja ...“ „Da dachtet ihr es wäre eine fabulöse Idee die Trancys zum nachmittäglichen Kaffeekränzchen einzuladen.“ Dieser Satz hätte lustig sein können, hätte er ihn nicht so ausgesprochen, wie er ihn ausgesprochen hatte. „Nein…“, schüttelte Amy den Kopf. Sie schaute wie ein geprügelter Hund zu dem Bestatter hinauf: „Wir haben sie zufällig auf der Straße gesehen und da dachte ich… wir können die Gelegenheit beim Schopfe packen.“ „Die Einzigen, die hier am Schopfe gepackt wurden, seit ihr, meine Damen.“ „Ich weiß“, druckste Amy: „Es war keine… sonderlich weise Entscheidung.“ „Die Einsicht kommt ein bisschen zu spät, findest du nicht auch?“ „Ja...“ „Ich habe“, Undertaker stemmte die linke Hand, in der er immer noch Amys Handy hielt, in die Hüfte. Mit der Anderen fuhr er sich kopfschüttelnd und einmal tief ein- und wieder ausatmend durch den Pony, bis er auch sie an die Hüfte legte. Seine strickte Stimme war ruhig, doch alles andere als angenehm: „In meinem langen Leben schon unsagbar viel erlebt, aber nur selten ist mir etwas so unfassbar Dummes unter gekommen. Ihr habt selbst Ciel um Längen geschlagen, meine Damen. Und das ist eine Leistung, die ihres Gleichen sucht. Was dachtet ihr könntet ihr tun, außer euch umbringen zu lassen? Ihr wart dort draußen mutterseelenallein. Dass ich euch zur Hilfe eile war übrigens vom Schicksal nicht vorgesehen. Ich habe einen Herzinfarkt bekommen, als William mich in meinem Laden anrief und mir erzählte, dass Skylers Name auf der Liste steht.“ Mein Kopf flog hoch und mein Herz blieb endgültig stehen: „Mein… Mein...“ „Was?!“, rief Amy aus: „Skyler sollte sterben?“ „In der Tat. Sollte sie. An Blutverlust.“ ‚Blutverlust? Aber… Hannah hatte mich doch gewürgt‘, ich war viel zu erschrocken um meine Gedanken auszusprechen. Ich hätte sterben sollen? Diese Information hatte mir einen harten Schlag in meine Magengrube versetzt und mir war furchtbar übel geworden. Doch nun war ich mir sicher, dass unsere Tortur noch um einiges weitergegangen wäre, hätte Undertaker nicht ungeachtet aller Widrigkeiten interveniert. Mit einem erneuten Kopfschütteln fuhr der Bestatter fort: „Wie habt ihr euch denn vorgestellt, endet euer kleines Abenteuer, hm? Grell ist wie von der Tarantel gestochen in Williams Büro geplatzt und hat ihm wie eine Furie seine Liste unter die Nase gehalten. Ihr solltet den Beiden untertänigst danken, wenn ihr sie das nächste Mal seht.“ Dann hob er seinen ringlosen Zeigefinger: „ ‚Einmischen in die Angelegenheiten der Menschen‘ “, er klappte den Mittelfinger auf: „ ‚Einmischen in den Lauf des Schicksals‘ “ , der Ringfinger folgte: „ ‚Eigenmächtiges Ändern von Todesdaten, ohne Erlaubnis der Administrative‘ “, der kleine Finger: „ ‚Zurückhaltung von Information gegenüber der Führungsebene‘ “, und zu Letzt der Daumen: „ Und ‚Weitergeben von Informationen an Ausgetretene‘. Das sind die fünf Regeln, die William alle auf einmal gebrochen hat, indem er mich anrief und mir erzählte das, wann und vor allem WO du sterben sollst, Skyler. Hätte er mir nicht von sich aus alle Informationen gegeben, hätte ich euch erst suchen müssen. Dann wären wir alle aufgeschmissen gewesen. Denn dann wäre ich nicht mehr pünktlich gekommen. Ich hätte erst eine Ahnung gehabt wo ihr überhaupt seid, als euch die Dämonen die Ketten abgerissen haben. Ich bin schon so gerade einmal 2 Minute vor deinem eigentlichen Todeszeitpunkt bei euch angekommen, Sky“, er hob noch einmal seinen langen Zeige- und Mittelfinger: „2 Minuten. 120 Sekunden. Vielleicht versteht ihr jetzt, wie knapp ihr eigentlich mit eurem Leben davon gekommen seid.“ Kalter Schock ließ mich komplett einfrieren. Mein Körper versagte mir jede aktive Bewegung. Doch zittern konnte er. Zittern wie Espenlaub. Die Farbe aus meinem Gesicht war verschwunden. Meine Hände waren steif und klamm geworden. Mein Gehirn raste. Eigentlich sollte ich jetzt schon tot sein. Einfach weg. Nicht mehr da. Mein Kopf suchte ratternd nach dem wie. Ich war nicht erwürgt worden, also hätte noch irgendetwas passieren müssen. Ich dachte nicht das Undertaker so kurz vor knapp zu uns gestoßen war. Was wäre passiert? Nach ein paar strapaziösen Sekunden fiel es mir ein. Die Schnapsidee! Ich hatte vorgehabt Hannah zu linken und Amy zur Hilfe zu eilen. Jetzt wurde mir klar, dass mein Einfall nicht von Erfolg gekrönt gewesen wäre. Wahrscheinlich hätte mich die Dämonin bei dem Versuch Amy zu retten einfach umgebracht. Schließlich war die Phantomhive Olivers primäres Ziel gewesen. Amys Mund stand für ein paar Sekunden offen, bis sie überfordert schluckte: „2… 2 Minuten?“ Undertaker hatte derweilen seine Arme wieder verschränkt und musterte unseren Schock mit mitleidloser Mine: „Ja, 2 Minuten. Das Schicksal zu ändern ist schwierig, wenn man keine Liste hat. Doch ich war gezwungen genau das zu tun, ansonsten würden wir dieses Gespräch jetzt nicht führen. Denn dann wärst du tot, Sky und du, Amy, würdest gefesselt und geknebelt in den Kerkern der Villa Trancy hocken und der Dinge harren die da kommen mögen, während wir versuchen die Scherben zusammen zu kehren, die ihr uns hinterlassen habt. Hätte ich auch nur einen falschen Schritt zur Seite getan, wäre Zappenduster eine sehr nette Beschreibung für alles gewesen, was euch noch erwartet hätte. Alexander und Ronald hatten schon den Verdacht geäußert, dass genau so etwas passieren könnte als wir uns beratschlagt haben. Erinnerst du dich, Amy? Was habe ich ihnen geantwortet?“ Amy schaute zu Boden und kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Doch sie sagte nichts. „Ich möchte, dass du es aussprichst, Amber“, hörte man Undertakers Geduldsfaden deutlich kürzer werden. „Die Mädchen sind nicht blöd...“, nuschelte sie. „Lauter.“ „Die Mädchen sind nicht blöd!“, rief sie mit zusammengekniffenen Augen: „Du hast gesagt wir seien nicht blöd, verdammt!“ „Genau“, er seufzte langsam mit schrecklich geradem Mund durch die Nase: „Ich habe mich wohl geirrt.“ „Oh mein Gott...“, ich versteckte das Gesicht in meinen Händen. Mir stiegen die Tränen in die Augen, als der volle Umfang der Worte des Totengräbers mich endgültig erreicht hatte. Ich hatte mein Leben mehr aufs Spiel gesetzt, als mir bewusst gewesen war. Doch was ich als viel schlimmer empfand war, dass ich den Bestatter, der mir eh schon am laufenden Band das Leben rettete, so sondergleichen enttäuscht hatte: „Wir haben Mist gebaut… Es tut mir so... so unendlich leid...“ „Mist ist weit untertrieben. Ihr habt euch wissentlich und vor allem willentlich in eine Gefahr gebracht, die ihr euch in euren schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen könnt. Doch wozu? Warum zum Himmel und zur Hölle habt ihr das getan?“ Sprachlos rieb ich mir mit dem Fingerknöchel die Tränen aus den müden Augen und schaute Amy an. Sie krallte ihre Hände in ihre Hose und ihre Stimme zitterte unter einer Horde unterdrückter Tränen: „Ich… Ich wollte auch mal etwas tun… Immer… Immer! Wirklich immer sagen alle nur ‚Pass auf Amy auf‘, ‚Bring Amy hier weg‘. Ich… Ich hasse es! Ich bin eine Phantomhive, verdammt! Und trotzdem total nutzlos! Ein Klotz am Bein! Das kann doch nicht sein! Fred schlägt sich tagtäglich neben seinem Studium mit Mördern und Verbrechern herum und bewirkt was! Er ist nützlich! Ich… Ich tauge zu gar nichts! Ich habe gedacht, jetzt… jetzt könnte ich mal etwas tun… Ich wollte wissen wo Oliver und Claude hin wollten. Ich hoffte ich konnte herausfinden, wer der Engel ist und damit… endlich mal… nützlich sein!… Doch… ich habe gar nichts geschafft… mal wieder… Ich bin einfach nur eine Vollniete und ein totaler Versager… Sky habe ich auch in Gefahr gebracht… in Lebensgefahr sogar!… Und dich… Dich auch...“, sie krallte ihre rechte Hand über ihrem Herzen in ihr Oberteil und machte einen erstickenden Laut: „Ich bin so ein verdammt blöder Egoist...“, hauchte sie gequält und versteckte ihr Gesicht in ihren Händen. Ich hörte ein leises Schluchzen. Ich krabbelte zu ihr herüber und nahm sie in den Arm. „Es tut mir leid, Sky“, schluchzte sie durch ihre Hände und legte ihren Kopf auf meine Schulter: „Ich hätte auf dich hören sollen… Wenn du gestorben wärst, ich...“, die Phantomhive drückte mich fest an sich und zitterte. Der Rest ihres Satzes wurde erstickt von meiner Schulter, in der sie ihren Kopf versteckte und von ihrem Schluchzen, was sie zu unterdrücken versuchte aber nicht schaffte. Mit einem Seufzen setzte sich Undertaker in einem Schneidersitz zu uns auf den Boden: „Ja, hättest du. Keine Information der Welt ist es wert, dass euch etwas passiert“, dann legte er ihr mit einem zweiten Seufzen die Hand auf die Haare, was Amy dazu brachte ihr Gesicht auf meiner Schulter zu dem Bestatter zu drehen: „Aber es ist ja alles noch einmal gut gegangen. Irgendwie, aber es ist gut gegangen. Wir leben alle noch. Das ist die Hauptsache.“ Amy warf ihre Arme nach vorne: „Gut gegangen?! Papa bringt mich um!“ Undertakers Kopf kippte zur Seite und ich hatte das Gefühl mein Herz fing erst wieder an zu schlagen, als ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erschien. Die Spannung zwischen uns verschwand mit diesem unerwarteten, breiten Grinsen: „Tihihi! Was der Earl nicht weiß, macht den Earl nicht heiß!“ „Wie?“, fragte Amy mit tränenschwerer Stimme. Er verwuschelte Amys wilde Haare, nahm dann die Hand heraus und hielt ihren Handrücken vor seinen giggelnden Mund: „ Fu fu fu! Er kann dich nicht umbringen, wenn er nicht weiß wofür.“ „Soll das heißen... du hältst dicht?“, fragte die jüngste Phantomhive in totalem Unglauben und richtete sich auf. Ich ließ von ihr ab und sackte ein Stück zusammen. Ich war müde. So unsagbar und furchtbar müde. Die Aufregung und dieses furchtbare Gefühl in meinem Nacken, als wir den Trancys gefolgt waren. Der Schreck, als sie uns in dem Park erwischt hatten. Die Sorge um Undertaker, der sich mit den zwei Dämonen und ihren fürchterlichen Schwertern herum geschlagen hatte. Dieses plötzliche Gefühl von Schwäche, als wir im Swan Gazebo gelandet waren und dann noch Undertakers Standpauke und die Offenbarung, dass ich eigentlich tot sein sollte. All das hatte mein Nervenkostüm merklich in Mitleidenschaft gezogen. Undertaker nickte grinsend: „In der Tat. Ich schweige wie ein Grab“, dann hob er einen Zeigefinger: „Vorausgesetzt ihr versprecht mir hoch und heilig, dass dies die erste und letzte eigenmächtig in Angriff genommene Heldentat von euch war.“ „Wir versprechen es“, beteuerten Amy und ich untertänigst im Chor. „Ich weiß allerdings nicht wie es um die Schweigsamkeit von Grell und William bestellt ist“, mit diesen Worten drückte er Amy kichernd ihr Handy wieder in die Hand: „Hihihi! Es ist schon erstaunlich. Ihr rennt ständig mit diesen kleinen Dingern in der Hand herum und tut etliches damit. Doch wenn sie nützlich wären benutzt ihr sie nicht. Fu fu fu fu!“ Amy sah ihn recht zerknirscht an. Der Bestatter stand auf und hielt uns beide Hände hin: „Nun kommt, hehe. Das war definitiv genug Aufregung für einen Tag.“ Mit einem Ruck zog er uns auf die Füße: „Ihr seid in Ordnung?“ Ich nickte stumm. „Ja“, sprach Amy für uns beide: „Uns ist nichts passiert.“ Bei dieser Aussage fiel meine Blick auf die große blutig Schramme an Undertakers Schulter: „Aber… aber dir...“ Ich fühlte mich so mies. Nur wegen unserer Blödheit war der Bestatter verletzt worden. „Ach, das ist nichts“, grinste er aufmunternd. Dann drehte er meine Hand. Es war die Hand, an der mir die zwei Fingernägel abgesplittert waren. Meine Nagelbetten bluteten immer noch: „Das sieht schmerzhaft aus.“ Ich schüttelte den Kopf: „Ach Quark. Für das, was alles hätte passieren können… sollen... bin ich wirklich glimpflich davon gekommen… Dank dir, Undertaker… Danke...“ Der Bestatter seufzte lachend: „Haaaaaa… Nehehehe! Ihr beiden habt mich zu Tode erschreckt! Das ist gar nicht so einfach. Wäre dieses Unterfangen nicht so zum himmelschreiend dumm gewesen, würde ich euch dafür meinen tiefen Respekt aussprechen.“ Dann ließ er unsere Hände wieder los. Amy verschränkte die Arme: „Das wäre sicherlich alles ganz anders gelaufen, hätten wir Hannah gesehen. Ich wette Claude hat mir ihr telefoniert und sie war eigentlich diejenige, die uns bemerkt hat!“ Ich ließ seufzend die Schultern hängen: „Ich habe sie gesehen...“ „Wie bitte?!“, entfuhr es die Phantomhive: „Warum sagst du denn nichts?! Das hätte alles wie am Schnürchen laufen können!“ Mein Kopf flog schon wieder fast wütend zu ihr herum: „Weil ich nicht wusste, dass Hannah Hannah ist vielleicht? Man, Amy! Du Hohlfrucht!“ „Ich bin keine Hohlfurcht! Wer weiß, was wir herausbekommen hätten! Man! Wie ärgerlich!“ „Hast du sie noch alle?!“, rief ich ihr kopfschüttelnd entgegen. „Natürlich hab ich sie noch alle! So kompliziert kann das doch nicht sein! Dad und Fred machen sowas mittlerweile im Schlaf!“ „Alexander und Frederic haben ganz andere Grundvoraussetzungen als wir!“ „Trotzdem muss das doch zu schaffen sein! Mit der Info, dass Hannah hinter uns steht hätte sich alles geändert! Wir hätten… Au, au, au, au!“ Amy konnte ihren Satz nicht beenden, denn der Bestatter hatte mit zuckender Augenbraue jeweils eins unserer Ohren gegriffen und zu sich gezogen. Er schüttelte uns daran vor und zurück: „Habt ihr Beiden mir überhaupt zugehört!“ „Wir ergeben uns!“, riefen Amy und ich aus einem Munde. Der Bestatter hörte auf uns zu schütteln, doch hielt er unsere Ohren weiter fest: „Ihr zwei Grazien solltet trotz allem ja nicht denken mit eurer verspäteten Einsicht sei die Sache ausgestanden!“ Ich blinzelte zu ihm hoch: „Wie meinst du das?“ „Na! Ihr beiden steht mächtig in meiner Schuld. Tehehehe! Findet ihr nicht?“ „Diese Aussage...“, Amy seufzte geschlagen: „Ist der Anfang unsere Endes, oder?“ „Nein“, lachte der Bestatter: „Aber ich finde ihr könntet mir einen kleinen Gefallen tun. Nihihi!“ „Du“, stockte ich kurz: „Bestrafst uns?“ Verdient hatten wir es. Alle male. „Hihi. Wenn du es so nennen möchtest. ‚Gefallen tun‘ gefällt mir allerdings besser. Fuhuhu.“ „Was“, runzelte Amy mit einem halb zusammen gekniffenen Auge aufgrund der langen Finger an ihrem Ohr die Stirn: „Für einen Gefallen denn?“ „Nun ja“, grinste Undertaker uns entgegen: „In meinem Laden könnte mal wieder Staub gewischt werden. Ich finde es, fu fu fu, über alle Maßen fabelhaft, dass ihr euch so freiwillig dafür meldet.“ Amy seufzte ein weiteres Mal: „Ich weiß nicht ob ich erleichtert bin, dass dieser Gefallen nichts mit Toten zu tun hat, oder ob ich Angst davor haben sollte...“ Doch Undertaker lachte uns nur entgegen und setzte sich in Bewegung: „Für heute reicht es allerdings erst einmal“, wie stolperten unserem Ohr hinterher, das der Bestatter mit sich nahm: „Ich erwarte euch übermorgen um 17 Uhr bei mir, meine Damen! Seid pünktlich!“ „Aua!“ zeterten Amy und ich im Chor, als Undertaker uns an unseren Ohren Richtung Eingangstür des Vampires Castle zog. Vor der Treppe des Wohnheims ließ Undertaker unsere Ohren endlich los. Er verschränkte dieses Mal grinsend seine Arme: „Nihihi. Ihr werdet jetzt auf euer Zimmer gehen und gut daran tun, es heute nicht mehr zu verlassen.“ Wir nickten untertänigst mit dem Kopf. „Es tut mir Leid, Undertaker“, hauchte Amy: „Wirklich...“ Undertaker schüttelte allerdings nur mit einem seichten Schnauben den Kopf: „ Ich kann mir vorstellen wie schwer es ist eine Phantomhive zu sein und dich zum Teil sogar verstehen. Doch Entschuldigungen ändern nichts, Amy. Es ist gelaufen, wie es nun mal gelaufen ist. Ich kann nichts anderes tun, als mich auf euer Versprechen zu verlassen. Und das tue ich auch, hört ihr?“ Wir nickten stumm. „Nehehe. Und jetzt nutzt den Rest des Abends um euch zu beruhigen. Ach ja! Wie lief eigentlich eure Klausur?“ Amy und ich sahen verstimmt einander an und dann zu dem grinsenden Totengräber. „Total scheiße“, seufzte Amy. „Voll in den Sand gesetzt“, bestätigte ich sie: „Lowell dreht uns durch den Wolf.“ Der Bestatter lachte: „Fuhuhu! So schlimm wird es schon nicht sein!“ „Oh doch...“, antworteten Amy und ich im Chor. Mit einem abschließenden belustigten Schnauben giggelte Undertaker uns an: „Na, na, hehe! Ihr werdet das schon durchstehen. Ich glaube an euch.“ Dann hielt er uns unsere Ketten vor die Nase. Ich hatte bis jetzt keinen Gedanken daran verschwendet, dass wir sie ja verloren hatten: „Hier, ehehe. Ich gebe euch übermorgen eine neue Kette dafür. Steckt sie solange in die Tasche. Und nun kusch! Rein mit euch!“ Amy nahm ihre Kette und winkte: „Bye, Undertaker… und danke nochmal.“ Ich schaute nach schräg unten, nachdem ich meine Kette genommen hatte. Es fiel mir immer noch schwer den Bestatter in sein hübsches Gesicht zu sehen: „Mach‘s gut… Bis… bis übermorgen… Danke..“ Dann ging ich hinter Amy her zum Wohnheim. Ich musterte den Anhänger an seiner zerrissenen Kette. Bei dem Anblick der Kette fiel mir etwas ein, dass ich heute unbedingt noch gemacht haben wollte. Doch der ganze Schreck und Trubel hatte es verdrängt. Ich haderte kurz mit mir selbst, blieb auf der Treppe stehen und drehte mich um. Ich sah noch Undertaker den Gehweg entlang laufen. Im Gang knöpfte er seinen Mantel zu. Ich entschloss mich ihn heute nicht wegen der Campania auszufragen. Es brannte mir unter den Nägeln, nein, sogar auf der Seele, doch für heute hatte ich jedes Recht darauf verspielt. Ich konnte mir denken, dass er von dem Thema nicht begeistert war, so wie er Ronald in Othellos Labor deswegen angefunkelt hatte. Ronald hatte ein Gesicht gemacht, als habe er begonnen mit der puren Verheerung zu rechnen. Vielleicht sollte ich das Thema ganz Schweigen lassen. Doch Zombies… So viele Tote und Ronalds Erzählungen. Als Ron von der Campania erzählte klang es fast so, als hätte Undertaker die Rolle des Antagonisten gehabt. Aber Undertaker war kein Antagonist. Antagonisten ziehen nicht los und retten kleine, dumme Mädchen vor bösen Dämonen. Das war etwas, was Helden taten… Legenden… „Kommst du?“, Amys Stimme ließ mich aus meinen Gedanken fahren und den Kopf zu ihr drehen. Sie stand im Türrahmen und wartete auf mich. Ich schaute ein letztes Mal dem Bestatter hinter her, der schon einige Meter weiter gegangen war, doch dessen lange, silberne Mähne ich über all und auf hunderte Meter erkennen würde. „Ja“, sagte ich schließlich und wandte mich zur Tür: „Ich komme schon.“ Undertaker Ich konnte nicht behaupten, dass ich viel erholsamen Schlaf gefunden hatte, auch wenn ich erschöpfter war als ich mir selbst gegenüber zugeben wollte. Ich lag noch lange wach und wälzte meine Gedanken und Gefühle. Alte schwappten über Neue, nur um wieder von den Alten verdrängt zu werden. Meine innere Unruhe verwirrte und vor allen Dingen störte sie mich. Denn unruhig war ich wirklich nur sehr sehr selten. Irgendwann gegen 2 Uhr nachts war ich aufgestanden und durch den großen Irrgarten der Familie Phantomhive gewandert. Die Blüten der weißen und roten Rosenhecken, aus denen er bestand, hatten schon ihren Kampf gegen den hereinziehenden Winter aufgegeben. War es kälter als sonst? Ich konnte es nicht sagen. Es fühlte sich einfach gleich an. Kälte fühlte sich einfach immer gleich an. Ich wusste nicht mehr wie es war zu frieren. ‚Ich würde es nicht vermissen‘, erinnerte ich mich daran wie ich mich einmal bei einer Tasse Tee im Wintergarten mit Vincent unterhalten hatte, während meine Füße mich wie von selbst den bekannten Weg durch den Irrgarten führte, der mich nun schon seit ein paar Jahrzehnten nicht mehr verwirren konnte: ‚Es ist ein lausiges Gefühl. Genau wie Erkältungen. Sei froh davon nichts zu wissen.‘ Daraufhin hatte sich der Earl die Nase geschnäuzt: ‚Schnupfen ist übrigens auch nichts, um das man sich reißen müsste.‘ Während ich angefangen hatte den verschnupften Earl auszulachen, hatte dieser sein Taschentuch in die Hosentasche gesteckt: ‚Was macht einem Sensenmann noch Angst, Adrian?‘ Mein Lachen war zu einem Giggeln geworden: ‚Hihihihi. Wenn du so fragst. Die Dornen des Todes, wahrscheinlich.‘ ‚Und dir?‘ Ich hatte mich zurück in meinen Stuhl gelehnt: ‚Njaaaaa… Langeweile.‘ ‚Nur Langeweile?‘ ‚In der Tat.‘ ‚Das klingt… langweilig‘, hatte Vincent nasal wegen seiner verstopften Nase gelacht. ‚Tehehehe! Ja, es ist recht ironisch. Hihihi! Aber wozu habe ich dich?‘ Ich stoppte und schaute auf den Rasen: „Hatte… ich dich...“ Ich schaute auf das Manor, das über den Rosenhecken deutlich zusehen war. Sie brannte nicht. Natürlich tat sie das nicht. Doch ich wusste nur noch allzu genau wie sie brennend aussah. Ich wusste noch genau wie heiß es gewesen war… Hitze… Ich hasste Hitze… Auch hatte sie Sebastian immer Originalgetreu wiederhergestellt, egal wie oft sie zusammengebrochen war. Es waren einige Male gewesen, doch davon war ihr nichts anzusehen. Selbst der zerstörte Ballsaal stand wieder in voller Pracht und als sei nie etwas gewesen. Von außen hatte die Zeit an der Villa Phantomhive keine Spuren hinterlassen, doch innen hatte sie etliche Generationen gezeichnet. Nicht durch Beschädigungen. Sebastian hatte sicherlich - würde man es zusammen rechnen - Jahre damit verbracht Wachsmalkreide zu überstreichen, verschüttete Getränke und Essen aufzuwischen, Löcher durch Halterungen von Gemälden zu zukitten, Schlieren von Kinderspielzeug vom Boden zu schrubben und abgeblätterten Putz zu erneuern. Doch das Mobiliar hatte sich verändert. Jede Generation hatte so einen Teil von sich zurück gelassen. Seufzend ging ich weiter meiner Wege, bis sie mich zurück ins mein verhasstes Gästebett trugen. Durch die viel zu weiche Matratze hatte ich Rückenschmerzen und ich erwog kurz auf dem Boden zu schlafen, oder die Särge von der Halloweendeko zu suchen. Doch Sebastian versteckte sie immer gut vor mir. Ich musste den Butler hoch anrechnen, dass ich bis jetzt noch nicht herausgefunden hatte wo. Selbst die Phantomhives wussten es nicht und der Butler tat natürlich wortwörtlich einen Teufel es mir zu verraten. Solche Kleinigkeiten wie Rückenschmerzen waren seine Rache für so vieles Vergangenes, was der nachtragende Dämon mir immer noch reichlich übel nahm und immer übel nehmen wird. Freunde werden ich und der Butler wohl nie mehr werden. Auch keiner von uns hatte die Intension dazu. Was uns davon abhielt den anderen auseinander nehmen zu wollen, war die Einsicht, dass der jeweils andere praktisch war. Irgendwann in dieser verdammten Nostalgie fielen mir die Augen zu. Bis schließlich der Butler bei mir im Zimmer stand: „Ich wünsche einen guten Morgen.“ Meine Augen öffneten sich nur langsam, obwohl mich die Stimme des Dämons sofort geweckt hatte. Tief war mein Schlaf auch wirklich nicht gewesen. Lieder schwer wie Blei, wanderten meine Augen zu ihm, ohne dass ich den Kopf drehte: „Guten Morgen, Butler.“ „Hast du gut genächtigt?“ „Das interessiert dich doch einen feuchten Dreck. Ehehehe!“ „In der Tat“, lächelte Sebastian kalt: „Doch die Etikette gebietet mir, mich danach zu erkundigen.“ „Tue uns Beiden doch einfach den Gefallen und lasse die Etikette sausen. Tehehehe! Ist ja furchtbar!“ „Was wäre ich denn für ein Butler, wenn!“, rief der Dämon empört auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. Ich setzte mich auf. Mein Rücken knackte. Ich fühlte mich nur selten wie 200.000, doch gerade tat ich es. Der Dämon neigte den Kopf: „Das Frühstück steht gleich bereit. Die Sensenmänner müssen heute früh aufbrechen, um zur Arbeit anzutreten.“ Ich warf meine Beine aus dem Bett: „Nehehehe! Arme Tröpfe.“ „Gerade du müsstest doch wissen, dass Arbeit sehr erfüllend sein kann.“ Ich lachte schrill: „Doch gerade ich weiß, dass es diese Arbeit nicht ist. Tehehehe! Oder sieht William für dich erfüllt aus, Butler?“ „Mr. Spears genießt es zu leiden“, kontert der Dämon: „Von diesem Standpunkt aus gesehen denke ich, dass er gerade mit seinen Kollegen das große Los gezogen hat.“ Ich lachte schriller: „Nihihihihi! Wie fies du bist!“ „Ich bin ein Dämon.“ „Das brauchst du mir nicht zu erzählen.“ Ich stand auf. Ein weiteres Knacken. Ich konnte nicht in Worte fassen, wie froh ich war heute wieder nach Hause fahren zu können und die Nächte wieder in meinen Särgen zu verbringen. Vor allem meine Lendenwirbel freuten sich fürchterlich darauf. „Wir erwarten dich um 8 Uhr im Wintergarten“, verschwand er durch die Tür. Ich seufzte. Wenn man etwas am frühen Morgen nicht brauchte war es Sebastians offenkundig geheuchelte Freundlichkeit. Ich lehnte mich mit einer Hand auf die Kommode und hielt mir mit der Anderen meinen schmerzenden Rücken: „Oh… verdammt seien alle Matratzen dieser Welt...“ Dann stemmte ich auch die Zweite in den Rücken und bog mich nach hinten. Es knackte an vier Stellen gleichzeitig: „Heijeijeijei… Ich glaube ich werde alt...“ ‚Man ist so alt wie man sich fühlt‘, klang der Nachhall von Vincent Stimme in meinem Kopf. Ich legte die Hand über die Augen. Warum gingen diese Gedanken nicht weg? Das Schlimme war nicht, dass sie da waren. Ich erinnerte mich gerne an meine alten Freunde. Doch es war schlimm, dass es im Moment so unendlich bitter schmeckte, es zu tun. Verfolgt von Jahrzehnte und Jahrhunderte alten Erinnerungen verließ ich mein Zimmer und ging ins Bad gegenüber. Ich fragte mich, ob die Müdigkeit die mich plagte wirklich von zu wenig Schlaf geprägt war, oder ob ich wieder an einer der Stellen meines Lebens angekommen war, wo mich eine gewisse Lebensmüdigkeit ergriff. In knapp 200.000 Jahren Existenz konnte ich mich nicht dagegen erwehren, dass sie mich hin und wieder überkam. Doch so schnell wie sie kam, verging sie eigentlich auch wieder. Nur hatte sie sich bis jetzt nie so schwer angefühlt. Seufzend stellte ich mich unter die neumodische Dusche und rubbelte mir das Wasser durch mein müdes Gesicht. Es fühlte sich dadurch nur leider nicht wacher an. Das Wasser hatte keine Temperatur. Es war einfach nur nass. Ich drehte den Regel ein Stück nach rechts. Nichts. Noch ein Stück. Wieder nichts. Ganz nach rechts. Immer noch nichts. Warum mich mein fehlendes Temperaturempfinden auf einmal so dermaßen störte, konnte ich nicht benennen. Aber ungefähr so musste es sich anfühlen Tod zu sein. Der Witz an der Sache war nur, dass ich es nicht war. Wahrscheinlich fühlte es sich deswegen so sondergleichen falsch an. Wer fühlt sich denn schon gerne lebendig tot? Frustriert shampoonierte ich mir die Haare. Seife lief mir in die Augen und hinterließ ein dumpfes Surren. Nur ein Hauch des Gefühls von Schmerz, was weitere Frustration mit sich zog. Ich verließ die Dusche, zog mich wieder an und versuchte mir die Haare durchzukämmen was immer eine etwas langwierige Prozedur war und meine Gedanken wenigstens für den Moment, den es dauerte, ganz ergriff. Föhnen tat ich sie nie. Ich sah danach eh nur aus wie ein Collie, den man mit dem Elektroschocker frisiert hatte. Zumindest hatte mir das Julius - Alexanders Vater - vor einigen Jahren mal lachend unterbreitet, als der damals noch 6 Jahre alte Alexander meinte mir unbedingt die Haare föhnen zu müssen, weil es zu dieser Zeit Winter gewesen war und ich ja krank werden könnte. Waren Kinder nicht herrlich und auch noch so herrlich naiv? Aber auch Julius war viel zu früh gegangen. Und viel zu lange. Kleinzelliger Lungenkrebs sorgte dafür, dass wir ein halbes Jahr mit ansehen mussten, wie er von uns ging. Jeden Tag ein kleines Stückchen mehr… Im zarten Alter von 43 Jahren fand sein Leidensweg endlich sein Ende. Ich verließ das Bad. So leidlich das Abtreten des letztens Earls auch gewesen war, genau so sehr hatten es sich alle irgendwann gewünscht. Nicht, weil wir Julius das Leben nicht gegönnt hatten, sondern weil er es nicht verstecken konnte wie sehr er litt. Selbst die moderne Medizin konnte dagegen nur marginal viel tun und auch Sebastian hatte einsehen müssen, dass er dem Tod gegenüber machtlos war. Der damals 16-jährige Alexander war so wütend auf die Welt gewesen, die ihn sein Vater so melodramatisch am nehmen war. ‚Das ist doch nicht richtig!‘, hatte er eines Tages vor nun mehr 28 Jahren in meinem Laden gesessen: ‚Warum passiert so etwas?!‘ ‚Weil es der Lauf der Dinge ist. Menschen sterben, Alex.‘ ‚Aber so?!‘ Ich hatte ihn damals seine Trauer und seine Frustration nicht absprechen können. Aus dem Grund, da ich sie teilte: ‚Niemand kann etwas daran ändern. Du weißt es.‘ ‚Ich fühle mich schlecht, Undertaker! Ich fühle mich schlecht, weil ich will, dass es endlich vorbei ist!‘ Damals war der Earl noch viel emotionaler gewesen. Heute schien es noch durch, wenn sich jemand an seiner Familie oder seinen Freunden vergreifen wollte. Doch als junger Mann hatte er seinen Empfindungen immer sofort und mit losester Zunge Luft gemacht: ‚Was bin ich denn bitte für ein Sohn, verdammt?!‘ Die Hand an der Klinke blieb ich kurz stehen. Ich wusste noch genau, dass ich damals auf seine Aussage hin den Kopf geschüttelt hatte. Gelacht hatte ich nicht. Wie auch?: ‚Ein liebender. Ansonsten würde dir das alles nicht so schwer fallen.‘ ‚Ein liebender Sohn wünscht seinem Vater doch nicht den Tod...‘ ‚Aber Erlösung, Alex. Wir empfinden alle so. Glaube mir. Niemand will einen geliebten Menschen leiden sehen.‘ Mit einem stummen Seufzen drückte ich die Klinke herunter und schloss die Türe wieder hinter mir. ‚Aber das ist doch nicht richtig!‘, wiederholte in meinem Kopf der junge Alexander. Ich hatte noch lange mit ihm geredet. Als sein Vater ein paar Wochen darauf verstorben war, gab er sich die Schuld dafür. In seiner Trauer und Verzweiflung war er irgendwie auf die Idee gekommen sein Wunsch hatte schließlich für Julius Ableben gesorgt. Was Blödsinn war. Gisele - Alex Mutter -, der junge Frank von Steinen - der zu dieser Zeit mit Alexander das Weston College besucht hatte - und ich hatten etliches versucht, um ihn von dieser Idee ab zu bringen. Es hatte gedauert. Viel Zeit und auch Geduld gekostet. Doch mittlerweile wusste auch Alexander, dass es Blödsinn war. Aber mittlerweile war Alexander auch erwachsen und selber Vater. Ich wünschte ihm so sehr, dass er seine Enkelkinder erleben darf. Ich zog meine beiden Mäntel, mein Tuch und meine reparierte Kette über, nachdem mich diese Erinnerung endlich los gelassen hatte. Ich wusste nicht genau wie lange es gedauert hatte. Als ich mich auf den Weg zum Frühstückstisch machte, hielt ich vor Skylers Zimmertüre. Ich wusste nicht, ob der Butler sie schon abgeholt hatte und klopfte. Stille. Ich klopfte ein weiteres Mal. Nichts. Schließlich öffnete ich die Türe und schaute in ein leeres Zimmer. Das Bett war noch zerwühlt, also war Sebastian noch nicht dort gewesen um das Zimmer herzurichten. Doch Skyler fehlte. Wahrscheinlich war der Butler noch damit beschäftigt sie zum Esstisch zu bringen. Ich verließ das Zimmer wieder und stand wenig später, um Punkt 8 Uhr, im Wintergarten. Alle waren dort, auch Sebastian. Alle bis auf die hübsche Skyler. „Guten Morgen“, grinste ich unter meinem Pony hervor: „Wir sind noch nicht vollständig?“ „Nein“, antwortete Amy, während ich mich setzte: „Wir dachten du bringst Sky mit. Sie war schon wach, also ist Sebastian nicht losgegangen. Hat sie nicht bei dir geklopft?“ „Nein“, erwiderte ich ein bisschen irritiert: „In ihrem Zimmer war sie auch nicht.“ „Komisch“, legte Amy den Kopf schief. „In der Tat.“ Die Gespräche waren locker, doch alles in allem noch ein wenig schläfrig. William hing grummelnd an seiner Kaffeetasse und an der Montagszeitung. Grell versuchte mit ihm zu reden, doch der Aufsichtsbeamte antwortete ihm nur sehr einsilbig. Auch Ronald war ruhiger als sonst. Er wirkte noch reichlich erschöpft und trank heute Kaffee anstelle seines üblichen Kakaos. Ich tippte das Training war für ihn doch härter gewesen, als er durchblicken ließ. Lee war wie immer schon hellwach, was seinen besten Freund Fred gehörig nervte. Frank war gewohnt grummelig, wie Charlie gewohnt heiter und auch aus der Familie Phantomhive schien der Stress der letzten Tage zum Großteil gewichen zu sein. Ich selbst schaffte es meine Gedanken nach relativ weit hinten zu verbannen, als ich mir einen Keks von meinem Teller nahm. Dort rasten sie zwar weiter, aber es war um einiges erträglicher. In dieser gewohnten Runde begann meine Welt ein bisschen zu genesen. Alle waren froh und munter. Lebendig und gesund… zumindest für den Moment. Irgendwann tippte Amy etwas auf ihrem Handy. Kurz darauf vibrierte es und die junge Phantomhive seufzte, als sie wieder tippte: „Ich fass‘ es nicht...“ „Hehehe“, lachte ich hinter meinem Keks: „Was es denn passiert?“ „Sky hat sich in der Villa verlaufen...“ Ich blinzelte die Phantomhive verwundert an, was sie nicht sehen konnte: „Warum wandert sie denn auch auf Gutdünken alleine los?“ „Gute Frage...“, tippte Amy weiter mit ihrer verlorenen gegangenen besten Freundin. „Wo ist die Lady denn?“, fragte der Butler, der Skyler aufgrund der Steinkette nicht einfach finden konnte. „Das versuche ich herauszu… BITTE WAS?!“, Amy starrte vollkommen entgeistert auf ihr Handy: „Sie… ich werd‘ nicht mehr… Hab ich Idiot auf der Stirn stehen?!“ Wieder klimperte ich der Phantomhive unter meinem Pony entgegen, konnte aber nicht verhindern, dass mich ihr beleidigtes Aufregen zum Lachen brachte: „Fehehehe! Was ist denn passiert?“ „Sky verarscht mich!“ „Amy!“ „Sorry, Dad...“, dann schaute sie wieder zu mir: „Sie hat um kurz vor 8 gefragt, ob du schon unten seist.“ „Was ich nicht war, hihihi“, kicherte ich. „Genau“, antwortete Amber: „Hab‘ ich ihr auch so gesagt. Jetzt meinte sie, sie habe nicht gefragt, weil sie dachte du wärst schon unten gewesen! Was soll das?!“ Mein Amüsement endete in Verdutzen: „Das ist allerdings eine sehr schlecht überlegte Lüge gewesen.“ „Da ist der Punkt!“, ärgerte sich Amy weiter: „Warum belügt Sky mich?“ „Wir müssten sie finden, um dies herauszufinden“, lächelte der Butler kalt. „Ich weiß immer noch nicht wo sie ist… Sie meinte nur Undertaker sei nicht ihr Fremdenführer!“ „Eine ebenfalls schlecht überlegte Ausrede“, grinste ich. „Ja!“, erwiderte Amy gereizt: „Ich bin doch nicht blöd! Und ihr auch nicht!“ „Wir sollten“, doch ich unterbrach Sebastian, als ich mich erhob: „Lasse es gut sein, Butler. Ich finde sie schneller als du.“ „Warum denkst du das?“, fragte der Dämon mit zu schlitzen gezogenen Augen. „Tehehehe!“, lachte ich und schob noch einen Keks zwischen meine Lippen: „Weil ich mittlerweile Übung darin habe. Bis gleich.“ Ich verschwand von der Stelle und hörte schnell Schritte im Manor, die ich sehr sicher Skylers Füßen zuordnete. Zu recht. Ich hatte vielleicht 3 Minuten gebraucht, bis ich hinter dem Rücken der schönen Brünetten aufgetaucht war. Ich musterte ihren Rücken, als sie noch auf ein wenig auf dem komischen kleinen Taschencomputer herum tippte, bis sie verwirrt mit den Kopf zuckte, sich zu mir um drehte und fürchterlich erschrak. Skyler starrte mich an. Stumm. Fragend und vollkommen überfordert. Ich verstand diesen Ausdruck nicht. War es noch so ungewöhnlich für sie, dass ich da war? Schließlich hatten wir einen Großteil der letzten 72 Stunden miteinander verbracht. Mit einem leisen Lachen brach ich das perplexe Schweigen um uns herum, das ich nicht verstand: „Eh he he he. Du weißt schon, dass du in die komplett falsche Richtung gelaufen bist, oder?“ Sie schüttelte nur stumm den Kopf und wirkte von ihrem Vokabular ein weiteres Mal im Stich gelassen. Warum reagierte sie so auf mich? Das war mir doch äußerst rätselhaft und arg befremdlich. Trotz allem war ihr überfordertes Gesicht wie immer viel zu herrlich, als das meine Fragen sich hätten in mein Gesicht schleichen können. Ich wandte mich zum gehen, da ich irgendwie das Gefühl hatte, sie stellte das Atmen ein sollten wir weiter stehen bleiben: „Nun ja, tehehe, jetzt weißt du es. Folge mir.“ Ich hörte sie hinter mir her laufen. In knapp einem Meter Abstand. Warum war so viel Platz zwischen uns? Eigentlich lief sie immer rechts neben mir. Ich hatte das Gefühl was zwischen uns stand war nicht nur die räumliche Entfernung. Hatte ich irgendwas getan? Wenn ja… was? Und warum log sie Amy so sondergleichen dämlich an? Irgendetwas stank mir und zwar ganz gewaltig. „Warum belügst du deine beste Freundin, kleine Sky?“, fragte ich schließlich ohne anzuhalten. „Ich ähm...“, noch zwei Minuten gingen wir weiter und das Mädchen sagte nichts. Die Sache war eindeutig mehr als nur sonderbar. Ich blieb stehen. Skyler einige Momente später auch, da sie vor meinen Rücken rannte. Sie schien auf ihre Umgebung nicht mehr geachtet zu haben. Wahrscheinlich hatte ihr Kopf mit hochroten Wangen – ergebnislos - hin und her überlegt. Ich drehte mich zu ihr herum. Sie war zurückgewichen und starrte stur auf den Boden: „… Sorry… ich ähm… wollte nicht in dich hineinlaufen...“ „Hehehe. Was ist los mit dir, Skyler?“, fragte ich zwar lachend, aber meine Gedanken standen dem jungem Ding und ihrem komischen Verhalten sehr skeptisch gegenüber. Doch ich hatte das Gefühl, es wäre der Situation nicht förderlich sie das merken zu lassen. Sky verschränkte die Arme hinter meinem Rücken und schaute auf den sauberen Steinfußboden: „Nichts… was soll denn sein?“ „Ich würde nicht fragen, wenn ich es wüsste“, kroch nun doch die Skepsis in meine Stimme. Sie log. Schon wieder: „Ich finde es allerdings seltsam, dass du Amy und nun auch mich belügst.“ „Ich… ähm… also… äh… es ist nichts...“, log sie ein weiteres Mal stammelnd. Eine meiner Augenbrauen wanderte unter meinem Pony nach oben, als ich ein weiteres Mal eine unglaublich schlechte Lüge ihrerseits ertragen musste: „Sky?“ „Ja?“ „Höre auf zu lügen. Es gibt keinen Grund dafür.“ Ein weiteres Mal blieb sie stumm. Doch durch einen Spalt in meinem Pony sah ich, dass sie sachte zu zittern anfing. Ich stand ihrer Reaktion mit vollkommener Ratlosigkeit gegenüber. Was war nur los mit ihr? „Skyler?“, sagte ich schließlich so fragend wie ich mich fühlte und ging ein paar Schritte auf sie zu: „Schau mich an.“ „Ich… ähm… Ich“, weder hob sie ihren Kopf, noch konnte sie mir richtig antworten. Ich schüttelte stumm seufzend den Kopf und zwang sie mit zwei Fingern an ihrem Kinn mich anzuschauen. Ich wollte endlich begreifen was mit ihr los war. Langsam machte mir ihr seltsames Verhalten Sorgen. War sie sich über irgendetwas klar geworden? Hatten sich alle Informationen gesetzt und sie hatte eingesehen, dass es vielleicht keine gute Idee war seine Zeit mit einem 200.000 Jahre alten, lachenden Irren zu verbringen? Ein Gedankengang, der sicherlich menschlich und logisch wäre. Doch ich... wollte nicht, dass sie so dachte. Außerdem waren das alles nur Spekulationen. Ich allerdings wollte klare Antworten, auf die mich das junge Ding jetzt schon geraume Zeit einfach warten ließ. Doch ich lächelte sie an, in der Hoffnung ihr so die Anspannung zu nehmen, die sie zittern ließ. Woher sie auch immer kam: „Was ist los, hm?“ Doch sie versuchte nur wieder ihr Gesicht, mit den traurigen blauen Augen, von mir weg zu drehen. Was hatte ich getan, dass sie mich nicht anschauen wollte? Mit der großen Narbe war mein Gesicht sicherlich nicht mehr im traditionellem Sinne ansehnlich, doch warum mied sie es so plötzlich? Ich nahm ihre Wange in die Hand und zwang sie weiter mich ansehen zu müssen: „Warum sprichst du nicht?“ Ihre Stimme überschlug sich, als sie stotternd ihre Augen zusammen kniff: „Es… es- es- es- es- es tut mir leid!“ Ich blinzelte sie unter meinem Pony an: ‚Es tut ihr leid? Was denn?‘ War ihr komisches Benehmen ein schlechtes Gewissen? Doch… weswegen? Was hatte sie denn in der letzten Zeit getan, wofür sie… Das Gespräch auf dem Balkon. Ich merkte wie sich in meiner Magengegend warm ein Lachanfall zusammenbraute. Sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen dem Gespräch auf dem Balkon! Dabei war doch schon am Ende des Gespräches zwischen uns alles in Ordnung gewesen. Wie kam sie denn auf den Gedanken, sie müsste deswegen ein schlechtes Gewissen haben? Und dieses überforderte Gesicht! Wie sie sich verlaufen hatte, weil sie zu schüchtern zum Fragen war, wie sie in mich rein gelaufen war und diese wirklich sondergleichen schlechten Lügen! Wie kam man darauf sich so zu benehmen? Es gab doch gar keinen Grund. Hatte ich nicht gestern Abend noch deutlich gemacht, dass alles in Ordnung war? Sie war so unendlich einfach aus der Ruhe zu bringen! Ihre unendliche Naivität - die sie zu einem grenzenlos unlogischen Verhalten bewegte - war zu gleichen Teilen belustigend, wie bedenklich und der Knoten aus Fragen sprang in meinem Kopf mit einem krachenden Lachen meinerseits auf: „Awuwuwuwuwuwu! Du denkst doch nicht tatsächlich ich würde dir gestern Abend nachtragen, oder? Fuhuhuhuhu!“ Es dauerte bis mein Lachen abflaute. „Öhm...“, schaute ich sie an, als ich mich soweit beruhigt hatte, dass ich Skylers Stimme wieder hören konnte: „Doch?“ Ich hielt mir meine Hand vor den lachenden Mund: „Pahahahahahaha! Wieso denn?!“ Sie ließ darauf hin wieder den Kopf hängen. Meine Pläsier erreichte sie dieses Mal einfach nicht: „Naja… Du hast heute Morgen so düster geschaut… und du hast kalt geduscht… Da dachte ich… ja.. du seist… also...“ Mein Grinsen blieb an Ort und Stelle, doch meine Augen zogen sich ein Stück zusammen. Woher wusste sie das? Ich hatte sie heute doch noch gar nicht gesehen. Doch vor allem woher wusste sie, dass ich kalt duschen war? Eine komische Art von Neugier wallte in mir auf, als ich ihr Gesicht ein weiteres Mal mit zwei Fingern zu meinem hob: „Ehehe. Woher weißt du das?“ „Nun ja“, zauderte sie, bevor sie so schnell sprach, dass ich Mühe hatte ihr zu folgen. Ihre Stimme stolperte immer wieder über sich selbst und ich musste ihre Worte in meinem Kopf nachsortieren: „Als ich unter die Dusche wollte kamst du gerade aus dem Bad… I-i-i-ich wollte dich nicht bespitzeln! D-d-du bist mir einfach über den Weg gelaufen und und und da da da hab ich dein Gesicht gesehen und du hast mich vollkommen ignoriert und d-de-deswegen dachte ich du seist sauer auf mich... Da-das mit der Dusche hab ich gemerkt, als ich selber drunter wollte. Es… tut mir leid! Dass ich dich heute Morgen bespitzelt habe und und dass ich dir gestern solche… solche Sachen an den Kopf geworfen habe! I-ich wollte dich nicht traurig machen. Ich Ich wollte dir helfen!“, sie holte tief Luft. Ihre Augen fielen wieder nach unten, doch meine Finger verhinderten, dass ihr Kopf es ihnen gleich tun konnte: „Doch das ist wohl reichlich nach hinten los gegangen… Es tut mir wirklich so... so unendlich leid… Ich… möchte nicht… wollte nicht… dass du sauer auf mich bist...“ ‚Sauer?‘, eine leichte Irritation befiel mich. Sie dachte ich sei sauer auf sie? Sie hatte nicht nur ein schlechtes Gewissen, sie schien fest überzeugt zu sein, dass mein dunkler Gesichtsausdruck von heute Morgen ihr geschuldet war. Woher auch immer sie wusste, dass er da gewesen war. Doch das war er nicht. Mit meiner Verstimmung von heute früh hatte sie wirklich rein gar nichts zu tun gehabt. Als ich ihr aufbauend meine zweite Hand auf die Wange legte, blinzelte sie mich von unten an. Irgendwo zwischen besorgt und gepeinigt. Dieser Ausdruck war nun wirklich nicht mehr erquicklich. Oh, hätte ich doch nur gewusst, dass es so in ihr aussah. Ich hätte nicht gelacht. Ich lächelte ihr so warm wie ich konnte entgegen. Sie sollte nicht die Last von Dingen tragen, die nicht mit ihr zu tun hatten: „Ich bin nicht sauer auf dich. Ehehehe! Ich habe dich einfach nicht gesehen! Warum hast du nichts gesagt?“ Sie musterte mich ein wenig skeptisch, bevor sie zögerlich antwortete: „Nun… Wie gesagt, ich dachte du seist sauer... zeigst mir die kalte Schulter und… und möchtest mich nicht sehen...“ „Das ist Blödsinn“, fuhr ich ihr durch ihr wunderbar weiches Haar. Sie war einer der wenigen Menschen, die selbst dann da bleiben konnten, wenn ich wirklich niemanden sehen wollte. So wie gestern. Wie konnte sie nur denken, ich wolle sie nicht sehen?: „Hach kleine, süße Skyler. Das kommt davon, wenn man vermutet und nicht spricht“, ich drehte meinen Zeigefinger in einer ihrer Haarsträhnen. Es war ein wunderbares Gefühl: „Es ist alles ok. Hehehe. Ich war heute Morgen nur ein wenig in Gedanken, aber das hatte nichts mit dir zu tun.“ Sky zog immer noch ein wenig skeptisch ihre Augenbrauen zusammen. Irgendetwas raste noch in ihren Augen. So ganz überzeugt schien sie von meiner Aussage nicht zu sein. Doch meine Gedanken hatten zumindest heute Morgen nichts mit ihr zu tun gehabt. Höchstens könnte man sagen sie habe mich auf sie gebracht. Doch das war nichts wofür ich ihr sauer war, oder wofür sie ein schlechtes Gewissen haben musste. Ich giggelte sie an, um ihren Ausdruck ein wenig von der Schwere zu nehmen, die sie immer noch im Griff zu haben schien: „Das nächste Mal, hehehehe, frage doch einfach und zerbrich dir nicht dein schönes Köpfchen mit irgendwelchen Vermutungen“, ich nahm die verbleibende Hand aus ihrem Gesicht und hielt ihr in gewohnter Manier meinen Ellbogen hin: „Frühstück?“ Als sie sich bei mir einharkte atmete sie erleichtert aus und mit einem – wenn auch nur sehr kleinem – Lächeln verschwand die Schwere zu einem großen Teil von ihrem hübschen Gesicht: „Frühstück.“ Als wir am Frühstückstisch ankamen, waren William, Ronald und Grell schon verschwunden. „Ohne sich zu verabschieden, hehe“, setzte ich mich auf meinem Platz und angelte nach dem Glas Marmite und meinem Löffel: „Wie unhöflich. Tihihi!“ Skyler setzte sich ebenfalls und beschaute ihren vollen Frühstücksteller. Sebastian hatte ihn voll gestapelt bis aufs Letzte. Sie schaute besagten Butler kurz an, der sie vielsagend anlächelte und begann dann ihren Teller ohne Diskussion zu essen. Ich wusste nicht, ob ich beruhigt oder enttäuscht war. Natürlich war es gut, dass sie wieder eigenständig zu essen begann, doch die kleinen Schlachten am Esstisch waren schon sehr, sehr amüsant gewesen. Doch die Erleichterung überstieg meine Vergnügungssucht. Das meine Vergnügungssucht unterlag kam nur sehr selten vor. Frank seufzte mich an und holte meine Gedanken so zum Esstisch zurück, als ich den Kopf zu ihm drehte: „Die Drei haben auch geregelte Arbeitszeiten, im Gegensatz zu dir.“ „Was soll das heißen?“, nuschelte ich beleidigt. Das klang ja so, als ob ich den ganzen Tag einfach gar nichts tat: „Ich leite schließlich ein ganzes Bestattungsunternehmen!“ Frank schaute mich mit verständnislos großen Augen an: „Aber dein Bestattungsunternehmen besteht nur aus dir!“ „Ja, tut es“, lachte ich schrill: „Pahahahahaha! Und ich bin wahrlich nicht einfach zu leiten! Tihihihihihihi!“ Frank war der Kiefer aufgeklappt. Er musterte mich, als sei ich der letzte Trottel. „Das hast du jetzt gerade nicht wirklich gesagt“, kam seine ungläubige Stimme nur sehr dünn aus seinem Mund, als versuchte er noch sich einzureden, was ich gerade gesagt habe, sei nie passiert. Doch ich lachte ihn nur an, als ich mir ein weiteren Löffel Marmite in den Mund schob, amüsiert von seinem Unglauben: „Doch. Nihihihi! Habe ich!“ Der Baron versteckte seine Augen hinter seiner auf den Tisch gestützten Hand: „Oh mein Gott.“ Ich hörte Skyler neben mir kichern. Ein Geräusch, was mir mehr als nur willkommen war. Eins meiner Lieblingsgeräusche, was noch mehr dazu beitrug, dass ich ebenfalls lachte, als Franks unglaublich belustigende Reaktion. Dieses Kichern war einfach unglaublich melodisch. Und so unglaublich schön anzuhören. Frank gab sich aufgrund der allgemeinen Belustigung einfach geschlagen und Charlie richtete das Wort an mich: „Was hast du eigentlich mit Ronald angestellt?“ „Wie meinst du das?“, löffelte ich breit grinsend mein Marmiteglas zu Ende. „Der war total hinüber“, lachte Charlie: „Ich dachte er braucht einen Krückstock, als er Grell und William hinterher gehumpelt ist. Er schien den Muskelkater seines jungen Reaperlebens gehabt zu haben!“ „Ich habe nur mit ihm trainiert. Ehehehe!“ „Er sah eher aus als hättest du ihn gefoltert.“ „Dann habe ich alles richtig gemacht. Nehehehe! Ein ertragreiches Training erkennt man daran, dass man es am nächsten Morgen merkt. Fu fu fu fu! Und zwei Tage danach noch mehr. Nehehehe!“ Die Gespräche gingen noch ein paar Minuten weiter. Immer noch recht heiter und in guter Stimmung. Amy und Sky tuschelten neben mir. Ich hörte mit halbem Ohr, dass Sky mit der Sprache nicht so recht rausrückte, was Amy nicht erquicklich fand. Der jungen Phantomhive gingen die Lügen ihrer besten Freundin reichlich nah. Doch irgendwie schien sie an sie gewöhnt zu sein, was ihr Empfinden allerdings nicht besser zu machen schien. Ich konnte verstehen, dass Sky was ihn ihr vorgegangen war nicht vor aller Leute ausbreiten wollte, also hielt ich mich geschlossen. Ihr in den Rücken zu fallen war sicherlich nicht förderlich für irgendetwas. „Puuuuh…“, machte ich irgendwann, nun um einiges glücklicher und satt, und stellte mein leeres Glas auf den Tisch: „Ehehehe! Das war gut!“ Skys Stimme unterdrückte ein kleines Würgen. Von Marmite schien sie wirklich kein Fan zu sein: „Jirks… Wenn du es sagst...“ „Hey“, drehte ich meinen Kopf zu ihr: „Ihihi! Nicht so abfällig! Es ist eine wahre Delikatesse!“ Sie zog nur eine Augenbraue hoch: „Wenn du es sagst.“ Amüsiert seufzend schüttelte ich den Kopf: „Du kleiner Banause. Da ist wahrlich Hopfen und Malz verloren, ehehe!“ Auch sie schüttelte den Kopf, doch ich sah ein kleines Grinsen in ihrem Gesicht. Mir nun sicher, dass es der schönen jungen Dame wieder sichtlich besser ging, erhob ich mich von meinem Stuhl und wand mich zu dem Earl: „So Earl. Ich empfehle mich, ehehe. Schließlich warten 15 neue Gäste auf meine Dienste und ein paar verstörte Familien, denen ich irgendwie erklären muss, warum man sie nicht in einem offenen Sarg aufbahren sollte. Fu fu fu!“ Der Alexander nickte kurz: „Ich versteh schon. Während ihr im Dispatch unterwegs wart, hat Sebastian im Naturschutzamt ein paar… Unterlagen bereit gelegt. Offiziell hat sich ein Rudel Wölfe in unser Waldstück verirrt und diese traurigen Gestalten hatten zur falschen Zeit die Idee eine kleine Nachtwanderung durch den Wald zu unternehmen. Natürlich sind die Tiere schon eingefangen. Wir mussten allerdings deinen Laden angeben. Wundere dich also nicht solltest du Besuch bekommen.“ „Fu fu fu“, giggelte ich aufgrund der wohlbekannten Vorgehensweise. Sebastian war schon in mehr Verwaltungsgebäude eingebrochen, als ich Särge im Laden hatte: „Ja, ja der gute, eifrige Butler, nehehe! Ich werde sagen sie seien wilden Tieren zum Opfer gefallen und ansonsten auf dich verweisen, Earl. Mit Besuch werde ich schon fertig. Die Frage ist eher ob, kehehehe, er mit mir fertig wird. Hihi!“ Für Details durfte der Earl selbst Rede und Antwort stehen. Vor diesen Telefonaten graust er mir jetzt schon. Den Hinterbliebenen etwas von wilden Tieren zu erzählen, es entsprach der Wahrheit im Groben, weswegen es in Ordnung war. Doch seine Lügengeschichten durfte der Earl doch bitte selbst verteidigen. Dies wäre auch eigentlich für ihn kein größeres Problem, doch musste man den Trancys zugestehen machten sie es dem Earl dieses mal gar nicht so einfach: „Was allerdings denkt ihr sagen die Familienmitglieder, die gerade so ihre liebe Haut retten konnten und über dem Vorfall mehr als nur bestens im Bilde sind? Ehehehe!“ Alex seufzte schwer: „Frag mich nicht. Mir sind wegen diesem Vorfall schon 6 Geschäftspartner abgesprungen. Wenn es die Intension der Trancys war, dass mir Geschäftspartner abhanden kommen, muss ich leider zugeben sie haben ihr Ziel erreicht. Diesen Verlust zu kompensieren stellt mich wahrlich vor eine Herausforderung.“ „Ihr schaffte das schon, Earl“, grinste ich und wollte wirklich nichts weiter hören. Geschäftspraktiken waren so unendlich langweilig und einer der Gründe warum mein Geschäft nur aus mir bestand. Nicht, dass sich die Leute darum reißen würden bei mir zu arbeiten. Das Einzige, was mir an der Funtom Company wichtig war, waren ihre vorzüglichen Biskuits! Auch wenn sie eigentlich für die felligen Freunde des Menschen vorgesehen waren. Ich wandte mich mit diesem Gedanken zum gehen: „Wenn ihr mich nun entschul...“ „Eine Sache noch“, hörte ich die Stimme des Earls abermals hinter mir und drehte mich halb zu ihm um: „Kannst du hinter her die Mädchen mitnehmen? Ich müsste mit Lee, Fred und Sebastian ins East End.“ Lachend kippte mein Kopf zu Seite: „Ah! Haben meine Erkenntnisse doch etwas gebracht? Tehehe!“ „Einiges sogar“, sprach Lee reichlich verstimmt und wackelte mit einer Augenbraue: „Die Zusammensetzung war sehr typisch für einen Händler, von dem ich recht genau weiß, wo er ist. Ich hab ihn schon länger im Blick, doch dank dir weiß ich nun, dass ich mit meinen Vermutungen richtig lag. Er kauft von mir, panscht dann MEINE Ware und verdient sich so mit dreckigem Zeug und meinem guten Ruf dumm und dämlich!“ Lees Feuereifer brachte mich ein weiteres Mal zum Lachen: „Hehehe. Du wirst ihn lehren, Lee. Da bin ich mir sicher.“ „Aber hallo! Darauf kannst du Gift nehmen!“ „Nehehe!“, lachte ich weiter: „Das ist nicht halb so effektiv wie du denken mögest. Tihihihi! Ich lehne trotzdem dankend ab. Fu fu fu.“ „Metaphern, Undertaker!“, Lee schüttelte den Kopf: „Metaphern!“ „Ich weiß, ich weiß, hehe“, ich wandte mein Wort wieder zum Earl: „Natürlich kann ich die Mädchen mitnehmen, doch Eine muss Sarg fahren. Nehehehe!“ Amy hüpfte auf einmal auf ihrem Stuhl auf und ab und wedelte hastig mit ihrer Hand: „Oh! Hier! Ich! Ich fahr Sarg! Ich fahr Sarg!“ Sie schien ihren Stammplatz verteidigen zu wollen, doch Skylers fragender Gesichtsausdruck verriet mir, dass er mitnichten in Gefahr gewesen war. Sie griff kopfschüttelnd Amys Hand und drückte sie auf den Tisch zurück: „Wovon redet ihr?!“ Amy lachte weiter: „Na, ist dir das noch nicht aufgefallen? Du kennst sein Auto doch!“ „Ja, klar“, erwiderte Sky immer noch reicht verständnislos: „Aber was soll mir denn aufgefallen sein?“ „Es hat nur zwei Sitze!“, grinste Amy sie an: „Also muss Einer im Sarg im Kofferraum mitfahren!“ Sky klimperte ihr mit großen und jetzt noch verständnisloseren Augen entgegen: „Warum willst du das unbedingt? Ich meine… er bringt doch in dem Sarg jetzt wahrscheinlich die Lei… Kada… seine Gäste weg!“ „Nihihi. Nein“, mischte ich mich in das Gespräch ein: „Das dauert mir zu lange.“ Skylers Kopf wandte sich wieder zu mir: „Wie?“ Ein schrilles Lachen entfuhr mir, angefacht von ihrer Verwirrung: „Gihihihihi! Zu Fuß bin ich schneller! Meine Damen? Seit in 15 Minuten reisefertig! Tehehehe!“ Dann verschwand ich aus dem Wintergarten. Ich schulterte immer zwei meiner neuen Gäste und brachte sie in mein kleines Unternehmen. Ungesehen beschritt ich meinen Weg über die Dächer der Londoner Straßen. Ich war nicht ansatzweise in Eile, auch wenn ich so viel schneller war, als jedes Auto unter mir. Nachdem jeder Gast einen Platz in meinem Kühlzellen gefunden hatten, fand ich meinen Weg zurück in den Wintergarten, in dem ich die Mädchen schon vom weitem miteinander sprechen hörte. Doch ich verstand nicht worüber. Ich hörte nur, dass Amy immer öfter lachte und das Skyler irgendwie nicht begeistert klang. Dort angekommen fiel mein Blick prompt auf Skyler und Amber. Sie diskutierten wild. Also Skyler diskutierte. Amy lachte nur laut und amüsiert. Manchmal musste ich mich schon fragen, ob Ambers Schadenfreude und Humor nicht auf das ein oder andere Wochenende zurückzuführen war, dass sie als junges Mädchen in meinem Laden verbracht hatte. Ich konnte nicht abstreiten, dass ich zu Amy von vorne rein einen sehr guten Draht gehabt hatte. Der junge Wildfang war definitiv einer meiner Lieblings-Phantomhives! Skyler warf Amy eine Serviette an den Kopf. Eine zusammengeknüllte lag schon neben der lachenden Adelstochter auf dem Boden: „Hör auf so einen Mist zu erzählen!“ „Das ist kein Mist!“, lachte Amy zurück und ich war ja schon ein wenig neugierig darauf, worüber sich die beiden Mädchen unterhielten. Und warum es Skyler so gar nicht zu gefallen schien. Da flog auch schon eine dritte Serviette: „Doch!“ Amy beschränkte sich nur darauf weiter zu lachen. Ich mochte die junge Phantomhive dafür, dass sie so viel Lachen konnte. Sie war so unendlich viel leichter, als ihre beste Freundin. „Nihihihi!“, entfloh mir ein Lachen, als Skyler gerade noch eine Serviette zerknüllte und zum Wurf ausholte. Diese Szenerie war ein wahres Fest: „Krieg im Paradies?“ Die beiden Frauen drehten ihre Köpfe zu mir. „Nein!“, rief Skyler genervt. Doch Amy lachte: „Jap“ Mit komplett gegensätzlichen Gesichtern musterten die Beiden einander und warfen mich in ein erneutes Lachen: „Hehehe! Wir herrlich ihr euch einig seid.“ Skyler drehte sich wieder zu mir: „Wie lange stehst du hier?“ „Ihihi!“, kicherte ich dem jungen Dinge entgegen, belustigt von ihrer offensichtlichen Genervtheit: „Zwei Servietten.“ Sie atmete erleichtert aus. Ich zog meine Augenbrauen unter meinem Pony zusammen, als ich mich fragte was für ein Thema die Beiden besprochen haben, dass ich augenscheinlich nicht mithören sollte: „Nehehe. Wieso? Störe ich?“ „Ja!“, rief Skyler. „Nein“, lachte Amber. Wieder schauten sich die Beiden mit ihren kontroversen Gesichtsausdrücken an. Wie herrlich! Sie brachten mich noch lauter und ungenierter zum Lachen: „Wie köstlich! Pahahahahaha! Was nun? Fuhuhuhu!“ „Nein...“ Skyler seufzte sich ergebend: „Tust du nicht...“ „Frauengespräche“, drehte sich auch Amy zu mir und legte ihren Ellbogen auf die Stuhllehne ab: „Aber wir waren eh gerade fertig.“ „Ehehe!“, kicherte ich, als ich immer noch das Gefühl hatte Sky sah es anders als Amy: „Wie ihr meint. Seid ihr bereit?“ Wieder schauten die Beiden einander an. Dieses mal mit demselben Ausdruck. Dem Ausdruck etwas vergessen zu haben. Dieser Ausdruck machte Amys betont unschuldig grinsende Antwort eigentlich überflüssig. Denn ich wusste jetzt schon, dass die beiden Mädchen ihr Zimmer noch nicht wiedergesehen hatten: „Nein, sind wir nicht. Wir haben uns total verquatscht.“ Ich verschränkte lachend die Arme. Es war bei Skyler und Amy dasselbe wie bei Lee und Frederic. Was nur verriet, dass sich mit diesen zwei Duos Menschen gefunden hatten, die einfach zusammen gehörten. Auch bei Vincent und mir war es oft ähnlich gewesen. Wie oft wir die Zeit vergessen hatten. Ich konnte es nicht zählen: „Nehehe. Das muss ja auch mal sein. Doch nun hop! Ich habe einiges an Arbeit auf dem Tisch. Tihihihihi!“ „Ay!“, riefen die Beiden salutierend aus und wuselten eilig davon. Ich verließ den Wintergarten in die morgendliche Novembersonne und schlenderte zu dem Parkplatz aus grobem Kies an der rechten Seite des Manors. Die schwarze Chrysler Limousine der Phantomhives war schon von ihrem Stellplatz verschwunden. Genauso wie Lees azurblauer Bentley Continental. Nur die zwei gemieteten silbernen Audi A8 von Charlie und Frank leisteten meinem alten Mercedes 200 noch Gesellschaft, der im Vergleich zu den ganzen Luxuswagen auf diesem Parkplatz immer aussieht wie ein Esel im Lipizzaner Gestüt. Doch ich liebte diesen Wagen und konnte von daher gut damit Leben. Mit einem leisen Lachen zog ich meine Brille auf, schloss schon mal die Türen auf und lehnte mich dann gegen meinen Oldtimer, als ich mich daran erinnern musste, dass Ronald und Charlie mich vor ein paar Jahren tatsächlich mal durch einige Autohäuser geschleppt hatten, damit ich mir mal einen neuen Wagen zu legte. Ende der Geschichte war, dass Ronald einen neuen Abgasfilter in mein altes Mädchen eingebaut hatte und mir schwor er würde sich so etwas nie wieder und unter gar keinen Umständen antun. Eher würde ich meine Särge zum Friedhof tragen. Gerade als ich mich dem Gezeter des blonden Reapers erinnert hatte, hörte ich den Kies knarzen. Mein breit grinsender Kopf wandte sich um und ich sah Amber und Skyler zu mir herüberkommen: „Nehehe. Fertig?“ Die Mädchen nickten. Dann nahm Amy Skylers Gitarrentasche ab und öffnete ungefragt meinen Kofferraum und krabbelte hinein. Sie plumpste in den Sarg, nachdem sie die zwei Taschen abgestellt hatte: „Wenn wir da sind weckt mich, ja?“ Mit diesen Worten zog sie den Deckel zu. Sky schaute mich mit erhobener Augenbraue an: „Wecken?“ Ich grinste ihr entgegen: „Sie schläft immer ein. Nihi!“ „Also…“, begann das junge Ding etwas irritiert: „Fährt sie nicht das erste Mal… Sarg?“ Dieser Ausdruck schien für sie so befremdlich wie für uns normal zu sein und diese Gegensätzlichkeit entlockte mir ein Lachen, als ich den Kopf schüttelte und den Kofferraum schloss: „Mit Nichten. Immer wenn ich sie und Fred mitgenommen habe, bestand Fred auf das Recht des Älteren und verbannte sie in den Kofferraum. Tihihihi! Eine Geschwistersache vermute ich.“ Ich konnte es wirklich nur vermuten. Schließlich hatte ich selbst keine Geschwister. Es hat lediglich mal 9 Wesen gegeben, die ein Band zu mir gehabt hatten, dass dem von Geschwistern sehr sehr ähnlich war. Wir hatten uns sogar immer mal wieder mit ‚Brüderchen‘ oder ‚Schwesterchen‘ angesprochen. Zugleichenteilen spaßig und triezend, wie wirklich ernst gemeint. Während ich gesprochen hatte war ich um das Auto herum gewandert und hielt Skyler die Beifahrertür auf. Ich nickte vielsagend zu dem Innenraum meines Wagens. Als sie eingestiegen war hing ich noch dem Moment, den ich brauchte um um das Auto herum zugehen dem Gedanken nach, der mir bei dem erwähnen von Freds und Amys – wohl sehr typischer – Geschwisterbeziehung gekommen war und für eine Sekunde fielen meine Augen herab. Diese Zeit war schon sehr lange her und diese Wesen sind schon sehr lange fort. Kaum war ich eingestiegen, verbannte ich den Gedanken und mein übliches Grinsen schaute der hübschen Skyler entgegen. Irgendwie heiterte ihr Anblick mich immer ein bisschen auf. Ich konnte nicht so ganz sagen wieso. Sie lächelte kurz zurück und der Gedanke war endgültig verschwunden, als ich den Motor anließ und den Kopf drehte um aus der Parklücke zu fahren. „Warte!“, stoppte mich Skys Stimme und mit blinzelnden Augen drehte ich den Kopf zu ihr, bevor ich überhaupt aufs Gas treten konnte: „Nihi. Was hast du?“ Sie beugte sich wieder halb über mich und hangelte nach meinem Sicherheitsgurt, so wie sie es schon getan hatte, als ich sie das erste Mal nach Hause fuhr. Doch damals dachte sie noch ich sei ein Mensch, was sich ja mittlerweile geändert haben sollte und mir ein weiteres Lachen entlockte: „Tehehe! Du denkst nicht wirklich ein Autounfall wäre gefährlich für mich, oder?“ Sie stockte kurz mit überlegend blinzelnden Augen, bevor sie den Gurt endgültig über meinen Oberkörper zog und in sein Schloss steckte: „Nein, aber öööööhm… Wenn du kontrolliert wirst gibt es ein Bußgeld, wenn du nicht angeschnallt bist.“ „Aha“, lachte ich sie an, als mir sehr wohl klar wurde, dass sie sich einer Ausrede bediente. Auch wenn diese Ausrede weitaus besser war, als die davor: „Wenn du es sagst, hehe.“ Dann fuhr ich das Auto endgültig aus der Parklücke. Der Kies knarzte unter meinen Reifen, als wir den Parkplatz verließen und die leere lange Ausfahrt der Villa Phantomhive hinunter rollten. Auf den Straßen war nur bedingt mehr los. Dieser Teil von London war sehr ruhig und im Vergleich zu dem Rest der pulsierenden Großstadt recht unbelebt. Doch schnell wurden die Autos mehr und die Freuden des Großstadtverkehrs hatten mich wieder: Stau und schleppender Verkehr. Hier und dort hupte Jemand in vollkommener Ungeduld. Eine Ungeduld, die ich nicht verstand. Hupen löste den Knoten auch nicht, es nervte nur höchstens die anderen Verkehrsteilnehmer. Außerdem tat mir das schrille Geräusch schon fast in meinen empfindlichen Ohren weh. Nur wie alles andere reichte es nur für eine Ahnung von diesem Gefühl. Angenehm war es trotz allem nicht. Aber da Aufregung noch nie zum Ziel geführt hatte, stützte ich meinen Kopf in die Hand und frönte summend wie grinsend meinem hartnäckigen Ohrwurm von ‚Tom he was a Piperson‘, während ich darauf wartete mehr als 5 Zentimeter am Stück nach vorne rollen zu können. Obwohl die Fahrt so viel länger gedauert hatte, hatten Sky und ich kaum miteinander gesprochen. Das Mädchen wirkte immer noch ein wenig überrumpelt von allem, was in den letzten 72 Stunden vor gegangen war. Vollkommen zu recht. Deswegen ließ ich ihr ihre Gedanken und summte die meiste Zeit fröhlich vor mich her, bis ich schließlich den kleinen Platz vor den Campustor erreichte. Als ich aussteigen wollte hielt mich Skyler auf einmal am Arm fest: „Warte!“ Ich drehte meinen Kopf mit einem fragenden Ausdruck zu ihr: „Ehehe. Was ist denn nun? Laufe ich wieder Gefahr mir ein Bußgeld einzuhandeln, hm?“ „Ääääh…“, kam es gedehnt aus ihren geschwungenen Lippen und sie schien sich einen Moment sammeln zu müssen, bevor sie weiter sprechen konnte: „Nein… Ich ähm… Hast du etwas zu schreiben?“ Eine erneute Frage ließ meinen grinsenden Kopf zur Seite kippen: „Ja, wieso?“ „Weil…“, Skyler schaute zur Seite und ich sah einen Hauch rosa auf ihren Wangen: „Ich dir etwas aufschreiben möchte...“ „Ehehehe! Was denn?“, fragte ich neugierig, da die Fragen in meinem Kopf eher mehr als weniger geworden waren. „Gib… mir doch bitte einfach etwas zu schreiben, ja?“ Ich sah ein, dass sie es mir nicht sagen wird und beugte mich ein Stückchen zu ihr, um mit meinem Mittelfinger den Knopf meines Handschuhfachs zu erreichen. Relativ umständlich fischte ich darin herum, bis mir ein Block und ein Füller in die Finger fielen und ich sie Skyler entgegen streckte. Sie schaute relativ verwundert in mein Handschuhfach, während sie mir Block und Stift aus der Hand nahm: „Wie wäre es mal mit aufräumen? Das sieht ja genau so schlimm aus wie deine Manteltaschen. Wenn nicht schlimmer. Oder gehörst du zu der Art Mensch, die einfach alles in eine Schublade pfeffern, sie zumachen und dann behaupten es sei alles ordentlich?“ Mir entfloh aufgrund ihrer Wortwahl ein schrilles Lachen: „Nihihihihi! Wäre ich ein Mensch würde ich sicherlich streckenweise unter diese Kategorie fallen.“ Sky zog eine verständnislose Schnute: „Musst du jedes Wort auf die Goldwaage legen?“ „Tihihihi! Wozu ist sie denn sonst da? Und nun schreib schon! Ich bin neugierig.“ Skyler kommentierte meine Antwort nur mit einem kleinen Seufzen und schrieb dann etwas auf eine leere Seite meines kleinen Notizbuches. Sie wollte es zuklappen, doch ich schnappte ihn mir mit zwei Fingern und hielt ihn vor meine Nase »Skyler Rosewell: 07716916658« Das junge Ding hatte eine unfassbar schöne Handschrift. Wie man es von einer Künstlerin erwartet. Sie schrieb unglaublich rund und schwungvoll, doch trotzdem sehr akkurat und ordentlich. Großbuchstaben schrieb sie sehr groß und Kleinbuchstaben sehr klein. Mir war sofort klar diese Handschrift würde ich immer wiedererkennen. Doch warum sie mir ihre Handynummer in die Hand drückte erschloss sich mir nicht ganz: „Nehehehe! Deine Handynummer?“ Sie nickte mit hochrotem Kopf und wirkte mit ihren auf den Knien zu Fäusten geballten, ausgestreckten Armen und dem hängenden Kopf alles in allem sehr angespannt, was ich abermals nicht wirklich verstand. „Nicht, dass ich mich darüber beschweren möchten, dass mir schöne, junge Damen ihre Handynummer zustecken, aber“, ich konnte doch nicht verstecken wie irritiert ich war: „Nehehehe, was verschafft mir die Ehre?“ „Ich...“, sie seufzte und legte ihre Hand auf ihre Hosentasche: „Ich habe ja auch deine, da dachte ich es sei nur fair… und für den Fall der Fälle kannst du mich erreichen...“ „Sky?“, meine Augenbraue wanderte weiter nach oben: „Meine Telefonnummer ist eine Geschäftsnummer und für die ganze Welt einsehbar, seitdem es dieses komische Internet gibt und Ronald unbedingt meinte er müsse sie angeben und mein Geschäft mit 5 Sternen bewerten. Was auch immer das heißt. Tehehehe!“ „Das sagt anderen Kunden dein Geschäft sei gut. Eigentlich war das ziemlich nett. Du hast übrigens viele ziemlich gute Kundenbewertungen.“ Ich blinzelte mit den Augen. Das hatte ich nicht erwartet: „Fu fu fu. Wirklich?“ Sky nickte nur kurz, was mich zum Kichern brachte: „Nihihihi! Das freut mich natürlich ungemein“, dann wedelte ich mit dem Notizblock: „Ich schreibe mir deine Nummer auf jeden Fall in mein Telefonbuch. Für, tihihihi, den Fall der Fälle.“ Wieder ein kurzes Nicken ihrerseits: „Tu das...“ Dann stiegen wir aus und ich öffnete immer noch lachenderweise meinen Kofferraum wie den Sarg darin. Mir entfuhr ein lauteres Lachen, als ich die selig schlummernde auf die Seite gedrehte Amy erblickte. „Was hast du?“, hörte ich Skylers Stimme von vor dem Kofferraum. „Nihihi! Sie ist tatsächlich mal wieder eingeschlafen“, beugte ich mich immer noch kichernd zu dem Sarg und drehte meinen Zeigefinger auf Amys Nase: „Schlafmütze. Ehehehe! Aufwachen, Prinzessin!“ Sie rümpfte murrend selbige, schlug ihre großen königsblauen Augen auf und setzte sich gähnend auf um sich zu strecken: „Manno… Ich hatte gerade so gut geschlafen...“ Das süße, junge Gesicht meiner Patentochter ließ mich lachen: „Tehehehe! Es bricht mir das Herz dich aus deinen schönen Träumen reißen zu müssen, Amber. Doch wir sind da.“ Die junge Phantomhive kletterte etwas umständlich aus meinem Sarg, griff sich die Taschen und hüpfte gähnend aus meinem Kofferraum: „Ich weiß, ich weiß. Danke für‘s herbringen.“ „Bist du echt eingeschlafen?“, fragte Sky, als sie ihre Gitarrentasche entgegen nahm, was eine meiner versteckten Augenbrauen hoch wandern ließ: ‚Du bist doch auch eingeschlafen.‘ Doch Amy steckte sich nur ein weiteres Mal: „Ja, diese Särge sind einfach sowas von gemütlich.“ Als ich mit einem Schmunzeln den Kofferraum geschlossen und die beiden Frauen ihren Kopf aufgrund des Geräusches zu mir gedreht hatten, verbeugte ich mich ein Stück: „Die Damen? Ehehehe. Ich entschuldige mich nun.“ „Okay“, antwortete Skyler recht leise und musterte mich mit einem kaum zu deutenden Gesichtsausdruck. Ihr Ausdruck war so komisch wie ich mich fühlte: „Danke für‘s herbringen. Viel Spaß bei deiner Arbeit.“ Ihre letzte Aussage vertrieb allerdings das seltsame Gefühl ein Stück und brachte mich abermals zum kichern: „Werde ich haben. Bis übermorgen. Ehehehe.“ Skyler blinzelte mich kurz an, doch dann sah ich über ihren Kopf die kleine Glühbirne aufleuchten. Amy verstand allerdings sofort und nickte mit einem kleinen Lächeln: „Jup. Bis dann!“ Dann harkte sie sich bei ihrer besten Freundin ein und ging mit ihr Richtung Campus. Eigentlich wollte ich wieder in den Wagen steigen, doch nach nicht einmal einer Minute hörte ich Amys Stimme erschrocken ausrufen, was mich meinem Kopf wieder zu den beiden jungen Frauen wandern ließ: „Scheiße!“ Eine meine Augenbrauen wanderte fragend nach oben und auch Skyler beschaute ihre beste Freundin recht irritiert: „Was?“ „Hast du für die Klausur in bildende Kunst gelernt?“ Nun entgleisten auch Skylers Gesichtszüge. Ihr Kiefer stand einen Spalt offen, als sie ein paar Momente einfach gar nichts sagte. Doch diese schmerzvolle Erkenntnis in ihrem Gesicht! Ich verschränkte kichernd meine Arme auf der Autotüre, als ich die Frage nur allein aufgrund ihres Gesichtsausdruck hätte beantworten können: Nein, hatte sie nicht. „Nein…“, antwortete sie schließlich leise und ich legte meinen Kopf auf meine Arme, um mein Lachen klein zu halten: „Oh Mist!“ „Wir sind am Arsch. Lowell viertelt uns… Undertaker?“ Ich nahm meinen Kopf aus den Armen und grinste Amy belustigt wie ich war an: „Was kann ich noch für dich tun, liebste Amber? Ehehehehe!“ Amber hob Zeige- und Mittelfinger in die Höhe: „Zwei Särge bitte. Einmal 1,72m und einmal 1,78m.“ Lachend fiel mein Kopf zur Seite: „Wieso meinst du ihr bräuchtet sie? Gihihi!“ „Verarsch‘ mich nicht“, lachte Amy, die sehr wohl um meine guten Ohren wusste: „Du hast doch alles gehört!“ Mein Lachen wurde schriller, als die Mädchen - die mittlerweile wie fast selbstverständlich mit Dämonen und Sensenmännern hantierten – mental an einer vergessenen Klausur zu ertrinken drohten: „Ihr werdet das schon schaffen. Nihihihihihihi! Außerdem glaube ich nicht, dass du mich bezahlen kannst!“ „Doch, kann ich!“, rief Amy fast erbost und Skyler schaute sie an, als verstünde sie die Welt nicht mehr. Ich glaube das hübsche, brünette Ding hat diesen Ausdruck noch nie so oft hintereinander aufgesetzt wie in den letzten Wochen. Ein Gesicht und ein Gedanken, der mich noch schriller lachen ließ: „Tihihihihihihihi! Dann mach. Nachdem sowohl Ronald, als auch dein Vater noch nicht bezahlt haben, kassiere ich im Voraus. Ehehehehehehe!“ Auch Amy lachte: „In Deutschland macht ein Hund Wau Wau, in Tschechien Haff Haff, und in Holland Blaf Blaf! Wie macht er in China?!“ Skys Gesichtsausdruck fiel in sich zusammen und wechselte von fragend in die vollkommene Verständnislosigkeit. Ich musste aufpassen aufgrund dieses Gesichtes nicht jetzt schon laut los zu lachen. Schließlich hatte die Phantomhive mich bezahlt, wenn ich auch nur kicherte. Auch wenn es gar nicht wegen ihr sein sollte. Die junge Sky tat übrigens nichts, um es meiner Selbstbeherrschung einfacher zu machen. Im Gegenteil. Sie schüttelte ihr schönes Köpfchen mit einem Gesichtsausdruck, der Amy vollkommen unverblümt für Verrückt erklärte: „Was in aller Herren Länder tust du da?“ In meinem Kopf fing ich aufgrund dessen schon schreiend an zu lachen, doch ich schaffte es meinen inneren Lachanfall auf ein breites Grinsen in meinem Gesicht zu beschränken. Wissen wie der Witz ausgeht wollte ich unbedingt. Es gibt nichts Schlimmeres als halb erzählte Witze! Doch Amy gebar Sky mit einer Hand zu schweigen und schaute mich erwartungsvoll an. Mit einem weiten Grinsen wälzte ich eher fahrig meinen Kopf. Natürlich musste ich eine Antwort geben und natürlich wird sie nicht richtig sein: „Ich weiß nicht. Wuff wuff?“ „Nein!“, rief Amy grinsend: „Bruzzel bruzzel!“ Skyler klappte der Mund auf und sie blinzelte ihre beste Freundin mit riesigen Augen an, als sie vollkommen ihre Fassung und die Kontrolle über ihr Gesicht verlor. Das war zu viel. Mein Lachen brach vollkommen unkontrolliert aus mir heraus und ich fiel seitwärts zurück in mein Auto. Meinem Lachanfall vollends unterlegen lag ich in meinem Wagen, wedelte mit den Beinen und drohte an meinem eigenen Lachen ein weiteres Mal zu ersticken. Der Witz an sich: In Ordnung. In Kombination mit Skylers vollkommen fassungslosen Gesichtsausdruck: Der Himmel auf Erden! Es dauerte eine ganze Weile bis ich es schaffte mit meiner Hand die Autotüre zu greifen und mich schlaff über selbigen zuhängen: „Fuhuhuhuhuhu! Lass den Lee nicht hören!“ Amy grinste mich triumphierend an: „Den hab ich von Lee!“ Wieder fing ich an zu lachen und rutschte ein Stück von der Autotüre. Das dieser Witz eigentlich von Lee kam, war nur allzu offensichtlich. Der junge Asiate hatte einen Faible für Kulturwitze: „ Ahuhuhuhuhuhu! Ok, ok. Bezahlt! Tihihihi! Ich glaube trotzdem nicht, dass ihr sie so früh brauchen werdet, aber ich mache mir eine Notiz. Puhuhu!“ Amy grinste immer weiter: „Sei dir dessen nicht so sicher. Lowell ist echt streng.“ Ich schaffte es mich hinzustellen und wischte mir ein paar Lachtränen aus den Augen: „Dann solltet ihr zwei Hübschen euch hier nicht die Beine in den Bauch stehen, sondern in euer Zimmer verschwinden und lernen. Fu fu fu fu!“ Amber seufzte resigniert: „Ja, du hast wahrscheinlich recht. Bye, Onkelchen!“ Ich winkte zurück, stieg nun endgültig ins Auto und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Skyler drehte sich noch einmal um und schaute mir durch meine Windschutzscheibe genau ins Gesicht. Wie beim letzten Mal, als ich sie hergefahren hatte. Es war immer noch ungewohnt, dass sich jemand zu mir umdrehte und mir dabei direkt ins Gesicht sah. „Anschnallen!“, hörte ich ihre Stimme dumpf durch die geschlossenen Wagentüren und dem Lärm des Motors. Mit einem Lachen schnallte ich mich an und die Mädchen gingen ebenfalls lächelnd durch das Tor auf den Schulhof. Ein Gefühl von Erleichterung überkam mich, als ich mit meinen Oldtimer auf dem Parkplatz hinter meinen Laden fuhr. Endlich Zuhause! So gerne ich doch hin und wieder etwas Gesellschaft hatte die mit mir spricht, umso mehr freute ich mich nun ein bisschen Ruhe zu haben. Schließlich waren auch meine letzten 72 Stunden nicht so entspannend gewesen, wie sie geplant waren. Es war auch nicht geplant, dass ich solange blieb. Eigentlich verließ ich die Halloweenfeiern immer gegen 1 und 2 Uhr morgens und fuhr dann schon heim. Nun war ich das ganze Wochenende dort geblieben. Als ich meine Hintertür öffnete und die Brille in meiner Innentasche verstaute, krächzte mir Etwas entgegen. …Merkenau... Ich hatte das Vögelchen das ganze Wochenende alleine gelassen. Schande über mein Haupt. Ich kraulte ihm am Köpfchen: „Verzeih mir, kleiner Freund. Mir sind ein paar Dinge dazwischen gekommen.“ Merkenau krächzte wissend. „Natürlich hatte es mit Skyler zu tun“, seufzte ich: „Ansonsten wäre ich nicht so lange fort geblieben.“ Wieder krächzte das kleine Tier bedeutungsschwer. Ich wusste worauf er hinaus wollte. Lachend schüttelte ich den Kopf: „So schlimm ist es auch nicht.“ Wieder ein Krächzen. Ich nahm den kleinen Raben aus seiner Schachtel und hob seinen geschienten Flügel an, um das Thema zu wechseln: „Was mach das Flügelchen, hm?“ Merkenau krächzte wehleidig und schlug ein paar Mal mit dem gesunden Flügel. „Also immer noch gebrochen. Hehehe. So lernst du nie fliegen.“ Ich setzte mich an meinen Tresen, den kleinen Vogel darauf ab und wollte mir einen Keks aus meiner Keksurne angeln. Doch ich griff ins Leere. Irritiert steckte ich meine Nase in die leere Urne: „Du hast alle aufgegessen?!“ Merkenau krähte beleidigt. Ich seufzte abermals: „Ich weiß, ich weiß. Ich habe dich das ganze Wochenende alleine gelassen und bin selber Schuld. Jetzt muss ich also auch noch einkaufen gehen...“ Der kleine Rabe krähte mir mit hörbarer Mitleidlosigkeit etwas entgegen. Dann hüpfte er kurz weg und schob eine zweite Urne über den Tresen. Ich griff sie mir und schaute hinein. Darin lagen noch einige von Skylers kleinen Geschenken. Schmunzelt nahm ich einen in den Mund. Vom Einkaufen bewahrte mich Skylers Dankbarkeit und Merkenaus Blitzeinfall trotzdem nicht. Doch erst wickelte ich kauender Weise den Verband von Merkenaus kleinem Flügelchen und befühlte die darunter liegenden Knochen: „Das fühlt sich aber gar nicht schlecht an. Ich tippe in einer Woche können wir mit den Flugstunden anfangen.“ Ich schlug den Flügel in einen frischen Verband und stellte Merkenau eine Schüssel Wasser auf den Tresen. Mit einem lauten Platschen hüpfte der Vogel hinein und badete ausgiebig fröhlich krähend. Ich brachte schmunzelnd meine Notizblöcke in einer Schublade vor den Wassertropfen in Sicherheit, fischte gleichzeitig ein Bündel Geld heraus und ließ den fröhlich badenden Vogel einen fröhlich badenden Vogel sein. Dann verließ ich meinen Laden und schlenderte zu einem kleinen Lebensmittelladen einige Gassen entfernt. Es war mehr ein Tante-Emma-Laden als ein Supermarkt, was mir sehr entgegen kam. Mir war er sympathischer, als die großen Lebensmittelketten. Vielleicht waren sie günstiger, ja, aber das war mir vollkommen egal. Einfach, da ich eh nur für das nötigste Geld ausgab, weil man sich alles was ich gerne hatte mit Geld nicht kaufen konnte. In dem kleinen Laden traf ich auf die junge Floristin, bei der ich immer meinen Blumenschmuck kaufte. Sie wirkte wie immer reichlich von mir irritiert, wechselte aber trotz allem ein paar höfliche Worte mit mir. Schließlich war ich einer ihrer besten Kunden. Das kleine Gespräch endete jedoch sehr schnell und flotten Fußes verschwand die Floristin im hinteren Teil des Ladens. So weit wie möglich weg von mir. Ein Verhalten, was mich nur wie gewohnt lachen ließ. Ich liebte diese herrlich dummen Gesichter und diese verzweifelt höflichen Gebärden! Nach einer halben Stunde schlenderte ich mit vollen Einkaufstaschen wieder Richtung Heimat und verstaute meine Einkäufe in der kleinen Küche. Dann füllte ich meine Keksurne wieder auf, nur damit Merkenau sich sofort wieder einen Keks klaute. Mit einem amüsierten Schnauben schüttelte ich den Kopf, als der Rabe mit dem Keks kämpfte der genauso große war wie er selbst. Ich legte Robe, Tuch und Hut ab und machte mich daran die Taschen meiner neuen Gäste zu durchwühlen. Bei 13 von 15 fand ich Führerscheine oder Personalausweise, sodass ich Namensschildchen fertig machen konnte. Ich war gerade dabei meine Neuzugänge in mein Kunderegister einzutragen, da klingelte mein Telefon. Eher beiläufig griff ich den Hörer und klemmte ihn zwischen Kopf und Schulter, um weiter schreiben zu können: „Nihihihi! ‚The Undertaker‘s Funeral Parlor‘, was kann ich für sie tun?“ „SIE HABEN MEINE TOCHTER!“, sofort ließ ich den Hörer mit flatternden Lidern von meiner Schulter rutschen und fing ihn mit einer Hand und einem knisternden Ohr. Ich blinzelte der schreienden Stimme in meinem Hörer entgegen. Der kleine Vogel auf meinem Tresen tat es mir gleich. „Sage noch einer ich sei verrückt“, flüsterte ich den Vogel zu, der zu krähen anfing als würde er lachen. Kichernd nahm ich wieder den Hörer an mein Ohr: „Das kann sehr gut möglich sein. Tihihihi! Über wen sprechen wir denn genau?“ „WAS GIBT ES DA ZU LACHEN!?“, keifte die hysterische Frauenstimme weiter in mein Ohr. „Kihihi. Gute Frau“, kicherte ich: „Es gibt keinen Grund mir so nonchalant ins Ohr zu schreien, finden sie nicht auch?“ Die Stimme am anderen Ende atmete tief durch: „Madeline Turner. Meine Tochter ist Madeline Turner. Sie war mit ihrem Bruder auf einer Feier der Phantomhives. Er ist vollkommen verstört und… sie ist… tot!“ Ich blätterte durch mein Kundenregister: „Fu fu fu. In der Tat. Ich habe eine Madeline Jaqueline Turner bei mir zu Gast“, ich nahm den Personalausweis von der Seite, den ich wie alle anderen mit einer Büroklammer daran geklemmt hatte: „Nihihihi! Braune Haare, braune Augen, 1,66m groß, 58 Kg, 26 Jahre jung.“ „Warum lachen sie die ganze Zeit?!“ „Werte Dame. Ich liebe meinen Job. Tehehe!“ „… Aber… Ich gehe richtig in der Annahme, dass sie Bestatter sind, oder?“ Ich verdrehte die Augen: ‚Was soll ich denn sonst sein? Facilitymanager? Staatsanwalt?‘, und unterdrückte ein Seufzen: „Hehehe! Ganz recht, ich bin Bestatter.“ „Und sie… lieben… ihren Job?“ „Aber ja!“, rief ich in den Hörer: „Ihre Tochter ist bei mir in den allerbesten Händen, werte Dame. Tehehehe! Sagen sie mir was sie wünschen und ich werde sie ihnen erfüllen.“ „Okay...“, kam es als Antwort. Darauf folgte ein paar Minuten schweigen: „Aber ich würde doch gerne mit dem Verantwortlichen sprechen.“ „Gute Dame, nihihi, sie sprechen mit dem Verantwortlichen.“ „Nein, nein. Ich meine den Chef.“ Ich zog eine Augenbraue hoch und schaute Merkenau an. Merkenau legte den Flügel über die Augen, als wolle er sich fremdschämen. Lachend überschlug ich die Beine: „Tehehehe! Ich bin der Chef.“ „… Wirklich?“ „Nihi! Wenn ich es ihnen doch sage.“ „Oh...“ „Also? Tihi. Was kann ich für sie tun?“ „Könnten sie für‘s erste endlich aufhören zu lachen?“ Ich rollte abermals mit den Augen: „He he he. Können sie mir endlich sagen, was sie von mir möchten?“ „Dass sie aufhören zu lachen! Das ist eine äußerst ernste Situation!“ „Habe ich leider nicht im Sortiment“, grinste ich hörbar: „Dafür alles von Einäscherung, bis zur Seebestattung, fuhuhuhu!“ „Bitte?!“ „Tehe. Sie haben mich schon verstanden. Also?“ Die Frau am anderen Ende der Leitung schien endlich aufzugeben: „Ich wünsche für meine kleine Madi nur die bestmöglichste Beerdigung! Mein kleines Mädchen soll ihren letzten Gang in Würde antreten!“ „Dem stimme ich ihnen voll und ganz zu, fu fu fu. Sie können sich sicher sein, dass meine Gäste ihren letzten Weg immer in vollster Würde antreten. Doch solche Details bespricht man nicht am Telefon. Ich würde sie bitten in meinem bescheidenen, ehehehe, Etablissement vorbei zu schauen, damit wir zu dritt überlegen können, was für ihre ‚kleine Madi‘ am kleidsamsten wäre.“ „Gä… Gäste? Zu dritt? Kleidsam?“ „Natürlich! Oder hat ihre Tochter, was ihren letzten großen Auftritt angeht, kein Mitspracherecht?“ „Mitsprache… Guter Mann. Meine Tochter ist TOT!“ „Nehehe! Das sind die Meisten, die den Weg in meinen bescheidenen Laden finden. Also? Wann darf ich mit ihrem Besuch rechnen?“ Es folgten weitere Minuten irritiertes Schweigen, was mich nur abermals zum Kichern brachte. „Sie meinen das ernst“, stellte die Stimme am anderen Ende der Leitung schließlich fest. „Natürlich. Tehehe! Was ich sage meine ich immer ernst.“ „Aber… ich bin richtig verbunden, ja?“ „Ja, warum sollten sie nicht richtig verbunden sein? Nihihi.“ „Weil… ach, vergessen sie‘s! Ich könnte morgen bei ihnen vorbeischauen, wenn das ihnen recht ist.“ „Vorzüglich. Bis morgen, ich wünsche ihnen einen wunderbaren Tag. Tihihi! Bringen sie einige Kleider mit, die ihrer Tochter für ihren großen Auftritt gefallen würden.“ „Äh ja, mache ich. Ihnen auch einen schönen Tag. Bis morgen.“ Dann wurde auch schon aufgelegt. Ich hing meinen Hörer auf und schaute Merkenau an: „Verrückte alte Schachtel. Ehehe!“ Merkenau krähte etwas, was eindeutig nach ‚Sagt der Richtige‘ klang. „Was denn?“, lachte ich: „Ich war doch höflich, oder nicht? Ich hab den Hörsturz, nicht sie. Fuhuhuhuhu!“ Mit einem Kopfschütteln zog Merkenau mit einigen Mühen seinen Keks über den Tresen und verfrachtete ihn irgendwie in sein kleines Nest. Ich beschaute lachend die Anstrengungen des kleinen Raben, bis er schließlich siegreich war und ich mich wieder meinem Kundenregister widmete. Mit meinen Gästen konnte ich erst arbeiten, wenn ich mit den Hinterbliebenen gesprochen hatte, also trug ich Name und Adressen ein und zückte dann ein Telefonbuch, um die Angehörigen zu kontaktieren. Etliche Termine landeten in meinem Kalender und das Heraussuchen der Telefonnummer und das Anrufen der Hinterbliebenen kosteten mich Stunden. Wie ich erwartet hatte waren einige Hinterbliebene recht unangetan von meinem Anruf, da sie selbst bei der Feier der Phantomhives dabei gewesen waren und ein sehr genaues Bild von den ‚wilden Tieren‘ hatten. Doch trotz allem willigten alle ein bei mir vorbeizuschauen. Sie werden ein noch größeres Wunder erleben, wenn sie mich erkannten. Denn verwechseln tat man mich eigentlich nie. Auf diese Gesichter freute ich mich wie ein Kind auf Heiligabend! Nur die Identität meiner zwei Gäste ohne Personalausweis blieb mir immer noch ein Rätsel. Ich werde wohl warten müssen, bis mich die Angehörigen von sich aus fanden. Mittendrin sah ich, dass ich für den kommenden Freitag den guten William eingeladen hatte. Es wird dauern sich mit ihm durch meine Finanzen zu wühlen, also hielt ich mir den Freitag komplett frei. Außerdem musste ich Freitag- wie Mittwochabend im Wohnheim der ‚Violett Wolf’s’ vorbeischauen. So stapelte ich die neuen Termine um diese Termine herum. Alles in allem verspricht es eine sehr arbeitsreiche und amüsante Woche zu werden, auch wenn ich streckenweise das Gefühl hatte, dass die Hinterbliebenen mein Amüsement nicht richtig teilten. 3 Angehörige meiner Gäste schauten noch heute vorbei. Zwei waren gerade 2 Sekunden in meinem Laden bis ich das Gefühl hatte, sie würden am liebsten rückwärts wieder raus fallen, was mich amüsant zum Lachen brachte. Es war ein Teufelskreis - den ich nur nicht als teuflisch empfand - : Ihr verstörtes Verhalten brachte mich zum Lachen und mein Lachen löste bei ihnen verstörtes Verhalten aus. Diese Rechnung war so wunderbar, dass ich nur gewinnen konnte! Den Hinterbliebenen schien es fast zu widerstreben, dass sie stumm zugeben mussten, dass ich in dem was ich tat gut war. So verblieb keiner von ihnen wirklich lange in meinem Laden und sie verschwanden schleunigst nachdem Bestattungsart, die nötigen Vorbereitungen und auch die Bezahlung geklärt worden war. Doch so konnte ich wenigstens schon einmal drei meiner neuen 15 Gäste aus ihren Kühlkammern holen und anfangen sie für ihren großen Auftritt auf zu hübschen. Es handelte sich um zwei junge Mädchen und einen älteren Mann, der Frau und drei Kinder hinterließ. Der Anblick dieser Frau hatte etwas in mir aufgewühlt, das mein Lachen fast zerschlagen hatte. Es blieb wo es war, doch war es mehr Anstrengung als Pläsier gewesen es zu halten. Diese Frau… Sie hatte in meinem Laden gestanden und wollte nicht sofort wieder die Flucht ergreifen. Die furchtbare Trauer in ihr war stärker, als jede Verstörung es je sein konnte. Diese Frau war so am Boden zerstört gewesen, dass sie sich noch nicht einmal mehr über meine sonderbare Ader gruseln konnte. Ihr war es nur wichtig gewesen, dass ihr Mann eine Beerdigung bekam, die er verdiente. „Sie sind der Beste und ich möchte für meinen Schatz nur das Beste. Da können sie so komisch sein, wie sie wollen“, hatte sie zu mir gesprochen, als sie ihren Mann auf der kalten Eisenbarre betrachtete. Mit Tränen in den Augen. Dann war sie ihrem Mann ein letztes Mal zärtlich durch die Haare gefahren und ihre Tränen hatten sich ihre Bahnen gebrochen: „Ruhe in Frieden, Schatz… Ich werde dich so unendlich vermissen… Ich… Ich liebe dich...“ Wie sie dort stand, ehrlich um ihren Liebsten trauernd und weinend, löste etwas Komisches in mir aus. Sie war bei weitem nicht der erste Mensch, den ich in meinem Laden weinen sah, doch auch die Phrase ‚Ich liebe dich‘ machte mein komisches Gefühl in dieser Kombination nur noch viel schlimmer. Es muss so unsagbar furchtbar sein den Menschen zu verlieren, der einem das Wichtigste ist. Liebe war so ein zweischneidiges Schwert. Vor allem, da sie so sterblich war… So sterblich und zerbrechlich wie die Menschen selbst. Ein ebenso komischer Gedanke beschlich mich, als ich stumm hinter der liebenden Frau stand, die ihren bitteren Abschied nahm: Wollte ich Skyler jemals einen Sarg schreinern? Wollte ich das schöne, brünette Ding jemals unter die Erde bringen? Ab einem gewissen Alter war es Standard, dass ich die Phantomhives - und auch die Fengs, Hermanns und Von Steinen - damit konfrontierte, dass sie ihren letzten Auftritt vorbereiten mussten. Sie wurden so gesehen gezwungenermaßen bei mir vorstellig und wir planten alles durch. Ich wollte, dass ihre ganz spezielle Gala ihnen gefiel und nicht auf dem Gutdünken ihrer Hinterbliebenen beruhte. Das war meine Art mich bei ihnen zu revanchieren. Ich wollte ihnen einen Sarg schreinern, der ihnen gefiel. Ich wollte sie so zur letzten Ruhe betten, wie es ihren Vorstellungen entsprach. Eben, weil diese Menschen mir alles andere als egal waren. Doch gerade… stand ich vor dem ersten Menschen bei dem ich mir nicht sicher war, ob ich wollte… eben, weil ich ihn viel zu gerne mochte. Mein Kopf sagte mir, dass ich nicht darum herum kommen werde und diese ganzen Gedanken von daher schon an sich albern seien. Doch mein Herz… sagte mir mit einem schmerzhaften Zusammenziehen, dass es nicht um die Frage ging ob ich wollte, sondern ob ich konnte. Ob ich konnte, wenn ich musste. Denn ich werde müssen… Früher oder später. Und noch seltsamer als diese ganzen Fragen war die stumme Antwort, die zwar deutlich in meinem Kopf stand, aber ich noch nicht mal mit meiner inneren Stimme aussprechen konnte. Irgendwann verschwand auch diese Frau aus meinen Laden und nahm all ihre bitteren Tränen mit sich. Nur ich blieb mit all meinen komischen Fragen alleine zurück. Die Ruhe lag für einen Moment wie ein schwerer Schatten auf meinen Laden. Ich blieb einige Minuten in meinen Türbogen gelehnt stehen und beschaute mit verschränkten Armen die leere Gasse durch eines meiner zwei einsamen Fenster. Konnte ich? Wollte ich? Es war irgendwie schwer zu wissen, dass zumindest das Müssen außer Frage stand. Dann weckte mich ein helles Krähen aus meinem Grübeln. Mein Kopf wanderte langsam zu meinem Tresen auf dessen äußersten Kante der kleine Merkenau saß und mich mit schief gelegtem Kopf anschaute. Ich ging zu ihm und kraulte ihm wieder den kleinen Kopf. Das junge Tier war ein ganzes Stück gewachsen seit es hier war: „Hm? Was hast du?“ Er krähte mir besorgt entgegen. „Ich schaue traurig? Denkst du?“ Mit einer Bestätigung, die die Ernsthaftigkeit meiner Frage in Frage stellte, krähte er ein weiteres Mal. „Es ist nichts Dramatisches“, lachte ich: „Ich bin nur irgendwie gerade ein bisschen… konfus.“ Fragend legte der Rabe den Kopf schief. Ich seufzte und schüttelte dabei den Kopf: „Warum tut nichts zur Sache.“ Merkenau nahm seinen Schnabel und zog damit an meinen Ärmel. „Hehehe! Was machst du da?“, fragte ich lachend, als ich dem jungen Raben hinter her ging, der mich am Ärmel zu einer meiner Urnen führte. Er legte meine Hand darauf ab. Es war wieder die Urne mit Skylers Gebäck. Ich seufzte abermals: „Du kennst mich jetzt schon viel zu gut, kleiner Mann.“ Als ich keine Anstalten machte meine Hand in die Urne zu stecken, hüpfte Merkenau hoch, hing sich hinein, wedelte mit seinen kleinen Füßchen um die Balance zuhalten und plumpste ein Schweineöhrchen im Schnabel Hinterteil voran wieder auf den Tresen. Die kleine Standeinlage verursachte in mir eine belustigte Gefühlslage, die mir wesentlich lieber war und die ich wesentlich mehr verstand. Doch dann hüpfte er mit dem Gebäck auf mich zu und legte es mir in die Hand. Anschließend krächzte er etwas. Halb lachend, halb seufzend schob ich mir das Teilchen in den Mund und kraulte Merkenau wieder am Köpfchen: „Ich weiß, ich weiß. Du hast recht. Doch was soll ich dagegen machen?“ Merkenau schwieg kurz und krächzte dann kleinlaut. „Ich habe auch keine Idee. Also lohnte es sich nicht sich mit der Sache im Übermaß zu beschäftigen, oder?“ Ein verneinendes Krähen des kleinen, schwarzen Vogels. Dann sah ich, dass der kleine Vogel auf einem meiner Notizbücher saß. Er beschwerte sich mit wilden Flügelschlagen, als ich es unter ihm weg zog. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schlug das Büchlein auf. »Skyler Rosewell: 07716916658« Gedankenverloren und mit einem sonderbaren Gefühl beschaute ich die Nummer auf dem Papier. Merkenau hüpfte neben meine Hand und schaute mich mit schief gelegten Kopf an. „Skylers Handynummer“, kraulte ich ihn am Kopf. Der Vogel krähte fragend, doch ich schüttelte nur den Kopf: „Das weiß ich auf nicht.“ Dann griff ich das kleine Büchlein neben meinem Telefon und Skylers Handynummer wanderte mit einem seichten Seufzer meinerseits unter die Telefonnummern der anderen, während ich mit der anderen Hand weiter Merkenaus Köpfchen kraulte. „So ganz verstehe ich sie nicht“, seufzte ich noch einmal dem Vogel entgegen: „Irgendwie… verstehe ich hinter manchen Dingen die sie tut den Sinn nicht.“ Merkenau krähte und legte den Kopf noch schiefer. Ich lachte: „Ja, vielleicht gibt es manchmal wirklich keinen.“ Dann legte ich die beiden Notizbücher zur Seite: „Ich mache mich an die Arbeit“, grinste ich den Vogel an und hielt ihm die Hand hin: „Mitkommen?“ Merkenau hüpfte meinen Arm hinauf und ich begab mich mit dem kleinen Vogel auf meiner Schulter zu meinen drei Gästen, die nur darauf warteten zurecht gemacht und wieder zusammengeflickt zu werden. Meine Nacht war kurz gewesen. Nicht, weil mich meine Gäste so sehr eingenommen hatten, nein, sondern weil mich meine komischen Fragen über wollen, können, müssen und sollen noch einige Stunden wach gehalten hatten. Doch die Welt hatte kein Erbarmen mit mir. Als meine Ladentüre sich öffnete zeigte meine Taschenuhr 09:30 Uhr an. „Hallo?“, polterte eine Frauenstimme durch meinen Laden: „Ist hier jemand?“ Lachend schob ich meinen Sargdeckel zur Seite und trat heraus, in dem Wissen, dass diese Begegnung zumindest bei mir für einiges an Belustigung sorgen könnte. Vor mir stand eine ungeahnt… korpulente… kleine Dame, die heute Morgen in einem tragischen Unfall in ihre Schminkpalette gefallen zu sein schien. Ihr feuerrotes Haar hätte wohl mal eine elegante Hochsteckfrisur sein sollen, doch sah es eher aus als habe sich Merkenau ein weiteres Nest gebaut und ihr komisches Assembler teurer Kleider schrie fast schmerzhaft meinen Augen entgegen. Dieser Anblick an sich ließ mich schon kichern. Neben ihr stand ein hagerer junger Mann mit ordentlichen, so derartig gestriegelten roten Haaren, dass selbst William der Kamm aus der Jacketttasche gefallen wäre. Er musterte mich ungläubig und mit riesigen grünen Augen aus seinem blassen mit Sommersprossen gesprenkelten Gesicht. Eine schockierte Erkenntnis stand in dem ganzen Erscheinen des vielleicht 23 Jahre alten Jungen in dem teuren königsblauen Anzug, als er mich erblickte. Doch dieser Gesichtsausdruck und der fassungslose Ausdruck der Frau mit ihrem überschminkten Gesicht machte die Beleidigung meiner Augen etwas weg. „Wer...“, fragte die Frau und zeigte mit dem wurstigen Zeigefinger auf mich, den einige Ringe an einigen Stellen zusammen drückte, sodass er an eine Kette Cocktailwürstchen erinnerte: „Sind sie?“ Ich verneigte mich kichernd: „Nihihi! Man nennt mich ‚The Undertaker‘ “, ich richtete mich wieder auf und breitete meine Hände aus: „Willkommen in meinem bescheidenen kleinen Laden! Fu fu fu. Mit wem habe ich die Ehre?“ „Ihr… Laden?“ „Ihihi! In der Tat!“ „Also… sind sie der Mann vom Telefon?“ Ich neigte meinen Kopf: „Auch das ist richtig. Tihi!“ „Sie...“ stammelte der Jüngling aschfahl im Gesicht und zeigte mit zittrigen Zeigefinger auf mich, als er einen unwillkürlichen Schritt nach hinten machte: „Sie waren… auf… auf der Feier!“ Ich kicherte vorfreudig schrill und hob meinen hängenden Handrücken in meinem Ärmel vor den Mund. Der junge Mann hatte mich wohl wiedererkannt und sein schockiertes Gesicht war köstlich: „Kihihi! Auch das entspricht den Tatsachen.“ „Sie… sie haben… die Hunde...“, doch die Frau unterbrach sein amüsantes Gestammel, was bei mir sofort auf ein tiefes Gefühl auf Ungnade stieß. Wie sollte ich mich daran belustigen, wenn sie es unterbrach?: „Gott, Travis! Höre auf diese abstruse Geschichte zu erzählen!“ „Hör mir zu, Mutter!“, versuchte sich der Jüngling krampfhaft, aufgeregt und darüber hinaus vollkommen erfolglos seiner Mutter zu erwehren, was die Ungnade vertrieb und mich mit einem giggelnden Grinsen meine Arme verschränken ließ: „Dieser Mann hat gegen die Hunde gekämpft! Sie getötet! Einen nach dem anderen!“ „Travis, Travis“, schüttelte die Frau den Kopf und wandte sich dann zu mir: „Ihr müsst ihm nachsehen. Irgendetwas an der Feier ist ihm nicht bekommen und nun erzählt er die ganze Zeit von irgendwelchen übergroßen Hunden, die von irgendwelchen Männern mit Buttermessern und Gartengeräten zunichte gemacht wurden.“ Ich musste weiter giggeln. Diese ...Dame hatte ja keine Ahnung, dass ihr Sohnemann ihr die ganze Zeit nichts anderes als die Wahrheit erzählte. „So glaub mir doch, Mutter!“, rief der Junge wieder aus und aus meinem Giggeln wurde ein Kichern: „Dieser Mann hatte eine riesige Sense!“ „Travis! Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass wir mit Dr. Farnsworth über diese Geschichte reden werden!“ „Pffffff!“, zischte es durch meine Finger, die ich mir mittlerweile auf meinen Mund gedrückt hatte. Wie kann ein Mensch nur so ignorant sein? Wie offensichtlich sich diese Frau vor der Wahrheit verschloss und wie sehr ihr Sohn nach ihrem Glauben und ihrer Anerkennung haschte war ein Bild für die Götter selbst. „Aber… aber Mutter…!“ „Ich habe genug von deinen Märchen!“ Während ich kichernd dieser Konversation gelauscht hatte, spürte ich nun endgültig wie sich ein Lachanfall zusammenbraute. Mein schrilles Lachen unterbrach die Diskussion dieses Mutter-Kind-Gespannes. Es hallte von meinen Wänden wieder, knallte kreuz und quer durch meinen kleinen Verkaufsraum und walzte die Fassung und die Weltsicht meiner Besucher förmlich nieder. Ihr irritiertes und vollkommen überfordertes Blinzeln sorgte für weitere Lachschübe und fast 4 Minuten lang erging ich mich in hemmungslosen und vollkommen unverfrorenen Gelächter. 4 Minuten, in denen mein Besuch vergaß miteinander zu diskutieren und mich anstarrte. Die Mutter drehte sich zu ihrem Sohn um, nachdem ich mich einigermaßen beruhigt und sie noch ein paar weitere Male verwirrt geblinzelt hatte, was mir ein weiteres amüsiertes Glucksen entlockte: „Siehst du? Diese Geschichte ist so abstrus, dass die Leute anfangen dich auszulachen.“ Ich prustete ein weiteres Mal. Diese Frau hatte ja keine Ahnung, dass ich SIE auslachte und nicht ihren verzweifelt die Wahrheit sprechenden Sohn! „Mutter!“ „Halt jetzt den Mund, Travis. Heute geht es um deine Schwester. Nicht um deine Hirngespinste!“ „Wuhuhuhu!“, fächerte ich mir lachend mit einer Hand Luft zu und wischte mir dann kurz durch die Augen: „Ehehehehe! Mit wem habe ich überhaupt das Vergnügen?“ Ich wusste allerdings schon ganz genau, dass es die Frau war, die mir gestern durch mein Telefon ins Ohr geschrien hatte. Die Frau legte eine Hand an ihre Brust, als hätte sie nur auf so eine Frage gewartet. Nicht, dass ich sie schon mal gestellt hätte: „Ich bin Baronin Adalyn Scarlett Courtney Turner, Tochter von...“ Ich warf eine Hand nach vorne und ging giggelnd um die beiden Gestalten herum hinter meinen Tresen: „Na! Ehehehe! Ich habe nach ihrem Namen gefragt. Ihr Stammbaum interessiert mich nicht“, ich lehnte mich lachend auf meine Tischplatte, denn die Irritation der Baronin Turner war einer ganz und gar entsetzten Beleidigung gewichen. Ein Ausdruck, der ihr unförmiges, schlecht geschminktes Gesicht zu meinen Vorlieben ergänzte: „Pahahahahahahahaha! Das letzte Hemd hat keine Taschen, werte Dame. Ihr Titel ist hier Nichts wert. Vor dem Tod sind alle gleich. Nehehehe!“ Leider hatte diese durchweg furchtbare Frau keine Ahnung wie wörtlich meine Worte wirklich waren. Dieses Gesicht wäre göttlich gewesen! Doch leider werde ich es nicht sehen, denn selbst wenn ich ein laufendes Skelett in zerfetzter Robe wäre, würde dieses ignorante Weibsbild es wahrscheinlich nur für ein Halloweenkostüm halten. Ich legte meinen Zeigefinger an die Lippen, als mich eine andere Frage kurz von meinem Besuch ablenkte: Wie kamen die Menschen eigentlich auf den Gedanken, dass der Sensenmann so aussieht? Ich stellte mir diese Frage wahrlich nicht zum ersten Mal. „Sie… sind unfassbar!“, weckte mich die quakende Stimme der Baronin und ich stellte fest, dass sie mich mit ihrer Stimme, ihrem kermitgrünen Aufzug und den roten Haaren an eine fette, angezündete Kröte erinnerte. Da sich ihr Gesicht vor meinem inneren Auge endgültig in das eines fetten, warzigen Kröterichs verzog, flog ein weiterer Lachanfall meinerseits durch den kleinen Raum und ließ meinen Besuch abermals perplex verstört verstummen. Ich schaute ihren Strich von Sohn an, der mich mit einem zuckenden Auge musterte, als sei ich ein geiferndes, lachendes Monster: „Fuhuhuhuhu! Und du, Junge? Nihihi.“ Dieser stammelte erst unverständlich etwas vor sich her. Die Sprachschwierigkeiten – die definitiv noch der Erkenntnis geschuldet waren, dass ich einer der Männer von der Halloweenfeier und dazu noch ein ausgemachter Irrer war – des Jünglings enttäuschten mich nicht im Mindesten. Ein weiteres schrilles, amüsiertes Lachen kroch durch meinen Laden, das die nun noch krampfhafteren Vorstellungsversuche des rothaarigen Jungen nur in so fern besser machte, als das sie mich noch mehr belustigten: „Awewewe… Iftk... Habeda… Ich… Travis! Travis Brett Edward Turner!“ „Nihehehehehe!“, lachte ich den jungen Mann weiter aus: „Also, was kann ich für sie tun Mrs. und Mr. Turner?“ Die Baronin Turner schaute mich immer noch reichlich desillusioniert an: „Es geht um… meine Tochter...“ Ein Ausdruck, der mich weiter hochgradig amüsierte. „Madeline, ja“, grinste ich und ging in Richtung meines Türbogens: „Sie erwartet sie sehnsüchtig, ehehehe! Folgt mir.“ „Mutter...“, hörte ich den jungen Turner wispern, als ich in den hinteren Raum verschwunden war: „So glaub mir doch. Wir sollten hier verschwinden...“ „Ach“, fauchte seine Mutter zurück: „Mach dir vor so einem armen Irren nicht ins Hemd, Travis!“ Kichernd hielt ich bei meinen Kühlzellen, drückte eine Hand vor den Mund und zog den anderen Arm um meinen lach-warmen Bauch, in dem immer noch die Lachanfälle nachhallten, als ich ein weiteres Mal nicht fassen konnte wie die Wahrheit auf so viel Unverständnis stoßen konnte. Da sprach dieser - von dem Schicksal mit seiner Mutter gebeutelte - vollkommen rückratlose Junge schon die Wahrheit, versuchte seine werte Frau Mutter jedoch nicht im Ansatz ihn zu verstehen oder ihm zu glauben. War nicht interessiert daran zu ergründen, was hinter den Aussagen ihres Jungen lag. Es war darüber hinaus nur allzu offensichtlich, dass dieser ‚Dr. Farnsworth‘ ein Psychotherapeut sein musste. „Aber… aber Mutter!“ „Sie wartet, nehehehehe!“, lachte ich, während ich die Tür zum Kühlfach der jungen Miss Turner öffnete. Die Frau folgte mir polternden Schrittes in mein Vorbereitungszimmer, ihre wurstige Hand um das Handgelenk ihres Jungen gelegt. „Was...“, sie schaute sich um: „Ist das für ein komischer Raum?“ Ich schüttelte lachend den Kopf, als ich mich neben ihrer toten Tochter aufrichtete, einen Arm verschränkte und den anderen Ellbogen darauf abstütze: „Mrs, Turner. Te he he he. Ich gebe ihnen den Rat, dass sie hier nur Fragen stellen sollten, deren Antworten sie auch wirklich verkraften.“ „Wie meinen sie das?!“ „Nun“, lachte ich schriller und legte mein Gesicht in meiner Hand ab, sodass mein Lachen über meinen kleinen Finger strich, den ich über meinen Mund gelegt hatte: „Ke he he. Ich habe keine große Lust, dass sie mir in meinen hübschen, kleinen Laden spucken. Fuhuhu!“ „Wie uncharmant“, hauchte die Frau in vollkommener unverarbeiteter Entgeisterung. „Ehehehe! Sie sollten diesen Rat beherzigen“, dann zog ich ihre Tochter ein Stück aus ihrem Kühlfach. Der junge Turner legte sichtlich geschockt und getroffen die Hand auf den Mund. Seine Mutter allerdings jauchzte. Jauchzte so gespielt und so dermaßen künstlich, dass ich der Einzige war, der dem Spucken wirklich näher kam: „Meine arme Madi!“ Ich schaute nochmal auf die junge Frau in meinem Kühlfach. Sie erzählte mir ihre ganze Geschichte in Sekunden. „Bitte“, schüttelte ich schließlich meinen wieder aufgestützten Kopf: „Ihre Tochter ist tot. Ehehe! Sie müssen ihr nicht mehr vorspielen, dass sie ihnen irgendwie geartet wichtig wäre.“ „Bitte!?“ „Ke he he. Sie haben mich schon verstanden. Ihrer Tochter war immer bewusst, dass sie sich nie wirklich für sie interessierten.“ „Sie sind… so unendlich pietätlos! Wie können sie so etwas zu einer trauernden Mutter sagen?!“ Ich ließ die Hand von meiner Wange rutschen und locker hängen. Langsam ging mir diese ‚trauernde Mutter‘ doch furchtbar auf die Nerven. Sie war nicht lustig, sie war dumm. Sie war nicht amüsant, sondern nur selbstverliebt. Sie trauerte nicht um ihre Tochter, sondern um ein verloren gegangenes Statussymbol. Lediglich der konstant dämliche Ausdruck, der aufgrund meines Verhaltens in ihrem hässlichen, von Arroganz verzehrtem Gesicht erschien, war amüsant und willkommen genug um sie wenigstens eine kurze Weile zu ertragen: „Gar nicht. Tihihi! Aber hier gibt es auch keine.“ „Was?!“ „Ich sagte hier gibt es keine“, lachte ich abfällig: „Ehehehe! Lassen sie uns zum geschäftlichen Teil kommen.“ Vollkommen entgeistert musterte mich ihr Gesicht. Dass die Frau geschminkt war wie in der Clownsschule, machte diesen Ausdruck noch hunderte Male besser und entlockte mir ein weiteres amüsiert schrilles Lachen. Ich ging die paar Schritte zu meinem Seziertisch: „Gihihihihihihi! Haben sie ein Kleid für ihre Tochter dabei?“ Die Rothaarige musterte mich irritiert und konnte atok nicht antworten. Dies und das aschfahle Gesicht ihrer Brut ließ mich ein weiteres Mal laut auflachen. Dann fing sie an auf dem Seziertisch Kleider auszubreiten. 6 Stück. Sie waren scheußlich. So teuer, wie sie unansehnlich waren. Ich schaute zu der toten, jungen Dame. Sie sah ähnlich angetan aus wie ich: Gar nicht. Innerlich seufzend hielt mein Grinsen stand, was schon aus dem Grund amüsierend war, da es dieser scheußlichen Frau sichtlich nicht passte. „Ihre Lieblingskleider...“, jauchzte die auf eine nicht komische Weise komische Baronin wieder furchtbar künstlich. Ich schaute ein weiteres Mal die junge Frau auf ihrer Barre an, die mir stumm ihre Antwort gab: „Nein. Sind es nicht.“ „Bitte?!“ „Sie gefallen ihr nicht“, drehte sich dann schließlich doch mein Grinsen um, als ich mein Gesicht wieder zu der Baronin wandte: „Sie kleiden sie nicht einmal.“ „Woher wollen SIE das wissen und beurteilen?!“ „Weil sie es mir sagt“, ich schaute wieder auf die 6 Kleider. Knallendes Moosgrün, auffallendes Himmelblau, eins in knarschigem Pink. Die andern Drei in einem wiederum viel zu langweiligen Grau. Doch alle prunkvoll und ausstaffiert bis ins Letzte. Unter dem ganzen Schmuck würde das junge, tote Ding hoffnungslos untergehen. Ich hob eine Hand und kratze in Missmut mit dem Nagel meines kleinen Fingers über meinen Daumen: „Keins dieser Kleider findet auch nur ansatzweise ihr Wohlgefallen. Ich könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren ihr das anzutun.“ Die noch sehr kindhafte, tote Frau flehte mich förmlich an sie davor zu bewahren. „Ich habe auch eins eingepackt“, griff der Junge in die Tasche. „Nicht dieses scheußliche Ding!“ echauffierte sich seine Mutter und zog seine Hände harsch aus der schwarzen Tasche auf meinem Seziertisch. Mein Blick wanderte noch einmal kurz zu der jungen Frau und dann wieder zu ihrem Bruder: „Zeige es mir.“ Der Junge griff wieder in die Tasche und zog ein schlichtes Kleid heraus. Ohne viel Tam Tam von einem dezenten, blassen Beige. Ich schaute von dem Kleid in den Armen des Jungen, zu der toten Dame und zurück. Ein Grinsen zog sich wieder über meine Lippen und ich hielt dem Jüngling meine Hand hin: „Genau in ihrem Sinne. Nehehehe!“ Mit einem schmalen – und auch reichlich verstörten – Lächeln gab der Junge mir das Kleid. „Ist das ihr Ernst!“, polterte die Mutter weiter und ich war nur noch einen Schritt davor sie aus meinem schönen Laden zu werfen: „Hier liegen 6 der aufwendigsten Kleider und sie wollen das?!“ „Nein, ehehehe! Es ist ihr Ernst“, ging ich zu der toten Dame und faltete das Kleid auf ihrer Brust. Dann fuhr ich mit den Fingerspitzen über ihr blasses, kaltes Gesicht: „Die anderen Farben empfindet sie als erdrückend. So viel Dekor wünscht sie nicht. Sie weiß, dass sie ihr nicht stehen und ich werde sie nicht zwingen sie zu tragen, sollte sie nicht wollen.“ „Sie ist tot! Sie empfindet nichts mehr! Sie hat keine Meinung, sie armer Irrer! Nehmen sie ihre Hände da weg!“ Mit einem schrillen Lachen wischte ich der toten Dame ein paare Strähnen aus dem totenblassen Gesicht: „Kihihihihi! Denken sie, ja?“ „Natürlich! Tote können nicht sprechen! Sie haben keine Meinung!“ „Ke he he, doch“, mit einem abschließenden Streichen über die tote, kalte Haut richtete ich mich auf und ging auf die scheußliche Frau zu. Ich hielt ihr meinen Zeigefinger ins Gesicht: „Sie können nur nicht zuhören. Weder den Lebenden noch den Toten. Tehehehe!“ Dann stopfte ich die grässlichen Kleider wieder in die Tasche und warf sie der furchtbaren Frau entgegen. Reichlich irritiert und gerade so fing sie sie. Ich schob behutsam ihre Tochter wieder in ihre Kühlzelle und schloss die Tür: „Nur weil sie sie nicht hören können, heißt das nicht, dass Tote keine Meinung haben. Nur weil Menschen zu taub sind und sie nicht verstehen heißt es nicht, dass sie nicht sprechen, ehehehe“, dann warf ich die Hand nach vorne, während ich wieder auf die andere Seite des Seziertisches ging, an dem die Turners standen: „Ihre Tochter hat recht. Eh he he. Mit ihnen über Details zu sprechen bringt nichts. Es ist Zeitverschwendung, da sie nur darauf aus sind was sie wollen, nicht was ihr gefallen würde. Wahrscheinlich war es zu ihren Lebzeiten genau dasselbe. Heute in einer Woche um 13 Uhr ist ihre große Gala in der Kapelle des ‚River Thames Cemetery‘ “, grinste ich die Frau an und beugte mich über den Seziertisch in ihr Gesicht, was sie um einiges blasser werden ließ: „Die Rechnung lass ich ihnen zu kommen. Gihihi! Seien sie pünktlich, Mrs. Turner. Ihre Tochter ist bei mir in besten Händen. Sollten sie sich dessen nicht sicher sein, fragen sie die Familie Phantomhive nach mir. Te he he“, schloss ich mit einem dunklen Lachen ab. Die Frau wirkte nun vollkommen verstört und ihr Sohn konnte nichts anderes tun als mich mit offenem Mund anzustarren. Ungläubig schüttelte schließlich die Kröte in Menschenhaut den Kopf und stolperte zwei Schritte nach hinten, was mich zum wiederholten Male lachen ließ, als ich um den Tisch herum ging und so meinen Besuch ein Stück in Richtung Ausgang drängte: „Ki hi hi! Bis in einer Woche, Mrs. und Mr. Turner. Überlegen sie bei ihrer Kleiderwahl was Madeline gefallen würde und nicht ihnen.“ „Sie“, schüttelte die Frau schon wieder den Kopf: „Haben sie nicht mehr alle!“ „Da“ ich beugte mich zu ihr herunter und bohrte meinen Finger in ihre Brust: „Haben sie das erste Mal an diesem Tag wirklich Recht. Nihihihi!“ Sie stolperte ein paar weitere Schritte zurück und griff sich ihren Jungen: „Wir… wir gehen jetzt!“ Ich verschränkte nur grinsend meine Arme und musste kurz darauf wieder lachen, als sich die Mutter noch einmal - kopfschüttelnd und vollkommen neben sich stehenden – zu mir umdrehte. Etwas vor sich her stammelnd wandte sie sich zum gehen. „Ach. Tehehehe. Mrs. Turner?“, hielt ich die grässliche Frau doch noch einmal auf, als ich mich an meinen Tresen gelehnt hatte und mir einen Keks in den Mund schob. Ein Pläsier schuldete sie mir für ihr unmögliches Verhalten noch. Bevor sie die Klinke meiner Türe greifen konnte, drehte sie ihren Kopf noch einmal zu mir um: „Was wollen sie denn noch?!“ „Eh he he! Ich gebe ihnen einen weiteren gut gemeinten Rat mit auf ihren Weg“, lachte ich, den Keks zwischen meinen Lippen und Mutter wie Sohn sahen mich aus schreckensblassen Gesichtern an. Ich gab mir nicht ansatzweise Mühe meine Belustigung zu kaschieren: „Manchmal handelt es sich bei der Wahrheit um die wahrlich abstrusen Geschichten. Ih hi hi hi!“ In den Augen des Jungen sah ich, dass er verstand. Tief geschockt verstand. Ohne zu blinzeln starrte er mich mit offenem Mund an. Auch seine Mutter schaute von mir zu ihm und wieder zurück und wusste nicht, was sie antworten sollte: „Sie wollen doch nicht etwa...“ „Was sie aus diesem Ratschlag machen ist ihre Angelegenheit“, ein dunkles Lachen kroch aus meinem Grinsen, als ich meinen Keks in einem Biss hinunterschluckte und meinen beringten Zeigefinger an die Lippen legte: „Eh he he he. Doch es ist schon erstaunlich wie gut man sich mit Buttermessern und ein paar Gartenwerkzeugen gegen zu groß geratene Hunde verteidigen kann, finden sie nicht auch?“ Die Augen der beiden Turner fielen fast aus ihren Höhlen, so weit hatten sie sie aufgerissen, als die Bedeutung meiner Worte noch durch ihre von Schock versteiften Gedanken drang. Ein weiteres dunkles Kichern schlich kalt durch meinen Laden: „Ih hi hi. Ich wünsche einen schönen Tag. Verschwinden sie aus meinen Augen. Ehehehe!“ Mit einem entsetzten und fast panischen Kopfschütteln zog die Baronin ihren Sohn aus meiner Ladentür. Merkenau steckte seinen verschlafenen Kopf aus dem Nest und krähte mich an. „Nihihihi! Ja, das war die komische Schachtel von gestern. Obwohl ich ja jetzt eher geneigt bin sie als Kröte zu betiteln.“ Müde krähte der Rabe eine weitere Frage. „Nein, ich glaube nicht, dass sie mich weiter empfiehlt. Gihihi! Aber die Wenigsten würden das tun, bis sie die Feierlichkeiten erlebt haben. Fu fu fu.“ Dann hielt ich dem kleinen Raben meine Hand hin und er hüpfte auf meine Schulter, wo er sich schlaftrunken wieder hinsetzte. Mit einem Stupsen auf seinen Schnabel brachte ich den kleinen Vogel ein weiteres Stück in die wache Welt, da er drohte auf meiner Schulter wieder einzuschlafen und gefährlich weit zur Seite kippte. Er blinzelte mit dem Flügel schlagend. Ich verschränkte die Arme und mein Grinsen verschwand aus meinen Gesicht, als ich auf meine geschlossene Ladentüre schaute: „Aber ich finde es immer wieder faszinierend wie viele Eltern es gibt, denen ihre Kinder so vollkommen egal sind. Und noch um ein vielfaches faszinierender ist es, wie viele Möglichkeiten lieblose Eltern finden ihre Kinder zu foltern.“ Merkenaus Krähen wurde eine Spur verständnisloser und ich schielte mit einem Auge zu ihm herüber: „Nein. Ich sprach von faszinierend. Nicht von amüsant oder gut.“ Jetzt krähte der Rabe traurig. Ich schwang mich von meiner Tischplatte und ging in den hinteren Raum: „Ja, aber auch seelische Grausamkeit ist Grausamkeit und ich würde behaupten körperliche Grausamkeit geht mit der seelischen am Ende Hand in Hand.“ Kalte Wut keimte in mir auf. Ein tragisch gutes Beispiel dafür hatte ich ja immer öfter vor Augen. Doch lange konnte ich mich mit meinem steifen Zorn nicht beschäftigen. Denn immer wieder ging die Türe auf und weitere Angehörige und Planungen bedürften meiner Aufmerksamkeit. Am Mittwochvormittag hatte ich endlich alle Besuche der Angehörigen abgearbeitet. 5 Familien verwies ich weiter an die Phantomhives, da sie sehr wohl wussten was hinter den bizarren Todesfällen steckte. Doch wenigsten entschädigte mich ihr überfordertes Verhalten für die vielen Mühen, als sie mich genau wie der junge Travis Turner erkannten und vor Schreck fast hinten über fielen. Zwischen den Besuchen der Angehörigen kümmerte ich mich um meine vielen neuen Gäste. Arbeiten ohne ständig von einer aufgehenden Türe unterbrochen zu werden, lernte ich in den letzten 2 Tagen erst wirklich zu schätzen. Die meisten Familien wünschten einen offenen Sarg. Was an sich kein Problem war. Aufwendig vielleicht, aber kein Problem. Doch bei zwei Gästen konnte ich es wirklich nicht empfehlen. Aufgerissene Brüste und ausgeweidete Bauchhöhlen konnte ich retten, doch bei den Beiden hatten die Hunde das Gesicht zerrissen. Diese Totenmaske konnte selbst ich nicht wieder herstellen, da schlicht und einfach die Hälfte fehlte. Gesichter herbeizaubern lag auch außerhalb meiner Fähigkeiten. Ich riet den Familien sie einzuäschern und so verblieben wir. So vertrieb ich mir den Tag damit Torsos zusammen zunähen. Und zwar viele davon. Gegen 17 Uhr hatte ich schließlich den letzten Angehörigen verabschiedet und meine müden Finger und ich entschlossen sich für eine kleine Kunstpause. So sehr ich meine Arbeit liebte, umso anstrengender war teilweise die Beschäftigung mit den Hinterbliebenen. Vor allem da es nicht selten vor kam, dass sie mir ihre eigenen Wünsche als die Wünsche meiner Gäste verkaufen wollten. Doch die Toten ließen sich nicht mehr übergehen. Sie logen nicht mehr. Sie sagten mir ehrlich, was wirklich in ihrem Sinne war und was eben nicht. Eine Tatsache, für die nur die wenigsten noch atmenden Menschen Verständnis zu haben schienen. Unter den Menschen die mich die letzten zwei Tage aufgesucht hatten, war keiner von ihnen. Und das stellte sich als ziemlich anstrengend heraus. Nachdem ich mir eine Kanne Tee gekocht und meinen Messbecher mit Zucker voll geschaufelt hatte, ließ ich mich mit einem Seufzen auf meinen Stuhl sinken. Merkenau knusperte vor mir auf dem Tisch an einem Keks herum. Der kleine Rabe war nur am essen. Ich hoffte inständig es lag an einem Wachstumsschub, ansonsten würde er in einer Woche eher rollen anstatt zu fliegen. Sollte es dazu kommen benenne ich ihn offiziell um in Diedrich. Merkenau unterbrach seinen 17 Uhr Snack allerdings kurz um mich an zu krähen. „Ein bisschen“, grinste ich ihn als Antwort an: „Das wirklich anstrengende an diesem Beruf sind die Menschen, die noch atmen, tehehehe!“ Mit einem Kopfschütteln knusperte der kleine Vogel weiter und ich verschränkte Arme und Beine, als ich meinen Messerbecher zum Mund führte. Kaum hatte der warme Tee meine Lippen berührt und den ersten Anflug von Entspannung in mir ausgelöst, klingelte mein Telefon. Ich seufzte in meinen Becher und schielte Überkreuz: „Ich habe keine Lust mehr auf Menschen...“ Merkenau krähte mir etwas zu. „Ich weiß, dass ich in der Welt der Menschen wohne und ich zwangsläufig mit ihnen zu tun haben muss, nehehe! Aber ich habe trotzdem keine Lust mehr auf sie.“ Das Telefon klingelte weiter. Merkenau schaute von Telefon zu mir und krähte wieder. „Nein, tehe“, trank ich endlich einen Schluck Tee: „Ich lasse es einfach klingeln.“ Was es immer noch tat. Merkenau flatterte mit dem gesunden Flügel um sein genervtes Krächzen zu unterstreichen. „Wieso?“ Driiiing! Driiing! Wer auch immer am anderen Ende saß, er war hartnäckig. Merkenau krächzte lauter. Driiiing! Driiing! Ich seufzte. Mit der Hand ohne Teebecher griff ich nach dem Hörer: „Ist ja gut, ist ja gut. Ich lasse mir von einen Raben Vorschriften machen… Ehehehe! Wie weit bin ich nur gesunken!“, dann hielt ich mir mit einem großen Grinsen den Hörer an mein Ohr: „Nihihihi! ‚The Undertaker‘s Funeral Parlor‘, was kann ich für sie tun?“ In Erwartung dessen was da kommen möge, nahm ich einen tiefen Schluck Tee. „Undertaker!“, die Irritation, die mich bei dem Klang von Williams Stimme überkam, hielt mich davon ab meinen Tee herunterzuschlucken. Das William mich anrief war an sich schon das 8te Weltwunder, doch der sonst so eiskalte Aufsichtsbeamte klang darüber hinaus auch noch ernsthaft aufgeregt, was kein sonderlich gutes Zeichen für irgendetwas war. „Beeil dich, Will! Wir haben keine Zeit!“, hörte ich Grell im Hintergrund kreischen. Noch aufgeregter als sonst. „Tue ich! Hör auf mir ins Ohr zu schreien, Sutcliff! So kann ich mich nicht konzentrieren!“ „Will! Die Uhr tickt!“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen beschlich mich ein ganz ganz schlechtes Gefühl. „Undertaker“, wandte der Aufsichtsbeamte wieder das Wort an mich und atmete tatsächlich einmal tief durch, was meine Ohren noch spitzer werden ließ, als sie eh schon waren: „Hör gut zu. Ich, nein, wir haben nur die Zeit für eine Erklärung. Skyler steht auf der Liste und sie hat keine Zeit mehr.“ Bei diesen Worten spuckte ich meinen Tee quer über die Tischplatte. Ich badete damit auch den kleinen Merkenau, der genau in Spuckrichtung saß. Der Vogel klimperte mich mit großen, schreckgeweiteten Augen an. „WAS!?“, entfuhr es mir geschockt. Zu mehr war ich einfach nicht in der Lage. Mein Kopf hatte noch nicht einmal ansatzweise verarbeitet was William gerade eigentlich gesagt hatte und in meiner Brust zog sich alles schmerzhaft zusammen. Das erste Mal seit Jahrzehnten hatte ich das Gefühl mir war eiskalt. Mein Herz quittierte derweilen seinen Dienst: „Sie tut... Sie hat WAS?!“ „Sie steht auf unserer Liste! Grell hat sie mir gerade wie eine Furie unter die Nase gehalten“, wiederholte William in einer merklich unterdrückten Anspannung. Es raschelte kurz am anderen Ende. „Du musst uns glauben, Undertaker!“, hörte ich nun Grell: „Sie steht wirklich auf meiner Liste. Für 17:48 Uhr und 2 Sekunden!“ Ich sprang von meinem Stuhl. Er krachte nach hinten. Meinen Becher ließ ich einfach los und er ging knallend zu Boden. Viel zu hastig kramte ich nach meiner Taschenuhr, weswegen sie mir immer wieder aus den Fingern glitschte. Ein weiteres Rascheln: „Wirst du wohl… Jetzt gib mir den Hörer wieder, Sutcliff! Wie du schon festgestellt hast haben wir keine Zeit!“ Der Deckel meiner Taschenuhr sprang auf... 17:41 Uhr: ‚BITTE?!‘ Mit großen Augen raste eine weitere eiskalte Welle durch mich hindurch. Sie hatte nur noch knapp 7 Minuten. Ein furchtbares Gefühl wallte in mir auf. Ich kannte dieses Gefühl. Es war die Angst um jemanden, der mir wichtig war. Das kurze Déjà vu an die brennende Villa - wo mich dieses Gefühl das letzte Mal ergriffen hatte - ging in selbigem sofort wieder unter. „Aber Will!“ „Ich mache das. Wenn wir erwischt werden, bin ich der Verantwortliche, klar?!“ „Willi...“ William seufzte hastig: „Undertaker? Waterman's Green, B306 London SW15 1EJ UK. Todesursache Blutverlust um 17:48 Uhr! Ich habe in ihren Record geschaut. Sie hat mit Amber Oliver und Claude auf der Straße gesehen und sie sind ihnen hinterher geschlichen. Die Beiden haben sie ertappt und haben Hannah dabei. Mach dich auf einiges gefasst. Bis wir mit der Liste da wären, können wir sie gleich abholen gehen. Du musst es irgendwie ohne schaffen. Das wird verdammt knapp! Lau…!“ ‚Claude und Hannah?!‘, ich warf den Hörer in die Angel, bevor William zu Ende gesprochen hatte: ‚Warum machen die Beiden so etwas?!‘ Mein Herz hatte wieder eingesetzt und in einem unbeschreiblichen Tempo zu tosen angefangen. Mit einem Satz war ich über meinen Tisch gesprungen und hatte mir in derselben Bewegung meine 10 Sotobas gegriffen. Für zwei Dämonen werde ich sie brauchen. Meine Hintertür flog auf und knallte gleich wieder zu, als auf das nächste Dach sprang und durch London hechtete. Wenn ich die Stadt und ihre Winkel nicht wie meine Westentasche kennen würde, hätte ich ein fürchterliches Problem gehabt. Ich rannte so schnell ich konnte. Die Welt zog als Flecken an mir vorbei, als ich im Lauf meine Sotobas, wie meine als solches getarnte Sense in meiner Robe verstaute. Die Kette meiner Taschenuhr band ich mir um mein Handgelenk und schaute auf ihre Zeiger... 17:42 Uhr: ‚Nein!“ Ich rannte weiter, meine Uhr wie das Rad des Schicksals mit meiner Hand umklammert. Unter meinen bis zum bersten angespannten Fingern knackte ihr Glas. Einmal rutschte ich fast aus, doch fing mich im letzten Moment wieder. Ich rannte weiter so schnell, nein, schneller als ich konnte, geschüttelt von dem kalten Schreck und der heißen Anstrengung. 17:43 Uhr: ‚NEIN!‘ Mein Atem raschelte und mein Herz trommelte wie Pauken in meinen Ohren. Das schönste Lächeln, das ich kannte und die zwei unfassbar himmelblausten Augen, die ich je gesehen hatte, hingen untermalt von dem wunderschönen, glockenhellen Lachen in meinem Kopf und trieben mich zu Höchstleistungen an. 17:44 Uhr: ‚NEIN! VERDAMMT!‘ Ich schlug den letzten Hacken. Der kleine Park kam in Sicht. Stimmen und erstickende Geräusche drangen durch das wilde Trommelschlagen meines Herzens an mein Ohr. Ich spürte wie urplötzlich zwei Präsenzen auftauchten. Zwei Menschliche. Vollkommen aus dem Nichts. Das konnte nur Skyler und Amber sein. Sie müssen irgendwie ihre Ketten verloren haben. Doch wenigstens wusste ich nun, dass ich auf dem richtigen Weg war. Denn die beiden Präsenzen waren ganz in der Nähe. 17:45 Uhr: ‚VERDAMMT! SKY!‘ Ich tat einen großen Sprung, als die Häuserdächer noch einige Meter vor dem Park endeten. Meine Uhr ließ ich los und sie wog gefühlte 5 Tonnen an meinem Handgelenk. Im Sprung warf ich mein Tuch und meine Anhänger einfach weg. Hastig riss ich meinen Mantel auf und zwei Knöpfe sprangen dabei aus der Knopfleiste. Ich hatte keine Zeit abzuschätzen, ob der Sprung zu weit war. Ich hatte keine andere Wahl. Es MUSSTE funktionieren. Ich sah Skyler und Amy. An Skylers Hals Hannah. An Amys Hals Claude. Skylers Augen fielen unter dem Würgen der Dämonin zu. Oliver stand vor einem Geländer mit dem Gesicht Richtung Themse und lachte triumphierend dreckig der Abendsonne entgegen. Ich schwor mir – und ihm – in dem Moment wo ich ihn sah, dass ich ihn seinen Triumph so tief in den Rachen stopfen werde, dass er daran ersticken wird. So langsam und qualvoll wie es sich einrichten lässt! Eine neue - um einiges eisigere - Welle brachte mich an den Rand meiner Contenance. 17:46 Uhr. Der Sprung war fast zu kurz gewesen. Als ich das realisierte lief die Welt für einen kurzen Moment in Zeitlupe an mir vorbei. Ich streckte meine Hand aus. Mit dem letzten Zentimeter meines Armes griff ich den Ast einer alten Borke. Während ich mich auf den Ast schwang zog ich zwei Sotobas mit einer Hand aus meinem Mantel. Kaum war ich aus dem Ast zum Hocken gekommen warf ich sie auf die beiden Dämonen. Ihre Köpfe zuckten hoch und im letzten Augenblick ließen die Dämonen von den Mädchen ab und sprangen in Sicherheit. Oliver fuhr herum Mein Blick fiel auf die Uhr, die sich an meinem vom Werfen noch nach vorne gestreckten Handgelenk drehte… 17:47 Uhr und 21 Sekunden. Weniger als eine Minute. Noch war es nicht ausgestanden. Sky sollte nicht erwürgt werden, sie sollte verbluten. Noch war zwischen mir, ihr, den Dämonen und dem Schicksal alles offen. Der pure entsetzte Unglauben erschien in dem jungen, von Hass gezeichnetem Gesicht des Earls Trancy, als er mich sah: „Verdammt! Scheiße! Nicht der!“ Die Mädchen rappelten sich auf. Claude und Hannah erschienen an Olivers Seite. Sie waren mehr darauf bedacht ihren Meister vor mir zu beschützen, als den Mädchen weiter ans Leder zu gehen. „Tehehehehe!“, schallte es aus meinem Mund, als ich nicht darum herum kam, dass mir die überrascht gestressten Gesichter des verfeindeten Earls und seiner Handlanger gefielen. Mein Lachen ließ sie innerlich straucheln und sie mussten sich von meinem plötzlichen Auftauchen kurz erholen, was mir ein paar wertvolle Sekunden schenkte. 17:47 Uhr und 44 Sekunden. Mein Herz klopfte schneller. Doch wenn ich jetzt aus der Ruhe gerate ist vielleicht alles vorbei. Auch die Mädchen wurden durch meine Lachen auf mich aufmerksam und schauten zu mir hoch. „Undertaker!“, hörte ich Amys atemloses Rufen. „Schnappt die Mädchen!“, hallte gleich Olivers Stimme hinter her: „Und dann schnell weg hier!“ „Ja, eure Hoheit!“, antworteten seine Diener und sprangen auf die Mädchen zu. Ein halber Blick auf meine Uhr... 17:47 Uhr und 52 Sekunden. Die nächsten 10 Sekunden sind entscheidend. Und 10 Sekunden waren keine lange Zeit um ohne manipulierte Liste mit dem Schicksal zu pokern. Nur selten hatte ich mich in meinem Leben so gestresst gefühlt wie in diesem Moment. Die besorgte Angst, gemischt mit Adrenalin stieg mir sauer in die Kehle, als ich von meinem Ast verschwand und vor den Mädchen zum Stehen kam. So lange ich zwischen ihnen und den Dämonen stand hatten die Beiden und ich ein besseres Blatt. „Ehehehe! Ihr hättet laufen sollen“, mit einer Armbewegung flogen die Schlösser meines Mantels auseinander: „Als ihr die Möglichkeit dazu hattet. Tihihihhihi!“ In derselben Bewegung warf ich zwei weitere meiner Sotoba. So effektiv wie meine Sense waren sie nicht, doch waren diese Scheite nach alten Traditionen gesegnet worden und so nicht ganz ungefährlich für die Bewohner des dunklen, dreckigen Rattenlochs, was auch als Hölle bekannt war. Hannah schlug einen Harken um dem Holzscheit auszuweichen und schlitterte einige Meter von den Mädchen entfernt über den Rasen. Dass ihr Meister genau in der Flugbahn stand sah sie nicht. Doch Oliver schaffte es im letzten Augenblick unter meinem Sotoba wegzutauchen. Claude erkannte im Gegensatz zu Hannah, dass auch die Flugbahn seines Sotoba durch ihn und seinem Meister führte. Er stieß sich mit einem Fuße ab und nutzte den Schwung, den er geholt hatte um schnellstmöglich zu den Mädchen zu kommen, dazu sich um die eigene Achse zu drehen und meinen Holzscheit wegzutreten. Wirbelnd landete er in der Themse. Der Dämon allerdings sprang zur Seite. „Was willst du mit deinen überdimensionalen Zahnstochern erreichen, Shinigami?“, nahm Claude betont teilnahmslos seinen Frack um seine Brille zu putzen und setzte sie wieder auf seine Nase: „Damit kommst du nicht weit.“ Meine Augen fielen auf meine Uhr. In meinem Magen und in meinen immer noch angespannten Fingern knisterte die Aufregung… 17:48 Uhr und 6 Sekunden: ‚Geschafft!‘ Ein warmer Funken blitzte in meiner Brust auf: ‚Es hat funktioniert!‘ Ohne Liste das Schicksal zu ändern ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Nur sehr mächtige Wesen hatten die Chance dazu. Ich war mächtig genug. Claude allerdings auch. Doch heute hatte ich 4 Asse und einen Joker. Obwohl der im Poker eigentlich nicht vorkam, aber ich hatte ihn. „Oh, sicher?“, grinste ich, als ich das Schicksal auslachte. Nun konnte ich mich voll und ganz dem Dämon widmen, mit dem ich noch die ein oder andere offene Rechnung zu begleichen hatte. Jetzt wo Skylers eigentliche Todeszeit überschritten war, war mir dieses Zusammentreffen gar nicht mehr so unlieb. Was gibt es Schöneres, als seine Feinde auszulachen mit dem guten Ausblick darauf sie töten zu können? In mir flackerte die Wut auf Claude wieder auf, die ich seit Halloween in einem nicht ganz so hinteren Winkel mit mir herumtrug, wie ich es gerne hätte. Immer wieder sprang sie mir in den Kopf und entfachte das Bedürfnis dem Dämon endgültig den Hals umzudrehen. Jetzt, wo er vor mir stand, hatte ich dieses Bedürfnis nicht mehr im Griff. Aber das musste ich ja auch nicht. Ich will den Dämon tot sehen. Ich will ihn vor Schmerzen schreien hören. Ich will ihn aus allen Poren bluten sehen. Ich will dafür sorgen, dass ihm im Vergleich zu dem, was folgen wird, ein Gang durch seine Heimat vorkommt wie ein Sonntagsspaziergang: „Und nenne mich nicht Shinigami. Hehe. So hat mich seit Jahren niemand mehr genannt. Kehehehe!“ „Wie auch immer“, Claude und Hannah spannte ihre Körper an und machten sich bereit zum Sprung: „Gegen uns beide hast du so keine Chance.“ „Au contraire“, ich lachte weiter, um den Dämon zur Weißglut zu treiben: „Aber redet ruhig weiter. Mehr Spaß für mich. Hehehe.“ Die ansehnliche Maske, die das Gesicht des Dämonenbutlers war, verzerrte sich in heißem Zorn gegenüber meines offenen Spottes. Ohne ein weiteres Wort sprangen die Dämonen los. Ein Fuß erschien vor meinem Gesicht und ich spürte ein Wehen der Luft an meinem Hinterkopf, der mir einen weiteren Tritt verriet. Ich griff die Knöchel der Dämonen bevor sie mich treffen konnten und warf sie zur Seite weg. Sie drehten sich im Flug und landeten auf ihren Füßen. Wie ich erwartet hatte. So einfach war den Beiden auch nicht bei zu kommen. Doch was die Trancy Dämonen gerade zeigten war nichts weiter, als eine bessere Zirkusnummer. „Wenn ihr so weiter macht“, fiel mein Kopf mit der grinsenden Frage zur Seite, ob sich die Dämonen aus irgendwelchen Gründen zurückhielten oder in den letzten Jahren mächtig Federn gelassen hatten: „Fu fu fu fu. Brauche ich noch nicht einmal meiner ‚Zahnstocher‘ für euch. Nehehehe!“ Zweiteres konnte ich mir nicht vorstellen. Doch Hannah und Claude sollten genau wissen, dass sie mit blanken Fäusten und Füßen wortwörtlich auf verlorenen Posten kämpfen. Außerdem wusste ich ja schon von Sebastian, dass beide ein Dämonenschwert besaßen. Hannahs war bekannt. Sie war das Gefäß Lævateinns. Doch auf Claudes neue Errungenschaft war ich gespannt. Doch vorerst hörte ich von den Dämonen nur ein gereiztes Zischen. Wahrscheinlich wollten die Dämonen ihren neuen Trumpf solange wie möglich unter Verschluss halten. „Holt die Weiber!“, schalte es von Oliver. Ich wollte die Stimme dieser kleinen Kröte einfach nicht mehr hören. Jeder Tag ohne sie war ein durchweg guter Tag, selbst wenn es der Weltuntergang sein sollte. Was fällt ihm des Weiteren ein, so über die beiden Mädchen zu sprechen? Ich griff ein Sotoba und warf es ihm entgegen. Claude schaltete, Oliver nicht. Die menschlichen Reflexe waren zu schlecht. Doch der Butler fing meine Waffe 2 Zentimeter vor der Nase seinen Herren, die bei dessen Anblick bedeutend blasser wurde. „Wo sind deine Manieren, Oliver?“, lachte ich bis ins Letzte amüsiert von Olivers schock-weißem Gesicht: „So redet man nicht über zwei Damen!“ Seine Blässe wich einer satten Zornesröte: „Du! Du kleiner…!“ Ein Wechselspiel aus Angst und Wut ließ Olivers Satz bei der Hälfte in wütendes Gebrummel untergehen, was mich erneut auflachen ließ: „Sprich dich aus, Oliver. Nehe! 5 habe ich noch.“ „Claude!“, schrie Oliver in rasendem Zorn. Sein Butler gehorchte ohne auf nähere Anweisungen angewiesen zu sein, tauchte vor mir auf und griff mich mit meinem eigenen Sotoba an. Ich zog ein weiteres aus meinem Mantel und wehrte ihn ab. Der Schlagabtausch lief ein paar Sekunden hin und her, bis Hannah mich von hinten attackieren wollte. Ich musste meinen Oberkörper halb von Claude wegdrehen, um ihr meinen Ellbogen in den Bauch zu rammen. Mit ihrer Hand an Skylers schlankem Hals stand sie nun auf meiner Liste direkt hinter Claude. Doch gerade der verlangte nach meiner Aufmerksamkeit, als Hannah in die Knie gegangen war. Der Dämon war schnell, für den Augenblick schneller als ich und traf mich an der Schulter. Ich spürte ein Surren in meiner Schulter, als er mit meiner eigenen Sotoba dort die Haut zerriss. Ich taumelte einen Schritt nach hinten. Für den Moment hatte sich Claude die Oberhand erstritten. Doch das hieß nicht, dass er den Daumen auf mir drauf hatte. Ich blockte seinen nächsten Angriff. Während der Dämon mich unnachgiebig attackierte, lachte ich seine fruchtlosen Versuche ebenso unnachgiebig aus, während ich ihn blockte oder auswich. Ich merkte an seinen Bewegungen, dass er anfing vor Wut zu schäumen. Ein Umstand, der ihn seine vorteilhafte Position kostete. Von seinem Zorn getrieben ließ er mir einen Fluchtweg offen, den ich doch gerne ergriff. Ich drehte mich um den Dämon und trat ihm im selben Moment mit meinem Fuß und all der Wut, die ich noch auf ihn hatte, in den Rücken. Claude strauchelte, fing sich aber mit den Händen und sprang nach einem Handstand von mir weg. Dann warf er mein Sotoba weg: „Es reicht. Hannah! Wir machen ernst.“ Das dämonische Hausmädchen erschien an seiner Seite und nickte stumm. Dann klappte sie ihren Mund auf. Grinsend sah ich zu, wie sie ihr Schwert aus ihrem Schlund zog. Ich hatte die Dämonen also endlich so weit gebracht ihre Schwerter zu ziehen. Vorfreude glomm in mir auf. Jetzt versprach die Sache doch wirklich interessant zu werden. Dem guten Sebastian hatten die Beiden mit ihren Schwertern ja sichtbar zusetzen können. Hannah ließ ihre Waffe einmal vorbereitend durch die Luft fahren und funkelte mich boshaft mit ihrem einen verbliebenen Auge an. Das andere war vor Jahren dem ungestümen Alois zum Opfer gefallen, der schon als 13-Jähriger ein ungesundes Faible für extrem grausame Strafen hatte. Es war auch nur einer von vielen sehr ungesunden Faibles gewesen. Der Butler der Trancys streckte seine rechte Hand aus, unter der sich der Boden in eine blubbernde, stinkende Teegrube verwandelte. Der Dämon hatte sein Schwert also noch nicht an seinen Körper binden können, so wie Hannah. Das machte die Sache dann doch wieder ein klein wenig uninteressanter. So war er nicht in der Lage die Kapazitäten seiner neuen Waffe voll auszuschöpfen. Ein schwarzes mit Rillen durchzogenes Schwert schoss aus der Grube in seine Hand. Ein Lachen schlich sich aus meinem Mund, als ich erkannte was für ein wirklich feines Exemplar eines Dämonenschwerts sich der Butler erhascht hatte: „Wen haben wir denn da? Hehehe! Lævateinn und Dáinsleif“, ich schloss meine Lippen und lachte weiter. Wenn sich die Dämonen nicht mehr zurück hielten, musste ich es auch nicht tun: „Dämonenschwerter. Eh he he! Ich habe lange keine mehr gesehen.“ Das Einzige, was meinen Spaß ein wenig bremste, waren die zwei Mädchen, die immer noch hinter meinem Rücken saßen. Sie musste ich aus der Schusslinie halten. Sie hatten schon ohne Schwert keine Chance gegen die Dämonen. Faustus schob seine Brille mit der Hand hoch, die nicht sein geschultertes Schwert hielt: „Dáinsleif ist ein besonderes Schwert. Von ihm geschlagenen Wunden können nie wieder verheilen.“ Ich lachte wieder. So einfach war die Sache mit den Dämonenschwertern nicht: „Ich weiß, ich weiß. Ich kenne Dáinsleif. Ne he he. Aber du anscheinend noch nicht ganz genau.“ „Du bist tot“, ging der Butler nicht auf meine vorangegangen Satz ein. Doch das vollkommene Fehlen von Emotionen war ein klarer Hinweis darauf, dass meine Worte irgendetwas getroffen haben: „Wenn du Dáinsleif kennst weißt du wie stark es ist.“ „Um mich ins Grab zu bringen“, ich legte den Holzscheit auf seiner Schulter ab und wischte mir den Pony aus dem Gesicht. Obwohl ich bezweifle, dass Claude sein Schwert vollends beherrschen konnte, war auch ein nur halb gebundenes Dämonenschwert in seinen weiß behandschuhten Händen nicht zu unterschätzen: „Musst du trotz deines schönen, neuen Spielzeugs noch ein bisschen üben. Tehehe!“ „Wir werden sehen“, entgegnete mir Faustus gewohnt kalt. Ich lachte ihn weiter aus, amüsiert von seiner unterdrückten, schäumenden Wut. Dämonen sah man sie immer sofort an. Außerdem waren sie am einfachsten zu besiegen, wenn sie impulsiv wurden, weil sie die Beherrschung verloren: „Dann lasse mich nicht länger warten, Dämon. Ehehe!“ Sofort nach meinem letzten Wort standen die beiden Trancydiener wie erwartet vor mir. Ich griff das Sotoba - das eigentlich meine Sense war - und blockte den Schlag der Dämonen. Meine anderen hätten den Dienst quittiert. Die Dämonen wussten dies. Umso gespannter war ich auf die Reaktion über das Sotoba, was es nicht tat. „Was?!“, starrte Hanna auf mein Sotoba und war wie von mir kalkuliert mehr als nur verwirrt: „Wie kann das sein?!“ „Überraschung“, grinste ich und mein Sotoba fing in meiner Hand an zu leuchten, als ich seine Maskerade löste. Die Dämonen verschwanden vor mir in einem hellen grünen Licht. Ich spürte das Gewicht von meiner Sense schwinden. Im selben Moment setzte ich nach und zog meine Death Scythe durch die beiden Dämonen. Die Tatsache, dass ich nichts sah, war kein Nachteil mehr. Sie war Alltag geworden, weswegen mich blendendes Licht oder verschleiernde Dunkelheit im Kampf nicht mehr tangierte. Ein fieses Lachen quoll aus meinem Mund, als das Licht verebbt war und ich die Flecken, die die beiden Dämonen für mich waren, auf dem Rasen liegen sah: „Reingefallen, hehe!“ Hannah war offensichtlich schwerer getroffen, als Claude. Denn im Gegensatz zu ihr stemmte dieser sich schon wieder auf. Ich schlenderte ohne Eile auf den Dämonen zu und hielt ihm die Spitze meiner Death Scythe ins Gesicht: „Ist dir dieser Zahnstocher lieber, Butler? Kehehe!“ Ich legte all mein Amüsement und meine offenkundige Verachtung in den Satz, damit er Claude so tief traf wie es nur ging. Das wütende Grollen was aus seiner Kehle stieg und der blanke Zorn in seinen goldenen Augen, als er mich von unten anschaute, zeigten mir, dass es funktioniert hatte: „Sei dir deiner Unsterblichkeit nicht zu sicher!“ „Der Einzige, der heute sterben wird“, grinste ich dem Dämon entgegen und hob meine Sense über meinen Kopf, als ich entschloss dem Geplänkel zwischen ihm und mir ein Ende zu setzen und mich nun endgültig daran zu machen den Dämon in seine Einzelteile zu zerlegen. Möglichst langsam, möglichst lange und möglichst qualvoll: „He he he. Bist du!“ Mit Schwung wollte ich ihm meine Sense in den Rücken rammen, doch Claude entkam, wenn auch reichlich knapp. Ich sprang dem Dämonen sofort hinterher. Brachial schwirrte das Aufeinanderprallen unserer Klingen durch die kalte Abendluft, begleitet von meinem von grausigem Pläsier getragenen Lachen, das dieses Intermezzo ununterbrochen aus meiner Kehle kriechen ließ. Ich konnte es nicht verneinen. Kämpfen amüsierten mich ungemein und allein die Aussicht diesem Dämon endlich seinen Hals umzudrehen löste schon eine Art sadistische Befriedigung in mir aus. Eine Zeitlang schlugen und traten der Butler und ich aufeinander ein. Dann hatte sich auch Hannah wieder aufgerappelt und kam dem bebrillten Dämonenbutler zur Hilfe. Ich blockte Claudes Schwert und trat Hannah mit dem Fuß weg. Doch die Beiden sprangen sofort wieder auf mich zu. Nun blockte ich Hannah und trat Claude weg. So drehten ich und der Kampf sich im Kreis. Immer und immer weiter. Es kam nur darauf an, wer als erstes müde wurde. Ich tippte auf Hannah, die schon langsam ein wenig an Geschwindigkeit verlor. „Weg hier!“, hörte ich den Earl Trancy, der nicht mehr mit einem klaren Erfolg zu rechnen schien: „Wir verschwinden!“ „Wie ihr wünscht, eure Hoheit!“, antworteten ihm seine Diener noch, während ich sie ein weiteres Mal über den Rasen schlittern ließ. Die Maid sprang zurück, schlang Oliver ihren Arm um die Taille und zog ihn mit sich in einen hohen Sprung über die Mauer des Parks. Ich wollte ihr hinterher setzen, die Beiden nicht so einfach entkommen lassen, doch noch bevor ich ein Sotoba greifen und nach ihnen werfen konnte, stand Claude wieder direkt vor mir und zwang mich meine zweite Hand wieder an meine Sense zu nehmen, um ihn zu parieren. „Dein kleines Extra, pahaha!“, lachte ich Claude mit meiner ganzen Missachtung entgegen, der mit seinem Schwert auf meine Sense gestützt sofort vor meiner Nase hing: „Nützt nichts, wenn du nicht triffst!“ „Irgendwann“, knurrte er mir entgegen: „Bekommst du das alles zurück.“ Der Dämon schien nicht verstanden zu haben, das ich nicht vorhatte ihn entkommen zu lassen: „Für dich gibt es kein Irgendwann mehr, wenn ich mir dir fertig bin, Dämon. Tehehe!“ „Oh doch, gibt es“, etwas dunkles, hinterhältiges blitzte in Claudes Augen auf. Ich sah eine Idee darin, die mir definitiv nicht gefiel: „Auch du hast Schwachstellen.“ „Zum Beispiel?“ „Zwei, die sich nicht wehren können.“ ‚Nein!‘, ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen kurz größer wurden und das Claude dies auch mitbekam. Ein verstehendes, böses Lächeln zog sich über sein Gesicht, als er sah, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Dass ich ihm bestätigt hatte, dass diese zwei Mädchen meine Schwachstelle waren, war zu selben Teilen schlecht für mich, als auch für die Mädchen selbst. Denn nun wusste der Dämon, dass er nicht mich attackieren musste um mich so hart wie möglich zu treffen und ich wusste, dass er dieses Wissen auf die abartigste und hinterhältigste Weise nutzen wird, die ihm einfiel. Immer und immer wieder. Meine böse Erkenntnis forderte meine Aufmerksamkeit nur für eine Sekunde. Doch mehr brauchte der Dämon nicht, um von meiner Klinge weg in die Luft zuspringen und einige seiner goldenen Messer durch die Luft sirren zu lassen. Nicht auf mich zu. Sondern auf Skyler und Amber. Ich wirbelte herum. „Amy!“, warf sich Sky über ihre beste Freundin, als sie die Messer auf sich zu rasen sah. Ich verschwand von meinem Platz, um mich vor die Mädchen zu werfen, doch was ich sah ließ mich bei der Hälfte irritiert abbremsen und mich ein ganzes Stück durch meinen Schwung mit meinen Absätzen tiefe Schneisen in den Rasen ziehen. Ich traute meinen Augen nicht. Die Messer des Dämons bohrten sich in den Rasen. Dort, wo die beiden jungen Frauen gesessen hatten. Eben noch. Ich starrte mit ungläubigen Augen auf die Stelle. Sie waren einfach verschwunden! Von jetzt auf gleich! Ich hörte Claude auf dem Metallgeländer vor dem Ufer der Themse landen und drehte meinen Kopf zu ihm. Der Dämon saß auf dem Geländer und blinzelte dem leeren Stück Rasen genau so verwundert entgegen wie ich. Unsere irritierten Blicke trafen sich kurz, wanderten nochmal zu dem verlassenen Fleckchen Erde und wieder zu dem jeweils anderen. Mit den gleichen stummen Fragen im Gesicht schauten der Dämon und ich uns weiter an: ‚Wie? Wohin?‘ Ich spürte förmlich die Glühbirne in meinem Kopf anspringen. Skys Fluch! Etwas, dass mir Amy erzählt hatte, sprang mir ins Gedächtnis, als ich vollkommen verdutzt die Stelle anblinzelte, die nun leer war. Ein Phänomen was sie schon hin und wieder bemerkt hatte, doch nie mit einen Fluch in Verbindung bringen konnte: ‚In dem Moment hatte ein Blitz eine der Fahnenstangen auf dem Hof, direkt neben unserem Fenster erwischt und es war ganz kurz unglaublich hell und laut geworden. Kaum konnten wir wieder sehen, war sie verschwunden!‘ Sky schien es nicht kontrollieren zu können, doch eine der Fähigkeiten, die ihr Fluch wohl mit sich brachte, hatte ich wohl gerade mit eigenen Augen miterlebt: Die junge Frau hatte wohl die Möglichkeit einfach zu verschwinden. Eine Möglichkeit, die sich gerade als außerordentlich praktisch herausstellte. Ein schrilles Lachen brach aus meinen Lippen. Ein Lachen der Erkenntnis und auch ein Lachen der Erleichterung. Denn nun waren die Mädchen aus der Gefahrenzone und Claude konnte sich seinen fein erkannten Schwachpunkt an den Hut stecken. Ich drehte mich endgültig zu Claude und hob verschwörerisch eine Hand: „Nehehehehe! Du hättest wissen sollen, dass man eine Phantomhive und ihre Freunde nicht unterschätzen sollte, Butler. Tehehehe!“ Der Dämon zog hinter seiner eckigen Brille die Augen zusammen: „Wo sind sie hin?“ Mit einem weiteren schrillen Lachen schulterte ich meine Sense und ging ein paar Schritte zu ihm: „Du wärst noch nicht einmal der Letzte, dem ich das verraten würde. Kehehehe!“ Abgesehen davon, dass ich es ja selbst nicht wusste. Aber das musste der Dämon ja nicht unbedingt wissen. Claude stellte sich auf seinem Geländer auf: „Es ist auch irrelevant. Es wird Zeit für mich zu gehen.“ ‚Das wollen wir sehen‘, ich sprang auf Claude zu: „Ich bin noch nicht fertig mit dir, Dämon!“ Dieser sprang von dem Geländer und somit aus der Schlagweite meiner Sense weg. Mit einem Fuß stieß ich mich ebenfalls vom Geländer ab und sprang Claude hinter her. Dann erreicht ein bedrohliches Zischen mein Ohr. Etwas zerriss die Luft hinter mir. Ich drehte mich im Sprung und brachte meine Sense vor mich. Etwas Weißes krachte davor, hart, und brachte mich von meiner geplanten Sprunglinie ab. Als ich mich im Fallen fing, sah ich was es war: Eine großer, reinweißer Engelsflügel. Eine Hand schnappte Claude, klappte den Dämon in die zwei prächtigen Schwingen und stürzte mit ihm in den River Thames. Das Gesicht des Engels hatten meine schlechten Augen leider nicht erkennen können. Nur der Flügel direkt an meiner Sense war für einen Moment scharf gewesen, wie seine Federn selbst. Ich landete. Ärger quoll in mir auf. Es stand außer Frage, dass es sich um denselben Engel handelte wie an Halloween und schon wieder hatte er mir den Dämon direkt unter meiner Sense weg gehascht. Ein dunkles Grollen vibrierte in meiner Kehle, als ich versuchte der heißen Wut in mir Herr zu bleiben. Nachdem ich zweimal tief durchgeatmet hatte, entließ ich meine Sense und fuhr mir seufzend durch den Pony. Irritiert fiel mir etwas auf. Ich schaute auf meine Hände. Sie zitterten. Und ich konnte nichts dagegen tun. Ein komisches Gefühl zog durch meinen Körper und verjagte auf einmal meine Wut. Es war ein unfassbar seltsames Gefühl. Das Gefühl tiefer, wirklich tiefer Erleichterung. Ein Lachen, das komisch schmeckte, fuhr unkontrolliert aus diesem tiefen Gefühl: „Hahahaha! Sie lebt… Sie hat...“, ich legte eine Hand auf mein so ungewohnt klopfendes Herz: „...Überlebt… Ehehehe!“ Ich legte meine andere Hand über meine Augen: „Und ich… werde noch endgültig wahnsinnig wegen ihr...“ Als ich mein Gesicht wieder aus der Hand nahm, zitterte diese immer noch. Ich hatte vergessen wie sich das anfühlte. Ich hatte vergessen wie sich zitternde Hände anfühlten. Wie sich ehrliche und alles durchdringende Erleichterung anfühlte. Wie es sich anfühlte, wenn die zu zerreißen drohende Anspannung einfach von einem abfiel und alles Schlechte mit sich nahm. Obwohl der Dämon immer noch lebte, heute hatte ich gewonnen. Denn heute war dem schönen Ding nichts passiert. Ich hatte gegen Claude und Hannah gewonnen. Und gegen das Schicksal selbst. Diese Erkenntnis und ein Blick auf meine immer noch an meiner Hand hängenden Taschenuhr ließ mich abermals auflachen. 17:59 Uhr. Ich bemerkte erst jetzt, dass ihr Glas gesprungen war, doch das war mir gerade vollkommen egal. Ich hatte einen Sprint gegen die Zeit gewonnen. Doch nun, wo endlich alles vorbei war. Wo ich wusste, dass die schöne Sky überlebt hatte, konnte ich endlich durchatmen. Meine Lungen brannten unterschwellig, als hätte ich in den letzten 18 Minuten, seitdem mich William angerufen hat, gar nicht mehr geatmet. Jetzt, wo ich wieder zu atmen begonnen hatte, stützte ich mich auf meine Knie und begann auch wieder zu denken. Warum zur Hölle hatten sich die Beiden so in Gefahr begeben? Wussten sie überhaupt wie gefährlich diese Aktion gewesen war? Konnten sie sich das nicht denken? Ich musste wieder an dieses eiskalte Gefühl denken. An diesen tiefen Schock nach Williams Worten. Was war bloß in die Beiden gefahren? Warum? Und wofür? Ich kam nicht umher zu denken, dass Amber die treibende Kraft bei dieser ganzen Unternehmung gewesen war. Draufgängerisch genug wäre die Jüngste der Phantomhives. Ganz im Gegenteil zu ihrer besten Freundin, die nicht wirklich die Abenteuerlust gepachtet zu haben schien. Warum hatte sie bei so etwas mitgemacht? Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: ‚Ok… Natürlich. Ich bleibe bei Amy.‘ Ich schlug die Hand vor mein Gesicht: „Natürlich… Das Versprechen… Ich Hornochse...“ Ich ließ meine Hand vom Gesicht fallen und seufzte dem grünen Gras entgegen. Das war ja prächtig nach hinten losgegangen. Mit Pauken und Trompeten und anbei mit allen Regeln der Kunst. Aber warum hatte Sky es Amy nicht ausgeredet? Sie von mir aus an den Haaren an eine Laterne gebunden! Es war mir immer noch vollkommen unverständlich, wie Amy auf diese Idee kam und Skyler ihr nur wie ein Lemming hinterher läuft. Mit einem dritten Seufzen fiel mein Blick auf etwas, das im Rasen glänzte. Ich streckte meine Hand danach aus, die sich immer noch nicht so ganz beruhigt hatte. Mit spitzen Fingern zog ich eine silberne, zerrissene Kette aus den Grashalmen, an der ein Pentagrammanhänger besetzt mit Malachitsteinen hing. Es war Skys Kette. Ich schüttelte den Kopf und verstand diese Aktion einfach nicht. Sie war nicht nur unbeschreiblich gefährlich gewesen, man konnte sie auch nicht mehr mit naiv beschreiben. Sie war einfach nur dumm gewesen. So dumm und so gefährlich, dass sich ein saures Gefühl verständnislosen Ärgers in mir zusammen braute und die Erleichterung vertrieb. Warum all dies nötig war, das sollten mir die zwei Grazien erst einmal plausibel erklären. Ich wollte hören, weswegen ich heute fast einen Herzanfall bekommen hatte. Sie konnten auch nicht wieder gut machen, dass William für sie mindestens 5 seiner heißgeliebten Regeln gebrochen hatte. Der Anruf des Aufsichtsbeamten hatte mich verwundert und zu gleichen Teilen tief begeistert. Williams Philanthropie findet nicht oft ihren Weg ans Tageslicht. Doch im Endeffekt war es nur schön und gut zu wissen, dass auf ihn immer Verlass war. Doch nun wollte ich hören, was die zwei Damen zu ihrer Verteidigung zu sagen hatten. Ich wusste jetzt schon, dass sie nicht rechtfertigen werden können, was gerade alles passiert war. Doch erst musste ich sie finden. Ich ging ein paar Schritte durch den Park, fischte auch Amys Kette aus dem Gras und schaute mich um. Ich spürte sie nicht. Sie waren nicht mehr in der Nähe. Ich seufzte leise: „Besser ist das...“ Nach einem zweiten Seufzer rieb ich mir durch die Augen. Der helle Wahnsinn, der sich in den letzten 20 Minuten abgespielt hatte, war genug gewesen damit ich mich tatsächlich irgendwie müde fühlte. Meine Hände zitterten immer noch. Nur leicht, aber sie taten es. Erschöpft und geschüttelt von dem Schreck, der Anstrengung und dem ganzen Adrenalin was noch in meinen Adern surrte und nur langsam abgebaut wurde. Ich ließ Revue passieren, was Amy in der kleinen Krisensitzung über Skylers Eigenart zu verschwinden alles gesagt hatte, bis mir etwas in den Sinn sprang was mir tatsächlich weiter half: ‚Ein anderes Mal hatte sie eine Gruppe Mädchen wegen ihrer billigen Schuhe geärgert und noch 2 oder 3-mal mehr. Ich hab sie immer im Irrgarten aufgelesen, doch sie meinte jedes Mal sie wusste weder was sie dort mache, noch wie sie dahin gekommen sei.‘ Der Irrgarten hinter dem Wohnheim der ‚Violet Wolf’s’. Nachdem ich meine Sotoba eingesammelt und im Mantel versteckt hatte, sprang ich wieder auf das nächste Hausdach und beschritt dieses mal um einiges weniger hastig meinen Weg zum Weston Ladys College. Ich musste nicht mehr hetzen. Selbst in einem angenehmen Lauf war ich schnell am Wohnheim der zwei Freundinnen, die mir heute den Schreck meines sehr alten Lebens eingejagt hatten. Ich spürte ihre Präsenzen in der Nähe ihres Wohnheimes. Mein Erinnerungsvermögen schien mich also noch nicht ganz verlassen zu haben. Ich landete auf einer der Statuen und sah, wie hörte Skyler laut auf Amy einreden. Sie warf ihre Hände nach vorne und schrie ihre beste Freundin an: „Darum geht es doch gerade gar nicht! Es geht darum, dass sich Undertaker gerade wegen uns mit einem Dämon prügelt, der irgendein komisches Höllenschwert mit sich herumschleppt, das schon echt nicht nett aussieht! Wenn Claude dann auch noch die Wahrheit gesagt hat, ist das scheiße gefährlich verdammt noch mal!“ ‚Ach‘, dachte ich mir und verzog eine Schnute, als ich meine Arme verschränkte: ‚Schön, dass euch beiden auch aufgefallen ist, dass das gefährlich ist. Ihr seid flott. Wirklich.‘ Ich schüttelte den Kopf in vollkommenem Unverständnis. Was bitte hatten die Beiden erwartet? Dass die Trancy sie zu Gesang und Tanz in lockerer Runde einladen? „Ich weiß, ich weiß! Man!“, griff sich Amber mit beiden Händen an den Kopf und klang fast verzweifelt: „Aber wir können nichts tun!“ Ich zog ein Augenbraue hoch: ‚Fein erkannt. Wirklich.‘ Mein Mitgefühl über die Verzweiflung und Sorge der Mädchen hielt sich in Grenzen. Ich sah auch nicht ein zu ihnen zu gehen und sie schon zu erlösen. Wenn ich mir heute schon so immense Sorgen machen musste, durften sie gerne ein Stück davon abhaben. „Es muss doch etwas geben“, rief Skyler schrill und ich würde sagen fast hysterisch: „Amy! Irgendwas!“ ‚Jup‘, machte ich trocken in meinem Kopf: ‚Euch und mich erst gar nicht in so eine Situation bringen. Beispielsweise.‘ Amy fing an mit den Händen zu wedeln: „Aber ich weiß nicht...“, plötzlich deutete sie mit einem hüpfenden Zeigefinger auf Sky: „Doch! Doch, ich weiß!“ Meine Augenbraue wanderte höher: ‚Aha? Was kommt jetzt, Amber? Schnapsidee, die Zweite?‘ „Was?!“, keifte Skyler schrill und ungeduldig. Ich unterdrückte ein Lachen. Ihre blanke Sorge und Verzweiflung war ja schon irgendwie knuffig. Amy zog ihr Handy Tasche: „Ich ruf Sebastian an!“ ‚Oh ne...‘, stöhnte ich in meinem Kopf und er kippte nach rechts. Ich hatte keinen Lust mehr auf Dämonen. „Und schick ihn hinterher!“, fuhr Amber fort. ‚Oh ne...‘, kippte mein Kopf nach links. Jetzt war ich dem Engel doch irgendwie dankbar Claude mitgenommen zu haben. So schnell wäre ich mit ihm nicht fertig gewesen. Doch von Sebastian wollte ich mich, als allerletztes retten lassen. Nein. Ich wollte mich auf keinen Fall und unter gar keinen Umständen von Sebastian retten lassen. Amy grinste in angesichts ihres Masterplans für meine Rettung: „Sobald es um Claude geht ist er Feuer und Flamme!“ ‚Ja, das ist wohl war‘, ich seufzte ein weiteres Mal stumm: ‚Wenigstens geht aus diesem genialen Einfall nicht ihr sicherer Tod hervor...‘ „Red nicht lange!“, rief Skyler immer noch vollkommen außer sich: „Hau in die Tasten!“ ‚Nein… Tu‘s nicht‘, mit diesen Gedanken war ich auch schon von meiner Statue verschwunden und neben Amy aufgetaucht. Mir ihr Leiden anzuschauen war mir nicht so viel Wert, wie meine Ruhe vor diversen dämonischen Butlern. „Nicht nötig“, rupfte ich der Phantomhive recht gereizt das Handy aus der Hand: „Lass den Hund in seiner Hütte.“ Mit einem spitzen Schrei landete Amy wieder auf ihren Rücken. Mein Ärger über ihre hirnverbrannte Dummheit saß so tief, dass ich noch nicht einmal über das geschockte Gesicht der Adelstochter lachen konnte. „Undertaker!“, hörte ich Skyler rufen und drehte meinen Kopf zu ihr: „Geht es dir gut?!“ Ich verschränkte die Arme. Sie sollte aufhören sich Sorgen um mich zu machen, ich konnte mich gegen Dämonen wehren. Sie sollte eher anfangen sich Sorgen um sich selbst zu machen, die es nicht konnte. Mein Fuß tippte auf den unebenen Steinboden, als ich die junge Frau musterte, der man ganz deutlich ansah, dass sie meinen Ärger und meine Unangetanheit deutlich merkte. Ihr Gesicht um ihre feine Nase wurde mit jedem Tippen meines Fußes und mit jeder Sekunde, die ich sie mit Schweigen und deutlich unbeschwingten Blicken strafte, blasser. Nach ein paar Minuten fiel sie von ihren Knien wieder auf ihren Hosenboden und schaute mich an, als sei ich das Damoklesschwert über ihrem Kopfe. Amy allerdings stemmte sich nach ein paar Minuten wieder auf ihre Knie: „Undertaker, wir…!“ „Hush!“, hob ich meine Hand. Die Adelstochter verstummte sofort und die Mädchen hatten endgültig und Beide ihre Gesichtsfarbe verloren. Doch ich wollte, dass sich die voreilige Phantomhive ganz genau überlegt, was sie nun sagen wollte. Und vor allem sollte sie jetzt auf keinen Fall versuchen sich herauszureden. Dann würde ich sie zur Strafe für eine Woche in irgendeinen möglichst dunklen und möglichst nassen Keller sperren und ihr Brot und Gänsewein zu essen geben. Etwas worauf sie es heute schon so sehr angelegt hat, dass ich fast dazu geneigt wäre zu denken, sie wolle eh auf so etwas hinaus. „Ich will deine Ausflüchte nicht hören, Amber“, steckte ich meine Hand wieder unter meinen anderen Arm, als ich es hinter den 4 blauen Augen der jungen Frauen nun zu genüge rattern sah: „Ich will wissen wie ihr Beide darauf gekommen seid, es sei eine wunderbare Idee den Wesen hinterher zu schleichen, die euch offenkundig entführen wollen. Wenn nicht sogar Schlimmeres. Welcher Teufel euch geritten hat, das interessiert mich wirklich brennend.“ Skylers Gesicht wurde knallrot. Amys aschfahl. Mein Mitleid hielt sich immer noch gehörig in Grenzen. Die Beiden sollten sich bewusst werden, was für ein Drahtseilakt ihre Rettung wirklich war: „Warum denkt ihr veranstalten wir so einen Zirkus, damit euch nichts passiert, hm? Weil die Trancys ja eigentlich gar nicht so gefährlich sind und wir eigentlich nur nichts Besseres zu tun haben? Habt ihr den Verstand verloren?“ Amy und Sky ließen ihre Köpfe hängen. Sie schauten den Boden an und sagten nichts. Obwohl ich ihre Gesichter nicht mehr sah, konnte ich ihre Überforderung, ihre Erklärungsnot und ihre peinliche Scham förmlich spüren. Ein Gefühl, in dem sie sich ruhig noch ein paar Minuten ergehen können. Doch Antworten wollte ich trotz allem. Und ich wollte sie jetzt: „Ihr sollt mir jetzt übrigens antworten.“ „Wir… also… nein“, begann Amy zu stottern, als sie merkte, dass Schweigen und Beten keine gute Taktik war: „Sky hat nichts gemacht. Wirklich. Sie hat die ganze Zeit probiert mich davon abzuhalten...“ Ich wechselte mein Standbein und tippte nun mit dem anderen Fuß weiter auf den Boden. Also hatte ich mit meiner Vermutung, dass die Aktion auf Ambers Mist gewachsen war, ein weiteres Mal ins Schwarze getroffen. Es überraschte mich nicht im Mindesten. Doch Sky schüttelte ihren hängenden Kopf: „Wir, Amy... Mitgehangen, mitgefangen...“ Ich merkte wie viel Mühe Skyler das Sprechen machte. Ich merkte, dass sie schon lange verstanden hatte und alles bereute, was geschehen war. Doch es änderte an meinem Ärger nichts. Es ändert nichts an den 6 oder mehr Regeln, die William und Grell für sie gebrochen hatten. Er änderte nichts daran, wie sehr Williams Anruf mich eigentlich geängstigt hatte. Nichts an den bangen Minuten, in denen ich fuchsteufelswild und wie der letzte Wahnsinnige durch London gerannt war, um noch irgendwie pünktlich zu sein. Amy schaute ihre beste Freundin derweilen nur fragend an und war wieder von ihren Worten verlassen. Doch meine Geduld war im Moment genauso knapp bemessen wie meine Güte: „Eure Loyalität in allen Ehren. Eine Antwort von euch habe ich immer noch nicht. Nun?“ „Ich...“, stammelte Amy vollends verloren und sich jetzt schon gewahr, dass sie keinen guten Grund zum Vorzeigen hatte. Etwas, was mich ebenfalls nicht überraschte: „...Wir… Wir wollten… eigentlich nur einen Kaffee trinken und...ja ...“ „Da dachtet ihr es wäre eine fabulöse Idee die Trancys zum nachmittäglichen Kaffeekränzchen einzuladen.“ Die beiden Freundinnen verstanden sofort, dass dieser Satz mitnichten lustig gemeint war. Hätte eine von ihnen gelacht, wäre ihre Schlafkammer für die heutige Nacht tatsächlich mein Keller geworden. Der Keller, in dem ich damals an meinen Dolls gearbeitet hatte, bevor ich Stoker kennen lernte. Die Beiden können sich gar nicht bewusst sein wie wenig sie das wollten. „Nein…“, schüttelte Amy den Kopf und blinzelte mich von unten an: „Wir haben sie zufällig auf der Straße gesehen und da dachte ich… wir können die Gelegenheit beim Schopfe packen.“ „Die Einzigen“, begann ich mit meinen Fingern auf meinen Arm zu tippen: „Die hier am Schopfe gepackt wurden seid ihr, meine Damen.“ „Ich weiß“, ich merkte, dass Amy das Antwortenrepertoire ausging: „Es war keine… sonderlich weise Entscheidung.“ Damit hatte sie wahrlich recht, was nicht dazuführte, dass es mir - und dadurch ihnen – besser ging: „Die Einsicht kommt ein bisschen zu spät, findest du nicht auch?“ „Ja...“, pflichtete die Phantomhive kleinlaut bei. „Ich habe“, stemmte ich meine linke Hand in die Hüfte und fuhr mir mit der rechten kopfschüttelnd und immer noch in Teilen gestresst durch meinen Pony, als ich abwog, ob ich den jungen Frauen erzählen soll, wie ihr Abenteuer wirklich enden sollte oder nicht. Nach ein paar Sekunden entschied ich mich dafür. Aus ‚Schicksal‘ war noch einmal ‚Ein Schuss vor den Bug‘ geworden. Doch die Beiden mussten das wissen um zu kapieren, was sie heute eigentlich angerichtete hätten: „In meinem langen Leben schon unsagbar viel erlebt, aber nur selten ist mir etwas so unfassbar Dummes unter gekommen. Ihr habt selbst Ciel um Längen geschlagen, meine Damen. Und das ist eine Leistung, die ihres Gleichen sucht. Was dachtet ihr könntet ihr tun, außer euch umbringen zu lassen? Ihr wart dort draußen mutterseelenallein. Dass ich euch zur Hilfe eile war übrigens vom Schicksal nicht vorgesehen. Ich habe einen Herzinfarkt bekommen, als William mich in meinem Laden anrief und mir erzählte, dass Skylers Name auf der Liste steht.“ Mit einem erschrockenem Laut zuckte Skylers Kopf zu mir hoch: „Mein… Mein...“ „Was?!“, war Amy sichtlich entsetzt: „Skyler sollte sterben?“ „In der Tat“, blieb ich hart, als ich erkannte, dass den beiden Grazien wirklich erst jetzt klar geworden war, in was für einer Gefahr sie geschwebt haben. Ich hoffte, dass dieser Schock ein heilsamer war: „Sollte sie. An Blutverlust.“ Minuten starrten mich die Mädchen an. Weiß wie die Wand. Vollkommen schockiert. Erschüttert bis ins Mark. Ich wusste wie sie sich fühlten. Ich hatte mich bis vor ca. 25 Minuten genauso gefühlt. Ich schüttelte erneut den Kopf, als ich den Beiden erzählte wie es überhaupt zu ihrer vom Schicksal nicht geplanten Rettung gekommen war: „Wie habt ihr euch denn vorgestellt, endet euer kleines Abenteuer, hm? Grell ist wie von der Tarantel gestochen in Williams Büro geplatzt und hat ihm wie eine Furie seine Liste unter die Nase gehalten. Ihr solltet den Beiden untertänigst danken, wenn ihr sie das nächste Mal seht.“ Ich hob immer einen Finger mehr, als ich zum Unterstreichen meiner Aussage die Regeln aufzählte, die William gebrochen hatte. Einfach, weil sich Amber und Skyler sicherlich vorstellen können wie viel es brauchte bis William Regeln brach. Nur, dass er in Skylers Buch geschaut hatte ließ ich aus. Das junge Ding war im Endeffekt schon geschockt genug, aber mein Ärger noch nicht bedient: „ ‚Einmischen in die Angelegenheiten der Menschen‘; ‚Einmischen in den Lauf des Schicksals‘; ‚Eigenmächtiges Ändern von Todesdaten, ohne Erlaubnis der Administrative‘; ‚Zurückhaltung von Information gegenüber der Führungsebene‘ und ‚Weitergeben von Informationen an Ausgetretene‘. Das sind die fünf Regeln, die William alle auf einmal gebrochen hat, indem er mich anrief und mir erzählte das, wann und vor allem WO du sterben sollst, Skyler. Hätte er mir nicht von sich aus alle Informationen gegeben, hätte ich euch erst suchen müssen. Dann wären wir alle aufgeschmissen gewesen. Denn dann wäre ich nicht mehr pünktlich gekommen. Ich hätte erst eine Ahnung gehabt wo ihr überhaupt seid, als euch die Dämonen die Ketten abgerissen haben. Ich bin schon so gerade einmal 2 Minute vor deinem eigentlichen Todeszeitpunkt bei euch angekommen, Sky“, ich hob bedeutungsschwer den Zeige- und Mittelfinger meiner freien Hand. In der anderen hielt ich immer noch Ambers Telefon: „2 Minuten. 120 Sekunden. Vielleicht versteht ihr jetzt, wie knapp ihr eigentlich mit eurem Leben davon gekommen seid.“ Skyler begann zu zittern und starrte mich mit großen, himmelblauen Augen an. Die großen himmelblauen Augen, die ich fast nie wieder gesehen hätte. Bei diesem Gedanken zog sich mein Herz zusammen und mein Ärger wurde kurz von Angst verdrängt. Angst, diese Augen irgendwann nie wieder zu sehen. Es war heute so knapp gewesen. So unendlich, furchtbar knapp. Diese Angst begünstigte wieder meinen Ärger. Nein. Mein Ärger entsprang eigentlich nur dieser Angst. Ich sah auch wie hinter Skys Augen die Gedanken rasten. Wie hart sie meine Worte trafen. Doch es war nicht ich, der sich ausgesucht hatte, dass die Dinge so verliefen. Mitleid suchten die Beiden bei mir vergebens. Amy starte mich mit offenen Mund an, bevor sie schwer schluckte: „2… 2 Minuten?“ Ich verschränkte meine Arme wieder und schaute weiter auf die beiden am Boden hockenden und so endlos schockierten jungen Frauen: „Ja, 2 Minuten. Das Schicksal zu ändern ist schwierig, wenn man keine Liste hat. Doch ich war gezwungen genau das zu tun, ansonsten würden wir dieses Gespräch jetzt nicht führen. Denn dann wärst du tot, Sky und du, Amy, würdest gefesselt und geknebelt in den Kerkern der Villa Trancy hocken und der Dinge harren die da kommen mögen, während wir versuchen die Scherben zusammen zu kehren, die ihr uns hinterlassen habt. Hätte ich auch nur einen falschen Schritt zur Seite getan, wäre Zappenduster eine sehr nette Beschreibung für alles gewesen, was euch noch erwartet hätte. Alexander und Ronald hatten schon den Verdacht geäußert, dass genau so etwas passieren könnte, als wir uns beratschlagt haben. Erinnerst du dich, Amy? Was habe ich ihnen geantwortet?“ Nervös kaute die Phantomhive auf ihrer Unterlippe herum und blieb stumm. Ich sah ihr genau an, dass sie sich erinnerte: „Ich möchte, dass du es aussprichst, Amber.“ „Die Mädchen sind nicht blöd...“, nuschelte sie schließlich. Ich verstand sie, doch ich wollte, dass sie es richtig aussprach, damit es ihr deutlich und für immer in den Ohren blieb: „Lauter.“ „Die Mädchen sind nicht blöd!“, rief sie schließlich. Wütend. Auf sich selbst: „Du hast gesagt wir seien nicht blöd, verdammt!“ „Genau“, seufzte ich, als nun langsam so etwas wie Mitleid in meine Verdrossenheit schlich: „Ich habe mich wohl geirrt.“ „Oh mein Gott...“, Sky versteckte ihr Gesicht in der endgültigen Erkenntnis meiner Worte in ihren Händen: „Wir haben Mist gebaut…“, schluchzte sie und dieses Schluchzen stach auch durch mein Missfallen hindurch: „Es tut mir so... so unendlich leid...“ Meine Grimmigkeit wich ein weiteres Stück, als ich in den jungen Dingern die endgültige Einsicht sah. „Mist ist weit untertrieben“, betonte ich ein letztes Mal den Ernst der Lage und machte deutlich, dass ich die Motive der Beiden nicht im Ansatz verstand. Ich fand keine. Sie hatten mir auch noch keine genannt: „Ihr habt euch wissentlich und vor allem willentlich in eine Gefahr gebracht, die ihr euch in euren schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen könnt. Doch wozu? Warum zum Himmel und zur Hölle habt ihr das getan?“ Sky rieb sich ihre großen Augen trocken und schaute Amy an. Diese krallte ihre Hände in ihre Hose und ihre Stimme zitterte, als sie endlich mit der Sprache herausrückte: „Ich… Ich wollte auch mal etwas tun… Immer… Immer! Wirklich immer sagen alle nur ‚Pass auf Amy auf‘, ‚Bring Amy hier weg‘. Ich… Ich hasse es! Ich bin eine Phantomhive, verdammt! Und trotzdem total nutzlos! Ein Klotz am Bein! Das kann doch nicht sein! Fred schlägt sich tagtäglich neben seinem Studium mit Mördern und Verbrechern herum und bewirkt was! Er ist nützlich! Ich… Ich tauge zu gar nichts! Ich habe gedacht, jetzt… jetzt könnte ich mal etwas tun… Ich wollte wissen, wo Oliver und Claude hin wollten. Ich hoffte, ich konnte herausfinden, wer der Engel ist und damit… endlich mal… nützlich sein!… Doch… ich habe gar nichts geschafft… mal wieder… Ich bin einfach nur eine Vollniete und ein totaler Versager… Sky habe ich auch in Gefahr gebracht… in Lebensgefahr sogar!… Und dich… Dich auch… Ich bin so ein verdammt blöder Egoist…“, die junge Phantomhive krallte ihre rechte Hand über ihrem Herzen in ihr Oberteil und ich konnte das Leiden darin fast körperlich spüren. Sie versteckte ihr Gesicht in ihren Händen und ihr Leid und ihre Tränen brachen sich ihre Bahn. Sky setzte sich auf die Knie und nahm ihre Freundin in den Arm. Ihre Bewegungen waren steif, doch die Sorge und die Zuneigung für ihre beste Freundin war stärker als die Scham, die Reue und die Einsicht. Gefälligkeit keimte aufgrund dieser Geste und Amys Einsehen in mir auf. „Es tut mir leid, Sky“, schluchzte die Phantomhive und drückte Skyler fester an sich: „Ich hätte auf dich hören sollen… Wenn du gestorben wärst, ich...“. Mein Ärger verschwand mit einem letzten Seufzer. Es war sicher nicht leicht eine Phantomhive zu sein. Vor allem nicht die Jüngste und ein Mädchen bei einem so liebenden, wie überprotektiven Vater wie Alexander. Amy war ambitioniert. Sie war stark. Sie wollte rennen, fallen, wieder aufstehen und das Leben kennen lernen. Sie wollte etwas tun und nützlich sein. Doch Alexander hatte um sein kleines Mädchen viel zu viel Angst. Er hatte noch nicht eingesehen, dass das kleine Mädchen eine gesunde, junge Frau geworden war und ließ so Amys Tatendrang keinen Platz. Doch das alles gab ihr noch lange nicht das Recht ihr Leben und das ihrer Freundin so sinnlos aufs Spiel zu setzen, wie sie es getan hatte. Aber ich hatte das klare Gefühl Amy würde es nie wieder tun. Die Erkenntnis über den Beinaheverlust ihrer besten Freundin schien sie endgültig wachgerüttelt zu haben. Ich setzte mich im Schneidersitz zu den Mädchen auf den Boden. Die Freundinnen hatten verstanden und sie bereuten. Was genug war, war genug: „Ja, hättest du. Keine Information der Welt ist es wert, dass euch etwas passiert“, mit einem weiteren Seufzer legte ich Amy meine Hand auf den Kopf und brachte sie dazu mich anzusehen: „Aber es ist ja alles noch einmal gut gegangen. Irgendwie, aber es ist gut gegangen. Wir leben alle noch. Das ist die Hauptsache.“ Doch die Phantomhive schien sich noch etwas ganz Anderem bewusst zu werden. Der Tatsache, dass ich nicht der Einzige war, der von ihren Einfall wirklich nicht angetan sein wird: „Gut gegangen?! Papa bringt mich um!“ Ein Grinsen erschien auf meinem Gesicht, als ich meinem Mitgefühl erlaubte wieder Einzug zu halten und mich entschloss doch wenigstens ein bisschen Gnade mit der jungen Phantomhive walten zu lassen. Sie hatte verstanden. Eine Standpauke seitens Alexander war einfach nicht nötig: „Tihihi! Was der Earl nicht weiß, macht den Earl nicht heiß!“ „Wie?“, fragte mich Amber noch ganz verweint. Ich wuschelte ihr durch die Haare und hielt dann meinen Handrücken vor meinen kichernden Mund: „Fu fu fu! Er kann dich nicht umbringen, wenn er nicht weiß wofür.“ „Soll das heißen...“, Amy schien sich der Intension meiner Worte erst bewusst werden zu müssen. Die Mädchen ließen voneinander ab und Amy setzte sich wieder auf: „Du hältst dicht?“ Ich nickte der Phantomhive entgegen. Die Atmosphäre entspannte sich, jetzt, wo ich wieder mein Grinsen im Gesicht hatte. Die Mädchen sahen müde aus und waren immer noch am Boden zerstört. Nicht, dass ich diesen Ausdruck in Skylers Gesicht erquicklich fand. Doch es musste sein. Was nicht sein musste war, dass er dort blieb. Es war ein Fehler, ja er war dumm gewesen und ja, er hatte mich zu Tode erschreckt, aber auch Fehlern musste irgendwann verziehen werden: „In der Tat. Ich schweige wie ein Grab“, dann hielt ich Amy bedeutungsschwer meinen Zeigefinger ins Gesicht: „Vorausgesetzt ihr versprecht mir hoch und heilig, dass dies die erste und letzte eigenmächtig in Angriff genommene Heldentat von euch war.“ „Wir versprechen es“, jammerten die Mädchen im Chor und ich hörte sie in ihren Stimmen um Gnade flehen. Ich gab Amy wieder ihr Telefon in die Hand, von dem ich ganz vergessen hatte, dass ich es immer noch festhielt. Ich wurde nicht oft so ärgerlich und es hatte mich selbst ein wenig aus dem Konzept gebracht. Doch ich schaffte es es zu überspielen: „Ich weiß allerdings nicht wie es um die Schweigsamkeit von Grell und William bestellt ist. Hihihi! Es ist schon erstaunlich. Ihr rennt ständig mit diesen kleinen Dingern in der Hand herum und tut etliches damit. Doch wenn sie nützlich wären, benutzt ihr sie nicht. Fu fu fu fu!“ Amy war von dieser Anmerkung sichtlich nicht begeistert, konnte aber auch nichts sagen um sich dagegen zu wehren. Ich stand auf und streckten den jungen Frauen meine Hände hin: „Nun kommt, hehe. Das war definitiv genug Aufregung für einen Tag“, ich zog sie auf die Füße. Kaum hatte sie meine Hände gegriffen, erreichte meine Nase der Geruch von Blut: „Ihr seid in Ordnung?“ Sky nickte immer noch sichtlich sprachlos und betreten. Das schlechte Gewissen in ihrem Gesicht fing nun an mir fast körperlich wehzutun. Ich zauderte kurz, ob mein Vorgehen wirklich das Beste gewesen war, doch schnell wurde ich mir sicher, dass dieser Einlauf so nötig, wie berechtigt gewesen war. Zumindest rechnete ich jetzt nicht mehr mit so gearteten Überraschungen für die Zukunft. Auch Amy nickte, doch sie schaffte es mit mir zu sprechen: „Ja, uns ist nichts passiert.“ Sky schaute auf meine Schulter und das schlechte Gewissen in ihrem Gesicht wurde noch dunkler: „Aber… aber dir...“ Ich schaute kurz auf meine Schulter. Ich hatte ganz vergessen, dass Claude mich mit meinem Sotoba erwischt hatte. Der Kratzer war so klein und unbedeutend, dass ich ihn sofort vergessen hatte. Doch für Sky schien bei seinem Anblick ein Stück Welt zusammenzubrechen. Genau wie damals bei dem Kratzer im Gesicht, der mittlerweile nur noch ein blasser roter Schatten an meiner Wange war. Sky allerdings trug ihre Pflaster noch. Menschen heilten nicht so schnell wie Shinigami und das junge Ding schien eine relativ schlechte körperliche Verfassung zu haben. Vielleicht wegen dem Fluch? Möglich. Aber es war nicht ratsam alles auf ihren Fluch zu münzen. Ich hatte auch ihre Mutter gesehen. Sie war genau so dünn. Wirkte genau so schwach und kränklich. Manche Dinge liegen einfach an schlechten Genen. Oder war es ihre Mutter, die den Fluch vererbte und sie waren beide wegen ihm so zerbrechlich? Theorien. Alles nur Theorien. Theorien, dich mich auch nicht weiter brachten. „Ach, das ist nichts“, grinste er aufmunternd. Doch woher kam der Blutgeruch, wenn den Freundinnen nichts fehlte? Ich drehte die Hände der Beiden um. An Skys schienen mir zwei abgebrochene, blutige Nägel entgegen: „Das sieht schmerzhaft aus.“ Doch sie schüttelte den Kopf: „Ach Quark. Für das, was alles hätte passieren können… sollen... bin ich wirklich glimpflich davon gekommen… Dank dir, Undertaker… Danke...“ Ich seufzte lachend, um die Situation ein weiteres Mal mehr zu entspannen: „Haaaaaa… Nehehehe! Ihr beiden habt mich zu Tode erschreckt! Das ist gar nicht so einfach. Wäre dieses Unterfangen nicht so zum himmelschreiend dumm gewesen, würde ich euch dafür meinen tiefen Respekt aussprechen.“ Dann ließ ich die Frauen los. Amber verschränkte nachdenklich die Arme: „Das wäre sicherlich alles ganz anders gelaufen, hätten wir Hannah gesehen. Ich wette Claude hat mir ihr telefoniert und sie war eigentlich diejenige, die uns bemerkt hat!“ Sky ließ seufzend die Schultern hängen: „Ich habe sie gesehen...“ „Wie bitte?!“, fuhr Amy sie entgeistert an: „Warum sagst du denn nichts?! Das hätte alles wie am Schnürchen laufen können!“ Ich merkte an meiner Stirn eine Ader pochen, als eine meiner Augenbrauen zu zucken anfing. Vielleicht war die Erkenntnis doch nicht ganz so durchgedrungen wie ich es gerne hätte. „Weil ich nicht wusste, dass Hannah Hannah ist vielleicht?“, keifte Sky die Phantomhive an: „Man, Amy! Du Hohlfrucht!“ „Ich bin keine Hohlfurcht!“, zickte die Adelstochter zurück: „Wer weiß, was wir herausbekommen hätten! Man! Wie ärgerlich!“ Das Pochen unter meiner Stirn wurde intensiver und ich verschränkte die Arme, um meine Hände unter Kontrolle zu halten. Eigentlich würde mich so eine Szenerie ja ungemein belustigen, wäre nicht vorangegangen was vorangegangen war. „Hast du sie noch alle?!“, fragte Sky ihre beste Freundin pampig, was ihr eine genauso pampige Antwort einbrachte: „Natürlich hab ich sie noch alle! So kompliziert kann das doch nicht sein! Dad und Fred machen sowas mittlerweile im Schlaf!“ „Alexander und Frederic haben ganz andere Grundvoraussetzungen als wir!“ Meine Finger zuckten unheilvoll. „Trotzdem muss das doch zu schaffen sein! Mit der Info, dass Hannah hinter uns steht hätte sich alles geändert!“ Klick! Noch bevor Amy daran denken konnte ihren aktuellen Satz zu Ende zu sprechen, hatte die pochende Ader an meiner Stirn die Kontrolle über meine Hände erobert und sie noch vorne schnellen lassen. Ich packte jeweils ein Ohr der Mädchen, zog sie an mich heran und schüttelte sie vor und zurück: „Habt ihr Beiden mir überhaupt zugehört!“ „Wir ergeben uns!“, jammerten die Mädchen im Chor. Ich ließ davon ab die Mädchen weiter zu schütteln, aber nicht von ihren Ohren: „Ihr zwei Grazien solltet trotz allem ja nicht denken mit eurer verspäteten Einsicht sei die Sache ausgestanden!“ Sky schaute mich verwirrt und aus ihrer halb gebeugten Position an: „Wie meinst du das?“ „Na!“, sagte ich, als ich endgültig entschied, dass der Erkenntnis des heutigen Tages noch etwas Nachbearbeitung bedarf; „Ihr Beiden steht mächtig in meiner Schuld. Tehehehe! Findet ihr nicht?“ Amber seufzte in Anbetracht allen Übels: „Diese Aussage... Ist der Anfang unsere Endes, oder?“ „Nein“, lachte ich: „Aber ich finde ihr könntet mir einen kleinen Gefallen tun. Nihihi!“ „Du“, Sky zog ungläubig ihre Augen zusammen: „Bestrafst uns?“ „Hihi. Wenn du es so nennen möchtest“, grinste ich ihr weiter entgegen: „‚Gefallen tun‘ gefällt mir allerdings besser. Fuhuhu.“ „Was“, runzelte Amy skeptisch die Stirn: „Für einen Gefallen denn?“ „Nun ja. In meinem Laden könnte mal wieder Staub gewischt werden. Ich finde es, fu fu fu, über alle Maßen fabelhaft, dass ihr euch so freiwillig dafür meldet.“ Amy seufzte erneut. Sie sollte eigentlich nur dankbar sein, dass sie nicht in meinem Keller nächtigen muss: „Ich weiß nicht ob ich erleichtert bin, dass dieser Gefallen nichts mit Toten zu tun hat, oder ob ich Angst davor haben sollte...“ Diese Aussage amüsierte mich dann doch wieder ehrlich und ich lachte, als ich immer noch mit den Ohren der Mädchen in der Hand auf den Ausgang des Irrgartens zu lief: „Für heute reicht es allerdings erst einmal. Ich erwarte euch übermorgen um 17 Uhr bei mir, meine Damen! Seid pünktlich!“ „Aua!“ jammerten die Mädchen an meinen Händen. Als wir vor dem Wohnheim standen entließ ich die Ohren der beiden Senior Schülerinnen und verschränkte die Arme: „Nihihi. Ihr werdet jetzt auf euer Zimmer gehen und gut daran tun, es heute nicht mehr zu verlassen.“ Sie nickten immer noch sichtlich in Scham und Schande. „Es tut mir leid, Undertaker“, hauchte Amy: „Wirklich...“ Mit einem seichten Schnauben schüttelte ich den Kopf: „ Ich kann mir vorstellen wie schwer es ist eine Phantomhive zu sein und dich zum Teil sogar verstehen. Doch Entschuldigungen ändern nichts, Amy. Es ist gelaufen, wie es nun mal gelaufen ist. Ich kann nichts anderes tun, als mich auf euer Versprechen zu verlassen. Und das tue ich auch, hört ihr?“ Wieder ein stummes Nicken. „Nehehe. Und jetzt nutzt den Rest des Abends um euch zu beruhigen. Ach ja! Wie lief eigentlich eure Klausur?“, wechselte ich dieses leidige Thema und wollte verhindern, dass Entschuldigungen und ärgerliche Worte das letzte waren, was die Mädchen und ich wechselten. Die Schülerinnen musterten sich zerknautscht und ich konnte mir die Antwort fast denken. „Total scheiße“, kam es von Amy. „Voll in den Sand gesetzt. Lowell dreht uns durch den Wolf“, bestätigte sie Skyler. Doch ich lachte: „Fuhuhu! So schlimm wird es schon nicht sein!“ „Oh doch...“, antworteten die Schülerinnen im Chor. Ich giggelte die Mädchen an: „Na, na, hehe! Ihr werdet das schon durchstehen. Ich glaube an euch.“ Dann hielt ich den Beiden ihre Ketten ins Gesicht: „Hier, ehehe. Ich gebe euch übermorgen eine neue Kette dafür. Steckt sie solange in die Tasche. Und nun kusch! Rein mit euch!“ Amy winkte, nachdem sie sich ihre Kette genommen hatte: „Bye, Undertaker… und danke nochmal.“ Sky schaute schräg nach unten und nahm ihre Kette eher zögerlich: „Mach‘s gut… Bis… bis übermorgen… Danke..“ Dann gingen die beiden Freundinnen ins Wohnheim. Mit einem abschließenden Seufzen beschloss ich dieses Kapitel des Tages zu schließen und für Merkenau ein paar Kräcker zu besorgen. Schließlich hatte ich dem kleinen Vogel meinen Tee ins Gesicht und überall anders hin gespuckt, der wie immer so zuckrig war, dass der kleine Kerl sicher furchtbar verklebt war. Also musste ich ihn auch noch baden. Vor dem Campustor sprang ich auf einen Baum und beschritt London ein letztes Mal für diesen Tag über die Dächer seiner Gebäude. Mein Weg führte mich noch einmal zurück zum Park. Ich hatte in meiner Eile mein Tuch, meine Anhänger und meinen Hut einfach weggeworfen. Hut und Tuch fand ich, band ich mir um und setzte ich mir auf, doch nach meinen Medaillons suchte ich fast 3 Stunden. Ich drehte im Umkreis des Parks jeden verdammten Stein um, doch… sie waren nicht da. Nirgendwo. Wut wallte in mir auf. Wut und aus ihr resultierend wieder eine riesige Portion Ärger. Ich suchte in den hintersten Ecken. War sogar in einen Gully geklettert, doch nichts. Sie waren einfach nicht zu finden. Meine Lockets waren aus purem und vor allem massivem Gold, waren dementsprechend viel wert und hatten einfach auf dem Boden gelegen. Bestimmt hat sie irgendjemand eingesteckt, um sie für viel Geld zu verhökern. Resigniert und furchtbar verstimmt seufzte ich, als ich mich daran machte die Pfandleier abzugehen. Doch wo ich auch hinging, meine Anhänger blieben verschwunden. Kapitel 11: Die Leichen des Bestatters -------------------------------------- Sky Zwei Tage später waren Amy und ich auf dem Weg in Undertakers Bestattungsunternehmen, um unsere wohlverdiente Strafe für unsere Hirnrissigkeit abzuarbeiten. Als wir dort ankamen schauten wir etwas verwundert auf die offenstehende Türe. „Tu nicht so, als ob du es nicht verstehst“, wehte uns eine strenge Stimme entgegen. Ich erkannte sie sofort und der Blick, den ich mit Amy tauschte, verriet mir, dass sie es auch tat: William. „Hehehehe! Ich habe lediglich gesagt, es sei anstrengend.“ „Du hast jahrelang Verwaltungsarbeiten erledigt, die bei weitem anstrengender waren!“ „Und hatte das Gefühl lebendig zu verwesen, ja. Tehe!“ „Himmel Herrgott! Warum tue ich mir das eigentlich an?“ „Nehehehe! Weil du mich eigentlich magst, William.“ „Überstrapaziere meine Freundlichkeit nicht!“ Ich schaute auf mein Handy: 16:35 Uhr. Wir hatten uns nicht getraut zu spät zu kommen, weswegen wir überpünktlich losgegangen und angekommen waren. Trotzdem streckten wir unsere Nasen durch die Türe. Alle Fenster im Laden und die halb versteckte Türe hinter dem Tresen standen weit offen. Auch durch den Türbogen, der in den hinteren Teil des Ladens führte, sickerte Licht, was mir verriet, dass wohl auch die Hintertür offenstand. Die treibende Kraft dazu war sicherlich William gewesen. In Undertakers Laden war es immer ein wenig muffig. Nicht furchtbar unangenehm, aber die Luft in dem kleinen Shop roch immer ein wenig abgestanden, alt und staubig. Ich musste kurz darüber sinnieren wie es in Undertakers Laden wohl vor knapp 100 Jahren gerochen haben musste, als es noch keine Kühlzellen gab. Sicherlich nicht anders, als in jedem anderem Bestattungsunternehmen, doch trotz allem drehte sich mein Magen bei dem bloßen Gedanken daran um. William und Undertaker hatten über einem großen Buch, einem Block und einem Taschenrechner die Köpfe zusammen gesteckt. Dem Bestatter fehlte der Hut. Er lag neben ihm auf dem Tresen. Darauf saß Merkenau und schlummerte selig. Undertakers Pony war zurück gewischt und seine Brille auf seiner Nase, als er mit dem Finger über das Papier des Buches fuhr. William schrieb auf dem Block herum, strich hin und wieder etwas durch, gab etwas in den Rechner ein und tippte mit dem stumpfen Ende seines Bleistifts ab und an überlegend auf dem Papier herum. Einige Zahlen und Daten flogen durch den Raum. Die Wörter ‚Einnahmen‘, ‚Ausgaben‘, ‚Grundsteuer‘ und ‚Betriebssteuer‘ hörte man ziemlich oft heraus. Es schien als half William Undertaker bei seiner Steuerabrechnung. Amy schaute mich an: „Sollen wir warten?“ Doch ich schüttelte den Kopf. Schließlich hatten wir auch allen Grund uns bei dem strengen Aufsichtsbeamten zu bedanken. Ich war gestern und auch heute ein paar Mal über den Fakt gestolpert, dass William mehrere Regeln gebrochen hatte damit Undertaker unsere Haut retten konnte. So herzlos, wie der strenge Shinigami immer wirkte, schien er eigentlich gar nicht zu sein. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass Grells - sicherlich infernalisches - Gezeter ausgereicht hätte, um den regeltreuen Vorzeigereaper dazu zu bewegen 5 Regeln auf einmal zu brechen. Ich ging in den Laden und klopfte gegen den Türrahmen. Die Köpfe der beiden Shinigami flogen herum. „Ah!“, machte Undertaker und verschränkte freudig grinsend die Fingerkuppen: „Meine zwei Putzteufelchen sind da. Wie erfreulich! Sogar überpünktlich!“ Ich winkte kurz. „Hi“, hörte ich Amys Stimme hinter mir. William sah uns mit einen Arm schräg gegen den Schreibtisch gelehnt an. Ich hatte das Gefühl einen Hauch Mitleid in seinem harten Gesicht zu sehen: „Ihr habt keine Ahnung, in was ihr euch da rein manövriert habt.“ Ich ging auf den Aufsichtsbeamten zu. Im Vorbeigehen streichelte ich kurz Merkenau, der schläfrig ein Auge öffnete und krähte. Als ich vor William stand ließ ich demütig den Kopf hängen: „Es kann nicht so schlimm sein wie sterben, William. Das ich überhaupt noch hier stehe ist dank dir. Ich danke dir. Ich habe keine Ahnung wie ich das je wieder gut machen soll.“ „Wir danken dir und wir haben keine Ahnung“, hörte ich Amy neben mir: „Das war echt cool von dir. Wenn du auch noch ein Büro zum Entstauben hast, sag Bescheid.“ William schnaubte genervt. Allerdings wirkte seine Genervtheit nicht ganz authentisch: „Das Angebot ist verlockend, aber glaubt mir, ihr seid mit dieser Räuberhöhle genug gestraft. Ich würde es allerdings vorziehen eure Namen kein zweites Mal in zu naher Zukunft in unserer Liste zu lesen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ein Theater Grell veranstaltet hat.“ Mein Kopf zuckte zu dem Gesicht des Reapers. Hatte er gerade ‚Grell‘ gesagt? Ich habe noch nie gehört, dass William Grell mit seinem Vornamen ansprach. Wenn er mit dem rothaarigen Reaper einigermaßen zufrieden war, merkte man das höchsten daran, dass ein ‚Herr‘ vor seinem Nachnamen wanderte. Nannte William Grell tatsächlich nur dann Grell, wenn Grell nicht dabei war? Doch William war von meinem verwunderten Gesicht gänzlich unbeeindruckt: „Ich würde es des Weiteren ebenfalls bevorzugen, wenn alle Beteiligten über diese unglückliche Situation stillschwiegen bewahren würden. Ihr könntet in eine unangenehme Position kommen und ich auch. Lasst uns einfach nie wieder darüber sprechen und es vor allem nie wieder wiederholen.“ Ich und Amy nickten. „So!“, fuhren unsere Köpfe zu dem Totengräber, als er mit einem lauten ‚Wumps‘ zwei große Eimer auf die Theke stellte. Aus einem schwappte Wasser über und William hob in Windeseile Block und Buch vom Tisch, damit sie nicht nass wurden. Merkenau flatterte erschrocken krächzend mit den Flügeln und war ein kleiner, explodierter Federball geworden. Als ihn dann auch noch eine Welle des Wasser erwischte blinzelte er kurz verwirrt, schüttelte sich, schaute den Bestatter zornig an und krähte verstimmt. „Entschuldige“, lachte der Bestatter den Vogel an. Dieser krähte säuerlich. Der kleine Rabe hüpfte vom Zylinder und dann zu der urnenförmigen Keksdose, die neben dem Hut auf dem Tresen stand. Er zog sich ein Biskuit heraus. Genüsslich knusperte der kleine Rabe auf dem Tresen an dem Keks herum. Undertaker nahm sich ebenfalls einen und steckte ihn zwischen die Lippen ohne abzubeißen. Er zog ein Stofftaschentuch aus der Tasche und rubbelte den kleinen Raben trocken. Noch einmal krächzte der kleine Vogel. Diesmal allerdings wohlig. „Ich weiß, ich weiß. Hehehehe! Wie gesagt, es tut mir leid.“ Merkenau hüpfte den Arm des Bestatters hoch und schließlich auf die Schulter des Totengräbers. Dort wackelte er betont mit seinem süßen Hinterteil und setzte sich, als wollte er jedem genau klar machen, dass dies sein Platz war und von niemand anderem. Nicht, dass irgendjemand von uns da hin gepasst hätte. Die Beiden waren ein Herz und eine Seele. Amy schaute zu dem immer noch recht explodierten Vögelchen: „Das ist also Merkenau?“ Der Bestatter nickte: „Hihihi. In der Tat.“ Dann schob er sich den Keks ganz in den Mund und kaute glücklich darauf herum. „Oh, der ist sowas von süß! Ich weiß gar nicht was Grell hat!“ Bei dem Namen des rothaarigen Reaper krächzte Merkenau verstimmt. „Die Beiden können einfach nicht miteinander. Das hatte Grell sich auf Anhieb verscherzt“, lachte der Bestatter amüsiert. Merkenau krächzte ihm genau ins Ohr, als hätte er seine Aussage angesäuert kommentiert. Undertaker dreht mit einem zuckenden Auge seinen kleinem Finger in seinem Ohr: „Ist ja gut. Nicht genau ins Ohr, ja?“ Merkenau schüttelte sich betont und schaute wieder zu Amy. „Noah! Der ist wirklich knuffig“, schwärmte die Phantomhive: „Darf ich dich kraulen, Merkenau?“ Wie die Prinzessin auf der Erbse reckte Merkenau ihr gönnerhaft den Kopf hin. Kichernd kraulte sie ihn: „Oh! Einfach putzig!“ Ich lächelte über die harmonische Szenerie. „Doch da ihr beiden euch ja jetzt so fein bedankt habt“, grinste uns der Bestatter mit einer Menge Pläsier und einer genau so großen Menge Schadenfreude entgegen: „Könnt ihr ja anfangen. Hehehehe! Meine Regale erwarten euch sehnsüchtig!“ Wir schauten uns um. Eigentlich war die Aufgabe ja keine schwere. Das Problem war nur... Undertaker hatte etliche Regale! Und das nur in dem Verkaufsraum! Ich war mir anbei auch nur allzu sicher, dass er sich nicht auf diese beschränkte. Und ich sollte Recht behalten. „Wenn ihr mit denen im Laden fertig seid, dürft ihr hinten weiter machen, ehehehe“, giggelte der Bestatter und zeigte auf die Türe hinter dem Tresen. Die Phantomhive und ich schauten einander an und ließen dann den Kopf hängen: „Ay, ay Sir...“ Still schweigend ergaben wir uns unserem Schicksal. Nachdem wir uns die Haare zurückgebunden und die Ärmel hochgekrempelt hatten, wollten wir uns jeweils einen Eimer nehmen. Doch noch bevor ich die Hand an den Henkel des Plastikeimers gelegt hatte, haschte Undertaker sie mit seiner Eigenen. Überrascht und vollkommen überfahren schaute ich ihm entgegen und hatte schon wieder die blanke Schamesröte im Gesicht stehen, als der Bestatter meine Fingerkuppen beschaute. Zwei hatte ich getapped. Die Zwei, an denen mir die Fingernägel abgesplittert waren, als ich mich von Hannah befreien wollte. Undertaker legte seinen Kopf schief: „Das könnte mit dem Seifenwasser aber ganz schön knistern. Tehe!“ Ich seufzte: „Wahrscheinlich. Aber was soll ich dagegen tun?“ Undertaker legte den Kopf schiefer. Dann hellte sich sein Gesicht unter einem Einfall auf und er verschwand noch einmal in der versteckten Türe. Als er wieder kam hatte er einen Karton in der Hand, der ebenfalls mal staubgewischt werden könnte. Doch unter dem ganzen Staub las ich so etwas wie ‚Basic-Plus‘. „Was ist das?“, fragte ich trotzdem. Undertaker grinste: „Eine Packung Einmalhandschuhe.“ „Ahhh“, machte ich in Erkenntnis, doch zog dann die Augenbrauen zusammen: „Die hast du schon was länger oder?“ Undertaker kicherte und gab mir den kleinen Karton: „Tihihi! Ein bisschen. Nimm sie. Damit sollte sich größerer Schmerz vermeiden lassen.“ Ich lächelte ihn verhalten an: „Danke.“ Er lächelte zurück und mein Herz übersprang aus irgendwelchen Gründen einen Schlag. Ich fragte mich woher dieser Anfall von Schamesröte kam, während ich die - bis dato ungeöffnete – Packung Einmalhandschuhe öffnete und mir einen über meine Hand mit den zwei getappten Finger zog. Dann nahm ich meinen Eimer und schaute an dem fast deckenhohen Regalen hinauf: ‚Wie soll ich denn da oben ran kommen…?‘ Doch wieder schien es, als könne Undertaker meine Gedanken lesen. Denn er stellte stumm, aber von einem Ohr zum andern grinsend, zwei Tritts mit vier Stufen neben uns ab und ging wieder zu William. Es war eine mühevolle Arbeit. Undertakers Regale waren vollgestellt bis unter den Rand. Wir mussten jedes Brett abräumen, feucht wischen, dann trocken wischen und die Gläser und Behälter abstauben, bevor wir sie zurückstellen konnten. Vor allem die putzscheue Adelstochter wirkte reichlich genervt, aber stumm ergeben. Undertakers Laden war nicht dreckig, doch staubwischen schien genau so wenig sein größtes Hobby zu sein. Ich nieste mir die Seele aus dem Leib. Meine Nase fühlte sich an, als haben sich darin Hornissen ein Nest gebaut. Ich versuchte mir den Inhalt der Gläser die ich putzte, nicht allzu genau anzuschauen. Doch es gelang mir nicht. Als ich bei meinem dritten Glas auf einmal eine Niere in der Hand hielt, quietschte ich auf: „AH! Oh mein Gooooooott~ …“ Ich wusste, dass der Bestatter mit Freuden Innereien seiner ‚Gäste‘ einlegte. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sie sich einfach in seine Regale stellte. Ich hatte ja das Gefühl meine Augen drehten sich nach hinten und ich fiel gleich einfach um, als das Organ aufgrund meiner erschrocken zitternden Hand, so fröhlich in seinem Formaldehydbad herum hüpfte. Ich hatte noch nie ein Organ gesehen! Wo auch?! Ich hörte Undertaker amüsiert lachen, während ich gegen meinen inneren und äußeren Zusammenbruch kämpfte. Gott war mir schlecht! Amy schaute mich an und ging mit ihrer Nase näher an das Glas heran: „Was hast du de… Hö?… Äh!“, sie hüpfte ein Stück zurück: „Undertaker? Das ist Ih! Das ist einfach ganz doll Ih!“ „Tihihihihihi!“, kicherte der Bestatter laut, der mittlerweile mit einem Messbecher voll Tee auf seinem Stuhl saß und die Füße auf seinem Tresen abgelegt hatte, während er mit William weiter durch seine Finanzen rechnete: „Weniger schnattern, mehr putzen!“ „Ja doch“, ertönte es von uns zweistimmig und ich warf meinen Lappen über das Glas. Ich zog ihn auch erst wieder herunter, als ich es abgestellt hatte. Leider war ich mir nur allzu sicher, dass es nicht die einzige Niere sein wird, die sich hier versteckte. Ganz zu schweigen von anderen artverwandten Dingen. Ich habe nicht gezählt wie viele Nieren, Herzen, Bauchspeicheldrüsen und Ähnliches mit an diesem Tag in die Hände fielen. Ich wusste nur, dass ich die Sammelleidenschaft des Totengräbers wirklich nicht teilte. Ein Gehirn brachte mich allerdings endgültig an den Rand meines Durchhaltevermögen und als mir ein paar Augen aus einem anderen Glas entgegen schauten, wusste ich wirklich nicht wie ich mein Frühstück drin behalten hatte. Gläser sollten nicht zurück schauen. Das sollten sie einfach nicht tun... Amy fand ein paar Gläser mit Adern und Venen. Gut zu bekommen schien dies der Phantomhive nicht. Sie setzte sich auf einen Sarg und fuhr sich durch die Haare: „Was tue ich hier...?“ Ich hielt ihr die Augen hin: „Tauschen?“ Ihre eigenen wurden groß und sie hüpfte von ihrem Sarg auf: „AH! GEH WEG DAMIT!“ William stöhnte am Tresen. Der Bestatter schien nicht wirklich bei der Sache zu sein. Er hatte viel zu viel Spaß an unseren verstörten Gesichtern und Gebärden. Irgendwann unterbrach Williams Stimme kurz unsere Arbeit: „So. Ich empfehle mich. Miss Phantomhive? Miss Rosewell? Undertaker? Ich wünsche einen angenehmen Tag.“ „Ich danke dir, William“, verstaute der Bestatter Buch und Block in einer Schublade: „Wenn ich etwas für dich tun kann, lasse es mich wissen. Tehehe.“ „Werde ich“, ging William in Richtung Türbogen und schaute uns noch einmal über seine Schulter an: „Und viel Erfolg.“ „Danke“, nickte ich zerknirscht: „Dir auch einen schönen Tag, William.“ „Mach‘s gut“, verabschiedete sich Amy mit angestrengter Stimme. William nickte und verschwand. „So meine kleinen Wichtel“, grinste Undertaker und ging ebenfalls Richtung Türbogen: „Ich habe selbst noch etwas Arbeit. Hehehe! Ich bin hinten, falls ihr etwas braucht.“ Die Phantomhive und ich gingen wieder an die Arbeit. In dem hinteren Teil des Ladens hörten wir nun ab und an ein geschäftiges Klimpern und Klirren. Was wir allerdings durchgängig hörten war das beständige verträumte Summen und Pfeifen des, in seiner Arbeit versunkenen, Bestattungsunternehmers. Irgendwann grollte aus dem hinteren Raum ein konstantes Surren zu uns herüber. „Was macht er da?“, fragte ich irritiert, als ich ein paar Gläser abwischte und blinzelte zu dem Türbogen. Doch ich konnte nichts erkennen. „Willst du das wirklich wissen?“, fragte Amy, die bis zum Bauch in einem Regalbrett verschwunden war. Ich schüttelte den Kopf: „Nein… Nein, du hast Recht. Wahrscheinlich will ich das nicht.“ Ich stellte die Gläser wieder ins Regal, da kam auch schon die Zeit in der ich auf den Tritt klettern musste, weil mir die Körpergröße ausging. Das Problem war nur, dass ich furchtbare Höhenangst hatte. Ich atmete auf den schmalen Stufen durch und versuchte mich aufs putzen zu konzentrieren. Auf diesen Brettern stand der Staub Zentimeter dick. Bei den unteren Regalbrettern war er immer wieder verwischt worden, weil der Bestatter Gläser herausgenommen, oder wieder hinein gestellte hatte. Doch hier oben war die Staubschicht fast unberührt. „Sky?“ Der leicht überraschte Tonfall Amys brachte mich dazu den Kopf zu ihr zudrehen: „Hm?“ Sie hatte einen silbernen Bilderrahmen in der Hand und beschaute ihn verwundert. Dann drehte sie ihn zu mir: „Ist das nicht das Bild, dass du an meinem Geburtstag klang heimlich von Undertaker auf dem Friedhof gemalt hast?“ Mein Gesicht wurde heiß auf Grund eines peinlich berührten Schocks. Doch dann fiel mir etwas ganz anderes auf: Ich hatte Amy nie erzählt, dass ich mittlerweile wusste, dass ich Undertaker Anfang September auf dem Friedhof getroffen hatte: „Warte! Du wusstest es die ganze Zeit?!“ „Was?“ „Das ich Undertaker getroffen hatte!“ „Klar“, lachte die Phantomhive und schaute auf das Bild: „Den erkennt man doch sofort! Ich hab mich gefreut wie ein Schneekönig ihn dir auf meiner Geburtstagsfeier vorzustellen! Dein Gesicht als du ihn wiedergesehen hattest, war ein Bild für die Götter! Und du dachtest du hättest einen Geist gesehen!“ Nein. Er war kein Geist. Nur ein Sensenmann in Frührente, der mittlerweile als Bestatter arbeitete. „Warum hast du mir das nicht direkt erzählt?!“, fauchte ich sie an. Amy lachte hämisch: „Na! So war es viel lustiger!“ Ich bewarf sie mit dem feuchten Putztuch: „Du falsche Schlange!“ Doch Amy lachte nur. Sie warf mir meinen Lappen zurück und ich räumte das Regel Brett ab und begann zu wischen. Der Staub stob auf und mir genau in die Nase. Sie knisterte und kribbelte: „Ha...“ Ich rieb mir mit der Hand in der ich dem Lappen hielt die Nase, da ich in der anderen den vollen Putzeimer hatte: „Ha...“ Doch es half nichts. „Hatschie!“, nieste ich aus tiefstem Herzen und mit so viel Schwung, dass ich aus der Balance geriet. „Wa!“, ruderte ich mit meinen Armen und das angegraute Putzwasser spritzte durch die Gegend: „Oh nein, nein, nein, nein!“ „Sky!“, hörte ich noch Amy rufen, als ich hinten über von dem Tritt rasselte. Kreischend. Der Putzeimer fiel mir aus der Hand. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass es mir wortwörtlich den Hals rettete, dass ich in einen Sarg landete. Durch die weichen, flauschigen Polster beschränkte sich der Schmerz des Aufpralls auf ein Minimum. Leider landete nicht nur ich in dem Sarg. Mein Putzeimer - samt Inhalt versteht sich - tat es auch. Das dreckige Seifenwasser spritze mir ins Gesicht und eigentlich auch überall anders hin. Ich war komplett nass. Es roch nach einem Gully in den man ein Zitronenduftbäumchen gehängt hatte. Ich bekam es leider auch in die Augen, was dazu führte das sie wie Feuer zu brennen begangen und ich nichts mehr sah. Als ob das nicht schon Strafe genug gewesen wäre, klappte auch noch der massive Sargdeckel zu. Er krachte auf das Knie des Beines, welches aus dem Sarg hing. Wenigstens erwische es mein Bein, aufgrund meines angewinkelten im Sarg liegenden anderen Beines, nicht mit dem vollen Schwung und Gewicht. Trotzdem surrte eine facettenreiche Welle glühenden Schmerzes hindurch: „AHHH!“ So lag ich also in dem dunklen Sarg. Nass und stinkend wie eine Jauchegrube. Mit tränenden Augen und einem schmerzenden Knie. „Wasted...“, hörte ich Amy von außen. „Was ist passiert?“, erklang Undertakers Stimme irritiert. „Skyler ist passiert“, antwortete Amy trocken. „Wie?“ Keine Antwort, doch ich wusste, dass Amy auf den Sarg zeigte in dem ich gelandet war. Ich hasste sie… Ich hörte schnelle Schritte und Licht erreichte meine brennenden Augen. Ich blinzelte mit schmerzenden und tränenden Augen dem Bestatter entgegen. „Geht es dir gut?“, fragte er mich mit einem verdutzten Gesichtsausdruck. Seine lange Robe fehlte und er trug nur den engen, schwarzen Mantel der sich immer darunter versteckte. Sein Pony wurde von seiner in die Haare geschobenen Brille aus seinem Gesicht gehalten und seine Augen klimperten mir mit einer Mischung aus Besorgnis und Unglauben entgegen. „Nein“, stöhnte ich gepeinigt: „Nein, geht es mir nicht...“ „Was ist passiert?“ „Ich hab geniest...“ Sein Mund klappte ein Stück auf: „Ehrlich?“ „Ja…“ „Und dann?“ „Bin ich vom Tritt gefallen...“ „Ehrlich?“ „Sieht es so aus?“, fragte ich gereizt. Undertakers Kopf wackelte hin und her: „Schon, ja. Hast du dir wehgetan?“ „Ja...“ „Wo?“ „Ich hab Putzwasser in den Augen...“ Undertaker drückte eine Hand vor seinem Mund: „Nicht nur in den Augen.“ Ich sah ihm durch meinen Tränenschleier an, dass er eigentlich lachen musste, doch es zurück zuhalten versuchte, da ich mir wirklich furchtbar wehgetan hatte. Ich wusste er würde es auf Dauer nicht schaffen. Verübeln konnte ich es ihn auch nicht. Ich musste schon ziemlich dämlich aussehen. Undertaker atmete mit dem besten Willen mich nicht auszulachen durch: „Ist sonst etwas passiert?“ „Ja… der Sargdeckel ist mir auf mein Knie gefallen...“ Der Bestatter krümmte sich nach vorne und presste seine Hand fester vor den Mund. Ich hörte schon das Lachen durch seine Finger quellen. „Herrgott...“, sprach ich ermattet: „Jetzt lach‘ doch einfach...“ Mit dieser Aussage brach Undertakers Lachen durch seine Hand und er verschwand hinter dem Rand des Sarges, den ich ebenfalls in Putzwasser gebadet hatte. Was jammerschade war. Denn das Polster war natürlich reinweiß gewesen. Was auch sonst… Der Totengräber tauchte fast drei Minuten nicht wieder auf. Nur sein infernalisches Gelächter schallte durch den Laden. Ich blieb einfach liegen. Am liebsten wäre mir, der Bestatter schubste einfach mein zweites Bein mit in den Sarg, vernagelte ihn und vergrub mich lebendig. Die Situation war nicht nur außerordentlich schmerzhaft, sondern auch himmelhochjauchzend peinlich. Schwer atmend erschien sein Kopf wieder über dem Rand des Sarges: „Huhuhuhuhu… Wie kann man nur so dusselig sein?“ „Gute Frage“, stöhnte ich. Der Schmerz in meinen Augen und in meinem Knie dachte nicht daran nach zu lassen und ich kniff sie zusammen. Ich rieb sie mir. Da aber auch meine Hände voll Seifenwasser waren, erwies sich dieses Unterfangen als eher kontraproduktiv. Ich stöhnte auf: „Oh Mist!“ Zwei Hände schoben sich zwischen mich und die Polster und hoben mich aus dem Sarg. Undertaker kicherte allerdings weiter, während er mich auf einen anderen Sarg setzte. Dann entfernte er sich. „Geht‘s?“, hörte ich Amys Stimme neben mir, während ich mit einem halbgeöffneten Auge nach einer Stelle an meinem Kleidung suchte die trocken war, um mir damit durch die Augen wischen zu können. Es gab nur keine. „Du dumme Putte!“, fauchte ich sie an: „Wasted? War das alles, was du zu sagen hattest?!“ „Was sollte ich denn machen?“, kicherte die Phantomhive: „Das Kind war doch schon in den Sarg gefallen.“ „Och! Steck dir deine dummen Sprüche doch bitte dahin, wo nie die Sonne scheint!“ Eine Hand erschien an meinem Kinn und drehte meinen Kopf herum. Undertaker war zurückgekommen - von woher auch immer - und begann mir behutsam mit einem trockenen und sauberen Tuch durch Gesicht und Augen zu wischen. Es roch nach Vernelweichspüler, also tippte ich es war frisch gewaschen. Auch war es viel weicher als ein Putzlappen. Langsam verschwand das Brennen aus meinen Augen: „Herrje, herrje. Hehe! Was machst du nur für Sachen?“ „Putzen“, konterte ich trocken, während Undertaker mir weiter, eine Hand immer noch an meinem Kinn, mit dem Tuch Tränen und Putzwasser aus dem Gesicht wischte. Irgendwie war das Gefühl richtig schön. „Tihihi. Bei dir scheint selbst Putzen ein Extremsport zu sein“, giggelte der Bestatter. „Du bist gemein...“, seufzte ich: „Du kannst mir wenigstens nicht unterstellen ich würde halbe Sachen machen...“ „Wobei?“, lachte der Totengräber belustigt: „Hehehehehe! Beim Putzen? Da sicherlich nicht. Beim unfreiwilligen Suizid? Na. Gott sei Dank hat es nicht ganz gereicht. Fu fu fu.“ „Ach...“, zischte ich niedergeschlagen: „Du bist doof...“ Undertaker nahm das Tuch aus meinem Gesicht und ich konnte meine Umgebung wieder erkennen. Meine Augen waren noch unangenehm warm, doch sie brannten nicht mehr und mein Gesicht war wieder trocken. Leider war nur mein Gesicht trocken. Der kalte Durchzug pfiff durch meine nassen Kleider und ließ mich fröstelnd zittern. Jetzt erkannte ich, dass das Tuch in den langen Fingern des Bestatters, ein Stofftaschentuch war. Seine grellgrünen Augen musterten mich belustigt, aber trotz allem mitfühlend und sogar besorgt. Er hatte mich wirklich nicht ausgelacht, weil es ihm Freude bereitete, dass ich mir wehgetan hatte. Wahrscheinlich hatte er sich meinen total dämlichen Abgang bildlich vorstellen müssen. Dass diese Vorstellung gerade für ihn lustig war, konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. So alt wie er war hatte er sicherlich die Schadenfreude erfunden. Amy war mittlerweile damit beschäftigt weiter zu putzen. Im Gegensatz zu mir, nieste die Phantomhive zwar, blieb aber auf ihrem Tritt. Undertaker zeigte auf mein linkes, pochendes Knie: „Das?“ Ich nickte von der Welt geschlagen. Ohne ein Wort zu sagen begann er das Hosenbein meiner schwarzen, nassen Schlaghose hochzukrempeln. Blut schoss mir ins Gesicht: „Ätete! Was tust du da?!“ „Ich schaue nach, ob du dich ernsthaft verletzt hast. Die Sargdeckel sind massiv und ziemlich schwer.“ Er grinste noch, aber giggelte oder kicherte nicht mehr. Schließlich schob er den Stoff meiner Hose über mein Knie. Es war ganz rot und begann dick zu werden. „Das wird jetzt ein bisschen weh tun“, warnte mich der Bestatter vor und befühlte mein Knie. Er sollte Recht behalten. Bei der ersten Berührung schoss eine weitere Welle Schmerzen durch mein Knie. Ich verzog das Gesicht und mir entfloh ein gequälter Laut. „Ruhig durchatmen. Atmen macht es ein wenig besser.“ Ich tat wie mir geheißen. Es wurde nur ein klein wenig besser, doch jedes bisschen war besser als nichts. Auch die kalten Finger des Bestatters taten ungeahnt gut. „Gebrochen scheint die Kniescheibe nicht zu sein“, lächelte mich Undertaker mit geschlossenen Augen an. Es war so warm. Dieses Lächeln war so süß. Ich merkte wie meine Wangen und meine Ohren warm wurden, als ich dieses Lächeln sah: „Kannst du es bewegen?“ Mein Gehirn brauchte ein paar Minuten, bis es durch dieses überwältigende Lächeln die Aufforderung verarbeiten und ausführen konnte. Ich schaute hastig auf mein Knie und winkelte mit schmerzverzerrtem Gesicht mein Bein an. Es funktioniert, doch es tat höllisch weh. „Gut. Alles noch ganz und da wo es hingehört“, Undertaker legte sachte mein Bein ab und stand auf: „Nicht weglaufen.“ „Wie?!“, rief ich dem Totengräber hinter her, der in der Tür hinter seinem Tresen verschwand. Nach ein paar Minuten kam er mit einer Packung Tiefkühlerbsen wieder. Ich schaute ihn irritiert an: „Erbsen?“ Er grinste entschuldigend: „Ich habe nichts anderes“, dann legte er mir den Beutel auf das Knie. Es wunderte mich, dass es nicht zischte, doch ein wunderbares Wohlgefühl zog mein Bein hinauf. Mein Gesicht entspannte sich und ich seufzte erleichtert. „Kühle es ein bisschen. Es wird trotz allem blau werden, aber so vielleicht nicht rabenschwarz. Ehehehe!“, lächelte Undertaker so wunderbar weich und es schickte mir ein undefinierbares, aber ebenfalls wohliges Gefühl durch meinen ganzen Körper. Ich wusste nicht, ob meine Gänsehaut von diesem Gefühl oder von der kalten Luft kam, die beständig durch alle geöffneten Fenster und Türen des kleinen Ladens zog. Ich legte meine Hand auf den Beutel und Undertaker nahm seine weg. Er drehte sich zu Amy: „Hehehe. Komm runter. Ich habe keine Lust, dass ihr eure Särge doch schon braucht.“ „Nope“, antwortete Amy geschäftig: „Ich brauche keine Almosen. Das ist meine gerechte Strafe und ich werde sie zu Ende bringen. Warum denkst du, ich würde das nicht schaffen?“ „Wuhuhuhuhuhu! Weil ich bis eben auch nicht dachte, dass Staubwischen ein lebensgefährliches Unterfangen ist!“ „Ich bin nicht Sky.“ Ich zog meine Augen zusammen und verzog angefressen eine Schnute: „Danke.“ Undertaker drehte sich mit erhobenen Händen zu mir: „Es ist wie es ist. Nehehehe!“ „Dann müsst ihr es aber nicht auch noch so explizit erwähnen...“ Amy und Undertaker lachten. Ich nicht. Undertaker drehte sich wieder ganz zu mir und schaute mich nachdenklich an. Mein Kopf fiel zur Seite: „Was grübelst du?“ „Ich überlege, ob ich irgendetwas hier habe um dich aus deinen nassen Klamotten zu befreien. Außerdem müffelst du ganz furchtbar. Hehehe!“ Meine Schnute wurde dunkler: „Ich korrigiere. Du bist nicht gemein. Du bist auch nicht doof. Du bist ein Arsch, Undertaker.“ Doch der Bestatter konterte mich mit einem Lachen: „Ich spreche nur die Wahrheit, oder Amy?“ „Jup“, pflichtete ihn die Phantomhive in ihre Arbeit versunken bei: „Du stinkst.“ „Danke“, zischte ich ihr entgegen: „Das ist was man sich unter einer besten Freundin vorstellt.“ „Gern geschehen.“ „Das war Sarkasmus!“ Es gefiel mir nicht wie wunderbar sich die Beiden schadenfrohsten Personen, die ich kannte, gegen mich verbünden konnten. Undertaker lachte wieder. Dann schnipste er in Erkenntnis: „Ah! Ehehehe! Ich hab noch irgendwo so eine… ähm“, jetzt schnipste er immer wieder fragend, als er nach dem richtigen Wort suchte: „Ja… eine… Ach! Wie heißen nochmal diese komischen Stoffschlabberhosen, die zwar zum Sport machen entwickelt wurden, doch jeder nur für das Gegenteil benutzt?“ „Jogginghosen“, antwortete Amy bevor ich es konnte. „Genau!“, Undertaker verschwand in Richtung Tür: „Ich suche sie schnell! Hehehe!“ „Warte!“, rief ich ihm nach: „Das ist nicht nötig!“ „Oh doch!“, wurde der Bestatter von der Türe verschluckt: „Die Fenster stehen sperrangelweit offen und draußen ist es kalt. Dann sitzt du hier sicherlich nicht in nassen Sachen herum. Hihihihi!“ Wieder schoss das Blut in meinem Kopf. Es war wirklich kalt. Der kalte Novemberwind zog unablässig durch den kleinen Laden. Doch ich würde mir lieber eine Lungenentzündung holen, als die Sachen des Totengräbers anzuziehen. Irgendetwas an dieser Vorstellung war unglaublich unangenehm. Ich legte meine freie Hand über meine Augen: „Das ist so peinlich.“ „Jup“, antwortete Amy. „DU bist für heute unten durch, klar?!“ „Ich werde es ertragen.“ „Grrr...“ Nach 5 Minuten erschien der Bestatter wieder mit einem fröhlichen Gesicht: „Wer suchet, der findet! Nehehehe!“ Ich hatte ja gehofft und gebetet er findet sie nicht... Er blieb vor mir stehen, einen schwarzen Stoffstapel in der Hand. „Du musst wirklich nicht… also...“ Er legte den Stoffstapel ab und nahm den Beutel Erbsen von meinem Knie. Dann kniete er sich vor mich und rollte etwas Blaues aus. „Was“, es fühlte sich irgendwie sehr seltsam an, dass der Bestatter sich vor mir hinkniete: „… Ist das?“ „Eine elastische Binde. Es ist zwar nur eine Prellung, aber umso stiller du es hältst, umso schneller ist sie wieder fort. Nehehehe!“ Dann wickelte er mit geschickten, langen Fingern den Verband um mein Knie. Es wunderte mich fast, dass der Verband weder zu locker, noch zu stramm saß. Ich merkte, dass er mein Knie sehr wohl stützte, doch ohne zu scheuern oder zu drücken. Ich hatte einem Bestatter – der sich folglich eher mit Menschen beschäftigte, die keine Stützverbände mehr nötig hatten – nicht zwingend zugesprochen, so routiniert Wehwehchen Lebender zu versorgen. Waren das Fertigkeiten, die er aus dem Umgang mit Amys, Lees, Franks und Charlies Familien heraus gelernt hatte? Oder hatte er sie vielleicht noch aus seinen Zeiten im Dispatch? Ich tippte irgendwie auf Zweiteres. Die anderen Menschen hatten ja schließlich auch Sebastian und Undertaker ließ dem Butler eigentlich immer den Vortritt, wenn es um die Versorgung noch lebender Menschen ging. Dann legte er mir den Stoffstapel auf den Schoß. „Undertaker!“, begann ich ein weiteres Mal fast verzweifelt. Das Gefühl von Unwohlseins gegenüber dieses Kleiderstapels wurde Schlimmer und mein Gesicht noch viel wärmer: „Das ist wirklich nicht…!“ „Ah, ah, ah! Keine Diskussionen“, wieder hob er mich einfach hoch. „Hey! Was soll das werden, wenn‘s fertig ist?!“, protestierte ich. Undertaker grinste mich an: „Ich bringe dich ins Bad. Du kannst dich natürlich auch hier umziehen, wenn dir das lieber ist.“ Mein Protest verstummte sofort. Mein Gesicht drohte zu explodieren. „Ok...“, fiepste ich beschämt. Ich kam ja eh nicht drum herum. Undertaker verschwand mit mir durch die zwischen den Regalen versteckte Türe. Ich versuchte mich nicht umzusehen, da ich mir ziemlich sicher war, dass dies die Privaträume des Bestatters waren und ich nicht in der Privatsphäre des hochgewachsenen Mannes herumschnüffeln wollte. Doch konnte ich mich meiner Neugier nicht erwehren. Der Raum hinter der Tür war nur ein kleiner quadratischer Zwischenraum. Direkt vor uns war eine Tür vor der ein dickes, massives, altes Vorhängeschloss und eine genauso massive, alte Eisenkette hing. Ich war verwundert. Was auch immer dahinter lag, ein ‚Keep out‘ Schild war nicht nötig um zu verraten, dass dort niemand hinein schauen sollte. Neben dieser Tür führte eine Treppe in die erste Etage. Daneben war eine Nische, verdeckt mit einem bodenlangen, schwarzen Vorhang. Von rechts hörte ich ein Knistern. Ich sah durch die geöffnete Tür einen Raum mit einem ebenfalls geöffneten Fenster. Dicke, schwarze, bodenlange Gardinen wehten im Durchzug. Ein orangener Schein und das Knistern deuteten auf einen Kamin hin, den ich aber nicht sehen konnte. Mitten im Raum, stand ein altes viktorianisches Sofa, mit dicken samtschwarzen Polstern vor einem kleinen, alten Couchtisch aus dunklem Holz auf einem schwarzen Teppich. Der Boden war durchgehend ein dunkles Echtholzparkett, die Wände halb mit demselben Holz vertäfelt und auf der anderen Hälfte mit einer Tapete mit schwarzgrauem Brokatmuster tapeziert. Auch im Zwischenraum. An der Wand neben dem Fenster stand ein volles Bücherregal. Links sah man eine kleine Küche. Sie war wirklich klein. Ein alter, weißer Kühlschrank, alte dunkle Holzschränke, Ofen mit Herd, noch ein Schrank. Darüber eine steinerne weiße Arbeitsplatte mit schwarzen, wirren Linien durchzogen, sodass sie an Marmor erinnerte. Darauf standen ein Wasserkocher und eine kleine Mikrowelle. Die Schränke standen in einem U um den schmalen Durchgang, in dem nur eine Person Platz fand. Auf der anderen Seite war eine Spüle die vollgestapelt war mit Messbechern. Dazu ein paar dunkle Hängeschränke. Der Küchenboden war komplett schwarz und grau gefliest, die Wände mit einer schlichten, weißen Raufasertapete tapeziert. Die Einrichtung der kleinen Wohnung sah, abgesehen von den paar elektrischen Geräten, aus wie originalgetreu aus dem 19. Jahrhundert. Wahrscheinlich war sie das auch. Ich hatte das Gefühl der Bestatter war ein bisschen in dieser Zeit stecken geblieben. Neben der Küchentüre war eine weitere geschlossene Tür, allerdings ohne Kette. Undertaker öffnete sie. Ein schlichtes, weißes Bad mit Dusche, Waschbecken, Spiegel, Waschmaschine und Toilette, kam zum Vorschein. Es war so klein und gedrängt, dass es wirkte als habe man eine Besenkammer umfunktioniert. Es wirkte auch recht unpersönlich, da es fast leer war. In der Dusche standen zwei Shampooflaschen und an der leiterförmigen Heizung hingen zwei weiße Handtücher. Auf dem Waschbecken stand eine einsame Zahnbürste in einem Zahnputzbecher. Daneben eine Tube 99 Pfennig Zahnpasta, ein Behälter für Kontaktlinsen und die große Haarbürste, mit der ich Undertaker mal Merkenaus Vogelnest aus den Haaren gekämmt hatte. Ansonsten nichts. Undertaker setzte mich auf den Klodeckel, den er trotz des zusätzlichen Ballastes durch mich ziemlich nonchalant mit dem Fuß zugeklappt hatte. Ich hob das schwarze T-Shirt hoch. Darauf war ein weißer Kreis und in dem weißen Kreis ein weißes T, das unten von einem weißen Z durchzogen war. Das Design der Buchstaben war asiatisch angehaucht: „Was ist das für ein Symbol?“ „Das Zeichen der Dispatch Association. Grell wollte unbedingt, dass ich eins habe. Hehe.“ „Okay...“ Der Bestatter verließ den Raum: „Ehehe. Rufe mich, wenn du fertig bist. Hänge deine nassen Sachen einfach über die Heizung.“ Eilig zog ich mich um. Mir war das alles furchtbar peinlich. Denn natürlich waren mir die Anziehsachen des Totengräbers viel zu weit und viel zu groß. Sie wirkten darüber hinaus vollkommen ungetragen, was mein Empfinden aber keinen Deut besser machte: „Erdboden tu‘ dich auf...“ Ich überlegte, ob ich mich einfach für den Rest meines Lebens in dem Badezimmer einsperren sollte. Doch es half alles nichts. Allerdings nahm ich mir fest vor mich kein weiteres Mal tragen zu lassen und humpelte, unter einem schmerzhaften Ziepen, aber fest entschlossen aus dem Bad. Meinem Knie ging es schon ein bisschen besser. Es schien wirklich nichts Gravierendes passiert zu sein. Ich humpelte in den Verkaufsraum, in dem Undertaker mit einem Mopp die Seifenwasserpfütze aufwischte. Ich ging zu ihm. Er schaute mich an: „Du solltest doch rufen.“ Ich schüttelte den Kopf: „Es geht schon wieder besser.“ Er stemmte seufzend eine Hand in die Hüfte: „Übertreibe es nicht, ja? Das Volleyballtraining morgen ist für dich jedenfalls gestorben.“ Ich blinzelte verdutzt: „Du weißt Bescheid?“ „Aber ja!“ „Woher?“ „Der Earl erzählte es mir vor ein paar Tagen. Ich bin sehr erpicht darauf, das zu sehen. Ehehehe!“ Jetzt wollte ich wirklich nicht mehr trainieren. Ich wollte schon vorher nicht, doch mich vor dem Bestatter noch mehr zu blamieren als üblich, war schon in meiner Vorstellung zum Sterben schamvoll. Denn ich war wirklich kein Sportass. Vielleicht war mein Unfall mehr Segen als Fluch. Ich bedauerte nur, dass ich mir mein Knie nicht gleich ganz gebrochen hatte, um so endgültig um das Turnier herum zu kommen. Soviel zu keine halben Sachen... „Worüber habt mein Vater und du denn gesprochen?“, fragte Amy und zog ihren Kopf aus einem Regal. „Nihihihi! Ein paar Angehörige verschmähten meine Dienste. Sie nahmen ihre Verblichenen mit sich. Wie es scheint gehören sie zu einer neuen religiösen Ausrichtung mit strengen Regeln und waren in Sorge, ich würde ihre Rieten nicht bis ins Detail vollführen können, wie es ihre Regeln fordern.“ „Ehrlich?“, ich zog eine Augenbraue hoch: „Jemand verschmäht deine Dienste?“ Es klang immer so, als wäre Undertaker trotz seines Verhaltens das non plus Ultra der Londoner Bestattungsbranche. „Wenn die Angehörigen jemand anderen wünschen, so ist dies ihr gutes Recht“, grinste Undertaker zurück: „Doch es gab ein paar Details, die Alexander interessant fand, ahehehe!“ „Was denn?“, blinzelte ich Undertaker an. „Ach“, grinste der Bestatter weiter: „Das sind Aristokratengeschäfte. Ahahahaha! Belaste dich nicht damit.“ „Okay...“, blinzelte ich noch verwirrter: „Wenn du es sagst.“ Nach meinem Unfall machten Amy und ich trotz allem weiter. Amy wischte die Regale und ich saß auf einem Sarg und hatte das zweifelhafte Vergnügen die Gläser abzustauben. Der Bestatter war, uns unseren Arbeitseifer hoch anrechnend, selbst wieder nach hinten zu seiner eigenen Arbeit verschwunden. Einmal war er noch kurz zurückgekommen um mir seine lange Robe über zuwerfen. Es war immer noch kalt in dem Laden und obwohl ich jetzt trockene Kleider trug und das T-Shirt mir viel zu groß war, waren meine Arme immer noch bis zur Hälfte nackt gewesen. Als er endgültig im Hinterzimmer verschwunden war, wehten von dort mit dem Wind die komischsten Geräusche zu uns herüber. Ich unterdrückte tunlichst die Frage was genau er dort machte. Denn klar war, dass er an seinen Gästen herumwerkelte und in diesem Zusammenhang brauchte ich wirklich keine weiterführenden Details. Während ich die ganze Zeit diese makabren Gläser polierte, kam ich zu dem Entschluss, dass ich heute meine brennenden Fragen über die Campania loswerden wollte. Es schien zwischen uns und dem Bestatter auch alles wieder in bester Ordnung zu sein. Sein Ärger war verraucht und er schien uns was passiert war nicht nachzutragen, auch wenn er allen Grund dazu gehabt hätte. Nachdem Amy die letzte Fuhre Gläser durch die versteckte Türe nach hinten gebracht hatte, tauchte sie wieder auf und rief laut über das Surren aus dem Hinterzimmer hinweg: „Wir sind fertig!“ Das Surren verstummte. Undertakers Kopf, dieses Mal mit Brille auf der Nase, erschien im Türrahmen: „Ehehehehe! Tatsächlich?“ „Ich hoffe du bist zufrieden“, grinste Amy. Undertaker sah sich um und trat endgültig aus dem Türbogen: „In der Tat“, antwortete er: „Ihr wart mir eine große Hilfe, meine Damen.“ Wir grinsten breit auf Grund des Lobes. Undertaker schaute auf seine Taschenuhr: „Es ist schon spät, hehehe. Ihr solltet heimgehen.“ Tatsächlich sah ich das Abendrot durch die geöffneten Fenster. „Sebastian holt uns hier ab“, erwiderte Amy und schaute mich ab: „Nun ja… Mich. Sky fahren wir besser zurück ins Wohnheim.“ Ich schüttelte den Kopf: „Ich komm schon alleine nach Hause.“ Amy zog eine Augenbraue hoch. Auch Undertaker wirkte nicht überzeugt: „Hehehe. Ich bin kein Fan von dieser Idee.“ Ich schaute zu Boden. Obwohl ich all diese Fragezeichen loswerden wollte, wusste ich nicht ob es eine gute Idee war. Aber ich hatte keine andere Wahl. Undertaker hatte die Kunst perfektioniert, reden und reden zu können, ohne wirklich etwas von sich zu erzählen. Und das so gut, dass es einem in ersten Moment gar nicht auffiel, dass seine Worte eigentlich an Inhalt vermissen ließen. Von sich aus erzählte er mir nichts über sich und ich wusste nicht, was das über mich aussagte. „Was hast du, Sky?“, fragte Amy und ich blinzelte zu ihnen. „Ich“, antwortete ich zögerlich: „Würde Undertaker gerne noch etwas fragen.“ „Tu dir keinen Zwang an“, grinste dieser. Ich seufzte: „Ich… würde dich das gerne unter 4 Augen fragen...“ Ich hatte immer noch das Gefühl, dass er eigentlich nicht darüber sprechen wollen würde. Amy schaute verwirrt zu Undertaker und zu mir. „Aha?“, drehte der Bestatter wieder den Kopf zu mir: „Muss ich mir Sorgen machen?“ Ich schüttelte den Kopf: „Ich… weiß nicht.“ „Hehe. Das klingt ja dramatisch.“ „Ja...“ Dann wandte er sich wieder zu Amy: „Fahre du mit Sebastian. Ich bringe sie heim.“ „Wirklich?“, fragte die Phantomhive. Undertaker nickte grinsend. Ein unwillkürliches Ziehen in meinem Nacken ließ mich meinen Rücken strecken. Ich blinzelte erschrocken aufgrund des plötzlichen Unwohlseins, dass meinen Rücken hinunter surrte: „Ich glaube Sebastian ist schon da...“ Just in diesem Moment erschien der hochgewachsene Butler in dem Türbogen: „Ich wünsche einen guten Abend.“ Undertaker giggelte: „Hallo, Butler. Tihihi! Du in meinem bescheidenen Etablissement. Was eine Ehre. Ehehehe!“ Auch Amy kicherte: „Hi Sebastian.“ Sebastian schaute sich mit einer hochgezogenen Augenbraue um. „Verspäteter Frühjahrsputz, Undertaker?“, fragte der Butler schnippisch, erntete aber nur ein amüsiertes Lachen: „Ehehehe! Kann man so sagen.“ Sebastian legte den Kopf schief: „Besser spät, als nie. Wie sonst üblich.“ „Du tust ja fast so, als hauste ich in einer Müllkippe. Tehehehe!“ „Nein, eher in einem Sammellager für Sondermüll“, lächelte der Butler kalt. „Wenigstens habe ich in meinem Leben noch andere Inhalte, als putzen, kochen, backen und babysitten. Hihi!“ „Ich führe ein sehr bereichertes Leben. Danke der Nachfrage.“ „Ich ebenfalls. Nihihihi!“ „Ja“, seufzte der Butler: „Glück liegt wohl im Auge des Betrachters. Junge Lady? Lady Rosewell? Seid ihr fertig?“ Amy nickte: „Ja schon, aber… Sky kommt doch nicht mit, Sebastian.“ „Wie darf ich das verstehen?“, fragte der Butler nicht sonderlich erquickt über die plötzliche Eröffnung ich kämme nicht mit. „Sky hatte einen kleinen Unfall und hat sich am Knie verletzt“, erklärte Amy. „Ah“, machte der Butler: „So, so. Das erklärt dann wohl auch euren sonderbaren Aufzug, Lady Rosewell.“ Ich nickte geschlagen: „Jap...“ „Sie kann nächstes Wochenende sicherlich mitmachen, hehehe. Nur dieses nicht.“ „Aha? Wie gut, dass du vollkommen im Bilde bist, Dr. Undertaker.“ Der Bestatter lachte nur schrill aufgrund des Wortspiels des Butlers, welches sicherlich eigentlich suggerieren sollte, dass Undertaker sich mit seinen Diagnosen Kompetenzen zumaß, die er gar nicht besaß. Doch der Bestatter ignorierte es einfach: „Tehehehe! Ich bin sicher du hättest es auch rausbekommen, Butler.“ „Ich ebenfalls“, der Butler wandte sich um: „Kommt, junge Lady. Lady Rosewell? Ein erholsames Wochenende wünsche ich euch. Erholt euch schnell. Euer Haus zählt auf euch.“ Ich war immer noch nicht begeistert von meinem Zwangspartizipation, doch ich war mir klar, dass der Butler mich nicht von der Angel lassen würde: „Schönes Wochenende, Sebastian. Viel Spaß, Amy.“ Amy drehte sich zu mir und blitzte mich erbost an. Der Bestatter steckte ihr unauffällig etwas in die Tasche, als er sie zum Abschied umarmte: „Tschüss, Amber. Hihihi! Bis Morgen.“ Amy zog das Etwas ein Stück heraus und schaute auf eine kleine Silberkette. Sie lächelte den Totengräber an: „Bis Morgen! Bye Sky!“ Dann verschwanden die Beiden. Die Sonne ging unter und die Nacht fiel dunkel durch die Fenster die Undertaker schloss. Dann zündete er dicke weiße und rote Kerzen an einem riesigen, viktorianischen, teilweise mit verschiedenfarbigem Wachs überlaufenen, gusseisern Kerzenständer neben seinem Tresen an. Der war so groß wie er selbst, ebenfalls original 1800 würde ich wetten und hatte soweit ich zählen konnte 25 Kerzen auf 3 Etagen. Warmes orangenes Licht sickerte durch den kleinen Laden, den der große Ständer recht ordentlich zu erhellen vermochte. Ich sah des Weiteren auch keine Deckenlampe in dem Laden. Nur noch einen kleinen Kerzenständer auf dem Tresen und eine alte Stehlampe, am anderen Ende des Tresens, die aber elektrisch zu sein schien. Nachdem Undertaker das lange Streichholz ausgepustet und weggeworfen hatte, schob er seine Brille in die Haare und setzte sich auf den Sarg mir gegenüber. Das weiche Licht der vielen Kerzen brach sich in seinen chartreusen phosphoreszierenden Augen und ich könnte schwören, dass sie in dem Dämmerlicht schon wieder leicht zu leuchten begannen. Orangenes Glänzen und grünes Leuchten tanzten in seinen schmalen, schön geschnittenen, mit dichten, langen, silbernen Wimpern umrahmten Augen um die Wette. „Also. Was hast du auf dem Herzen?“ „Ich…“, wachte ich bei den Worten des Bestatters wieder auf und hörte auf seine unglaublich grünen Augen zu bemustern: „Wollte dich das eigentlich schon vorgestern gefragt haben, aber... da habe ich mich nicht mehr getraut...“ „Hehehe! Warum denn nicht?“ „Ich..“, ich ließ den Kopf hängen: „Du warst so sauer auf uns. Ich dachte ich hatte in dieser Situation kein Recht dazu...“ „Herrje“, seufzte der Bestatter lachend: „Ja, ich war sauer. In der Tat. Ihr habt mir auch einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Doch als ich gegangen bin, war doch alles schon längst wieder in Ordnung.“ Ich schaute ihn an. Seine Augen irritierten mich. Sie schauten einem durch die Eigenen genau in die Seele. Der Bestatter brauchte seine Death Scythe nicht um genau zu wissen was für ein Mensch man war. ‚Seine Augen sind legendär!‘, zitierte mein Kopf den jungen Reapers, den ich im Dispatch getroffen hatte: ‚Es heißt, dass sie auf Menschen hypnotisierend gewirkt haben!‘ Und ich schaute sie weiter an. Augen so alt wie die Zeit. Grüner als jedes Gras der Welt. Wie der Himmel weit und doch immer fokussiert. Die gleichzeitig trauern und lachen konnten und immer ehrlich waren. Die mal warm waren wie ein grünes Windspiel und mal kälter als ein von Algen gefärbter Eisberg. Und die über ihn mehr verrieten, als sein Mund es jemals tat. Ich wusste warum diese Augen für sich noch einmal eine Legende waren. Ich schüttelte hastig den Kopf, als ich meinen abdriftenden Gedanken gewahr wurde: „Also ääääh… Mein Ohr teilt deine Auffassung nicht!“ „Das habt ihr euch selbst zu zuschreiben. Hehehehe!“ „Ich weiß“, ich ließ die Schultern hängen: „Ich will mich auch nicht beschweren. Du hattest jedes Recht der Welt sauer zu sein. Wie geht es deiner Schulter?“ „Besser als deinem Knie“, grinste der Bestatter. Ich zog eine Augenbraue hoch: „Du bist doof.“ „Du wiederholst dich. Hehehe!“ „Denk mal drüber nach.“ Undertaker schnaubte amüsiert: „Brauche ich nicht. Hehehehe, ich weiß was du meinst. Doch nun spanne mich nicht weiter auf die Folter. Was möchtest du mich fragen?“ Ich zückte mein Handy, welches ich nach dem Umziehen in der Tasche der Jogginghose des Bestatter verstaut hatte, und suchte das Bild von dem Zeitungsartikel heraus. „Hier“, hielt ich ihm das Handy hin. Er schaute mich irritiert an: „Tehehe. Was soll ich damit?“ „Das Bild“, sagte ich: „Schau es dir an. Bitte.“ Der Totengräber nahm mir das Handy aus der Hand und las sich den Artikel durch. Er wischte über das Display um das Bild nach oben zu schieben. Ich zog eine Augenbraue hoch. Undertaker wusste sehr wohl wie man mit einem Handy umging. Er wollte nur selber Keins haben und stellte sich deshalb dumm. Das war so typisch. Das Grinsen in seinem Gesicht hing erst ein wenig schief. Dann wurde es weiter und zu einem Lachen: „Hehehehe! Ja, die Campania! Und was genau möchtest du nun von mir?“ Er gab er mir mein Handy zurück. Ich sperrte es und steckte es in meine Tasche: „Was habt ihr gemacht?“ „Kehehehehehe! Vieles“, lachte der Bestatter: „Doch worauf willst du hinaus?“ „Ronald erzählte du hast eigentlich das Schiff versenkt.“ Er nickte: „Das stimmt. Tehe. Anders wird man den Butler auch nicht los. Bringe seinen Meister in Gefahr und du hast gewonnen. He he he.“ Sein Grinsen war konstant, doch er hatte wieder diesen komischen Ausdruck in den Augen. Diesen Ausdruck dass er nicht wollte, dass ich merkte, dass er nicht darüber sprechen wollte. Doch ich blieb erbarmungslos. Anders bekam man ja nichts aus ihm heraus. Er breitete nur allzu gerne den Mantel des Schweigens auf seine Vergangenheit. Zumindest auf weite Teile davon: „Weißt du woher die Differenz kommt?“ Er nickte wieder: „Ja, weiß ich. Tehehehe! Sehr genau sogar.“ „Und du hast dem Scotland Yard nichts erzählt?“ Undertaker lachte laut auf: „Pahahahahaha! Abberline hielt mich für einen Verrückten! Schon lange vorher! Und das vollkommen zu Recht! Mir hätte er kein Wort geglaubt, auch wenn er am Ende seiner Ermittlungen gar nicht mehr wusste was er noch glauben konnte.“ „Wurde der Fall aufgeklärt?“ Jetzt schüttelte er grinsend den Kopf: „Tihihi! Nie ganz, nein.“ „Warum nicht?“ „Weil das Scotland Yard die Wahrheit nicht glauben wollte. Fast 700 Leute haben sie ihnen erzählt und viele wurden dafür in die Klapsmühle geschickt. Nur dem Einen, der gelogen hat, dem glaubten sie.“ „700 Leute erzählten die...“, ich stockte: „Aber die Leute haben halluziniert, Undertaker! Und etwas von Zombies erzählt. Selbst der Earl Phantomhive hat gesagt, dass es Schwachsinn war.“ „Ich weiß“, grinste der Bestatter weiter, verschränkte die Arme und überkreuzte die Beine: „Aber das sie halluzinierten war lediglich ein Hirngespinst der überstrapazierten Gemüter im Scotland Yard. Tehehehehe! Und der Earl, hmm, hehehe! War er nicht ein unbeschreiblich guter Lügner?“ Ich schaute den Bestatter mit großen Augen an: „Du willst mir nicht erzählen, dass du wirklich denkst die Geschichte stimmt, oder?“ Hatte der Bestatter mit halluziniert? Vielleicht. Er war ja schließlich auch mit auf dem Schiff gewesen. Doch ich stellte es in Frage, dass ein Blutbad - wie brutal es auch immer gewesen war - ihn wirklich noch erschrecken konnte. Ich musterte ihn überfordert, als er weiter lachte: „Ich denke nicht. Tehehehe. Ich weiß es.“ Meine Gesichtszüge entgleisten: „Bitte?! Du willst mir doch nicht ehrlich erzählen, dass du an Zombies glaubst?!“ „Ich glaube nicht“, grinste er: „He he he. Ich weiß, dass es sie gibt. Oder sagen wir, ich weiß dass es etwas gibt, dass ihr Menschen als Zombies betiteln würdet.“ Mein Mund klappte auf: „Echt jetzt?“ Er nickte giggelnd. „Ohne Witz?“ Wieder ein Nicken. „Du verarscht mich auch nicht?“ Ein Kopfschütteln. „Ganz, ganz ehrlich?“ Abermals ein Nicken. „Aber… woher?“, fragte ich zögerlich. Jetzt war ich mir wieder einmal nicht sicher, ob Unwissenheit nicht vielleicht ein Segen war. Doch ich hatte den Stein ins Rollen gebracht. Zurückgehen war unmöglich. Undertaker lachte sein grausam amüsiertes Lachen durch seine geschlossenen Lippen. Glasscherben rieselten meine Wirbelsäule herunter und alle Härchen an meinem Körper stellten sich auf, als er in einer unheilvoll langsamen Geste die Arme öffnete: „Weil ich sie erschaffen habe. Ehehehehehe!“ Die Welt blieb stehen. Diese Aussage versetzte mir einen entsetzlichen Tritt in die Magengrube. Kreidebleich starrte ich ihn an: „Wa… was?“ Ich zitterte: ‚Undertaker hat sie erschaffen? Was meint er damit? Doch nicht etwa was ganz offensichtlich ist, oder?!‘ Er lachte weiter in endlos düsteren Pläsier: „Ke he he he. Wie ich es sagte. Ich habe sie erschaffen und auf das Schiff gebracht.“ „Aber… aber was?“, ich konnte, nein, ich wollte nicht glauben was der Bestatter mir in seinem nachtschwarzen Amüsement erzählte. Das konnte er nicht getan haben! Nicht er! Er wechselte die Beine und legte seinen Kopf, immer noch mit diesem finsteren Grinsen im Gesicht, in seiner Hand ab: „Meine Bizzare Dolls. Hehehe.“ „Bi… Bizzare Dolls? Was ist denn das?!“ Der Name klang vielversprechend. Nur leider nicht auf einer Art und Weise, die ich gerne hätte. „Nun, Ih hi hi“, grinste er: „Ihr bezeichnet sie als Zombies. Geifernde Monster, die nach dem Blut lebender Menschen lüstern, hehehe! Eigentlich lüsteten sie nach ihrer Seele, aber das verstanden die Menschen nicht. Tehehehe! Ich bezeichne sie als meine großartigste Kreation. Nur leider hatte die Welt nicht viel dafür übrig.“ Wunderte ihn das wirklich? „Kre… Kreation? Du verarschst mich!“, ich fuhr auf, was ein stechenden Schmerz in meinem Knie verursachte. Doch der war mir gerade vollkommen egal: „Warum sollte man sich Zombies zusammenbasteln?!“ „Du solltest dein Knie nicht so schnell bewegen, das ist nicht gut.“ „Mein Knie ist gerade vollkommen egal!“, rief ich hysterisch: „Erkläre es mir, Undertaker!“ Er seufzte mit verständnislos verzogenem Mund und verschränkte die Arme wieder: „Warum sollte ich? Du hast ja auch kein Verständnis für ihre bezaubernde Beschaffenheit.“ „Be… bezaubernde Beschaffenheit!?“, ich wedelte mit den Händen: „Auf der Campania sind 2195 Menschen gestorben!“ „Nein, nur 1873. Die Restlichen 322 waren vorher schon tot. Hehehehe! Daher kommt die Differenz. Die überschüssigen“, er lachte wieder so dunkel und kalt, dass die Hölle zufror und seine spitzen Schneidezähne blitzten kurz unheilvoll im Kerzenlicht. Ich war mir sicher, dass mein Herz vor Schreck, Angst und Unglauben einfach stehen geblieben war: „‘Blinden Passagiere‘ waren meine wunderbaren, kleinen Dolls und diese Trottel vom Yard haben noch nicht einmal alle gefunden. Jammerschade. Sie liegen wohl immer noch auf dem Grunde des Nordatlantiks. Meine armen Kinder.“ „Nur 1873?!“, ich schüttelte fassungslos den Kopf. Er hatte das… Das hatte er nicht wirklich gesagt, oder?: „Das macht es nicht ansatzweise besser! Das sind immer noch 1873 Menschen zu viel, verdammt! Und was meinst du bitte mit ‚deine armen Kinder‘? Bist du verrückt geworden, Undertaker?!“ „Ja“, antwortete er trocken: „Schon lange.“ Dieser trockene Tonfall ließ mich einfrieren. Auf der Stelle. Ich hatte das Gefühl ich könnte nie wieder einen Muskel bewegen. Wahrscheinlich war es diese endlose Nüchternheit in dieser kurzen, doch sehr bedeutungsschweren Aussage gewesen, die mir durch Mark und Bein fuhr. Ich starrte den Bestatter an. Apathisch. Perplex. Ich stand vollends neben mir und fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. Wenn Undertaker diese… Bizzare Dolls wirklich erschaffen hatte, war er schuld an dem Tod von 1873 Menschen. Und ich sah ihm deutlich an, er bereute keinen davon. Ich hatte wirklich mit vielem gerechnet. Schließlich war die Rede mal wieder von Sensenmännern und Dämonen gewesen. Aber DAS?! Wer rechnete denn mit SO ETWAS?! Undertaker stand auf und ging langsam durch seinen Laden: „Die Dolls waren wie Kinder für mich. Ich habe sie mit meinen eigenen Händen erschaffen. Ich habe sie sich entwickeln sehen, nur damit ein kleines Balg und sein dämonischer Butler meine ganze harte Arbeit zu Nichte machen konnten und ein paar Shinigamis sich die Dreistigkeit heraus nahmen mir die Hände zu binden“, er warf lachend und grinsend eine Hand in die Luft, als er mich anschaute, doch ich hörte einen dunklen Unterton der Abfälligkeit, der mir verriet, dass irgendetwas in ihm brodelte. Und das klang nicht gut: „Eh he he he! Dass ihr Menschen davon nichts haltet, interessiert mich nicht.“ Ich fühlte mich von der Welt vollkommen verlassen. Undertaker schien von seinen Dolls vollkommen überzeugt zu sein, was mehr als nur bedenklich war. Er schien wahrlich sauer darüber, dass sie keiner so würdigte wie er und dass das Balg und sein Butler - wobei es sich sicherlich um den jungen Earl Ciel Phantomhive und Sebastian handelte - ihm seine ‚Kreation‘ kaputt gemacht hatten. Ronald hatte Recht. Undertaker war gefährlich und es war keine weise Entscheidung ihn auf dem falschen Fuß zu erwischen. Was ich nur allzu überdeutlich getan hatte. Mal wieder. Und ja, ich hatte gerade wirklich Angst vor ihm. In mir zog sich alles zusammen. Ich merkte Tränen, die sich in meinen Augen sammelten. Tränen der totalen Hilfslosigkeit. Ich presste eine Hand vor meine Brust und zog meinen Kopf in die Schultern. Ich spürte wie ich zu zittern begann. Zombies… Bizzare Dolls… oder was auch immer… Undertaker hatte 1873 in den Tod getrieben und alle Menschen auf diesen Kreuzfahrtschiff in eine furchtbare Gefahr gebracht. Ebenfalls den jungen Ciel Phantomhive. Auch nannte er ihn ‚Balg‘ was nicht gerade eine Bekundung hohen Respektes war. Hatte Undertaker die Phantomhives wirklich betrogen? Hatte er den damaligen Earl Ciel verraten? Vielleicht, weil er ihn aus irgendeinem Grund nicht anerkannte. War Ciel zu jung gewesen? Ich meine: Welches 200.000 Jahre alte Wesen lässt sich schon gerne von einem Kind herumkommandieren? Andererseits: Ciel war Vincents Sohn. Und ich hatte schon oft sehr genau gemerkt, dass Vincent Undertaker von allen Menschen die er kennen gelernt hatte wohl am wichtigsten gewesen war. Grade deswegen hatte ich nie gedacht er könnte gerade Ciel irgendwie in den Rücken gefallen sein. Schließlich erwähnte Undertaker mal er habe Vincent versprochen auf seine Familie aufzupassen. Was er immer noch tat… 130 Jahre später. Fragen über Fragen. Eine Ungereimtheit folgt der anderen auf dem Fuß. Sinn machte nichts von alldem. Und dieses Gefühl in mir war schrecklich. Ich bereute es so unglaublich meine Nase in seine Sachen gesteckt zu haben. Wiederholt. Ich bereute gefragt zu haben, obwohl ich mir doch schon dachte es sei keine gute Idee. Ich fühlte mich so hilflos. Vollkommen ausgeliefert. Denn derjenige, der immer eine schützende Hand über mich gehalten hatte... Derjenige, auf dem ich angefangen hatte mich zu verlassen... Der wirklich immer irgendwie zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen war... Der Mann mit dem rettenden Lächeln und den guten Ratschlägen… Und diesen unglaublichen chartreusegrünen Augen, in denen ich mich immer wieder verlieren konnte... Der machte mir nun Angst. Mein sicherer Hafen war eine Albtraumfront geworden. Seine Smaragdaugen blitzten so kalt in dem warmen Licht des Kerzenständers… Und trotz allem, obwohl es der Bestatter selbst war vor dem ich Angst hatte, wünschte ich mir so sehr, dass er diesen furchtbar arktischen Gesichtsausdruck ablegte, einmal lachte und wieder ehrlich lächelte, mich in die Arme nahm und nur sagte: ‚Es wird alles gut.‘ Es war ein Scheißdreck gut, das wusste ich selber. Schließlich war ich nach der ganzen Grim Reaper/Dämonenaktion und der Erkenntnis, dass ich verflucht war, jetzt auch noch bei einem Crossover von Titanic und World-war Z gelandet! Aber ich hatte das Gefühl diese Worte… seine Arme… und sein Lächeln… waren alles, was ich jetzt eigentlich wirklich haben wollte. Doch seine Worte waren schneidend, seine Arme verschränkt und sein Mund so furchtbar… furchtbar… verzerrt. Es wirkte nicht mehr wie ein Grinsen, sondern eher wie eine Fratze. Ich griff mit der linken Hand meinen rechten Oberarm und presste meine Augen zusammen. Ich konnte… ihn einfach nicht in diese frostigen Augen schauen… Doch etwas Kaltes in meinem Gesicht ließ meine Augen sofort wieder aufspringen. Ich konnte aus dem Augenwinkel seine Finger an meiner Wange erkennen und schaute Undertaker doch wieder irritiert ins Gesicht. Behutsam strich sein Daumen über meine Wange. Warum machte er das auf einmal? Seine Augen ließen mich stocken. Mein Herz setzte aus und meine Magen zog sich schmerzhaft auf die Größe einer Billiardkugel zusammen. Sie schauten mich an. Beide. Eindringlich. Immer noch kalt und hart. Doch nicht mehr amüsiert, auch nicht im düsteren Sinne. Immer noch ernst und auf eine schmerzende Art und Weise furchtbar distanziert. Doch etwas schwang darin mit, was viel wärmer war. Doch war es nur ein ganz feines Glänzen unter dem ganzen strahlenden grünen Eis. Er seufzte, schloss dabei kurz seine Augen und öffnete sie wieder: „Ich habe dich gewarnt...“ „Wo...“, ich schluckte trocken. Mein Mund war eine Wüste: „Wovor?“ Seine Augen fielen nach schräg unten. Das hatten sie noch nie getan. Der Inkognito-Sensenmann hat seinen Blick noch nie so nach unten von mir abfallen lassen. Auch seine Hand verließ mein Gesicht und er wollte sich abdrehen: „Davor, dass ich kein nettes Wesen bin. Nicht im Ansatz, meine Schöne.“ „Aber...“, ich hielt seine Hand fest, bevor er sich ganz wegdrehen konnte. Ich wollte… nein, ich konnte nicht glauben, dass er einfach so die Hölle auf einem Kreuzfahrtschiff mit 2400 Menschen an Bord hatte losbrechen lassen, weil ihm gerade danach gewesen war: „Da… Du musst doch einen Grund gehabt haben, das du...“ „Ryan Stoker“, unterbrach er mich und schaute mir ab- und einschätzend ins Gesicht. Es war der Blick eines befangenen Wesens, das genau überlegte ob es einem vertrauen konnte. Und wenn ja wie weit. Ich wusste genau jede unwillkürliche Bewegung, jedes Zucken meines Augenwinkels, er würde es sehen. Egal wie klein es war. Und er würde es werten, egal wie bedeutungslos es war. „Der Arzt, der verschollen blieb?“, fragte ich schließlich und ging zwei Schritte auf ihn zu, damit unsere Arme nicht weiter so angespannt gestreckt waren. Denn ich ließ seine Hand nicht los. Ich hatte das Gefühl wenn ich es tat, gab er sie mir nie wieder. Bei diesem Gedanken versteiften sich die Finger meiner beiden Hände mehr um sein Handgelenk. „Er ist tot“, fuhr er fort: „Ich habe ihn umgebracht, indem ich ihn in einem nassen Loch voller Dolls versenkt habe. Sie haben ihn gefressen. Er kam damals zu mir und bat mich um Hilfe.“ „Sie“, ich stockte und schauderte erschrocken, als ich unwillkürliche wieder einen Schritt nach hinten tat, denn ich nicht unterdrücken konnte: „Sie haben ihn gefressen?“ Seine Augen zuckten skeptisch und wurden für ein paar Sekunde schmaler: „Natürlich.“ Ich versuchte wieder zu schlucken und mich zu beruhigen. Als ich den Schritt nach hinten getan hatte, hatte ich sofort eine Wertung in Undertakers Augen gesehen. Und sie war nicht zu meinen Gunsten ausgefallen. „Stoker“, erzählte er weiter in einem kalten, aber ruhigen Tonfall, der alles andere als beruhigend war: „Zog einen Verein widerwärtig wohlhabender Briten auf. Sie alle suchten nur eins. Die absolute Lösung. Das Heilmittel gegen die für Menschen bedrohlichste Krankheit überhaupt: Den Tod.“ Ich klimperte ihn mit schockierten Augen an: „Und… und du hast sie gefunden?“ Er schüttelte den Kopf. Ein dunkler Schatten lag auf seinem Gesicht. Der dunkle Schatten von dem Gespräch auf dem Balkon. Er schaute zu seinen Tresen. Oder eher dahinter: „Nein, das habe ich nie.“ In dem Regalbrett - das der Bestatter musterte - standen keine Gläser, sondern ein paar 21X30cm Bilderrahmen. Einige älter, andere jünger. Ich hatte sie saubergemacht. Darin waren Fotos, teilweise schwarz/weiß und teilweise farbig. Von ihm mit vielen Leuten, die ich nicht kannte. Einige kamen auch öfter vor. Auf einem Bild war er mit Alexander, Frederic, Lee, Charlie, Frank und noch ein paar weitere, sehr komische Gestalten zu sehen. Außer Undertaker trugen auch alle Kleider aus verschiedenen modischen Perioden. Nur er. Er hatte sich nie verändert. Ich tippte, dass es sich um die verschiedenen Generationen der ‚Aristokraten des Bösen‘ handeln musste. Ich fragte mich wer wohl Vincent war. Er war sicherlich irgendwo dort drauf. Auf einem anderen Bild sah man ihn aber auch mit Grell, Ronald und einem sehr unangetanenen William. Das Bild der Reaper sah aus wie ein Selfie von Grell, mit dem er die anderen ziemlich überrascht zu haben schien. Ich schluckte wiederholt und schaute wieder zu dem Totengräber mit den eiskalten Augen: „Aber...“ „Nichts aber“, schaute Undertaker mir wieder so fest und kalt ins Gesicht: „Wie du schon sagtest, es sind 1873 Menschen gestorben und ich habe es mehr als nur billigend in Kauf genommen. Ich ließ es so laufen, wie es seinen Lauf genommen hatte. Ich hätte meine Dolls aufhalten können. Problemlos. Doch es war mir einfach egal, ob und wie viele Menschen dabei vor die Hunde gingen“, der Bestatter lachte boshaft: „ Ehehehehe! Es sollte sich raus stellen, wer überlebte: Die Toten oder die Lebenden. Es lief anders als ich geplant hatte, zugegeben, doch es hatte mich nicht im Mindesten geschert. Es war nicht angedacht, dass Ciel und Sebastian an der Kreuzfahrt teilnahmen. Doch im Endeffekt hatte ihre Anwesenheit alles nur noch viel interessanter gemacht. Außerdem war es eine fantastische Gelegenheit den überheblichen kleinen Earl und seinen Butler wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Tehehehe!“ Ich musste verzweifelt nach meinen Worten suchen. Sollte Undertaker wirklich so grausam sein? So unfassbar kaltblütig und vor allen Dingen blutrünstig? „Du hast den Earl verraten...“ „Nein. Ich habe ihm gezeigt, dass er durch seinen Butler nicht im Mindesten so übermächtig war, wie er zu denken begonnen hatte und ihm von seinem viel zu hohen Ross getreten.“ „Aber… was hatte der Earl denn gemacht?“ Undertaker musterte mich weiter ernst: „Ciel hatte durch Sebastians Dienste den Bezug zur Realität verloren. Er überschätzte sich und den Butler in hohem Maße. Er musste in Gefahr geraten, um zu erkennen wo er eigentlich stand. Was er sich wirklich erlauben konnte und was nicht. Und das habe ich getan, weil Vincent mich bat auf ihn aufzupassen. Denn hätte ich es nicht getan, wäre es jemand anderes gewesen. Und dieser Jemand hätte nicht das Weite gesucht, als es gerade am schönsten war und ihn so am Leben gelassen.“ Ich schluckte. Undertaker schien sich sicher zu sein, dass der damalige Earl nicht wirklich in Gefahr gewesen war. Wahrscheinlich, weil er sich sicher war, dass die größte Gefahr er selbst gewesen war und den Earl nicht töten wollte. Dass er die größte Gefahr dargestellt hatte konnte ich mir des Weiteren mittlerweile sehr gut vorstellen. Trotz allem waren seine erzieherischen Interventionen mehr als nur fragwürdig: „Das nennst du aufpassen?“ „Glaube mir, der kleine Earl hatte von allen Menschen auf diesem Schiff die allerbesten Überlebenschancen. Ich habe es 2 Jahre mit reden versucht. Erfolglos. Wer nicht hören will, muss eben fühlen.“ „Und dafür mussten so viele Menschen sterben?! Nur damit der Earl mal einen auf den Deckel kriegt?!“ Undertaker lachte dunkel: „He he he, nein. Ich sagte doch, der Earl kam relativ spontan auf das Schiff. Diese Menschen starben, weil ich ihr aufbäumen gegen den Tod und ihre verzweifelten Überlebensversuche interessant fand. Weil Menschen mir egal sind, Sky. Bis auf ein paar wenige, habe ich für sie rein gar nichts übrig. Sie sind interessant, ja. Aber auf eine negative Art und Weise. Sie sind gierig, grausam, egoistisch und moralisch bis ins Letzte verwerflich. Meine Dolls waren grausam, weil sie Menschen umbrachten um ihre Seele zu adoptieren und somit ihrem leeren Dasein Sinn zu geben? Menschen töten einander für viel weniger. Immer und immer wieder. Jahrhunderte habe ich Records gesehen. Records von wirklich Unschuldigen, die grausam geschlachtet wurden. Records von ermordeten oder verhungerten Kindern, für die der Tod eine Erlösung war. Records von fetten Pfeffersäcken, die alles andere als Gottesfürchtig waren und nicht den Hauch von Reue ihren Missetaten und Opfern gegenüber empfanden. Von schmierigen Sklaventreiber und Winkeladvokaten. Von scheinheiligen Wohltätern, die doch nur ihr eigenes Portmonee im Blick hatten. Vergewaltiger, Mörder, Schlächter, Folterknechte die noch nicht mal eingesehen haben, dass sie schlechte Wesen waren. Warum, Skyler? Sage mir, warum soll mir an den Menschen irgendetwas liegen?“ „Undertaker“, begann ich verzweifelt: „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ „Oh doch, kann es“, konterte er. Er wirkte so ernst und unterschwellig erzürnt. Seine Stimme war so furchtbar kalt. Und es war bestialisch: „Mein voller Ernst. Wenn du mir nicht glaubst, steht es dir frei zu gehen.“ ‚Warf er mich gerade raus?‘, ich wusste nicht was passierte, wenn ich seinen Wink nicht richtig deutete. Ich wusste nicht mehr was gerade überhaupt passierte. Ich wusste nicht mehr wer vor mir stand. Und ich hatte Angst. Wenn er einfach so 1873 Menschen ins Unglück laufen lassen konnte... in das von ihm selbst zusammengeflickte Unglück... dann doch auch mich... oder? Fluch hip oder hop, ich war doch auch nur ein Mensch. Ich ließ seine Hand los und tat unwillkürlich einen weiteren Schritt nach hinten: „Ich… ich...“ Seine Augen wurden noch schmaler. Was, wenn ich blieb und er wollte, dass ich gehe? Was macht er dann mit mir? Bringt er… Nein! Nein, er rettete mir doch immer das Leben! Mittlerweile drei Mal! Er hat für Amy und mich das… Meine Gedanken stockten und meine Augen weiteten sich in Erkenntnis: ‚Amy und ich… Amy… Amy… ich...‘ Ich... war die beste Freundin einer Phantomhive. Ich war… die beste Freundin einer der Menschen, die Undertaker beschützen wollte. In dessen Diensten er stand. Wahrscheinlich hat er nie mich… er hat nie Skyler gerettet. Er hat immer die beste Freundin einer Phantomhive gerettet. Tränen stiegen mir in die Augen. Wie konnte ich nur so dumm sein? So dumm und selbstzentriert, dass ich glauben konnte es sei jemals um mich als Person gegangen? Ich war Standard. Langweilig. Obwohl ich verflucht war, war ich einfach langweilig, was eine Leistung war. Und ich war dumm und weinerlich. Doch gerade - in Anbetracht dieses Gesichtes - wusste ich nicht wie weit mich der Umstand mit einer Phantomhive befreundet zu sein retten konnte. Schließlich war ich alleine mit ihm. Ansonsten war hier niemand. Nur er. Der 1873 Menschen umgebracht hatte. Ich hätte nie gedacht, dass er zu so etwas fähig war. Auch wenn er es mehr als einmal betont hatte. Ich hatte immer gedacht er übertrieb. Das er eigentlich ein nettes, feinfühliges Wesen war. Doch nun konnte ich mit Nichts mehr wegreden, was er mir offenbart hatte. Was er fürchterliches getan hatte. Und ich hatte ihn erzürnt. Abermals. Was ist, wenn er jetzt die Geduld mit mir verlor? Ohne ein Wort zu sagen streckte Undertaker seine lange Hand nach mir aus. Meine Augen weiteten sich noch mehr durch den kalten Schreck der mich befiel, als seine langen Finger näher kamen. Er will mich packen! Er sagte ich solle gehen und ich bin stehen geblieben und hatte ihn nur weiter angestarrt. Natürlich will er mich packen! Die kalte Schockstarre löste sich, kippte komplett und ergriffen von einer heißen Panik preschte ich nach vorne. Wenn jemand der einen packen will, einen zu packen bekam, gab es nur einen logischen Ausgang. Auch mein Vater hatte mich immer am Oberarm gepackt, wenn ich vor ihm fliehen wollte. Oder mich schutzsuchend auf dem Boden geschmissen hatte. Und dann hatte er…: ‚Nein! Nein, ich will das nicht!‘ Der Bestatter stand zwischen mir und der rettenden Vordertür. Doch ich konnte meinen Weg schon nicht mehr ändern. Die paar Schritte die ich an ihm vorbei sprinten musste, tat ich betend. Undertakers Hand kam näher. Durch diese Erkenntnis rannte ich noch schneller, als ich losgelaufen war. Mein Blick flog über sein Gesicht. Ich merkte wie seine kalten Finger meine Hand streiften. Dann tat ich einen letzten riesigen Schritt aus der Ladentür. Ich schlug Harken um die Ecken. Ich rannte wie eine Verrückte. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Mit raschelndem Atem sprintete ich durch die dunklen Gassen. Mein Körper brannte. Mein Knie schmerzte entsetzlich. Doch ich lief. Ich lief bis ich aus den Gassen entkommen war. Und selbst dann rannte ich noch weiter. Ich passierte den Friedhof. Ich wusste, ich konnte niemals schneller sein als der Bestatter. Wenn er mich fand dann… war ich wahrscheinlich tot. Ich rannte den ganzen, weiten Weg zum Wohnheim. Angefacht von schreiender Panik. Krachend stieß ich die Tür vom Wohnheim auf, hechtete durch die leeren Flure bis unters Dach. Polternd lief ich in das kleine Apartment und sofort in mein Zimmer. Erst dort hörte ich auf zu rennen. Ich japste und schnappte verzweifelt nach Luft, als ich meinen Rücken gegen meine Tür drückte. Mein ganzer Körper tat weh. Mein lädiertes Knie pochte heiß unter der ganzen Mehrbelastung. Meine Lungen brannten. Mein Gehirn raste. Mein Herz stand kurz vorm Exitus. Obwohl ich daheim war, war ich doch noch lange nicht in Sicherheit. Doch wo sollte ich sonst hin? Ich atmete einmal tief durch und schloss meine Augen: ‚Ich hab einen Steinanhänger… er kann nicht spüren wo ich...‘ Meine Augen sprangen auf. Ein weiterer tiefer Schreck surrte durch mich hindurch. Das Kettchen von dem Anhänger hatte Hannah mir kaputt gemacht. Deswegen hatte ich ihn nicht am Hals getragen. Er war in meiner Hosentasche… Und meine Hose… hing in Undertakers Badezimmer! Ich schaute an mir herunter. Ich trug seine Hose… sein T-Shirt… seinen Mantel… Mein Herz zog sich zusammen und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte sie nicht aufhalten. Mein Gehirn repetierte unaufhörlich was gerade passiert war. Total durcheinander. „Er...“, ein gequältes Schlucken: „Er ist ein Mörder… Er wollte mich packen… Er wollte mir...“ Ich presste mir eine Hand gegen den Mund. Etwas Kühles an meinen Fingern berührte meine Lippen. Ich schaute auf meine vor Anstrengung, Panik und Unglauben zitternde Hand. Dann surrte eine schmerzvolle Welle durch meinen ganzen Körper. Meine Hand zitterte noch mehr, als ich mir eines furchtbaren Fehlers unglaublich schmerzhaft bewusst wurde und sah was so kühl um meine Finger lag. Ein silbernes Kettchen. Ein silbernes, ganzes Kettchen mit einem Pentagrammanhänger. Ein lautes geschocktes Schluchzen fuhr scharf aus meinen verkrampften Lungen. Ich dachte er hat die Hand ausgestreckt um nach mir zu greifen und danach sonstiges mit mir zu tun. Mich vielleicht sogar umzubringen, weil ich nervig war und meine Nase immer in seine Angelegenheiten steckte. Doch… „Oh mein Gott...“, hauchte ich, rutschte an der Türe hinunter und starrte immer noch fassungslos auf den schön gearbeiteten Anhänger, der um meine Finger hing: „Er… er hat mir… er hat mir… er wollte mir… nur… meinen… meinen Anhänger wiedergegeben...“ Mein Herz, mein Magen, meine ganze Brust zog sich noch weiter zusammen und mein ganzer Körper folgte krampfhaft diesem Zug. Noch mehr Tränen liefen über meine Wangen, als ich realisierte, dass Undertaker nicht die Hand ausgestreckte hatte um mich zu packen, sondern um mir meinen Anhänger wiederzugeben. Der Anhänger der das Einzige war, was mich beständig vor Claude und Oliver beschützte. Warum wollte er ihn mir wieder geben? Was war passiert? Was hätte er mir getan? Hätte er sich endgültig dem nervenden Mädchen - was ich war - entledigt oder hätte er mir gar nichts getan? Was habe ich ihm damit angetan weggerannt zu sein? Ein Teil von mir sagte mir, dass ich vor einem offensichtlich vollkommen verrückten Sensenmann weggerannt war, der eine Horde Zombies auf ein Kreuzfahrtschiff losgelassen hatte und 1873 Menschen dabei hatte sterben lassen. Für – wie er es selbst betont hatte – schlichtes Pläsier. Ein anderer Teil von mir sagte gar nichts. Er schrie nur und weinte. Es war der größere Teil von mir. Der aktive Teil von mir. Der laute Teil von mir. Der Teil, der für immer die Ladentüre dieses Bestattungsunternehmen ins Schloss schnacken hörte. Meines Lieblingsgruselkabinetts... Ich wusste nicht mehr was ich über ihn denken sollte. Doch mir war nur allzu klar, dass ich nun vor verschlossenen Ladentüren stand. Und diese Erkenntnis tat furchtbar weh. Sie riss mir das Herz entzwei. Ich krallte meine Hände in das T-Shirt des Bestatter... über mein schmerzendes Herz... zog die Knie an mich heran und vergrub mein Gesicht darin. Ich wusste nicht mehr wer er eigentlich war. Ich hätte alles darauf verwettet, meine Hand dafür ins Feuer gelegt und jeden Eid darauf geschworen, dass er ein gutes und treues Wesen war. Wohlgesinnt und verständnisvoll. Und dennoch... alle Worte die ich kannte erfassten nicht annähernd, wie grauenvoll seine Taten gewesen waren. Denn… er hasste Menschen. Und er bringt sie um. Ohne mit der Wimper zu zucken und ohne ein Fünkchen Reue. Die paar Menschen, die ihm wichtig waren, waren die Phantomhives, Fengs, Hermanns und von Steinen. Mich hatte er sicher nur ertragen, weil Amy mich mochte. War nett zu mir gewesen, weil ich Amys Freundin war. Er hatte mir wochenlang vorgespielt er sei ein Mensch, warum sollte er dann nicht auch so tun als würde er mich mögen, damit Amy und Alex zufrieden waren? Sicherlich... hatte es ihn schon lange genervt, dass er mich immer retten musste. Sicherlich... hatte er jedes Mal innerlich gestöhnt, wenn ich seinen Laden betreten hatte. Sicherlich… war ich ihm genauso egal wie die Passagiere der Campania. Die Phantomhives waren erstaunlich. Die Fengs waren außergewöhnlich. Die Hermanns und die von Steinen waren vielversprechend. Menschen, auf die er neugierig sein konnte. Ich? Ich war nicht erstaunlich. Ich war fade, grau und flach. Ich war nicht außergewöhnlich. Ich war trivial, durchschnittlich und banal. Ich war nicht vielversprechend. Ich war eintönig, schlecht gelaunt und negativ. Darüber hinaus war ich noch dumm, tollpatschig und zu nichts zu gebrauchen. Ich war ja selbst zum Staubwischen zu blöd. Eigentlich… hätte ich das alles wissen müssen. Mein Vater hatte schließlich nie einen Hehl daraus gemacht. Er hatte mir immer gesagt, dass ich genau so und genau das war. Und Menschen, die so waren, waren eben vollkommen wertlos. Auch für verrückte Totengräber mit silbernen Haaren. Das ich noch lebte war also eine Ode an seine Geduld. Ich hätte einfach von Anfang an auf meinen Vater hören sollen... Ich hörte einen Schrei... Er war spitz. Er war grell. Er kam von mir… ich sprang auf und riss mir die Kleider des Bestatters vom Leib. Das Kettchen rollte sich von meinen hektisch, panischen Fingern. Ich… ich wollte von ihm nichts an mir haben. Ich… ich wollte ihn aus meinem Kopf verscheuchen, da ich ihn niemals wieder sehen werde. Immer noch weinend und heulend zog ich meinen Pyjama an und kauerte mich - Beine angezogen, Arme darum geschlungen und mein Kopf in ihnen versteckt - in die hinterste Ecke meines Bettes. Ich zog selbst meine nackten Zehen ein um so klein und nicht da zu sein, wie nur irgend möglich. Hatte ich überreagiert? Ich wusste es nicht. Meine Gedanken sprangen durcheinander. Ich war die Böse und nicht er. Selbst wenn er nur für Amy nett zu mir gewesen war, war er nett zu mir gewesen. Das war schon um einiges mehr, als die Meisten für mich übrig hatten. Selbst wenn er das alles wirklich getan hatte – und seine Worte ließen keine Zweifel daran, dass er das alles getan hatte – hätte ich mich so lange zusammen reißen müssen bis ich mich ordentlich verabschiedet hatte und ganz normal rausgegangen war. Doch ich war gerannt wie eine Bekloppte und hatte damit eine ganz klare Message da gelassen. Hatte ich nicht noch groß gesagt, dass ich eine gute Freundin für ihn sein wollte? Und nun… war ich vor ihm weggelaufen. Dass ich es nicht schreiend getan hatte, war ein Wunder. Das war Verrat. Ich hatte ihn verraten. Ich hatte seine Hand los gelassen und er wird sie mir nie mehr geben. Ich war durch seine Tür gerannt und er wird sie mir nie wieder öffnen. Diese Gewissheit zerriss mein Herz noch mehr und schickte mir noch mehr Tränen meine Wange hinunter. Mein eigenes Heulen hallte laut von meinen Zimmerwänden wieder. Es rauschte in meinen Ohren und hörte sich an, als käme es gar nicht von mir selbst. ‚Ich...‘, mein Mund konnte nur greinen und weinen, doch mein Kopf sprach denselben Satz immer und immer wieder: ‚Ich hab… ich hab ihn losgelassen… Ich… Ich hab seine Hand losgelassen und… und bin weggerannt… Was… Was… Was habe ich getan?‘ Sein Gesicht sprang durch meinen Kopf. Das Gesicht, das ich gesehen hatte als ich an ihm vorbei gerannt war. Erst jetzt hatte ich die Zeit dafür seinen Gesichtsausdruck zu realisieren. Seine Augen… waren nicht mehr kalt gewesen. Sie hatten mich traurig angeschaut. Unendlich traurig… Verletzt… und tief enttäuscht… Dieser Blick in seinen Augen tat mir so furchtbar weh und ich fühlte mich so furchtbar schlecht, diese Augen dazu gebracht zu haben so zu schauen. Wenn ich gerade auch nicht viel wusste, ich wusste, dass ich ihn verloren hatte. Und das dies schmerzte. So unendlich. Mein aufgewühlter Kopf schrie mir entgegen warum. Während ich hysterisch heulend auf meinem Bett saß konnte ich endlich verstehen, was mein Kopf mir spätestens seit der Begegnung am Bach, aber eigentlich schon lange davor, immer entgegen schrie… ...Ich hatte mich in ihn verliebt... ...Bis über beide Ohren... ...Hals über Kopf… ...Eigentlich war es um mich total geschehen… … Und wenn er verrückt war, dann hatte ich mich in einen Verrückten verliebt. … Und wenn er ein Monster war, dann hatte ich mich in ein Monster verliebt. … Und wenn er ein Mörder war, dann hatte ich mich in einen Mörder verliebt. … Und wenn er total eigen war, dann hatte ich mich voll und ganz in ihn verliebt. … Doch ich hatte mich so sehr erschreckt, dass ich seine Hand los gelassen hatte. … Doch ich hatte so viel Angst vor ihm bekommen, dass ich zurück gewichen war. … Doch ich hatte ihn so mit meinem Vater verglichen, dass ich weggerannt war. … Doch ich war weggerannt, sodass ich ihn verloren hatte. ...Doch nun saß ich hier, vollkommen alleine und verlassen... ...Jedes ‚Und‘ war auf einmal so kristallklar... ...Und ich bereute jedes ‚Doch‘… ...So sehr… ~Lacrimosa* ~ Ein Geräusch weckte mich. Verwundert schlug ich die Augen auf. Mir war furchtbar kalt und ich war furchtbar erschöpft. Ich war eingeschlafen… Irgendwann in meinem Weinwahn war ich tatsächlich eingeschlafen. Ich hatte es nicht mitbekommen. Mein Körper fühlte sich ausgekühlt an. Nur mein linkes Knie brannte wie Feuer. Ich realisierte, dass ich in meinem kurzen Pyjama auf meinem Bett lag ohne zugedeckt zu sein. ~Fallen and born here ~ Leise Musik spielte. Aber woher? Und warum? Irritiert stemmte ich mich auf die Hände und schaute ich mich in meinem Zimmer um. ~I want to love this blood-soaked world without fear ~ Mein Blick fiel auf einen Haufen schwarzer Kleider die definitiv nicht meine waren, aber aus deren Richtung die Musik zu kommen schien. Sie lagen einfach vor meiner Zimmertür. Achtlos auf den Boden geworfen. Sie… Sie gehörten…: ‚...Undertaker...‘ Als ich die Kleider erkannte fuhr ein scharfer Stich durch mein Herz. Alles in und an mir fühlte sich so furchtbar taub an. Ich fühlte mich so kraftlos. So nutzlos. So furchtbar allein: ‚Was habe ich nur getan…?‘ ~Instead of being forgiven, forgive and have faith ~ Doch warum kam Musik aus Undertakers Kleidern? Die Geigen, der Text. Ich kannte dieses Lied… ‚Wie wäre es mal mit aufräumen? Das sieht ja genauso schlimm aus wie deine Manteltaschen. Wenn nicht schlimmer. Oder gehörst du zu der Art Mensch, die einfach alles in eine Schublade pfeffern, sie zumachen und dann behaupten es sei alles ordentlich?‘ ‚Nihihihihi! Wäre ich ein Mensch würde ich sicherlich streckenweise unter diese Kategorie fallen.‘ ‚Musst du jedes Wort auf die Goldwaage legen?‘ ‚Tihihihi! Wozu ist sie denn sonst da? Und nun schreib schon! Ich bin neugierig! … Nehehehe! Deine Handynummer? Nicht, dass ich mich darüber beschweren möchte, dass mir schöne, junge Damen ihre Handynummer zustecken, aber, nehehehe, was verschafft mir die Ehre?‘ ‚Ich… Ich habe ja auch deine, da dachte ich es sei nur fair… und für den Fall der Fälle kannst du mich erreichen.‘ Warum erinnerte ich mich daran? Diese Erinnerung war so schneidend. So weißglühend. So furchtbar. Ich krabbelte auf die Knie und drückte die Hände auf mein blutendes Herz, während die nächsten Tränen von meinen Wangen auf die Matratze fielen. ~And remain on the face of this earth ~ … Mein Handy! Natürlich! Das war mein Anrufton! Trotz meines schmerzenden Knies sprang ich von meinem Bett und rannte die paar Schritte zu dem Kleiderhaufen: ‚… Vielleicht!‘ Ich kramte die Jogginghose hervor in dessen Tasche mein Handy steckte: ‚… Vielleicht ist das...‘ Ich brauchte drei Anläufe um mit meinen zittrigen Fingern mein Handy zugreifen: ‚Vielleicht… hoffentlich!‘ Weitere Tränen stiegen mir in die Augen, als ich endlich mein Handy zufassen bekam: ‚Oh bitte!‘ ~To count the tearful days that pass ~ Ich schaute auf mein Handy… … Und mein Herz wog schwer vor Enttäuschung. Auf dem Display stand »Amy P. ƸӜƷ «. Ich schaute auf mein Handy, während meine Augen überliefen. Was hatte ich denn erwartet? Als ob er mich nun anrief. Nachdem was ich getan hatte... In der Zeit die ich auf mein Handy starrte - gefangen in meinen schmerzvollen Erkenntnissen – legte Amy auf, oder ich hatte zu lange gebraucht um abzunehmen. Ich wusste es nicht. Mein Handy zeigte mir 10:30 Uhr und 6 verpasste Anrufe von Amy an. Ich hatte die böse Vorahnung, dass ich eine Menge zu erklären hatte. Doch… woher wollte Amy etwas wissen? ‚Der Earl erzählte es mir vor ein paar Tagen. Ich bin sehr erpicht darauf, das zu sehen. Ehehehe!‘ Ich legte eine Hand auf meine Augen, während ich wie ein Häuflein Elend auf dem Fußboden zusammensackte: ‚Sag nicht er ist bei den Phantomhives...‘ Amy. Bringt. Mich. Um. ~Lacrimosa ~ Meine Handy vibrierte in meiner Hand. »Amy P. ƸӜƷ« Ich rieb mir die Tränen aus dem Gesicht und atmete einmal tief durch. Dann nahm ich endlich ab: „Ja?“ „Was hast du angestellt?!“ Ich seufzte: „Guten Morgen, Amy… Ich habe gut geschlafen, danke der Nachfrage.“ „Als ob du gut geschlafen hättest!!“ „Gibt es einen bestimmten Grund warum du mich anschreist?“, ich stand auf und verließ mein Zimmer. Wie jeden Morgen führte mich mein Weg zu der Kaffeemaschine. Nur fühlte sich dieser Morgen ganz anders an. Ich fühlte mich so unfassbar… schlecht… und einsam... „JA!“ „Und der wäre?“, ich stellte die höchste Dosis Koffein ein. „Undertaker!“ ‚War ja klar...‘, ich seufzte ein weiteres Mal und stellte eine Tasse unter die Düsen: „Was ist mit ihm?“ „Das weiß ich nicht, deswegen frage ich dich! Er hat Ronald heute fast alle Knochen gebrochen! Das hat gescheppert, ich sag‘s dir.“ Ich stockte irritiert: „Warum sollte Undertaker Ronald die Knochen brechen wollen?“ Ich drückte auf den Knopf und mit wütendem Rattern spuckte die Maschine Kaffee in meine Tasse… Und überall anders hin… Denn eine Düse war verstopft und spritzte mein heißgeliebtes Lebenselixier in alle Himmelsrichtungen. ‚Na super…‘, selbst die Kaffeemaschine war sauer auf mich. Warum auch immer. Ich seufzte ein weiteres Mal, als ich mein mit Kaffee bespritztes Tanktop anschaute, in dem ich zu schlafen pflegte: „Was haben sie denn gemacht?“ „Keine Ahnung“, begann Amy zu erzählen, während ich mir ein paar Blätter Zewa griff und den danebengegangenen Kaffee aufwischte. Selbst diese Banalität fühlte sich so komisch an. In mir drin war alles so taub, kalt und hohl. Dieses Gefühl war so schrecklich: „Wir hörten einen Schrei, dann einen Knall und dann rannten wir hin. Was wir sahen war ein Undertaker vor einem Loch in der Wand und einen Ronald in deren Trümmern. Sebastian ist fast ausgerastet, doch weder er noch William trauten sich im ersten Moment näher ran. Von Grell ganz zu schweigen. Undertaker hat Ronald angeschaut wie der Tod höchstpersönlich. Und ja, das meine ich so wie ich es sage, es ist kein schlechter Wortwitz. Die Beiden haben sich unterhalten. Nur weiß niemand worüber und keiner von den Beiden erzählt es. Beide sagen nur Ronald hat‘s verdient und es sei jetzt alles wieder ok.“ „Was könnte Ronald denn gemacht haben?“, blinzelte ich verwundert, warf das Zewa weg und nahm einen Schluck von meiner nur halbvollen Tasse schwarzen Kaffees. Mir würde nichts einfallen, was der blonde Reaper getan haben könnte um ein Schicksal als Abrissbirne zu verdienen. Ich war mir des Weiteren sicher, dass die Wand Ronald kleineres Problem gewesen war. „Sag du es mir!“ Ich ließ meine Tasse sinken: „Woher soll ich das wissen?“ Warum sollte ich eine Ahnung haben, warum Underta…: ‚Oh oh.‘ Die Erkenntnis winkte mir nicht mit dem Zaunpfahl, dafür aber mit dem Vorschlaghammer und einer Menge Anlauf: ‚Ronald hat mir von der Campania erzählt...‘ Aber warum reagierte Undertaker so sauer darauf? Weil es seine Angelegenheit war und auch Ronald seine Nase darein gesteckt hatte? Genau wie ich? Wenn ich gestern geblieben wäre… wäre es mir ähnlich ergangen? Oder vielleicht sogar schlimmer? Ronald war ein Reaper… Genau wie Undertaker… Ich war nur ein Mensch. Und Undertaker mochte keine Menschen. Sicher mochte er mich auch nie wirklich. Ich war ja auch niemand, der es wert war gemocht zu werden. Ich hatte nichts an mir, was mögenswert wäre. Ich war einfach nur die Freundin einer Phantomhive… Und das tat so höllisch weh... „Weil du gestern unter vier Augen mit ihm geredet hast“, weckte mich eben diese Phantomhive aus meiner furchtbar quälenden Feststellung: „Und er sich schon den ganzen Tag echt komisch benimmt. Als ob das ein Zufall ist. Worüber habt ihr geredet?“ Ich seufzte: „Er benimmt sich… immer komisch.“ „Komischer als sonst.“ „Das geht?“ „Sky.“ „Ja, ja ist gut“, ein weiterer Schluck Kaffee. Meine Nerven lagen jetzt schon blank und ich blinzelte immer wieder neue Tränen weg, während ich mich krampfhaft bemühte ihre Anwesenheit aus meiner Stimme fernzuhalten. Ich wüsste nicht wie ich Amy erklären sollte was gestern passiert war, geschweige denn wie es in mir drin aussah: „Aber inwiefern? Was macht er denn?“ „Außer Ronald umbringen, meinst du? Eigentlich nichts. Und da ist der springende Punkt. Lachen gehört hab ich ihn heute vielleicht 2… 3 Mal? Und einen Lachanfall hatte er noch gar nicht. Kein Lachanfall in 2 Stunden! Weißt du wie oft das vorkommt? Richtig. Nie! Worüber habt ihr geredet?“ „Äääähm...“, machte ich gedehnt und überlegte wild hin und her. Was sag ich denn jetzt?: „Kannst du dir vorstellen, dass ich nicht so enden möchte wie Ronald? Meine Knochen halten das nicht aus.“ „Als ob er dir irgendetwas tun würde! Hau raus!“ Ich schlug die Augen nieder. Frustriert und trauriger als ich in meinem Leben je war wischte ich mir mit dem Handballen durch die Augen, während mein Blick in meine halbvolle vor sich hin dampfende Tasse fiel. Und ich war in meinem Leben schon sehr oft sehr frustriert und sehr oft sehr traurig gewesen. Doch gerade fühlte ich mich vollkommen… trostlos: „Ich… ich bin mir da nicht so sicher...“ Eine kurzer Moment des Schweigens seitens meiner besten Freundin. „Hast du gekifft?“, fragte sie im Anschluss daran ungläubig. Ich zog Augen und Augenbrauen zusammen: „Nein, hab ich nicht. Hab ich noch nie. Wie kommst du darauf?“ „Ehrlich jetzt, hast du? Das Zeug muss echt schlecht sein. Wenn du sowas machen musst dann kauf doch wenigstens bei Lee.“ „Amy“, ich schüttelte meinen Kopf: „Wie kommst du auf den Blödsinn? Ich bin gerade aus dem Bett gefallen und trinke meine erste Tasse Kaffee.“ „Weil du gesagt hast du seist dir nicht sicher.“ „Was hat denn bitte A mit B zu tun?“ „A muss ein Resultat aus B sein. Undertaker würde die niemals etwas tun!“ „Ts...“, langsam war meine Verzweiflung nicht mehr nur auf Gestern zu münzen, sondern auch auf eine schlichte Erklärungsnot: „Was willst du jetzt von mir hören?“ „Worüber ihr geredet habt!“ Ich seufzte: „Ich will es nicht erzählen, Amy...“ „Was?“ „Ich… will nicht darüber sprechen...“ „Echt jetzt?!“ „Ja...“ „Das ist nicht dein Ernst!“ „Ähm...“, ich wischte mir erneut ein paar Tränen aus dem Gesicht: „...Doch...“ „Hör mal“, begann die Phantomhive empört: „Undertaker demoliert die Villa, indem er Ronald als Vorschlaghammer benutzt. Den muss er so klein gefaltet haben, dass er mit Zylinder gemütlich in eine Streichholzschachtel passt und Undertakers Humor ist auf demselben Level wie Williams. Frank ist eine richtige Stimmungskanone im Vergleich zu ihm! Und du sagst nur du willst nicht darüber sprechen?!“ Die Tasse in meiner Hand zitterte so sehr, dass sie selbst nur bei halbem Füllstand drohte überzuschwappen. Meine Tränen brachen sich ihre Bahnen und ich konnte sie nicht mehr aus meiner Stimme verbannen. Warum… benahm sich Undertaker so?: „Ich hab Mist gebaut, Amy...“ „Weinst du?“ „Ich…“, ich schluchzte: „Ich hab gestern so viele Dinge getan, die ich nie hätte tun sollen...“ „Was? Was hast du gemacht?“ „Ich… ich...“, ich konnte es ihr nicht sagen. Ich wollte. Ich wollte mit jemandem darüber reden wie schlecht es mir ging. Was ich getan hatte… und worüber ich mir klar geworden war, doch…: „Ich kann nicht...“ „Skyler!“, jetzt ist es soweit. Ich kann zwar nicht sagen ‚Nenn‘ mich Sky. Skyler nennen mich meine Eltern nur wenn sie sauer auf mich sind‘, doch dafür kann ich sagen ‚Nenn‘ mich Sky. Skyler nennt mich meine beste Freundin nur, wenn sie mich am liebsten erwürgen würde‘. Nun waren also schon 3 sauer auf mich: Undertaker, meine Kaffeemaschine und Amy. Fabulös. Das wird mein Tag. Ich glaubte, ich ginge einfach wieder ins Bett… „Amy, ich...“, ich atmete raschelnd durch, während mir nun endgültig der Kaffee über meine Finger schwappte. Meine Stimme wurde von meinen Tränen geschüttelt, die ich nicht mehr unter Kontrolle bekam: „Ich bin einfach ein fürchterlicher Trottel. Aber ich kann dir nicht sagen, warum… Es… es geht nicht...“ „Warum weinst du? Sky, was ist passiert?“ „Ich… Ich leg jetzt auf, Amy.“ „Nein, nein, nein, das tust du nicht!“ „Doch...“ „Sky, sag mir warum du weinst!“ „Mach dir um mich keine Sorgen...“ „Zu spät!“ „Ach Quatsch...“ „Sky!“ „Hab noch viel Spaß beim Training und mit den Anderen...“ „Du kannst nicht einfach auflegen!“ „Wir sehen uns dann morgen Abend...“ „Rede mit mir!“ „Bye...“ „Sky!“ Ich drückte auf den roten Knopf und Amys Stimme verschwand. Eine Zeitlang stand ich nur da. Ich wusste nicht wie lange. In mir war alles so taub. Nur ein unterschwelliger Schmerz surrte beständig durch meine Seele. Undertaker war komisch drauf. Hatte ich ihn so dermaßen verärgert? Konnte das wirklich nur an mir liegen? Seine Augen… als ich gestern weggelaufen war. Bei dieser Erinnerung sprang mein Herz erneut in 1000 Teile. Nein. Es zerfiel einfach zu Staub. ~Lacrimosa ~ Ich schaute auf mein vibrierendes Handy. »Amy P. ƸӜƷ « Ich stellte meine Kaffeetasse ab und strich über den roten Button. Der Ton verstummte. Dann lief ich in mein Zimmer. ~Lacrimosa ~ »Amy P. ƸӜƷ « Erneut drückte ich sie erneut weg und warf mich auf mein Bett. Ich verbuddelte mein Gesicht in meinem Kissen, welches nach Minuten schon ganz nass von meinen Tränen war. ~Lacrimosa ~ Ich ließ es einfach klingeln. ~Fallen and born here ~ Mein Herz tat so weh. ~I want to love this blood-soaked world without fear ~ Es soll aufhören… ~Instead of being forgiven, forgive and have faith ~ Es soll aufhören zu klingeln… Es soll aufhören weh zu tun… ~And remain on the face of this earth ~ Mit einem wütenden Schrei wischte ich mein Handy vom Nachttisch. Es knallte auf den Boden. ~To count the tearful days that pass ~ Ich rollte mich auf meinen Bett zusammen. Dem Zusammenziehen meines Herzens folgend. Mein Kissen an mich gedrückt. Mein Gesicht darin versteckt. Und so lag ich dort und weinte lauter, als mein Handy klingeln konnte. Irgendwann hörte mein Handy auf hinter einander zu klingeln. Es hatte aber immer mal wieder angefangen. Sicher war es Amy gewesen. Irgendwann kam das Klingeln nicht mehr wieder. Sicher war der Akku leer. Ich begrüßte es. Ich wollte nichts sprechen. Es ändert eh nichts und niemand irgendwas… Mein Zimmer hatte ich nicht mehr verlassen. Essen konnte und wollte ich nicht. Ich lag einfach nur da und war hohl. Ich lag einfach nur da und hatte Schmerzen. Ich lag einfach nur da und erinnerte mich an jedes verdammte Mal, in dem ich den Bestatter getroffen hatte. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass der Totengräber so jemanden wie mich wirklich mögen könnte. Humorlos… Lügend… Eintönig… Langweilig… Die vier Eigenschaften, die mich am meisten disqualifizierten. Und ich fand in diesen etlichen Stunden in denen ich dort liegen musste noch hunderte mehr. Immer wenn ich mich an die Treffen erinnerte, wollte ein kleiner Teil von mir glauben, dass ich ihm wirklich als Person… als Skyler… wichtig gewesen war. Dieser Teil hoffte und wollte so sehr. Doch der rationale Teil war stärker. Und er erstickte den Kleinen sofort. Und er starb… mit seiner Hoffnung… in einer weiteren Welle entsetzlichen Schmerzens. Immer und immer wieder... Doch… was war das am Bach gewesen? Undertaker meinte ich solle nicht denken er sei ein Unschuldslamm. Hatte er nur eine Möglichkeit für ein bisschen Spaß gesehen? Eine Bettgeschichte? Und wäre ich nicht die Freundin einer Phantomhive hätte er meinen Namen sicher am nächsten Morgen wieder vergessen… Doch… war es überhaupt irgendwas gewesen? Wahrscheinlich nicht. Ich hatte ja nicht mal irgendetwas an mir, was mich für eine Bettgeschichte qualifizieren würde. Und er konnte mit diesen Augen wirklich jede kriegen, die er haben wollte… und mit diesem Lächeln… und wahrscheinlich nahm er sie sich auch… Vielleicht gerade jetzt… In diesem Moment… Was hielt ihn schon davon ab? Er hatte ja jetzt wo er mich los war, wieder die Zeit dazu… Mit einem scharfen Schluchzen zog sich mein Körper mehr zusammen. Ich war einfach dumm gewesen. Die ganze Zeit. Naiv und unfassbar dumm. Und naiv und unfassbar dumm wie ich war führte diese Einsicht wieder zu einem weiteren Schwall neuer Tränen. Mein Gesicht tat so weh. Meine Augen brannten so entsetzlich. Mir war so kalt. Und doch fühlte ich gar nichts. Ich war so müde. Und doch war alles so schrecklich dumpf. Es klopfte. Ich hörte ein Klopfen an meiner Zimmertür. War Amy früher zurückgekommen? „Verschwinde!“, rief ich verheult wie ich war. Die Tür ging auf: „Ich hab gesagt du sollst verschwinden, Amber!“ „Herrje, herrje“, hörte ich eine weibliche Stimme. Aber es war nicht Amys: „Amber? Habt ihr beiden Streit?“ Mein Kopf flog aus dem Kissen. Etwas anderes mischte sich in meinen Schmerz, in das Nichts. Nur unterschwellig, doch es war da. Ich war verwundert: „Lola? Was… was machst du hier?“ Mit ihrem milden Lächeln kam die rüstige Seniorin zu mir ans Bett und setzte sich auf meine Bettkante: „Och Liebes. Wie du aussiehst. Nun sag: Hast du Streit mit Amy?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein… nein, hab ich… noch nicht.“ „Oh je. Dann geht es doch um den Jungen.“ Ich funkelte Lola böse an. Ich funkelte so böse, weil sie recht hatte: „Er ist kein Junge! Und woher willst du das wissen?“ „Nun. Das Abendessen ist vorbei und du warst nicht da. Den Kaffeeflecken auf deinem T-Shirt entnehme ich du trägst deinen Pyjama nicht schon, sondern immer noch. Und deine Augen, Herzchen. Die sind ganz rot. Du siehst aus als hättest du den ganzen Tag nur geweint.“ Ich schaute auf mein Kissen, als sich brennend weitere Tränen in meinem vom weinen gereizten Augen sammelten: „Ich...“, ein Schluchzen lies meine Stimme so sehr zittern, dass ich kaum sprechen konnte: „Ich...“ Ich vergrub den Kopf wieder in mein Kissen. Ich hasste es, wenn andere Leute mich weinen sahen. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich stand diesem Kummer und dieser Taubheit so vollkommen machtlos gegenüber, dass ich mich nur noch viel erbärmlicher fühlte. Eine Hand strich durch meine Haare. So, wie es auch Undertakers immer getan hatte. Diese Geste machte mein Empfinden nur noch elendiger. Doch Lolas Stimme war ruhig und beständig: „Willst du nicht reden, Liebes? Man wird alleine mit Liebeskummer nicht fertig. Glaube mir, Schatz, das funktioniert einfach nicht.“ „Ich bin eine furchtbar dumme Pute, Lola!“, heulte ich weiter in mein Kissen. „Ja Herrgott, warum denn?“ „Weil ich dachte er mag mich!“ „So wie du ihn magst?“ Ich hob mein Kopf aus dem Kissen und schaute durch mein düstres Zimmer: „Nein… Aber einfach nur mögen, würde mir reichen.“ „Oh nicht auf Dauer, glaube mir.“ „Is‘ immer noch besser, als das was wirklich abgeht...“ Lola seufzte: „Was ‚geht denn ab‘?“ Ich schmiss meinen Kopf zurück ins Kissen: „Er hat nur so getan, als ob er mich mögen würde!“ „Das denkst du weil?“ „Weil er ein Freund der Phantomhives ist und ich auch...“ „Und das erkennst du an?“ „An…!“, ich hob wieder meinen Kopf: „Na, an...“ Mein Kopf ratterte. Doch er fand keine Belege. Ich hatte so viel gedacht. Mein Kopf fühlte sich an wie ein Hochofen. Wahrscheinlich war ich einfach viel zu müde gedacht, um jetzt auf den richtigen Gedanken zu kommen: „Es ist einfach… offensichtlich! Ich meine… Was bin ich denn? Was hab ich denn an mir, was man mögen sollte?“ „Du bist ein junges, hübsches Ding, mit einem hübschen Gesicht und schon allein einigen äußerlichen Attributen, die einem Mann durchaus den Kopf verdrehen könnten“, lächelte Lola, doch ich schaute ihr nur reichlich skeptisch ins Gesicht. Doch sie strich mir ein paar Haare aus dem Gesicht. So wie es auch Under…: ‚Arg…! Nein! Geh‘ weg! Geh‘ weg!‘ „Abgesehen davon“, fuhr die Küchenchefin fort: „Dass du so ein liebes, süßes Ding bist. Hach, Schatz. Ich bin mir sicher er hat dich gemocht und nicht nur so getan, um den Phantomhives einen Gefallen zu tun.“ „Ach!“ ich zog meinen Kopf weg, krabbelte in die hinterste Ecke meines Bettes und nahm mein Kopfkissen in den Arm, während ich die Beine an mich ran zog: „Er ist voll der Misanthrop!“ „Das ist ein sehr hartes Wort.“ „Aber es ist so! Du kannst dir nicht vorstellen, was der alles vom Stapel gelassen hat!“ „Ja, dann erklär es mir doch endlich.“ „Äh...“, ich stockte: ‚Oh Mist...‘ Ich konnte es Lola nicht erklären. Lola hatte von der Welt um die Phantomhives keinen blassen Schimmer. Wie soll ich ihr denn erklären, dass Undertaker 1873 Menschen durch ein paar wild gewordene Zombies getötet hat? Und mächtig Spaß daran hatte. „Ich… will nicht!“, schnauzte ich sie nur an und drehte den Kopf weg: „Das tut auch nichts zur Sache! Er mag keine Menschen und mich auch nicht. Punkt!“ „Selbst Misanthropen haben ein Herz, Liebes.“ Ich schaute wieder zu ihr: „Warum nimmst du ihn eigentlich so in Schutz?“ „Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man dich nicht mögen kann, Herzchen. Doch ich könnte dir besser helfen, wenn ich endlich wüsste über wen wir eigentlich sprechen.“ Ich seufzte: „Du kennst ihn nicht...“ Lola rutschte näher zu mir und lachte. Dabei hielt sie sich die linke Hand über den Mund. Ein eckiger Smaragdring - denn sie immer am Zeigefinger trug - blitzte dabei kurz in dem letzten Rest Abendsonne auf, der durch den Spalt meiner immer geschlossenen violetten Gardinen schien: „Vielleicht doch. Ich bin viel herumgekommen, ich kenne eine Menge Leute.“ „Ihn sicher nicht...“ „Versuch es. Wie heißt er denn?“ Ich warf meine Arme in die Luft: „Das ist es ja! Ich habe keine Ahnung!“ Sie zog eine ihrer friedhofsblonden Augenbrauen hoch: „Das musste du mir erklären.“ „Ich weiß nicht wie er heißt.“ „Du bist seit fast 2 Monaten konsequent bei ihm unterwegs und weißt nicht wie er heißt?“ Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Wer sagt das ich bei ihm war?“ Lola schüttelte den Kopf: „Du warst noch nie so oft weg. In den ganzen 4 Jahren nicht. Ich war auch mal jung, Liebes. Jung und verliebt. Ich weiß wie sich ein verliebtes Mädchen verhält.“ „Aha und wie?“ „Wie du. Backt ihm Geschenke, ist ständig bei ihm, weint über Kleinigkeiten wie ein Schlosshund.“ „Das war keine Kleinigkeit!“ „Ja, was war es dann?“ ‚Ach Fuck…‘, ich seufzte: „Is‘ egal…“ Lola verzog den Mund: „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du seinen Namen nicht kennen willst. Hast du nur ‚Hey du da‘ gerufen, oder wie?“ „Nein...“, ich schaute auf mein Kissen. Darauf waren viele schwarze Striemen, wahrscheinlich von meiner Schminke: „Er hat ‘nen Spitznamen und den benutzen alle.“ „Welchen denn?“ Ich schaute traurig wie ich war zur Seite: „… ‚The Undertaker‘...“ Urplötzlich fing Lola laut an zu lachen. Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Warum lachst du denn jetzt so blöd?“ Mit ihrer beringten Hand wedelte sich die rüstige Küchenchefin Luft zu: „ ‚The Undertaker‘? Ein sehr ulkiger Spitzname.“ „Ja… Er ist halt Bestatter...“ „Kann ich mir gar nicht vorstellen“, lächelte sie immer noch halb kichernd. „Das ist echt nicht lustig, Lola...“ Lola nahm mich an den Schultern: „Hach Sonnenschein. Lachen heilt. Versuch es.“ „Nein! Nein, ich werde nicht lachen! Ich habe von Lachen, Kichern, Gelächter und Gegiggel die Schnauze SOWAS VON VOLL!“, das LETZTE was ich wollte ist lachen. Ich hatte schon immer Undertakers Lachen im Kopf und es folterte mich zu Tode. Und dieses Lächeln… Dieses atemberaubende Lächeln, unter diesen atemberaubenden Augen… Mit dieser atemberaubenden grünen Farbe…:‘ AAAAAAAHHHHHH! WAS ZUR HÖLLE! GEH‘ WEG! GEH‘ ENDLICH AUS MEINEM KOPF RAUS!‘, auf diesen Gedanken folgte ein weiterer körperlich wie seelisch schmerzender Weinkrampf. Ich versteckte das Gesicht in meinem Kissen, doch mein Schreien… ich schrie so laut während ich weinte. Es zerriss mir die Kehle, doch ich.. ich konnte nicht aufhören: ‚Geh‘… bitte... Geh‘ endlich… Bitte...‘ Ich landete in Lolas Armen. Ich hatte keine Kraft mich zu wehren. Ich rollte mich in die Arme meiner Tante Amanda und weinte… und schrie… Ich weinte und schrie und war einfach nur erbärmlich. Und in meinem Kopf lachte es… und es tat so weh. Weil es so schön war und ich es so mochte und nie wieder hören würde. Nach einer gefühlten Ewig schwand mein Weinkrampf in einem leisen Wimmer. Lola strich mir über den Rücken: „Himmel, Herzchen. Dich hat es ja voll erwischt.“ Ich nickte in mein Kissen hinein. „Dieser ‚Undertaker‘ muss ein sehr spezieller Mann sein.“ Ich nickte wieder in mein Kissen. Er war speziell… Er war stark, hatte einen einzigartigen Charakter und sah verdammt gut aus, weil er so verdammt außergewöhnlich aussah. Diese Haare, diese Augen, sein Gesicht perfekt. So perfekt, dass es eine riesige Narbe einfach nicht entstellen konnte: ‚Oh bitte geh‘… da doch endlich raus… Ich mag nicht mehr… Ich kann nicht mehr...‘ „Ich hab eine Idee“, Lolas Hände griffen meine Schultern und drückten mich aus dem Kissen in den Sitz: „Du hast doch heute sicherlich nichts mehr vor, oder?“ „Nein“, zog ich meine Nase hoch. „Wie wunderbar! Ich auch nicht!“, Lola hob eine ihrer schwarzen Stofftaschen hoch. Eine wie die, in der ich Undertaker die Teilchen in den Laden gebracht habe. Mein Herz krümmte sich. Sicher hat er auch da gelogen… Er hatte sie sobald ich weg war sicher weggeworfen. Doch Lola lächelte mich an: „Hier drin sind 4 Becher Ben & Jerry‘s. Einmal ‚Strawberry Cheesecake‘, einmal ‚Strawberry Swirled‘, einmal ‚Halfbacked‘ und einmal ‚Blondie Brownie‘ und die DVD von Frankenweenie. Was sagst du? Wir gehen rüber, schmeißen die DVD ein und stopfen uns mit Eis voll, hm?“ Ich blinzelte sie an: „… Strawberry Cheesecake?” Das war meine Lieblingssorte... Sie nickte. „… Echt?“ „Ja.“ „Aber… die sind doch so teuer… Willst du die wirklich teilen?“ Lola lachte sanft: „Herzchen. Nichts ist zu teuer um ein gebrochenes Herz mit Eis zu kitten, glaube mir. Also?“ „Und… du hast wirklich Frankenweenie mitgebracht?“ Lola lachte wieder: „Das ist doch dein Lieblingsfilm, oder?“ Ich nickte: „Ja… schon...“ „Dann komm“, Lola zog mich auf die Füße und legte mir meine Bettdecke um: „So. Wir machen uns jetzt einen Frauenabend, Herzchen. Keine Männer weit und breit. Der wird sich eh noch ärgern dich losgeworden zu sein.“ Ich seufzte: „Ich bezweifle es...“ Lola zog mich ins Wohnzimmer: „Nein, nein, nein. Dem ist ein Fang durch die Lappen gegangen! Er sollte sich in ‚The Idiot‘ umtaufen lassen.“ „Eigentlich hab ich den Mist gebaut...“ Die Küchenchefin setzte mich auf die Couch und sich daneben: „Was hast du denn gemacht?“ „Ich… bin einfach weggerannt...“ Ihre Augenlider flatterten verwirrt: „Wie? Warum?“ „Weil...“, ich wickelte mich fester in meine Decke und drückte wieder mein Kopfkissen, das ich immer noch im Arm hatte und deswegen mitgenommen hatte: „Wegen dem was er gesagt hat. Er ist… auf den ersten Blick echt gruselig, doch ich dachte nicht, dass er wirklich SO gruselig ist. Da hab ich Angst bekommen und bin weggerannt...“ Lola blinzelte mich weiter an: „Heilige Scheeeeiße...“ Ich schaute sie mit zusammengezogenen Augen an. Ich habe noch nie eine 64 Jährige ‚Heilige Scheiße‘ sagen hören und schon gar nicht so. Aber Lola war immer sehr schülernah. Wahrscheinlich hielt das jung. Ich schüttelte den Gedanken weg. „Er ist trotzdem ein Idiot“, stand sie auf und legte die CD in den Spieler. „Hallo? Ich bin gerannt wie ein Hase...“ „Und er hat dich vergrault. Also ist er ein Idiot.“ Ich ließ meinen Kopf hängen: „Er ist kein Idiot...“ Lola setzte sich wieder und septe durch das Menü der DVD: „Das sagen alle verliebten Mädchen. Was du fühlst geht vorbei, Sky. Hat er versucht dich aufzuhalten? Oder dich wenigstens angerufen? Irgendwas gemacht?“ Ich schaute auf mein Kissen: „Er hat die Hand nach mir ausgestreckt...“ Und ich war einfach weiter gelaufen. Mein Herz schrie mich an, wie dumm ich doch war… „Und du?“ „Hab Angst gekriegt...“ „Warum?“ „Weil… wegen…“, ich seufzte: „Dad...“ Lola legte mit einem mitfühlenden Stöhnen den Kopf schief: „Oh nein… Sag nicht du hast gedacht...“ Ich nickte bevor sie zu Ende sprechen konnte. „Oh weh. Nicht, dass das alles nur ein riesen Missverständnis ist. Aber, er hat dich nicht angerufen, oder du ihn, oder?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das solltest du klären, Hase. Du bist vorbelastet und wenn man das nicht weiß dann...“ „Er weiß es...“ Jetzt blinzelte Lola in Unverständnis: „Dann... ist er wirklich ein Idiot.“ „Er ist kein Idiot!“ Lola lachte: „Ach, nimm ihn nicht so in Schutz, Schatz.“ Ich seufzte nur. Ich war der Idiot, nicht er. „Komm“, Lola legte den Kopf schief und griff ihre Tasche: „Kein Wort über Männer mehr, ok?“ Ich seufzte: „Ja… ok...“ Dann langte sie zu dem kleinen Schrank auf dem die Kaffeemaschine stand und zog zwei Löffel aus der Schublade. Sie gab mir das ‚Strawberry Cheesecake’ Eis und startete den Film. Ich liebte diesen Film. Er ist so süß. Mein absoluter Lieblingsfilm. Doch die Tatsache, dass der kleine Hund überall an seinem knuffigen Körper so viele Narben hatte, machte mein Befinden nicht ansatzweise besser. Doch ich schwieg. Lola gab sich so viel Mühe. Ich wollte es ihr nicht versauen. Doch ich starrte die ganze Zeit auf die lange Narbe direkt auf der Schnauze des kleinen Hundes, die von allen die schlimmste war. Als die Sonne wieder aufgegangen war, lag ich in meinem Bett. Ich konnte nicht sagen, ob ich geschlafen hatte. Weder wusste ich, ob ich wirklich wach gewesen war. Nachdem wir das Eis restlos verputzt hatten und Lola gegangen war, war ich in mein Bett gefallen. Und ich hatte weiter geweint. Immer weiter geweint. Ich hatte geweint, weil mich dieser Hund mit seinen ganzen Narben, so sondergleichen an den Bestatter erinnert hatte, dass ich diesen Film nie wieder schauen können würde. Es hatte so wehgetan. Dieser Hund hatte sein Herrchen so lieb gehabt. Doch mich… mich hatte der Bestatter nicht lieb… Er mochte mich noch nicht einmal... Dieser Gedankengang war so dumm, wie die Tatsache, dass mich ein Hund mit Narben so an ihn erinnern konnte. Doch heute weinte ich nicht mehr. Heute lag ich einfach nur da und dachte nach. Träge und schlaff. Ich hatte das Gefühl mit meinen Tränen wurde jedes Gefühl aus meinem Körper gewaschen. Nur ein unterschwelliges Surren in meiner Seele erinnerte mich daran, was ich getan hatte. Ich stand auf. Ich ging duschen. Verband mir mein schmerzendes Knie. Sogar mit der Bandage des Bestatters. Zog mein schwarzes Lieblingsoberteil mit den ¾ Ärmeln, meine schwarzen Beinstulpen, eine schwarze Jeanshotpant und eine dunkle, violette Strumpfhose an. Band mir gedankenverloren das kleine Zöpfchen und fragte mich noch im Tun wieso. Denn nun verband mich und den Bestatter ja wirklich gar nichts mehr. Ich trank sogar einen Kaffee, doch wenn mich jemand fragen würde, was ich diesen Sonntag getan hatte, ich könnte ihm nicht antworten. Oder zumindest nicht richtig. Ich wusste nur noch, dass ich im Wohnzimmer gesessen hatte, als die Wohnungstür auf und wieder zu ging. Amy kam ins Wohnzimmer. Eine Jogginghose und eine Sportjacke an: „Sky?“ Mein Kopf zuckte zu ihr hoch: „Hm?“ „Du siehst beschissen aus.“ „Danke für das Kompliment.“ Amy schüttelte seufzend den Kopf und setzte sich zu mir auf die Couch: „Was ist los, hm?“ Jetzt schüttelte ich den Kopf: „Ich will nicht darüber reden.“ „Das letzte Mal, dass ich dich so gesehen hab, war nach dem Tag an dem Lowell deine Eltern aus dem Wohnheim werfen musste.“ Ich erinnerte mich an den Tag. Elternsprechtag im zweiten Jahr. Irgendwie hatte meine Eltern Wind davon bekommen und waren zu mir in die Schule gekommen. Als mein Vater mit seiner strikten, kalten Stimme meinen Namen gerufen hatte und ich ihn gesehen hatte, war ich gerannt wie ein Hase. Genau wie… Ich wischte mir durchs Gesicht: „Erinner‘ mich nicht...“ Ich merkte ihre Hand auf meiner Schulter: „Wie lange sitzt du schon hier?“ Ich seufzte: „Eine Weile...“ „Den ganzen Tag, also“, verstand Amy sofort: „Ach Süße, was machst du nur?“ Wieder ein Kopfschütteln. Amy seufzte: „Warum hast du mit Undertaker gestritten?“ „Wie kommst du darauf, dass wir gestritten hätten?“ „Ich bin nicht blöd, Sky.“ „Wir haben nicht gestritten.“ „Was dann? Irgendwas ist ja wohl passiert.“ Ich seufzte erneut. Ich wusste nicht wirklich wie ich Amy erklären sollte, was am Freitagabend passiert war. Ich hatte auch keine große Lust dazu es zu erzählen: „Es ist einfach egal, ok?“ Amy legte den Kopf schief: „Du siehst aber nicht so aus, als sei es dir egal.“ „Doch… es ist mir egal.“ „Nein, du lügst.“ „Ach, lass mich in Ruhe.“ „Sky, ich...“ „Amy“, unterbrach ich sie uns schaute ihr ins Gesicht: „Ich habe keine Lust darüber zu reden, klar?“ „Warum nicht? Du weißt, dass du über alles mit mir reden kannst. Oder denkst du ich stehe per se auf Undertakers Seite?“ „Das ist es nicht“, schaute ich schräg zu Boden. Amy machte sich immer ihren eigenen Kopf. Sie als parteiisch zu bezeichnen würde ihr nie gerecht werden. Ich wollte einfach nicht darüber nachdenken was geschehen war. Ich hatte keine Lust mehr an den Totengräber zu denken. An seine traurigen Augen. An den Mist, den ich gebaut hatte. Daran wie weh das alles tat. Amy schaute mich eindringlich an, aber ich dachte nicht daran mit ihr zu sprechen. Es half doch eh nichts. Nichts und Niemand könnte mir jetzt irgendwie helfen. „Ich finde es keine gute Idee, wenn du wieder anfängst Dinge in dich hinein zu fressen, Sky.“ „Ach!“, ich stand auf: „Was du findest ist mir echt egal.“ Dann humpelte ich aus dem Zimmer, ohne Amy weiter zu beachten. Was war an einem Nein nur so schwer zu verstehen? Doch ihre Hand hielt mich fest: „Wir gehen eine Runde spazieren.“ „Ich will nicht spazieren gehen.“ „Wir tun das jetzt aber. Ich hab keine Lust auf das Spiel, Sky. Es geht dir nicht gut und ich habe Informationen die dir fehlen, um das alles besser zu verstehen.“ Ich zog Augen und Augenbrauen zusammen: „Inwiefern? Was denkst du muss ich besser verstehen?“ „Ich hab mit Sebastian gesprochen und er hat mir ein paar Dinge erklärt.“ Ich legte den Kopf schief: „Was hat denn jetzt Sebastian damit zu tun?“ „Na“, machte Amy und verschränkte die Arme: „Du und unser lieber Undertaker seid euch vielleicht gerade nicht in allzu vielem einig, aber darin, dass Schweigen Gold ist. Aber ich hab wenigstens aus Ronald rausbekommen, dass es um die Campania ging“, sie breitete die Arme aus um ihren im nachfolgenden verbalisierten Anstrengungen zu unterstreichen: „Da ich ja eine mitfühlende und ambitionierte Freundin bin, ließ ich mich nicht unterkriegen und hab mir einfach jemand anderen gegriffen, der auch auf der Campania war. Unseren guten alten Butler, Sebastian. Der erinnert sich noch lebhaft an alles was passiert war, glaub‘ mir, auch wenn auch er nicht gerne darüber spricht, weil er mächtig von Undertaker auf die Fresse bekommen hat. Aber er ist Papas Butler und hatte keine Wahl.“ Ich zog meine Augen ein weiteres Stück zusammen: „Nichts was du mir erzählen kannst, kann irgendwas ändern.“ „Warum nicht?“ „Weil…“, ich seufzte: „Es vorausgesetzt sein müsste, dass der Fehler bei Undertaker liegt, was er nicht tut.“ „Sondern?“ Ich legte den Kopf schief: „Was wohl...“ „Bei dir. Wenn es nach dir geht, liegt es immer an dir.“ „Es liegt immer an mir, Amy...“ „Das ist Blödsinn. Weißt du, manchmal liegt der Fehler bei niemanden, oder beiden.“ „Wie soll das denn gehen?“ Amy seufzte und stand auf: „Undertaker… erzählt Dinge sehr schonungslos. Auf die Art, wie er einfach ist und die ist teilweise recht schwer zu verkraften. Du bist recht sensibel. Manchmal krachen einfach zwei Dinge aufeinander die in dem Moment nicht passen. Das hat dann aber nichts mit irgendeiner Schuld zu tun. Das ist einfach nur doof gelaufen.“ Ich schaute zu Boden: „Ich hab mich aufgeführt wie der letzte Trottel. Es gibt einen Schuldigen und der bin ich...“ „Na, wenn dem so ist dann bieg es wieder gerade.“ „Das“, ich schüttelte den Kopf: „Kann ich nicht...“ „Zieh dir Schuhe an“, sagte Amy sanft: „Wir reden bei einem kleinen Spaziergang, ok? Bewegung macht den Kopf frei. Du siehst so aus, als könntest du das vertragen.“ Bewegung vielleicht. Meinem Knie ging es noch nicht wieder 100% gut, doch auf jeden Fall viel besser. Aber ein Gespräch über den Bestatter… dass brauchte ich wirklich nicht. „Ich nerve dich so lange bis du ja sagst“, grinste Amy: „Also sag am besten einfach ja.“ Ich seufzte. Wenn es der jungen Phantomhive Jr. an etwas nicht mangelte war es Beharrlichkeit. Also schaute ich Amy mit meinem ‚Du hast gewonnen, aber begeistert bin ich nicht‘ Blick an. Grinsend schob sie sich an mir vorbei: „Ich zieh mich kurz um, ok?“ Ich nickte nur. Während Amy sich umzog, schlüpfte ich in meine schwarzen, ausgetretenen Bikerboots, meinen Poncho und zog mir einen violetten Long Beani auf den Kopf. Ich zupfte noch meinen Pony zurecht, sodass er nicht unter der Mütze saß und zog den Zipfel nach unten um nicht wie einer der sieben Zwerge auszusehen, als Amy in Bikerboots, schwarzer ripped Jeans, einem dunkelblauen Longpullover, ihre Lederjacke und die Haare zu einem buschigen Pferdeschwanz gebunden auf den Flur kam. Sie harkte sich bei mir ein und wir verließen das Wohnheim in die kalt leuchtende Novembersonne. „Also?“, fragte Amy als wir auf den sauberen Wegen Richtung Swan Gazebo schlenderten: „Was hast du getan?“ Ich seufzte: „Ich habe Undertaker nach der Campania gefragt...“ „Und?“, zog Amber mich weiter. „Und...“, ich seufzte wieder, frustriert von mir selbst: „Als er mir ehrlich antwortete bin ich einfach weggerannt.“ „Weggerannt?“ „So schnell ich konnte...“ „Wow“, die Phantomhive schaute mich an: „Wow… hart.“ Ich nickte stumm: „Wird wohl ‘nen bleibenden Eindruck gemacht haben...“ „Kann ich mir vorstellen.“ Ein paar Minuten gingen wir schweigend durch die Abendsonne. Wir erreichten den Swan Gazebo. Langsam schlenderten wir zum Ufer der im Abendrot schimmernden Themse. Ich seufzte erneut: „Ich bin ein ziemlicher Trottel, Amy...“ „Das kommt drauf an, was er dir erzählt hat. Wovon weißt du?“ „Dass Undertaker mit seinen Dolls, oder wie die heißen, 1873 Menschen umgebracht hat.“ „Mehr nicht?“ „Hat mir gereicht.“ Nun seufzte Amy: „Ok, verständlich. Aber du weißt nicht warum sie auf der Campania waren, oder?“ „Doch“, ich verschränkte die Arme im Gehen: „Weil Undertaker sie dorthin gebracht hat.“ „Ja… auch. Aber sagen dir die Namen Rian Stoker und ‚Osiris‘ etwas?“ Ich blinzelte sie an: „Stoker, ja. Er war ein Arzt und bat Undertaker um Hilfe. Er hat auch irgendeinen Verein aufgezogen, der wohl ziemlich beschissen war. Osiris sagt mir allerdings nichts.“ Ich überlegte kurz, ob ich das alles überhaupt wissen wollte. Es machte keinen Unterschied. Bei Undertaker war ich unten durch, egal wie viel ich wusste. Doch meine Neugier war stärker als meine Frustration. Denn ‚Osiris‘ hatte der Bestatter wirklich mit keinem Wort erwähnt. Amys Kopf fiel mit einem kleinen Lächeln zur Seite, als sie die Arme verschränkte und einen Zeigefinger erklärend in die Luft hob: „Stokers Verein wurde von einer amerikanischen Firma namens ‚Osiris‘ aufgekauft. Diese Firma wollte die ‚Bizzare Dolls‘ als biologische Waffen gebrauchen, da sie keine Schmerzen spüren und lebende Menschen sofort attackieren. Um zu testen wie effektiv sie waren, wurden genauso viele Dolls wie Menschen auf die Campania gebracht. 2400 von jeden. 700 Menschen überlebten. Von den Dolls keine.“ „Du meinst… das mit der Campania war gar nicht Undertakers Idee?“ „Laut Sebastian, laut Ciel, laut Stoker nicht, nein. Hat Undertaker gesagt es wäre seine gewesen?“ Ich überlegte kurz: „Nun… Nicht direkt. Er sagte so etwas wie ‚Es sollte sich raus stellen, wer überlebte‘.“ „Siehste“, machte Amy: „Undertaker ergeht sich nicht gerade in Leid und Schande und es wäre gelogen zu verleumden er hätte bei der ganzen Sache nicht seinen Spaß gehabt. Aber das Experiment angeleiert hat Osiris, auch wenn Osiris wahrscheinlich immer nur eine Scheinfirma war. Aber Sebastian schwieg darüber. Er meinte das wäre auch kein wichtiges Detail für uns und wahrscheinlich hat er Recht. Undertaker war nur neugierig und hat deswegen mitgemacht.“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „‘Nur neugierig‘. Das ist eine nette Umschreibung. Er nannte es ‘mehr als nur billigend in Kauf genommen‘.“ Amy seufzte wieder: „Ja… Er ist kein Menschenfreund, das stimmt. Aber verübeln kann man es ihm eigentlich nicht. Er hat schließlich die meisten Kriege der Menschheit als Grim Reaper mitbekommen. Cool war das sicher nicht.“ „Du nimmst ihn in Schutz.“ „Ja und nein“, Amy legte den Kopf auf die andere Seite, als wir stehen blieben: „Er ist immer noch wie ein Onkel für mich. Er war da, wenn meine Eltern keine Zeit für mich hatten. Aber er ist auch ein Mörder. Doch wenn er Ciel damals nicht so zu gesetzt hätte, würde es das Geschlecht Phantomhive vielleicht nicht mehr geben. Dann hätte wir uns nie getroffen, weil ich schlicht und einfach nicht existieren würde.“ Alles zog sich zusammen. Ich ohne Amy… das… das geht nicht! Ich kann… will nicht ohne Amy sein! Eine Welt ohne sie wäre einfach nicht… lebenswert! In keinster Weise! „Wie...“ Amy schaute mich eindringlich an: „‘The Fallen will rise‘. Das Credo meiner Familie. Dieses Credo impliziert zwei Dinge: Das man fallen muss, um wieder aufzustehen und das man aufstehen muss, nachdem man gefallen ist. Ciel fiel. Früh. Doch er stand nicht aus eigener Kraft auf. Sondern durch Sebastian. Trotzdem trug er seine Nase so hoch, dass er fallen musste. Beide Seiten dieses Credos auf einmal zu brechen klingt unmöglich, doch das ist es nicht. Ciel hat es getan und Undertaker hat dafür gesorgt, dass er es gerade biegen musste. Weil Ciel Vincents Sohn war und er Vincent geschworen hatte auf seine Familie aufzupassen. Sebastian ist stark und Undertaker ist wahrscheinlich mit Grell, Claude und Ash einer der Einzigen, die stark genug sind gegen ihn anzukommen.“ „Wer ist Ash?“ „Ein Engel. Sebastian hat ihn nach etlichem hin und her 1800-irgendwas im Meer an der Insel der Toten versenkt. Doch das ist eine andere Geschichte. Ich will sagen, dass alles was Undertaker machte einen Sinn hatte und nicht zwingend aus seinem Mist entsprungen ist. Was nichts dagegen tut, dass er es nicht verhindert, sondern belacht hat, ja. Er kam zu den Menschen, weil er gelangweilt und neugierig war. Weil er wissen wollte, ob das Ende eine Weiterführung haben kann. Weil er so alt ist und nicht sterben kann. Weil keiner ihn töten kann und seine verhassten Augen ihn vor den Dornen bewahren solange er denken kann.“ „Verhassten Augen?“, wie kann man diese Augen hassen? Amy kratzte sich am Kopf: „Er mag sie nicht. Undertaker hat die Theorie, dass die Vergebung der Reaper am Ende der Tod durch die Dornen des Todes ist. Weil sie der einzige natürliche Weg sind auf dem ein Reaper sterben kann. Doch… sobald ein Sterbender seine Augen sah, kann er noch so rasend gewesen sein, es verflog. Wo keine rasende Seele, da keine Dornen. Also auch kein Tod für ihn, also auch keine Vergebung. Ich glaube sein Alter hat ihn streckenweise… nicht verrückt gemacht, sondern eher den Menschen entfremdet. Ich glaube, dass er so verrückt ist, wie er ist, ist insofern gut, da die andere Option der totale Wahn und Wahnsinn gewesen wäre. Und wer will ihn denn aufhalten? Die Welt hatte die Wahl zwischen einem neugierigen und immer nach Belustigung suchenden Sonderling, oder einer aus Frustration wutschnaubenden Bestie. Ich begrüße den Weg den er gewählt hat.“ Ich atmete tief durch. „Auch muss man bedenken, dass Undertaker am Ende immer alleine da steht, weil einfach keiner bleibt.“ Ich schaute Amy wieder an. Sie sah traurig aus: „Eigentlich ist er eine ganz arme Socke. Und er hält sich gut dafür.“ Mein schlechtes schlechtes Gewissen blühte und gedieh. Doch… warum? Das ich weggegangen war, war ihm doch sicher gerade recht gewesen. Kein weiteres dummes Kind, auf das er zusätzlich weiter aufpassen musste. „Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass es viele Menschen gibt die schlechter sind als er. Schließlich haben ihn auch Menschen in den totalen Abgrund gestürzt.“ „Wie? Wann?“ „1885“, Amy streckte die Hüfte zur Seite heraus: „Mit dem Mord an Vincent und Rachel.“ „Rachel?“ „Vincents Frau. Menschen haben sie umgebracht und dadurch schien Undertaker endgültig jegliche Rücksicht gegenüber der Menschen verloren zu haben.“ „Inwiefern?“ Amy hob die Hände: „Menschen waren die Wesen, die ihm Vincent genommen haben. Und der war ihm wichtiger, als sich irgendjemand vorstellen kann. Als er ihn verloren hat, ist für ihn sicherlich die Welt komplett zusammen gebrochen. Er hielt schon vorher von Menschen nicht viel. Er hat viel gesehen was furchtbar war und viele Menschen sind wirklich sehr sehr schlecht. Auch heute noch. Undertaker… ist sehr moralisch. Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht denkt. Es kotzt ihn an wie sich die Menschen gegenseitig behandeln, weil er es nicht verstehen kann. Er kann nicht verstehen, wie man jemanden denn man mögen oder lieben sollte einfach so schlimme Dinge antun kann. Er kann nicht verstehen wie Materielles über dem Wohl und Leben stehen kann. Für ihre Taten haben sie, seiner Meinung nach, jeden Segen verloren.“ Ich stockte. Meine Augen fielen zu Boden. Als Amy sagte, dass die Möglichkeit bestanden hatte, dass ich sie nie hätte treffen können, mir war sofort bewusst gewesen in was für einer tristen und schlimmen Welt ich gelandet wäre. Wie einsam ich wäre. Wie verlassen und ohne irgendetwas. Doch… Ich hatte Amy. Undertaker… hatte Vincent nicht mehr. Ich konnte mir gar nicht vorstellen wie es sein muss jemanden zu verlieren, der einem die Welt bedeutet. „Aber“, sagte ich schließlich: „Er ist doch selber furchtbar brutal.“ „Wenn es jemand nicht verdient hat, ist er der Letzte der ihm irgendetwas tun würde.“ „Es gibt keine weißen Westen, Amy.“ „Es kommt drauf an wie man weiß definiert. Lasterlos? Von jeder Schuld befreit? Nie einen Fehler begangen? So etwas gibt es wirklich nicht. Doch man kann seine Laster anerkennen, oder verleumden, dass sie da sind. Man kann zu seiner Schuld und Fehlern stehen oder sie abstreiten. Einige laden sich auch Schuld auf. Für das höhere Wohl. Sie erledigen die Drecksarbeit, damit andere in Frieden leben können. Warum denkst du, versteht er sich mit den Aristokraten und Grell, Ronald und William so gut? Haben sie Laster? Aber hallo, jede Menge. Sind sie sich dessen bewusst? Mit jeder Faser. Sind sie schuldig? Sie sind Mörder, Sky. Jede Generation von ihnen. Hundertfach. Die Reaper, weil es ihre Bestimmung ist. Stelle dir bitte eine Welt vor, in der niemand sterben kann. Würde auf Dauer eng werden, oder? Und die Nobelmänner lassen Menschen und Wesen verschwinden, die nur darauf aus sind sich selbst zu bereichern oder Anderen aktiv zu schaden. Oft beides zur selben Zeit. Sie tun was sie tun fürs allgemeine Wohl. Wissen sie, dass sie schuldig sind? Natürlich. Sagen sie es? Immer wenn du sie fragst. Und wofür? Für das höhere Wohl. Haben wir alle schon mal Fehler gemacht? Aus Fehlern lernt man, Sky. Niemand ist sich dessen mehr bewusst als Undertaker, der in seinen 200.000 Jahren laut ihm mehr Fehler gemacht hat, als er zählen könne. Und Fehler sind an sich wirklich nichts Schlimmes. Es geht nicht darum perfekt zu sein, es geht darum ehrlich zu sein. Es geht nicht um Rechtfertigung. Es geht darum dazu und dahinter zu stehen, was man tut.“ Ich wollte etwas sagen, doch ich verstummte schon im Luft holen. Mein Nacken zog sich zusammen. Meine Wirbelsäule brannte, als hätte mir jemand Lava in den Kragen gekippt: „Fuck!“ „Was?!“ In diesem Moment - von jetzt auf gleich – knallte es und der rote Abendhimmel wurde teerschwarz. Violette Wolken bildeten unheilvolle Wirbel. Rote Blitze zuckten durch das unnatürliche Wolkendach. Einer der roten, grellen Blitze sprang aus ihrer Mitte hervor, zerriss kreischend die Welt und schlug direkt neben uns in die Themse ein. Wir schrien und stolperten von dem Fluss weg. Das Wasser brodelte und begann zu sieden. „Was...“, japste Amy erschrocken: „War… ist das!“ „Keine Ahnung“, ich bewegte mich krampfhaft, um das Brennen aus meinem Nacken und Rücken los zu werden: „Doch es hat was mit Dämonen zu tun!“ „Was!“ „Dämon!“ „Schei… AH!“, ein lautes Platschen ging der gigantischen Welle voran, die Amy und mich traf. Obwohl es begonnen hatte große Blasen zu werfen, schwappte das Wasser novemberkalt über uns hinweg. Es riss mich von den Füßen. Alles verschwand in Blau und Blasen. Ich schluckte Wasser, fing an zu husten, wodurch ich nur mehr Wasser schluckte. Die Welle schwemmte uns bis zum Pavillon. Ich merkte wie sich die Fließrichtung drehte, als sich die Welle wieder zurück zog und mich mit sich nehmen wollte. Eine Hand griff meine. Als ich den Arm entlang schaute sah ich, dass Amy eine Säule des Pavillons gegriffen hatte und uns davon abhielt von der Welle in die Themse gezogen zu werden. Das Rauschen in meinen Ohren verschwand und Luft erreichte mein Gesicht. Es war kalt. Ich hustete und röchelte. Schnappte gierig nach der frischen Luft und Sauerstoff. Auch Amy hörte ich husten. „Ach du Scheiße“, machte schließlich die erstickte Stimme der Phantomhive: „Ach du heilige Scheiße!“ „Wa- ahu- ahu... Was?“, hustete ich gequält und öffnete die Augen. Amy brauchte nichts mehr sagen. Ich sah es selbst… und gab ihr sofort recht. Aus der Themse erhob sich, sicherlich so hoch wie der Big Ben, eine riesige Schlange. Ihre schillernden Regenbogenschuppen, wären sicherlich ein wunderschönes Farbenspiel, wäre das Vieh an sich nicht so potthässlich gewesen. Das Gesicht war flach. Gekrönt von einem Bullengehörn. Es hatte zwei Arme mit monströsen grässlichen Klauen. 5 an jeder riesigen, wulstigen Hand. Aus dem Wasser reckten sich 8 Tentakeln. Mächtige Gliedmaßen. Schillernd und vollkommen abartig. Mit einem kreischenden, bestialischen Schrei offenbarte es spitze, kolossale Zähne in seinem riesigen Maul und spreizte vier Flügel mit einer schier endlosen Spannweite. „Ein Leviathan!“, schrie Amy. „Ein Was?!“ „Ein Wasserdrache“, mit wedelnden Beinen stand sie auf und riss mich auf die Füße: „Ein hoher Dämon! Zur Hölle, komm!“ Das musste mir Amy wahrlich nicht zweimal sagen. Denn ‚zur Hölle‘ war genau die richtige Aussage. Angefacht von Angst, Panik und dem Sengen in meinem Nacken rannte ich der Phantomhive hinter her. Sie zückte ihr Handy: „Ruf‘ Sebastian an!“ „Mein Handy ist drin!“, schrie ich zurück: „Und leer!“ Sie wählte eine Nummer: „Ja, scheiße!“ Wir rannten weiter. Das Schreien und Geifern der Bestie im Rücken. Amy nahm das Handy vom Ohr: „Kacke! Er geht nicht ran! Wahrscheinlich ist er nicht zu Hause!“ Sie wählte eine neue Nummer. „Wer?!“, kreischte ich hysterisch und warf einen Blick über die Schulter. Das Monster wurde einfach nicht kleiner! Es stemmte seine Pranken auf und zerriss damit gefühlt das halbe Ufer. Ein weiterer Schrei krachte durch den violette verwirbelten Himmel. „Undertaker!“, hielt Amy ihr Handy wieder ans Ohr. „Du hast Undertaker angerufen?!“ „Klar, er ist am nächsten dran! Oder willst du lieber sterben?!“ „Ja!“, antwortete ich sofort. „Du spinnst doch!… Sebastian!“, wir rannten weiter. Amy hechelte in ihr Telefon: „...Swan Gazebo! … Ein Leviathan!... Komm schnell!… Der ist nicht Zuhause!… Natürlich rennen wir! Das Vieh ist riesig!“ Ich schaute noch einmal über die Schulter. Der Leviathan hatte mit einer Tentakel ausgeholt und schob sie über den Boden. Der Pavillon sprang wie eine Glasfigur. Büsche und Bäume knickten ab wie Strohhalme. Und sie kam direkt auf uns zu. „Amy!“, ich sprang ihr in den Rücken. Wir fielen auf das von der Welle nasse Gras. Amy sprang das Handy aus der Hand. „Beeil dich, Sebastian!“, schrie sie in das vor sich liegende Telefon. Dann schob sich die Tentakel über uns hinweg. Sie stank nach Schwefel und irgendetwas Saurem. War klamm und glitschig. Eine Schicht komischen Glibbers blieb auf uns und der Wiese zurück und ich wollte um keinen Preis der Welt wissen was das eigentlich war. Doch da wir so klein waren und flach auf dem Boden lagen, kullerten wir nur ein paar Mal um unsere eigene Achse und blieben auf dem Rücken liegen. Ich stemmte mich auf. Abermals schrie das Biest und ein Paar große, amphibische Ohren stellten sich wie eine höllische Krone auf seinem Kopf auf. „Wie hoch ist hoch?“, fragte ich Amy in Anbetracht des gewaltigen Monsters. „Sebastian wird seine liebe Freude damit haben“, antwortete sie die Antwort, die ich nicht hören wollte. „Glaubst du er kommt pünktlich?“ „Bete“, antwortete Amy in Schreck erfroren. „Er ist eine Dämon“, starrte ich das Vieh weiter an. Ich merkte wie bleich ich war. Amy berappelte sich als Erste: „Dann ketzte!“, sie riss mich wieder auf die Füße: „Aber tu‘ es rennend!“ Ich schnappte Amys Hand und wir rannten. Hinter uns hörten wir das Schlagen von Wassermassen und das Gebärden und Brüllen dieses Untieres. Ein Flirren surrte durch die Luft. Das gleiche Geräusch wie bei der ersten Tentakel -attacke. Wir drehten uns im Laufen herum… und sahen die Tentakel. „Verdammt!“, mein Kopf flog wieder zu meiner besten Freundin. „Renn!“, schrie Amy. Nicht, dass ich stehen geblieben wäre. Wir rannten. Wir rannten um unser liebes Leben. Immer wieder hörten wir die Tentakeln auf den Boden krachen. Es fühlte sich an als würde der Grund von vielen kleinen Erdbeben geschüttelt werden. Immer wider kamen die Phantomhive und ich ins Straucheln. Ein weiteres ungutes Geräusch schwirrte durch die Luft. Mein Kopf flog nach rechts. Ein großer Brocken des Pavillons flog in die Richtung, in die wir liefen. Ich bohrte meine Hacken in den Boden und mich und Amy zu stoppen: „Stop!“ Amy blieb an meiner Hand hängen. Der Brocken schlug nur ein paar Meter vor uns in den Boden ein. Die Phantomhive starrte auf das Trümmerstück: „Das war knapp...“ Das schlechte an der Sache war allerdings, dass das Trümmerstück vor dem Tor gelandet war, welches den Swan Gazebo von dem Schulgelände trennte. Nun lag ein hoher von Efeu und Schlingpflanzen bewachsener Gartenzaun, zwischen uns und dem weiteren Weg. „Wir kommen nie schnell genug über den Zaun! Das schaffen wir nicht“, schrie ich. „Ich hoffe du bereust nichts“, hauchte Amy angesichts der totalen Niederlage. Auf einmal ging eine Erschütterung durch die Wiese, die viel stärker war als die vorangegangenen. Wir wedelten mit unseren Armen um unsere Balance zu halten. Ein heißer Stich fuhr durch meinen Nacken. Die Welt verlief in Zeitlupe. Es wirkte alles so lange und langsam. Doch es waren nur Sekunden. Dann bröckelte der Boden unter unseren Füßen. Ich schaute zu Amy... und schubste sie weg. So stark ich konnte. Sie fiel nach rechts, ich nach links, als einer der Tentakeln aus der Erde hervor brach. Hart landete ich in der Wiese. „Sky!“ „Junge Lady!“, mit diesen Ausruf griff sich der Butler - der aus dem Nichts auftauchte - die Tochter seines Meisters... „Nein!“, Amy streckte die Hand nach mir aus. Und ich schaute zu ihr mit einem Lächeln: „Prefect vor Fag.“ Der Adelstochter flogen Tränen vom Gesicht: „WAS?!?! Sebastian, nein!“ … und sprang davon. Adelstochter vor Straßenkind. Zukunftsfroh vor Hoffnungslos. Außergewöhnlich vor Belanglos. Phantomhive vor Rosewell. Und als Sebastian mit Amy davon sprang, keimte Erleichterung in mir auf. Denn wenn ich Amy verlor, dann hatte ich endgültig alles verloren. Die Tentakel raste auf mich zu. Ich hob die Hände vor mein Gesicht und ich kniff die Augen zusammen… ...Und Gott… ...Ich bereute so vieles… „SKY!“                       *Lacrimosa by Kalafina; 2nd Black Butler Ending (englische Lyrics) Undertaker 25. 25 Pfandleier, Secondhandshops und Läden die Gold ankaufen später, war ich wieder in meinem Laden eingekehrt. Ohne meine Lockets. Merkenau krähte mich an, doch ich sagte kein Wort zu dem sich beschwerenden Raben. Mit einem lauten Scheppern landeten meine Sotoba in dem Sarg, in dem sie immer brav und treu auf ihren nächsten Auftritt warteten. Mit einem weiteren Krachen warf ich seinen Deckel zu. Merkenau blinzelte mich an und war beim ersten Krach still geworden. Er saß in seinem verklebten Federkleid auf dem Tresen und musterte mich mit einem eindeutigen Ausdruck in dem kleinen Gesicht. „Ja“, sagte ich schließlich nach einem tieferen Seufzen, als ich selbst von mir gewohnt war: „Man könnte es als schlechten Tag bezeichnen.“ Ich verschwand kurz in der Küche, um eine Schüssel mit lauwarmen Wasser zu füllen. Zumindest hoffte ich, dass es lauwarm war. Nach dem zwei Spritzer Shampoo darin gelandet waren stellte ich sie auf den Tisch. Ich zog meine beiden Mantel aus und krempelte meine Ärmel hoch, bevor ich Merkenau hinein setzte, um ihn zu baden. Mit wild flatterndem Flügel fing er an zu krähen, als ich ihn abgesetzt hatte. Ich hielt eine Hand vor das Gesicht um es vom herumspritzenden Wasser fern zu halten: „Wah! Was machst du?!“ Mit der anderen Hand fischte ich den Vogel wieder aus der Schüssel. Dieser krähte mir verständnislos entgegen. Ich seufzte: „Zu kalt?“ Merkenau schüttelte das kleine Köpfchen. „Zu warm?“ Merkenau nickte. Mein Kopf fiel zur Seite: „Pardon, kleiner Freund.“ Nachdem ich ein bisschen kaltes Wasser nach geschüttet hatte, tastete Merkenau erst mit seinem Füßchen das Wasser, bevor der mit Zucker und trockenem Tee besudelte Rabe von meiner Hand hinein hüpfte. Mit gezückten Taschentuch rubbelte ich die Überreste meines beinahe Herzinfarktes von dem kleinen Vogel. Merkenau krähte mir etwas zu, als ich gerade seinen Schnabel putzte. Ich nickte dem Vogel zu: „Ja, mit Skyler und Amber ist alles in Ordnung.“ Er krähte noch mal. „Nein, mit mir eher nicht.“ Ein weiteres Krähen. Ich seufzte noch einmal und band den Verband ab: „Claude, Hannah und Oliver sind mir entwischt und meine Anhänger sind im Nichts verschwunden. Ja, ich habe schlechte Laune.“ Dann flatterte Merkenau einmal mit den Flügeln und es landete ein großer Schwall Wasser in meinem Gesicht. Dann stockte ich. Ich wischte mir den nassen Pony aus dem Gesicht und schaute den kleinen Raben an: „Hast du gerade mit beiden Flügeln geflattert?“ Merkenau krähte stolz. Ein Lächeln zog sich wieder auf mein Gesicht: „Hehe. Wenigstens eine gute Nachricht.“ Ich befühlte seinen Flügel: „Ja, das fühlt sich gut an und ein ganzes Stück gewachsen bist du auch.“ Ich unterhielt mich noch eine Weile mit dem kleinen Vogel, während ich ihn badete und trocken rubbelte. Anschließend fiel ich ermattet in einen meiner Särge. Ich stellte ein weiteres mal fest, wie schön das war. Denn mein Rücken hatte sich noch nicht gänzlich von dem Gästebett der Phantomhives erholt. Es wunderte mich am nächsten Morgen selbst wie schnell ich eingeschlafen war. Kaum hatte ich den Deckel geschlossen, spürte ich wie müde ich war. Nicht zwingend körperlich, aber meine Seele war erschöpft. Erschöpft von dem doch recht nervenaufreibenden letzten Stunden. Nachdem ich die Augen geschlossen hatte, war ich auch schon in ein dickes Traumschwarz gefallen. Meine Augen sprangen auf, als ich am nächsten Morgen hörte wie meine Türe sich öffnete. „Hallo?“, hallte eine Frauenstimme durch meinen Laden. Ich kannte diese Stimme nicht. Vorfreude auf das Gespräch keimte in mir auf. Doch dann hörte ich eine ganze Schar Füße durch meinen Laden gehen. Ich stockte kurz. Ich schätzte, dass 12 Füße, 6 Paar, durch meinen Laden streiften. „Ist hier jemand?“, rief eine andere Stimme. Männlich. Ebenfalls unbekannt. „Kihihihi“, schob ich meinen Sargdeckel zur Seite und schwang mich in einer runden Bewegung aus meinem Sarg. Als ich stand und mich zu meinen Besuchern gedreht hatte verbeugte ich mich: „Einen wunderschönen guten Morgen, die Herrschaften.“ Ich hatte recht. 6 Menschen, 3 Männer, 3 Frauen, standen in meinem Laden. Selten hatte ich ihn so voll gesehen. Sie trugen durchgehend weiß, abgesetzt mit roten Nähten und Dekorationen. Die Frauen trugen ein Kleid, mit ausladendem Rock vorne bis zu den Knien, hinten etwas länger. Darunter trugen sie einen weiteren weißen Rock, dieser reicht bis zu den Füßen. Die Kleider hatten Glockenärmeln und darüber eine leuchtend rote Unterbrustkorsage, sowie eine weiße Gugel mit großer Kapuze. Die Männer trugen eine Art Uniform in reinweiß, mit Hose, Hemd, weißen Lackschuhe und einer langen, offenen Robe mit auffälligem roten Muster. Unter meinem Pony zog sich eine Augenbraue hoch. Kaum hatte ich die 6 reinweißen Gestalten gesehen, war ich zu gleichen Teilen interessiert wie skeptisch. Reinweiß trugen per se nur die Leute, die alles andere als eine weiße Weste hatten, doch sich eine wünschen würden, oder fälschlicher Weise dachten sie hätten eine. Dass sie für ihre Verzierungen die Farbe rot wählten, sprach ebenfalls Bände. Ihr einheitlicher Aufzug zeugte von einer tieferen Verbindung dieser 6 Menschen und ich war mir sicher, es nicht mit 6 der sympathischen Vertreter der menschlichen Rasse zu tun zu haben. Eine junge Frau - vielleicht zwei oder drei Jahre älter als Skyler und Amber - stellte sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht, dass ihr strenger, blonder Pferdeschwanz von Haaren befreit hielt, vor mich, schob ihre Hände in die weiten Ärmel und verneigte sich tief: „Seid gegrüßt, werter Herr.“ Meine zweite Augenbraue wanderte der ersten hinter her. Die Frau sprach sehr deutlich und sehr langsam, wirkte schon fast tranceartig oder benebelt glücklich. Etwas, was ich eigentlich sicher als belustigend empfunden hätte, würde sie nicht einen ganz künstlichen Eindruck auf mich machen. Die Art von künstlich, die der Künstelnde als Wahrheit erachtete. „Ni hi hi hi, was kann ein bescheidener Bestatter für sie tun, junge Dame?“ Die Frau stellte sich wieder auf: „Oh nichts, befürchte ich.“ „Aha?“ Einer der Männer stellte sich an die Seite der Frau: „Wir suchen unsere Schwestern, die die Villa Phantomhive wohl nicht lebend verlassen haben.“ Der Mann klang nicht künstlich oder so fern ab von der Wirklichkeit. Er hatte einen recht harten Ton an sich und wirkte nicht sonderlich freundlich. Ich verschränkte die Arme und stützte meinen Kopf in eine Hand: „Ja, in der Tat. Ich habe zwei Damen zu Gast, deren Identität mir ein kleines Rätsel ist. Tihi. Folgt mir.“ Ohne zu zögern gingen die beiden Reinweißen hinter mir her. Ich zog die beiden Frauen aus ihren Fächern. Das plakative, tranceartige Lächeln der Blonden blieb unberührt, das harte Gesicht des braunhaarigen Mannes war nicht um einen Zentimeter verrutscht. Keiner der Beiden wirkte nicht im entferntesten mitgenommen. „Oh wie unglücklich“, schüttelte die Blonde den Kopf und ihr langer Pferdeschwanz wankte hin und her: „Welch ein grausig Schicksal.“ Die Augen unter meinem Pony wurden schmaler. Der Schnitt ihrer Kleider wirkten recht altertümlich. Ihre Sprachwahl auch. Fast wie…: ‚1800...‘ Und wenn ich mich an ein Jahrhundert klar und deutlich erinnere war es das 19te. Doch ich verschränkte die Arme und grinste weiter: „Man kann nicht behaupten, ihnen sei auf den letzten Metern ihres Lebens langweilig geworden. Ihihihi!“ „Sicher nicht“, sprach die harte Stimme des Mannes: „Das sind sie. Wir nehmen sie mit.“ Nun breitete ich die Arme aus: „Wozu die Mühe? Kihihihi! Sie sind doch schon in einem Bestattungsunternehmen. Sagen sie mir was sie wünschen und ich lasse es geschehen. Ehehehe!“ Der Mann musterte mich kalt: „Nein, sie müssen auf ganz gewisse Weise beerdigt werden. Ihre Reinheit muss erhalten bleiben.“ ‚Reinheit?‘ „Ansonsten ist es ihnen unmöglich aus ihrer Asche aufzuerstehen.“ ‚Asche? Auferstehen?‘ „Oh, ja“, lächelte die Blonde weiter: „Bis zum Phönix ist es ein weiter Weg.“ Meine Augenlider flatterten: ‚Phönix?‘ „Die Regeln müssen penibel eingehalten werden“, die violetten Augen des Mädchen wanderten zu mir: „Kein Ritus darf verändert werden. Es gibt keinen Platz für Fehler.“ Diese Augen kamen mir bekannt vor. „Ich“, mein Grinsen wurde weiter. Nicht zwingend aufgrund von Amüsement, doch aus einer gewissen Form von Interesse: „Mache bei derartigen Dingen keine Fehler. Ihihihihi!“ Wieder schüttelte die Blonde ihren Kopf: „Ihr seid nicht rein genug um sie zu überführen.“ Ich stockte in meinen Gedanken schon wieder. Wie sie das Wort ‚rein‘ ausspricht klang komisch, bedeutungsschwer und sehr seltsam. „Tihi. Was bringt euch zu dieser Vermutung, junge Dame?“ „Ihr habt viele Laster“, sie trat bis auf einen Schritt zu mir heran und streckte ihre Hand zu mir aus: „Warum solltet ihr sonst eurer Gesicht verstecken.“ Bevor die Blonde mir meinen Pony aus dem Gesicht wischen konnte, schnappte ich ihre Hand. „Nihihihi!“, lachte ich: „Es gibt viele Gründe dafür.“ „Ihr müsst euch euren Sünden stellen, werter Herr. Wenn ihre Zeit abgelaufen ist, können sie sonst nie wieder auferstehen. Auch aus ihnen kann ein guter Mann werden, der einer zweiten Chance würdig ist.“ Was die junge Frau sprach machte mich mehr als nur skeptisch. Sie nahm meine Hand in ihre beiden Hände. Die Berührung der Frau hatte etwas Abstoßendes für mich. Es war ganz anderes Gefühl, wenn Skyler meine Hand in ihre Hände nahm. Ihre Berührungen wirkten mir zugeneigt. Diese Berührung wirkte nur auf eine negative Art und Weise bedauernd und mitleidig. Alles in allem äußerst unangenehm: „Eure Hände sind so kalt, werter Herr. Sie müssen sehr, sehr schwer wiegen.“ Ich gab meinem inneren Gefühl nach und zog meine Hand heraus: „Mein Seelenleben ist nichts, um das ihr euch fürchten müsstet.“ Sie legte eine Hand auf ihre Brust: „Ich fürchte um das Seelenleben aller Menschen, werter Mann“, dann wandte sie sich zu dem brünetten Mann: „Lorenz, gib dem werten Mann doch eine Einladung.“ ‚Einladung?‘ Mit einem Stöhnen kramte der Mann in seiner Manteltasche herum. Die Blonde wandte sich wieder zu mir: „Kommt zu einem unserer Treffen, werter Herr, und lasst uns auch eure Seele retten.“ Es war schon vorher offensichtlich, doch nun war es klar, dass es sich bei den 6 Gestalteten um Anhänger einer Sekte handelte. Etwas, was meine leisen Gedanken über ihr Gesagtes recht ungut ergänzte. Der Mann gab mir einen Flyer. Ich lachte die beiden Gestalten an: „Kehehehehe! Das sind Mühen, die ihr euch nicht wirklich machen wollt, junge Dame.“ Wieder ein blondes Kopfschütteln: „Uns ist keine Mühe zu groß.“ „Packt sie ein!“, befahl der Mann recht herrisch und mein Blick wanderte von dem blonden Mädchen weg. Die anderen weiß Gewandeten kamen stumm in den hinteren Teil des Ladens und nahmen meine zwei Gäste von ihrer Bahre. Mir waren die Hände gebunden. Was für eine seltsame Versammlung von Menschen diese Sekte auch immer sein sollte, ich konnte niemanden zwingen meine Dienste in Anspruch zu nehmen. Ich ging hinter den Menschen her und blieb im Verkaufsraum stehen, während die 4 weiß Gewandeten die beiden toten Damen aus meinem Laden trugen. Die 2 Wortführer erschienen ebenfalls wieder in meinem Verkaufsraum und gingen hinaus. Meine Türe ließen sie offen was mir sagte, dass dieses Treffen noch nicht sein Ende fand. In diesem Moment flog eine andere Stimme durch meinen Laden. Eine, die ich im Vergleich zu allen anderen Stimmen an diesem Tag nur zu gut kannte. Ein Mann mit langen roten Haaren kam auf mich zu: „Undertaker! Was ist denn hier los?“ Ich legte den Kopf schief: „Was meinst du, Grell?“ Grell blieb mit verschränkten Armen vor mir stehen: „Du hast ja ein richtig volles Haus.“ Ich giggelte: „Fu fu fu. Ja, ich war ebenfalls ein wenig überrascht.“ „Was sind das für Gestalten?“ „Nun, ich weiß es nicht. Ehehehe!“ „Wie, du weißt es nicht?“ Ich hob die Hände: „Ich führe ein Geschäft, Grell. Folglich finden sich bei mir häufiger Leute ein, die ich nicht kenne. Kehehehe! Als Bestatter hat man eher selten Stammkundschaft. Ehehehehehe!“ „Äh… ja… Wie auch immer!“, Grell winkte ab, schaute noch einmal über die Schulter und aus meiner Tür,e hinter der man die Gestalten immer noch sprechen hörte und wandte sich dann zu mir: „Du hast nicht angerufen!“ Ich verschränkte meine Arme wieder und neigte den Kopf: „Tehe. Warum sollte ich dich anrufen?“ „Skyler?! Amber?! Leben die Beiden noch? Geht es ihnen gut? Vielleicht hätte uns sowas interessiert, du Trottel!“ „Achso! Ahehehe! Da habe ich gestern gar nicht mehr drüber nachgedacht. Fu fu fu. Den Beiden geht es gut. Etwas durch den Wind, aber lebendig und gesund.“ Grell seufzte und entließ mit einem Hängen lassen seiner Schultern und einem nach hinten Kippen seines Kopfes Spannung aus seinem Körper: „Gott sei Dank… Warum kommst du nicht auf die Idee, dass uns das interessieren könnte?!“ Ich seufzte und hob eine Hand: „Das war gestern ein ziemlich nervenaufreibender Tag. Hehe!“ Grell seufzte und nahm seinen Kopf wieder nach vorn: „Nicht nur für dich, das kannst du mir glauben. Ich habe gezittert! Den ganzen Tag! Ich konnte mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren!“ „Du kannst dich nie auf deine Arbeit konzentrieren. Nihihi!“ „Hey! Bleib mal friedlich hier! Wäre ich nicht gewesen, wäre deine erste Romanze furchtbar in die Hose gegangen!“, dann beugte er sich zu mir herüber, bevor ich etwas erwidern konnte. Nicht, dass ich etwas zum erwidern gehabt hätte. Mit seiner letzten Aussage hatte mich der rote Reaper irgendwie kalt erwischt. Und er war noch nicht fertig damit: „Hat sie sich denn wenigstens bei ihrem Retter bedankt?“ Ich drückte ihn mit dem Zeigefinger an seiner Nase aus meinem Gesicht: „Worauf willst du hinaus, Grell?“ „Na“, der Reaper gebar sich überzogen theatralisch, als stände er auf einer Theaterbühne vor einem Millionenpublikum, was er nicht tat: „Du warst ihr Held! Ihr Retter in glänzender Rüstung! Ihr vom Himmel gesandter Schutzengel!“ Ich blinzelte ihn reichlich perplex durch meinen Pony an: „Jaaaa… Natürlich. Hihihi! Mach einen Punkt, Grell.“ Grell stemmte die Hände in die Hüften: „Stimmt doch!“ „Wuhuhu!“, begann ich dann doch zu lachen: „Ich bin kein ‚Held‘, ich bin ein Verrückter. Ich bin kein ‚Retter in glänzender Rüstung‘, ich bin ein Bekloppter mit einem alten Zylinder und ‚aus dem Sarg gefallener Sonderling‘, trifft es glaube ich doch eher als ‚vom Himmel gesandter Schutzengel‘! Kihihihi!“ Grells Kopf fiel zur Seite: „Mach dich nicht immer so schlecht.“ „Ich bin realistisch! Pahaha!“ Grell wedelte mit den Händen: „Ist ja auch Wurst! Hat sie?“ „Was stellst du dir darunter denn eigentlich vor?“ „Na!“, Grell umarmte sich selbst und wedelte mit seiner Hüfte hin und her: „Eine innige Umarmung! Vielleicht sogar ein Küsschen! Oh, bitte sag‘ mir sie hat dir ein Küsschen gegeben!~♥“ Ich schüttelte grinsend den Kopf, auch wenn mir mein eigenes Grinsen irgendwie… komisch schmeckte. Doch diese kleine Empfindung sickerte nicht ansatzweise aus mir heraus: „Tihihi. Nein und nein.“ „WAS?!“ „Es ist nicht passiert.“ „Keine Umarmung?!“ „Tehehe! Nein.“ „Kein Küsschen?“ „Nope.“ „Nicht mal auf die Wange?“ „Ich sagte doch nein.“ „Warum nicht!?“ „Fuhuhu! Ja, weil es nicht passiert ist.“ „Undertaker, du Trottel! Das war deine Chance!“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Ich hatte ja keine Chance für irgendetwas gesehen: „Aha?“ Grell hüpfte aufgeregt verärgert auf und ab: „Natürlich! Sie steht in deiner Schuld und du nutzt es nicht!“ „Warte“, kicherte ich mit der Hand vor meinem Mund: „Nihihi! Möchtest du mir gerade erzählen, dass ich sie zu romantischen Aktionen hätte zwingen sollen, indem ich sie damit erpresse in meiner Schuld zu stehen?“ „JA!“ Mein Kopf fiel zur Seite und ich schabte mit dem Fingernagel meines kleinen Fingers über die Fingerkuppe meines Daumens: „Das wäre aber nicht sehr nett.“ „Das wäre romantisch!“ „Das wäre Erpressung mit Tendenzen zur Nötigung.“ „Ach! Du hast keine Ahnung von Frauen!“ „Stimmt“, neigte ich kichernd den Kopf: „Tihihi! Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand gerne genötigt oder erpresst wird. Auch Frauen nicht.“ Grell stemmte die Hände in die Hüften: „Du reibst doch sonst auch jedem unter die Nase in deiner Schuld zu stehen. Warum jetzt nicht?“ Mein Kopf fiel zur anderen Seite: „Wer sagt, dass ich das nicht habe? Ehehehe!“ Grell zog eine Augenbraue hoch und verschränkte mir seitlich herausgestreckten Hüfte die Arme: „Und was hast du dann bitte verlangt?“ „Tihihi! Sie kommen morgen zum Staubwischen vorbei!“ Grell klappte der Kiefer auf: „Staub… Staubwischen?“ „Ja. Hihi!“ „Zum STAUBWISCHEN?!“, Grell packte mich am Kragen und schüttelte mich: „Willst du mich verarschen?! Du hast alle Möglichkeiten dieser Welt und bestellst sie zum STAUBWISCHEN?! Potzdonner Kiesel, ich fall‘ vom glauben ab! Wie blöd kann man sein?! Oh, wie kann man nur?! Du Trottel! Du unsagbarer Idiot! Du strunzdoofer Romantikallergiker!“ Ich wurde immer noch von vorne nach hinten geworfen, doch Grells Emotionsausbruch war ein weiteres Mal ein nicht versiegender Quell endloser Freude meinerseits: „Wenigstens war das keine sexuelle Nötigung! Pahahahahahahaha!“ Grell stoppte immer noch die Hände an meinem Kragen: „Sexuelle Nötigung?! Hey! Mach mal halblang! Ich habe von einem Küsschen gesprochen, nicht davon, dass du ihr Eine mit deiner Sense über die Murmel ziehen und sie an ihren Haaren in den nächsten Sarg zehren sollst!“ „Ein erzwungenes ‚Küsschen‘ ist für ein so zart besaitetes und schüchternes Mädchen, wie sie, sicherlich ähnlich schlimm, oder?“ Grell ließ von mir ab: „Wow. Du verstehst ja doch was von Frauen.“ „Nihihihi!“, kicherte ich in meine Hand: „Auf einmal?“ „Ja, doch. Der Einwand war nicht schlecht“, pflichtete mir Grell bei. Dann legte er eine Hand auf seine Brust: „Weißt du, eine so gestandene, in sich gefestigte, schöne und selbstbewusste Dame wie ich, verliert manchmal die Gefühlslage eines so schüchternen, jungen Dings aus den Augen.“ „Ja“, nickte ich langsam breit grinsend: „Wenn du meinst, Grell. Ahehehehehe!“ „Willst du etwas sagen, ich sei keine gestandene, in sich gefestigte, schöne und selbstbewusste Dame?!“ „Sagen wir“, ich musste mich zusammenreißen um durch mein aufkommendes Lachen deutlich sprechen zu können: „Du hast es auf jeden Fall faustdick hinter den Ohren. Wuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“ „Ich hoffe für dich, das war ein Kompliment!“ „Sieh es wie du willst. Nihihihi!“ „WAS?!“ Mich ergriff ein kleiner Lachanfall, der aber etwas schneller abebbte als sonst: „Pufufufufufu! Ich bin nur dafür verantwortlich was ich sage, nicht was du verstehst.“ „Ach! Du bist so furchtbar wie eh und je“, dann wanderte Grells Blick an mir hinab und wieder in mein Gesicht: „Apropos eh und je. Wo sind deine Anhänger?“ Ich seufzte genervt: „Verschwunden.“ „Bitte?!“ „Ich hatte gestern nicht die Zeit sie sorgsam zu verstauen und warf sie einfach ab. Als ich sie mir wiederholen wollte waren sie verschwunden.“ „Awwwwwwww!~♥“, quietschte Grell und ballte die Hände an seinem Kinn: „Du hast dein Heiligtum für sie weggeworfen! Oh meine Güte! Du bist ja wirklich total verknallt!“ Ich rollte die Augen, doch schaffte ein Lachen: „Ehehehe. Wahrscheinlich.“ Dass ich meine Anhänger verloren hatte ärgerte mich zutiefst. Diese kleinen Dinger waren das Wichtigste für mich gewesen. Zumindest bis ich… bis ich Skyler kennen lernte. Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht. Ich hatte sie einfach weggeworfen und ich bereute es nicht. Es ärgerte mich und ich war mehr als nur verstimmt, dass sie nun fort waren und all die Andenken die darin versteckt waren, doch es war im Vergleich zu Skylers Wohl ein Preis, den ich bereit zu zahlen war. Ich hätte nie gedacht einmal so zu denken, doch der Besitz meiner Lockets wäre dem Verlust der hübschen, jungen Frau nicht gerecht geworden. Grell wollte noch etwas sagen, doch eine dünne Stimme unterbrach ihn: „Werter Herr?“ Unsere Köpfe wanderten herum und die Blonde im reinweißen Kleid stand wieder vor uns: „Ich muss ihnen danken, dass sie meine Schwestern solange bei sich aufnahmen“, dann drückte sie mir ein Bündel Geld in die Hand und schloss meine Finger darum. Ihre Berührung empfand ich ein weiteres Mal als höchst widerstrebend: „Nehmt dies als ein kleines Zeichen unserer Dankbarkeit und angemessene Aufwandsentschädigung. Es würde mich freuen sie bei unseren Treffen begrüßen zu können.“ „Was für ein Haufen seid ihr eigentlich?“, fragte Grell die Blonde. Diese kicherte: „Nur ein paar trauernde Brüder und Schwestern, die ihre zwei verblichenen Schwestern abholen müssen.“ „Hö?“, Grells Kopf wanderte zwischen mir und der Blonden hin und her: „Warum? Das hier ist mit Abstand der beste Bestatter in ganz London. Wenn nicht sogar ganz Englands.“ „Ich möchte diesen Ruf mit keinem Wort in Frage stellen, doch es braucht einen gänzlich reinen Priester der alle Rituale vollzieht, damit unsere Verblichenen sich aus ihrer Asche wieder erheben können.“ Grell blinzelte. Er blinzelte mich an, mit einem Ausdruck dem ich entnahm, dass er ein ebenfalls so schlechtes Gefühl bei diesen Formulierungen hatte wie ich. Er schaute die Blonde wieder an: „Aus ihrer Asche auferstehen? Seid ihr verrückt?“ Die Blonde schüttelte ihren Kopf und drehte sich wieder zu mir: „Nehmt euren Freund ruhig mit, werter Mann. Er scheint auch einige schwere Laster mit sich zu tragen.“ „Bitte was?!“, echauffierte sich Grell: „Du hast doch keine Ahnung wer ich bin!“ „Ihr seid beide herzlich willkommen eure Seele reinigen zu lassen“, ignorierte die junge Frau Grells – berechtigten – Einwand, schloss ihre violetten Augen und legte wieder eine Hand auf ihr Herz: „Möge auch in ihrer Brust eine komplette Flamme lodern, die niemand löschen kann. Macht es gut, werter Mann“, sie nickte zu Grell: „Auch euch einen schönen Tag.“ Ein weit ausgeholter Harken Sebastians mitten in mein Gesicht hätte mich nicht härter treffen können, als dieser Satz. Dieser Satz, den ich etwas anders kannte. Diesen Satz, den ich etwas anders nur zu gut kannte. Ein Satz, den niemand mehr aussprechen sollte. Seit knapp 125 Jahren nicht mehr. Grell starrte der hinausgehenden Frau ebenfalls bleicher hinterher, als Shinigamis eh schon waren. Als sich die Tür geschlossen hatte wirbelte er zu mir: „Komplette Flamme?! Undertaker das…!“ Dann warf ich einen Blick auf den Flyer auf meiner Hand. Obwohl das Bild darauf nicht scharf war, erinnerte mich schon die Silhouette an Ungutes. Ich stürmte zu meinen Schreibtisch, ein mehr als nur schlechtes Gefühl in der Magengegend. Dort rupfte ich meine Schublade so unsanft aus ihrem Fach, dass Merkaneu müde krächzend seinen Kopf aus seinem Nest steckte. Ich kramte hastig darin herum, von jedem Amüsement gänzlich verlassen: „Ja, es gibt ein Problem.“ „Aber hallo!“, Grell stand nun ebenfalls an meinem Schreibtisch, als ich den Flyer auf den Tisch legte und meine Brille aufzog, um was ich suchte schneller zu finden. Merkenau hüpfte zum Flyer und krähte Grell genervt an. „Jetzt halt mal den Schnabel, Piepmatz!“, meckerte der rote Reaper: „Wir haben wichtiges zu…. AHHH!“ Merkenau war Grells Arm hoch gehüpft und ihm mitten ins Gesicht gesprungen. „Geh‘ runter! Ah! Au! Verschwinde, du dummer Vogel! AAAAAHHHH!“ Ich schaute auf und unterbrach mein Suchen, aufgrund eines schallenden Lachens. Die Welt hätte vor dem totalen Exitus stehen können, ich musste einfach in einem riesigen Lachanfall ausbrechen, als ich sah wie Merkenau sich auf Grells Kopf empor gekämpft hatte und darauf herum pickte. „Kannst du mir mal helfen?! Der Vogel will mich umbringen! Au! Jetzt geh da runter, du minderbemitteltes Federvieh! Au! AU! AU!!“ Nein, ich konnte Grell nicht helfen. Denn ich war damit beschäftigt lachend zusammenzubrechen. „Hilfe! AH! Lass das! LASS DAS!“ Ich schaffte es irgendwie durch zu atmen und streckte dem Raben meine Hand entgegen: „Fuhuhuhuhuhuhuhuhu! Merkenau. Es reicht. Tihihihihi! Wirklich. Wir haben was Wichtiges zu tun. Komm her. Puhuhuhuhu!“ Merkenau krähte noch einmal und hüpfte auf meinen Arm. Grell sah mich – reichlich zerpflückt – an: „Das Vieh ist eine Mordmaschine!“ „Grell“, ich zuckte mit einem Auge, als Merkenau ziemlich sauer einmal laut direkt neben meinem Ohr krähte, da er sich auf meiner Schulter niedergelassen hatte und mich so unterbrach. Ich drehte meinen kleinen Finger in meinem knisternden Ohr: „Das ist ein Babyrabe. Ehehehehehe!“ „Trotzdem!“ „Du, ein Todesgott mit einem Tripel A in der praktischen Prüfung, willst mir also erzählen, dass du nicht fähig bist dich einem Vogel zu erwehren, der noch so klein ist, dass er noch nicht einmal fliegen kann? Fuhuhuhuhuhuhuhu! Was zum Henker ist denn bitte aus dem Dispatch geworden, seit ich umgezogen bin?“ „Beton das nicht so als sei ich inkompetent!“ „Pffffffff! Was für ein Shinigami willst du denn bitte darstellen, wenn du dich nicht gegen einen Babyvogel wehren kannst?!“ „Ich bin gut in dem was ich tue, klar!“ „Pahahahahahahaha!“ „Arschloch...“, murmelte Grell. Dann seufzte er: „Aber könnten wir uns bitte wieder unseren Problemen zuwenden?!“ Mit einem lauten Lachen und einem Grell mehr als nur skeptisch beäugenden Raben auf der Schulter, kramte ich weiter in der Schublade. Schließlich fiel es mir in die Hände. Ich legte die alte goldene Anstecknadel, die ich aus der Schublade gesucht hatte, neben den Flyer auf den Tisch. Und meine Vorahnung wurde tragischerweise bestätigt: Sowohl die Anstecknadel, wie auch der Flyer zeigten einen goldenen Phönix mit ausgebreiteten Flügeln, umrahmt von einem Kreis auf Feuer. Das Symbol der Aurora Society. „Das”, stellte ich mit ungläubigen Blick auf die zwei Darstellungen eines Phönix fest und war mein Lachen endgültig los geworden: „Ist schlecht.“ Doch mindestens genauso merkwürdig war, was unter dem Bild auf dem Flyer stand: »Aurora Church The Order of the Tau 37 White Church Ln Whitechapel, London E1 7QR Great Britain Sonntagsmessen wöchentlich ab 9:30 Uhr« Grell schnappte sich den Flyer und seine Augen flitzten hinter seiner roten Brille darüber: „Aurora Church? The Order of the Tau?… Orden des Tau… Orden des Tau... War das nicht die neue Freikirche, die Lee erwähnt hat? Was zur Hölle soll das bedeuten? Das Wappen, komplette Flamme, auferstehen. Undertaker, das wirkt tatsächlich wie die Aurora Society! Das sollte unmöglich sein!“ „In der Tat“, ich nahm Grell den Flyer aus der Hand und studierte ihn ein weiteres Mal. Es stand außer der Adresse, dem Bild, dem Name und der Uhrzeit der Messe nichts darauf. Keine Verantwortlichen. Kein Anzeichen darauf wer dahinter steckte: „Das sollte tatsächlich in allen Punkten unmöglich sein. Außer uns sollte von der Aurora Society niemand mehr wissen. Wir haben damals dafür gesorgt, dass von der Aurora Society niemand mehr übrig war.“ „Niemand außer dir!“ „Wie wahr, wie wahr.“ „Es kann nur jemand dahinter stecken, der uns kennt oder selber mindesten 126-130 Jahre alt ist. Wer soll das sein?! Ich habe niemanden außer unseren Lieblingsmenschen davon erzählt. Du?“ „Natürlich nicht“, zum Lachen war mir angesichts dieser Informationen wirklich nicht mehr. „Ich glaube auch nicht, dass sich die Phantomhives, die Fengs, die Hermanns, die von Steinen oder Ronald und William verplappert haben.“ „Nein, Verplappern ist definitiv deine Meisterdisziplin.“ „Danke Arschloch!“, dann legte Grell kopfschüttelnd überlegend eine Hand an sein Kinn: „Die White Church Lane liegt auf jeden Fall am Anfang von Whitechapel und somit mitten im East End. Auch das deckt sich mit Lees Beschreibungen.“ „Da kennst du dich aus, hm? Jack the Ripper.“ Grell stöhnte: „Ja, ja. Knüpf mir nur einen Strick daraus. Du warst das Mastermind hinter der Aurora Society. Damit toppst du mich um ein paar hundert Tote.“ Ich breitete dann doch wieder mit einem kleinen Lachen die Arme aus: „Gewonnen. Ehehehe!“ „Du bist doch wirklich einfach nur irre. Aber was viel wichtiger ist, ist dass sich diese komische Freikirche wohl auf die Aurora Society beruft. Was bedenklich und wirklich schlecht ist. Du hast wirklich keine Idee?“ Ich schüttelte wieder ernst den Kopf: „Ich hatte keine Ahnung von dieser Kirche. Lee hat mir zur selben Zeit davon erzählt, wie dir. Sahen diese Leute aus, als würden sich mich kennen oder erkennen?“ „Nein… Für die müsstest du ja eine Art Messias sein, wenn die wirklich diesen Idiotismus als Religion neu aufrollen.“ „Es ist schon wirklich kurios wie sich eine religiöse Sekte auf dem Fundament eines hart gesottenen Wissenschaftlers wie Stoker gründen sollte.“ Grell hob eine Hand: „Man kann jeden Humbug als Wahrheit hinstellen, wenn man ein geschickter Redner ist. Warum sollte es also bei diesem komischen Orden nicht funktionieren aus einem einst wissenschaftlichen Bestreben eine Religion zu basteln? Religion heißt nur, dass Menschen zusammen finden die gemeinsam an etwas glauben, ob es jetzt irgendein Gott, Aliens, oder halt fadenscheinige Wissenschaften sind.“ „Ich weiß was eine Religion ist, Grell.“ „Das war nicht meine ganze Aussage!“ „Ich weiß, ich weiß. Ich verstehe ja was du meinst. Ist dir aufgefallen, dass diese Leute von Reinheit sprachen?“ „Ja, ist mir. Du denkst also es steckt ein Engel mit drin?“ Ich nickte nur. Ich war mir des Weiteren sehr wohl bewusst, dass die Trancys neuerdings mit einem Engel zu tun zu haben schienen, der nun schon zweimal seinen schützenden Flügel über Claude gehalten hatte. Wenn ich an etwas nicht glaubte waren es Zufälle. Ich war mir sicher, dass diese Umstände zusammen hingen. Das Puzzle komplettierte sich langsam. Zu einem sehr unheilverkündenden Bild. „Hmmmm… Aber der einzige Engel mit dem wir zu tun hatte, hat Bassy umgebracht.“ Ich nickte wieder. Grell wuschelte sich durch die Haare: „Ahhhh! Ich raff‘ das alles nicht! Was machen wir denn jetzt?!“ „Dem Earl Bescheid geben, vermutlich. Wenn Lee etwas in dieser Art herausgefunden hätte, hätte der Earl schon längst auf meiner Matte gestanden. Also tippe ich wir haben diese Informationen als Erstes.“ Grell seufzte: „Gut. Ich sag Will Bescheid. Damals haben sich Stoker und Co. auf dich verlassen. Nicht, dass sie schon wieder einen Deserteuren gefunden haben, der ihnen hilft.“ „Naaa“, macht ich und streckte Grell den Zeigefinger ins Gesicht: „Die Bizzare Dolls sind meine Kreation. Ich bezweifle, dass andere Shinigamis dazu in der Lage sind.“ „Wenn Informationen durch gesickert sind, wie du es damals getan hast, vielleicht schon.“ „Niemand außer mir wusste und weiß wie die Dolls funktionieren. Das habt ihr doch auf der Campania eindrucksvoll mitbekommen. Ich hüte meine Geheimnisse.“ „Ja, Chamber, diese bescheuerte Maschine und sein Gott-Komplex. ‚Nennt mich Caesar!‘ Ehrlich? Schlimmer als von dir verprügelt zu werden, war nur, dass ich diese Flachzange nicht durch den Wolf drehen durfte!“ Ich hob angesichts dieser amüsanten Erinnerung doch wieder grinsend die Hände: „Tja! Du hättest schneller sein müssen, Grell. Nihihihihi!“ „Schneller als du?! Wie, du Clown?! Ich war mehr als nur erpicht darauf den Vogel über den Jordan zu schicken und habe von dir dafür voll auf die Fresse bekommen!“ „Nicht mein Problem. Nehehehe!“ Grell stöhnte auf: „Wie auch immer! Ich geh zu William. Sag du dem Earl Bescheid. Was ein Scheiß! Warum muss ausgerechnet Das wieder aufkommen?“ „Ich bin auch nicht sonderlich glücklich darüber“, war mein Grinsen wieder verschwunden. Ich wollte auf keinen Fall, dass irgendwelche religiösen Fanatiker Wind davon bekamen wer ich war und vielleicht am Ende noch versuchten mich zu bekehren. „Wenigstens in dem Punkt sind wir uns einig. Mach‘s gut, armer Irrer. Wir sehen uns.“ Ich winkte Grell und er verließ meinen Laden durch die Hintertür. Dann griff ich mein Telefon und wählte die Nummer blind. Eigentlich wartete ich, bis der Earl zu mir kam. Doch diese Sache war mir nun ein persönliches Anliegen geworden. Es tutete und tutete, dann nahm der Earl Phantomhive endlich ab: „Undertaker? Was ist los?“ „Ehehehe! Hallo Earl. Ich habe, nein, wir haben ein kleines Problem.“ „Aha? Wenn du es schon als Problem bezeichnest möchte ich eigentlich nur wieder ins Bett.“ „Ahahahahaha! Ich kann dir nachfühlen. Ich hatte gerade eine Begegnung der dritten, wenn nicht sogar vierten Art.“ „Erzähl.“ „Bezahl. Nihihihi!“ „Du hast mich angerufen, Undertaker!“ Ich hob eine Hand: „Bin ich nicht gütig? Ich weiß, dass du wenn noch Monate brauchen würdest, um diese Informationen zu bekommen. Doch ich denke nicht, dass wir soviel Zeit haben. Fu fu fu! Das heißt allerdings nicht, dass ich meine Dienste verschenke, Earl.“ Der Earl seufzte lange: „Warte ich rufe Seba...“ „Ah ah ah!“, machte ich: „Heute will ich von dir bezahlt werden. Nihihihi!“ Die Witze des Earls waren meistens sehr sehr schlecht, doch was wirklich niemand so gut konnte wie er, war es sie mit so viel Widerstreben rüber zu bringen! Und das war Goldwert und so wunderschön anzuhören. „Gott… lass mich goggeln...“ Darauf folgten einige Minuten Stille und ich hörte ein Tippen am anderen Ende der Leitung. „Brauchst du wirklich das Internet dafür?“, sprach ich hörbar belustigt, aber nicht lachend. Ich wollte nicht das der Earl sich darauf berufen konnte, mich schon mit seiner emsigen Internetrecherche bezahlt zu haben. „Ja, brauche ich...“, mach ein paar Augenblicken erklang ein weiterer langer Seufzer: „Herrgott… Das ich das wirklich tue… Treffen sich zwei Folterknechte in der Kneipe...“ „Jaaaaa“, grinste ich, jetzt schon von dem Widerstreben des Earls merklich amüsiert. „Frag der eine: ...‚Wie viele Gefangene hast du in deinem Kerker?‘ “ „Jaaaaa“, grinste ich noch erwartungsvoller doch immer noch ohne zu lachen, wenn dies auch schwer war. „Muss ich das wirklich tun?“ „Ja, musst du. Es sei denn meine Informationen sind dir seit neustem nichts mehr wert.“ „Leider sind deine Informationen ihren Preis wert“, der Earl seufzte ein weiteres Mal, was mich fast zum Lachen gebracht hätte: „Sagt der andere… oh mein Gott, ich glaube mal wieder nicht, dass ich das wirklich tue… Sagt der andere… oh man… Sagt der andere...: ‚Achtunddreißig und ein paar Zerquetschte.‘...“ Ich prustete: „Pffffffff! Der ist furchtbar, Earl!“ „Du weißt, dass ich das nicht kann… Aber ich bin jetzt für einen weiteren Tag meine Ehre, meinen Stolz und meine Selbstachtung los geworden. Ist dir das nicht Bezahlung genug?“ „Tihihihihihihihihi!“ „Du hast gelacht! Jetzt rede, Undertaker.“ „Pahahahaha! So wie du dich echauffierst kein Wunder, oder? Aber gut, nihihihihi! Ich rede.“ „… Ich warte.“ „Eben waren ein paar komische Gestalten bei mir.“ „Aber du bist sicher, dass du nicht einfach nur in den Spiegel geschaut hast, oder?“ „Ehehehe! Nein. Es sei denn ich bin seit neustem ein 20 Jähriges Mädchen mit blondem Pferdeschwanz im weißen Kleid. Ahuhuhuhuhu!“ „… Könntest du jetzt endlich mit der Sprache rausrücken?“ „Fu fu fu. Wie du wünscht, Earl“, ich schaute auf den Flyer: „Es handelt sich wohl um die Freikirche, die Lee entdeckt hat.“ „Dem Orden des Taus?“ „In der Tat. Doch viel spannender ist wie sie ihre Kirche nennen.“ „Aha?“ „Die ‚Aurora Church‘.“ „Au...“, der Earl stockte: „Aurora?“ „Ja, Aurora.“ „Es ist nicht wonach es klingt, oder?“ „Ich würde es gerne verneinen, doch ihr Wappen ist ein Phönix.“ „Du veräppelst mich...“ „Leider nein. Und sie verabschiedeten mich mit: ‚Möge auch in ihrer Brust eine komplette Flamme lodern, die niemand löschen kann.‘ “ Der Earl stöhnte: „Das ist nicht dein Ernst...“ „Leider doch. Sie holten zwei der 15 Gäste ab, deren Identität ich nicht herausfinden konnte. Bezeichneten sie als ihre ‚Schwestern‘. Anbei erklärten sie mir, dass ich zu ‚unrein‘ wäre um sie zu beerdigen, da sie spezielle Riten vollführen müssen, damit ihre Verblichenen aus ihrer Asche wieder auferstehen können.“ „Das klingt tatsächlich nach der Aurora Society… Oh verdammt… Aber, Unrein?“, in der Stimme des Earls erkannte ich, dass er ebenfalls eine ungute Ahnung bei dieser Formulieren hatte: „Das klingt nach… einem Engel.“ „Auch hier: In der Tat.“ „Warte. Bei den Trancys ist doch auch vor kurzem ein Engel aufgetaucht, oder?“ „Jup. Ein komischer Zufall, findest du nicht? Nehehehe!“ „Ich glaube genau so wenig an Zufälle, wie du.“ Ich grinste: „Wie gut du mich doch kennst, Earl.“ „Also: Ein Engel taucht auf, offensichtlich in Olivers Diensten. Zur selben Zeit taucht eine Freikirche auf, die sich auf Reinheit und Auferstehung beruft und somit die krankhaften Züge der Aurora Society und einiger Engel vereinen. Auf sicherlich sehr ungute Weise. Es würde mich nicht wundern, wenn wir bei diesem Orden und Oliver von demselben Engel sprechen.“ „Bingo, Earl. Nihihihihi!“ „Des Weiteren waren zwei dieser Gestalten auf einer meiner Feiern.“ „Sie spionieren dich wohl aus, Earl. Nihihihihi!“ Der Earl seufzte: „Na herrlich… Und ich habe in der nächsten Zeit keine Zeit mich darum zu kümmern.“ „Dann schicke Sebastian. Tehehehe! Wozu hast du sonst ein dämonisches Dienstmädchen?“ „Ich brauche Sebastian. Wir müssen meine Firma retten und Amy und Sky auf ihr Volleyballturnier vorbereiten. Neben dem Wachhund bin ich schließlich noch Firmenchef und Vater.“ „Kehehehe! Wie recht du hast. Nun ja, der Untergrund ist noch ruhig. Außerdem hat Lee sie im Blick.“ „Vielleicht ist es sinnig sie noch in Sicherheit zu wiegen, bis wir sicher wissen, was sie vorhaben“, erwidert der Earl: „Wenn sie dasselbe vorhaben wie früher, wirst du es früher, oder später mitbekommen, weil sie bei dir missionieren werden.“ „Das werden sie bitterlich bereuen. Nihihihihihi!“ „Ich hoffe...“ „Kehehehehe! Darauf kannst du dich sogar verlassen! Aber von was für einem Volleyballturnier sprachst du?“ „Neben dem Kricketturnier am 4. Juli, hat die Schule eine zweite Sportveranstaltung beschlossen. Ich habe schon die Einladung dazu hier. Ich wollte dir eh Bescheid sagen. Sicher will Amy dich wieder dabei haben.“ „Tihihihi! Ich bin wie immer treu zur Stelle.“ Ich war wirklich kein Typ für soviel Trubel. Doch ich war immer bei den Schulveranstaltungen der Kinder dabei gewesen. Ich bezog meinen Posten an einem Platz weiter ab von dem normalen Publikum. Die Kinder wussten, dass ich da gewesen war, auch wenn sie mich nicht sahen. „Sie verlässt sich darauf“, betonte der Earl ein weiteres Mal: „Du weißt wie wichtig du Amy bist.“ „Du hast sie mir ja auch oft genug da gelassen. Nehehehe!“ „Ich weiß, Undertaker. Doch was sollte ich denn tun? Sie mitnehmen? Die Geschäfte des Wachhundes sind nichts für Kinder und Geschäftsmeetings auch nicht. Ein gutes Beispiel dafür hatten ihr vor 126 Jahren, oder?“ „Ja, ja. Der gute kleine Earl. Ich habe dir mit Nichten einen Vorwurf daraus gemacht, Earl.“ „Amy wird dich wie immer bitten endlich mal im Publikum zu sitzen.“ „Ach, Earl… Da ist es immer so laut.“ „Undertaker, bitte. Tu‘ es für Amy.“ „Ich überlege es mir, ok? Wann trainieren die Beiden denn? Ich will unbedingt sehen, wie Sebastian sie durch die Gegend hetzt! Ehehehehe!“ „Am Wochenende.“ „Oh, ich werde da sein! Fuhuhuhu!“ Seitdem Claude aufgetaucht war, merkte man wie geladen Sebastian eigentlich war, wenn man ihn etwas besser kannte. Seine Wut war verständlich. Mir gefiel es auch nicht wie gut die Trancys uns im Moment an der Nase herumführten und auch das noch vermeintliche, doch sehr wahrscheinliche, Wiederauftauchen der Aurora Society beflügelte den Butler sicherlich nicht gerade zu Luftsprüngen, was auch verständlich war. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass die Möglichkeit bestehen könnte ihn in – sagen wir – seinem Trainiereifer ein wenig bremsen zu müssen. Sebastian war ein guter Trainer, oder Lehrer. Doch als Dämon war er fernab von verständnisvoll. Und er war wütend. Sehr wütend und verstimmt. Wie gut diese Gleichung war lag auf der Hand. „Du schadenfrohes Irgendwas. Mir fällt noch nicht mal ein Wort für dich ein.“ „Dabei solltest du mir heute eigentlich so wohlgesonnen sein!“ „Ja, du hast mir sehr unvorhergesehen den Tag versaut.“ „Was denkst du wie ich mich gefühlt habe?“, erwiderte ich gespielt beleidigt: „Ich mache drei Kreuze, dass diese Vögel anscheinend nicht wussten wer ich bin!“ Merkenau krähte mich beleidigt an, als hätte ich auch ihn beleidigt, in dem ich seine Spezies als Beleidigung benutzte. Ich kraulte ihn beiläufig am Schnabel und er begann sich in wohligem Schweigen zu ergehen. „Nun gut… Ich muss Lee anrufen. Ich kann ihn nicht ins offene Messer rennen lassen. Wenn ein Engel und die Trancys mit drin hängen ist die Sache gerade exorbitant gefährlich geworden. Wir sehen uns dann am Wochenende. Danke für deinen Anruf.“ „Ich bin wie immer zu Diensten, Earl. Bis dann. Kehehehe!“ „Bye“, legte der Earl schließlich auf. Ich seufzte und kraulte Merkenau den Schnabel: „Dinge, die ich nicht brauche.“ Merkenau krähte etwas. „Ja, mich holt gerade die Vergangenheit ein. Und wie es scheint kombinieren sich die Dinge gerade recht ungut. Aurora, die Trancys und ein Engel? Das ist eine Dreifaltigkeit, die alles andere als heilig ist.“ Merkenau legte überlegend den Kopf schief. Dann krähte er noch mal. „Ja“, machte ich und legte meine verschränkten Beine auf dem Schreibtisch: „Eigentlich sollten Engel heilig sein. Doch die Menschen halten ihren Idealen schon lange nicht mehr stand, was mehr als nur Einen von ihnen ins Chaos stürzt.“ Merkenau schien ein paar Minuten auf meiner Schulter zu grübeln, bis er seine Antwort krächzte. „In der Tat“, lachte ich: „Tehehe! Wir können erst mal nur abwarten und Tee trinken.“ Obwohl ich noch mit meinen Anderen, mittlerweile nur noch 13, neuen Gästen zu tun hätte, ging ich am nächsten Tagen, nach Tagen mit einem Schlenker über meine Floristin und dem kleinen Kramladen, wieder auf den Friedhof. Es war ein ruhiger Tag. Die graue Wolkendecke verschonte London zwar von einem Regenguss, doch hielt der verhangene Himmel den größten Teil der Londoner davon ab in Parks und auch auf Friedhöfe zu gehen. So war ich mit meinen toten Freunden vollkommen alleine, während ich ihre Ruhestätten wieder auf Vordermann brachte und hing ein wenig meinen alten Erinnerungen nach. Kurz nachdem ich um kurz vor Vier die Türe hinter mir zu gezogen und einen Keks zwischen meine Lippen gesteckt hatte, ging sie auch schon wieder auf. William kam um Punkt 16 Uhr - nach seiner Schicht - durch meine Tür. Er grüßte mich mit seinem gewohnt knappen Nicken. „Hallo William“, grinste ich und zog meine Unterlagen und einen alten Taschenrechner aus meiner Schublade, da der strenge Reaper es nicht schätzte wenn man seine Zeit verplemperte: „Einen Tee?“ „Gerne“, antwortete William kurz, schlug schon die Bücher auf und einen Bleistift aus der Brusttasche. Ich verschwand kurz in der Küche, kochte Tee und landete dann mit William an meinem Tresen. Der Aufsichtsbeamte hatte der Weilen jede Tür und jedes Fenster aufgerissen, dass er finden konnte. Ich setzte meinen Hut ab und meine Brille auf. „Wie kannst du in so einer Luft überhaupt arbeiten?“, fragte William, während er etwas in den Taschenrechner tippte. „Ehehehehe! Ich bekomme das gar nicht mehr mit. Ich mag meinen Laden wie er ist!“ „Stickig und stinkend?“ „Du bist mal wieder über alle Maßen charmant, William. Ehehehe!“ „Was war eigentlich gestern bei dir los?“, erkundigte sich William, ohne auf mein Kommentar einzugehen oder von den Büchern aufzuschauen. Ich seufzte: „Zu viel. Ich dachte Grell wollte dir Bescheid geben.“ „Das hat er. Er erzählte, dass die Aurora Society wohl als diese Freikirche wieder aufgetaucht ist und die Unterstützung eines Engel genießt, der wahrscheinlich auch bei den Trancys eingebunden ist.“ „Nihihihi! Soweit unsere Vermutungen, ja. Ich habe diese Beschreibung nichts hinzuzufügen. Kehehe.“ „Wie will der Earl jetzt vorgehen?“ „Sie weiter beobachten und herausfinden was die ganze Sache soll.“ „Das klingt vernünftig. Was machst du jetzt?“ „Meine Abrechnung hinter mich bringen und das am besten bevor ich mich zu Tode gelangweilt habe. Nihihihihi!“ Williams Augenbraue zuckte: „Und danach?“ „Mir den Laden putzen lassen. Tehehehe!“ Williams Kopf zuckte hoch und er schaute mich verständnislos an: „Wie bitte?“ „Na, denkst du ich lasse Amber und Skyler für ihre Trotteligkeit so ganz ungeschoren davon kommen?“ William seufzte: „Eigentlich wäre ich ausnahmsweise ganz deiner Meinung. Aber deinen Laden putzen? Das ist eine Aufgabe, die ich meinen schlimmsten Feinden nicht wünschen würde.“ „Ehehehe! Sie sollen doch nur Staubwischen.“ „Das macht es nicht besser.“ „So schlimm ist es auch nicht.“ „Nein, schlimmer.“ Ich lachte. Dann wurde ich ernster: „Ich danke dir, William.“ „Wofür?“, hatte der Shinigami seine grellgrünen Augen wieder auf die Bücher gesenkt. „Für deinen Anruf.“ Er schaute mich kurz an ohne den Kopf zu heben. Dann senkte er seine Augen wieder und schüttelte den Kopf: „Lass uns einfach nie wieder darüber sprechen. Du willst wegen Aurora also nichts unternehmen?“ Ich hob seufzend die Hände. Einerseits, weil William meinen ehrlichen Dank nicht annehmen zu können schien und andererseits wegen der Frage bezüglich der neuen, sehr unerwünschten Situation vor der wir alle standen: „Solange der Earl nichts sagt. Am Ende finden die nur raus wer ich bin und stehen vor meiner Tür! Das will ich mir nicht antun.“ „Verständlich.“ Während ich mich mit Zahlen und Williams Erklärungen herum schlug, schlummerte Merkenau in vollkommener Seelenruhe auf meinem Zylinder. Ich war neidisch auf ihn. Ich würde auch lieber schlafen, als mich durch meine Abrechnungen zu kämpfen. Nicht, dass ich nicht dahinter gestiegen wäre, doch es war alles so anstrengend, langweilig und dazu noch langwierig. „Tu nicht so, als ob du es nicht verstehst“, fauchte William irgendwann genervt, nachdem mein Kopf auf dem Tisch gelandet war. „Hehehehe!“, lachte ich und schaute wieder auf: „Ich habe lediglich gesagt, es sei anstrengend.“ „Du hast jahrelang Verwaltungsarbeiten erledigt, die bei weitem anstrengender waren!“, konterte der strenge Reaper. Ich lachte weiter: „Und hatte das Gefühl lebendig zu verwesen, ja. Tehe!“ „Himmel Herrgott!“, schüttelte William seinen Kopf: „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ „Nehehehe!“, grinste ich ihm entgegen: „Weil du mich eigentlich magst, William.“ „Überstrapaziere meine Freundlichkeit nicht!“ Plötzlich klopfte es gegen meinen Türrahmen. Williams und mein Kopf wanderten gleichzeitig herum. Skyler und Amber standen in der Tür. Mein Herz tat unwillkürlich einen kleinen Hüpfer, als ich das schöne brünette Ding – gesund und munter – in meinen Laden kommen sah. Spontan hatte ich das Gefühl, der Himmel vor meinem offenen Fenster war nicht mehr ganz so grau. Ich schaute kurz auf Williams Armbanduhr. Es war erst 16:35 Uhr, die Mädchen waren also eine knappe halbe Stunde zu früh. Meine Predigt muss einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Grinsend verschränkte ich meine Fingerkuppen: „Ah! Meine zwei Putzteufelchen sind da. Wie erfreulich! Sogar überpünktlich!“ Skyler winkte zerknirscht. „Hi“, machte Amy kurz und ähnlich zerknittert. William sah die beiden an: „Ihr habt keine Ahnung, in was ihr euch da rein manövriert habt.“ Dann ging Skyler zu dem Aufsichtsbeamten, streichelte im Gang kurz Merkenau, der nur mit einem Auge aus seinem Schlummer erwachte und blieb hängenden Kopfes vor William stehen: „Es kann nicht so schlimm sein wie sterben, William. Das ich überhaupt noch hier stehe ist dank dir. Ich danke dir. Ich habe keine Ahnung wie ich das je wieder gut machen soll.“ Auch Amy trat mit reumütig hängendem Kopf hinter sie: „Wir danken dir und wir haben keine Ahnung... Das war echt cool von dir. Wenn du auch noch ein Büro zum entstauben hast, sag Bescheid.“ William machte einen künstlich genervten Laut. Hinter seiner harten Fassade sah ich, dass auch er eigentlich froh war, dass den Mädchen nichts passiert war. Wäre es ihm kein Anliegen gewesen hätte er nicht eine Handvoll Regeln gebrochen und mich angerufen: „Das Angebot ist verlockend, aber glaubt mir, ihr seid mit dieser Räuberhöhle genug gestrafft. Ich würde es allerdings vorziehen eure Namen kein zweites Mal in zu naher Zukunft in unserer Liste zu lesen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für Theater Grell veranstaltet hat.“ Ich ließ die Drei alleine und ging in die Küche. Ich machte zwei Putzeimer fertig und legte auf den Rand jeweils zwei Putztücher. „So!“, stellte ich lautstark die Eimer auf meine Tresen. Sofort hatte ich die Aufmerksamkeit aller. William rettete das Papier vor dem überschwappenden Wasser. Merkenau rettete niemand und ich badete den kleinen Vogel in einem Schwall des noch sauberen Putzwassers. Der kleine Vogel hat wirklich kein Glück. „Entschuldige“, grinste ich den Vogel an. Er antwortete mit einem verstimmten Krähen. Jetzt wo er endgültig – und recht ruppig – geweckt wurde, begab er sich zur Keksurne und zog sich sein zweites Frühstück heraus. Ich steckte mir einen Keks in den Mund und trocknete den kleinen Vogel mit einen Stofftaschentuch ab, was ihn dieses Mal ein wohliges Krähen entlockte. Trotzdem lag darin eine klare Anklage. „Ich weiß, ich weiß“, lachte ich: „Hehehehe! Wie gesagt, es tut mir leid.“ Merkenau hüpfte meinen Arm hinauf und setzte sich mit einem betonten Schütteln, dass er es sich genau jetzt und für den Rest des Tages darauf gemütlich machen wird, auf meine Schulter. „Das ist also Merkenau?“, fragte Amy und musterte den kleinen Vogel. Ich nickte: „Hihihi. In der Tat.“ Ich kaute endlich meinen Keks und schluckte ihn herunter. „Oh, der ist sowas von süß!“, schwärmte die junge Phantomhive: „Ich weiß gar nicht was Grell hat!“ Als Grells Name fiel betonte Merkenau seine Aversion mit einem verstimmten Krächzen. Ich lachte in Erinnerung an Merkenaus gestrigen Angriff auf Grell: „Die Beiden können einfach nicht miteinander. Das hatte Grell sich auf Anhieb verscherzt.“ Merkenau drehte seinen Kopf zu mir und krähte mir schrill genau ins Ohr und machte mir damit deutlich, dass ich seiner Meinung nach noch gründlich untertrieben hätte. Ich drehte abermals mit einem zuckenden Auge meinen kleinem Finger in meinem Ohr: „Ist ja gut. Nicht immer genau ins Ohr, ja?“ Merkenau schüttelte sich erneut und schaute wieder zu Amber. „Noah! Der ist wirklich knuffig“, fiepste Amy: „Darf ich dich kraulen, Merkenau?“ Merkenau streckte ihr den Kopf hin. Sie kraulte ihn kichernd: „Oh! Einfach putzig!“ Ich sah wie Skyler ein leichtes Lächeln über das Gesicht huschte, als sie Amy und Merkenau betrachtete. Diese Momente des hinterhaltslosen Friedens schienen dem jungen Ding viel zu bedeuten. Wahrscheinlich, da sie in ihrer Jugend ohrenscheinlich sehr selten gewesen waren. „Doch da ihr beiden euch ja jetzt so fein bedankt habt“, grinste den Beiden schließlich entgegen: „Könnt ihr ja anfangen. Hehehehe! Meine Regale erwarten euch sehnsüchtig!“ Sky schauten sich kurz um, eine düstere Vorahnung im Gesicht. „Wenn ihr mit denen im Laden fertig seid“, entschied ich mich diese Vorahnung kurz und schmerzlos zu bestätigen: „Dürft ihr hinten weiter machen, ehehehe.“ Skyler und Amber schauten einander an und ließen dann den Kopf hängen: „Ay, ay Sir...“ Sie banden sich die Haare zurück und krempelten die Ärmel hoch. Dann griff sich jede einen Eimer. Als Skyler den Henkel des Eimers griff, fiel mein Blick auf zwei zugepflasterte Fingerkuppen. Die Beiden, an denen sie sich bei dem Überfall der Trancys die Fingernägel abgebrochen hatte. Ich nahm ihre Hand vom Henkel und schaute auf die Pflaster, während ich aus dem Augenwinkel sah, wie Skylers Gesicht mit diesem herrlich überraschten Ausdruck ein weiteres Mal eine satte rote Farbe annahm. Ich legte den Kopf schief: „Das könnte mit dem Seifenwasser aber ganz schön knistern. Tehe!“ Sky seufzte: „Wahrscheinlich. Aber was soll ich dagegen tun?“ Ich legte den Kopf schiefer. Dann hatte ich eine Idee und suchte kurz in meiner kleinen Küche nach einem kleinen Karton, den mir mal Frederic vorbei gebracht hatte. Warum wusste ich gar nicht mehr. Ich fand die Packung, die unberührt sicher schon Jahre in meinem Schrank lag und stellte sie auf den Tresen. „Was ist das?“, fragte Skyler, nachdem sie das staubige Paket eindringlich gemustert hatte. Ich grinste: „Eine Packung Einmalhandschuhe.“ „Ahhh“, machte sie und zog dann die Augenbrauen zusammen: „Die hast du schon was länger, oder?“ Ich kicherte und hielt ihr den kleinen Karton ins Gesicht: „Tihihi! Ein bisschen. Nimm sie. Damit sollte sich größerer Schmerz vermeiden lassen.“ Sie lächelte verhalten und etwas beschämt, was gelinde gesagt atemberaubend ausschaute: „Danke.“ Beflügelt von einem plötzlichen warmen Gefühl in meiner Brust lächelte ich zurück. Sky zog einen Handschuh aus der Packung, streifte ihn über die lädierte Hand und stellte sich dann mit einem ratlosen Ausdruck neben Amy, die ebenfalls den Kopf in den Nacken gelegt fragend meine Regale musterte. Mir ging schnell auf, dass sich die jungen Damen bewusst waren, dass sie alleine nie an das obere Regalbrett reichen würde. Also zog ich zwei kleine Tritts aus einer Ecke und stellte sie neben die Mädchen. Dann gesellte ich mich zurück zu William, dem schon die Ungeduld deutlich im Gesicht stand. Die Mädchen begangen zu wischen und William und ich kämpften weiter mit schier endlos vielen Zahlen. Ich musste immer wieder Kichern, da die Mädchen immer wieder husteten und niesten. Von William erntete ich dafür mehr als nur einen bösen Blick. Irgendwann verschwand ich in die Küche um weiteren Tee zu kochen. William und ich machten uns einen Becher fertig und ich legte meine Füße unter einem missbilligenden Blick des Aufsichtsbeamten auf meine Tischplatte. Es dauerte nicht sonderlich lange da unterbrach ein lautes: „AH!“, unsere eifrige Rechnerei. „Oh mein Gooooooott~ …“ Williams und mein Kopf wanderten wieder herum. Skyler stand, ein Glas mit einer Niere in der Hand, mit sichtlich weichen Beinen in meinem Laden und starrte relativ bleich auf den Inhalt des Glases in ihrer Hand. Ich konnte nichts anders als loszulachen. William schüttelte nur den Kopf: „Du hast sie noch nicht mal vorgewarnt?“ „Kihihihihihi! Ja und Nein! Ich erwähnte es mal, habe sie aber nicht noch einmal ausdrücklich drauf hingewiesen. Fuhuhuhuhu!“ Ein weiteres Kopfschütteln Williams: „Du bist unglaublich.“ „Was hast du de… Hö?… Äh!“, hörte ich nun Amy und sah auch ihr geschocktes Gesicht, was mich nur noch mehr amüsierte und William zu einen dritten Kopfschütteln animierte: „Undertaker? Das ist Ih! Das ist einfach ganz doll Ih!“ „Tihihihihihi!“, kicherte ich laut: „Weniger schnattern, mehr putzen!“ „Ja doch“, ergaben sich die jungen Frauen und putzten weiter. William und ich kamen nur schleppend voran, denn jedes neue Glas sorgte für neues Entsetzen und das wieder zu einem neuen kleinen Lachanfall meinerseits. William war schnell reichlich gereizt und genervt. Warum konnte dieser Mann nicht einmal in seinem Leben einfach Spaß haben? „AH! GEH WEG DAMIT!“, kreischte Amy nach einer Weile schrill durch meinen Laden. Merkenau flatterte erschrocken mit den Flügeln. Ich schaute vom Schreibtisch auf. William stöhnte, hatte ich mich doch gerade 15 Minuten am Stück konzentriert. Amys sah aufgeschreckt aus. Skyler hielt ihr ein Glas mit ein paar Augen entgegen. Mein Lachen verschwand in hohen Frequenzen. Nachdem ich mich beruhigt hatte dauerte es nicht mehr lange bis meine und Williams Tortur endlich ein Ende fand. William strecke sich kurz: „So. Ich empfehle mich. Miss Phantomhive? Miss Rosewell? Undertaker? Ich wünsche einen angenehmen Tag.“ „Ich danke dir, William“, verstaute ich meine durchgerechneten Unterlagen in meinem Schreibtisch: „Wenn ich etwas für dich tun kann, lasse es mich wissen. Tehehe.“ „Werde ich“, William wandte sich zum gehen und schaute noch einmal über seine Schulter zu den Mädchen: „Und viel Erfolg.“ „Danke“, Skyler nickte angestrengt: „Dir auch einen schönen Tag, William.“ „Mach‘s gut“, verabschiedete sich auch Amy recht ermattet. Doch Mitleid hatte ich mit den zwei doch teilweise recht kopflosen Mädchen nicht. William verschwand mit einem abschließenden Nicken. „So, meine kleinen Wichtel“, grinste ich, als auch ich mich auf in den hinteren Raum machte um mich endlich um einige meiner Gäste zu kümmern: „Ich habe selbst noch etwas Arbeit. Hehehe! Ich bin hinten, falls ihr Etwas braucht.“ Die Mädchen nickten. Hinten hing ich meine Robe an ein Regal, suchte mir meine Instrumente zusammen und machte ich mich daran einen Gast wieder zusammen zu flicken. Pfeifenderweise gab ich mich voll und ganz meiner Arbeit hin und stellte irgendwann die Pumpe an, die das Blut aus dem Körper hinaus und die Balsamierungsflüssigkeit hinein drücken sollte. Obwohl ich in meine Arbeit wie immer gänzlich versunken war, weckte mich irgendwann ein lautes:„Wa!“, gefolgt von einem noch lauteren: „Oh nein, nein, nein, nein!“, aus meiner Routine. ‚Sky?‘, mein Kopf wanderte herum. „Sky!“, bestätigte mich ein Aufschrei Amys. Dann hörte ich auch schon ein lautes Poltern aus dem Verkaufsraum. ‚Oh, nein...‘, Skys Fluch hatte wohl mal wieder zugeschlagen. Ich machte mich eilig auf den Weg nach vorne und schaltete im vorbei gehen die Pumpe aus. Doch noch bevor ich den Türrahmen erreicht hatte hörte ich ein weiteres Scheppern und ein lautes: „AHHH!“ Ich seufzte: ‚Oh weia…‘ „Wasted...“, bestätigte mich Amy ein weiteres Mal. „Was ist passiert?“, fragte ich, noch bevor ich meine Nase gänzlich aus der Türe gestreckt hatte und die Szenerie sah. „Skyler ist passiert“, antwortete mir Amy. „Wie?“, ich folgte ihrem Finger zu einem Sarg, aus dem ein Fuß herausschaute. Merkenau saß auf dem Schreibtisch und hatte einen Flügel über seine Augen gelegt. Ich konnte mir denken was passiert war und was passiert war muss definitiv furchtbar schmerzhaft gewesen sein. Rasch huschte ich zu dem Sarg, in dem der schöne, brünette Unglücksrabe gelandet war und hob den Deckel an. Der Geruch dreckigen Putzwassers schlug mir entgegen und ich sah eine komplett besudelte und nasse Skyler in dem einst reinweißen Sargpolstern. Doch die Polster waren mir gerade vollkommen egal. Mir war nur wichtig, ob Skyler verletzt war. „Geht es dir gut?“, fragte ich, doch ein wenig ungläubig, ob ein Mensch – selbst wenn er verflucht war - so viel Pech haben konnte. „Nein“, stöhnte sie mit schmerzbeladener Stimme und blinzelte mich durch ihre tränenden Augen an. Auch ihr Gesicht und ihre Haare waren nass: „Nein, geht es mir nicht...“ „Was ist passiert?“ „Ich hab geniest...“ Mein Mund klappte gegen meinen Willen auf: „Ehrlich?“ „Ja…“ „Und dann?“ „Bin ich vom Tritt gefallen...“ „Ehrlich?“, fragte ich erneut und konnte immer noch nicht fassen wie viel Pech sie haben musste. Wie tollpatschig sie war. „Sieht es so aus?“, fragte sie gereizt. Eine schöne Situation war es für sie sicherlich nicht. Ich wackelte mit meinen Kopf hin und her und konnte das immer weiter werdende Grinsen nicht verbannen: „Schon, ja. Hast du dir weh getan?“ „Ja...“, stöhnte sie. „Wo?“ „Ich hab Putzwasser in den Augen...“ Ich drückte eine Hand vor seinem Mund: „Nicht nur in den Augen.“ Das Pech der jungen Dame machte mich fertig. Doch ich wollte wirklich nicht Lachen. Ich atmete einmal tief durch: „Ist sonst etwas passiert?“ „Ja…“, murmelte sie: „Der Sargdeckel ist mir auf mein Knie gefallen...“ Ich krümmte mich nach vorne und presste meine Hand so fest ich konnte vor den Mund. Ich wollte mich darüber nicht belustigen, aber ich musste mir vorstellen wie sie mit einem Niesen von ihrem Tritt gepoltert war, sich selbst mit ihren Eimer beworfen und dann auch noch der Sargdeckel runter gekracht war. Die Redewendung ‚Eine Verkettung unglücklicher Zufälle‘ würde dem Geschehenen einfach nicht gerecht werden. „Herrgott...“, sagte sie fast resigniert: „Jetzt lach‘ doch einfach...“ Das gab mir dann doch endgültig den letzten Rest. Ich rutschte vom Sarg und blieb schallend lachend auf dem Rücken liegen. Ehrlich! Wie konnte man nur so viel Pech haben? Es dauerte eine ganze Weil, bis ich mich am Sarg wieder hochzog und schwer durchatmend meine Stimme wieder fand: „Huhuhuhuhu… Wie kann man nur so dusselig sein?“ „Gute Frage“, seufzte sie und wischte sich durch die Augen, worauf hin sie ihre geschundenen Augen noch mehr zusammenkniff: „Oh Mist!“ Giggelnd hob ich das federleichte Ding aus dem Sarg und setzte sie auf einen anderen. Dann ging ich kurz zu meinem Schreibtisch und holte ein frisch gewaschenes Taschentuch aus meiner Schublade. Als ich zu Skyler zurück kehrte, stand Amy neben ihrer besten Freundin. Skyler war nicht angetan von dem was Amy sprach und giftete die junge Phantomhive recht sauer an. Mit der Hand an ihrem Kinn drehte ich ihren Kopf zu mir und unterbrach so den kleinen Zickenkrieg der beiden jungen Dinger. Behut- und sorgsam wischte ich der jungen Dame durch das schöne Gesicht. Das bisschen Schminke was sie immer trug war zerlaufen, das Weiß um ihr wunderschönes Himmelblau war leuchtend rot und gereizt. Vorsichtig rubbelte ich die ruinierte Schminke und das Putzwasser aus ihren Augen und von ihrer blassen Haut. Ihre Haut wirkte so empfindlich wie das ganze junge Ding an sich. Ich hatte Angst sie zu zerreißen wenn ich zu fest reiben würde. Die junge Frau war so endlos zerbrechlich und dadurch so unsagbar süß. Ich wusste nicht ob mir diese Zerbrechlichkeit gefiel, weil sie so jung und rein wirkte, ihr einen Hauch von Unschuld verlieh, oder ob ich sie tragisch fand, weil ich wusste woraus sie entsprungen war. Ich wusste nur, ganz wird sie sie nie wieder abwerfen. Spuren ihrer Vergangenheit werden sie ewig zeichnen, egal was ich oder sonst wer tat. Während ich ihr Gesicht trocken wischte und meine Gedanken ein wenig ihre für mich sehr ungewöhnlichen Kreise drehen ließ, entfleuchte mir ein seichtes Lachen: „Herrje, herrje. Hehe! Was machst du nur für Sachen?“ „Putzen“, antwortete sie kurz abgebunden. Sie machte keine Anstalten ihr Gesicht wegzudrehen. Im Gegenteil. Sie ließ es geschehen ohne einen Hauch lauten oder leisen Widerstandes. „Tihihi. Bei dir scheint selbst Putzen ein Extremsport zu sein“, kicherte ich sie an und musterte das Gesicht über das ich rieb genau. Es war so fein und es war so dünn. Man sah ihm an, dass es sehr früh recht ausgezehrt gewesen sein musste. Ihre immer noch leicht eingefallen Wangen, die ihre hohen Wangenknochen schattierte verrieten es. Auch ihre großen Augen wirkten ein wenig eingefallen, neben der stupsigen Nase. Doch das alles machte ihr zierliches Gesicht mit dem spitzen Kinn nicht weniger schön. „Du bist gemein...“, seufzte Skyler mich schließlich aus meinen Gedanken: „Du kannst mir wenigstens nicht unterstellen ich würde halbe Sachen machen...“ „Wobei?“, lachte ihr amüsiert entgegen, immer noch abgelenkt von ihren zarten und doch so tragisch fragilen Gesicht: „Hehehehehe! Beim Putzen? Da sicherlich nicht. Beim unfreiwilligen Suizid? Na. Gott sei Dank hat es nicht ganz gereicht. Fu fu fu.“ „Ach...“, zischte sie geschlagen: „Du bist doof...“ Nach dem ihr junges Gesicht wieder trocken war, nahm ich mein Taschentuch zurück. Ich sah das dünne, junge Ding in ihren nassen Kleidern zittern, da ich aufgrund des ganzen aufgewirbelten Staubes die Fenster und Türen offen gelassen hatte. Amy war wieder ans putzen gegangen, während Skyler dem begossenen Pudel sowohl von ihrer Nässe, als auch von ihrer Mimik und Körperhaltung sehr ähnlich war. Ich schnaubte mit einem Lächeln und schüttelte kurz den Kopf. Dann zeigte ich auf Skys linkes Knie, welches aus dem Sarg gehangen hatte: „Das?“ Sie nickte so begossen pudelig wie sie war. Ich griff ihr nasses Hosenbein und krempelte es hoch, um mir das Dilemma anzusehen. Ein erschrockenes Zucken ging durch ihren Körper: „Ätete! Was tust du da?!“ „Ich schaue nach, ob du dich ernsthaft verletzt hast“, grinste ich, schob den Stoff endgültig über das Knie und sah schon, dass es bereits rot und blau wurde, obwohl ich meine Brille nicht auf der Nase hatte und schon auf die kurze Distanz nicht mehr scharf sah: „Die Sargdeckel sind massiv und ziemlich schwer. Das wird jetzt ein bisschen weh tun“, kaum machte ich mich daran ihr Bein behutsam ein Stück anzuheben und ihre Kniescheibe zu befühlen, quiekte das junge Ding schon ganz erbärmlich schmerzlich. Ein herzzerreißender Laut. Sie muss sich furchtbar weh getan haben… und ich hatte gelacht: ‚Das üben wir noch mal...‘ „Ruhig durchatmen“, drückte ich noch zweimal seicht gegen ihre Kniescheibe: „Atmen macht es ein wenig besser.“ Ich hörte Skyler gequält einatmen, immer noch recht flach und angestrengt, doch besser als vorher. Meine Finger ertasteten nicht den kleinsten Knacks, was gut war. Doch natürlich war ich keine Röntgenmaschine, doch ich war mir fast sicher ihr Knochen sei noch einmal heil aus der Sache heraus gekommen. „Gebrochen scheint die Kniescheibe nicht zu sein“, gab ich mit einem kleinen Lächeln Entwarnung und schloss dabei die Augen: „Kannst du es bewegen?“ Als sie sich nicht sofort bewegte oder irgendwie anders reagierte, öffnete ich die Augen und schaute der jungen Skyler ins Gesicht. Es war ganz rot geworden und schaute ohne zu blinzeln zurück in meins. Plötzlich drehte sie ihren Kopf zu ihrem Knie und winkelte das Bein an. Ihrem Gesicht sah man die Schmerzen an. Aber das sie es bewegen konnte war ein gutes Zeichen. Ich legte sachte ich Bein ab und stand auf: „Gut. Alles noch ganz und da wo es hingehört“, ich grinste, bevor ich mich zum Gehen wand kurz schelmisch, weil ich eben so war und mir meine Scherze oft (gar) nicht verkneifen konnte: „Nicht weglaufen.“ „Wie?!“, hörte ich Skylers Stimme hinter mir her rufen, als ich in meine kleine Küche verschwand und eine Packung Tiefkühlerbsen aus dem Eisfach kramte, die schon… eine halbe Ewigkeit dort drin liegen müssten. Ich kam zurück in den Verkaufsraum. Skyler beschaute mich irritiert wie skeptisch: „Erbsen?“ Ich grinste so beholfen ich konnte und legte ihr den Beutel auf das Knie: „Ich habe nichts anderes. Kühle es ein bisschen. Es wird trotz allem blau werden, aber so vielleicht nicht rabenschwarz. Ehehehe!“ Ich schenkte ihr das beste Lächeln was ich zu Stande bekam, ohne es mitzubekommen. Es tat mir leid, dass sie sich verletzt hatte als sie sich Aufgaben angenommen hatte, die ich ihr aufgehalst hatte und ich ihr im Gegenzug nicht besseres als eine Packung Tiefkühlerbsen anbieten konnte. Sky legte rasch ihre Hand auf den improvisierten Kühlakku und ich drehte mich zu der jungen Phantomhive, die souverän weiter wischte: „Hehehe. Komm runter. Ich habe keine Lust, dass ihr eure Särge doch schon braucht.“ „Nope“, antwortete Amy kurz abgebunden und in ihre Aktivität versunken: „Ich brauche keine Almosen. Das ist meine gerechte Strafe und ich werde sie zu Ende bringen. Warum denkst du, ich würde das nicht schaffen?“ „Wuhuhuhuhuhu!“, lachte ich und antwortete vollkommen wahrheitsgemäß, auch wenn die Wahrheit etwas rau war: „Weil ich bis eben auch nicht dachte, dass Staubwischen ein lebensgefährliches Unterfangen ist!“ „Ich bin nicht Sky“, mit dieser Aussage toppte Amy mich im Puncto ‚Rau‘ sofort um Längen. Der schwarzhaarige Wirbelwind hatte es faustdick hinter den Ohren. Oliver soll froh sein, dass sein Butler ihn nicht aus den Augen lässt, ansonsten hätte Amber ihn wahrscheinlich schon dreimal in der Themse versenkt. Eine Vorstellung, die ich definitiv attraktiv fand. Sky allerdings verzog ein recht angesäuertes Gesicht: „Danke.“ Ich drehte mich zu ihr und konnte mein Lachen mal wieder nicht aufhalten, als ich die Hände hob: „Es ist wie es ist. Nehehehe!“ „Dann müsst ihr es aber nicht auch noch so explizit erwähnen...“, grummelte die schöne Brünette und sah nun gänzlich wie ein begossener und angefressener Pudel aus. Ein herrlicher Anblick, der mich gleich wieder lauter zum Lachen brachte. Hinter mir hörte ich Amy mitlachen. Nachdem ich zu Ende gelacht hatte, wandte ich mich wieder ganz der schönen Brünetten in ihren besudelten nassen Klamotten zu, die mitten im Durchzug saß. Mit einem nachdenklichen Ausdruck im Gesicht erinnerte ich mich daran, dass Amy erwähnte Skyler würde sehr schnell krank werden. Sie hatte sich ja auch nach ihrem ersten Zusammentreffen mit Oliver sofort eine Erkältung eingefangen. Irgendwie musste ich sie aus ihren nassen Klamotten befreien, ansonsten holte sie sich vermutlich noch eine ausgewachsene Grippe. Ihr Kopf fiel zur Seite, als sie mich zurück musterte: „Was grübelst du?“ Ich lachte einmal auf: „Ich überlege, ob ich irgendetwas hier habe um dich aus deinen nassen Klamotten zu befreien. Außerdem müffelst du ganz furchtbar. Hehehe!“ Sie zog die Augen zusammen: „Ich korrigiere. Du bist nicht gemein. Du bist auch nicht doof. Du bist ein Arsch, Undertaker.“ Wie sie das sagte klang zu gleichen Teilen wirklich beleidigt, aber auch furchtbar verspielt. Ihre – wenn auch nur sehr selten zu bewundernde – neckische Ader gefiel mir ausgesprochen gut und ich freute mich immer wieder sie zusehen. Sie entlockte mir ein Lachen, verursachte aber auch dieses komische warme Hüpfen in meiner Brust, dass ich immer noch nicht recht einordnen konnte. ‚Awwwwwwww!~♥‘, quietschte auf einmal Grells Stimme durch meinen Kopf, als ich mir diesem warmen Kribbeln ein weiteres mal gewahr wurde: ‚Du hast dein Heiligtum für sie weggeworfen! Oh meine Güte! Du bist ja wirklich total verknallt!‘ War es das? Fühlte man sich dann so? „Ich spreche nur die Wahrheit, oder Amy?“, lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Thema, da ich meinen Fragen über mich selbst ein wenig ratlos gegenüber stand. „Jup“, machte Amy geschäftig: „Du stinkst.“ „Danke“, fauchte Skyler: „Das ist was man sich unter einer besten Freundin vorstellt.“ „Gern geschehen“, machte Amy trocken, doch ich wusste nur allzu genau, dass die Phantomhive ihre Freundin gerade ein wenig ärgerte. „Das war Sarkasmus!“, konterte diese, sich diesen Umstand wohl ebenfalls sehr wohl gewahr. Ich lachte. Irgendwie erinnerten die Beiden mich gerade ein wenig an Vincent und Diedrich. Der alte Earl hatte auch immer einen sehr trockenen Ton beibehalten, was den Deutschen zutiefst pikierte. Genau wie es hier gerade Amy mit Skyler tat. Da der alte Wachhund mit dem Gesicht in diesen Situationen meistens zu mir gewandt war, konnte ich immer das breite Grinsen sehen, welches sein Gesicht immer dann heimsuchte, wenn seine Sticheleien Früchte getragen hatten. Und die trugen sie eigentlich immer, da Diedrich auf jede Neckerei nur allzu gerne einstieg. Ohne sich diesem bewusst zu sein. Genau wie die kleine Sky. Nur hatte sie doch bei weitem mehr Humor, als Diedrich. Zugegeben, eine Königsdisziplin war dies nicht. Und Amy hatte dieses schadenfrohe Grinsen geerbt. Ich hatte es sofort erkannt. Sie war Vincent generell nicht ganz unähnlich. Wahrscheinlich war dies der Grund warum wir beide eigentlich sofort gut miteinander auskamen. Doch sie hatte Vincents schmale, braune Augen nicht. Sie waren für ein europäisches Gesicht einen ticken zu schmal gewesen und wirkten somit oft kälter als sie waren. Was nicht hieß, dass Vincent die eiskalte Maske des skrupellosen Earls nicht perfektioniert hatte. Im Gegenteil. Genau wie jeder andere Wachhund beherrschte er sie perfekt. Diese Erkenntnisse und Erinnerungen ließen mich abermals lachen. Doch Amy hatte wenn Lizzys Augen, natürlich vermischt mit einigen Zügen der Countessen und Earls, die zwischen den beiden Frauen lagen. So hatte sie wie der Rest ihrer Familie väterlicherseits durchgehend Ciels königsblau geerbt, das er wiederum von seiner Mutter Rachel hatte. Auch wenn die Männer den Titel ‚Wachhund‘ zugesprochen bekamen, war eine weibliche Phantomhive zu unterschätzen ein schwerer Fehler. Jeder der Cloudia, Francis und Lizzy kannte, oder ihre Geschichten gehört hatte, wusste sehr genau wovon ich sprach. Schließlich hatte das kleine, blonde Ding recht eindrucksvoll einige meiner Dolls zerlegt. Und ich sprach von zerlegt und das ohne zu übertreiben. Das Francis und ihre Familie zu den Überlebenden der Campania gehören würden, war mir klar gewesen, als ich sie auf dem Schiff entdeckt hatte. Was nicht hieß, dass ich ihre Mitfahrt sonderlich erquickend fand, im Gegenteil, und was Francis auch nicht darum brachte furchtbar sauer auf mich gewesen zu sein. Zu Recht wahrscheinlich. Ich wusste schon als Amy noch klein gewesen war, dass sie ihren Kampfgeist geerbt hatte. Sie hatte ihren älteren Bruder - als dieser sie noch nicht durch Lees Kampfsporttraining überholt hatte – das ein oder andere Mal mächtig einen übergezogen. Ich war mir sicher mit einem Schwert in der Hand war auch diese Phantomhive mehr als nur nützlich. Irgendwie musste ich den Earl noch auf diesen Trichter bringen. Seit dem Vorfall vorgestern, hatte ich es mir ernsthaft vorgenommen mit ihm ein ernstes Wörtchen zu wechseln, wie es mit Amy weiter gehen sollte. Gefallen wird ihm dieses Gespräch nicht, doch Amy begann allmählich unter Alexanders und Heathers liebevoll schützender Hand einzugehen. Doch gerade hatte ich noch ein frierendes, nasses Dinglein auf meinem Sarg sitzen, was dabei war sich eine Erkältung einzufangen und meiner Aufmerksamkeit eher bedarf, als das Bedürfnis Amys Situation zu retten, oder meine verstaubten Erinnerungen. Ich grübelte noch ein paar Augenblicke, dann schnipste ich aufgrund einer Idee: „Ah! Ehehehe! Ich hab noch irgendwo so eine… ähm“, nun schnipste ich immer wieder, als ich vergeblich nach dem Namen dieses unsäglichen Kleidungsstückes suchte, dass ich in meinem Leben, glaube ich, nur einmal angefasst hatte um es ganz weit nach hinten auf das Oberste meiner Regelbretter hinter den schwarzen Vorhang zu verstauen, die mir als Schrank dienten. Wie fast alles was Ron und Grell zur Erweiterung meines Kleiderschrankes anschleppten: „Ja… eine… Ach! Wie heißen noch mal diese komischen Stoffschlabberhosen, die zwar zum Sport machen entwickelt wurden, doch jeder nur für das Gegenteil benutzt?“ „Jogginghosen“, antwortete Amy aus ihrem Regal, in dem sie immer noch halb verschwunden war. „Genau!“, ich ging eilig Richtung Tür: „Ich suche sie schnell! Hehehe!“ Denn ich war mir nicht wirklich sicher, ob sie nicht mittlerweile unbewusst und ungewollt weiter gewandert war. „Warte!“, rief Sky mir schon fast entsetzt nach: „Das ist nicht nötig!“ „Oh doch!“, ging ich weiter zu dem schwarzen Vorhang neben der Treppe die in das obere Stockwerk, dass schon seit ich dieses Haus erworben hatte einfach leer stand. Ich brauchte den Platz nicht. Und vermieten… Wer zog denn bitte schön bei mir ein? Natürlich hatte Vincent es damals deutlich erkennbar im Scherz gemeint, ansonsten hätte ich ihn auch offiziell für verrückter als ich erklärt. Doch ich fragte mich gerade eher, was an dem Gedanken meine Jogginghose anzuziehen so entsetzlich war. Natürlich, diese Hosen waren scheußlich. Aber als ich Sky und Amy die Ketten gebracht hatte, hatten die Beiden doch auch so Eine getragen, also kann es ja eigentlich nicht so schlimm sein, oder? Wieder verstand ich nicht, warum sie klang, wie sie klang, oder tat, was sie tat: ‚Frauen… Ehehehe!‘ Obwohl ich aus den Frauen der 4 Familien, mit denen ich jetzt schon länger verkehrte, immer recht schlau geworden war. Vielleicht, weil ich diese oft aus der Wiege heraus kannte. Oder Sky war einfach nur ein bisschen komisch, oder ich war zu komisch. Eigentlich hatte ich keine Ahnung. Ich verstand sie manchmal einfach nicht und nur das wusste ich sehr genau: „Die Fenster stehen sperrangelweit offen und draußen ist es kalt. Dann sitzt du hier sicherlich nicht in nassen Sachen herum. Hihihihi!“ „Das ist so peinlich“, hörte ich Skylers Stimme während ich - wegen diesen Satzes kichernd - durch meine Regalbretter wühlte und sämtliches hervor kramte. Auch einige Teile die ich schon länger suchte. Warum Krimskrams einen immer dann in die Hände fiel, wenn man ihn nicht brauchte und nie wenn man ihn suchte, war Eines der Geheimnisse des Lebens, hinter das auch ich noch nicht gestiegen war. „Jup“, antwortete Amy in ihrem Arbeitsrausch, der mich ehrlich überraschte. Ich hatte diesen… Gefallen gewählt, weil ich wusste, dass Amy putzen hasste. Ich konnte ihr nachfühlen, zugegeben. In meine Schubladen will wirklich keiner schauen. „DU bist für heute unten durch, klar?!“, fauchte die schöne Brünette zurück. Sie wirkte immer so lebendig, wenn sie irgendwie geartet sauer war. Ein Seufzen mischte sich in mein Kichern. Eigentlich war es tragisch, dass sie oft nur dann lebendig wirkte, wenn sie sauer war. „Ich werde es ertragen“, erwiderte Amy nur reichlich knapp, was Skyler ein gereiztes Grummeln entlockte. Die Beiden waren einfach eine herzallerliebste Kombination. Wie für einander gemacht. Sky sprach so anders mit Amy. Gar nicht schüchtern, oft sogar recht frech. Ich mochte diesen kecken, frechen Ton, den sie mir gegenüber nur so selten zeigte. Als ich so darüber philosophierte, wie bedauerlich ich diesen Umstand fand, fiel mir schließlich dieses… Schlabberdings in die Hände, was Menschen und auch Grell und Ronald fälschlicherweise, als Hose bezeichneten. Ich griff noch irgendeines von diesen… T-Shirts und klaubte im vorbeigehen eine elastische Bandage aus meinem – ebenfalls recht gealterten – Erste-Hilfe-Kasten. Doch wozu sollte ich ihn erneuern? Meine Gäste und ich waren auf so etwas nicht angewiesen und dass sich Menschen in meinem Laden fast umbrachten, kam entgegen der geläufigen Meinung doch eher selten vor. Es sei denn sie hörten auf den Namen Skyler… vielleicht sollte ich doch in einen Neuen investieren... Nach vielleicht 5 Minuten kam ich grinsend zurück in den Verkaufsraum: „Wer suchet, der findet! Nehehehe!“ Sky wirkte recht unangetan von meinem Triumph. Wäre sie eine Katze hätte sie wahrscheinlich in diesem Moment ihre Ohren hängen lassen. Doch wäre sie eine Katze, hätte auch ihr Abstieg vom Tritt definitiv etwas anders ausgesehen: ‚Naja, Hauptsache es ist ihr nichts Ernstes passiert. Nihihihi! Sah bestimmt trotzdem lustig aus.‘ Bei diesem Gedanken schallte ich mich selbst. Sky hatte wahrscheinlich Recht: Ich war ein Arsch… Doch es machte soviel Spaß einer zu sein! Ich erkannte des Weiteren die Redewendung ‚Glück im Unglück‘ wurde wahrscheinlich für Skyler erfunden. Kaum wahr ich vor ihr stehen geblieben, stammelte die schöne Skyler auch schon wieder unbeholfen vor sich hin, was sich mir ein weiteres Mal nicht so recht erschloss: „Du musst wirklich nicht… also...“ Wollte sie unbedingt krank werden? Gibt es Menschen, die Spaß daran hatten? Vincent hatte immer nach einem Priester verlangt, wenn er auch nur einen Schnupfen hatte und die durch ihr Asthma sehr kränkliche Rachel sah auch nie wirklich entzückt aus, wenn sie einer weiteren Welle ihrer Krankheit unterlag. Ihr Sohn, der ihre Krankheit geerbt hatte, hatte wenigstens von Anfang an den vorteilhaften Charakterzug besessen leise zu leiden. Von seinem Vater kam er nicht. Wortlos und immer noch stumm mich selbst fragend, legte ich den Stoffstapel ab und nahm den Beutel Erbsen von Skylers Knie. Dann rollte ich die Bandage aus und kniete mich vor ihr, um ihr Knie wenigstens ein wenig zu schienen. „Was“, fragte sie stocken: „Ist das?“ Ich giggelte, während ich die Bandage um ihr dünnes, lädiertes Knie wand. Alles an dem jungen Ding wirkte wie aus dünnem Glas, es war erstaunlich und gleichzeitig besorgniserregend. Denn es vermittelte das Gefühl, dass sie nicht vielem stand hielt: „Eine elastische Binde. Es ist zwar nur eine Prellung, aber umso stiller du es hältst, umso schneller ist sie wieder fort. Nehehehe!“ Nachdem ich ihn festgesteckt hatte, legte ich Skyler die Kleider auf den Schoß und hob sie wieder auf meine Arme. „Undertaker!“, rief Sky und ihr Gesicht war so dunkelrot, dass es sicher gleich zu dampfen anfing: „Das ist wirklich nicht…!“ „Ah, ah, ah! Keine Diskussionen.“ „Hey! Was soll das werden, wenn‘s fertig ist?!“, beschwerte sich Skyler weiter. Ich grinste sie an und ging in Richtung Tür: „Ich bringe dich ins Bad. Du kannst dich natürlich auch hier umziehen, wenn dir das lieber ist.“ „Ok...“, quietschte Sky leise und ihr dunkelrotes Gesicht wurde noch dunkler. Auch wenn ich mich wirklich fragte wie das noch möglich war. Ohne Eile ging ich mit ihr durch die offene Tür hinter meinen Tresen, durch den kleinen Zwischenraum und in mein sehr kleines Badezimmer. Ich hob meinen Fuß, klappte damit den Klodeckel herunter und setzte Skyler auf den Deckel. Sie hob das schwarze T-Shirt hoch und musterte es eingehend. Dann schaute Sky mich mit schief gelegten Kopf an und drehte ein Logo auf dem T-Shirt zu mir: „Was ist das für ein Symbol?“ Erst jetzt sah ich welches T-Shirt ich gegriffen hatte: „Das Zeichen der Dispatch Association. Grell wollte unbedingt, dass ich eins habe. Hehe.“ „Okay...“, machte Skyler langsam und ich ging aus der Türe: „Ehehe. Rufe mich wenn du fertig bist. Hänge deine nassen Sachen einfach über die Heizung.“ Ich machte einen Schlenker durch meine Küche und griff mir einen Wischmob. Dann machte ich mich daran die Pfütze im Verkaufsraum aufzuwischen. Nach ein paar Sekunden hörte ich Amy Seufzen. „Nihi. Warum hast du es so schwer, kleine Amber?“ „Nenn‘ mich nicht klein. Ich bin kein Kind mehr.“ „In der Tat. Darf ich trotzdem wissen was dich bedrückt?“ „Ach!“, Amy warf resigniert ihr Tuch ins Regal: „Ich, Dad, Mum, Fred, Lee. Einfach alle...“ Ich roch Lunte: „Immer noch wegen vorgestern, hm?“ Die junge Phantomhive machte sich sicher immer noch Vorwürfe, da ihre unbedachte Idee Skyler in größere Gefahr gebracht hatte, als sie sich vorgestellt hatte. Natürlich, denn so junge Mädchen sollten über den Tod noch gar nicht nachdenken müssen. „Ja...“, griff sie mit einem weiteren frustrierten Seufzen wieder ihr Tuch und wischte weiter: „Ist doch alles Scheiße, man… Ich darf nix, ich kann nix, ich schaff‘ nix und ich will eine Phantomhive sein?“, sie ließ die Schultern hängen und schaute an die Decke: „Vielleicht sollte ich mich einfach erschießen… AU!“ Ich nahm meinen Wischmob und haute ihn ihr für ihren letzten Satz gegen den Kopf: „Na! Keine Selbstmordgedanken in meinem Laden!“ Amy rieb sich den Kopf: „Ja, ja… Is‘ ja gut...“ Ich wischte weiter: „Gräme dich nicht so. Ich werde mit deinen Vater sprechen.“ „Warum?“ „Weil es so mit dir nicht weiter geht.“ „… Du bist so ernst… Bin ich wirklich so schlimm?“ Ich war tatsächlich relativ ernst. Auf kopflose Selbstmorddrohungen reagiere ich recht allergisch. Vor allen Dingen von Menschen, die den Rattenschwanz an der Sache kennen sollten: „Nein, Amy, um schlimm geht es nicht. Es geht um unausgelastet sein und ungenutztes Potenzial.“ „Wie?“ „Ich will, dass dein Vater dich endlich trainieren lässt.“ „Echt?!“ „Wenn ich es sage.“ Amys Gesicht hellte sofort auf, was doch wieder mein Grinsen zurückbrachte, während ich weiter die Spuren von Skylers Unfall beseitigte: „Woah! Du rockst, Undertaker! Papa hält so viel auf dich. Wenn ihn einer umstimmen kann, dann du!“ Ich kicherte: „Nihihi. Freue dich nicht zu sehr zu früh. Auch ich kann keine Wunder wirken und du weißt wie sehr deine Eltern dich lieben. Denn aus Boshaftigkeit tun sie das alles nicht. Ob ich dagegen ankomme, steht in den Sternen.“ Nun wieder besser gelaunt, wischte Amy weiter: „Du machst das schon!“ Ich seufzte giggelnd. Dann hörte ich Schritte von links. Als ich meinen Kopf dorthin drehte, sah ich Skyler zu uns heran humpeln. Sie sah in meinen Kleidern vollkommen verloren aus. Sie trug sie auch nicht mit sonderlich viel Souveränität. Trotzdem wirkte sie in den viel zu langen Kleidern irgendwie furchtbar süß, was mich kichern ließ: „Du solltest doch rufen.“ Sie schüttelte den Kopf: „Es geht schon wieder besser.“ Halbherzig seufzend stemmte ich eine Hand in die Hüfte: „Übertreibe es nicht, ja? Das Volleyballtraining morgen ist für dich jedenfalls gestorben.“ Sie klimperte überrascht mit den Augen: „Du weißt Bescheid?“ „Aber ja!“, lachte ich. „Woher?“ „Der Earl erzählte es mir vor ein paar Tagen. Ich bin sehr erpicht darauf, das zu sehen. Ehehehe!“ Und ich wollte nicht, dass Sebastian seinen Frust über die Situation an den Mädchen ausließ. Skyler schaute mich an, als würde sie sich lieber ihr eigenes Bein abkauen, als bei diesem Volleyballtraining mitzumachen. Ich musste weiter lachen, als ich diesen missmutigen Ausdruck erblickte. „Worüber habt mein Vater und du denn gesprochen?“, fragte Amy durch mein Lachen. „Nihihihi! Ein paar Angehörige verschmähten meine Dienste. Sie nahmen ihre Verblichenen mit sich. Wie es scheint gehören sie zu einer neuen religiösen Ausrichtung mit strengen Regeln und waren in Sorge, ich würde ihre Rieten nicht bis ins Detail vollführen können, wie es ihre Regeln fordern.“ „Ehrlich?“, eine von Skys Augenbrauen wanderten nach oben: „Jemand verschmäht deine Dienste?“ Ich grinste sie an: „Wenn die Angehörigen jemand anderen wünschen, so ist dies ihr gutes Recht. Doch es gab ein paar Details, die Alexander interessant fand, ahehehe!“ „Was denn?“, blinzelte Sky mich an. „Ach“, tat ich grinsend ab: „Das sind Aristokratengeschäfte. Ahahahaha! Belaste dich nicht damit.“ Mehr mussten die Mädchen nicht wissen. Alles in mir widerstrebte den Namen ‚Aurora‘ fallen zu lassen. Vor allen Dingen, weil es zu doch recht unangenehmen Fragen führen könnte. Amy kannte die Geschichten. Skyler nicht. Ein Umstand, der mir recht lieb war. Ein gutes Licht warf es nicht auf mich und mir fiel auf wie wichtig mir Skylers Meinung von mir war. Eigentlich waren mir die Meinungen der Anderen so egal, wie die Fliege an der Wand. Nur ihre… ganz und gar nicht. Denn was sie von mir hielt war existenziell wichtig dafür, ob sie ging oder blieb. Ich stellte auch wieder fest wie sehr ich wollte, dass sie blieb. „Okay...“, wirkte Skyler verwirrt, doch beließ es dabei: „Wenn du es sagst.“ Die beiden Frauen wollte trotz Skylers Blessur weiter machen, was ich ihnen hoch anrechnete. Schnell einigten sich die Beiden darauf, dass Amy die Regale und Skyler die Gläser wischte, damit sie sitzen bleiben konnte. So ging auch ich wieder zu meinem Gast. Mein Blick fiel auf meine Robe. Skyler trug nur ein T-Shirt. Auch wenn ihr die Ärmel zu lange waren und bis zu den Ellbogen reichte, standen immer noch alle Fenster offen und ich wollte auf keinen Fall das sie frieren musste. Doch wenn ich die Fenster schloss würden wir wahrscheinlich alle ersticken, außerdem bekam ich den Laden mit meinem einsamen Kamin im Lesezimmer nicht so schnell geheizt. So nahm ich meine Robe vom Regal, wickelte mit einem Lächeln das brünette Ding darin ein, die mich schüchtern und rot dankend zurück anlächelte. Ehrlich anlächelte. Mein Herz hüpfte immer noch ganz komisch hin und her, als ich die Pumpe wieder anstellte und meinen Gast zu Ende einbalsamierte. ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Ob es daran lag, dass ich ‚verknallt‘ war – wie Grell es so salopp auszudrücken pflegte – konnte ich immer noch nicht recht sagen. Ich wusste nicht wie sich so etwas anfühlte. Es war mir noch nie passiert. Aber dass ich noch nie verliebt war und so etwas vorher noch nie gefühlt hatte, legte die Vermutung nahe, dass es zusammen hing. Mit einem seichten Seufzen schubste ich meine Brille aus meinen Haaren auf meine Nase, strich mir den Pony hinter die Ohren und widmete mich wieder voll und ganz meiner Arbeit. Immer noch dieses Gefühl in meiner Brust. Es war kein unangenehmes Gefühl. Mit Nichten! Doch irgendwie machte es mich furchtbar nervös. Einbalsamieren war ein recht langes Unterfangen. Damit sich alles ordentlich verteilte musste ich die Gliedmaßen meines Gastes durchgängig massieren. Doch es machte mir nichts. Meine Arbeit machte mir Freude und erfüllte mich. Auf wie wenig Anklang dies bei dem Rest der Welt auch treffen möge. Außerdem kam es meiner Unruhe zu gute, dass meine Finger schwer beschäftigt waren. „Wir sind fertig!“, schallte es nach einiger Zeit zu mir herüber. Daraufhin stellte ich die fast durchgelaufene Pumpe aus. Mit einem Seitenblick durch die offene Hintertür sah ich, dass die Sonne am untergehen war. Die Mädchen waren wohl gerade rechtzeitig fertig geworden, um ohne große Hast in ihr Wohnheim zurückkehren zu können. Ich streckte meinen grinsenden Kopf aus dem Türbogen: „Ehehehehe! Tatsächlich?“ „Ich hoffe du bist zufrieden“, sagte Amy mit einem Gesichtsausdruck der verriet, dass sie es war. Meine Augen wanderten durch meinen Laden, als ich ein paar Schritte weiter in den Raum trat. Mein Laden hatte selten so gut ausgesehen. Die Beiden haben sich herzerquickend viel Mühe gegeben: „In der Tat. Ihr wart mir eine große Hilfe, meine Damen.“ Ein doppeltes breites Grinsen schien mir entgegen, was mich zum giggeln brachte. Dann schaute ich auf meine Taschenuhr: „Es ist schon spät, hehehe. Ihr solltet heim gehen.“ Skylers Kopf wanderte kurz zum Fenster. „Sebastian holt uns hier ab“, bei dem Klang von Amys Stimme drehte Skyler den Kopf zu ihr und auch die Phantomhive sah ihre beste Freundin an: „Nun ja… Mich. Sky fahren wir besser zurück ins Wohnheim.“ Doch Sky schüttelte den Kopf: „Ich komm schon alleine nach Hause.“ ‚Bitte?‘, doch ich kaschierte meine unbegeisterte Überraschung mit einem Auflachen: „Hehehe. Ich bin kein Fan von dieser Idee.“ Skyler schaute zu Boden und schwieg einige Zeit. Etwas an ihrem Gesicht verursachte in mir ein ungutes Gefühl. Ich wusste nicht wieso, aber irgendetwas in mir war sich sicher, dass in Skyler etwas vorging, was mir nicht gefallen würde. Und ich war mir sicher sie wusste, dass es mir nicht gefallen würde. „Was hast du, Sky?“, fragte Amy neben mir nach einer Weile und Skyler blinzelte uns wieder an. „Ich“, sagte sie zögerlich und unsicher, als wog sie noch ab ob sie wirklich tat was sie tun wollte: „Würde Undertaker gerne noch etwas fragen.“ „Tu dir keinen Zwang an“, grinste ich trotz des schlechten Gefühls in meiner Magengrube. Sie seufzte schwer, mein Gefühl wurde noch schlechter: „Ich… würde dich das gerne unter 4 Augen fragen...“ Amy und ich wechselten einen irritierten Blick, bis ich meinen Kopf wieder zu Skyler drehte: „Aha? Muss ich mir Sorgen machen?“ Sie schüttelte den brünetten Schopf: „Ich… weiß nicht.“ „Hehe“, lachte ich, obwohl mir immer weniger danach war: „Das klingt ja dramatisch.“ „Ja...“, kam ihre leise Antwort. Ich schaute Amy an: „Fahre du mit Sebastian. Ich bringe sie heim.“ „Wirklich?“, legte sie den Kopf schief und ich nickte zur Bestätigung. Skyler straffte auf einmal ihren, durch ihren Zwist mit sich selbst und ihrer Unsicherheit gebuckelten Rücken und zog die Schultern zu den Ohren: „Ich glaube Sebastian ist schon da...“ „Ich wünsche einen guten Abend“, flog auch schon die Stimme des Butlers in meinen Laden und er kam durch meinen Türbogen. Ich musste kichern, immer wieder erstaunt von Skylers Fähigkeiten: „Hallo, Butler. Tihihi! Du in meinem bescheidenen Etablissement. Was eine Ehre. Ehehehe!“ Auch Amy kicherte: „Hi, Sebastian.“ Sebastian betrachtete meinen Laden mit hoch gezogener Augenbraue und ein schnippisches Lächeln erschien in seinem Gesicht: „Verspäteter Frühjahrsputz, Undertaker?“ Ich lachte ihn an: „Ehehehe! Kann man so sagen.“ Darauf legte er den Kopf schief: „Besser spät, als nie. Wie sonst üblich.“ „Du tust ja fast so, als hauste ich in einer Müllkippe. Tehehehe!“, lachte ich weiter. „Nein, eher in einem Sammellager für Sondermüll“, ging der verbale Schlagabtausch mit einem kalten Lächeln des Butlers weiter. „Wenigstens habe ich in meinem Leben noch andere Inhalte, als putzen, kochen, backen und babysitten. Hihi!“ „Ich führe ein sehr bereichertes Leben. Danke der Nachfrage.“ „Ich ebenfalls. Nihihihi!“ „Ja“, der Butler seufzte: „Glück liegt wohl im Auge des Betrachters. Junge Lady? Lady Rosewell? Seid ihr fertig?“ Amy nickte und schaute dann zerknirscht zu Sky, die Sebastian auch eher betend musterte. Warum sich Skyler in meinen Laden Sorgen wegen Sebastian machte, war mir wieder rätselhaft. Bei dem kleinsten falschen Schritt würde ich den Butler so hochkant aus meiner Tür befördern, wie er in seinem auch recht langen Leben noch nie irgendwo raus geworfen worden wäre. „Ja schon, aber…“, begann Amy und Sebastians Gesicht verfinsterte sich schon bei dem ‚aber‘ in Unangetanheit: „Sky kommt doch nicht mit, Sebastian.“ „Wie darf ich das verstehen?“, fragte der Butler mit düsterer, aber noch höflicher Mine nach. „Sky hatte einen kleinen Unfall und hat sich am Knie verletzt“, führte die Tochter seines Meisters aus. „Ah“, Sebastian schaute zu Sky: „So, so. Das erklärt dann wohl auch euren sonderbaren Aufzug, Lady Rosewell.“ Diese nickte knapp: „Jap...“ „Sie kann nächstes Wochenenden sicherlich mitmachen, hehehe“, nahm ich Skyler lachend die Konversation ab. Gegen Sebastian bestand sie nicht und ich traute es dem Dämon in seinem zornigen Grundgefühl zu, sie trotz Knieverletzung mitnehmen zu wollen. Er war immer noch ein Dämon, hatte keinen Bezug zu Skyler und so war sie ihm nur in sofern nicht egal, dass sie Amy nicht egal war. „Nur dieses nicht“, setzte ich mit finalem Tonfall hinzu. „Aha? Wie gut, dass du vollkommen im Bilde bist, Dr. Undertaker.“ Ich lachte. Sebastian schnippische Reaktion gab mir zu verstehen, dass es ihm nicht schmeckte: „Tehehehe! Ich bin sicher du hättest es auch rausbekommen, Butler.“ „Ich ebenfalls“, Sebastian wandte sich zum gehen: „Kommt, junge Lady. Lady Rosewell? Ein erholsames Wochenende wünsche ich euch. Erholt euch schnell. Euer Haus zählt auf euch.“ „Schönes Wochenende, Sebastian. Viel Spaß, Amy“, wirkte Skyler immer noch nicht gerade aus dem Häuschen, dass sie bei der Sportveranstaltung mitmachen sollte. Amy drehte sich zu ihr und funkelt sie düster an. Ich umarmte Amy zum Abschied und steckte ihr unauffällig ihre neue Silberkette zu. Sebastian sah es nicht. Es wäre für Amy auch fatal gewesen hätte er. Er war Alexander verschrieben, nicht Amy: „Tschüss, Amber. Hihihi! Bis Morgen.“ Amber beschaute unauffällig auf die Kette, lächelte mir zu und wandte sich zum gehen: „Bis Morgen! Bye Sky!“ Die Beiden entschwanden und nahmen das letzte Sonnenlicht mit sich. Ich schloss die Fenster. Danach verschwand ich kurz in der Tür hinter dem Tresen, da in der Schublade meines Tresens keine Streichhölzer mehr waren. Als ich aus der Küche kam, drehte ich mich kurz zur Badezimmertür. Unwillkürlich warf ich einen Blick hindurch und er fiel auf Skylers nasse Kleider. Ich sah zwei gerissene Enden einer Silberkette aus der Hosentasche hängen. Mit einem Schnauben zog ich den Anhänger aus der Hosentasche, fädelte ihn auf dem Rückweg auf die neue Kette und steckte ihn in die Hosentaschen. Dann zündete ich die Kerzen meines großen alten Kerzenleuchters an, der schon so alt war, wie mein Laden selbst. Elektrisches Licht war praktisch und die einsame Stehlampe neben meinen Tresen benutzte ich, wenn ich abends noch etwas aufschreiben musste, doch war ich von Kerzen bei weitem mehr angetan. Ihr Licht ist natürlicher. Wärmer. Einfach viel gemütlicher. Außerdem war dieser Kerzenständer ein Geschenk von Cloudia zur Eröffnung meines Ladens gewesen. Ich würde ihn auf ewig wieder zusammenflicken, anstatt ihn wegzuwerfen. Nachdem ich das Streichholz ausgepustet und entsorgt hatte, schob ich meine Brille in die Haare und setzte mich Skyler gegenüber. Ich war neugierig was sie fragen wollte. Gleichzeitig war ein Teil von mir sicher, ich wolle es eigentlich gar nicht wissen. Doch sie schaute mir gerade nur in die Augen. Die verschwommenen Spiegelungen der Flammen in ihren blauen Augen, erinnerten mich an die Schiffchen die jedes Jahr an Halloween den Bach der Phantomhives hinunter segelten. Dieser Gedanke ließ doch ein leichtes Lächeln auf meinen Mundwinkeln erscheinen: „Also. Was hast du auf dem Herzen?“ „Ich…“, blinzelte sie, als hätte ich sie geweckt: „Wollte dich das eigentlich schon vorgestern gefragt haben, aber... da habe ich mich nicht mehr getraut...“ „Hehehe! Warum denn nicht?“ „Ich..“, sie ließ den Kopf hängen: „Du warst so sauer auf uns. Ich dachte ich hatte in dieser Situation kein Recht dazu...“ Ich lachte mit einem kleinen Seufzen: „Herrje. Ja, ich war sauer. In der Tat. Ihr habt mir auch einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Doch als ich gegangen bin, war doch alles schon längst wieder in Ordnung.“ Sie schaute mich wieder an. Lange. Mit ihrem Künstlerblick, den ich so mochte. Und es ehrte mich, dass sie ihn mir so oft schenkte. Ich schaffte es allerdings nie zu fragen, was sie sah. Was ich in ihren Augen sah wusste ich: Trübe Traurigkeit. Gebrochenes Vertrauen. Verstümmeltes Selbstbewusstsein. Und doch waren sie voller Wärme, Mitgefühl und Passion. „Also ääääh…“, machte sie irgendwann: „Mein Ohr teilt deine Auffassung nicht!“ Ich lachte auf: „Das habt ihr euch selbst zuzuschreiben. Hehehehe!“ „Ich weiß“, ließ sie ihre dünnen Schulter hängen, die doch immer noch viel zu viel Gewicht zu tragen schienen. Junge Dinger sollten leichter sein. Ich wollte ihr so viel abnehmen wie ich konnte. Doch Skyler machte es mir nicht gerade einfach. Ihr alles abzunehmen war unmöglich, das wusste ich. Was ihr Elternhaus ihr mitgab wird sie ewig behalten. „Ich will mich auch nicht beschweren“, sagte sie ein wenig geknickt: „Du hattest jedes Recht der Welt sauer zu sein. Wie geht es deiner Schulter?“ Ich grinste. Die kleine Schürfwunde hatte ich sofort vergessen und nie wieder daran gedacht: „Besser als deinem Knie.“ Sky zog eine Augenbraue hoch: „Du bist doof.“ „Du wiederholst dich. Hehehe!“, lachte ich. „Denk mal drüber nach“, konterte sie Ein belustigtes Schnauben entfloh mir: „Brauche ich nicht. Hehehehe, ich weiß was du meinst. Doch nun spanne mich nicht weiter auf die Folter. Was möchtest du mich fragen?“ Sky nahm ihr Handydingsda aus der Tasche und wischte darauf herum. „Hier“, hielt sie es mir schließlich vor die Nase. Ein irritiert skeptischer Blick zog in meine Augen angesichts dieses neumodischen Krimskrams: „Tehehe. Was soll ich damit?“ „Das Bild. Schau es dir an. Bitte.“ Ich ergab mich und nahm ihr das Handy aus der Hand. Schon die Überschrift bestätigte mir jedes schlechte Gefühl und machte es noch um einiges schlechter »Tragödie auf der RMS Campania«: ‚Ach du Sccchhhh… Schande!‘ Ich bekam einen mentalen Leberhaken angesichts des Zeitungsartikels auf dem Foto und wusste selbst nicht wie ich es geschafft hatte diese Empfindung zu verstecken. Ich kannte diesen Artikel. Ich hatte mir noch am 22.4.1889 diese Zeitung gekauft und mich köstlich über den rigorosen Schwachsinn amüsiert der darin stand. Wie sie alles Wahre, als Spinnerei abtaten und alles Falsche nur allzu bereitwillig für voll nahmen, war köstlich gewesen. Angesichts dieser Erinnerung grinste ich dann doch wieder. Doch der Name ‚Stoker‘ stieß mir auf. Der Name ‚Chamber‘ stieß mir auf. Das sie diesen dämlichen Zeitungsartikel gefunden hatte, stieß mir allerdings am aller meisten auf. Denn nun war ich nicht mehr nur in Erklärungsnot, nein, ich hatte ein riesiges Problem. Mit dem Finger wischte ich über das Display und schob das Bild somit hoch. Ja, ich wusste wie die Dinger funktionieren und nein, ich wollte nie Eins haben. Ich hab ein Telefon. Die Menschen sollen damit zufrieden sein und sich selbst wieder beibringen was eine Briefmarke war. Schließlich lachte ich, weil ich schlicht und einfach nicht wusste wie ich anders reagieren sollte: „Hehehehe! Ja, die Campania! Und was genau möchtest du nun von mir?“ Ich konnte es mir denken. Natürlich, konnte ich es mir denken. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich um diese Konversation herum kommen sollte. Ich bin mir auch sicher, das Skyler die Wahrheit eigentlich nicht wissen wollte. Das wird ihr aber erst dann klar werden, wenn sie sie kannte und ich hatte ich versprochen Rede und Antwort zu stehen. Diese Situation hatte ich also von vorne herein verloren. Die wichtige Frage war allerdings: Wie viel noch? Ich gab Sky ihr kleines Gerät wieder. „Was habt ihr gemacht?“, fragte sie, als sie es in die Tasche zurücksteckte. „Kehehehehehe! Vieles“, lachte ich und hatte immer noch keine zündende Idee: „Doch worauf willst du hinaus?“ „Ronald erzählte du hast eigentlich das Schiff versenkt“, erzählte Sky leise. ‚Ronald, du minderbemittelter Einfaltspinsel...‘, grummelte ich sauer in meinem Kopf. Doch äußerlich nickte ich nur mit einem kleinen Lachen: „Das stimmt. Tehe. Anders wird man den Butler auch nicht los. Bringe seinen Meister in Gefahr und du hast gewonnen. He he he.“ Ich schaute Skyler eindringlich in ihre blauen Augen und versuchte mein Widerstreben in meinem Kopf zu behalten. Sie war so unsicher. Ich hatte immer das Gefühl eine merkliche Ablehnung ihrer Anliegen würde nur dazu führen, dass sie nie wieder sprach. Und ich wollte, dass sie wusste, dass sie mit allem zu mir kommen konnte. Doch sollte sie so tief bohren, wie ich befürchte, wird sie bald verstehen was ich meinte, wenn ich von mir selbst als ‚nicht gütig‘ sprach. Und wie unsagbar untertrieben dies eigentlich war. Sie wird Dinge hören, die mit keiner Goldzunge der Welt schön zu reden waren. Dinge, die einfach furchtbar waren. Dinge, die blutig waren und grausam. Moralisch verwerflich und brutal. Und ich amüsierte mich immer noch über den verzweifelten Todeskampf der Passagiere. Und ich war immer noch stolz auf meine Bizzare Dolls. Ich bereute einfach nichts. Vorstellen, dass sie diesen Informationen stand hielt, konnte ich mir nicht. Doch Lügen werde ich nun auch nicht. Sie studierte derweilen aufmerksam mein Gesicht: „Weißt du woher die Differenz kommt?“ Ich nickte: „Ja, weiß ich. Tehehehe! Sehr genau sogar.“ „Und du hast dem Scotland Yard nichts erzählt?“, fragte sie, was mich dann doch lauter zum Lachen brachte: „Pahahahahaha! Abberline hielt mich für einen Verrückten! Schon lange vorher! Und das vollkommen zu Recht! Mir hätte er kein Wort geglaubt, auch wenn er am Ende seiner Ermittlungen gar nicht mehr wusste was er noch glauben konnte.“ „Wurde der Fall aufgeklärt?“, bohrte sie weiter und erntete ein Kopfschütteln von mir: „Tihihi! Nie ganz, nein.“ „Warum nicht?“ Ich seufzte, allerdings nur innerlich. Es nahm genau die Richtung, die ich nicht wollte: „Weil das Scotland Yard die Wahrheit nicht glauben wollte. Fast 700 Leute haben sie ihnen erzählt und viele wurden dafür in die Klapsmühle geschickt. Nur dem Einen, der gelogen hat, dem glaubten sie.“ „700 Leute erzählten die...“, sie brach kurz ab: „Aber die Leute haben halluziniert, Undertaker! Und etwas von Zombies erzählt. Selbst der Earl Phantomhive hat gesagt, dass es Schwachsinn war.“ „Ich weiß“, grinste ich, verschränkte die Arme und überkreuzte die Beine und habe mich dabei noch nie so gequält gefühlt. Doch ich log nicht. Auch jetzt nicht. Selbst wenn ich mir sicher war, dass die Wahrheit nichts war, was Skyler hören wollte. Sie dachte immer noch viel zu gut von mir, obwohl ich ihr so oft davon abgeraten hatte: „Aber das sie halluzinierten war lediglich ein Hirngespinst der überstrapazierten Gemüter im Scotland Yard. Tehehehehe! Und der Earl, hmm, hehehe! War er nicht ein unbeschreiblich guter Lügner?“ Sie schaute mich mit großen Augen an: „Du willst mir nicht erzählen, dass du wirklich denkst die Geschichte stimmt, oder?“ Sie sah jetzt schon überfordert und ansatzweise verstört an, dabei war das alles doch nur – wortwörtlich – die Spitze des Eisbergs: „Ich denke nicht. Tehehehe. Ich weiß es.“ Entsetzen erschien in ihr Gesicht: „Bitte?! Du willst mir doch nicht ehrlich erzählen, dass du an Zombies glaubst?!“ Doch ich grinste, ein weiteres Mal amüsiert von der menschlichen Naivität: „Ich glaube nicht. He he he. Ich weiß, dass es sie gibt. Oder sagen wir, ich weiß dass es etwas gibt, dass ihr Menschen als Zombies betiteln würdet.“ Ihr Mund klappte auf: „Echt jetzt?“ Ich nickte kichernd und verbarg wie unwohl mir war. „Ohne Witz?“ Ich nickte wieder. „Du verarschst mich auch nicht?“ Jetzt schüttelte ich den Kopf. „Ganz, ganz ehrlich?“ Erneut nickte ich. „Aber… woher?“ Meine Erinnerungen an das sinkende Schiff tanzten durch meine Gedanken. Es war ein guter Tag gewesen. Das dachte ich immer noch. Denn ich hatte auf der Campania und auch auf dem Weston College viele Erkenntnisse über das vorbestimmte Ende und dem was hinter dem Abspann war erhalten. Und auch über Ciel, Sebastian und die Sensenmänner. Dieser Tag hatte sich für mich mehr als nur gelohnt. Ich war mir bewusst, wie abstoßend das gewesen war. Ich war mir bewusst, wie abstoßend ich war. Ich lachte durch meine geschlossenen Lippen, als mir all das durch den Kopf schoss und fühlte eine gewisse Art von… Resignation. Denn was ich war konnte ich nicht mehr ändern. Wie wenig mir die Menschen bedeuteten und das die meisten für mich nicht mehr als atmendes Spielzeug waren, war ein inneres Gebilde geformt aus Jahrhunderten von gesehenen Records und immer weiter wachsender Frustration gegenüber dem was Menschen sich antaten. Immer und immer wieder. Auch in meiner Zeit bei den Menschen wuchs die Frustration ständig weiter und war schließlich gekippt in blanke Abscheu. Reue fühlte ich nicht. Ich war mir des Weiteren mehr als nur bewusst, dass ich… kein guter Wegbegleiter für eine junge gequälte und doch so reine Seele war, wie Skyler eine hatte. Langsam, getragen von dieser Bitterkeit, meiner Frustration und meiner Resignation breitete ich immer weiter dunkel lachend meine Arme aus: „Weil ich sie erschaffen habe. Ehehehehehe!“ Skylers Augen sprangen auf. Schock und Unglauben standen in dem endlosen Himmelblau. Ich konnte mit ansehen, wie ihr Gesicht immer weißer wurde: „Wa… was?“ Sie begann zu zittern. Wegen mir. Vielleicht verstand sie endlich mit wem sie es zu tun hatte. Es war wichtig, dass sie wusste mit wem sie es zu tun hatte. Der Unglauben in ihren Augen musste verschwinden. So ließ ich meinem schwarzen Pläsier freien Lauf: „Ke he he he. Wie ich es sagte. Ich habe sie erschaffen und auf das Schiff gebracht.“ Skyler zitterte weiter. Wegen mir. Ein Umstand, der mich sonst höchstens nur noch mehr zum Lachen brachte, doch bei ihr… machte es mir keinen Spaß. Meine Erinnerungen machten mir Spaß, doch ihre verständlich verängstigte Reaktion verlieh meinem Amüsement eine stechend bittere Note. Ihre blauen Augen musterten mich immer noch, als würde sie sich einreden wollen ich hätte gerade nicht gesagt, was ich gesagt hatte: „Aber… aber was?“ Ich wechselte meine überschlagenden Beine und stützte mein Gesicht auf meiner Hand ab: „Meine Bizzare Dolls. Hehehe.“ „Bi…“, Skyler blinzelte, immer noch in Unglauben verstrickt: „Bizzare Dolls? Was ist denn das?!“ „Nun“, grinste ich weiter. Mir war so unwohl. Ich wollte, dass dieses Gefühl verschwand: „Ih hi hi, ihr bezeichnet sie als Zombies. Geifernde Monster, die nach dem Blut lebender Menschen lüstern, hehehe! Eigentlich lüsterten sie nach ihrer Seele, aber das verstanden die Menschen nicht. Tehehehe! Ich bezeichne sie als meine großartigste Kreation. Nur leider hatte die Welt nicht viel dafür übrig.“ „Kre… Kreation?“, Skyler sprang auf. Energisch schaute sie mich an. Energisch in dem Punkte, dass sie mir nicht glaubte was ich sagte: „Du verarschst mich! Warum sollte man sich Zombies zusammenbasteln?!“ Ich legte den Kopf schiefer und musterte sie in Unverständnis. Dem Fakt gegenüber, dass sie zu verleumden schien was ich erzählte und dem gegenüber, dass ihr Knie furchtbar wehgetan haben musste, als sie aufgesprungen war. Wenn sie so achtlos mit ihrem Knie umging, würde die Heilung unnötig lange auf sich warten lassen. Und sie würde unnötig lange Schmerzen haben. Was ich nicht wollte. Ich wollte nicht, dass sie irgendwie geartet Schmerzen hatte: „Du solltest dein Knie nicht so schnell bewegen, das ist nicht gut.“ „Mein Knie ist gerade vollkommen egal!“, donnerte sie. Ich hatte eher gedacht sie verschluckte wieder ihre Zunge. Doch sie war aufgesprungen und schrie mich an. Hysterisch. Laut. In vollkommenen Unglauben und vor allem Unverständnis: „Erkläre es mir, Undertaker!“ Ich seufzte und verschränkte wieder meine Arme. Wenn ich auf etwas keine Lust mehr habe, dann meine Motive verständnislosen Menschen zu erklären zu versuchen. Es funktionierte eh nicht. Vergebene Liebesmüh war in diesen Fällen eine Umschreibung, die der Sache nicht gerecht wurde. Und auch sie war verständnislos: „Warum sollte ich? Du hast ja auch kein Verständnis für ihre bezaubernde Beschaffenheit.“ „Be… bezaubernde Beschaffenheit!?“, sie wedelte wild mit ihren Händen: „Auf der Campania sind 2195 Menschen gestorben!“ „Nein“, konterte ich: „Nur 1873. Die Restlichen 322 waren vorher schon tot. Hehehehe! Daher kommt die Differenz. Die überschüssigen“, ich lachte auf in meinem dunklen Pläsier: „‘Blinden Passagiere‘ waren meine wunderbaren, kleinen Dolls und diese Trottel vom Yard haben noch nicht einmal alle gefunden. Jammerschade. Sie liegen wohl immer noch auf dem Grunde des Nordatlantiks. Meine armen Kinder.“ „Nur 1873?!“, Skyler schien nun doch komplett von ihrem Glauben abzufallen. Es war besser so. Denn was sie glaubte was ich war, schien schlicht falsch zu sein, wenn sie was sie hörte noch so treffen konnte. Sie schüttelte vehement ihren Kopf: „Das macht es nicht ansatzweise besser! Das sind immer noch 1873 Menschen zu viel, verdammt! Und was meinst du bitte mit ‚deine armen Kinder‘? Bist du verrückt geworden, Undertaker?!“ Etwas zuckte durch mich hindurch. Ein spitzer Blitz. Ganz kurz war eine Welle Wut in mir so präsent, wie ich es nur selten erlebte. Hatte sie das wirklich gefragt? Ich wusste nicht warum mich diese Aussprüche so ärgerten, tat ich solcherlei Äußerungen doch für gewöhnlich nur noch mit einem recht müden Lachen ab. Das schneidende Gefühl verebbte zwar binnen Sekunden, hinterließ aber ein Teppich grauer Verdrossenheit in mir und verscheuchte selbst das düstere Amüsement. Aus Gründen denen ich atok nicht gewahr war, hatten mich diese Sätze aus Skylers Mund hart getroffen und ich merkte wie diese Härte in meinem Gesicht erschien. ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Ich unterdrückte ein Seufzen, als mir Grells Ausruf wieder durch den Kopf sprang und mir meine Frage für mich beantwortete. Und was brachte es mir? Nichts. Dieses Gefühl war schrecklich. Wie kann dieselbe Empfindung dafür sorgen, dass sich alles so warm, weich, hell und gut anfühlte und zu einer anderen Zeit ein so graues, kaltes, missmutiges und verärgertes Gefühl verursachen? Das war bis ins letzte paradox. Ich hatte nicht erwartet, dass Skyler verstand. Sie war immer noch ein Mensch. Ein besonderer Mensch, den ich besonders zu mögen begonnen hatte, doch ein Mensch. Und Menschen verstanden es nicht. Die Reaper verstanden es ebenfalls nicht. Noch nicht einmal der Dämon verstand es. Mein Platz am Rande aller Rassen und Welten hatte viele Vorteile. Doch auch einige Nachteile. Ich hatte mich damit abgefunden, dass es wohl niemanden mehr gab, der mich verstand. Doch ich merkte wie ich mir irgendwie wünschte, sie hätte anders reagiert. Natürlich wusste ich, dass dies Unsinn war. Ihre Reaktion war nachvollziehbar. Es war nachvollziehbar, dass sie alles andere als begeistert war von dem was sie hörte. Mit Begeisterung hatte ich auch wirklich nicht gerechnet. Doch diese Rationalität war ohnmächtig gegenüber diesem Gefühl, was so plötzlich über mich gekommen war: „Ja. Schon lange.“ Das schönste Wesen, das ich je getroffen hatte, erstarrte. Blieb einfach stehen. Bewegte keinen Muskel mehr. Sie starrte mich nur an, ein Wirbelsturm in den hellen großen Augen. Irgendetwas in dem Blick dieser Augen - die ich sonst Stunden beschauen konnte ohne das mir langweilig wurde - löste Missmut in mir aus. Vor allem, da Skys Frage warum ich die Dolls als meine Kinder bezeichnete, mich daran erinnerte wie alles geendet hatte. Ich erhob mich langsam und ging ein paar Schritte durch den nur von den Kerzen erleuchteten Verkaufsraum, angetrieben von einer ungewohnten inneren Unruhe: „Die Dolls waren wie Kinder für mich. Ich habe sie mit meinen eigenen Händen erschaffen. Ich habe sie sich entwickeln sehen, nur damit ein kleines Balg und sein dämonischer Butler meine ganze harte Arbeit zu Nichte machen konnten und ein paar Shinigamis sich die Dreistigkeit heraus nahmen mir die Hände zu binden“, ich warf lachend und abwertend eine Hand in die Luft, nun vollends gefesselt von meinem Ärger, den mir Ciel, Sebastian und auch William, Grell und Ronald bereitet hatte. Ich hatte es ihnen nicht nachgetragen. Ich verstand sie. Doch ihre gönnerhafte Vergebung und die Fesseln die sie mir anlegten, indem sie mir verboten weiter zu experimentieren erzürnte mich, wenn ich daran zurückdachte. In der Regel nur unterschwellig, doch gerade war dieser Zorn mehr als nur präsent und sickerte in mein dunkles Lachen: „Eh he he he! Dass ihr Menschen davon nichts haltet, interessiert mich nicht.“ Ich sah wie Skylers Versteifung fester wurde. Ich sah die hilflose Ungläubigkeit in die sich eine unerwünschte Erkenntnis schlich. Ich sah, dass sie begann zu verstehen. Zu verstehen was ich getan hatte, aber nicht warum. Wie auch? Niemand verstand es. Niemand verstand mich und niemand gab sich die Mühe dazu. Eigentlich war mir dies egal. Doch in diesem Moment war nichts wie es eigentlich war. Denn irgendetwas in mir wünschte, nein, sehnte sich danach, dass genau sie mich verstand. Alle anderen waren mir in diesem Hinblick egal. Selbst die Phantomhives, die Fengs, die Hermanns, die von Steinen, der Dämon sowieso und auch die Todesgötter. Sie sollte… Ich wollte… Ich sah die Tränen in ihren Augen durch den Schein der Kerzen glänzen. Ich sah wie sie eine Hand vor ihre Brust presste und sich ihr Körper zusammen zog. Ich sah wie sie wieder zitterte. Ich sah ihre vielen Fragen und Gedanken, in ihren Augen eine Art von Schmerz, bevor sie sie zusammenkniff. Ich bekam einen schmerzhaften Stich in Retour. Und ich sah ihren Zwiespalt. Einen Zwiespalt, den ich nicht deuten konnte. Und bei diesem Anblick wusste ich, dass sie litt unter dem was sie erfahren hatte. Ich wollte nicht, dass sie litt. Das hatte ich nie gewollt. Und zum ersten Mal wünschte ich mir, dass ich ihr etwas anderes hätte erzählen können. Bereuen tat ich was ich getan hatte immer noch nicht, doch ich bereute, dass ich ihr keinen Grund geben konnte, der besser zu verkraften war. Ich verschränkte meine Arme, um mich diesen Empfindungen zu erwehren und merkte wie sich meine Finger krampfhaft in meinen Armen vergruben. Ich merkte wie der Stoff meiner Ärmel unter den Nägeln meiner angespannten Finger riss. Doch ich konnte diese Gefühle nicht vertreiben. Skyler sah so leidend aus, als sie mit ihrer Hand ihren Oberarm griff. Ich wollte sie so nicht sehen. Noch viel weniger wollte ich der Grund dafür sein. Ich legte meine Hand an ihre Wange, ohne weiter darüber nachzudenken, ob ich in der Position dazu war. Skys Augen sprangen auf und schauten mich recht seltsam an. Mit einem schweren Gefühl im Herzen und dieser steifen missmutigen Kälte in mir, strich ich mit dem Daumen über ihre wunderbar warme Wange und wollte es irgendwie schaffen ihr Leid zu lindern. Dessen Grund meine Taten waren. Weswegen mir dies unmöglich war. Mit einem Seufzen schloss ich kurz meine Augen und öffnete sie sofort wieder: „Ich habe dich gewarnt...“ „Wo...“, sie schluckte gequält: „Wovor?“ Meine Augen fielen nach unten. Dann nahm ich meine Hand schweren Herzens wieder von ihrem Gesicht und drehte mich ab. Ich wollte ihr Gesicht sehen, immer, doch so wie sie gerade schaute konnte ich es nicht weiter anschauen: „Davor, dass ich kein nettes Wesen bin. Nicht im Ansatz, meine Schöne.“ „Aber...“, ihre Hand an meiner vermied, dass ich mich ganz abdrehen konnte: „Da… Du musst doch einen Grund gehabt haben, dass du...“ „Ryan Stoker“, unterbrach ich sie. In mir fielen die Gedanken übereinander. Ich war verwirrt. Warum hielt sie mich fest? Nach allem was ich erzählt hatte? Nun schaute ich ihr doch wieder ins Gesicht. Ich suchte darauf Anzeichen, was sie dachte und fühlte. Warum sie mich trotz des schweren Schocks in ihren Augen davon abhielt mich weg zudrehen. Warum sie mich festhielt. In ihrem Gesicht standen immer noch der Schreck und das Unverständnis. Ein Kampf zwischen Unglauben und Erkenntnis. Ein leidender Ausdruck stand weiter in ihren Augen und quälte mich. „Der Arzt, der verschollen blieb?“, fragte sie nach einer kurzen Weile, nahm ihre zweite Hand an mein Handgelenk und hielt es fester, nachdem sie zwei weitere Schritte auf mich zugegangen war. Meine Verwirrung stieg. Ich wusste nicht mehr, was ich von dem halten sollte was sie tat. Stand es doch gänzlich gegen den rationalen Menschenverstand. Jemanden, der eine Masse an Menschen in den Tod rennen ließ, den hielt man nicht fest. Dem kam man nicht näher. Selbst Grell und Ronald taten oft zwei Schritte nach hinten, wenn wir auf das Thema kamen. Ich war auch nicht sicher, ob sie wirklich weiter fragen wollte, oder ob es wieder eine der Situationen war, in der sie nicht wusste was sie tun sollte. „Er ist tot“, fuhr ich trotz dieser Frage in meinem Kopf fort. Ich hatte ihr versprochen zu antworten, sollte sie fragen und sie wusste, dass ich meine Versprechen ernst nahm. Sobald sie fragte musste sie also mit den Antworten leben, die sie bekam. Denn dass ich nicht log, wusste sie auch: „Ich habe ihn umgebracht, indem ich ihn in einem nassen Loch voller Dolls versenkt habe. Sie haben ihn gefressen. Er kam damals zu mir und bat mich um Hilfe.“ „Sie“, Sky brach mit einem erschrockenen Schaudern ab und ging einen Schritt nach hinten: „Sie haben ihn gefressen?“ Ich merkte wie meine Augen sich kurz zusammenzogen, als sie einen Schritt nach hinten tat. Ein kaltes Sirren zog so kurz durch mich hindurch, wie meine Augen zuckten. Da war er. Der Schritt zurück, auf den ich nur gewartet hatte. Der erste Ansatz einer Flucht vor mir: „Natürlich.“ Skyler schluckte ein weiteres Mal und ihr Mund verspannte sich, als sie mir weiter irritiert und hin und her gerissen in die Augen schaute. Und immer noch meine Hand hielt. Und ich wusste nicht wieso. Ich verstand es nicht. „Stoker“, bemühte ich mich trotz meiner Unruhe eine ruhige Stimme zu halten: „Zog einen Verein widerwärtig wohlhabender Briten auf. Sie alle suchten nur eins. Die absolute Lösung. Das Heilmittel gegen die für Menschen bedrohlichste Krankheit überhaupt: Den Tod.“ Ihre Augen flatterten in Erschütterung: „Und… und du hast sie gefunden?“ Ich schüttelte knapp den Kopf: „Nein, das habe ich nie.“ Unwillkürlich wanderte mein Blick zu den Bilderrahmen in meinem Regal. Mein Laden war gleichzeitig mein Wohn- und Schlafzimmer. Ich lebte darin und hatte einige persönliche Stücke in dem Regal hinter meinem Tresen. Dort standen 8 kleine Bilderrahmen. 5 Bilder von den Generationen der Aristokraten, denen ich beiwohnte. Ein Bild mit den 3 Sensenmänner, mit dem Grell uns eines schönen Sommertages überrascht hatte und auf dem niemand von uns - außer Grell selbst – wirklich vorteilhaft aussah. Ein Bild mit Cloudia. Ein Bild mit Vincent. An dem Bild von Vincent blieb mein Blick eine Weile hängen. Sebastian und die Todesgötter unterlagen lange der Überzeugung ich hätte das alles getan, um Vincent wiederzuholen. Unsinn. Ich wollte niemanden wiederholen. Ich hatte schon mit Records und Leichen experimentiert, da kannte ich selbst Cloudia noch nicht. So war die Wachhündin damals erst auf mich aufmerksam geworden. Da ich Leichen gestohlen hatte. Kam mir jemand über den Weg der es verdiente, habe ich sie mir auch selbst gemacht. Ich wollte wissen was hinter dem Ende kam, da ich selber nicht mehr hoffte es in nächster Zeit an mir selbst zu erfahren. Ob es wirklich nur Nichts war. Ich wollte wissen was nach dem Abspann kam. Ob man Leben über den Tod hinaus erweitern konnte. Aufgrund dieser Fragen, war ich erst zu den Menschen gegangen. Wegen dieser Fragen und der sengenden Langeweile. Es war nicht so, dass ich erst angefangen hatte zu forschen, als Vincent verstorben war. Dass ich mich über die Grenze bewegen wollte und ihm den Tod wieder entreißen wollte. Es war unmöglich. Wer tot war, war tot. Wer weg war, war einfach weg. Sobald die Seele verschwunden war, war auch der Mensch fort. Unwiederbringlich. Ich konnte mit den Records, dem einzigen Seelenstück was im Körper verbleibt, keine ganze Seele schneidern. Das war unmöglich und das war mir von Anfang an klar gewesen. Ich hatte es natürlich aus schierer Neugier heraus versucht und war selten so gescheitert. Und selbst wenn ich es schaffen würde, aus einem Record wieder eine funktionierende, fühlende Menschenseele zu konstruieren, so wäre sie doch nicht mehr als eine Kopie. Ein billiger Abklatsch des Originals. Ich wollte nicht neben einem Duplikat meines besten Freundes herlaufen. Er würde immer tot bleiben. Jemand der so aussah, vielleicht sogar ähnlich oder gleich dachte und sich gebar, wäre mir nicht genug. Ich wollte wenn ihn zurück und nicht einen Abzug von ihm. Ich würde immer wissen, dass es eigentlich nicht wirklich er war. Vincents Record hatte ich trotzdem behalten. Als Erinnerungsstück. Ich hatte ihn in meinen Anhängern versteckt. Die Anhänger mit den vielen Haarsträhnen. Die Anhänger, die nun irgendwo in einem Schaukasten lagen und darauf warteten über den Tisch zu gehen. „Aber...“, weckte mich Skyler und ich wusste sofort was sie tun wollte, sodass ich sie nach dem ersten Wort wieder anschaute und unterbrach: „Nichts aber. Wie du schon sagtest, es sind 1873 Menschen gestorben und ich habe es mehr als nur billigend in Kauf genommen. Ich ließ es so laufen, wie es seinen Lauf genommen hatte. Ich hätte meine Dolls aufhalten können. Problemlos. Doch es war mir einfach egal, ob und wie viele Menschen dabei vor die Hunde gingen“, ich lachte, als ich mir der Schreie und des ganzen Blutes erinnerte. Der Panik und alldem Leid: „ Ehehehehe! Es sollte sich raus stellen, wer überlebte: Die Toten oder die Lebenden. Es lief anders als ich geplant hatte, zugegeben, doch es hatte mich nicht im Mindesten geschert. Es war nicht angedacht, dass Ciel und Sebastian an der Kreuzfahrt teilnahmen. Doch im Endeffekt hatte ihre Anwesenheit alles nur noch viel interessanter gemacht. Außerdem war es eine fantastische Gelegenheit den überheblichen kleinen Earl und seinen Butler wieder auf den Boden der Tatschen zu bringen. Tehehehe!“ Skyler antwortete nicht sofort. Einige Minuten starrte sie mich nur an. In ihren Augen schlugen die Gedanken hohe Wellen. Die Wellen glänzten im Kerzenlicht, das den Raum in einen warmen Schein hüllte, was ganz und gar nicht zu der angespannten Atmosphäre passte. Zu dieser so angespannten Atmosphäre zwischen ihr und mir. „Du hast den Earl verraten...“, hauchte sie schließlich. „Nein“, gab ich trocken zurück: „Ich habe ihm gezeigt, dass er durch seinen Butler nicht im mindestens so übermächtig war, wie er zu denken begonnen hatte und ihm von seinem viel zu hohen Ross getreten.“ „Aber…“, Sky konnte sich auf all das keinen Reim machen. Natürlich konnte sie das nicht: „Was hatte der Earl denn gemacht?“ Ich schaute ihr abschätzend ins Gesicht, immer noch nicht sicher ob sie wirklich fragte, weil sie Details wissen wollte, oder einfach nicht mehr wusste wie sie aus dieser Situation herauskam. Doch ich antwortete ihr wieder, trotz dieses Gedankenganges: „Ciel hatte durch Sebastians Dienste den Bezug zur Realität verloren. Er überschätzte sich und den Butler in hohem Maße. Er musste in Gefahr geraten, um zu erkennen wo er eigentlich stand. Was er sich wirklich erlauben konnte und was nicht. Und das habe ich getan, weil Vincent mich bat auf ihn aufzupassen. Denn hätte ich es nicht getan, wäre es jemand anderes gewesen. Und dieser Jemand hätte nicht das Weite gesucht, als es gerade am schönsten war und ihn so am Leben gelassen.“ Sie schluckte. Sie dachte. Sie dachte so angestrengt. Suchte so angestrengt eine Erklärung für sich, dass alles was sie hörte weniger grausam machte. Doch genau das war es. Grausam und der Einzige, der sich darüber belustigen konnte, war ich. „Das nennst du aufpassen?“, fragte sie schließlich, als ihre Suche erfolglos zu blieben schien. „Glaube mir“, rechtfertige ich mich und ich rechtfertigte mich nur sehr selten: „Der kleine Earl hatte von allen Menschen auf diesem Schiff die allerbesten Überlebenschancen. Ich habe es 2 Jahre mit reden versucht. Erfolglos. Wer nicht hören will, muss eben fühlen.“ „Und dafür mussten so viele Menschen sterben?!“, ihre Stimme wurde wieder lauter. Getragen von alldem schlechten was in ihr vorging: „Nur damit der Earl mal einen auf den Deckel kriegt?!“ „He he he, nein“, lachte ich, weil ich immer lachte und weil ich zu dem stand, was ich getan hatte. Weil ich zu dem stand was ich dachte. Weil ich zu meinem Bild von dem Menschen stand. Etliche Records, in denen ich alle Abgründe der menschlichen Seele sah, hatten in meinem Kopf ein eindeutiges Bild gezeichnet und seit dem Tod, nein, dem Mord an Vincent war ich den Menschen gegenüber so verbittert, dass ich kein Mitleid oder Mitgefühl mehr mit ihnen hatte: „Ich sagte doch, der Earl kam relativ spontan auf das Schiff. Diese Menschen starben, weil ich ihr aufbäumen gegen den Tod und ihre verzweifelten Überlebensversuche interessant fand. Weil Menschen mir egal sind, Sky. Bis auf ein paar wenige, habe ich für sie rein gar nichts übrig. Sie sind interessant, ja. Aber auf eine negative Art und Weise. Sie sind gierig, grausam, egoistisch und moralisch bis ins Letzte verwerflich. Meine Dolls waren grausam, weil sie Menschen umbrachten um ihre Seele zu adoptieren und somit ihrem leeren Dasein Sinn zu geben? Menschen töten einander für viel weniger. Immer und immer wieder. Jahrhunderte habe ich Records gesehen. Records von wirklich Unschuldigen, die grausam geschlachtet wurden. Records von ermordeten oder verhungerten Kindern, für die der Tod eine Erlösung war. Records von fetten Pfeffersäcken, die alles andere als Gottesfürchtig waren und nicht den Hauch von Reue ihren Missetaten und Opfern gegenüber empfanden. Von schmierigen Sklaventreiber und Winkeladvokaten. Von scheinheiligen Wohltätern, die doch nur ihr eigenes Portmonee im Blick hatten. Vergewaltiger, Mörder, Schlächter, Folterknechte die noch nicht mal eingesehen haben, dass sie schlechte Wesen waren. Warum, Skyler? Sage mirg warum soll mir an den Menschen irgendetwas liegen?“ „Undertaker“, Skyler schien nun endgültig nicht mehr zu wissen was sie sagen oder denken sollte: „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ „Oh doch, kann es“, ein weiteres kaltes Sirren. Aus dem Nichts. Und dieses blieb. Wog schwer, wühlte den Zorn auf. Den Zorn von dem ich nicht wusste, woher er kam, worauf er zielte: „Mein voller Ernst. Wenn du mir nicht glaubst steht es dir frei zu gehen.“ Sky starrte mich wieder an. Noch geschockter und verlorener als vorher… und ließ meine Hand los. Ging noch einen Schritt nach hinten. Die Distanz zwischen uns wurde immer größer. Und nicht nur die Räumliche. Der nächste Stich war nicht kalt. Er war heiß. Der nächste Stich war nicht stumpf. Es war scharf. Scharf… und auf eine Art und Weise schmerzhaft, wie ich es noch nie erlebt hatte. Sie wurde immer bleicher: „Ich… ich...“ Ich bereute was ich gesagt hatte sofort. Doch… es war so. Wenn sie mit dem was sie heute erfahren hatte, nicht zurecht kam, kam sie auch mit mir nicht zurecht. Und ich wusste von Anfang an, dass sie damit nicht zurecht kommen würde. Bei diesem Anblick wusste ich, dass sie nicht bleiben würde. Bei diesem Anblick wusste ich, dass nun etwas zwischen mir und der schönen, jungen Frau stand, was nichts überwinden konnte. ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Ein weiterer Stich. Was ich fühlte war egal. Denn was ich war wog zu schwer. Sie würde nicht bleiben. Was ich getan hatte, konnte ein so reines und gutes Wesen nicht nur nicht verstehen. Es konnte es nicht ertragen. Reine Wesen, wie die schöne Sky, konnten die Anwesenheit so eines Wesens nicht ertragen. Ein Wesen wie ich es war. Mitleidslos. Reuelos. Selbstsüchtig. Und Rachsüchtig. Und endgültig erkennend, dass ich sie nach heute wahrscheinlich nie wiedersehen würde, steckte ich die Hand in meine Hosentasche und zog den Pentagrammanhänger an der neuen Kette heraus. Ich wollte, dass sie sicher war. Ich wollte, dass sie sicher und glücklich war. Ich wollte… ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Heißer Schmerz, der mein Gesicht nicht erreichte, da ich nicht wollte, dass er da war. Da ich nicht wollte, dass andere wussten, dass er da war. Ich streckte die Hand aus, um Sky ihren Anhänger wieder zugeben. Ich hatte meine Bewegung nicht annähernd halb ausgeführt, da riss sie die Augen auf. Ich stockte. Aus Schock und Schreck war die blanke Panik geworden. Und dieser Ausdruck schmerzte mir mit einer Intensität, für die ich keine Worte fand. Auf einmal rannte sie an mir vorbei. Meine Augen folgten ihr. Sie rannte. Und es war gut dass sie rannte. Was ich in diesem Moment fühlte war eiskalt. Meilen tief… und obwohl ich mir bewusst war, dass sie nicht bleiben würde, war das Gefühl in mir… ...martervoll. ...gramvoll. ...herzzerreißend. …sofort quälend peinigend. ...und so unendlich einsam. Ich fühlte mich einsam. Ich war sauer auf mich selbst, reuevoll gegenüber Skylers leidenden himmlisch blauen Augen und unendlich verloren. Diese Gefühlslage erschien innerhalb von Sekunden. Sekunden, die sich in ungeahnte Längen zogen. Den Sekunden die Skyler brauchte um von ihrem Platz, drei Schritte von mir entfernt, an mir vorbei zu laufen. Und in diesem Moment wurde alles in mir komisch kalt. In diesem Moment fühlte ich mich furchtbar hohl. Das Gefühl was mich immer überkam, wenn eines der Wesen starb, denen ich nah stand. Sie war nicht tot. Doch das Schlimme war nicht der Tod an sich, sondern der Umstand, dass diese Wesen nicht wiederkamen. Warum sie es nicht taten, war einerlei. Das Schmerzhafte war ihre endgültige Abwesenheit. Ich hatte es noch nie geschafft, dieses Gefühl von mir fern zu halten. Es gelang mir es zu kaschieren. Es herunterschlucken bis zu einem gewissen Grad. Doch nie fernhalten. Und es blieb. Bei jedem Mal. Irgendwo tief und zu geschüttet war es immer da. Und immer, jedes Mal, wenn jemand ging, kam es in den Vordergrund. Es waren peitschende Gefühle. Die einzige Tortur, die ich kannte. Wahrscheinlich die Schlimmste, die es gab. Und sie kam immer wieder. Gerade in einer schmerzhaften Präsenz, die mir neu war. Ich reckte meine Hand zu ihr, als sie an mir vorbei preschte. Die Finger ihrer Hand zogen ihre Kette von meinen. Ein letztes Mal streiften meine Fingerkuppen ihre wunderbar warme Haut. Ein letzter heißer Blitz glühte mir durch Brust und Bauch. Dann war sie fort. Noch ein paar Minuten hörte ich ihre schnellen Schritte durch die Gassen hallen. Dann war alles still. Dann war sie endgültig fort. Einfach weg. Total verschreckt. Und ich stand alleine immer noch an derselben Stelle und starrte ins Nichts. Dieses furchtbare Gefühl allgegenwärtig. Meine Fingerkuppen knisterten noch unter der Wärme, die Skylers Haut zurück gelassen hatte. Bald wird dies abgeklungen sein. Schmerz zuckte bei diesem Gedanken durch mein Herz. ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Mit einem lauten und wütenden Geräusch trat ich gegen den Sarg neben mir. Mit einem höllischen Krach flog er gegen ein Regal. Die Gläser darin splitterten. Andere Gegenstände polterten um. Die Tür schlug zu und die Wucht meines Tritts verwandelte den Sarg und das Regal bei der Kollision in Sperrmüll. Ich stand noch einige Zeit an dieser Stelle. Schwer atmend. Meine Hände hatten sich verkrampft, doch diese Randerscheinungen gingen fast gänzlich an mir vorbei. Das kurze heiße Gefühl, was mich dazu verleitet hatte einen Sarg und mein Regal zu demolieren, war wieder verschwunden. Zurück blieb nur dieses kalte, leere Gefühl. Irgendwann setzte ich mich auf einen anderen Sarg. Mein Kopf raste, ohne dass ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Etwas Nasses fiel auf einen Finger meiner locker über den Beinen liegenden Hand. Langsam wanderten meine Augen in ihre Richtung und ich hob die Hand an. Über meinen Zeigefinger zog sich die Spur eines weg geflossenen Tropfens. Ich fasste mir ins Gesicht. Und meine Finger spürten noch mehr Nässe. Verwundert schaute ich auf meine feuchten Fingerkuppen: ‚Tränen?‘ Obwohl ich mir nun den kleinen Tropfen bewusst war, schaute ich weiter verwundert auf meine feuchten Finger. Ein schrilles Geräusch ließ mich wieder zu Boden schauen. Merkenau saß vor meinen Füßen und musterte mich eindringlich. Als ich nichts sagte krähte er vehementer. Ich schüttelte Anbetracht des kleinen Vogels nur den Kopf, schloss die Augen und rieb mir durch mein Gesicht. Plötzlich zog etwas an meinem Bein. Ich schlug die Augen wieder auf und sah, dass sich Merkenau an meinen Schnallen und Bändern mein Hosenbein hinaufkletterte. Oder es zumindest versuchte. Ich schnappte den kleinen Vogel und setzte ihn auf mein Knie. Er krähte mich an. Das Grässliche war, das auch der kleine Rabe mich an Skyler erinnerte. Wie sie mich gebeten hatte ihn mitzunehmen. Wie sehr sie den kleinen Raben mochte. Ich schüttelte wieder den Kopf. Wie ich mit dem Gefühl in mir umgehen sollte wusste ich nicht. Ich hatte kein Wort dafür. Es folgte nur teilweise den Mustern, die ich kannte. Doch der Teil dieses Gefühls, das ihnen nicht folgte war so zermürbend, dass ich es nicht mal mehr interessant fand. Es sollte nur verschwinden und zwar schnell. Merkenau krähte wieder. Ich schaute ihn an. Der Blick des kleinen Raben sah besorgt aus. Vor seinen Krallen waren einige runde Flecken auf meinem Mantel. Und es wurden immer mehr. Denn die Tränen tropften immer noch von meinem Kinn, auch wenn ich nicht recht bemerkte, dass sie da waren. Merkenau hüpfte einen Schritt auf meinen Oberschenkel nach vorne und krächzte wieder. Schriller als je zuvor. „Nein“, schüttelte ich mit leiser Stimme den Kopf: „Nein, ich möchte nicht darüber reden.“ Merkenau setzte sich und krähte erneut eine Frage. „Weil ich nicht weiß, was das für ein Gefühl ist.“ Merkenau sah grübelnd aus. Ich schnipste. Die Kerzen erloschen und es war finster in meinem Laden. Finster, still und einsam. Merkenau krächzte wieder. Dieses mal nickte ich leicht: „Ja, ich lege mich hin. Der Tag soll jetzt ein Ende haben.“ Der kleine Rabe krähte zustimmend. Dann stand er auf und hüpfte über mein Bein. Er nahm eine seiner Krallen und zupfte damit an meinem Mantel. Mit einem freudlosen Schnauben setzte ich den kleinen Vogel auf meine Schulter. Ich kramte ein Taschentuch aus meiner Tasche und wischte mir durch mein Gesicht. Ich weinte selten. Warum ich es jetzt tat war mir ein Rätsel. Ich klappte den Sargdeckel auf und bekam einen Flügel ins Gesicht. Es war eher ein wildes Flattern, als ein erster Flugversuch und Merkenau rutschte auch von dem Rand des Sarges ab auf dem er landen wollte. Ich fing den kleinen Vogel, bevor es der Boden tat und setzte ihn ab. Dann legte ich mich in meinen Sarg. Ein langes Seufzen entfloh mir, als ich den Kopf nach hinten schob und aus meinem Fenster schaute. Die Wolken waren weiter gezogen. Sterne funkelten trübe durch meine Fensterscheibe. Ich war mir irgendwie sicher, dass sie nicht wirklich trübe waren, sondern nur für mich so wirkten. Weil dieses hohle Gefühl so trübe war. Ich starrte einfach in die blassen Sterne und dachte an nichts und gleichzeitig an so vieles. Doch präsent waren immer diese erschrockenen himmelblauen Augen. Diese wunderschöne Augen, die mich so entgeistert angestarrt hatten. Die so schockiert waren von dem was ich sagte. Die so schockiert von mir waren und schließlich aus meinem Laden gerannt waren. Vor mir weggerannt waren. Ich legte eine Hand auf meine Augen. Das hohle Nichts brach und mein Herz zog sich in Anflug eines grässlichen Schmerzes zusammen. Nun merkte ich die Tränen, die stumm durch meine Finger rannen. Gewicht erschien auf meiner Brust, was mich durch meine Finger linsen ließ. Merkenau saß nun auf meiner Brust und sah mich besorgt an. Ich nahm meine freie Hand und strich dem treuen Vogel über seinen Schnabel. Dann schloss ich die Spalte zwischen meinen Fingern wieder. „Was ist das?“, flüsterte ich leise und eigentlich nur für mich selbst. Merkenau krähte und ich verstand ihn genau. Das Wort, dass er gekräht hatte war… ...Liebeskummer. Am nächsten Morgen war der Schmerz unterschwellig geworden und einem fast gänzlich leeren Gefühl gewichen. Einem Gefühl, welches dem Gefühl nach Vincents Verlust ganz ähnlich kam. Doch es war nicht ganz dasselbe. Mir graute, da ich noch genau wusste, wie lange mich dieses Gefühl damals verfolgt hatte. Und heute war es sogar noch schlimmer. Trotz allem saß ich am nächsten Morgen in meinem Wagen und fuhr zur Villa Phantomhive. Ich hatte dem Earl und somit auch irgendwie Amy zugesagt vorbei zu schauen. Merkenau saß auf der Kopfstütze des Beifahrersitzes. Als ich heute Morgen in einem arg grau wirkenden Tag aufgewacht war, hatte der Vogel immer noch auf meiner Brust geschlafen. Seit dem weigerte er sich von meiner Seite zu weichen. Als ich ihn 10 Minuten für meine Morgentoilette allein gelassen hatte, hatte er vor meiner Badezimmertüre gesessen, als ich sie wieder geöffnet hatte. Mir war klar, das Merkenau wieder versucht hatte vom Sargrand zu fliegen und wahrscheinlich eine ziemliche Bruchlandung hingelegt hatte. Als ich im Bad gewesen war, fielen meine Augen natürlich auf Skylers besudelte Kleider, was ein stechendes Gefühl herauf beschwor. Ich war dem Gefühl gegenüber so müde. Eigentlich hätte ich mich am liebsten wieder in meinen Sarg gelegt, den Deckel geschlossen und der Welt erklärt wie gern sie mich heute haben könnte. Doch ich war aufgestanden, hatte einen Tee getrunken, Skys Kleider in die Wachsmaschine gesteckt und war in mein Auto gestiegen. Verfolgt von Merkenau. Wegnistens fragte der kleine Vogel nicht wie es mir ging. Ich glaubte jeder, der mir diese Frage heute stellte, könnte es bitter bereuen. Ich atmete durch um mich zu beruhigen. Ich wollte schließlich zu den Phantomhives, um Amy vor Sebastians Gereiztheit und generell immer anwesenden Sadismus zu bewahren. Da sollte ich nicht meine eigene schlechte Laune an anderen auslassen. Ich hoffte inständig, ich hatte mich so gut im Griff wie sonst. Denn es war nichts wie sonst. Außer die Straßen Londons. Die waren verstopft wie üblich und unüblicherweise nervte mich das bis ins Letzte. „Fahr, du Trottel... Grüner wird es nicht“, zischte ich zum sicherlich 4-mal und Merkenau sah so aus, als ob er seufzen wolle. „Hm?“, versuchte ich weniger gereizt zu klingen. Merkenau krähte. Ich seufzte: „Ja, vielleicht. Ein wenig.“ Merkenau krähte wieder. „So schlimm ist es auch nicht“, gab ich zurück. Merkenau schaute mich an und wirkte, als ob er eine Augenbraue hochzog. „Ist ja gut. Ja, vielleicht bin ich ein bisschen überreizter, als ich mir eingestehen will.“ Ein weiteres Krähen. „Ok, ok. Ich bin definitiv überreizt. Und wenn du keinen guten Ratschlag für mich hast, beton es einfach nicht.“ Merkenau seufzte wieder. Der Rest der Autofahrt verlief schweigend. Bei den Phantomhives angekommen stellte ich meinen Leichenwagen in seine übliche Parklücke und stieg aus, nachdem Merkenau auf meine Schulter gehüpft war. Charlies und Franks Autos waren verschwunden. Wahrscheinlich waren die Beiden wieder in Deutschland oder zumindest Charlie an irgendeinem anderen Fleck der Welt. Ich konnte mir denken, wo die Phantomhives waren. Sebastian hatte sicher den Ballsaal in Windeseile umfunktioniert. Es war schließlich der größte Raum im Anwesen. Ohne Eile schritt ich durch das Manor und grüßte zwei Mägde durch meinen Pony, die mir entgegen kamen. Wie erwartet fand ich alle in dem großen Ballsaal, der wieder in altem Glanz glänzte. Auch Fred, Lee, Grell, Ronald und William waren dort. William im Anzug, Fred in einem blauen, Lee in einem grünen, Grell in einem knarschroten und Ronald in einem braunen Trainingsanzug. Ronalds Anblick stieß mir sauer auf: ‚Du kleiner…‘ Auch Sebastian trug einen schwarzen Trainingsanzug und beschoss Amy - in ihrem violetten Trainingsanzug – über ein Volleyballnetz schon mit hart geschlagenen Aufschlägen. Die Beiden wechselten sich ab. William stand neben dem Netz und pfiff hin und wieder durch eine Trillerpfeife, wenn Amys Fuß beim Aufschlag über die Linie schaute. Der Aufsichtsbeamte tat wohl das, was er am Besten konnte: Den Schiedsrichter spielen. Die Anderen unterhielten sich ausgelassen und dehnten sich. Heather und Alexander saßen auf zwei Stühlen am Spielfeldrand und schauten zu. Als ich in den Raum kam, sah Grell mich sofort. Er schwebte auf mich zu: „Einen wunderschönen guten Morgen, Undertaker ~♥“ ‚Stecke dir deinen...‘, ich räusperte mich und grinste: „Ke he he! Einen wunderschönen guten Morgen, liebster Grell.“ Grell packte sich einen weißen Stoffstapel und kam weiter auf mich zu. Merkenau flatterte mit den Flügeln. „Benimm dich oder du kommst auf den Grill“, sagte ich ihm leise. Er krähte. „Und das weißt du ganz genau. Benehme dich wenigstens heute.“ Merkenau setzte sich mit einem missmutigen Blick auf meine Schulter und sah Grell mit zusammengezogenen Augen an. „Ich hab etwas für...“, Grell stockte, als er den Vogel sah: „Uh… du?“ Merkenau krähte säuerlich, unterstand sich aber Grell wieder anzufallen. „Kannst du den Raben einfach Rabe sein lassen, Grell?“, grinste ich wie gewohnt, obwohl ich mich alles andere als gewohnt fühlte. „Solange er mich in Ruhe lässt.“ Ich merkte Merkenau unruhig einmal abwechselnd die Füßchen hob, doch der Rabe blieb sitzen. Ich grinste weiter: „Wird er.“ „Gut“, dann streckte Grell mir den Stoffstapel hin: „Für dich! Awww, du wirst schnuckelig darin aussehen!“ „Und“, schaute ich dem Staple skeptisch entgegen: „Tehehe! Was ist das?“ „Na! Ein Trainingsanzug!“ Ich lachte schrill: „Pahahahaha! Oh nein, nein, nein. Ich bin als Zuschauer hier.“ „Echt jetzt?“, schaute mich Grell recht verständnislos an. „Nihihi! Worauf du dich verlassen kannst, lieber Grell.“ „Aber...“ „Nein“, grinste ich und unterdrückte den gereizten Ton, den ich am liebsten aufgezogen hätte. Grell ließ den Stapel sinken: „Wie du meinst. Das du uns so hängen lässt.“ „Ich lasse niemanden hängen“, grinste ich weiter, obwohl ich jetzt schon recht genervt war, was ebenfalls unüblich war: „Ich habe nie zugestimmt, mich heute zum Clown zu machen. Hehehehe!“ „Du machst dich sonst doch auch immer zum Clown! Das ist doch dein liebstes Hobby!“ „Grell“, grinste ich weiter: „Nein.“ „Ist irgendwas?“ Ich seufzte innerlich: „Nein. Tehehehe! Mir geht es prächtig!“ Ich stockte, ohne es mir anmerken zu lassen. Hatte ich gerade gelogen? Tatsächlich, ich hatte gelogen. Ohne es mit zubekommen. Es war wohl endgültig an der Zeit mich selbst zu vergraben. Grell blinzelte: „Wenn du es sagst.“ „Oi, Undertaker!“, Ronald kam gut gelaunt auf mich zu. Wieder brodelte in mir Wut bei seinem Anblick auf: ‚Du kleiner… Warum konntest du nicht deine Klappe halten? Wieso musst du deinen Mund immer so weit aufreißen? Du…! Atmen...‘, ich grinste ihn an: „Guten Morgen, Ronald.“ „Eh“, grinste der Blonde jugendlich, als er Merkenau sah: „Wer bist denn du?“ „Das“, grinste ich weiter und steckte meine Hände in die Hosentaschen, um Ronald nicht auf der Stelle zu erwürgen: „Ist Merkenau.“ „Ah!“, lachte der junge Reaper vollkommen ungewahr dessen, dass ich ihn am liebsten dreimal übers Knie gelegt hätte: „Der Rabe, der Grell ständig anfällt!“ Merkenau krächzte. Ich nickte. Grell schaute Ronald säuerlich an. „Aufstellen!“, schallte Sebastians Stimme durch den Saal. Wir gingen Richtung Spielfeld. „Machst du nicht mit?“, fragte Ronald. „Nein“, schaffte ich mein Grinsen zu halten, was heute nicht mehr als eine gut gespielte Maske war: „Ehehehe! Ich werde mich zurücklehnen und das Szenario genießen.“ „Du treulose Tomate!“, lachte Ronald. ‚Atmen...‘ Etwas zischte auf mich zu. Ich wandte den Kopf um, zog eine Hand aus der Hosentasche und schickte dem Butler mit einem Schnipsen den Volleyball zurück: „Tehehehe! Netter Versuch, Butler!“ Er fing den Ball: „Guten Morgen.“ „Morgen“, grinste ich: „Kehe. Lass bloß das Mädchen ganz.“ „Meine Härte ist vollkommen angemessen. Sie hat einen weiten Weg vor sich und die Zeit drängt.“ Ich blieb kurz vor ihm stehen: „Und dein Grummeln aufgrund von Oliver und Claude schleicht sich nicht in deine ‚Lehrmethoden‘? Tehehehehe!“ Die Augen des Dämonen zuckten: „Natürlich nicht.“ „Das“, grinste weiter: „Ist gut zuhören.“ Dann setzte mich zu Heather und Alexander. Amy winkte mir. Ich winkte zurück. Dann hatte Amy alle Hände voll zu tun. „Guten Morgen“, grinste der Earl: „Du am Rand statt mitten drin?“ „Kehehehe! Warum denkt jeder ich hätte übermäßig viel Lust mich mit einem Ball beschießen zu lassen?“, die Wahrheit war, dass ich mir eigentlich für nichts zu fein war und es normalerweise liebend gern entgegen genommen hätte den Butler Volleybälle um die Ohren zu hauen. Doch heute war mir gar nicht nach sportlicher Betätigung. Ich fühlte mich leer, müde und phlegmatisch, alles versteckt hinter einem breiten Grinsen. „Du bist doch sonst für jede Schandtat zu haben“, legte Heather ihren Kopf schief und traf damit genau ins Schwarze. „Ich bin auch sehr dafür zu haben, hin und wieder einfach am Rand zu sitzen und zu genießen“, redete ich mich heraus. „Wenn du meinst“, sagte sie und wirkte nicht wirklich überzeugt, doch sich dessen bewusst dass ich über meinen Zustand nicht reden wollte. Ich verfluchte in diesem Moment wie unglaublich empathisch sie war. Launen erkennen war definitiv Heathers größtes Talent. Während Amy sich abstrampelte, unterhielten ihre Eltern sich locker. Hin und wieder auch mit mir. Ich antwortete mit meinem breiten Grinsen, doch merkte selbst ich, dass meine Antworten viel kürzer als gewöhnlich waren. Obwohl die Atmosphäre eigentlich erfrischend leicht und locker war, erreichte sie mich nicht. Auch das Lachen der anderen steckte mich nicht an. Trotz des Umstandes, dass Amy Grell und Ronald im Team hatte, stellten Sebastian in der gegnerischen Mannschaft sie vor größere Probleme und sorgte definitiv für die ein, oder andere sehr amüsante Situation. Aber mehr als ein Giggeln entlockte es mir nicht. Dass Fred und Lee auf Sebastians Seite standen, machte die Sache für Amy nur bedingt fairer. Zumindest bemühten sich Grell und Ronald wirklich ihr eine Hilfe zu sein. Ein Volleyball Sebastians mitten in Grells Gesicht, zeugte von seinen Bemühungen. Er brachte alle Anderen zum Lachen. Selbst William schüttelte den Kopf bevor er abpfiff, was für seine Verhältnisse schon von Belustigung zeugte. Doch mich brachte er nur zum Kichern. Auch Grells darauf folgendes Theater änderte nichts daran. Heph lugte ein ihrem Mann vorbei zu mir herüber: „Ist alles ok, Undertaker?“ Ich schaute sie mit einem Grinsen an: „Wie kommst du auf diese Frage, Heather?“ „Na, du lachst Grell nicht schallend aus. Ich habe mir vollkommen grundlos die Ohren zugehalten.“ „Nehehehe! Ansonsten beschweren sich immer alle darüber.“ Alex zog die Augenbraue hoch: „Der Einzige, der sich darüber beschwert ist Grell und seit wann kümmert dich was wir sagen?“ „Tihihi. Da bin ich mal nett.“ „Bist du krank?“, legte der Earl den Kopf schief. Ich tat gespielt beleidigt: „Das klingt ja als sei ich nie nett! Ehehehe! Was denkt ihr alle von mir?“ „Eine Mischung aus dem Besten und dem Schlimmsten, Undertaker“, lächelte Heather. Dann wurde ihr Blick wieder ernster: „Aber trotz allem wirkst du heute komisch.“ Ich zwang mich zu lachen: „Ich bin immer komisch, nihihihi!“ „Nein“, machte Heph: „Ich meine du bist heute komisch, weil du nicht so komisch bist.“ Ich lächelte sie an: „Mach dir keine Gedanken um mich, Heph.“ „Sicher?“ Ich nickte. Das Training ging weiter. Zimperlich ging der Dämon mit der jungen Phantomhive nicht um, doch es war im Rahmen des Erträglichen. Irgendwann läutete der Butler sogar eine Pause ein und die Gruppe fand sich zusammen, während der Butler verschwand um in einem Salon Häppchen und Tee fertig zu machen. Amy, Grell und Ronald hatten leuchtend rote Wangen. Der Butler hatte es selbst geschafft den Shinigamis mächtig einzuheizen und auch Fred und Lee waren nicht gerade untalentiert in sportlichen Belangen. Vor allem Lee als ehemaliger Prefect der Green Lion nicht. Amy setzte sich auf den Boden und schaute über Kreuz: „Ich sterbe...“ „So schlimm ist es auch nicht“, setzte sich Lee neben sie. „Ich bin ein Wolf, kein Löwe!“, konterte die Phantomhive gestresst. Fred setzte sich neben Lee: „Lee hat recht. Stell‘ dich nicht so an. Meinst du Sebastian ist mit mir zimperlicher umgesprungen? Ich lebe auch noch.“ „Du hast aber auch immer mit Lee trainieren können! Meine beste Freundin erdolcht sich mit einem Bleistift!“ Als Skyler durch die Blume angesprochen wurde, bekam ich einen schmerzhaften Stich. „So schlimm kann Sky auch nicht sein“, erwiderte Ronald. Noch ein Stich. „Du hast ja keine Ahnung“, führte Amy weiter aus und ahnte nicht wie sehr sie mich damit folterte: „Gestern hat sie sich in Undertakers Laden fast umgebracht!“ „Ach Quatsch“, machte Fred. „Doch! Frag Undertaker!“, zickte Amy ihren Bruder an und wandte den Kopf zu mir: „Sag‘s ihm!“ Mein Grinsen blieb wo es war, obwohl mir eigentlich nicht nach Grinsen war: „Sie hat recht.“ Ronald hob eine Augenbraue und schaute Grell komisch an. Dann schauten die Beiden zurück zu mir. In dem Moment trat der Butler in den Saal und holte die Gruppe in den Salon. Ich erhob mich, atmete aber erst schwer aus und schaute durch eins der großen Fenster. Meine Gedanken wanderten nach gestern. Zurück in dieses schockierte Gesicht. Ich wischte mir mit einer Hand durch mein Gesicht. „Yo, Undertaker“, hörte ich eine Stimme neben mir und drehte meinen Kopf zur Seite. Ronald stand dort die Hände in den Hosentaschen und musterte mich recht skeptisch: „Was hast du?“ Eine heiße Welle fuhr durch mich hindurch, als ich den blonden Reaper sah: ‚Hättest du doch nur…! Atmen...‘, ich lachte ihn an: „Kehehe! Was soll ich denn haben?“ „Du hast Grell nicht ausgelacht“, führte der Jüngling mit der viel zu losen Klappe aus: „Generell lachst du heute recht wenig.“ „Ist das schon ein Indiz darauf, ich hätte irgendetwas? Nihihihi!“ Ronald hob eine Augenbraue: „Klar“, dann schüttelte er den Kopf und hob die Hände: „Wir sind Freunde, Undertaker. Wenn irgendetwas ist kannst du mit mir reden. Ich bin vielleicht nicht so alt wie die anderen, aber vielleicht hab ich doch ‘nen Ratschlag für dich.“ Ich merkte mein Auge zucken: ‚Ich hätte die Probleme nicht, wenn du deinen…! Atmen...‘ Ronald stemmte die Hände in die Hüften: „Es geht um Skyler, richtig?“ ‚Atmen...‘, ich verschränkte meine Hände um sie unter Kontrolle zu behalten. Ronald lachte, als ich nicht antwortete: „Herrje, herrje. Keine Antwort ist auch eine Antwort“, dann wackelte er mit einer Augenbraue: „In dem Punkt kann ich dir helfen. Mit den Ladys kenn‘ ich mich aus!“ Meine Wut schwelte an: ‚Atmen…‘, atmete ich das erste Mal wirklich tief durch, obwohl ich mich seit fast einer Stunde immer wieder selbst ermahnte durchzuatmen. Wieder lachte Ronald: „Was ein schweres Seufzen!“ Meine Finger tippten unruhig auf meinen Armen herum, als ich ein weiteres Mal durchatmete. Dann schüttelte der Reaper den Kopf: „Ehrlich! Was Frauen angeht bin ich Experte!“, er legte mir einen Arm um die Schultern: „Ich hab da den ein oder andern… AAAHHH!“ Wie meine Sicherung gesprungen war hatte ich erst bemerkt, als ich mein Faust getragen von meiner ganzen Wut in Ronalds Gesicht versenkt hatte. Der Arm des blonden Reaper wurde von meiner Schulter gerissen, als er quer durch den großen Raum flog und in eine Wand schepperte. Mit einem lauten Krachen und einem weiteren Aufschrei Ronalds, brach sie unter dem Schwung, den ich dem jungen Sensenmann mitgegeben hatte, zusammen und vergrub ihn unter sich. Der Shinigami war verschwunden. Nur ein Bein in brauner Jogginghose schaute zuckend aus dem Trümmerhaufen. Merkenau krächzte mich an. „Ja“, antwortete ich ihn: „Jetzt geht es mir besser.“ Und dem war wirklich so. Ein Teil des Drucks war verschwunden. Was nicht hieß, dass es mir nun gut ging, oder ich nicht mehr wütend auf die blonde Tratschtante war, der nicht mal für 5 Pfennig darüber nachdenken würde, was er gerade von sich gab! Ohne Eile ging ich auf den Trümmerhaufen zu. In dem Moment hievte Ronald ein großes Trümmerstück von seinem Oberkörper und setzte sich auf. Seine Nase blutete. Sein Blick fand mich und war mindestens genauso wütend wie mein eigener: „Hast du sie noch alle?! Ich glaube es hakt bei dir, alter Mann! Und ich wollte dir helfen!“ „Du“, ich streckte ihn meinen Zeigefinger mit ruhiger, aber bedrohlich dunkler Tonlage ins Gesicht: „Unsägliche Labertasche. Wenn du das nächste Mal unbedingt aus dem Nähkästchen plaudern willst Nimm. Dein. Eigenes.“ Ronald schaute mich kurz sehr blass an, sich nun doch gewahr, dass ich ganz klar auf ihn und nicht generell wütend war und aufgrund dieser Erkenntnis ein wenig geschockt. Doch er fasste sich wieder und haute wütend meinen Finger aus seinem Gesicht: „Was meinst du damit, man?! Was soll ich denn schon wieder gemacht haben?!“ „Skyler“, verschränkte ich wieder die Arme. „Was ist mir ihr?! Wenn ihr Beiden Streit habt ist das nicht mein Problem, klar?! Ich hab dir meine Hilfe angeboten und das ist dein Dank?!“ Ich merkte wie sich mein Mund verzog, als mich der Jüngling so unverfroren anschrie. Meine Stimme war ein dunkles Grollen geworden: „Könntest du deine Klappe halten, hätte ich diese Probleme nicht.“ „Wie meinst du das denn?!“ „Campania“, grollte ich. „Und?“ „Was stellte dich vor die unumgängliche Notwendigkeit es unbedingt ihr gegenüber fallen zu lassen?“ „Ja, was ist denn passiert?!“, er wischte sich mit einem angeekelten Ausdruck das Blut aus dem Gesicht. „Sie hat recherchiert und mir gestern diesen blödsinnigen Zeitungsartikel unter die Nase gehalten.“ „Den vom April 1889?“ Ich nickte knapp. Ronalds Mund klappte auf, als ihm klar zu werden schien was passiert war: „Ach du Scheiße.“ Nun nickte ich verärgert: „In der Tat.“ „Und was wollte sie damit?“ „Was wohl, Ronald?“ „Ach du Scheiße.“ „Fürwahr.“ „Und was hast du gesagt?“ Ich seufzte und setzte mich auf ein großes Trümmerteil: „Die Wahrheit.“ „Ach du...“ Ich hob eine Hand: „Sage es nicht noch mal.“ Ronald drückte die Hand vor seine weiter blutende Nase: „Mir fällt nichts besseres dazu ein. Man! Das wollte ich nicht...“ Ich seufzte ein weiteres Mal, kramte in der Hosentasche und reichte Ronald ein Taschentuch: „Das nützt mir nun auch nichts mehr.“ Ronald sah auf das Taschentuch. „Nimm“, sagte ich kurz. Zögerlich nahm er es an und drückte es unter seine Nase: „Und weiter? Wie hat sie reagiert?“ „Mit erwartend wenig Begeisterung.“ „Das heißt?“ „Sie ist so schnell sie konnte aus meinen Laden gerannt.“ „Oh verdammt“, Ronald fiel zurück in den Trümmerhaufen: „Ich hätte nie gedacht, dass sie nachforscht. Von den Dolls habe ich wirklich nichts gesagt...“ Ich schaute ihn an: „Was hast du ihr denn dann erzählt?“ „Dass wir dich dort getroffen und du uns ziemlich eindrucksvoll fertig gemacht hast.“ Ich seufzte: „Ronald, du bist ein unsagbarer Trottel. Sie kennt uns als Freunde. Denkst du wirklich nicht davon zu hören, dass wir uns mal angegangen sind, käme ihr komisch vor.“ Er drehte die Augen nach oben: „Da habe ich nicht drüber nachgedacht...“ „Das habe ich allerdings gemerkt.“ Ronald setzte sich wieder auf: „Ich wollte dich wirklich nicht ins Bockshorn jagen.“ „Hast du aber. Nach allen Regeln der Kunst.“ „Was machst du jetzt?“ Ich schüttelte den Kopf: „Was soll ich denn tun, Ron? Was ich getan habe, habe ich getan. Ich kann es nicht ändern und ich will es auch nicht. Denn ich bereue es heute genauso wenig wie damals. Ich denke noch genau wie damals. Es hat sich nichts geändert.“ „Aber das kannst du doch nicht so stehen lassen!“ Mein Kopf fiel zur Seite: „Und was soll ich deiner Meinung nach tun, oh du großer Frauenexperte?“ Ronald seufzte: „Es tut mir wirklich leid, Undertaker. Das war echt keine Glanzleistung...“ „Was du nicht sagst. Nun?“ Ronald schaute an die Decke: „Ich hab keine Idee...“ „Wie gut, dass wir da schon zu Zweit sind.“ Dann schaute er mich wieder an: „Rede doch einfach noch mal mit ihr.“ „Und was soll ich ihr sagen? Abgesehen davon, dass sie wohl eher Reißaus nehmen wird, als noch einmal in meiner Nähe zu bleiben. Schließlich bin ich ein Massenmörder.“ „Ja“, nickte er: „Das bist du. Daran gibt‘s auch echt nix zu rütteln.“ „Ich weiß, Ron“, grummelte ich. „Hey, das ist nun wirklich nicht meine Schuld!“ Ich rollte unter meinen Pony die Augen: „Auch das weiß ich.“ „Das hier ist wohl ein Fall von ‚Du hast dir die Suppe versalzen, also löffel sie aus‘.“ Ich schaute auf den Boden: „Auch dessen bin ich mir bewusst.“ „Du bist wirklich verknallt, oder?“ Ich nahm einen kleinen Stein und warf ihn Ronald gegen den Kopf. „Au!“, rieb sich dieser die Stelle, die ich getroffen hatte: „Ist ja gut, ist ja gut! Ja, bist du und deine Laune ist dementsprechend echt beschissen.“ „Wenn du es so salopp ausdrücken möchtest.“ „Die Situation ist echt zum Kotzen...“ Ich grinste ihn an: „Ach, denkst du?“ „Jetzt werd‘ nicht noch sarkastisch. Ich habe verstanden und du mir wahrscheinlich die Nase gebrochen. Wir sind quitt, oder?“ „Ich überlege noch.“ „Echt jetzt?!“ „Ronald, mit Verlaub. Du bist gerade nicht mein Problem.“ „Ich weiß“, ließ der Jüngling die Schultern hängen: „Doch ich glaube irgendwie nicht, dass sie noch mal wegläuft.“ Ich wurde hellhörig: „Aha? Weil?“ „Naja“, machte Ronald: „Weil sie dich doch so mag.“ „Ich glaube ‚mochte‘ ist das bessere Wort“, knirschte ich. Dann seufzte ich wieder und zog danach ein Grinsen auf: „Wahrscheinlich ist es besser, dass sie ging. Ich bin kein Umgang für so ein zartes, reines Ding wie sie.“ „Ach Paperlapap!“, machte Ronald und wedelte mit einer Hand: „Du bist kein schlechter Kerl. Du bist nur einfach kein Mensch und hast vielleicht ein paar zu hoch gesteckte Moralvorstellungen.“ „Es gab Zeiten, da hast du was ganz anderes gesagt.“ „Ich weiß. Doch die Zeiten sind schon knapp 100 Jahre her. Und in den letzten 100 Jahren hast du mir oft geholfen. Und Grell. Selbst William!“ „Was alles nichts ändert.“ „Oh doch. Du bist nicht mehr derselbe wie vor 100 Jahren.“ „Ehehehehe!“, bracht mich Ronald naive Aussage doch wieder zum Lachen: „Natürlich bin ich das!“ „Nein. Du bastelst keine Dolls mehr.“ „Ich ‚bastel‘ keine Dolls mehr, weil ich es euch versprochen habe.“ „Doch wenn du wirklich so’n Arsch wärst, würde dich das einfach nicht interessieren.“ Ich seufzte wieder. Und es nervte mich, dass ich seufzte: „Aber auch all das bringt mir nichts.“ „Hast du ihr erzählt, dass die Campania gar nicht deine Idee war und die Dolls eigentlich keine Waffen waren?“ „Was soll das denn ändern, Ronald? Ich habe mitgemacht. Mit großem Pläsier! Ich war von Anfang an nur auf dem Schiff um es zu versenken. Das Osiris das Experiment beschloss, ist ein Detail was nichts ändert.“ Ronald nickte: „Du hast echt Scheiße gebaut.“ „Ich bereue nichts.“ „Doch, tust du.“ „Was bereue ich denn deiner Meinung nach?“ „Dass du Skyler damit verjagt hast.“ Ich wandte mein Gesicht nach vorne und schaute ein paar Augenblicke stumm in die Luft. Auch Ronald sagte nichts. „Ja“, sagte ich irgendwann leise: „Das tue ich wirklich.“ „Und jetzt belässt du es einfach dabei?“ „Mir bleiben nicht viele Optionen.“ Dann lachte Ronald auf einmal und ich schaute zu ihm: „Darf ich wissen, was daran so lustig ist?“ Ronald schaute mich grinsend an: „Fühlt sich doof an, wenn man ohne ersichtlichen Grund ausgelacht wird, wa?“ Ich hob wortlos einen weiteren Stein auf und meine Hand in die Höhe. Ronald warf die Hand nach vorne, die das Taschentuch nicht hielt: „Warte! Nicht noch mal! Is‘ gut!“, dann seufzte er, wischte einmal unter seiner Nase hin und her, zog sie hoch und ließ das Taschentuch sinken: „Aber ich glaube du musst auch gar nichts tun.“ „Wie meinst du das?“, ließ ich den Stein fallen. Ronald grinste mich wieder an: „Ich denke sie kommt früher oder später eh zurück.“ Aus irgendeinem Grund blieb mein Herz bei diesen Worten kurz stehen: „Warum denkst du das?“ Er hob beide Hände: „Sie mag dich. Ich glaube sie hat dich sogar richtig gern. Wenn du dich so gegeben hast, wie du dich immer gibst, hast du sie nur erschreckt. Aber ich glaube irgendwann findet sie ihren Mut wieder und kommt zurück zu dir“, nun streckte er mir den Zeigefinger ins Gesicht: „Und dann solltest du den Karren nicht wieder vor die Wand fahren!“ Mit einem freudlosen Schnauben stand ich auf und schubste mit dem Fuß die restlichen Trümmerstücke von Ronalds Beinen: „Dein Wort in Gottes Ohr, Ronald“, ich hielt ihm die Hand hin: „Doch ich meine es ernst. Lasse mein Nähkästchen zu.“ Ronald griff meine Hand und ich zog ihn auf die Füße: „Ich habe verstanden. Tut mir echt leid, Kumpel.“ Mit einem leisen Lachen wuschelte ich Ronald durch die Haare: „Vergeben, aber nicht vergessen“, Ronald schaute mich in einer schlechten Vorahnung an, doch ich grinste ihm entgegen: „Kumpel.“ Als wir uns auf den Weg durch den Ballsaal machten sahen wir schon, dass die Anderen in einem kleinen Pulk weiter von uns weg standen. Sebastian hatte die Arme verschränkt, als wir sie erreichten: „Ich bin Butler. Kein Maurer.“ Ich kicherte: „Nihihihihi! Ich bin mir sicher, du bist auch ein höllisch guter Maurer, Butler.“ Er seufzte: „Nur weil ich etwas kann, musst du mich nicht ewig dazu bringen es zu tun.“ „Kehehehe! Aber es macht so viel Spaß!“ Er hob eine Augenbraue: „Warum war dies überhaupt nötig? Nicht, dass ich es nicht nachvollziehen könnte.“ Ronald warf dem Butler einen giftigen Blick zu. Ich kicherte: „Tihihi. Das ist eine Sache zwischen uns beiden, du neugieriger kleiner Butler.“ „Aha“, machte der Dämon: „Und ich darf nun die Wand wieder hochziehen.“ „In der Tat“, grinste ich: „Ich will doch nicht, dass dir langweilig wird.“ „Wie unerwartete gütig von dir“, konterte der Butler. Ich ging an dem Butler vorbei: „Ist die Pause schon vorbei? Sage nicht ich habe den Tee verpasst.“ „WAS?!“, Grell stand auf einmal vor mir: „Du bringst fast Ronald um und fragst nur nach Tee?!“ „Ich mag Tee“, grinste ich zurück. Grell schüttelte ungläubig den Kopf: „Ich fasse es nicht.“ Ich tätschelte nur schelmisch Grells Kopf. Dieser wedelte meine Hand weg: „Lässt du das wohl! Warum hast du das gemacht?“ „Weil Ronald es verdient hatte, nihihihi!“ „Wofür?!“ „Ist gut Grell“, machte Ronald: „Ich hatte es wirklich verdient. Alles wieder gut.“ „Bist auch du gut?“, fragte der rote Reaper. Ron nickte: „Ja, bin ich. Ganz und noch an einem Stück.“ Nun erschien William neben Grell, die Arme verschränkt: „Gut zu hören. Es wäre unangenehm, solltest du ausfallen.“ „Wow“, machte Ronald: „Die Wand hatte mehr Mitgefühl.“ Ich kicherte. Was Ronald gegen Ende unseres Gespräches sagte, ich konnte es nicht ganz glauben. Doch irgendwie war das Gefühl in mir ein wenig leichter. Nicht gut, aber leichter. Ein ganz ganz kleines Stück. Natürlich hatte ich den Tee verpasst. Und natürlich war es nicht mehr, als ein schlechter Vorwand gewesen, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Als sich die Anderen wieder zum Training versammelten kam Amy auf mich zu. Sie sah besorgt aus und hatte ihr Handy in der Hand: „Undertaker!“ Ich blieb auf dem Weg zu meinem Sitzplatz stehen: „Was kann ich für dich tun, Amber?“ „Es geht um Sky!“ Wieder ein fieser Stich. Doch ich grinste: „Was ist mit ihr?“ „Ich… ich hatte sie gerade angerufen.“ „Und?“ „Sie...“, Amy seufzte: „Sie hat geweint, Undertaker.“ Wieder ein Stich, nur fühlte er sich dieses Mal anders an. Schmerzhaft wie die vor ihm, doch er war… erschreckt: „Warum?“ „Sie meinte, sie kann es mir nicht sagen. Aber ich bin mir sicher es hat mit dir zu tun.“ Auch Amy konnte man einfach nichts vormachen: „Wie kommst du darauf?“ „Ihr habt gestern noch geredet.“ „Ja.“ „Unter 4 Augen.“ „Ja.“ „Worüber?“ Ich schüttelte den Kopf: „Wenn Sky nicht darüber sprechen möchte, solltest du das akzeptieren, oder?“ „Ja, schon“, die Phantomhive seufzte: „Aber sie hat so sehr geweint… und einfach aufgelegt...“ „Ich“, der Schmerz wurde schlimmer. Ich ballte eine Hand zur Faust, aufgrund meiner inneren Spannung: „Kann nichts dagegen tun, Amy.“ „Warum nicht?!“ „Weil...“, ich seufzte: „Weil ich es nicht kann.“ „Wow“, machte Amy: „Das ist die Antwort des Tages. Ungewöhnlich dämlich für dich. Ihr habt gestritten, richtig?“ „Ich werde einen Teufel tun Skyler in den Rücken zu fallen.“ „Ihr habt gestritten“, stellte Amy fest und hielt mir ihr Handy ins Gesicht: „Ruf‘ sie an!“ Ich blinzelte ihr mit großen Augen entgegen, die aber von meinem Pony verborgen blieben. Ich drückte ihre Hand aus meinem Gesicht: „Warum?“ Amy sah mich verärgert an: „Schön und gut, wenn ihr Beiden nicht mit mir reden wollt, aber dann ruf‘ sie wenigstens selbst an und rede mit ihr. Sie weint, man!“ Amy streckte mir wieder das Handy entgegen. Eine Weile schaute ich es an. Dann legte ich meine Hand darauf und drückte Amys wieder hinunter: „Sie wird nicht mit mir reden wollen.“ „Versuch‘ es wenigstens!“ „Amy, ich...“ „Nix da!“, sie legte ihre andere Hand auf meine, drehte unsere Hände herum und zog ihre weg, sodass ihr Handy in meiner Handfläche lag: „Los jetzt!“ Ich schaute auf das Handy. Auf dem Display war ein Kontakt aufgerufen »Sky R. ƸӜƷ « Ich schaute ein weiteres Mal zu Amber. Ihr Blick war auffordernd. Mit einem Seufzen drückte ich auf die komische, grüne Schaltfläche. Ich hielt das Handy an mein Ohr. Es wählte. Tutete ein paar Mal. Dann tutete es schnell hintereinander. Ich ließ das Handy sinken: „Sie hat aufgelegt.“ „Noch mal!“ Ich versuchte es ein weiteres Mal. Dasselbe Spiel: „Wieder.“ „Noch mal!“ Mit einem schweren Durchatmen versuchte ich es ein drittes Mal. Dieses Mal klingelte es… und klingelte… und klingelte… und klingelte… bis Ambers Handy von selbst auflegte. Ich schüttete nur den Kopf. „Junge Lady“, hörten wir Sebastians Stimme: „Wir erwarten euch.“ „Ich komme sofort“, dann schaute Amy mich wieder an: „Versuch es noch mal!“ „Sie möchte nicht mit mir reden, Amber.“ „Sie kann nicht wissen, dass du es bist!“ „Dann möchte sie noch nicht einmal mit dir reden. Das sollte dir zu denken geben.“ Amy riss mir das Handy aus der Hand und wählte nun selbst: „Ihr seid furchtbar.“ Amy versuchte es zweimal. Amy versuchte es dreimal. „Junge Lady“, Sebastians Geduld schien sich dem Ende zu zuneigen. „Sofort! Man, dass ist wichtig!“ „Amy, du solltest gehen. Es bringt doch nichts“, redete ich der Phantomhive zu. „Gleich“, gab sie mir einsilbig zurück. Amy versuchte es viermal. Amy versuchte es fünfmal. „Euer Training ist wichtig, junge Lady.“ „Ich komme gleich!“ Amy versuchte es sechsmal. Der Butler erschien neben ihr und nahm ihr das Handy weg. Er lächelte, doch ich wusste er war genervt: „Jetzt, junge Lady. Die Anderen nahmen sich extra Zeit für euch.“ Amy schaute mich an. Besorgt. Ich nickte nur in Richtung Volleyballnetz. Amy seufzte und gab auf. Der Tag bei den Phantomhives verging. Was auch immer das Gefühl in mir ein wenig leichter gemacht hatte, war verschwunden und etwas gewichen, was noch viel schwerer war. Sky weinte. Sky verschmähte selbst Amy. Ohrenscheinlich ging es der jungen Frau sehr sehr schlecht. Und es kann dafür nur einen Grund geben. Mich. Ich hatte nicht oft ein schlechtes Gewissen, doch dieses Mal hatte ich es. Doch ich konnte die Wahrheit nicht ändern. Ich konnte nicht ändern, dass sie gefragt hatte. Ich konnte nicht mehr ändern, dass sie weinte. Nachdem ich zwei Stunden im Manor geblieben war, entschuldigte ich mich. Amy hatte Grell und Ronald an ihrer Seite. Sie würde den Butler überstehen. Doch ich hatte mein Maß an Gesellschaft für den heutigen Tag definitiv überschritten. Ich stieg in meinen Wagen, fuhr allerdings nicht nach Hause. Ich fuhr zum Friedhof. Als ich ausstieg krähte Merkenau, doch ich tippte ihm nur auf den Schnabel: „Du bleibst hier.“ Er krähte wieder. „Ich möchte für einen Moment meine Ruhe haben.“ Merkenau ergab sich. Ich setzte ihn auf die Motorhaube, damit er wenigstens an der frischen Luft saß. Dann ging ich über den Friedhof. Es war friedlich. Friedlich wie eh und je. Doch dieser Frieden blieb mir fern. Denn dies war der Friedhof, wo ich die schöne Sky das erste Mal traf. Obwohl wir nicht gesprochen hatten, wog dieses Treffen mit am schwersten. Wie sie auf dieser Bank gesessen hatte, so passioniert in ihrem Zeichnen versunken und ihren doch so trüben und schweren Augen, war ein Anblick gewesen, den ich nicht wieder vergessen könne. Als ich die alten Gräber erreichte streifte ich mit der Hand im vorbeigehen über Laus Stein. Der fabulante Asiate hatte ein Händchen für Frauen gehabt. Ich hatte für sie definitiv kein Händchen. Zumindest solange sie atmeten. Lange hatte mir das nichts ausgemacht. Denn Keine hatte je romantisches Interesse in mir geweckt. Ich hatte viele interessante Frauen getroffen, doch keine war interessant genug gewesen. Dann traf ich Skyler und sie hatte meine Welt einmal komplett durcheinander gewürfelt. Auf eine Art und Weise, die ich gut fand. Es war interessant gewesen. Das warme Kribbeln. Ihre warme Haut. Das Entdecken immer neuer Eigenschaften, Talente und Angewohnheiten. Ihre paradoxe Art. Ihre wenn auch nur selten zu sehende kecke und neckische Ader. Ihr rotes Gesicht. Ihre erstaunlichen hellblauen Augen. Augen, die so unglaublich außergewöhnlich waren. Und was war nun übrig? Ein kaltes Nichts. An dem einzig und allein ich schuld war. Ich hatte die ganze Wärme zu Nichte gemacht, die Skyler mir schenkte. Und wieder bereute ich. Denn es war genau wie Ronald gesagt hatte: Ich bereute es sie verjagt zu haben. Ich ging durch die Gräber und schloss das Mausoleum der Phantomhives auf. Das graue Novemberlicht fiel bunt durch die vielen bunten Fensterfragmente, die ich vor knapp 120 Jahren in Kleinstarbeit zusammen gestellt hatte. Doch wirkte auch dieses Farbenspiel furchtbar träge. Mit einem langen, schweren Seufzen strich ich über einen der drei steinernen Sarkophage in der Mitte des großen Mausoleums und beschaute ihn: „Hallo, alter Freund.“ Dann setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich gegen den steinernen Sarkophag. Auf ihm stand »Earl Vincent Phantomhive 1851 – 1885«. Ich seufzte ein weiteres Mal: „Hach, Vinc. Ich bin ein Trottel. Ein unaussprechlicher Idiot.“ Ich legte meine Hände locker auf meine angewinkelten Knie. Es störte mich nicht auf dem staubigen Boden zu sitzen. Es störte mich, dass Vincent mir nicht mehr antworten konnte: „Du hättest sicherlich eine fixe Idee, was ich jetzt tun könnte.“ Doch selbst wenn, hatte er alle guten Ratschläge vor 130 Jahren mit sich genommen. Nein. Die Flammen hatte sie mit sich genommen. „Das ist die ‚Schreckliche Tragödie‘ von der du sprachst, hm?“ Natürlich blieb es still im Mausoleum und mich überkam noch mehr als vorher das Gefühl totaler Einsamkeit. Ich wusste sonst nie, ob ich mich an Vincents Grab mehr oder weniger einsam fühlte. Ein wenig von Beidem, schätzte ich. Ich wusste nur, dass mich meine Füße immer wieder hier hin trugen. Und ich wusste, dass ich mich immer etwas besser fühlte wenn ich wieder ging. Doch gerade fühlte ich mich definitiv einsamer. Und schwerer. Ich hatte mich verabschiedet, weil ich die laute Gruppe nicht mehr ertragen konnte. All diese Wesen, die ich doch mochte. Doch gleichzeitig empfand ich ein Bedürfnis nach unaufdringlicher Gesellschaft. Und Vincent war nie aufdringlich gewesen. Es gab Situationen, da hatten wir einfach nur nebeneinander gesessen und nichts gesagt. Schweigend Schach gespielt. Oder Karten. Oder Billard. Und nicht selten saßen wir nebeneinander in zwei Ohrensesseln in der Bibliothek des Manors, versunken in ein Buch. Nun saß nur noch ich auf dem staubigen Boden eines Mausoleums, im Rücken Vincents schweigendes Grab. Und die Einsamkeit in mir wuchs noch mehr. Ich schaute nur auf die im bunten Licht tanzenden Staubteilchen: „Ich habe meine Lockets verloren, Vinc. Ich hab sie weggeworfen, um Sky retten zu können. Das junge Ding, in das ich mich verliebt habe. Mehr als 130 Jahre, nachdem du es mir prophezeit hattest. Ich bereue nicht sie weggeworfen zu haben, alter Freund. Ich bereue, dass nun die Erinnerungsstücke an dich fort sind. Dein Record. Eine Locke konnte ich dir ja nicht mehr abschneiden“, ich lehnte meinen Hinterkopf gegen den kalten Stein: „Denn das Feuer hat alles was dich ausmachte mit sich genommen.“ Ich schwieg einige Zeit, genau wie die Gräber. Um mich herum war Totenstille. Totenstille, die ich sonst immer begrüßte, doch mir gerade schwer in den Ohren lag. Ich seufzte schon wieder: „Und was mich ich? Ich inkompetenter Schwachsinniger? Ich verjage sie. Bringe sie sogar zum Weinen. Und nun sitze ich hier und weiß tatsächlich nicht mehr was ich tun soll.“ Es war mir so selten passiert, dass ich vollkommen ratlos war, dass ich vergessen hatte wie es sich anfühlte. Nun wusste ich es wieder. Grässlich: „Ich denke und denke… und heraus kam nur Buchstabensalat.“ Ich weiß nicht wie lange ich dort saß. Ich weiß nur, dass ich nicht mehr gesprochen hatte. Ich hatte gedacht… und gedacht… und gedacht. Sogar kurz erwogen bei Skyler vorbei zuschauen, nach ihr zu sehen, doch diese Idee verworfen. Sicherlich würde sie denken ich käme vorbei um sie zu fressen oder ähnliches. Meine Anwesenheit würde für sie alles nur noch schlimmer, anstatt besser machen. Mir waren die Hände gebunden. Und es fühlte sich schrecklich an. Es fühlte sich schrecklich an zu wissen, dass sie irgendwie geartet zu leiden schien und ihr nicht helfen zu können. Auch wenn sich mir nicht ganz erschloss warum sie litt. Irgendwann stand ich auf und lehnte mich mit den Armen auf den ebenso staubigen Deckel. Ich wischte ein bisschen des Staubs weg: „Wie kann eine Empfindung, so schön und schrecklich zugleich sein? Unter schrecklich schön hatte ich mir bis jetzt immer etwas anderes vorgestellt.“ Ich seufzte und tätschelte den Sarg meines besten Freundes: „Ronald denkt sie käme wieder. Doch ich glaube eher nicht. Ich glaube… Ich habe es einfach vergeigt. Du hättest mich ja vorwarnen können, dass das alles so kompliziert ist.“ Nach einigen weiteren schweigenden Minuten richtete ich mich wieder auf: „Wie auch immer“, ich wandte mich mit einem Seufzen um: „Das ist alles mein Problem und nicht deines. Mache es gut, mein Freund. Wo auch immer du gerade bist, ich weiß du machst das Beste daraus.“ Dann entschwand ich aus dem Mausoleum. Und anders als sonst, ging es mir nicht ansatzweise besser, als ich es tat. Sonntage waren geschäftig. Sie waren nur allzu gern Termine für Beerdigungen. Allein an diesem hatte ich 4 Beerdigungen. Zwei auf dem Highgate Cemetery und zwei auf dem River Thames Cemetery. Die Arbeit lenkte ein wenig ab, doch verschwinden tat das Gefühl nicht. Einen Sarg hatte ich diese Nacht nicht von innen gesehen. Ich war zu rastlos zum Schlafen gewesen und habe mich die ganze Nacht um meine Gäste gekümmert. Auch diese Arbeit hatte mich nicht so gut abgelenkt wie ich es von ihr gewöhnt war. Doch der Tag war ruhig und arbeitsreich. Ich verbrachte Stunden damit Kapellen vorzubereiten und per Hand Gräber auszuheben. Wie nicht anders von Gästen der Phantomhives zu erwarten waren alle Trauerfeiern relativ pompös und es wurde an einfach nichts gespart. Während der laufenden Trauerfeiern, verblieb ich wie gewohnt in der dunkelsten Ecke der Kapelle und schaute zu, trug dann mit einigen Angehörigen die Särge zu der Grabstelle und machte mich daran das Grab zu zuschütten, nachdem die Angehörigen ihre letzten Wünsche mit einer Blume in das Loch geworfen hatten. Außer mein zerrendes Unwohlgefühl gab es an diesem Sonntag also einfach nichts Besonderes. Der Tag schritt einfach voran und immer wieder sprangen meine Gedanken zurück zu diesen erschrockenen, himmelblauen Augen, die laut Amys Aussage so furchtbar geweint haben mussten. Und wieder spielte ich mit dem Gedanken vorbeizugehen. Wieder verwarf ich ihn. Einige Zeit später dachte ich ihn wieder. Doch ich verwarf ihm ein zweites Mal. Als ich mit meinem Leichenwagen auf den River Thames Cemetery zu meiner letzten Beerdigung fuhr, dachte ich ihn wieder. Ich wollte ihn wieder verwerfen, da mischte sich eine weitere Idee in diesen ausgelaugten Gedankengang: ‚Sie muss mich ja nicht sehen.‘ Doch mit einem ermatteten Seufzen tat ich auch ihn ab. Was würde es bringen? So konnte ich auch nicht dafür sorgen, dass es ihr irgendwie geartet besser ging. Auch bezweifelte ich, dass ich an mir halten könne sollte ich sie wirklich weinen sehen. Eigentlich war ich mir sicher, ich konnte es nicht. Sobald ich sah es ginge ihr nicht gut, würde ich meinen versteckten Posten aufgeben und damit alles nur noch schlimmer machen. Ich rollte die Augen noch oben und seufzte: ‚Diese ganzen Gedanken machen doch einfach keinen Sinn...‘ Und ich mochte Dinge nicht, die keinen Sinn machten. Es sei denn sie waren amüsant. Und von amüsant war dieses Gefühl und diese Gedanken mehr als nur meilenweit entfernt. Ich stieg aus und trug alleine meinen Gast in seinem Sarg in die Kapelle. Dann pendelte ich mehrmals zwischen meinem Wagen und der Kapelle hin und her und schleppte alles hinein, was ich für das Dekor brauchte. Wie mit der Familie abgesprochen dekorierte ich die Kapelle. Ich saß gerade auf meiner Leiter und steckte schwarze Tücher an einer Säule fest, da hörte ich eine helle Stimme von unten: „Was machst du da?“ Ich schaute nach unten. Vor meiner Leiter stand ein blonder Junge - vielleicht 6 oder 7 Jahre alt - und schaute mit großen braunen Augen zu mir hoch. Das der Kleine sich in die Kapelle geschlichen hatte, war mir komplett entgangen. Ich lächelte ihn an: „Ehehehe. Ich bereite die Feier vor. Doch was machst du hier, junger Mann?“ „Die Feier für meinen Papa? Mama hat gesagt wir sagen ihn heute für immer Tschüss...“ Ich nickte: „Ja, genau die.“ „Kanntest du meinen Papa?“ Ich schüttelte den Kopf. „Schade“, der Junge setzte sich auf eine Bank neben der Leiter und wedelte mit den Beinen, da sie zu kurz waren um den Boden zu berühren: „Mein Papa war echt cool, weißt du.“ Ich nahm meine Hand aus den Tüchern, ging die Leiter herunter und setzte mich auf einen der unteren Tritte: „Das glaube ich dir sofort.“ Der blonde Junge schaute sich um, dann wieder zu mir: „Wie heißt du?“ Ich grinste: „Undertaker.“ „Undertaker?“ „Kihihi. Ja.“ „Komischer Name.“ „Fu fu fu. Auch das ist richtig.“ „Ich bin Luca.“ „Tihihi. Schöner Name.“ Der Junge hüpfte von seiner Bank und stellte sich vor mich. Dann hatte ich auf einmal seinem Finger vor der Nase: „Warum hast du so viele Haare im Gesicht? So kannst du doch gar nichts sehen!“ „Nihihihihi! Doch, ich kann sehen. Nur halt nicht viel.“ „Dann mach sie doch da weg.“ „Ich sehe auch so nicht viel. Ehehehehe!“ Plötzlich krabbelte der Junge auf mein Knie, nahm seine Hand und schob mir meinen Pony aus dem Gesicht: „Hast du keine Augen?“ Ich blinzelte ihn an. Dann lachte ich: „Fuhuhuhu! Natürlich habe ich Augen.“ Sein Kopf fiel zur Seite und er schaute eine ganze Weile in mein Gesicht: „Aber komische. Komischer Name, komische Augen“, dann nickte er: „Du bist komisch.“ Ich lachte noch mehr: „Pahahahahaha! Danke für das Kompliment!“ „Und was ist das?“, er piekste mit seinem Finger auf meiner Narbe herum. „Tihihihi! Eine Narbe.“ „Hat das weh getan?“ Ich nickte grinsend: „In der Tat.“ Dann drückte er auf meinem Hals herum: „Da hast du auch eine.“ „Ja, gut gesehen.“ „Hat die auch weh getan?“ „Gewiss.“ „Was?“ „Nihihihihi! Ja, hat sie.“ „Das klingt aber nicht lustig.“ „Ach, wuhuhuhu! Das ist schon lange her. Die tun schon lange nicht mehr weh.“ „Ok“, er rutschte von meinem Knie und mein Pony fiel nur halb wieder zurück in mein Gesicht. „Weißt du“, erzählte der Junge und setzte sich wieder auf seine Bank: „Ich bin mal mit dem Roller hingefallen“, er breitete einmal komplett die Arme aus: „Das war soooooo ein Loch. Mein halbes Knie war weg.“ Ich lachte lauter: „Ahehehehe! So schlimm, ja?“ Er nickte: „Hat auch weh getan.“ „Aber jetzt ist dein Knie wieder da, oder?“ Er nickte: „Jup. Papa hat‘s wieder geholt“, seine Augen fielen nach unten: „Papa hat immer alles wieder geholt…“ „Junger Mann“, fiel mein Kopf zur Seite: „Was machst du hier?“ Ich war mir bei seinem Anblick sicher, er hatte einen Grund dafür hier zu sein. „Ach“, der blonde Luca schaute auf seine wieder wackelnden Füße: „Draußen sind alle doof.“ „Und?“ „Das ist blöd.“ „Deswegen bist du hier?“ Er nickte und schaute mich dann wieder an: „Mama sagt die ganze Zeit ich soll nicht lachen, ich soll nicht rum rennen und ich soll mich benehmen. Die sind alle voll öde.“ Ich seufzte. Also war der Junge in die Kapelle geflüchtet, weil die Erwachsenen sich nicht auf ihn einstellen konnten. Es war auf Beerdigungen immer dasselbe. Die Leute zwangen den Wenigen, die nicht so traurig waren wie sie es für richtig erachten, auf es zu sein und nahmen ihnen damit das Recht zu trauern wie sie es selber möchten. Vor allem Kindern. Kinder trauerten anders als Erwachsene. Doch das verstanden leider nur die Wenigsten. „Tihihi! Natürlich darfst du lachen“, grinste ich dem Jungen entgegen, der auf der großen, leeren Bank so verloren aussah. Der Junge schaute mich fragend an: „Mama meint das gehört sich nicht.“ „Und warum meint deine Mutter das?“ Luca zuckte mit den Schultern: „Weiß nicht. Sie hat nur gesagt es gehört sich nicht. Das wäre… äh… respektlos... oder so.“ Ich war mir sehr sicher, dass der Kleine nicht ganz verstanden hatte was das Wort ‚respektlos‘ eigentlich bedeutet. Generell war diese Aussage auch einfach falsch. Die Wenigsten wünschen sich eine Trauerfeier, die in Tränen ertrinkt. Die Meisten würden wollen, dass die Leute lachten, weil sie sich all der schönen Dinge erinnerten die sie gemeinsam erlebt hatten: „Sage mir, Luca, hat dein Vater gerne gelacht?“ Der Junge bewegte überlegend seine Nase, dann nickte er. Ich grinste breiter: „Dann ist es auch nicht respektlos, ehehehe, oder so.“ „Echt?“ Ich nickte grinsend: „Viele vergessen, dass die Toten gar nicht wollen, dass sie traurig sind.“ „Echt?“ Ich nickte wieder: „Oder würde dein Vater wollen, dass du traurig bist?“ „Ne. Er fand weinen auch immer doof.“ „Würde er wollen, dass du lachst?“ „Jup. Er sagte immer“, der Junge räusperte sich und ahmte die Stimme eines Erwachsenen nach: „ ‚Lachen ist Gesund!‘ “ Mein Grinsen wurde so weit, dass meine Zähne sichtbar wurden: „Also. Dann weißt du sicherlich selbst was du nun zu tun hast.“ Der Junge zeigte mir ein breites Grinsen in dem 3 Zähne fehlten: „Lachen!“ „Ahahahaha! Genau!“ Kurz lachten der Junge und ich und die hohe Decke der Kapelle warf es hin und her. Dann schaute der kleine Luca mich wieder an: „Du bist cooler als die anderen Erwachsenen. Du lachst.“ Ich konnte nicht verhindern, dass mein Grinsen aufgrund dieser Aussage noch einmal weiter wurde: „Ich mag es zu lachen. Nihihihihi!“ „Warum hast du dann die ganze Zeit so traurig geguckt?“ ‚Uff...‘, brach mein Grinsen wieder ein Stück ein. Ich lobte mir ja Kinder für ihre direkte Ehrlichkeit. Doch gerade hatte sie mich recht hart getroffen: „Öhm… Kehehehe! Auch ich habe jemanden verloren.“ „Dann such doch.“ Ich musste lachen. Teilweise vergaß ich wie wörtlich Kinder alles nahmen: „Fuhuhuhuhuhu! Nicht so verloren. Sie ist weggegangen und kommt nicht wieder.“ „So wie ich meinen Papa? Mama sagt der kommt auch nicht wieder“, Luca schaute beleidigt zur Seite: „Was echt doof von ihm ist.“ „Na. Dein Vater hat es sich ja nicht ausgesucht.“ „Echt?“ „Ehehe. Ganz sicher nicht.“ „Woher weißt du das?“ „Ööööhm“, ich räusperte mich. Ich konnte dem Jungen ja nicht sagen, dass ich daneben stand als sich ein niedriger Dämon an seinem Vater gütig tat: „Nun. Ahehehe. Menschen sterben und dann kommen sie nicht wieder. Da kann niemand etwas gegen tun. Irgendwann ist es einfach an der Zeit. Das sucht man sich nicht aus.“ „Dann passiert das einfach?“ Ich nickte. „Einfach so?“ „Irgendwann, ja.“ Luca schaute schräg an die Decke, dann wieder zu mir: „War es bei dir auch dein Papa?“ Ich schüttelte grinsend den Kopf: „Nein. Eine Freundin.“ „Ist die auch einfach so gestorben?“ Ich schaute zur Seite: „Nein. Sie ist nur weggegangen.“ „Und das macht dich traurig?“ Ich schaute den blonden Jungen wieder an: „Schon, ja.“ „Weißt du? Ich hab auch eine Freundin und die ist eine totaaaaale Zicke.“ Ich zog eine Augenbraue hoch, doch ich konnte nicht verhindern aufgrund dieses Tonfalls zu lachen: „Fuhuhu! So redet man doch nicht über seine Freunde!“ „Aber sie ist eine. Kann ich doch nix für.“ „Fuhuhuhuhu! Wahre Worte.“ „Und wenn die mal wieder beleidigt ist geht die auch immer weg.“ „Ist dem so?“ Luca nickte: „Ja, das nervt! Ich bin dann auch immer traurig. Ich lauf ihr dann immer hinter her.“ Ich nickte anerkennend: „Das ist sehr löblich von dir.“ „Bist du deiner nicht hinterher gelaufen?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein, bin ich nicht.“ „Wieso nicht?“ „Weil“, ich stockte kurz, dann grinste ich dem Jungen wieder entgegen: „Das nicht gut gewesen wäre.“ „Aber wenn dich das traurig macht, dann lauf ihr doch jetzt hinterher.“ Ich neigte den Kopf hin und her: „Das… geht nicht so einfach.“ „Warum nicht? Kannst du nicht laufen?“ Ich lachte: „Tihihihi. Natürlich kann ich laufen.“ „Warum geht das dann nicht?“ „Weil ich denke… dass sie nicht möchte, dass ich ihr hinterher laufe.“ „Hat sie das gesagt? Weißt du. Meine Freundin sagt auch immer ich soll ihr nicht hinterher laufen und wenn ich das dann nicht mache, dann ist sie wieder beleidigt! Nicht, dass deine Freundin auch beleidigt ist, dass du ihr nicht hinterher gelaufen bist.“ Ich stockte kurz in meinen Gedanken. Ich hatte nicht sofort eine Antwort auf das parat, was der junge Luca mir sagte. Es war kindlich naiv, doch alles andere als unüberlegt: „Du bist ein ziemlich schlauer Junge, Luca.“ Luca grinste wieder: „Echt? Bin ich?“ Ich nickte: „In der Tat, in der Tat.“ Der Junge grinste wieder sein löchriges Grinsen, doch bevor er etwas sagen konnte schallte eine Stimme durch die Kapelle: „Luca? Luca, bist du hier?“ „Ich bin hier, Mama!“, antwortete der Junge. Eine Frau erschien. Es war die Frau die noch spät Abends, an dem Montag als ich wieder in meinem Laden eingekehrt war, in meinen Laden kam und ihren Mann betrauert hatte: „Was machst du hier, Luca? Draußen suchen dich alle.“ „Draußen war es doof.“ „Du kannst doch nicht einfach weglaufen.“ „Aber es ist so langweilig!“ Die Frau schüttelte den Kopf: „Rede nicht so respektlos, Luca. Das hier ist Papas Beerdigung und du benimmst dich wie die Axt im Walde.“ „Tu‘ ich gar nicht!“ „Doch. Du rennst die ganze Zeit lachend um die Leute herum. Das macht man nicht, die Leute trauern.“ „Der Mann hat gesagt ich darf das!“ Erst jetzt schien die Frau mich zu bemerken: „Sie?“ Ich neigte den Kopf: „Ich wünsche einen guten Tag. Nhihihihi.“ „Warum sagen sie so etwas?“, fragte die Frau verständnislos. Ich grinste sie an: „Weil es die Wahrheit ist, werte Dame.“ „Wie können sie… Sie sind Bestatter! Sie sollten doch wissen, dass sich so etwas nicht gehört!“ Ich stand von meiner Leiter auf: „Was ich weiß ist, dass Eltern in der Regel nicht wollen, dass ihre Kinder traurig sind. Ihr Sohn trauert auf seine Weise. Er gedenkt seinem Vater in guten Erinnerungen und ist glücklich sie zu haben. Was gehört sich daran nicht?“ „Nun...“, Lucas Mutter schien eine gute Erklärung zu suchen, um mein Argument auszuspielen. Doch dies schien nicht ganz von Erfolg gekrönt: „Also...“ Ich lachte wieder: „Ehehehe. So wie ihr Sohn mir erzählte, hat ihr Gatte gerne gelacht. Vielleicht sollten sie ihre Anschauungen eine weitere Überlegung gönnen.“ Die Frau schaute auf ihren Sohn: „Ja, die Beiden haben immer viel gelacht.“ „Also?“ Sie seufzte: „Doch die anderen Gäste beschweren sich über sein Verhalten.“ „Und das hat sie wie viel zu interessieren? Sie sollten nicht hinter den anderen Gästen, sondern hinter ihrem Sohn stehen, oder nicht?“ Die Mutter fuhr ihrem Sohn durch die Haare: „Wahrscheinlich haben sie recht“, sie schaute durch die Kapelle: „Es ist nur alles so schwer.“ „Nein, es ist ganz einfach.“ Die Frau schaute mich wieder an: „Inwiefern?“ „Sagen sie den anderen Trauergästen einfach die Wahrheit.“ „Welche Wahrheit?“ „Dass ihr Gatte Freude mehr schätzte als Trauer und ihr Sohn das im Gegensatz zu den Übrigen verstanden hat. Denn er ist ein sehr sehr kluger Junge und darüber hinaus sehr quirlig. Das sollte er bleiben, oder nicht?“ Ein leichtes Lächeln erschien in ihrem Gesicht: „Ich glaube… sie haben recht“, sie wandte sich wieder zu ihrem Sohn und fuhr ihm noch mal liebevoll durch die Haare: „Machen wir das so, Schatz?“ „Ja!“, rief der Junge freudig. „Doch nun komm“, sie streckte ihm die Hand hin: „Der Mann muss arbeiten. Stören wir ihn nicht weiter.“ „Oh, er störte nicht. Es war ein sehr angenehmes Gespräch“, ich zwinkerte dem jungen Luca mit meinem freiem Auge zu: „Ehehehe! Wir haben viel gelacht.“ Luca kicherte. Die Mutter lächelte mich warm an: „Dann bin ich beruhigt. Wie lange brauchen sie noch?“ „20 Minuten“, lächelte ich: „Ich werde mich bemerkbar machen.“ „Gut. Ich danke ihnen.“ Ich stellte wieder meinen Fuß auf die Leiter: „Fu fu fu. Doch nicht dafür.“ Die Mutter wandte sich zum gehen, ihren Sohn an der Hand: „Ich danke auch nicht dafür.“ Ich neigte meinen Kopf: „Es war mir ein Vergnügen.“ Mit einem seichten Lachen ging die Mutter los. Luca wandte sich noch mal um und winkte energisch: „Tschüss Undertaker!“ Sie schaute ihren Sohn an: „Luca! Du kannst die Leute doch nicht mit ihrem Beruf ansprechen!“ „Aber, der Mann hat gesagt er heißt so!“ Sie schaute noch einmal zu mir: „Wirklich?“ Ich lachte schriller: „Nihihihi! Ja, wirklich. So heiße ich.“ Jetzt blinzelte sie verwirrt: „Okay... Gut. Wenn es so ist.“ Als ich noch einmal lachte, drehte sich die Mutter weg und ging fort. Luca winkte mir ein weiteres Mal. Ich winkte zurück und stieg wieder auf meine Leiter um weiter zu arbeiten. Während ich die Kapelle zu Ende dekorierte hing mir das Gesagte des jungen Luca weiter nach. Ich hatte selber öfter mit dem Gedanken gespielt, bei Skyler vorbei zu gehen, doch mich immer dafür entschieden es sei keine gute Idee. Ich war wirklich davon ausgegangen es sei keine, doch nun war ich mir nicht mehr so gänzlich sicher wie zuvor. Ich seufzte. Es hatte schon eine gewisse Aussagekraft, dass ein 7-Jähriger mehr Ahnung von solchen Dingen zu haben schien, als ich. Natürlich war Sky nicht weggelaufen, weil sie beleidigt war. Doch ich hatte das Gefühl was der Junge sagte war auf vieles übertragbar. Nur irgendwie verwirrte es mich auch. Ich unterbrach meine Gedanken, da ich mit der Dekoration fertig war. Ich klappte den Sarg auf und ließ die Trauergemeinde herein. Wieder bezog ich Posten in der hintersten Ecke. Die Feier war besinnlich. Hin und wieder hörte ich ein Kinderlachen, doch die Anwesenden sagten nichts dazu, was doch wieder ein leichtes Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen ließ. Als es an der Zeit war trug ich den Sarg mit einigen Angehörigen zu seiner letzten Ruhestätte. Der Priester hielt seine Rede am Grab ab, da vibrierte plötzlich die Luft. Es krachte. Die Sonne verschwand. Unruhe und Rufe gingen durch die Trauergemeinde. Mein Kopf wanderte den Himmel entlang und ich sah was vor sich ging. Ich wischte meinen Pony aus meinem Gesicht und setzte meine Brille auf. „Was ist das?“ „Oh mein Gott!“ Der Himmel war verwirbelt in dunklen schwarz- violetten Wolken. Rote Blitze krachten durch die Luft: ‚Ein Höllentor!‘ Sofort hatte ich eine Vermutung wem dies geschuldet war. „Habt ihr so etwas schon mal gesehen?“, riefen die Leute weiter. „Was geht da vor sich?!“ Der kleine Luca schrie: „Mami! Ich hab Angst!“ Ein roter Blitz krachte Richtung Boden. Obwohl das Phänomen klar sichtbar war muss es in einiger Entfernung liegen. Ich zog die Augen zusammen. Es war nicht die Richtung des Manor Phantomhive. Auch nicht des East Ends oder der Villa Trancy. In dieser Richtung lagen… Meine Augen sprangen wieder auf: ‚Die Colleges!‘ Ich rannte los. Mit einem Satz war ich über das offene Grab gesprungen und für die Augen der Menschen einfach verschwunden. Ein Kreischen fuhr durch die Luft. Ich sprang über Gräber, Mauern, Büsche und Bäume auf die Dächer der umliegenden Häuser. Nun sah ich, was der zweite dämonische Butler uns dieses Mal entgegen warf: Eine Wasserschlange direkt aus den tiefsten Tiefen der Hölle. Gespickt mit Armen, Hörnern und grässlichen Flügeln. Ein ausgewachsener Leviathan. Mir entfloh ein gereiztes Fauchen. Diese Viecher waren verdammt hartnäckige Gegner. Kein Vergleich zu den Hunden, mit denen uns Claude an Halloween höchstens ein wenig geärgert hatte. Auch waren sie so stark und stur, dass es niemanden mehr möglich war sie zu steuern. Mir war sofort bewusst auf wie viele Arten diese Situation mehr als nur gefährlich war. Mein Lauf wurde schneller. Ich eilte in Richtung der Colleges. Es konnte nur ein weiterer Anschlag Olivers und Claudes auf Amy sein. Und wenn er sich gegen Amy richtete war auch… Sky… nicht weit…: ‚Verdammt!‘ Ich überlegte nicht mehr, ob es eine gute Idee war. Sky war vor mir davon gelaufen, doch das änderte nichts daran, dass ich nicht zu lassen würde, dass ihr irgendetwas zustieß. Ich hatte es ihr versprochen. Ich wollte, dass sie gesund und sicher war. Ich merkte mein Herz schneller schlagen. Nicht aufgrund der Anstrengung. Ich hatte Angst um sie. Ich hatte schon wieder Angst um sie. Der Laufwind wehte mir der Zylinder vom Kopf. Die Themse peitschte und leckte wütend weit über ihr Ufer. „Undertaker!“, hörte ich eine Stimme. Im Lauf wandte ich den Kopf. Grell, Ronald und William kamen auf mich zu gesprungen, ihre Death Scythes schon in den Händen und rannten sofort mit mir mit. „Was ist hier los?!“, fragte William. „Ich weiß es nicht“, zischte ich und beschwor meine Sense: „Doch ich kann es mir denken.“ „Als ob Claude einen Leviathan beschwört!“, rief Ronald aus: „Die Dinger sind total unberechenbar!“ „Und stark!“, ergänzte Grell. „Darin liegt wahrscheinlich auch der Sinn“, rief ich zurück. Die Luft hatte laut zu pfeifen begonnen, nun wo wir näher kamen: „Claude kann ihn nicht kontrollieren, doch es ist ihm sehr wohl möglich Amy aus dem Chaos heraus mitzunehmen. Das Vieh kann uns beschäftigen und zwar länger als uns lieb ist.“ „Das ist riskant“, fauchte William. „Und effektiv“, grollte ich zurück. „Das Vieh bringt uns noch die ganze Liste durcheinander!“, pikierte sich der Aufsichtsbeamte weiter. Der Leviathan schrie schrill und laut. Es vibrierte schmerzhaft in meinen Ohren. Dem Zusammenzucken der andern Drei entnahm ich, dass ich damit nicht alleine war. Reaper trainierten ihre Ohren, um ihre schlechten Augen im Notfall kompensieren zu können, machten sie so aber gleichzeitig auch empfindlich. Ein weiteres Detail weswegen der Kampf gegen einen schrill kreischenden Gegner sehr unschön war. „Bassy!“, rief Grell auf einmal aus. „Wo?!“, fragte Ronald, durch die tosend um sich schlagende Luft. „Dort!“ Mein Kopf folgte Grells Finger. Der Butler sprang als schwarzer Schatten einige Häuserreihen von uns entfernt über die Dächer Richtung College. Genau so hastig wie wir. Die Tentakel des Biestes schlugen um sich. Die Luft schlug uns um die Ohren und wieder schrie das Vieh. „Wa!“, machte Ronald: „Das ist ja grauenhaft!“ „Mein Ohren!“, jammerte Grell. „Konzentriert euch!“, mahnte William. Ich rannte nur. Den Anderen ein paar Schritte voraus. Die Dächer endeten. Wir sprangen. Taten ein paar Sprünge über einige Bäume, schon auf dem Schulgelände. Dann auf das Dach eines der Wohnheime. Unter uns schrien und flohen Schüler, Lehrer und Angestellte. Wir sprinteten über das Dach und sprangen ab, auf das Biest zu, unsere Waffen im Anschlag. „WAS?!?! Sebastian, nein!“, die bekannte Stimme ließ meinen Kopf herum fahren. In mir erstarrte etwas. Meine Augen rissen auf. Ich sah Sebastian, der Amy gegriffen hatte und wegsprang… und Skyler zurück ließ! Ich drehte im Sprung ab und preschte Richtung Boden. Die schöne Brünette hockte auf dem Boden und hielt die Hände schützend vor ihr Gesicht. Eine Tentakel raste auf das schutzlose Ding zu… … und mir entfuhr ein Rufen: „SKY!“ Kapitel 12: Tropfen und Tränen ------------------------------ Sky Amy war fort. Sebastian hat sie in Sicherheit gebracht. Während ich meine Arme über mein Gesicht hob, wurde ich einem komischen Gefühl in mir gewahr. Jetzt, wo Amy sicher war und ich nicht mehr dafür sorgen musste, dass ihr nichts geschah… … war ich müde… Ich ließ meine Arme wieder sinken. Ich könnte versuchen wegzuspringen, oder zu laufen, doch… ich war dafür viel zu müde. Es war wohl ein Wink des Schicksals, dass mir nun ein Leviathan mit seiner glitschigen Tentakel winken wird. Ein klares Zeichen dafür, dass ich Freitagabend Dinge getan hatte, die schlecht und unverzeihlich waren. Ich blieb einfach sitzen. Ich hatte einfach verdient, was dieses Vieh jetzt mit mir tun würde. Ich ergab mich dem Schicksal und dieser unendlichen Müdigkeit in meiner Brust. Die Tentakel schlang sich um mich und meine Welt verschwand hinter der gigantischen, stinkenden Gliedmaße. Es zog sich so fest um mich, dass ich nicht atmen konnte. Mein Brustkorb verlor den Platz sich zu heben... und ich merkte wie egal es mir war. Ich sah diese unendlich schönen Augen vor meinem inneren… denen ich egal war… und konnte mich bei dem Gedanken an sie gegen einfach nichts mehr wehren. Diese Augen nahmen mir meinen ganzen Willen und meine ganze Energie. Sie lösten einen furchtbaren Schmerz in mir aus und dieser Schmerz beflügelte weiter diese zermürbende Müdigkeit. Weil er endlich gehen sollte. Weil ich nicht mehr die Kraft fand ihn zu ertragen. Die Extremität war wie Treibsand. Immer wenn ich ausatmete, verlor ich mehr und mehr Atemraum. Doch im nächsten Moment war dies schon nicht mehr wichtig. Denn es war keine Luft mehr um mich herum, die ich hätte atmen können. Alles war nass und entsetzlich kalt. Die Tentakel zog mich in ihrem erbarmungslosen Griff unter Wasser. Es stand nur zur Frage, ob ich erst ertrank oder zerquetscht wurde. Doch für die Welt war ich eh kein Verlust. Ich schluckte Wasser. Viel Wasser. Meine Lungen brannten. Amy hatte so viele gute Weggefährten. Ich sank immer weiter. Mein Körper verkrampfte. Sie hatte Familie. Die Tentakel zog mich immer tiefer. Mein Herz raste. Amy hatte Menschen und Wesen, die sie liebten und mochten. Die Kälte der Themse kroch zu dem heißen Schmerz in meiner Brust. Schwappte über die sengende Flamme, die der Gedanke an Undertakers Augen immer wieder auflodern ließ. Mein Blut pochte. Amy wird über mich hinweg kommen, doch die Welt käme nicht über sie hinweg. Schwarze Ränder krochen in meine Augen. Der Druck des Griffes der Bestie und des Wassers drückten den letzten Rest Sauerstoff aus meinen Lungen und aus meinen Adern. Doch dies war egal, denn mich… liebte außer Amy doch einfach niemand. Meine Tränen mischten sich mit dem kalten, unwirklichen Wasser der Themse. Und der Schmerz... ging endlich aus…Und ich gab endgültig auf. Der Druck auf meinem Körper verschwand. Durch die Wassermassen gedämpft hörte ich als letztes einen bestialischen Schrei. Dann sickerte ein strahlendes Grün durch das fast komplette Schwarz, welches mir einen letzten trägen Gedanken entlockte: ‚Undertaker… es tut mir leid...‘ Und die Welt ging einfach aus. „Sky?“ Etwas Kaltes erschien an meiner Wange. Wer hatte die Welt in Watte eingepackt? „Sky!“ Warum war es so dunkel? „Sky!!“ ‚Hmmm?‘ „Kein Atem… Das kann… das darf nicht wahr sein!“ ‚Warum?‘ Denn eigentlich... hatte ich darauf auch überhaupt keine Lust. Mein Mund bewegte sich nicht… und immer noch war alles schwarz… und immer noch war alles dumpf…und immer noch war in mir alles taub… und einsam… und kraftlos… und verlassen… In meinem Rücken spürte ich etwas Weiches. Wer auch immer dort war, er war nicht der, den ich dort haben wollte. Denn der kam niemals wieder… und das tat so weh… und das wollte ich nicht mehr fühlen… Ich hatte einfach keine Lust mehr… Mein Vater… Meine Mutter... Meine Sozialarbeiterin... Meine Betreuer... Meine Pflegeeltern… Meine Adoptiveltern... Meine Mitschüler... … Alle taten mir immer nur weh. Diese ganze Welt tat mir immer nur weh. Was gut anfing, war nur von vorn herein dazu bestimmt, mir so noch viel mehr weh zu tun. Genauso wie mit… Doch das war meine Schuld… Und er mochte mich eh nicht… Er war sicher froh mich los zu sein… Er brauchte mich nicht... Und diese Erkenntnisse… seine Augen… taten so weh. Denn vor dem Einzigen, der mir nie weh getan hatte, war ich weggelaufen und hatte ihm genau diese Absicht unterstellt. Wahrscheinlich weil ich genau wusste, dass ich mit jedem Schlag und jedem Stich, den das Leben mir mitgab genau bekam was ich verdiente. Ich hatte ihn verloren. Nein… Ich hatte ihn verlassen und verraten. Ich hatte keine Lust mehr zu atmen. Das Weiche verschwand und ich spürte harten Boden in meinem Rücken. Etwas Kaltes schob meinen Kopf nach hinten. Es verdeckte meine Nase. Drückte gegen meine Lippen. Es schmeckte fruchtig, mit einem Hauch Minze. Obwohl ich nichts dafür tat füllten sich meine Lungen mit Luft. Das Etwas verschwand. Die Luft verließ mich wieder. Genau wie früher oder später alles andere. „Bitte... atme.“ Dann drückte es wieder gegen meinen Mund und presste Luft in meine Lungen, wie in einen ausgeleierten Luftballon. Ich fühlte mich so ausgeleiert. Es roch nach Zucker, Gras und Zedernholz. Süß, frisch und erdig. Angenehm, bekannt und beliebt. Ein weiteres Mal verschwand das Etwas: „Tu‘ mir das nicht an! Atme!“ Es drückte wieder gegen meinen Mund und Luft in meine Brust. Fruchtig. Minzig. Ein schmerzhaftes Klopfen erschien in meiner Brust. Meine Lungen spannten sich an. Aus einem nicht steuerbaren Impuls heraus sog mein Mund gierig die Luft ein, die ihm entgegen gedrückt wurde. Von woher auch immer. Sog sie in meine brennenden Lügenflügel. Es rauschte in meinen Ohren. Und als die Watte verschwand ertönte ein furchtbarer Lärm. Das Etwas verschwand von meinem Mund und aus meinem Gesicht. „Haaaaaaaaaa!“, meine Augen flogen auf: „Ahe! Ahe! Ahe! Ahe!“ „Sky?“ Wasser schwappte über meine Lippen, als ich schmerzhaft hustete. Trotz geöffneter Lider sah ich erst nur komische bunte Flecken. Die Welt um mich herum toste in meinen Ohren. Irgendwo heulte ein Motor... nein, zwei. Etwas Kaltes legte sich auf meine Wange: „Sky?“ Eine Hand? Meine Augen suchten nach der Stimme… die ich kannte. Nur langsam stellten sie sich scharf. Dieser Geruch nach Zucker, Gras und Zedern… Was?! Wa- wa- wa- warte! Zucker?! Gras?! Zedernholz?! Zwei chartreusegrüne Augen strahlten mir über einem erleichtert lächelndem Mund entgegen. Die Symmetrie dieses Gesichtes gebrochen durch eine große Narbe. Umrahmt von langen, silbernen Haaren von dessen Spitzen mir kleine Tropfen entgegen fielen. Ich starrte ungläubig in dieses Gesicht: ‚Was macht er hier?‘ Mein gefühlt gerade erst wieder aufgewachtes Herz drohte wieder einfach stehen zu bleiben. „Ahahaha“, lachte dieser schmale Mund so seicht, leise und erleichtert wie er lächelte. Der Krach der Außenwelt verschwand in einen kaum hörbaren Hintergrund. ‚Warum ist er hier?‘ „Na hallo, meine kleine Heldin“, drang die weiche Stimme des Totengräbers zu mir durch. „Under… Ahe! Ahe! Ahe!“, wieder schwappte Wasser aus meinem Mund. „Shhh“, er legte mir einen Finger auf die Lippen: „Sprich nicht. Alles wird gut.“ ‚Er… er ist hier...‘ ich fühlte mich ganz komisch. Ich hatte es mir so gewünscht. Und ich hatte genau so wenig daran geglaubt. Ich merkte wie sich eine kleine Träne aus meinem Augenwinkel stahl. Undertaker legte kurz mit diesem unerhört schönen Lächeln den Kopf schief, lachte noch einmal ganz sacht und leise, nahm dann den Finger von meinen Lippen und wischte mit dessen Fingerkuppe die kleine Träne fort. Dann strich er mir mit den Rückseiten seiner langen Finger über meine Wange: „Ich weiß, ich bin der Letzte, den du sehen wolltest.“ Meine Unterlippe begann zu zittern: ‚Du hast ja keine Ahnung...‘ „Aber ich habe dir etwas versprochen.“ ‚Und ich bin weggelaufen, als du mir unheimlich wurdest...‘ „Und du kannst vor mir davonlaufen, aber nicht vor meinen Versprechen.“ Ich starrte ihn an. Selbst wenn ich hätte sprechen können, hätte es mir die Sprache spätestens jetzt verschlagen. ‚Warum? Ich habe dich verraten!‘ Mit einem weiteren sanften Lachen legte er plötzlich seine Stirn an meine: „Ich bin so froh, dass du lebst.“ Nulllinie. Ich konnte nichts mehr denken. Ich war einfach vollkommen überrascht von dieser Geste… und wollte, dass sie nie wieder aufhörte. Doch ein grässlicher, schriller Schrei brach durch die Luft und Undertakers Kopf flog herum. Tropfen stoben von seinen nassen Haaren durch die Luft. Nach einem kurzen Moment griff er in den Mantel und zog seine Brille auf. Stimmen mischten sich in das konstante Getöse. „So ein Ärger!“ ‚Sebastian?‘ „Bassy! Vorsicht!“ ‚Grell?‘ „Was ein Packo!“ ‚Ronald?‘ „Sutcliff! Knox! Konzentriert euch!“ ‚William?‘ „Ehehehehe!“, lachte Undertaker, so schrill wie man es kannte und drehte sein Gesicht wieder zu mir. Er wischte mir sanft nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht: „Hör gut zu, meine Schöne. Tehe! Es gibt da noch eine Kleinigkeit bei der ich mit anfassen muss.“ Der Himmel leuchtete orange. Undertaker drehte sein Gesicht wieder zum Wasser und begann zu kichern. „Hei-ei-ei-eiß! So ein Drecksvieh!“ „Die Frisur! Doch nicht die Frisur! Ich komm gerade vom Friseur!“ „Das stelle ich dem Earl in Rechnung.“ „Wenn ihr überlebt, Mr. Spears.“ Undertaker Strich mit seiner langen Hand ein letztes Mal über meine Wange und ich verlor mich in diesem endlosen phosphoreszierenden Grün: „Stirb mir nicht, ja? Ich verlasse mich auf dich.“ Mit diesen Worten stand er auf. ‚Er ist hier...‘, meine Finger zuckten als ich verzweifelt versuchte meine Hand zu heben, was allerdings erfolglos blieb: „Un- Ahe! Ahe! Ahe!“ Mein Husten krachte schmerzhaft durch meinen Körper. Es knallte und schepperte. Dann platschte es laut und oft. „Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich konzentrieren.“ „Ihr kennt das Spiel doch.“ Undertaker beschaute die Szenerie grinsend, aber einschätzend. Dann streckte er die Andere aus, umfasste seine aus dem Nichts aufgetauchte Sense und sprang weg. Ein weiterer Husten schüttelte mich, bevor ich nach ihm rufen konnte. Ich wollte so gerne, dass er blieb. Der Himmel, den ich sah, leuchtete grün und die Bestie schrie: „NYYYYYAAAAAA!!!“ Dieser Schrei war so grausam, kreischend und spitzt. Er tat in den Ohren weh und fuhr durch Mark und Bein. „Sotoba, Butler?“ Ich versuchte mich zu bewegen. Doch mein Körper war so steif und kalt. Alles was ich sah war ein Stück des Himmels. Die Anderen hörte ich nur. „Warum denkst du ich wäre darauf angewiesen?“ „Nun ja, ke he he he, du kannst natürlich auch Peu a Peu den Berg mit deinen Buttermessern abschaben, wenn du soviel Zeit und Muse besitzt. Uhuhuhu!“ „… Wir werden nie wieder darüber sprechen.“ „Ich schweige wie ein Grab. Nehehehe!“ „DU HAST MIR MEIN MAKE UP VERSAUT, DU HÄSSLICHES MISTVIEH!“ … Was nicht hieß, dass es schwer war herauszufinden war wer wer war... WRÖÖÖÖÖÖMRÖMRÖMRÖMRÖM! „NYYYYYAAAAAA!!!“ „Für so etwas werde ich einfach nicht gut genug bezahlt.“ „Wir werden hier für gar nichts bezahlt, William.“ „Wie ich sagte, Knox.“ „Pahahahahahahahahahahahaha!“ Ich versuchte immer wieder mich zu bewegen. Die Stimmen der 5 Männer flogen durch die Luft. Der Himmel mit diesen unheilvollen violetten Wirbeln leuchtete mal orange, mal rot, mal grün auf. Wasser spritzte. Die Motoren von Grell und Ronald surrten und schwirrten wütend. Der Leviathan schrie. Grell zickte. Ronald fluchte. William meckerte. Sebastian seufzte. Und Undertaker lachte. Nur langsam gewann ich die Kontrolle über meine Muskeln wieder. Mit meinem Körpergefühl, kam das Kribbeln zurück. „Das nimmt kein Ende! Das blöde Vieh will einfach nicht sterben! Das hat einfach keinen Schwachpunkt!“ „Kehehehe! Siehe es positiv, Ronald!“ „Was ist denn daran positiv?! Hast du dir mal meine Haare angeschaut!?“ „Wenn das eure einzige Sorge ist, Mr. Sutcliff.“ „Lasst uns das endlich hinter uns bringen. Wir müssen die Arbeitszeit hinten dran hängen.“ „BITTE WAS?!“ „BITTE WAS?!“ „FuhuhuhuhuhuhuhuHuch!“, platsch! ‚Undertaker!‘, ich hatte es nicht gesehen. Aber ich war mir sicher, dass der Leviathan gerade den Totengräber versenkt hatte. Was, wenn er ihn dabei verletzt hatte? Was, wenn er sich etwas getan hatte?! Ich schaffte es mich auf die Seite zu drehen. „Ruhe und Frieden.“ „WILLIAM!“ „WILLIAM!“ ‚Du Arsch! Hilf ihm!‘ „Äußerst charmant, Mr. Spears.“ „Wartet! Undertaker hat Recht! Sieh‘ es positiv!“ „Hast du dich bei seiner Geisteskrankheit angesteckt, Knox?“ Endlich schaffte ich es mich aufzustützen: ‚Warum versenkt dich eigentlich keiner, William?!‘ Ich war so sauer auf William. Warum half Undertaker denn keiner?! Die Reaper und Sebastian sprangen um und an dem großen Monstrum herum, wichen seinen Pranken und Tentakeln aus und versuchten Treffer zu landen. Nur Undertaker fehlte. Die 4 Männer waren so laut, weil sie relativ weit auseinander um das Monstrum herum sprangen und sich durch den tosenden Sturm zurufen mussten. Sebastian hatte einen von diesen komischen Holzscheiten in der Hand, mit denen Undertaker gegen Claude und Hannah angetreten war: ‚Ist das diese Sotoba?‘ „Sieh!“, rief Ronald und rannte dem Arm des Monster hoch: „Sehen! Seine Schwachstellen sind die Augen!“ Doch das Monster zog seinen Arm in die Höhe und Ronald fiel herunter: „Woah!“ Das Wasser leuchtete grün auf. Undertaker sprang heraus und griff Ronald am Kragen bevor dieser ins kühle Nass fallen konnte. ‚Undertaker!‘, augenscheinlich ging es ihm gut. Zumindest war er ziemlich schnell unterwegs, was dafür sprach das sein Tauchgang ihm nichts weiter getan hatte. Ich war so erleichtert. „Die Augen!“, rief Ronald Undertaker entgegen. Dieser lachte: „Nihihihihi! Wenigstens einer, der mich versteht!“ „William! Sebastian! Die Augen!“, rief Ronald jetzt lauter. Undertaker warf Ronald auf eine der Schultern der Bestie. Dieser lief den Arm hinunter drückte seinen Messerwalze in die Hand des Drachen. „Grell!“, rief Undertaker im giggelnden Ton: „Nehme doch den Anderen. Nihihi!“ „Und du?!“ In diesem Moment brachen die 3 Tentakel des Tieres aus dem Wasser. Undertaker warf seine Sense. Kreisend drehte sie sich um das Monstrum, durchschlug die Tentakel und die abgeschnittenen Körperteile fielen mit einem lauten Platschen ins Wasser, als er lachend seine Sense wieder fing. Grell starrte ihn mit großen Augen an: „Weißt du was?… Vergiss es einfach.“ Undertaker lachte einmal laut und lange. Dann rammte der rote Reaper seine Kettensäge in die andere Hand des Leviathans. Sebastian und William preschten derweilen zum Gesicht vor. Abgelenkt wie das Biest war, konnte es dies kaum verhindern. Als letzte Verteidigung schlug es mit seinen Flügelpaaren. Die Luft toste auf. So stark, dass ich die Augen zu kniff, als der kalte Novemberwind in Sturmböen um meinen nassen Körper pfiff und mich frösteln ließ. Ich öffnete meine Augen wieder. Der kalte Wind brannte darin. Der Leviathan schwang mit seinen gewaltigen Flügeln seinen massigen Körper in die Luft. Die 5 Männer wurden von den Böen erfasst und weggeschleudert. Ihre Füße ratschten über den Boden, als sie unweit von mir auf dem Ufer sicher landeten. Außer Sebastian und William waren alle vollkommen durchnässt. Undertakers enger Mantel stand offen. Ich sah einige der Holzscheite, die in den wild wehenden Schössen verstaut waren. Ronald zog sein Jackett aus und band es sich um die Hüfte. Sein Anzug und Williams waren angesengt, sowie ein Teil von Grells Haaren. Was Grell nicht wirklich zu begeistern schien: „Dieses MIESTVIEH! Wie kommen wir jetzt an den ran?!“ Undertaker stemmte eine Hand in die Hüfte und legte die Andere mit seiner Handkante über seine Augen. Er schaute ohne Brille in den Himmel, in den sich der große Drache emporgeschwungen hatte. Ich war mir sicher, dass er nicht ansatzweise irgendetwas erkennen konnte. Doch er fing an zu lachen: „Wuhuhuhuhuhu! Der will aber hoch hinaus für so ein großes Schlängelchen!“ „Schön, dass du das auch geschnallt hast!“, hüpfte Grell wütend auf und ab: „Wir kommen trotzdem nicht an das Vieh ran! Von uns kann keiner fliegen!“ Undertaker verschränkte lachend die Arme und drehte sich zu Sebastian: „Wir können nicht fliegen, nein. Tehehehe.“ Der Butler neigte den Kopf: „Ich bin nicht dein Werkzeug.“ „Aber eine Krähe. Hehe. Also“, Undertaker hielt ihm lachend den beringten Zeigefinger ins Gesicht: „Also tu‘, was brave Vögelchen so tun und schwinge dich nach oben. Fuhuhuhuhu!“ „Sage das Zauberwort.“ „Nihihihihi! Das mit den fünf Buchstaben, Butler?“ Der Butler nickte. Undertakers Grinsen wurde so breit, wie ich es nur selten gesehen hatte: „Tihihihihihi! Amber.“ Der Dämon seufzte hörbar, als Undertaker ihn ausgespielt hatte. Er sprang in die Luft. Was dann folgte war Spot an der Welt. Zwei Flügel klappten sich aus Sebastians Rücken. Zwei große… weiße… Flügel… und ich fragte mich kurz, ob sich der Typ noch bewusst war, dass er ein Dämon war. „AAAAAAAAHHHHHH!“, kreischte Grell allerdings vollkommen aus dem Häuschen und wedelte mit allem was er hatte: „Mein schöner Tyrann! Ein engelsgleicher Teufel! Ein Rabe mit den Flügeln einer Taube! Mein kleines Lamm mit dem Appetit eines Wolfs! Mein ganz eigener Sebastian Liebling!~♥“, er legte eine Hand auf die Brust und reckte die Zweite in den Himmel: „Mach ihn fertig, Bassy- Hasi!!~♥“ Ronald und William hauten sich synchron die Hand ins Gesicht. Undertaker lachte laut. Der Butler war derweilen in luftige Höhen entschwunden. Ich konnte nicht sehen, was zwischen den zwei Dämonen geschah. Doch es krachte. Der Leviathan kreischte. Orangenes Licht zuckte durch die dunklen Wolken. Die Reaper wirkten alle recht angespannt. Grell und William hielten sich die Ohren zu. Ronald drehte seine Schultern, als er gen Himmel rief: „Kannst du dem Vieh endlich das Maul stopfen?! Dieses Gekreische macht mich wahnsinnig!“ Selbst Undertaker rieb sich mit Fingerkuppen seiner Zeigefinger die Ohren: „Nihihihihi! Das ist wirklich kein schönes Geräusch!“ „Ach ne!“, riefen ihm Ronald und Grell entgegen. Ich konnte mir vorstellen, dass die Reaper mit ihren empfindlichen Ohren die Schreie des Leviathans nur als gelinde gesagt schrecklich und schrecklich schmerzhaft empfinden mussten. Für menschliche Ohren war er schon grässlich und ich wusste, dass zumindest Undertaker auf mindestens 60 Meter die Flöhe noch husten hörte. Wir schauten wieder in den Himmel, wo der Butler nun auf sich gestellt seinen Kampf focht. Irgendwann schwirrte Sebastian auf den Boden zu. Grell kreischte in Sorge. Ich sah wie Ronald angespannt den Atem anhielt. Sebastian fing sich bevor er aufschlug und flog wieder in die dichte schwarze Wolkendecke. Doch hatte ich kein gutes Gefühl. Dieses Spektakel dauerte schon sicherlich 15 Minuten. Immer wieder wurde der Butler gen Boden geschickt, fing sich auf halbem Weg ab und schwirrte wieder empor. Ich machte mir Sorgen. Ich erinnerte mich daran, dass schon Amy einschätzte, dass es selbst für Sebastian kein leichter Kampf werden würde. Und sie schien recht zu behalten. Denn auch die 4 Reaper - zu denen ich immer wieder herüber sah und die immer noch die Finger in den Ohren hatten, weil der Leviathan immer noch schrie - wirkten alles andere als entspannt. Es war so laut, so unheilvoll dunkel. Der höllische Sturm sorgte für eine konstante Lärmkulisse, da der Kampf der Dämonen die Luft immer weiter zum toben brachte, was ein beständiges Getöse zu Folge hatte. Undertaker grinste, doch die Tatsache, dass er wieder seine Brille auf der Nase hatte, zeugte von einer gewissen Ernsthaftigkeit, während er in die leuchtenden Wolken schaute, aus denen der Butler geworfen wurde und wieder hinein flog. Immer und immer wieder. „AH!“, schrie Grell irgendwann. Der rote Reaper schnappte Undertaker an den Schultern und schüttelte ihn: „Ich halt‘ das nicht aus! Ich werde sterben, wenn Bassy irgendwas passiert! Mach etwas, verdammt!“ „Pahahaha! Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Ich kann nicht fliegen! Nihihihi!“ „Und du willst eine Legende sein?! Lass‘ dir was einfallen, man!“ „Buhahahahahaha!“, lachte Undertaker nur noch lauter: „Nein, wollte ich nie!“ Etwas zuckte durch mein Herz: ‚Aber… warum nicht?‘ Grell schüttelte ihn noch fester: „Du weiß genau was ich meine, du furchtbarer alter Sack! Tu‘ irgendwas!“ Es krachte einmal furchtbar laut. Grell schrie auf, sprang Undertaker in die Arme und schlang seine Arme um seinen Hals. Undertaker fing ihn. Ich war mir sicher, William hätte ihn fallen lassen… ...Und etwas in mir wünschte sich Undertaker hätte es auch getan... Ronald zuckte zusammen. Die Gesichter von William und Undertaker fuhren gen Himmel. Auch ich schaute wieder in die Wolken. Man sah den Butler nicht. Man sah auch den Leviathan nicht. Doch schnell wurden zwei kleine Schatten immer größer. Sie kamen drehend auf die Erde zu. Einer fiel platschend in die Themse. Der Andere bohrte sich in das Ufer. Es war ein Stück des Holzscheites. „Die Sotoba!“, Grell quietschte beim Sprechen ähnlich schrecklich schrill wie der Leviathan schrie. Er wedelte in Undertakers Armen mit den Beinen und ließ seinen Hals einfach nicht los: „Er ist unbewaffnet! Undertaker! Maaaaaaach waaaaaaaas!“ Ich sah den Totengräber seufzen. Dann lachte er wieder und stellte Grell auf die Füße. Ohne Vorwarnung lief er auf einmal auf William zu: „William! Nehehe! Sei so gütig!“ William seufzte, verschränkte die Hände und ging in die Knie. Undertaker sprang mit einem Fuß in seine Hände und der Aufsichtsbeamte zog sie nach oben, während er seine Beine wieder streckte. Ich sah nur noch wie ein schwarzer Schatten - der der Bestatter war - in Richtung Wolken schoss. „Was macht ihr da?!“, schrie ich die Reaper an, ohne nachzudenken: „Wenn Undertaker nicht fliegen kann, wie zur Hölle will er wieder runter kommen?! Das kann doch nicht gut gehen!“ Die Köpfe der Reaper drehten sich zu mir. „Was machst du denn hier?“, fragte Ronald verwundert. „Ich bin schon die ganze Zeit hier, du Vollidiot!“ „Echt?“, fragte der Blonde und schaute seine Kollegen abwechselnd an. „Ja“, machte William: „Irgendwann bringt dich deine mangelnde Umsicht um, Knox.“ „Hallo?!“, rief ich wieder: „Habt ihr mir überhaupt zu gehört?!“ „Der macht das schon“, machte Ronald vollkommen sorgenlos: „Vergiss‘ nicht über wen du sprichst.“ „Jemanden, der nicht fliegen kann!“, keifte ich zurück. Ich wäre so gerne aufgestanden und Ronald an die Gurgel gegangen. Doch meine Beine zitterten und ich bezweifelte, dass ich sicher stehen oder laufen konnte. Ich lag auf dem Boden und war total nutzlos! Ich konnte mir nur Sorgen machen! Sorgen darüber wie Undertaker denn bitte unbeschadet landen soll! Mein Rufen rächte sich in einem Hustenanfall. Meine Lungen waren gereizt. Ich kannte dieses Gefühl noch. Es war das Gefühl von fest sitzendem Wasser in den Lungenflügeln. „Awwwwwww!“, machte Grell und schaute Ronald kichernd an: „Ist sie nicht putzig, wenn sie sich Sorgen macht?~♥“ Ronald kicherte mit: „Total!“ Ich nahm einen Stein, der neben mir lag, und warf ihm Grell so fest ich konnte gegen den Kopf. Wütend drehte er sich um: „Hey! Was soll das?!“ „Du hast ihn dazu gebracht!“, schrie ich ihn an: „Jetzt helf‘ ihm, verda… Ahe! Ahe! Ahe!“ „Du solltest nicht so schrei‘n“, neigte Ronald den Kopf. „Hör auf so blöd zu labern und mach wa...Ahe! Ahe! Ahe!“, meine Brust verkrampfte sich und ich konnte nicht mehr sprechen. Ich kniff die Augen zusammen, als sich mein Oberkörper zusammen zog und ich mir die Hand vor dem Mund presste. Meine Lungen und mein Hals brannten säuerlich unter einem weiteren Hustenkrampf. Auf einmal erschien eine Hand an meiner Schulter und mir klopfte jemand sachte auf den Rücken: „Ron hat Recht. Schone dich ein bisschen, Schätzchen.“ Grell hatte sich neben mich gehockt und lächelte mir entgegen. So gut er es auch meinte, ich schnappte seinen Kragen und schüttelte ihn: „Ich bin total egal! Mach was!“ „Oh oh“, hörten wir von Ronald. Ich hörte auf Grell zu schütteln und schaute mit dem roten Reaper in den Himmel. Eine Gestalt fiel herunter. Eine Gestalt mit langen, silbernen Haaren. Ich schlug eine Hand auf den Mund. „Das“, machte Grell leise: „Wird verdammt weh tun...“ PLATSCH! Mit einem lauten Knall verschwand Undertaker im Wasser, welches in wilden Fontänen durch die Luft spritzte. Ich ließ die Hand sinken und merkte wie die Farbe aus meinem Gesicht verschwand. Ich wusste nicht wie hoch Sebastian und der Leviathan waren. Doch ich wusste, dass sie über den Wolken waren, auch wenn diese bedrohlich tief über den Colleges hingen. Also waren es mindestens ein paar hundert Meter. Selbst Wasser müsste einem aus dieser Höhe einfach alle Knochen brechen. Ich ließ von Grell ab, drehte mich auf den Bauch und wollte aufstehen: „Under... Ahe! Ahe!“ Doch ich strauchelte, als ich halb stand und fiel wieder auf die Arme. Ich robbte ein Stück über den sandigen Boden: „Ahe! Ahe! Undertaker!“ Dann merkte ich wie mich zwei Arme griffen: „Na, na, na! Was soll das werden, wenn es fertig ist? Du würdest untergehen wie ein Stein! Weißt du was der mit uns macht, wenn dir irgendetwas passiert?!“ Ich versuchte verzweifelt Grells Armen zu entkommen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Undertaker war sicher verletzt! Er musste sich verletzt haben! Das konnte nicht gut gegangen sein! „Lass mich los, Grell!“, schrie ich und merkte wie mich meine Stimme verließ. Trotzdem schrie ich weiter: „Lass mich los! Ahe! Ahe! Undertaker! Ahe! Ahe! Grell, lass mich los, verdammt! Warum macht denn keiner was?! Under… Ahe! Ahe! Ahe!“, ein weiterer Hustenanfall unterbrach mein Rangeln mit dem roten Reaper, dessen Arme ich einfach nicht los werden konnte. Ich erschlaffte in ihnen, als ich ein weiteres Mal von heißen Schmerzen in meinen Lungen geschüttelt wurde, meine Hand vor meinen hustenden Mund drückte und gequält die Augen zusammen kniff. „Da!“, machte Grell: „Schau‘ doch!“ Mit einem scharfen, schmerzhaften Einatmen schaute ich auf. Das Wasser sprang und ein Kopf erschien. Er wedelte mit seinen langen Haaren und spuckte eine Wasserfontäne in die Luft. Ich hatte selten ein so tiefes Gefühl der Erleichterung gespürt. Ich konnte noch nicht einmal nach ihm rufen, so überwältigt war ich von diesem Gefühl. Meine angesammelten Tränen rannen mir über die Wangen. Grell knuffelte mich eng: „Noah! Du bist so putzig!~♥ Du musst dir nicht so große Sorgen um ihn machen!“ Es war mir immer noch egal, wie gut es Grell mit mir meinte. Ich zog eine Hand aus seinen Armen und drückte seinen Kopf in den Sand. Undertaker schaute in den Himmel, lachte einmal auf und schwamm dann auf das Ufer zu. Ronald lief die zwei Schritte zu dem Uferende, wo Undertaker immer noch im Wasser seine Arme auf den Wellenbrecher legte: „Was hast du gemacht?“ Undertaker grinste: „Fu fu fu. Ich hab ihm meine Death Scythe überlassen. Könntest du zur Seite gehen? Ich möchte hier raus.“ „Echt?!“, Grell hob seinen Kopf unter meiner Hand und wackelte mit dem Beinen: „AHHH! Die Death Scythe des legendären Todesgottes! Er kann nur noch gewinnen! Du bist ein Geschenk des Himmels! Ich könnte dich von oben bis unten abknutschen, Undi-Schatzi!~♥“ Ich merkte eine Ader an meiner Schläfe pulsieren. Selbst Ronald und Undertaker sahen Grell mit blinzelnden Augen an. Mir gefiel nicht, wenn Grell so mit Undertaker sprach. Ruppig drückte ich seinen Kopf wieder in den Sand. Dann fing Ronald plötzlich an zu prusten und zu kichern. Undertaker sah Ronald fragend an: „Was ist so lustig? Ich will mitlachen!“ Ronald drehte immer noch kichernd seinen Kopf wieder zu Undertaker: „Erklär ich dir später, versprochen.“ „Nihi. Wehe dir wenn nicht. Kannst du nun endlich zur Seite gehen?“ „Mach ich, mach ich.“, Ronald schüttelte den Kopf: „Geht‘s dir gut?“ „Gewiss, gewiss“, grinste der Bestatter weiter, doch irgendetwas in seiner Stimme klang angestrengt: „Doch wärst du so gütig endlich zur Seite zu treten?“ „Hat deine Landung nicht furchtbar weh getan?“ „Hat sie“, grinste der Bestatter, doch sein Grinsen wirkte ein wenig verkrampft: „Doch ich hatte nur die Wahl zwischen Wasser und Boden. Nehehehehe! Würdest du nun bitte?“ „Hat das wirklich noch ‘nen Unterschied gemacht?“ „Vielleicht“, grinste Undertaker, doch der gestresster Unterton in seiner Stimme, sowie sein recht künstliches Grinsen irritierte mich: „Vielleicht auch nicht. Puhuhuhu! Ich hatte wenig Lust es herauszufinden! Würdest du nun bitte zur Seite gehen?“ Ich starrte den Totengräber ins sein grinsendes Gesicht. Es ging ihm gut. Irgendwie hatte er sich nichts getan… und ich konnte nicht beschreiben wie froh ich darüber war. Doch als ich sein Gesicht, mit diesem lachhaft weiten Grinsen sah, beschlich mich wieder ein schweres Gefühl. Ein schweres, trauriges Gefühl. Der Bestatter war zwei Schritte von mir entfernt. Doch ich hatte das Gefühl er war für mich vollkommen unerreichbar. Was war ich denn auch? Ein erbärmliches kleines Mädchen, mit nassen und Sand verschmierten Kleidern, lag im Staub wie ein Häufchen Elend und konnte noch nicht einmal richtig aufstehen ohne gleich wieder wie ein Kartenhaus im Wind zusammen zu klappen. „Hast du dir wirklich nichts...“, begann Ronald, doch Undertaker unterbrach ihn mit durch seine durch das Grinsen freigelegten Zähne gepresster Stimme: „Ronald, ich will hier raus.“ Ronald klimperte Undertaker kurz mit verwunderten Augen an und schien den unterschwelligen Stress in Undertakers Grinsen und Stimme erst jetzt richtig zu bemerken. „Klar“, hielt er ihm schließlich seine Hand hin: „Komm, ich helf' dir.“ Undertaker griff Ronalds Hand. In dem Moment zuckte der Kopf des Reaperjünglings nach oben und brachte Undertaker dazu es ihm gleich zu tun. „Oh oh“, machte Ronald wieder. Ich stellte fest, dass ich anfing es zu hassen, wenn Ronald das tat. Es war anscheinend das Einläuten von etwas sehr sehr Unschönem... Der Bestatter blinzelte mit seinen schmalen Augen gen Himmel, über denen er schon wieder keiner Brille trug: „Och nö!“ Auch ich schaute nach oben... und riss die Augen auf. Es war definitiv das Einläuten von etwas sehr sehr Unschönem! „Scheiße...“, hauchte ich wenig geistreich. Aber ich hatte kein besseres Wort um zu beschreiben was ich sah. „Was?! Was ist los?!“, rutschte Grells Kopf aus meiner von Unglauben und Schreck erschlafften Hand und schaute ebenfalls auf. Der Leviathan raste Rücken voran gen Boden. Direkt auf uns zu! Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit! William sprang bei diesem Anblick davon. Seine Schere fuhr aus und krachte gegen das Biest. Dann knallte es. Durch Williams Intervention krachte das mächtige Monster in die Themse und nicht auf unsere Köpfe. Die Wassermassen des großen Flusses bäumten sich durch den Aufprall der gigantischen Bestie in riesigen Wellen auf. „Soviel zu alles Gute kommt von oben!“, hörte ich Grell neben mir. Er sprang auf seine Füße, griff meinen Kragen und zog mich ein Stück hoch. „Weg hier!“, schrie Ronald, drehte sich zum Wegsprinten um und zog dabei an Undertakers Hand. Der Bestatter drehte sich hastig nach vorne und stützte seinen anderen Arm und sein Knie auf den Boden und zog sich an Ronalds Hand ein Stück aus dem Wasser. Doch bevor die Drei ihre Fluchtversuche gänzlich in die Tat umsetzen konnten, brach die Welle über uns herein. Undertakers Oberkörper und Kopf verschwand im schaumigen Wasser. Ronald fiel fluchend mit einem wedelnden Arm nach vorne, als ihn die Welle im Rücken traf. Grell und ich schrien und kniffen die Augen zusammen, als uns das kalte Nass ins Gesicht sprang. Es hatte so viel Schwung, dass es mich um 90° drehte und nach hinten spülte. Ich verschluckte wieder Wasser. Grells Hand verlor ihren Griff an mir. Dann knallte etwas gegen mich. Keine Sekunde später trafen auch mein Rücken und mein Kopf auf etwas Hartes und knipste mir die Lichter aus. ‚Hmmmm…?‘ Ein dumpfes Schwarz hauste in meinem Kopf. Der Wind peitschte nicht mehr. Es herrschte eine Totenstille. Sie klingelte in meinen Ohren. Meine ganze Welt drehte sich, trotz der Schwärze, wie ein Karussell. Ich wusste nicht wo ich war, doch ich spürte den harten Boden in meinem Rücken und Sand zwischen meinen Fingern. Genau wie Gewicht auf meinem Körper. Nur langsam hielten Gedanken wieder Einzug in meinen konsternierten Verstand. Nach ein paar benommenen Minuten hörte ich vereinzeltes Keuchen und Husten die Stille nach dem Sturm brechen. Auch ich hustete das Wasser aus. Dann entfuhr auch mir ein benebeltes murmelndes Geräusch. Ich öffnete langsam meine schweren Augenlider. Doch sah ich nur ein paar helle Flecken des satten Abendrots des wieder aufgeklärten Himmels. Irgendetwas lag löchrig, nass und schwer auf meinem Gesicht. Ich hatte auch irgendetwas in meinem Mund. Es war kein Wasser. Es war irgendetwas Franseliges und fühlte sich mehr als nur unangenehm auf meiner Zunge an. Mein Gehirn war vollkommen überfordert und von der Welle noch gänzlich überrascht. Es brachte keine ordentliche Aktion oder Gedanken zustande. Doch die Welt blieb allmählich stehen. Ich konnte mich wegen dem was auf mir lag kaum bewegen. Alles was ich tun konnte war mit einem angewiderten: „Päh!“ das Etwas auszuspucken. Durch die Luft, die ich aus dem Mund stieß verrutschte das Irgendwas über meinen Augen. Hing es zusammen? Ich befreite eine Hand, wischte mir das löchrige Ding aus dem Gesicht und schaute auf meine Finger. Zwischen meinen Fingern hingen Strähnen. Ich blinzelte erschrocken. Es waren… lange… silberne... Strähnen: ‚Wa- wa- wa- waaaas?!‘ Hastig wedelte ich meine Hand von den Strähnen frei, stützte mich die paar Zentimeter die ich schaffte auf und schaute auf meine linke Schulter, die Gewicht weiter auf den Boden drückte. Das Blut schoss mir sofort ins Gesicht. Mein Herz setzte aus. Auf meiner Schulter lag der Kopf des Bestatters, dass Gesicht verhangen von seinen langen, nassen Haaren. Ich schaute an mir herunter. Sein Körper lag einmal komplett über meinem und bewegte sich nicht. Allerdings merkte ich auf meiner Brust genau, wie sich seine hob. Mein Herz erwachte mit einem fast schmerzvollen Getrommel. War er ohnmächtig?! Ging es ihm gut?! War er wirklich nicht verletzt?! Ich wusste nicht, was ich tun sollte! Ich wusste nur, dass mein Gesicht immer wärmer wurde und ich unter dem Körper des Totengräbers vollkommen eingefroren war. Mein Herz trommelte schmerzhaft. Während ich mit der ganzen Situation noch vollkommen überfordert war, ging ein Zucken durch Undertakers schlaffen Körper. Ich hörte ein Husten und ein paar Strähnen flogen von seinem Gesicht. Der Kopf des Bestatters regte sich und seine Hände stellten sich auf den Boden. Immer noch hustend stemmte er sich auf. Dann hielt er inne. Sein Kopf wanderte von rechts nach links und wieder zurück. Dann schaute er mich an. Sein Pony hing nass und strähnig in seinem Gesicht, sodass er um und nicht über seinen strahlend grünen Augen lag. Irritiert blinzelte Undertaker mir entgegen. Einige Wimpernschläge lang starrten wir nur vollkommen verwundert einander an und taten gar nichts. Dann grinste er. Sein Grinsen sah komisch aus. Fast ein wenig… unbeholfen? Er lachte kurz: „Ähähähä… Äh… Hi.“ Ich blinzelte. Ich war mir sehr sicher, dass er mich noch nie mit einem ‚Hi‘ begrüßt hatte. Er sprach immer recht antiquiert, ich wusste gar nicht, dass so etwas wie ‚Hi‘ zu seinem Vokabular gehörte. Doch ich konnte nichts anderes tun, als weiter in diese unfassbaren Augen zu starren. Diese unfassbaren Augen von denen ich mir sicher war, sie nie wieder zu sehen. Die Zeit zog sich wie Teer. Dieses unbeschreibliche, kristallklare Grün sickerte in meine Gedanken und besetzte sie komplett. Sicherlich minutenlang starrte ich dem Bestatter einfach nur ins Gesicht, mein Kopf leer gespült und befreit von allen Gedanken. Nur diese Augen waren allgegenwärtig. Dass ich das Atmen eingestellt hatte, bekam ich noch nicht einmal am Rande mit. Auf einmal floss etwas Rotes seine endlos langen Wimpern entlang. Ich blinzelte geschockt auf das kleine Blutrinnsal, welches von seiner Stirn durch seine schlanke Augenbraue gesickert war und sich weiter zu seinem Auge geschlängelt hatte. „Was hast du gemacht?!“ Wieder blinzelte Undertaker: „Bitte?“ „Dein… Dein...“, ich starrte auf das Rinnsal, welches an seinem Augenwinkel vorbei auf dem Weg seine Wange hinunter war. Wo kam es plötzlich her? Dann sah ich durch einen Spalt in seinem Pony, dass eine zweite rote Spur seine Schläfe entlang geflossen und in den vielen silbernen Haaren verschwunden war. Ich verstand. Undertakers Kopf hatte erst gelegen, wodurch das Blut erst zur Seite gedriftet war. Jetzt wo er ihn hochgenommen hatte floss es nach unten. Ich zeigte zögerlich in Undertakers rechte Gesichtshälfte: „Du… du blutest!“ Mit einem weiteren irritierten Augenaufschlag nahm Undertaker seine langen Finger und befühlte sein Gesicht. Er verschmierte die kleine Bahn und schaute auf seine aneinander reibenden roten Fingerspitzen: „Oh, hehe. Das war wohl der Wellenbrecher.“ „Bitte?! Der Wellenbrecher?!“ Undertaker wischte sich eher beiläufig mit dem Ärmel über sein Gesicht: „Ja, der Wellenbrecher. Ich habe mir wohl ein bisschen den Kopf angeschlagen, als ich davon geschwemmt wurde.“ Ich schaute ihn mit großen Augen an. Das klang äußerst schmerzhaft, denn die Wellenbrecher hier waren aus Beton! Das muss furchtbar geknallt haben! Doch der Bestatter sah nicht wirklich mitgenommen aus. Er nahm lediglich den Arm wieder hinunter und grinste schief: „Nur gut, dass da drinnen eh nichts mehr kaputt gehen kann. Kihihi!“ Obwohl er sich das Blut aus dem Gesicht gewischt hatte, sah ich schon wie der nächste Tropfen den Weg aus seinem Pony fand. Ich wollte etwas dazu sagen, fragen ob er nicht Kopfschmerzen oder Sonstiges habe, doch plötzlich zerschlug ein lautes Krachen meine Verwunderung. Schreck fuhr so stechend durch mich hindurch, dass es körperlich weh tat. Ich schrie laut auf. Mein Kopf flog herum, ich warf reflexartig meine Arme um das was mir am nächsten war und zog es hilfesuchend an mich heran. Etwas bohrte sich direkt neben mir in den Boden. Mein Herz klopfte wie verrückt und ließ das Blut schmerzvoll in meinen Adern pulsieren. Schwer atmend starrte ich auf das, was neben mir eingeschlagen war. Es war Undertakers silberne Sense. Sebastian landete ein paar Schritte dahinter, lachte nur verstohlen und drehte sich um. Der Frack des Butlers trug eindeutige Zeichen eines nicht so einfachen Kampfes. Er war an einigen Stellen eingerissen und blutverschmiert. Im Vorbeigehen hob er Grell und Ronald am Kragen hoch, die immer noch hustend am Boden lagen. Dann sprang er mit ihnen davon. Der Geruch von Zucker, Gras und Zedernholz schlug mir entgegen. Ich riss die Augen auf. Erst jetzt realisierte ich, dass das was ich umarmte Undertakers Hals war. Ich war so geschockt aufgrund meiner eigenen Tat, dass ich es nicht schaffte mich zu bewegen. Ich schaffte es nicht ihn loszulassen, da mein Herz gerade dabei war vor Scham zu explodieren… und… ich wollte es auch gar nicht… Ich wollte Undertaker nicht wieder loslassen… Ich wollte einfach nicht… Mein explodierendes Herz verkrampfte. Ich wusste, dass ich ihn loslassen musste. Es war ihm sicher unangenehm, wenn es ihm nicht sogar widerstrebte, denn… Niemand wird gerne von jemandem umarmt, den er nicht mochte. Mit diesem Gedanken war alles wieder da. Mit diesem Gedanken kam der ganze Schmerz zurück. Mit diesem Gedanken kamen all die Erkenntnisse zurück. Dass er mich eigentlich nicht mochte. Dass ich ihm egal war. Dass er mich schon wieder hatte retten müssen und ich ihn sicherlich furchtbar nerven musste. Ich wollte mich dazu durchringen ihn loszulassen, doch durch diese furchtbaren Gefühle hatte ich - ohne dass ich es bemerkte oder steuern konnte - meine Augen zusammengekniffen und den Kopf des Totengräbers nur näher an mich herangezogen. Ich merkte auch nicht, dass ich zu Schluchzen begonnen hatte. Als sich mein Körper unter dem schmerzhaften Schluchzen zusammenzog, verkrampften sich meine Arme um den Bestatter, der mich nicht mochte und den ich in den letzten zwei Tagen so unglaublich vermisst hatte. Ich merkte wie Undertaker sich ein Stück aufrichtete. Wahrscheinlich wollte er sich aus meinem Griff befreien. Mein Herz zog sich schmerzhaft ein weiteres Stück zusammen und mit weiterem Wimmern liefen Tränen meine Wangen hinunter. Gegen einen enormen inneren Widerstand ankämpfend, lockerte ich meinen Griff um Undertaker loszulassen. Denn dass er wieder ging, konnte ich eh nicht verhindern... Doch bevor ich meine Arme zurückgezogen hatte passierte etwas, was nicht mehr in meine Welt passte. Zwei Arme falteten sich um meinen Rücken und zogen mich an sich heran. Undertaker zog mich an sich heran. Undertaker umarmte mich. Und... er hielt mich fest. „Wa...“, schluchzte ich: „Warum tust du das?“ „Weil ich nicht möchte, dass du weinst“, hörte ich seine ruhige Stimme. Ruhig und weich, wie schwarzer Samt. Ohne das altbekannte Giggeln oder Lachen, doch nicht ansatzweise gefährlich, wie das letzte Mal als ich sie hörte. Sie war beruhigend und warm. Diese Tonlage war so schön. Undertaker hatte eine so schöne, tiefe Stimme, wenn er nicht wie eigentlich üblich kichernd und lachend höher sprach, als seine Stimme eigentlich war. Ich schluchzte ein weiteres Mal: „Aber… Aber wieso…?“ „Weil ich möchte, dass du glücklich bist.“ Dieser Satz traf mich wie ein Tritt in die Magengrube. Dieser Satz traf mich so hart, weil ich ihn kannte. Weil ich ihn selbst schon gesprochen hatte. Zu ihm. Auf dem Balkon des Manor Phantomhives: „Aber… Aber… Aber...“ Ich konnte nicht verhindern, dass aus meinen Worten ein Heulen wurde. Ich wusste nicht mehr was ich denken sollte. Ich war verwirrt bis ins Letzte. Warum sagte er sowas? Er mag mich doch gar nicht! Warum hielt er mich fest? Ich war ihm doch egal! Warum? Warum passierte das alles?! Meine gereizten Lungen brachen durch mein Weinen in einen neuen Hustenanfall aus. Es tat so weh. Ich hatte so starke körperliche und seelische Schmerzen. Ich merkte wie mein Körper unkontrolliert zitterte. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich konnte nichts dagegen tun, dass ich ihn wieder so fest hielt wie ich konnte. Ich konnte nichts dagegen tun, dass ich hustete und weinte. Und ich konnte nichts dagegen tun, wie gerne ich in seinen Armen war. Ganz nah bei ihm. Denn zwischen unsere nassen Körper passte nicht mal mehr ein Blatt Papier. „Sccchhhh“, hörte ich wieder seine tiefe Stimme. Eine Hand streichelte über meinen Rücken: „So beruhige dich doch.“ „Ich… Ahe! Ahe! Ich...“ „Atme tief durch. Beruhige dich.“ „Ich...Ahe!“ „Sprich nicht. Atme tief durch.“ „Aber...“, ich kniff die Augen zusammen… und Wörter sprudelten unkontrollierbar aus meinem Mund: „Ich bin so ein Idiot! Ahe! Ahe! Ich hab alles falsch gemacht! Ich… Es tut mir leid! Du… Du musst mich nicht mehr retten. Ich... rede mit Amy, du... du musst nicht mehr so tun, als würdest du mich mögen. Ich… Ich… Ich...“ Weiteres lautes Wimmern schüttelte mich und zwang mich abzubrechen. Ich kniff meine Augen zusammen, wollte so irgendwie meine Tränen stoppen und mich zwingen nicht mehr zu weinen. Doch ich schaffte es nicht. Ich konnte nicht aufhören zu wimmern und zu schluchzen. Ich konnte die Tränen nicht aufhalten, die von meinem Kinn auf Undertakers eh schon nassen Mantel tropfen. Es war so kalt. In mir war alles so kalt. Gleichzeitig glühte der Schmerz in meinem Herzen. Die Luft, die durch meine nassen Kleider wehte, fühlte sich an als schnitt sie in meine Haut: „Ich… Ich…“ Die Arme verschwanden. Sie verschwanden und aus der Kälte wurde eine arktische Stille, die mein Weinen erstickte. Aus dem glühenden Schmerz wurde eine Flamme und benutzte meine Seele als Zunder. Seine Arme verschwanden und ich war mir klar, dass er nun, wo ich sagte er brauche sein Theater nicht weiterspielen, aufstand und ging. Einfach wieder ging. Weg von mir. Doch Hände griffen meine Schultern und schoben mich ein Stück von ihm weg: „Was hast du da gerade gesagt?“ Ich schlug die Hände vor mein Gesicht um es zu verstecken. Ich wollte nicht, dass Undertaker mich weinen sah. Ich wollte nicht, dass ich noch erbärmlicher wirkte, als ich eh schon war. Klein und unbedeutend. Nervig und so endlos unwichtig. Eine Hand griff meine. Ihr Griff war kräftig und bestimmt, doch nicht schmerzhaft. Sie zog meine Hände von meinem Gesicht: „Sky? Was hast du da gerade gesagt?“ Ich starrte durch meinen Tränenschleier auf meine Beine: „Die… die Wahrheit...“ „Denkst du das wirklich?“ Ich konnte nur nicken. Die Hand ließ meine Hände los und griff mein Kinn. Sie wollte meinen Kopf nach oben drücken. Doch ich schlug sie weg. Das Knallen der aufeinander treffenden Hände war furchtbar laut. Viel lauter, als ich es erwartet hatte. ...Dieses kalte Gefühl in mir... Durcheinandergebracht von einer konfusen Verwirrung… Ich wollte nicht, dass er mein Gesicht sah. Und ich wollte seines nicht sehen. Ich konnte diesen Anblick nicht ertragen. Ich konnte diese Augen nicht ertragen. Diese unglaublichen, endlos grünen Augen... Menschen waren ihm egal! Ich war ihm egal! Er hatte das alles nur gesagt, weil er dachte Amy weiter einen Gefallen tun zu müssen. Als er merkte, er musste es nicht mehr, hatte er mich losgelassen… Die Sache war klar! Es gab keinen Grund verwirrt zu sein! Es war einfach klar! So kristallklar wie seine Augen... Ich schob meinen Körper ein Stück nach hinten. Rutschte von ihm weg, als immer noch Tränen von meinem Kinn tropften. „Warte“, eine Hand griff meine. Hielt sie fest. Verhinderte, dass ich weiter nach hinten rutschen konnte. Ich blinzelte. Als die angestauten Tränen aus meinen Augen gekullert waren, wanderte mein Blick meinen Arm hinunter. Die Hand, die meine hielt, hatte lange Finger… und schwarze lange Fingernägel. „Bitte“, hörte ich wieder die tiefe Stimme des Totengräbers: „Warte.“ Warum sollte ich warten? Wollte er mir detailliert erklären, dass er jetzt ginge und nie wieder käme? Mir ungeschönt noch mehr Wahrheiten um die Ohren hauen, wie knallende Ohrfeigen? Mich schallen wie ein kleines Kind? Das brauchte ich nicht. Ich hatte schon lange verstanden. Und das… das tat schon bei weitem weh genug. Ich war mir sicher, es aus seinem Munde zu hören, ...laut ausgesprochen... dass würde ich nicht verkraften. Ich hatte ja jetzt schon keine Kraft mehr. Denn eigentlich war ich immer noch furchtbar müde. Ich wollte nicht mehr... Resigniert schüttelte ich meinen hängenden Kopf. „Bitte“, obwohl ich es nicht sah hörte ich durch das Rascheln seines Mantels, dass er sich zu mir beugte: „Schaue mich an.“ Etwas Kaltes berührte kurz meine Wange. Doch mein Gesicht zuckte sofort vor seiner Hand weg. „Sky, schaue mich an“, seine Hand legte sich ein weiteres Mal auf meine Wange. Ich kam gegen diese Beharrlichkeit nicht mehr an. Diese Beharrlichkeit, die ich nicht verstand. „Warum?“, fragte meine Stimme nur leise, als ich nicht aufschaute obwohl ich seiner Hand nicht mehr auswich. Ich wusste nicht, was ich von dieser Berührung halten sollte. Sie war behutsam. Hatte nichts Negatives an sich. Doch sie tat weh. In meiner Seele tat diese Berührung furchtbar weh. „Bitte. Tu‘ es“, antwortete mir der Bestatter ohne einen Grund zu nennen. „Du musst nichts sagen“, erwiderte ich. Ich wollte eine feste Stimme an den Tag legen. Doch sie war nur dünn und leise: „Ich habe verstanden… Ich habe alles verstanden. Menschen sind dir egal… und ich. Ich bin ein Mensch.“ Ich hörte ein langes Seufzen. Es klang komisch. Es war nicht das typisch halb schmunzelnde Seufzen, was man von ihm kannte. Dieses Seufzen… war einfach nur ein Seufzen. Ein recht schweres Seufzen sogar. „Ja“, hörte ich seine Stimme nach ein paar Sekunden wieder: „Sind sie. Menschen sind mir egal. Bis auf einige und du...“ Ich drehte meinen Kopf von ihm weg. Dadurch verschwand seine Hand von meiner Wange. Meiner Stimme schnitt durch seinen Satz: „Siehst du. Du musst nichts mehr sagen...“ „Doch, muss ich“, konterte er: „Aber nicht so. Schaue mich an. Sky. Schaue mir ins Gesicht.“ „Warum?“ „Weil du mich so nicht verstehen würdest.“ Irgendetwas in meinem Kopf explodierte. Ich riss meine Hand aus seiner, setzte mich auf die Knie und schaute dem Bestatter nun doch in sein Gesicht. Getragen von meinem Schmerz und meinem Frust rannen die Tränen wieder in Bächen über meine vom Weinen wunden Wangen. Dann schrie ich ihn an. Resigniert von den verwirrenden Signalen, die ich nicht mehr deuten konnte, irritiert und hin und her geworfen von dieser quälenden Verwirrung, schrie ich ihn einfach nur an: „Ich habe dich sehr wohl verstanden! Ich habe alles verstanden! Du bist ein Sensenmann! Du bist kein Mensch und du hast mit ihnen nicht mehr am Hut, als sie als Versuchskaninchen zu benutzen! Du hast mir gesagt, du würdest nie lügen! Und ich dummes Stück hab‘ dir geglaubt! Doch eigentlich war alles was du getan hast doch nur ein großes Theater! Eine riesige Komödie und ich war deine Witzfigur! Gut genug zum erschrecken und zum auslachen! Zum an der Nase herumführen und drüber lustig machen! Denn für mehr brauchst du Menschen nicht!“, meine Stimme war heiser, meine Stimmbänder taten weh und in meinem Hals kratzte schon wieder ein trockener Hustenkrampf, doch all das kam gegen meine heiße Frustration nicht an. Heiße Frustration resultierend aus dieser eiskalten Kraftlosigkeit, die ich einfach nicht mehr ertrug: „Du hast mir wochenlang vorgespielt du seiest ein Mensch! Du hast mir noch länger vorgespielt du würdest mich mögen. Doch das war alles nur heiße Luft! Warum hast du nicht einfach gesagt, dass du genervt von mir bist?! Warum hast du mich nicht einfach aus deinem Laden geworfen?! Warum hast du meine Geschenke nicht einfach vor meinen Augen in den Müll geschmissen und damit gewartet bis ich weg bin, hm?! Warum hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?! Warum hast du nicht viel früher gesagt, was du von Menschen hältst?! Dann hätte ich viel früher verstanden was du von mir hältst und du hättest mir und dir eine Menge erspart!“ Undertaker griff meine Schultern: „Sky, ich…!“ Doch ich nahm seine Hände an den Handgelenken, streckte sie von mir weg und dachte nicht daran ihn ausreden zu lassen: „Pfoten weg! Fass‘ mich nicht an!“ Ich wusste nicht ob es wirklich Wut war, die mich schreien und gleichzeitig weinen ließ. Ich wusste nur, dass ich meine Hände aus irgendwelchen Gründen so fest um Undertakers Handgelenke krallte, dass meine Knöchel weiß wurden. Obwohl ich ihm noch entgegen geschrien hatte, er solle mich los lassen. „Sky, ich…!“ Ich ließ eine Hand los und drückte meine nun freie Hand recht unsanft auf seinen Mund: „Nein! Nein, ich will nichts hören!“ Undertaker zog recht verständnislos eine Augenbraue hoch. „Was soll dieses Gesicht?!“ Er nahm nun seine wieder freie Hand und deutete mit seinem Zeigefinger auf meine Hand vor seinem Mund. „Ich hab doch gesagt, ich will nichts hören!“ Ich merkte seinen Atem über meine Hand streifen, als er abermals seufzte. Dann nahm er seine Hand und drückte meine von seinem Gesicht: „Erst stellst du mir Fragen und dann schreist du mich an, du willst nichts hören. Das ist paradox.“ Ich stockte. Ich stockte als mir fast schmerzlich bewusst wurde, dass er Recht hatte: „Ich… also… ich...“, ich presste meinen Mund zusammen. Nun… wusste ich nicht mehr was ich sagen sollte. Meine verspannten Lippen zitterten und mit ihnen mein ganzer Unterkiefer. Tränen brannten wieder in meinem Augen. Ein klägliches Wimmern surrte durch meinen Hals, als ich die Augen wieder aus dem Gesicht des Bestatters fallen ließ. Ich atmete raschelnd durch. Raschelnd, weil ich wieder krampfhaft versuchte nicht zu weinen: „Ich… Ich will einfach nicht… dass du so tun musst, als würdest du mich mögen… Ich... Ich will nicht, dass du weiter lügen musst… Ich...“, ich brach ab. Ich brach ab und machte große Augen. Ich brach ab, weil es mir endgültig die Sprache verschlug. „Nicht du bist der Idiot“, sprach die tiefe Stimme, die nun direkt neben meinem Ohr war. Die genau neben meinem Ohr war, weil mich zwei Arme wieder zu dem Bestatter zogen. Eine seiner Hände lag beruhigend auf meinem Hinterkopf, während die Andere fest um meine Schultern lag: „Ich bin es.“ „Aber… aber...“ Ich merkte an meiner Wange wie er den Kopf schüttelte: „Nichts aber.“ Meine Unterlippe zitterte noch mehr und wieder entfloh mir nur ein ebenso zittriges Wimmern. „Was du sagst… Das ist alles nicht wahr.“ Ein kribbliger Schreck fuhr durch mich hindurch, der mir nun auch noch den Atem raubte. „Ich habe nie gelogen, Sky. Ich habe nie behauptet ich sei ein Mensch. Ich habe dir so oft gesagt, dass ich kein gutes Wesen bin. Ich habe nie behauptet ich würde Menschen mögen, doch“, seine Arme zogen mich näher zu ihm: „Doch dich. Dich mag ich wirklich.“ „Was?“, keuchte ich. Ich zitterte. Schon wieder. Ich wusste nicht was ich fühlte. Ich wusste nicht, ob ich mich freute das alles zuhören oder ob ich ihm schlicht nicht mehr glaubte. Ich wollte so gerne glauben, doch… irgendetwas in mir konnte es nicht… „So wie ich es sagte“, sprach der Totengräber weiter: „Du warst nie eine Witzfigur für mich und schon gar nicht Teil irgendeiner Komödie. Ja, ich habe mit dir Scherze getrieben. Aber das liegt daran, dass ich vollkommen verrückt bin und an nichts anderem. Ich habe dich nie belogen, noch weniger warst du ein Versuchskaninchen, oder habe ich dich an der Nase herumgeführt. Warum ich nie sagte, ich sei genervt? Weil ich es nicht war. Warum ich dich nie aus meinem Laden geschmissen habe? Weil ich es nicht wollte, denn ich war glücklich dass du da warst. Warum ich deine Geschenke nicht vor deinen Augen in den Müll geschmissen habe? Sky, ich habe deine Geschenke nie weggeschmissen. Ich habe mich viel zu sehr darüber gefreut. Über das Bild und die leckeren Kekse“, er lachte kurz: „Ich habe immer noch welche davon. Es war nicht ganz einfach, aber ich habe sie mir eingeteilt. Nihihi! Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz was ich tun soll, wenn sie irgendwann doch leer sind. Aber ja, ich hätte dir einiges ersparen können. Als ich dir versprach, dir Rede und Antwort zu stehen, habe ich nicht erwartet, dass du hinter die Ereignisse auf der Campania kommst oder je davon erfährst. Was dumm von mir war. Denn ich wusste ja schon lange was für ein kluges, hübsches Ding du bist.“ Ich merkte wir ich meine Körperspannung verlor. In den Armen des Totengräbers sackte ich zusammen, wodurch er mich noch fester umarmte. Die Tränen brannten in meinen Augen wie Feuer. Ein Teil von mir schrie, dass er lügen musste. Der andere hatte sich zusammengerollt und heulte. War das alles wirklich wahr? Dachte er so? „Aber…“, ich konnte meine eigene Stimme kaum hören: „Ich bin doch nur ein Mensch...“ „Nein“, er lockerte die Umarmung. Etwas in mir schrie: ‚Hab ich‘s doch gesagt!‘ Etwas anderes ermahnte mich erst abzuwarten. Und ich wartete ab. Denn der Arm um meine Schultern verschwand nicht. Die Hand die auf meinem Hinterkopf lag wanderte nach vorne, verblieb auf meinem Kinn und positionierte mein Gesicht so, dass ich ihn ins Gesicht schauen musste. Ich blinzelte, was wieder ein paar Tränen in die Freiheit entließ. Ich sah seine Smaragdaugen, die wieder zu leuchten anfingen, da die Sonne anfing am Horizont zu verschwinden und schon ein schwarzer Streifen Nacht am Himmel erschien. Ich sah seine schmalen warm lächelnden Lippen, die den kleinen Zweifler in mir einen heftigen Tritt verpassten und in eine innere Wand krachen ließen. Eine Wand, die bei diesem Anblick zu bröckeln anfing. Bei diesem süßen Lächeln, das diese Worte gesprochen hatte… und weiter sprach: „Du bist bei weitem mehr als nur ein Mensch für mich.“ Ich zog meine angespannten Lippen zwischen die Zähne und kaute nervös darauf herum, während noch eine Träne sich den Weg nach draußen bahnte. Undertakers Augen folgte kurz der kleinen Zähre und mit einem seichten Lachen verschwand seine Hand von meinem Kinn. Er wischte sachte all die vielen Tränen fort: „Du warst vom ersten Moment an eines meiner Lieblingswesen.“ Ich schaute ihn mit großen Augen an: „Was?“ Er legte lächelnd den Kopf schief: „Glaubst du mir nicht mehr?“ Ich ließ meine Augen hinabfallen: „Ich… Ich weiß nicht… Ich... kann mir halt vorstellen, dass es für jemanden wie dich doch nervig ist mich ständig retten zu müssen. Heute schon wieder…“ „Na na“, sprach er ruhig und drückte mit seinem langen Zeigefinger meinen Kopf wieder hoch. Ich schaute ihn wieder in sein sanft lächelndes Gesicht: „Du bist nicht nervig. Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Ich bin wahrlich Jemand, der nicht viel bereut und wahrscheinlich“, er lachte wieder kurz und neigte dabei den Kopf zur Seite. Seine Augen wanderten kurz aus meinem Gesicht. Sein Lachen klang wieder komisch: „Macht mich das nicht gerade zum sympathischsten Wesen zwischen den Welten, doch“, er schaute mich wieder an. Und dieser Blick wirkte unglaublich bedeutungsschwer: „Das ich einige Male nicht verhindern konnte, dass dir etwas zustößt. An Amys Geburtstag. An deinem Geburtstag. Heute. Das“, er atmete einmal schwer aus und sein Lächeln wirkte auf einmal nicht mehr warm, sondern bestürzt: „Das bereue ich wirklich.“ Trotz des Zeigefingers an meinem Kinn klappte mir der Mund ein kleines Stück auf. Ich hatte das Gefühl mir hätte jemand etwas Hartes vor die Stirn geschlagen. In meinem Kopf war nichts sortiert. Ja und Neins flogen vollkommen wirr darin herum und sorgten dafür, dass ich nicht mehr denken konnte. Ich starrte ihn einfach nur an. Vollends verblüfft und überfahren. Sein Zeigefinger wanderte meinen Kieferknochen entlang, hinterließ auf ihren Weg eine kribbelnde Spur und seine lange Hand wischt mir sanft den Pony aus dem Gesicht, bis sie an meiner Schläfe stehen blieb: „Sage es mir. Sage mir was ich tun muss, damit du mir wieder glauben kannst. Oder sage mir, dass du es nie wieder können wirst und ich werde gehen. Doch ich werde immer dann da sein, wenn dir irgendetwas passieren könnte. Denn das habe ich dir versprochen und meine Versprechen sind mir wichtig. Diese Versprechen sind mir wichtig, weil du mir wichtig bist.“ Die bröckelnde Wand brach zusammen. Ihre Staubwolke vernebelte meinen Verstand und brachte mich dazu vollkommen intuitiv zu agieren. Ich warf meine Arme um den Totengräber und vergrub mein Gesicht in seiner Schulter. So wie vorher. So wie ich es vorher immer getan hatte, wenn es mir in seiner Nähe nicht gut gegangen war. Und er legte seine Arme um mich und zog mich an sich heran. So wie er es vorher immer getan hatte, wenn es mir in seiner Nähe nicht gut gegangen war. „Ich“, schluchzte ich… schon wieder: „Ich… Ich war so konfus! Du klangst so grausam! Was du sagtest war so grausam! Wie du geschaut hast war so grausam! Ich konnte… nein... ich kann mir immer noch nicht vorstellen, was du da getan hast! Aber… Aber ich will nicht, dass du gehst! Bitte, bitte nicht!“, damit… brach ich auch schon wieder in weitere Tränen aus. Ich zog meine Arme um ihn fester: „Ich weiß, ich war die, die weg gerannt ist. Es tut mir leid! Bitte… bitte bleib hier...“ Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich wirklich nicht nervig fand. Ich war nur am weinen… und am jammern… und am schluchzen… und am wimmern. Ich hatte die letzten 48 Stunden nur wenig anderes getan. Doch seine Hand an meiner Schläfe strich behutsam über die Seite meines Gesichtes: „Sccchhh sccchhh, meine kleine Puppe. Ich bin hier, hörst du?“ Ich zog meine Arme um ihn noch fester. So fest ich konnte. Doch so fest ich konnte, war nicht sonderlich fest. Ich war so schwach und es war alles so anstrengend. Ich war so müde. Mir war schwindelig vom ganzen Weinen. Ich hatte Kopfschmerzen von dem ganzen Chaos in meinem Kopf. Ich war verwirrt, weil etwas aus den Trümmern meiner Wand immer noch Vorsicht rief. Mir war kalt, weil ich an einem kühlen Novemberabend komplett nass im Freien saß. Auch Undertaker fühlte sich kalt an. Er war ebenfalls vollkommen durchnässt. Zudem war sein Körper immer ziemlich kühl, was sich nun ungünstig ergänzte. Doch… obwohl sein Körper so frostig und klamm war, waren seine Worte, sein Verhalten und seine Berührungen so warm. Er hielt mich fest und ertrug mein Geflenne mit einer Engelsgeduld. Hat einfach hingenommen, dass ich ihn anschrie. Hat meine Launen ein weiteres Mal einfach ertragen und in einer Umarmung erstickt. Ich war mir bewusst... Undertaker war immer noch ein unglaublich gefährliches Wesen. Doch… er wirkte gar nicht mehr gefährlich. Er wirkte so herzlich. Nein… Nein, ich wollte nicht, dass er ging. Mein Körper hatte seinen Zenit überschritten. Mein Kopf war vollkommen neben der Spur, doch mein Herz… mein Herz freute sich. Es freute sich über alle Maßen. Und es genoss. Obwohl ich weinte genoss es jede Sekunde in Undertakers Armen. Ich wollte alles um ihn verstehen. Ich wollte etwas an all dem was mir Angst machte finden, dass Undertaker weniger schrecklich wirken ließ… und eigentlich hatte Amy mir schon etwas gegeben. Sie hatte mir vor vielleicht etwas mehr als einer Stunde etwas erzählt, was das alles weniger schrecklich machte. Nicht zwingend einwandfrei… aber auch da hatte Amy recht. Um Perfektion, um Fehlerfreiheit ging es nicht. Undertaker verleumdete nichts. Er stand zu dem was er getan hat. Er stand dazu und dahinter. Er war ehrlich und redete nichts schön. Und das… das zeugte von einer Menge Charakter. Mehr Charakter, als die meisten Menschen zeigten. Wahrscheinlich kam seine Sicht auf die Welt wirklich nicht von Irgendwo. Sie kam aus vielen gesehenen Leben und eigenen schmerzhaften Erfahrungen. Und darum… Um so etwas ging es. Um Ehrlichkeit und um das Bejahen eigener Taten. „Hey, hey. Durchatmen, meine Schöne“, riss mich die Stimme des Inkognito-Sensenmann aus meiner inneren Abhandlung. Ich versuchte es. Es funktionierte nur nicht: „Es geht nicht! Ich muss... Ich kann nicht...“ „Weine, wenn du weinen musst“, er strich mir durch die Haare: „Quäle dich nicht. Ich bin hier.“ Und mit diesen Worten blieb er einfach nur da. Er saß einfach nur da und wartete ab. Wartete ab und hielt mich fest, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Und es dauerte, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Irgendwann ebbte mein Weinen in ein Schluchzen ab. Und nach ein paar Mal Schluchzen wurde mir bewusst, dass ich den Totengräber jetzt schon minutenlang um den Hals hängen und ihm die Ohren voll plärren musste. Mit einem Ruck zog ich meinem Kopf aus seiner Schulter, atmete einmal tief durch und ließ ihn nach hinten kippen: „Himmel! Ich bin so peinlich!“ Seine Hand - die vom Streichen durch meine Haare noch auf meinem Hinterkopf lag - bog meinen Kopf nach vorne. Meine Stirn landete auf seiner. „Äh-äh“, lachte er seicht und schüttelte den Kopf. Das Schütteln seines Kopfes ließ meinen Kopf auf seiner Stirn mit schütteln. Seine kalte Nase streifte dabei zweimal über meine: „Bist du nicht.“ Ich hob meine Augen in seine. Sie leuchteten hell. Funkelten wie zwei grüne Sterne. Die Sonne musste untergegangen sein... Und es sah erstaunlich aus! Ich seufzte: „Doch… ganz doll sogar.“ Er lachte noch einmal. Es war kein albernes Lachen. Sondern warm und aufmunternd: „Hehe. Aber nein. Nicht ansatzweise.“ „Doch… und du musst es ertragen...“ „Hey“, er nahm seine Stirn von meiner: „Fu fu fu. Das hier ist alles meine Schuld. Also hab ja kein Mitleid mit mir.“ „Das…“, ich schaute schräg zu Seite: „Ist nicht deine Schuld. Das ist meine… Ich hab meine Nase in deine Angelegenheiten gesteckt, obwohl ich merkte, dass du nicht drüber sprechen möchtest. Ich zwang dich es zu tun und dann... bin ich weg gerannt… Ich weiß nicht, warum ich das getan hab… Es war total doof und… und gemein...“ „Nein“, er tippte mir auf die Nase und ich schaute ihn wieder an. Er legte den lächelnden Kopf schief: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du es verstehst. Ich hätte es auch nie verlangt. Ein so reines, junges Ding wie du kann so etwas nicht verstehen“, sein Lächeln bekam wieder eine komisch traurige Nuance: „Aber ich verstehe dich. Glaube mir, ich war nie sauer oder wütend über das, was du getan hast. Ich habe es verstanden und ich dachte es war“, er atmete kurz durch: „Ich denke es ist besser so.“ Schon wieder wurde etwas in mir aufgeschreckt: „Was?! Wieso?!“ Er schüttelte kurz mit geschlossenen Augen den Kopf und öffnete sie wieder: „Ich weiß, dass ich… dass ein Wesen wie ich es bin kein Wegbegleiter für dich ist.“ Ich riss die Augen auf. Ging er jetzt doch wieder?! Ein paar Momente starrte ich ihn an. Ich starrte ihn an, während ein kalter Schock mich lahmlegte. Die Angst, dass er doch fort ging. „Wie“, ich schluckte gequält: „Wie meinst du das?“ Undertaker musterte eine kurze Ewigkeit mein Gesicht. Seine lange, vom Wasser und Wind eiskalte Hand fuhr einmal komplett über die Seite meines Gesichtes. Dann schaute er mir in die Augen: „Ich bin ein Mörder“, er legte die Stirn an meine. Schloss seine leuchtenden Augen. Strich schon fast rastlos mit seinen kalten Fingern über mein Kinn, meine Unterlippe, meine Wange: „Ein Massenmörder sogar. Ein vollkommen verrückter Massenmörder“, dann schlug er seine Augen wieder auf. Schaute tief in meine. Von ganz nah. Mein Puls raste. Wo seine Finger meine Haut berührt hatten knisterte es, als stünden diese Stellen unter Strom. Mir gefielen seine Worte nicht. Mir gefiel nicht, wie er über sich sprach. Ich schüttelte den Kopf: „Du bist kein verrückter Massenmörder. Du bist ein verletzter Mann, der seinen besten Freund vermisst. Das macht einen himmelweiten Unterschied.“ Undertaker lachte flach: „Ich bin ein verrückter Massenmörder und ein verletzter Mann, der seinen besten Freund vermisst. Das Eine schließt das Andere nicht aus.“ „Osiris“, sagte ich leise. Undertakers Kopf zuckte ein Stück zurück. Doch sein Gesicht war nur ein paar Zentimeter entfernt. Gerade so weit, dass ich es ganz sehen konnte als er mich fast irritiert ansah. Ohne Lächeln. Irritiert… und sichtlich nicht erfreut: „Woher kennst du diesen Namen?“ „Amy.“ Jetzt lachte Undertaker in Erkenntnis. Doch es war kein fröhliches Lachen: „Hehe. Sie hat den Butler ausgefragt, richtig?“ Ich nickte. „Herrje… Hehe! Ich hätte mir denken können, dass die kleine Phantomhive nicht locker lässt.“ „Die Campania war nie deine Idee, oder?“ Er schüttelte den Kopf: „Nein, aber das macht nichts besser.“ „Natürlich!“ Er lachte wieder freudlos: „Tihi. Sky. Ich habe mitgemacht. Zwingen musste man mich zu nichts. Chamber unterbreitete mir den Plan und ich habe sofort zugestimmt. Ich wollte wissen, wozu meine Dolls fähig sind. Ich habe mich Chamber und Stocker wahrlich nicht aus Sympathie angeschlossen. Sie waren nützlich. Stocker war nützlich, übereifrig, von seiner Begeisterung geblendet und dumm. Die perfekte Marionette. So hatte ich durch das Karnsteinhospital mehr als nur massig Material. Ich wollte wissen wie weit meine Dolls wirklich waren.“ ‚Chamber?‘, irgendetwas in meinem Kopf klingelte. Mir war als sei mir dieser Name in der letzten Zeit schon mal über den Weg gelaufen. Doch mein durcheinander gewürfelter Verstand konnte mir nicht sagen wann, oder wo. Also beschloss ich vor erst nicht weiter zu bohren. Ich wollte nicht, dass er wieder ging und ich war mir mittlerweile das die Campania ein recht rotes Tuch zu sein schien. Zumindest teilweise. Ich wollte keinen Grund für neuen Streit, oder was auch immer das Freitagabend zwischen uns gewesen war. Wer dieser ‚Chamber‘ war, würde ich sicherlich irgendwann schon herausfinden. Also schob ich die Frage bei Seite und schüttelte bestimmt den Kopf: „Die Dolls an sich, Undertaker, das ist halb so wild.“ Er zog eine Augenbraue hoch: „Was?“ Ich seufzte kurz und legte meine Hand auf seine Brust. Ich spürte wie sein Herz durch sein nasses Hemd gegen meine Handfläche klopfte. Kräftig und beständig. Dieser Rhythmus surrte vibrierend durch die Nerven meines ganzen Armes: „Diese Menschen waren schon tot, Undertaker. Die hat das doch nicht mehr interessiert. Doch das mit der Campania… das hat sich angehört, als hast du dir Monster zusammengebastelt um die verdorbene Menschheit zu vernichten oder irgendwie sowas. Aber das war gar nicht deine Intension. Du warst nur neugierig und hast dich an Dinge… Menschen… gehalten, denen es nicht mehr schadet. Osiris hatte die Idee ein Massaker daraus zu machen.“ Undertaker blinzelte mich mit großen Augen an: „Aber du weißt was du da sagst, ja?“ „Ja“, hielt ich seinen Blick stand: „Doch denke nicht, dass ich deine Aktion auf der Campania gut finde. Das war gelinde gesagt richtig scheiße, Undertaker. Das war so richtig großer Mist. Viel davon. Verdammt viel davon. Aber“, ich schaffte ein Lächeln, was Undertaker noch größere Augen machen ließ: „Ich glaube fest daran, dass du deine Gründe gehabt haben wirst und das diese Gründe nicht die Vernichtung der Menschheit und die Ausrottung allem Übels waren.“ Undertaker schüttelte den Kopf: „Nein. Nein, das war es nicht. Ich war neugierig. Ich wollte einfach nur wissen, wie alles ausging... und... ja...“ „Siehst du? Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Doch unwichtig ist er auch nicht.“ Undertaker schnaubte kurz. Es war nicht ansatzweise amüsiert. Dann fuhr er gedankenverloren mit einem seiner Fingernägel die Konturen meines Kinns entlang. Es kitzelte. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. „Du bist so schön“, sprach er leise und vollkommen kontextlos. Ich blinzelte ihn an, ein warmer Schatten flog auf meine Wangen: ‚...Was?‘ „Und du hast so eine reine Seele.“ ‚Was?‘ „Und so einen unglaublichen Charakter.“ ‚Was?!‘ Sein Finger strich über meine Unterlippe: „Du hast so viel an dir was so liebreizend ist, dass mir die Worte fehlen es zu beschreiben, meine Schöne.“ Mein Herz übersprang einen Schlag. Meine Gedanken kamen ins Stocken, fingen dann an zu rasen und fielen übereinander: ‚WAS?!… Wie bitte?… Ich… Er… Was?!….?!‘ Er schloss die Augen, als er einmal durchatmete. Sein Lächeln verschwand. Verschwand in ein traurig ernstes Gesicht. Bei diesem Anblick schwante mir übles. Ich war mir aus irgendeinen Grund mehr als nur bewusst, dass mir was folgen wird nicht gefallen würde: „Ich habe das alles nicht.“ „Was?“, floh mir die immer gleiche Frage aus meinen Gedanken. Sein Tonfall… Er klang nach Abschied. Mein Herz zog sich zusammen. Mit meiner freien Hand verschränkte ich meine Finger in die Finger seiner Hand, die nicht in meinem Gesicht lag. Die andere krallte sich in sein Hemd. Drückte das Wasser aus dem Stoff und ließ es kalt über meine Finger rinnen. Ein stümperhafter Versuch zu verhindern, dass er doch wieder ging. Undertaker schaute mich wieder an: „Ich habe keine reine Seele. Bin kein unglaublicher Charakter. Ich bin mitleidslos, reuelos, selbstsüchtig, rachsüchtig. Einfach schlecht und verdorben bis ins Letzte. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich verderben würde. Doch genau das würde passieren.“ Sein Gesichtsausdruck war herzzerreißend. Er zerfetzte meins geradezu. Seine Mundwinkel hingen ein Stück nach unten. Nur ein ganz kleines Stück, doch dies reichte um ein schmerzhaftes Surren durch mich hindurch zu schicken. Ich hatte seinen Mund schon hin und wieder gerade gesehen, doch das? Das sah ich zum ersten Mal. Seine schimmernden Augen sahen so betrübt in meine. Mein Blick verhedderte sich darin. Und seine Stimme… sie klang so schwer, als er weiter sprach: „Es war gut, dass du ranntest. Du hast vollkommen intuitiv das Richtige getan. Ein so unbescholtenes, lauteres und argloses schönes Ding wie du, sollte ihre Zeit nicht mit einem Scheusal, wie mir, verbringen.“ „Was?“, kalter Schock griff mich mit klammen Fingern: „Scheu… Bitte?! Scheusal?!“ Ich wollte nicht, dass er so final klang. Ich wollte nicht, dass er wieder ging. Ich wollte auch nicht, dass er so über sich selbst sprach. Warum? Warum sprach er so schlecht über sich? „Wa-warum sagst du sowas? Warum redest du so schlecht von dir?“ „Weil ich nicht lüge.“ Der kalte Schock in meiner Brust zog sich enger, als ich unfähig wegzusehen weiter in seine Augen starrte. Die Berührung seiner kalten Hand surrte in meinem Gesicht: „Aber… Das stimmt nicht! Du bist so gar nicht!“ „1873“, erwiderte der Bestatter. Ich werde nie wieder vergessen, was diese Zahl bedeutet. Ich drückte seine in meine verschränkten Finger fester: „Aber… warum bist du gerade nicht so?“ Auf seinem Gesicht erschien ein halbes Lächeln: „Wegen dir.“ „Was? Warum?“ Sein Daumen fuhr über meinen Wangenknochen: „Weil ich dich mag.“ „Aber...“, meine Augen fielen nach unten: „Ich… bin doch gar nicht mögenswert...“ Seine Hand wanderte meine Wange entlang, griff mein Kinn und zog mich zu sich heran. Meine Nase stupste gegen seine. Sie war wirklich noch viel kälter als sonst. Fror er wirklich nicht? Mein Herz schlug auf einmal wie ein Motor im höchsten Gang. „Natürlich bist du das“, sprach Undertaker mit smaragdgrünen Augen, in denen ein sanftes Lächeln lag: „Hörst du mir denn gar nicht zu?“ Diese Augen leuchteten so herrlich. Ich konnte nicht anders als sie anstarren und es lag nicht daran, dass sie eigentlich mein ganzes Sichtfeld füllten. Ich war mir sicher, selbst wenn ich irgendwo anders hätte hinschauen können, ich hätte es nicht getan. Ich wollte nichts anderes sehen. Die Welt war vollkommen egal geworden und einfach verschwunden. In einem Herzschlag. Denn diese Augen waren einfach so schön. Diese Augen mit dieser Farbe und diesem Lächeln darin… waren mehr als nur eine Legende wert. Sie fesselten einen. Ließen einem den Mund ganz langsam aufklappen, weil man gar nicht sofort erfassen konnte was man sah. Und sie zu verstehen war einem Menschen sicher fast unmöglich. Denn darin lag zu viel. Zu viel um es in den ca. 80 Jahren, die ein Mensch auf dieser Erde wandelt, sehen und begreifen zu können. „De-“, begann ich unbeholfen, um mich selbst zu wecken: „Denkst du?“ „Aber natürlich“, antwortet er. Ein warmes Schmunzeln lag in seiner Stimme: „Sehr sogar.“ „Du“, ich atmete einmal tief durch. Meine Stimme war zittrig. Ich war zittrig, durch dieses warme fast nervöse Gefühl, dass seine leuchtenden Augen in meiner Brust anzündeten: „Du bist auch kein schlechtes Wesen. In… in meinem Augen nicht.“ Seine Hand wanderte wieder meine Wange hinauf und verschwand in meinen Haaren. Und ich starrte weiter in diese Augen. In diese unfassbaren, verboten schönen Augen. Außer diesem Grün gab es einfach nichts mehr. Und ich vermisste nichts. Denn was ich so vermisst hatte… war genau das. Sein Daumen strich über meine Wange: „Du sagst so etwas, obwohl du nun alles weißt?“ Ich konnte nur nicken. „Das ehrt mich“, das Schmunzeln in seiner Stimme war ein Lächeln geworden: „Wirklich.“ Mein Herz hüpfte in meiner Brust hin und her. Ich rutschte auf meine Knie ein Stück nach vorne und legte meine Arme um Undertakers Hals. Ich wollte ihn festhalten. Ich wollte unter allen Umständen verhindern, dass er wieder ging. „Ich habe dich vermisst“, murmelte ich kaum hörbar. Undertaker entfuhr ein leises Lachen. Ich legte meine Stirn an seine und schloss meine Augen. Ich merkte wie mich zwei Arme schnappten und zu ihm zogen. Dieses Gefühl war so wohlig. Was genau gerade geschah konnte ich nicht einsortieren, doch ich wusste dass ich nicht wollte, dass es endet. Seine Nase rutschte neben meine, als sein Gesicht noch näher kam. „Ich habe dich auch vermisst“, sein Atem rollte über meine Lippen. Er war genau so kühl wie seine Hände oder sein Gesicht. Er roch nach Früchten und Minze und kribbelte auf meinen Lippen. Sie waren so nah. Das Gesicht des Totengräbers war so nah. Mein Herz hatte mittlerweile ausgesetzt. Er war mir so nah wie damals am Bach. Ich merkte wie er den Kopf schief legte: „So furchtbar...“ „JAAAAAAAA!!!~♥“, kreischte es durch die ruhige fast Nacht. Der Moment zerriss. Schmerzlich. Sehr sehr schmerzlich. Mein Kopf zuckte erschrocken zurück, als ich merkte, dass wir nicht alleine waren. Ich spürte wie sich Undertakers Hände kurz verkrampften. „Du machst das toll! Weiter so! Nur...!“ „Och! Halt doch nur einmal deine Klappe, du Schwachmat!“ RÖMS! „AAAAAAHHHHHH!“ PLATSCH! Der Kopf des Bestatters fuhr herum und er drehte sich ein Stück von mir ab, um die Brücke - die eigentlich die zwei Colleges verband - sehen zu können. Meine Arme verloren ihren Halt um ihn und ich fiel nach hinten über. Erst als ich die Brücke sah merkte ich, dass ihr eine Hälfte fehlte. Wahrscheinlich war sie dem Leviathan zum Opfer gefallen, der nun tot in der Themse lag und sich langsam in Staub auflöste. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. Es war schon recht düster, doch ihre letzten, schwachen Strahlen erhellten drei Gestalten auf der halb weggerissenen Brücke. Eine schüttelte mit dem Kopf und hatte einen Rasenmäher geschultert. Die Zweite hatte einen Arm in die Hüfte gestemmt und schob ihre Brille hoch. Die Dritte hatte eine Hand um die Brust verschränkt und die Zweite nachdenklich und schmunzelnd an sein Gesicht gelegt. Undertaker seufzte lange und legte kopfschüttelnd eine Hand über seine Augen. Dann schaute er auf die Themse. Mein Blick folgte ihm. Eine rote Gestalt trieb bäuchlings auf dem Wasser. Blasen blubberten neben ihrem Kopf an die Oberfläche. Mein Gesicht wurde sengend heiß, als ich Ronald, William, Sebastian und Grell erkannte. Wie lange hatten die Vier da schon gestanden?! Ich war mehr als nur geschockt darüber, dass sie da waren. „Ehehehehehehehe!“, lachte Undertaker laut, sodass die Drei auf der Brücke ihn definitiv hören konnten: „Ich glaube, er ertrinkt!“ „Zu Recht!“, rief Ronald herunter. „Ach?“, machte William: „Möchtest du seine Schicht übernehmen?“ Ronald drehte sich zu William: „Was?! Nein!“ RÖMS! „AAAAAAHHHHHH! WIIIIIESO?!“ „Dann hole ihn da raus!“, rief William noch erhobenen Fußes dem von der Brücke fliegenden Ronald hinterher. PLATSCH! Es dauerte ein paar Sekunden, dann tauchte auch Ronald bäuchlings neben Grell auf dem Fluss auf. Es wunderte mich auch überhaupt nicht, dass Undertaker in schallendes Gelächter ausbrach. Er kippte mit vor dem Bauch verschränkten Armen auf den Boden: „Pahahahahahahaha! Awuwuwuwuwuwuw! Jetzt ertrinken Beide! Ehehehehehehehe!“ „Wenn du es schon feststellst“, tönte William zu uns herunter und wandte sich mit Sebastian einfach zum gehen: „Hole sie doch raus. Du bist schon nass.“ „Was?!“, Undertaker setzte sich wieder auf: „Warum soll ich jetzt deine Leute retten?!“ Doch der Aufsichtsbeamte und der dämonische Butler waren schon verschwunden. Undertaker seufzte nun wieder halb giggelnd und stand auf: „Haaaaaa… Nihihihi! Wie furchtbar. Das sind keine Grim Reaper, das ist eine Truppe schlecht bezahlter Zirkusclowns. Fu fu fu fu!“ Ich konnte nicht lachen. Es. war. so. peinlich! Warum? Weshalb? Weswegen? Oder was überhaupt! Keine Ahnung. Doch ich fühlte mich furchtbar ertappt. Undertaker wandte den Kopf zu mir: „Ki hi hi. Wenn du mich kurz entschuldigen würdest? Bevor die Beiden da ersaufen. Fuhuhu!“ „Klar...“, presste ich aus meinem vor Unwohl verkrampften Körper hervor: „Mach du mal...“ „Nihihi. Bis gleich“, mit diesem Worten ging er zurück zum Fluss. Die Welle hatte uns ein ganzes Stück nach hinten gespült. Dann erschien Undertakers Sense in seiner Hand. Der Totengräber schien nicht daran zu denken ein weiteres Mal nass zu werden und angelte die beiden Reaper am Kragen mit seiner Sense aus dem Fluss. Die Beiden lagen einfach nur auf dem Boden und bewegten sich nicht. Die Sense verschwand, Undertaker verschränkte giggelnd die Arme und stupste Grell immer wieder mit dem Fuß an: „Nihihi! Lebst du noch?“ Grell bewegte sich nicht. Er wandte sich zu Ronald und stupste nun ihn mit dem Fuß an: „Fuhuhu! Und du?“ Ronald spuckte eine kleine Wassersäule in die Luft und setzte sich den Kopf haltend auf: „Warum tut William sowas immer? Ich habe doch wirklich nichts gemacht...“ „Nun ja“, lachte der Bestatter: „Das könnte mein schon als hinterhältigen Mordversuch auslegen. Fu fu fu!“ „Als ob Grell sowas ernsthaft was ausmacht!“ „Nun“, Undertaker schaute auf Grell: „Tihi! Er bewegt sich nicht.“ „WAS?!“, Ronald fuhr zu dem roten Reaper herum: „Oh ne. Ach Scheiße! Sag‘ nicht der ist hin!“ „Fuhuhuhuhu! Selbst wenn. Dann muss ich ihn halt wieder hübsch machen“, Undertaker ging in die Knie, packte Grells Kinn mit seiner langen Hand und knautschte seine Wangen zusammen, als er ihn ein Stück daran anhob. Er drehte abschätzend Grells Kopf hin und her: „Mit dem versauten Make up kann ich ihn nicht vergraben und der Aufzug geht für eine Gala nun gar nicht. Ihihihihi! Ein blaues Kleid steht ihm sicher vorzüglich. Puhu! Ja, genau so mache ich es!“ „BLAUES KLEID?!“, Grells Augen sprangen auf und er ging Undertaker schreiend an den Kragen: „Du kannst mir, mit meinem strahlend roten Haar, doch kein blaues Kleid anziehen! Das BEIßT sich! Oh, du hast von Mode sowas von dermaßen keine Ahnung, es ist zum Mäuse melken! Du stilbefreiter AFFE!“ Undertaker lachte, während Grell ihn würgte: „Pahahahahahahahaha! Du lebst ja doch noch!“ „Natürlich lebe ich, du irre alte Wachtel!“ „Wahahahahaha! Warum reagierst du dann nicht sofort?!“ „Warum bringt ihr mich immer halb um?!“ „Ich?“, der Bestatter lachte einfach immer weiter. Jeder Andere wäre schon dreimal ohnmächtig geworden: „Ich habe dich aus dem Wasser gezogen, mein lieber Freund. Ehehehehehe! Du würgst den Falschen!“ Grell ließ Undertaker los und sprang auf Ronald. Dieser schrie, doch dann erstickte es, als Grell seinen Hals nahm und ihn immer wieder ein Stück daran hoch zog, nur um ihn wieder auf den Boden zu knallen: „DU kleiner Scheißer! Was denkst du dir eigentlich dabei?! Das hat verdammt weh getan! Mein Make up muss komplett im Eimer sein, wenn es schon dem Verrückten auffällt! Erwürgen sollte ich dich, du KLEINE RATTE!“ „Ja, was tust du denn gerade?!“, schrie Ronald: „Lass‘ mich los! Ich krieg‘ keine Luft!“ „Das ist der Sinn der Sache, du IDIOTISCHER GRÜNSCHNABEL!“ Ich konnte die Szenerie ja nur mit verwirrt blinzelnden Augen bestaunen. Undertaker war natürlicher derweilen in einem weiteren Lachanfall zusammengebrochen. Dann schrie ich. Ich schrie und zuckte zusammen, weil plötzlich etwas mit einem Luft zerreißenden schrillen Surren an mir vorbei schoss. Undertaker hörte sofort auf zu lachen und fuhr zu mir herum. Die Schneide von Williams Death Scythe traf Grell genau am Kopf und dieser kippte einfach zur Seite. Ronald blieb alle Viere von sich gestreckt liegen. Undertakers Gesichtsausdruck entspannte sich wieder in ein Grinsen, als er sah was hinter mir war. „Subtil, Mr Spears“, erkannte ich die Stimme des Butlers in meinem Rücken. Mein Herz raste. Mehr Schreck hielt ich einfach nicht mehr aus! „Ich habe keine Lust mehr auf dieses Theater“, hörte ich nun die Stimme von William. Die Beiden schritten gemächlich an mir vorbei. Undertaker schüttelte lachend den Kopf und verschränkte die Arme: „Na, fabelhaft. Kihihihihi! Jetzt ist er wirklich K.O. Fuhuhuhu!“ „Mein Mitleid hält sich in Grenzen“, schob William seine Brille hoch. „Nihihihi! Das fällt gar nicht auf, liebster William.“ „Nenne mich nicht so“, knirschte William mit den Zähnen. „Wir haben andere Probleme“, unterbrach der Butler das Geplänkel. „Aha?“, machte Undertaker grinsend. Der Butler nickte zum Fluss: „Das. Die ganze Schule hat es gesehen.“ „Das war auch wahrlich schwer zu übersehen, findest du nicht, Butler? Nihihihi!“ Sebastian seufzte: „Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Wir müssen es irgendwie erklären.“ „Viel Spaß“, grinste Undertaker noch breiter: „Kehehehe! Das könnte spannend werden. Wie viele Schüler hat diese Schule? 800? Das Jungscollege hat es definitiv auch mitbekommen. Da wären wir schon bei 1600. Fuhuhu! Dann noch mal um die 60 Angestellte und Lehrer auf beiden Schulen...“, er tippte gespielt überlegend mit einem Finger an sein Kinn: „Huhuhu! Das sind ja nur 1720! Die Nachbarn, die es sehr wohl auch gesehen haben werden, nicht mit eingerechnet. Kehehehe!“ Sebastian schloss genervt die Augen: „Auch dessen bin ich mir bewusst.“ „Fu fu fu. Da ist guter Rat wahrlich teuer, hm?“ Der Butler neigt seinen Kopf: „Hast du denn einen guten Rat?“ Der Totengräber hielt seine aneinander reibenden Finger in das Gesicht des Butlers: „Wie gesagt, der ist teuer. Nihihi!“ Seufzend wischte der Butler sie weg: „Haben dich diese Einfaltspinsel denn nicht gebührlich genug unterhalten?“ Ronald setzte sich auf: „Hey!“ William trat auf seinen Kopf und drückte ihn, Gesicht voran, wieder in den Staub. Ronalds Arme fuchtelten hilfesuchend durch die Luft. Ihm half nur keiner. „Kehehehe! In der Tat“, kicherte Undertaker: „Doch die fragen mich nicht.“ Sebastian schaute zu William. Dieser schob nur seine Brille wieder hoch: „Ich helfe keinem Dämon. Meinen Rabat gebe ich für dich nicht aus.“ „Sprach der, der eben noch Seite an Seite mit ihm kämpfte“, giggelte der Totengräber amüsiert. William warf ihm einen giftigen Blick zu. Doch Undertaker schaute nur wieder zu Sebastian: „Nihihi. Also?“ Sebastian seufzte: „Nun. Es muss wohl so sein.“ Der Dämon ging mit verschwörerischer Miene einen weiteren Schritt auf den unmenschlichen Totengräber zu. Dann legte er eine Hand in sein Ohr und flüsterte so leise, dass ich es nicht hören konnte. Auch William schaute recht fragend aus, während er Ronald weiter im Sand erstickte. Doch das schien der Aufsichtsbeamte schon lange vergessen zu haben. Undertaker nickte ein paar Mal, während Sebastian weiter murmelte. Die Mundwinkel des Bestatters zogen sich weiter und weiter nach oben, mit jedem Wort, das der Butler zu sagen schien. Einmal zuckte Undertakers Kopf mit einem riesigen und teils ungläubigen Grinsen ein Stück weg und er schaute den Butler an: „Nicht im Ernst, Butler! Nihihihi! Mit allem drum und dran?“ Der Butler nickte unangetan: „In der Tat, mit allem drum und dran.“ „Fuhuhu! Du armer Tropf!“, Undertaker streckte ihm wieder das Ohr hin: „Erzähl weiter!“ Wieder die Hand ein seinem Ohr flüsterte der Butler weiter. Undertaker hatte konstant zu kichern begonnen, doch da er schon berichtete, dass guter Rat dieses mal teuer sei, schien der Butler es gar nicht erst versuchen zu wollen sich darauf zu berufen. Nach einigen weiteren Minuten… … krachte Undertakers Lachen durch beide Schulen… Die paar Vögel, die das sich dem Winter zuneigende London noch nicht verlassen hatten, stoben aus den Bäumen und suchten erschrocken zwitschernd das Weite. Ich war mir sicher die geflohenen Schüler, Lehrer und Angestellten konnten es noch hören, egal wie weit sie gelaufen waren. Der Totengräber fiel an Ort und Stelle einfach um. Lachend wie der liebenswerte Irre, der er einfach war, rollte er sich über den Boden. Es dauerte bis sich der Bestatter wieder gefangen hatte. Irgendwann lag er nur noch, alle Viere von sich gestreckt, auf dem Boden und atmete schwer wie giggelnd: „Kihihihi… Awuhuhuhuhu… Nahahahaha… Herrlich, Butler! Einfach… Buhuhuhu… Einfach vorzüglich!“ „Nun?“, entgegnete nur der Butler nüchtern. Undertaker setzte sich grinsend auf: „Tue einfach gar nichts.“ Eine pulsierende Ader erschien an Sebastians Schläfe. „Bitte?“, fragte er angestrengt höflich, alle Kontenance aufbietend, die er zu haben schien. „Tue gar nichts!“, lachend schwang sich der Bestatter wieder in den Stand: „Menschen sind atemberaubend geschickt darin sich selbst zu belügen. Nihihihi! An so etwas, fu fu fu, abstruses wie wir es sind, wollen sie nicht glauben. Sie werden sich ihre Geschichte schon zusammen puzzeln. Es wurde uns doch allen schon einmal eindrucksvoll demonstriert!“ William schüttelte den Kopf, die Arme verschränkt, das Bein immer noch auf Ronalds Kopf, der mittlerweile aufgehört hatte mit den Armen zu wedeln: „Die Massenhalluzination auf der Campania.“ Undertaker schnipste den ausgestreckten Zeigefinger zu ihm: „Exakt. Kihihihi!“ Sebastian legte überlegend seine Hand ans Kinn: „Dieser Einwand ist gar nicht so dumm.“ Undertaker legte den Kopf schief: „Naaaa. Das klingt ja, als würde ich den ganzen Tag nur Unsinn erzählen.“ „98% der Zeit“, entgegnete der Butler trocken: „Doch auch ein wahrhaft blindes Huhn, wie du, scheint hin und wieder ein Korn zu finden.“ Undertaker zog eine Augenbraue hoch, giggelte jedoch: „Deine Freundlichkeit sprengt mal wieder alle Grenzen. Ti hi hi hi.“ „Es ist erstaunlich, nicht?“, nahm der Butler das Kompliment an, welches keins war: „Ich bin immer wieder selbst von mir überrascht.“ Undertaker reckte seinen Kopf zum Butler und tat so als würde er ein paar Mal an ihm schnüffeln. Dann zog er, mit vor seinem grinsenden Gesicht wedelnder Hand, seinen Kopf wieder zurück: „Puuuuuuh... Ki hi hi hi!“ „Was tust du da?“, fragte nun Sebastian mit erhobener Braue. „Ehehehehe! Dein Eigenlob stinkt zum Himmel!“ Seufzend schüttelten Sebastian und William den Kopf. „Hatschie!“, entfuhr es mir. Es war so furchtbar kalt. Ich zitterte und rieb mir die Arme. Die letzten Sonnenstrahlen waren verschwunden und die Themse hatte den Staub mit sich genommen, der mal der Leviathan gewesen war. Die drei Männer wandten sich herum. „Herrje herrje“, kam der Totengräber auf mich zu und ging vor mir auf ein Knie, um auf meiner Augenhöhe zu sein: „Wie unmanierlich von mir dich hier im Kalten sitzen zu lassen.“ „Ach“, versuchte ich zu lächeln: „Mir geht es… Hatschie!“ Doch mein Lächeln brach ein, als ich Undertakers Gesicht sah. Die Wunde selbst war irgendwo unter seinen Haaren, doch das kleine Blutrinnsal war einmal komplett über sein Gesicht gewandert. Die Spur fing schon an zu trocknen. In dem Moment, in dem ich etwas dazu sagen wollte, schoben sich zwei Arme unter mich, hoben mich hoch und brachten mich so komplett aus dem Konzept: „Na na. Keine faulen Ausreden. Die muffeln immer schlimmer als das Eigenlob des Butlers und das, nihihihi, ist wahrlich gar nicht so einfach.“ „Äh äh äh… Ich… ich“, Farbe schoss mir ins Gesicht. Nach allem was geschehen war. Nach diesem furchtbaren Schreck. Nach diesem grausamen Wochenende. Nach allem worüber ich mir über mich selbst und dem Bestatter klar geworden war, war jede Berührung von ihm auf eine ganz andere Art und Weise peinlich als zuvor. Ich wusste jetzt warum mir immer alles peinlich gewesen war. Ich war total verknallt und konnte damit einfach nicht umgehen. Doch diese Gewissheit machte alles nur noch schlimmer und noch viel peinlicher: „Ich… kann selber laufen!“ „Gewiss“, grinste der Totengräber und setzte sich einfach in Bewegung: „Aber ich lasse dich jetzt nicht bis zur nächsten intakten Brücke und wieder zurück laufen, damit du auf jeden Fall wieder mit einer herrlichen Erkältung danieder liegst.“ Mein Gesicht wurde noch wärmer. Meine Ohren waren kurz davor Feuer zu fangen: „Aber aber… Es macht doch keinen Unterschied, ob ich alleine zur nächsten heilen Brücke laufe oder du mich dort hin trägst!“ „Wer sagt, dass ich zur nächsten heilen Brücke will?“, kicherte der Bestatter. „Ja, was denn sonst?“, erwiderte ich: „Die hier ist total zerstört! Da kommt man nicht mehr weit!“ „Sicher?“, grinste Undertaker verheißungsvoll und blieb vor der kaputten Brücke stehen, die sich 10 Meter über unseren Köpfen erhob. „Ja!“, machte ich. „Oh, wie schmerzlich“, neigte Undertaker den grinsenden Kopf: „Dass du mir nicht einmal so etwas zutraust.“ „Hä?“, entfuhr mir der wahrscheinlich intelligenteste Ausruf des Tages… nicht… Mit einem lauten Kichern sprang Undertaker hoch. Die Luft sauste an mir vorbei. Mit einem Satz landete er auf der Brücke. Ich klimperte ihn mit großen Augen an. „Kein Mensch“, grinste er weiter und ging auf das kaputte Ende zu: „Mir scheint du vergisst es des Öfteren, ni hi hi hi!“ „Öhm höm nöm… nein?“, fragte ich eher als zu antworten: „Aber woher soll ich wissen was du alles kannst?!“ „Vertraue mir doch einfach. Kihihihi!“, blieb er am bröckeligen Ende stehen. Ein Steinchen löste sich aus der zerstörten Konstruktion und fiel in die Themse. Die Distanz zum andern Ufer war weit. Sehr weit. „Das schaffst du nicht!“, erwiderte ich laut: „Wir gehen beide baden! Oh bitte, Undertaker! Ich hab‘ genug von WassAAAAAHHHHH!!!“ Schreiend schlang ich meine Arme um Undertakers Hals. Wortlos, aber amüsiert kichernd hatte er einfach einen großen Satz getan. Der Wind rauschte in meinen Ohren, als ich mit weit aufgerissenen Augen die Themse einige Meter unter uns hinweg sausen sah. Wir waren hoch! Sehr hoch! Verdammt hoch! Ich glaubte mein Herz setzte aus und ich starb einfach hier und jetzt und auf der Stelle! Der Bestatter war nicht einfach nur nach vorne gesprungen, nein. Das wäre ja auch einfach zu einfach. Er war auf noch ein ganzes Stück nach oben gesprungen! Während wir durch die Luft sausten, wurde die Themse immer kleiner. Sehr schnell, immer kleiner! Das Tempo des Totengräbers war beachtlich. Wäre ich mir nicht sicher gerade dem Tod ins Auge zusehen, hätte ich es wahrscheinlich bestaunt. Undertaker landete federweich auf dem Dach meines Wohnheimes. Er wirkte als hätte er nicht mehr als einen kleinen Hüpfer gemacht und wäre nicht halb über die durchaus breite Themse, den Überresten des Swan Gazebo und ein beachtliches Stück Schulhof gesprungen. „Siehst du“, grinste er triumphierend: „Ich schaffe es doch.“ Reichlich zerzaust sah ich ihn an: „Du… du bist total verrückt!“ „Ach“, lachte er amüsiert: „Ist dir das auch schon aufgefallen? Nihihihihi!“ Ich blinzelte ihn an: „Ach weißt du… Vergiss‘ einfach alles was ich gesagt habe...“ „Kehehehe! Habe ich Alzheimer?“, lachte der Bestatter: „ Wieso sollte ich? Das war amüsant!“ Zerknautscht schaute ich ihn an und sagte einfach nichts mehr. „Sky!“ Die bekannte Stimme ließ meinen Kopf herumfahren. Amy lief auf uns zu: „Oh Sky! Es geht dir gut!“ Undertaker setzte mich behutsam auf meine vor Schreck wieder recht wackeligen Beine. Amy umarmte mich so schwungvoll, dass ich nach hinten kippte. Doch zwei andere Hände bewahrten mich davor umzufallen. Ich lehnte gegen den Körper des Bestatters, der mich aufrecht hielt wie ein Fels in der Brandung. „Ich bin so froh!“, jauchzte Amy erschöpft: „Ich hätte Sebastian den Hals umdrehen können! Dich einfach zurückzulassen! Prefect vor Fag?! Ja, spinnst du denn?! Du bist doch total verrückt! Aber es geht dir gut! Oh, ich bin so froh, dass es dir gut geht!“ Die Arme meiner besten Freundin um meinen Hals und Undertakers Körper in meinem Rücken spürend, seine Hände auf meinen Schultern, kuschelte ich meinen Kopf halb in Amys Schulter und drückte sie zurück. „Ja“, sagte ich leise und schloss meine Augen: „Mir geht es gut.“ „Hatschie!“ Wir waren endlich wieder in unserem Apartment angekommen. In den Räumen war es um einiges wärmer als auf dem Hof, doch ich war immer noch triefnass und schon reichlich durchgefroren. Zitternd stand ich mit Amy und Undertaker in unserem kleinen Flur und tropfte den schmalen violetten Läufer voll. „Gott“, stemmte Amy eine Hand in die Hüften und schaltete mit der anderen das Flurlicht an: „Ihr seid beide total nass.“ „Ach“, zog ich eine Augenbraue hoch: „Und du nicht?“ Auch Amy war nass geworden und auch ihr war sicher reichlich kühl. Doch sie ignorierte mich und ihr Gesicht wanderte zu Undertaker: „Außerdem siehst du aus, als hättest du mächtig einen vor die Murmel bekommen.“ Undertaker wandte sich zu Amy und befühlte sein Gesicht: „Nihihi! Sag nicht es blutet immer noch.“ „Ich glaube nicht“, erwiderte Amy: „Aber du bist total verschmiert.“ Der Bestatter lachte nur: „Kehehe! Kopfwunden sind nervig! Außerdem sehen sie meistens schlimmer aus als sie sind.“ Die Phantomhive schüttelte seufzend den Kopf und verschränkte die Arme: „Schon klar. Trotzdem bist du blutverschmiert, nass und siehst deswegen ein wenig zerpflückt aus, Onkelchen.“ „Kihihi! Ist dem so? Mir macht so etwas doch nichts. Aber Sky und du solltet euch ganz dringend aufwärmen.“ „Ach passt scho… Hatschie!“, ich rieb mir die Nase. Ich merkte wie sie sich zusetzte: „Ahe! Ahe! Ich lebe und so...“ „Ich weiß wie wir es machen!“, strahlte Amy und verschwand in mein Zimmer. „Hey!“, streckte ich meinen Kopf hinter ihr her in den Raum: „Was hat dein Plan mit meinem Zimmer...“ Amy trat hinaus, drückte mich grinsend dabei mit einer Hand aus dem Türrahmen und hatte einen Haufen schwarzer Sachen in der anderen Hand. „...zu tun…“, ich erkannte die Sachen sofort. Es waren die Sachen des Totengräbers, die bis eben noch achtlos auf meinem Fußboden gelegen hatten. Sie drückte dem Bestatter seine Anziehsachen in die Hand: „Verschwinde schnell ins Bad, zieh dich um und wasch dir das Gesicht. Häng‘ deine nassen Sachen einfach über die Heizung. Danach stecken wir Skyler unter die Dusche und dann würde auch ich gerne warm duschen.“ Doch der Bestatter grinste unangetan in Anbetracht seiner Jogginghose: „Och. Das ist wirklich nicht nötig.“ Amy verschränkte die Arme und hob eine Augenbraue an: „Verarschen? Du trägst eine Lederhose, man. Das muss ein ultra ekeliges Gefühl sein.“ „Joa“, grinste Undertaker weiter: „Erhebend ist es nicht, nehehehehe! Aber es gibt Schlimmeres.“ Amy schüttelte sich kurz vor Grusel. Dann griff sie die Badezimmertüre und riss sie auf: „Es ist nur eine Jogginghose! Stell‘ dich nicht an wie ein Mädchen!“ Die Phantomhive trat Undertaker einmal mit Schwung in den Allerwertesten. Er wedelte mit einen kleinen Aufschrei mit den Armen, sodass erst seine Kleider und dann er auf dem Badezimmerboden landeten. Amy schloss die Tür und verschränkte die Arme: „Man man man, ist der teilweise furchtbar.“ Die Türe öffnete sich wieder: „Amber, nihihihi, es ist wirklich nicht… Jau!“ Amy trat einmal vor die Türe, ohne ihre Arme zu entfalten. Sie knallte gegen Undertakers Nase und fiel wieder ins Schloss: „Jetzt zieh dich endlich um! Oder Skylers Erkältung ist deine Schuld!“ „Hey!“, machte ich nasal: „Halt‘ mich daraus!“ Amy schüttelte nur den Kopf und verschwand lachend Richtung Wohnzimmer: „Was für ein Tag, man.“ Ich ging ihr hinterher. Amy schaltete das Licht im Wohnzimmer an und seufzte schwer. Dann verschränkte sie ihre Arme, grinste mich an und zwinkerte mir zu: „Zwischen euch scheint ja alles wieder in bester Ordnung zu sein.“ „Öhm“, erwiderte ich und wusste nicht ganz, was ich denn genau erwidern wollte. Meine Augen fielen nach unten, während ich mit einem flauen Gefühl im Magen meine Hände verschränkte: „So… So halb...“ Irgendwie hatte ich das Gefühl zwischen dem Bestatter und mir stand irgendetwas. Irgendwie hatte ich das Gefühl das Gespräch war eigentlich noch nicht zu Ende geführt worden. Er war der Meinung gewesen ich sollte meine Zeit nicht weiter mit ihm verbringen… und dann sagte er er vermisste mich und benahm sich so komisch. Also… anders komisch als üblich. Kam mir so nah. Aber er streckte mir seine Nase oft ins Gesicht. Er war halt blind wie ein Fisch. Außerdem empfand er solche Gebärden einfach als lustig. Doch er hatte eben dabei nicht gelacht. Auch am Bach hatte er dabei nicht gelacht und irgendwie beschlich mich auch wie an Halloween die Frage, was passiert wäre wenn niemand dazu gekommen wäre. Doch dann schüttelte ich den Kopf und die unsinnige Frage fort. Es wäre sicher rein gar nichts passiert. Was sollte auch passieren? Sich das zu fragen war doch Unsinn. Außerdem lag mir seine Art über sich selbst zu sprechen, so abfällig und schlecht, wie auch die Aussage er wäre kein guter Wegbegleiter für mich, viel schwerer im Magen. So schwer, dass ich Bauchschmerzen davon bekam. Im Moment... Im Moment war er da, doch… blieb er auch? Oder beharrte er auf seiner Einschätzung und ging wieder einfach fort? Amy musterte mich, doch sie sagte nichts. Ich hatte die Gefühl sie sah, dass ich mit etwas zu hadern hatte. Dann unterbrach meine Gedanken das unsägliche Quietschen des Fensters. Unsere Köpfe flogen herum. Ronald kletterte durchs Fenster in unser Wohnzimmer. Seine Haare, in die er seine verschmutzte Brille geschoben hatte, konnte man nett nur als ‚wild‘ bezeichnen und sein Gesicht war vollkommen mit Sand verschmiert. Er schaute uns recht leidend an: „Hat jemand von euch ein Taschentuch?“ Amy brach sofort in Gelächter aus: „Was ist das denn, Ronald? Hahahahaha! Neues Peeling?“ Ronald schaute sie mit einem angefressenen Gesichtsausdruck an. Ich schüttelte mitfühlend den Kopf, griff die Zewarolle – die von meinem Kaffeemaschinenunfall noch neben eben dieser stand -, riss drei Blätter ab und reichte sie den drangsalierten Nachwuchsreaper. Dann legte ich die Rolle auf den Küchentisch. Ron nahm die Blätter dankbar entgegen und wischte sich durchs Gesicht und über die Brille. Dabei tat er einen Schritt zur Seite. William kam herein. Er justierte seinen Griff an seiner eben noch geschulterten Death Scythe und hob den an ihrer Schere hängenden Grell durch das Fenster. Recht plump ließ er den immer noch ohnmächtigen Sensenmann auf unsere 3er Couch fallen. Eine dünne Blutspur kräuselte sich aus einer kleinen Wunde an seiner Schläfe und selbst K.O. geschlagen sah Grell, nass und verprügelt wie er dort lag, recht theatralisch aus. Amy brachte das noch mehr zum Lachen. Dann schwebte eine weitere Gestalt, begleitet von einer steifen und recht kalten Brise, durch unser offenes Fenster und landete in voller Eleganz in unserer Stube. Es war... Sebastian! Ich blinzelte verwirrt. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass er sofort wieder zurück in das Manor ging, jetzt wo seine Angelegenheiten geregelt waren. Auch trug er wieder ein makelloses Frack. Woher auch immer der Butler es jetzt gezaubert hatte, hatte er einige Stapel Stoff auf dem Arm und ein Tablett mit einigen dampfenden Tassen auf seiner Hand. „Sebastian?“, fragte ich so verwundert, wie ich war. Der Butler verbeugte sich, ohne, dass er mit den Tassen schlabberte: „Dem Earl liegt viel an seinen Freunden“, richtete er sich wieder auf: „Was wäre ich für ein Butler, wenn ich mich um ihr Wohlergehen nicht bis ins Letzte sorgen würde?“ „Ein dämonischer...“, entfloh es mir ohne nachzudenken. Ich schlug meine Hände vor den Mund. Das… war vorlaut. Ja, für meine Definition von Dämon passte Sebastians Fürsorge einfach nicht. Doch sah und hörte man dem Butler nur allzu deutlich an, dass es sich nicht um Fürsorge handelte. Er war lediglich gehorsam, kannte seinen Meister und wusste auch in dessen Abwesenheit was von ihm erwartet wurde. „Nihihihihi!“, hörte ich hinter mir: „Sie hat Recht. Fuhuhuhu!“ Ich fuhr herum. Dass ich meine Hände vor dem Mund hatte, es musste ein netter Zug des Schicksals gewesen sein. Denn so bewahrte ich meinen Kiefer davor aufzuklappen, was ein weiteres Mal vollkommen unlogisch gewesen, mir aber definitiv passiert wäre. Undertaker lehnte in der Tür zum Wohnzimmer. Die Beine in seiner schwarzen Jogginghose, mit seinen nackten Füßen gekreuzt, die durch das T-Shirt halb nackten, mit jeweils zwei sich überkreuzenden Narben gespickten Arme verschränkt und die nassen langen Haare in einen hohen Zopf zusammen gefasst. Sein Pony franselte nur halb in sein Gesicht, ließ so ein Auge zu dem Butler schauen. Mein Gesicht wurde wärmer. An ihm hing das T-Shirt eng. Die Konturen von Muskeln zeichneten sich darunter ab. ‚Schau weg!‘, ermahnte ich mich in meinem eigenen Kopf: ‚Schau weg! Schau weg! Schau weeeeeeeeeg!‘ …Ich konnte nicht… Aus irgendeinem Grund konnte ich es nicht! Ich hörte Amy hinter mir bedeutungsvoll kichern und HASSTE es! Mir wurde spontan klar, die Phantomhive wusste schon viel länger wie es um mich stand. Vor zwei Jahren hatte ich mal kurz mit einer kleinen Schwärmerei gegenüber eines Wolfes aus dem Jungscollege angefangen, den ich auf einem der Krickettuniere kennengelernt hatte. Es war nie mehr draus geworden, weil ich strohdoof und vollkommen unbeholfen war. Doch Amy hatte mich sofort durchschaut, musste natürlich anfangen meinen persönlichen Cupido zu mimen und hatte mich so in mehr als nur eine peinliche Situation gebracht. Ich hätte unter normalen Umständen wahrscheinlich angefangen zu beten, doch gerade stand ich wie eine Kuh wenn es donnert in der Gegend, hatte beide Hände vor dem Mund, starrte den so leger so unendlich gut aussehenden unmenschlichen Mann an und fühlte mich so richtig richtig dämlich. Undertaker sah auch nicht mehr aus wie Anfang 30. Ich wusste er war nicht Anfang 30. Anfang 30 hatte er schon hinter sich gelassen, da haben sich die Menschen noch von Mammuts und Säbelzahntigern verkloppen lassen. Aber er wirkte gerade eher so wie… Mitte 20? Denn das Gesicht des Totengräbers, das wirkte nicht alt. Trotz seines beachtlichen Alters hatte es – und vor allem seine Augen – eine recht junge Ausstrahlung behalten. Und Kleider machten ja bekanntlich Leute. Doch warum? Warum brachten mich ein T-Shirt und eine Jogginghose so aus dem Konzept? Nur weil Undertaker sie trug! Und damit ging auch schon eine kleine Glühbirne in meinem Kopf an: Weil Undertaker sie trug… Ich versteckte mein brennendes Gesicht in meinen Händen, da es mir anders nicht möglich war den Blick los zu reißen und Undertaker nun angefangen hatte mich recht verwundert zurück anzuschauen. Auch Ronald hörte ich nun kichern. „Wahrscheinlich“, hörte ich Sebastians ruhige Stimme durch das in meinen Ohren rauschende Blut und daraufhin ein Lachen des Totengräbers in Jogginghosen: „Nihihihihihihi! Wie gut, dass es dir selbst auffällt, Butler.“ Schritte tapsten durch die Stube. Schritte, die keine Schuhe oder Socken trugen: „Amber, tihi, ihr habt doch sicher einen Verbandskasten.“ „Ja“, hörte ich Amy immer noch kichernde Stimme und unterdrückte das Bedürfnis auszutreten: „Ich hole ihn.“ Ich linste durch meine Finger. Undertaker hatte sich, die Zewarolle in der Hand, neben Grell gekniet und wischte das Blut von seiner Schläfe: „Ehehehehe! Dem hast du es aber gezeigt, William!“ „Angemessene Härte“, schob William seine Brille hoch und hatte seine an seiner Seite abgestellte Astschere immer noch in der Hand. „Könntest du...“, ich atmete tief durch und nahm meine Hände von dem Gesicht: „… Das Ding hier drin wegstecken, William?“ William schaute mich kurz an. Der immer noch kichernde Ronald tat es ihm gleich und fing schallend an zu lachen, als er mein Gesicht sah. „Natürlich“, verschwand Williams Astschere aus seiner Hand. „Danke“, machte ich kurz. Irgendwie machte mich der Anblick der Death Scythes immer nervös. Amy kam wieder in den Raum und reichte Undertaker einen Verbandskasten. Giggelnd öffnete er ihn, legte ein kleines weißes Wundpad aufs Grells kleine Wunde und wickelte einen Verband um seinen Kopf. Sebastian stellte das Tablett auf unseren Kaffeetisch. Jetzt sah ich das Kakao in den Tassen war. Mit Sahne und Marschmellows. „Ich war so frei“, drückte der Butler einen Teil des Stoffstapels in Ronalds und in Williams Hand: „Euch Wechselwäsche mit zubringen.“ Ronald nickte dankbar: „Cool. Mir ist ziemlich kalt.“ Ich blinzelte kurz: ‚Kalt?‘ Undertaker fror nie. Ich hatte ihn auch nie zittern sehen, was mir verraten hätte er würde flunkern. Gerade wurde ich mir gewahr, dass ich begonnen hatte diesen Umstand auf seine unmenschliche Natur zu münzen. Doch Ronald war auch ein Reaper und er sah durch gefroren aus. War Reaper also nicht gleich Reaper? War Undertaker aus irgendwelchen Gründen anders als die anderen? Also.. abgesehen von seiner Art, natürlich. Ronald ging an mir vorbei: „Wo ist euer Bad?“ „Letzte Türe links“, sagte Amy: „Häng‘ deine Sachen über die Heizung. Beeil dich, wir wollen duschen.“ „Klar“, verschwand Ronald. Undertaker hatte derweilen den Verbandskasten wieder zugeklappt. Der Dämon trat mit dem übriggebliebenen Stoffstapel zu Grell, der - rot wie er war - sicherlich zu ihm gehörte. Undertaker schüttelte grinsend den Kopf: „Kehehehe! Keine Chance.“ Sebastian grinste irgendwie verrucht. Dann legte er den Stoffstapel auf den Sessel und knöpfte sein Jackett auf. Ich zog eine Augenbraue hoch: ‚Was macht der da?‘ „Haaaa“, seufzte er ungewöhnlich laut und griff das Reviere seiner Jacke: „Es ist so warm hier. Ich glaube ich muss ein paar Lagen ablegen...“ „Was?!“, Grell sprang sofort aus seinem Dornröschenschlaf und lehnte sich auf der Lehne der Couch zu dem Butler: „Das muss ich sehen!“ Alle Anwesenden zogen eine Augenbraue hoch. Ich zog meine höher. Nur Undertaker lachte ein weiteres Mal wie ein Irrer. Mit seinem künstlichen Lächeln und geschlossenen Augen reichte Sebastian dem roten Reaper den Stoffstapel: „Guten Morgen, Mr Sutcliff.“ Grell wirkte entrüstet: „Was?! Das… das war nur eine Finte?!“ Sebastian legte nur weiter lächelnd den Kopf schief: „Ich dachte ihr könntet trockener Kleidung bedürfen.“ Grell sprang von der Couch, nahm den Stapel, knuffelte ihn und wedelte mit seiner Hüfte hin und her: „Oh Bassy! Du liebst mich doch!~♥“ „Na ja“, kicherte Undertaker, was ihm Grells verärgerte Nase in seinem Gesicht einbrachte: „Du hast von sowas doch überhaupt keine Ahnung, du furchtbarer alter Knacker!“ „Nihihihihi!“, lachte Undertaker: „Ich habe nichts dagegen einzuwenden! Pahahahaha!“ „Hey, du stehst ja“, kam Ronald wieder in den Raum. Er trug dunkle Socken, eine braune Jogginghose und dasselbe Dispatch-T-Shirt wie Undertaker. Kaum war Ronald im Raum angekommen, verschwand William. Grell verschränkte die Arme: „Du hast nicht viel dafür getan.“ Auch bei Ronald verriet das recht enge T-Shirt, dass er gut gebaut war, doch irgendwie… war es an ihm nur ein T-Shirt und vollkommen uninteressant… Ich schlug meine Hand gegen meine Stirn: ‚Ohhh… das ist so furchtbar… Was denke ich hier…?‘ „Ehehehe!“, hörte ich ein Lachen von dem ich wusste, dass es auf mich bezogen sein musste, die sich für alle Anwesenden vollkommen kontextlos aufführen musste, wie ein Affe im Käfig: „Was hat sie denn?“ „Ach nichts“, kicherte Amy wieder: „Sie hat das manchmal einfach.“ Ich schaute Amy giftig an, die daraufhin nur noch mehr kicherte. Undertaker legte verständnislos den Kopf schief: „Was ist dann so lustig? Ich will auch lachen!“ Diese Aussage gab Amy vollkommen den Rest. Tränen lachend beugte sie sich nach vorne und hielt ihren Bauch. Auch Ronald kicherte wieder: „Ich erkläre es dir später.“ Undertakers Kopf wandte sich mit einem fast widerspenstigen Gesichtsausdruck zu Ronald: „Schon wieder?“, er stand aus der Hocke auf: „Alle lachen und niemand weiht mich ein. Das ist grausam!“ Nun lachte auch Ronald: „Ich erkläre es dir! Wirklich! Nur nicht hier.“ Undertaker verschränkte die Arme: „Nihihihi! Gnade dir was immer dir heilig ist, wenn es am Ende nicht wirklich lustig ist!“ Ronald wedelte sich Luft zu und atmete kurz durch: „Puuuuuuh… Haha! Es ist eher eine Art Situationskomik.“ Undertaker klimperte Ronald mit seinem einen Auge an. Dann wirkte er auf einmal furchtbar aufgeregt: „Aber dann bringt es mir ja nichts, wenn du es mir später erzählst!“ Ich blinzelte. Undertaker wirkte richtig beleidigt, dass niemand ihn erzählte was es zu lachen gab und so nicht mitlachen konnte. Es schien ihn unheimlich zu ärgern, nicht zu begreifen woran sich Ronald und Amy gerade weideten. Ich erahnte eine Achillesferse des Bestatters: Witze, die er nicht verstand. Worüber Amy lachte konnte ich mir denken… und ich betete, dass Ronald nicht über dasselbe lachte... und noch mehr betete ich dafür, dass Ronald Undertaker nicht erzählte worüber ich dachte worüber er lachte… Meine Gefühlswelt. Grell verschwand derweilen von Amy geleitet ins Bad um sich umzuziehen, als William in Socken, dem wieder gleichen T-Shirt und dunkel grüner Jogginghose wiedergekommen war. „So können wir nie duschen“, stöhnte die junge Phantomhive. Doch diese dämliche Dusche war mein kleinstes Problem! Ja, mir war fruchtbar kalt, doch ich hatte gerade andere Schwierigkeiten! Ronald erwehrte sich derweilen dem Bestatter, dem es gar nicht gefiel auf seine Erklärung warten zu müssen: „Was ich dir zu erklären habe, wird dir schon etwas bringen.“ „Ja, was denn?“, steckte der Bestatter mit lauter, sich beschwerender Stimme Ronald seine Nase ins Gesicht und piekste ihm mit dem langen Fingernagel immer wieder in die Brust: „Was soll mir nachträglich erklärte Situationskomik denn bitte bringen? Das heißt Situationskomik, weil sie in der Situation komisch ist und nicht irgendwann im Nachhinein!“ „Es wird dich auch wahrscheinlich nicht zum lachen bringen, doch...“, Ronald brach ab, da Undertaker ihn die Nase nun so tief ins Gesicht hielt, dass er sich nach hinten biegen musste: „Siehst du! Es bringt mir rein gar nichts!“ „Herrgott! Sei doch nicht so ungeduldig! Vertrau mir einfach!“ Undertaker stellte sich wieder gerade hin. Ronald verlor die Balance und plumpste zu Boden. Der Bestatter verschränkte die Arme: „Ich kann niemanden vertrauen, der mir einen Witz vorenthält!“ Ron stöhnte einmal auf den Boden: „Himmel, Herrgott, Sakrament… So schlimm ist es nun auch nicht...“ Undertaker warf ihn einen verstimmten Blick zu: „Schlimmer!“, dann schaute er seufzend an die Decke: „Alle lachen und ich kann nicht mitlachen… Was ein tristes Dasein ich fristen muss...“ „Sebastian und William lachen nicht...“, konterte Ronald durch die Zähne grummelnd. Undertaker warf die Arme nach vorne: „Sebastian und William lachen nie!“ Sebastian und William seufzten synchron. Amy hatte sich langsam wieder beruhigt, wedelte sich Luft ins Gesicht und richtete sich wieder auf: „Chill mal, Undertaker.“ Er schaute sie mit verschränkten Armen und verstimmten Gesicht an, als er vielsagend seine Augenbraue hochzog. „Was ist denn hier los?“, kam Grell wieder, schwarze Socken an den Füßen, eine knallrote Jogginghose an den Beinen und ebenfalls ein Dispatch-T-Shirt an dem Oberkörper. „Undertaker“, schüttelte William den Kopf. Doch Grell hüpfte nur durch zu Ronald und Undertaker, zog den Jüngling auf seine Füße, dem ein erschrockenes Geräusch entfuhr und harkte seine Arme in die Arme der beiden andern Reaper: „Wie cool! Partnerlook! Yey!~♥“ „Ja, Grell“, machte Ronald: „Ist gut...“ „Hatschie!“, ich kratzte mir meine kribbelnde Nase. „Oh weh“, Undertaker zog seinen Arm aus Grells und kam auf mich zu. Sein Gesicht wirkte gar nicht mehr aufgeregt oder beleidigt. Im Gegenteil. Er streckte mir mit seinem sanften Lächeln seine Nase ins Gesicht: „Mir scheint da muss Jemand schnell unter die warme Dusche.“ Ich versuchte ein weiteres Mal zu lächeln, was mir allerdings furchtbar verunglückte, da ich wieder wie ein Lampion zu leuchten anfing: „Ach… Äh...Passt schon.“ Undertaker nahm seinen Kopf zurück und schaute zu Amy. Diese schaute zu mir, was mich zu ihr schauen ließ: „Geh du zuerst.“ „Oh nein, nein, nein, nein“, machte die Phantomhive: „Ich falle nicht wegen jedem Bazillus um. Du schon. Und in der Themse gibt es davon sicherlich einige.“ „Ach“, machte ich erneut: „Ich werde schon nicht sterben. Prefect vor...“ „ARG!“, Amber hielt mir ihren Zeigefinger ins Gesicht: „Sage das nie, nie wieder!“ „Aber...“, die Phantomhive beendete jedoch die Diskussion bevor sie richtig starten konnte, indem sie mich an den Schultern drehte und an meinem Rücken aus der Türe schob: „Nichts Aber! Ich habe keine Lust mehr auf deine Aber‘s!“, sie schob mich durch die Badezimmertüre: „Geh‘ duschen!“ Leidend schaute ich sie an: „Is‘ ja gut...“ Amy schüttelte den Kopf. Dann lachte sie: „Du bist genauso schlimm wie er.“ Das Blut - was noch nicht mal ansatzweise zurückgegangen war - schoss mir sofort wieder ins Gesicht: „WAS?!“ Doch Amy hatte schon die Türe geschlossen. Ich seufzte. Es war ruhig im Badezimmer. Durch die Türen und Wände drangen die Stimmen der anderen nur dumpf aus dem Wohnzimmer zu mir durch. Ich hörte Amy arg gedämpft in ihrem Meckerton mit jemandem reden. Obwohl es in dem Raum recht still war sausten meine Ohren. Entkräftet setzte ich mich auf den geschlossenen Klodeckel. Mit dem Blick auf den Kleidern der Reaper über unsere Badezimmerheizung sausten meine Gedanken hin und her. Ich war mit allem was heute passiert war überfordert. Körperlich wie geistig. Ich wusste nicht ganz was ich vor allem von Undertakers Gesagtem und Benehmen denken sollte. Ich wusste nur, dass er sich nicht benahm wie ein Zombie-Dompteur, der selbige auf Menschen losgelassen hatte und den Tod von rund 1900 Menschen einfach belacht haben soll. Ich rieb mir mit einer Hand meine Schläfe. Das vergangene Wochenende bereitete mir Kopfschmerzen. Die Art wie Undertaker über sich sprach bereitete mir Unwohlsein und der ängstliche Funken, er könnte wieder gehen, sorgte für Bauchschmerzen. Ich hatte nichts um ihn zu halten. Sollte er gehen stand ich dieser Entscheidung einfach vollkommen machtlos gegenüber. Doch man stand Entscheidungen von Anderen immer vollkommen machtlos gegenüber. Man konnte nichts dagegen tun, ob sie kamen oder gingen. Man konnte nicht beeinflussen, ob sie sich entschieden einem den Kopf zu tätscheln oder einem eine gehörige Ohrfeige zu verpassen. Man konnte nichts dafür tun, dass sie sich auf eine Ohrfeige überhaupt beschränkten… Ich wischte mir durchs Gesicht und damit den Gedanken fort. Mit einem weiteren Seufzen stand ich auf, pellte mich aus meinen klitschnassen Anziehsachen, warf sie zu dem anderen nassen Kleidern über die Heizung und meine Unterwäsche in den weißen Plastikwäschekorb in Weidenoptik. Dann stieg ich in die Dusche. Das warme Wasser entspannte mich. Als es über meine Haut ran, merkte ich wieder wie kalt sie eigentlich war: „Hatschie!“ Doch das nun warme Gefühl auf ihr war wohlig. Ich seufzte nun erleichtert, als ich das Gefühl des warmen Wassers auf meinem Körper genoss. Doch mein Kopf raste weiter. Ich lehnte ihn gegen die kalten Kacheln der Duschwand. Meine purzelnden Gedanken waren kaum zu greifen und pochten in meinem Kopf. ‚Ich habe das alles nicht‘, ich kniff meine Augen zusammen, als Undertakers Stimme mit diesem unendlich leidlichen Gesichtsausdruck durch meine Gedanken fuhr: ‚Ich habe keine reine Seele. Bin kein unglaublicher Charakter. Ich bin mitleidslos, reuelos, selbstsüchtig, rachsüchtig. Einfach schlecht und verdorben bis ins Letzte. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich verderben würde. Doch genau das würde passieren.‘ Warum sagte er so etwas? Warum sprach er so schlecht über sich selbst? Warum hatte er dabei so gequält ausgesehen? Wenn man Undertaker traf hatte man recht schnell ein recht klares Bild von ihm: Verrückt, nein, vollkommen Banane, aber auch lustig und humorvoll, allerdings in seiner Gier nach Lachen recht schonungslos, doch vor allem mit sich selbst und seiner Welt total im Reinen. Doch so rein schien er mit sich selbst gar nicht zu sein. Mitleidslos? Ich erinnerte mich an dem Tag, als der Brief des Jugendamtes ins Haus geflattert war und ich ihm seinen Mantel vorbeigebracht hatte. Er war alles andere als mitleidslos gewesen. Im Gegenteil. Was ich ihn erzählt hatte, gefiel ihm gar nicht und er hatte mich getröstet. Sehr erfolgreich und unglaublich einfühlsam. Reuelos? Ich glaube er bereute so einiges. Er bereute nur andere Dinge. Er bereute auf jeden Fall Vincents Tod. Denn er schien ihn miterlebt zu haben… und er hatte wohl nichts dagegen tun können und… und er hatte gesagt er bereute, dass er es nicht geschafft hatte mich von Schaden fern zu halten. Das war ja wohl die Höhe allen Unsinns! Wäre er nicht gewesen hätte mich Oliver ertränkt, Claude oder Hannah abgemurkst und der Leviathan… ja… der hätte mich wohl auch ertränkt. Wasser schien nicht mein Element zu sein. Doch Undertaker hatte es immer geschafft das Blatt zu wenden, egal wie knapp es war. Selbstsüchtig? Klar. Es ist unglaublich selbstsüchtig eine Familie und ihre Freunde zu beschützen und ihnen treu zur Seite stehen, weil man es seinem vor 130 Jahren verstorbenen besten Freund versprochen hatte. Es war auch über alle Maßen selbstsüchtig sich Dämonen entgegen zu werfen, weil zwei dumme Mädchen dachten sie könnten sie linken und ein Blick auf ihre Pläne erhaschen. Er warf sich selbst öfter in die Waagschale, als mir lieb war. Rachsüchtig? Das war das Einzige, was ich bejahen musste. Wahrscheinlich war er das wirklich. Doch er sann ja nicht auf Rache, weil ihn mal Jemand einen seiner Kekse geklaut hatte. Ich war mir sicher es brauchte einiges, um es sich mit dem Totengräber so zu verscherzen, dass er einen endgültig an den Kragen wollte. Ich war mir auch sicher, wenn es soweit war hatte man ein Problem, dem man nicht entfliehen konnte. Doch mir fielen so Unmengen andere Adjektive ein, die so viel besser passten. Aufmerksam. Undertaker erkannte die Gemütslage der Leute um sich herum sofort. Seine unglaublich grünen Augen schauten einen nicht nur ins Gesicht, sondern direkt in die Seele. Auch durch seinen Pony. Und bei den Menschen die er mochte ließ er nicht zu, dass etwas schwer auf ihrer Seele lag. Er hatte so gut wie alles in seinem Blick, der auf mentaler Eben so unglaublich scharf war, wie er in physischer Hinsicht unscharf sein musste, damit diesen Menschen nichts passierte und auch wenn es nie so wirkte war ich mir sicher, er hatte sich für sie das ein oder andere Bein schon ausgerissen. Aufmunternd. Im Ernst? Wer konnte denn noch traurig sein, wenn er sein breites, zahnvolles Honigkuchengrinsen aufzog, sich selbst durch den Kakao zog oder einfach so ein bisschen verpeilt und verrückt war, wie er nun mal war. Ulkig! Oh, ja! Ein Wort, was wahrscheinlich eigens für ihn erfunden wurde. Er hatte nicht mehr alle Latten am Zaun, das stand nicht zur Diskussion, aber er war einfach so… Unfassbar! So wie er halt war. Er war lustig, hatte keine Scheu davor sich selbst auf die Schippe zu nehmen und war für jede Schandtat zu haben. Süß… Mein Gott, er war so süß… Dieses Gesicht… Dieses Lächeln… Diese Augen… Seine endlos unkomplizierte Art. Seine vollkommen unverblümte Neugierde auf einfach alles. Er war mehrere tausend Jahre alt und trotzdem wollte er immer noch alles verstehen, was er nicht kannte. Das war ein mentales Kunststück! Seine Begabung einen mit ein paar netten Worten aufzumuntern und einen riesigen Berg Probleme auf einmal ganz klein aussehen zu lassen, war beeindruckend. Seine bloße Anwesenheit hatte etwas Heilsames. Ich drehte mich um, schaute auf die aus dem Duschkopf prasselnde Wassertropfen und lehnte nun meinen Rücken an die Wand, um an ihr entlang in den Sitz zu rutschen. Einfach alles an ihm war so unfassbar süß… Er soll keinen unglaublichen Charakter haben? „Pffff!“, dieser Gedanke ließ mich tatsächlich kurz auflachen. Natürlich hatte er einen! Mir fielen so viele Adjektive ein und trotzdem war es irgendwie unglaublich schwer ihn zu beschreiben. Weil er einfach so unsagbar anders war, als alles und jeder den, oder das, ich kannte. Ich würde nie wieder jemanden kennen lernen, der so unglaublich war wie er. So ein Wesen war nicht schlecht, oder verdorben bis ins Letzte. Was er damals getan hatte muss einen Auslöser gehabt haben. Auch wenn es Frustration gepaart mit übersteigerter Wissbegier war. Und als ich so in meinen Gedanken versunken in die von oben herunter rasselnden Tropfen schaute, erinnerten sie mich an das erleichterte Lächeln was mir entgegen geschienen war, als ich meine Augen aufschlug, nachdem ich das in Watte gepackte Schwarz verlassen hatte. Ich erinnerte mich dran was er gesagt hatte: ‚Ich bin so froh, dass du lebst.‘ ‚War er das wirklich?‘ Dieser Satz hatte einen anderen Klang gehabt, als man vermutete. Irgendwie klang er… allumfassend. Nicht auf die Situation gemünzt, dass ich gerade so mal wieder nicht ertrunken war, sondern… generell. Aber wahrscheinlich bildete sich das mein strapaziertes Hirn und mein geplagtes Herz nur ein. Denn ein Satz, der geisterte so unheilvoll in meinem Kopf herum, dass mir unter der warmen Dusche kalt wurde: ‚Ich weiß, dass ich… dass ein Wesen wie ich es bin kein Wegbegleiter für dich ist.‘ Mein Herz zog sich zusammen. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Wenn Undertaker von etwas überzeugt war, dann… tat er es wahrscheinlich auch. Ich hatte ihn immer als sehr konsequent erlebt. Wenn er jetzt also der Meinung war, er sei kein guter Wegbegleiter für mich, dann… dann… Ich schüttelte meinen in die Hände gestützten Kopf, als ich es nicht schaffte den Gedanken zu Ende zu denken. Schon der halbe versetzte mir einen unfassbar schmerzvollen Stich. Dass er gekommen war… Dass er tatsächlich da gewesen war… Das war so unvorhergesehen und so unvorhergesehen schön gewesen! Ich hätte in meinen Träumen nicht daran geglaubt. Doch so war der Gedanke, dass dies heute vielleicht doch die letzte Begegnung gewesen war, mehr als nur unerträglich. Doch das ganze Denken brachte mich nicht weiter. Resigniert stand ich auf, shampoonierte mir die Haare und seifte mich schnell ein. Schließlich blockierte ich die Dusche unter die auch Amy wollte. Ich stellte sie aus, schnappte ein großes, weißes Frotteetuch und trocknete mich ab. Dabei stockte ich. Ein Gedanke traf mich wie ein Hammer: ‚Scheiße! Ich habe keine Wechselsachen hier!‘ Amy hatte mich einfach ins Bad gesteckt und ich hatte vergessen mir Kleider aus meinem Kleiderschrank zu holen! Ich versteckte mein Gesicht in dem Frotteetuch. Wir hatten volles Haus. Ich hörte die leisen, mittlerweile sehr heiteren Stimmen aus der Stube durch die Badezimmerwände. Alle saßen also noch im Wohnzimmer, tranken wahrscheinlich gemütlich den Kakao, den Sebastian mitgebracht hatte und wärmten sich auf. Außer William und Sebastian sind ja alle mindestens einmal in der Themse baden gegangen. „Ahhhh!“, erstickte ich meinen ärgerlichen Ausruf ich in dem Tuch, sodass fast kein Ton herausdrang: „Das ist doch Mist! Das kann doch nicht wahr sein!“ Denn wer saß höchstwahrscheinlich auch immer noch im Wohnzimmer und trank Kakao? Genau! Undertaker… Ich atmete tief durch. Ich wollte nicht noch mal in meine nassen Sachen. Jedes Härchen sträubte sich mir bei dem Gedanken an den klammen Stoff. Doch ich hatte das Glück, dass nur der sehr schmale Flur zwischen dem Bad und meinem Zimmer lag. Die Türen lagen genau gegenüber. Ich konnte also ganz schnell durchschlüpfen, ohne dass es jemand bemerkte. Auf dem kleinen, einen halben Meter breiten Stück Flur, was konnte da schon groß passieren? Nichts. Also trocknete ich mir die Haare ab, sprühte mir meine Lavendelsprühpflege hinein, kämmte sie durch und schlang mir das Frotteetuch um meinen Körper. Dann griff ich die Klinke und öffnete die Türe, bereit schnell durch den Flur in mein Zimmer zu huschen. „KRRRYYYYYYYAAAAAA!!!“ „AAAAAAHHHHHH!“ Was ich in dem Moment hörte, als ich die Klinke herunter drückte und die Türe öffnete, war kaum noch als Schrei zu bezeichnen. Ich spürte ihn in jeder Faser meines Körpers vibrieren, so intensiv donnerte er durch die Luft. Es war auch weniger ein Schrei, sondern eher ein spitzes Kreischen. So messerscharf wie ich es noch nie gehört hatte und dass mir fast die Ohren davon taub wurden. Es fuhr mir so schlagartig in die Knochen, dass ich selbst spitz aufschrie. All diese Empfindungen, von dem Wahrnehmen bis zu meiner Reaktion, krachten in dem Bruchteil eines Bruchteils einer Sekunde durch mich hindurch. Genauso lange roch ich diesen unvergleichlichen Gestank. Den Gestank von vermoderten Fleisch, verrotteten Moos und Schwefel. Und genauso lange sah ich diese abstoßende Gestalt. Humanoid und nackt. 4 Köpfe größer als ich und nur noch halb vorhanden. Das Fleisch hing in großen verwesten und schleimigen Fetzen von ihrem viel zu langen und unproportionalen Gerippe. Das Gekröse fiel heraus. Ein Auge war eine schwarze Höhle umrahmt von verkrustetem Blut. Das andere war hellbraun und blutunterlaufen. Das Vieh bückte sich zu mir herunter und brüllte mit einem dunklen, wurmstichigen Loch als Mund, besetzt mit vereinzelten, spitzen Zähnen. Es schickte mir ein Odeur entgegen, welches auf der Zunge sofort faulig schmeckte. In dem Moment, in dem ich mir die Seele aus dem Leib schrie, kniff ich die Augen zusammen, strauchelte nach hinten und fiel zu Boden. Mein Herz trommelte gegen meine Rippen, zog sich gleichzeitig dabei zusammen und schickte ein entsetzliches Ziehen durch alle meine Nerven. Mein Atem raschelte vor Horror. Meine Hand- und Fußsohlen kribbelten vor Schock und in meinem Magen brannte die blanke Panik. Ich riss sofort die Augen wieder auf, mir der Anwesenheit des Ungeheuers immer noch gewahr. Doch die Stelle wo das Monstrum gestanden hatte... war leer! Ich blinzelte verstört. Dort war nichts! Schwer und hastig atmend wie noch nie, starte ich auf den leeren Platz vor der Badezimmertür. Ich war in kalten Schweiß ausgebrochen, kurz vorm Hyperventilieren und zitterte wie Espenlaub. So sehr, dass meine Muskeln mir nicht mehr gehorchten. „Sky!“ Ich hörte ein Schlittern über den Boden. Der Läufer raufte sich zusammen, als der Bestatter auf seinen Knien über das dunkle Parkett rutschte und vor mir zum stillstand kam. Er griff mich an den Schultern. Seine drahtigen, kalten Hände verursachten umgehend ein Prickeln auf meiner noch vom Duschen warmen Haut: „Was ist passiert? Du bist weiß wie die Wand.“ Ich schaffte es nur irgendwie meine zittrige Hand zu heben und mit bebenden Zeigefinger auf die Stelle zu zeigen, wo eben noch das verrottete Irgendwas gestanden hatte: „Da… da… da war...“ „Was?“, Undertaker sah auf die verlassene Stelle und dann wieder in mein schreckensbleiches Gesicht: „Was war da?“ Mein Mund war staubtrocken, ich konnte kaum sprechen: „Ein… ein… ich weiß es nicht!“ Er schnappte meine immer noch erhobene bibbernde Hand und legte unsere verschränkten Hände gegen seine Brust. Sein Herzschlag vibrierte durch meine Finger und hatte etwas Beruhigendes: „Ruhig, meine Schöne. Atme tief durch. Was war dort? Beschreibe es mir.“ Trotz des beruhigenden Pochens an meinen Fingern konnte ich nicht durchatmen. Ich wusste nicht, ob mein Herz raste oder überhaupt noch schlug! Mir war heiß und kalt gleichzeitig und meine Muskeln schmerzten vom Zittern: „Ein… ein… Habt ihr das denn nicht gehört?!“ Das Vieh hatte so laut gekreischt, das hätte Undertaker noch in seinem Laden mitbekommen müssen! „Nein“, er schüttelte den Kopf: „Ich habe nur dich schreien hören. Was ist passiert?“ „Ich...“, ich schluckte trocken: „Ich wollte in mein Zimmer um mir etwas anzuziehen und...“, ich brach ab. Der Schock, der mich jetzt erfasste war ein ganz anderer… und noch viel schlimmer! Ich konnte spüren wie der blasse Schreck augenblicklich dem Lampionleuchten wich. Meine Zunge hatte ich komplett verschluckt. Mit großen Augen starrte ich Undertaker ins Gesicht. Ich… ich… ich… ich war eigentlich nackt! Das große Frotteetuch konnte man nicht als blickdichte Kleidung beschreiben! Ich starte einfach nur in sein schön geschnittenes Gesicht und konnte nicht glauben in was für einer… unglücklich prekären… Situation ich gelandet war. Warum hat mich das komische Was-auch-immer nicht einfach gefressen? Warum nicht?! Undertaker schaute mich verständnislos an. Er zog ein paar Augenblicke überlegend sein Auge ein kleines Stück zusammen. Dann wurde es weit in Erkenntnis. Es wanderte einmal an mir herunter und wieder hinauf. Dann erschien ein Grinsen in seinem Gesicht. Ein komisches Grinsen. Mit dem Finger drauf deuten konnte ich nicht, doch irgendwie wirkte es ganz anders als sonst. „Das ist definitiv ein“, der Totengräber räusperte sich kurz mit vorgehaltener geballter Hand - eine Geste, die ich an ihm noch nie gesehen hatte - und grinste dann so seltsam weiter: „Unerwarteter Anblick.“ Mein Gesicht fing Feuer, als nach ein paar geschockten Sekunden durch meine Gehirnwindungen gesickert war, worauf Undertaker anspielte. Ich konnte nicht mehr denken. Mein Kopf war ein blankes Blatt Papier. Als ich einige weitere Momente nur starren und stumm an meiner Scham sterben konnte, ließ Undertaker sein Auge noch einmal nach unten fallen und legt abschätzend einen Fingerknöchel an sein Kinn. Er beschaute mich vollkommen offensichtlich und vor allem vollkommen ungeniert! Mir klappte der Mund auf. Doch ich war von dieser Tat so dermaßen schockiert, dass ich kein Ton des Protests hervorbrachte. Und ich war immer noch über alle Maßen davon überfordert, wie ich gerade vor ihm saß! „Was nicht heißt“, Undertaker schaute mir, nachdem er mich einer eingehenden Musterung unterzogen hatte, mit zur Seite fallendem Kopf wieder ins Gesicht und sein komisches Grinsen wurde auf einen Schlag endlos verschmitzt: „Kehehe! Dass er nicht gefallen würde.“ Irgendetwas in mir schrie laut und starb im selben Moment kläglich. Ich wollte meine andere Hand erschrocken und in vollkommenen Unglauben auf meinen Mund pressen. Doch kaum hatte ich meine Finger gelockert griff Undertaker sie: „Ah ah ah! Das solltest du nicht los lassen.“ Meine Augen wurden noch größer. Undertaker hatte meine Hand gegriffen… die das… Handtuch fest hielt! Das war nicht das Problem. Ich war ihm sogar dankbar, dass er mich davor bewahrte… ja… wirklich ohne alles vor ihm zu sitzen… Das Problem war allerdings WO meine Hand das Handtuch festhielt! Er hatte um meine Finger um das Handtuch zu halten, seine langen Finger zwischen meine und der Haut meines... meines... meines Busen geschoben! Ich spürte seine Finger an dieser doch sehr privaten Körperstelle überdeutlich und ihre Kälte surrte schlagartig und knackend von dieser Stelle durch jeden Nerv, den ich hatte. Sofort hatte ich überall eine grausame Gänsehaut. Undertakers Auge wanderte langsam zu seiner Hand. Dann wieder in mein Gesicht. Sein Grinsen hing ein Stück schief: „...Ups.“ „AH!“, mit diesem Ausruf setzte meine Scham gebeuteltes Oberstübchen endgültig aus. Ich merkte noch wie sich mein Fuß mit voller Wucht in den Solarplexus des Bestatter bohrte. Mit einem: „Jirks!“, riss es seine Hände von meinen. Er machte eineinhalb flugse Purzelbäume und kam, Beine an der Tapete und Schultern auf den Boden, mit einem kleinen Scheppern an der Wand zum stehen. Ich sprang auf und rannte in mein Zimmer. Die Tür krachte hinter mir zu. Ich sprang auf mein Bett und rutschte gleichzeitig unter die Bettdecke. „Oh mein Gott!“, nuschelte ich in meine Matratze: „Oh mein Gott, ist das peinlich! Oh mein Gott, nein! Das… das ist nicht wirklich passiert!“ Ich setzte mich auf und raufte mir die Haare: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Es klopfte. „NEIN!“, schrie ich: „Wer auch immer da ist! Geh‘ weg!“ Amy öffnete die Türe und schloss sie wieder. Sie trug zwar schon eine lila Jogginghose und ein schwarzes Top, war aber nicht duschen gewesen. Sie grinste von einem Ohr zum Anderen: „Lebst du noch oder stirbst du gerade?“ Ich nahm mein Kopfkissen und warf es ihr ins Gesicht: „FRESSE!“ Ich traf. Es blieb auf Amys Gesicht hängen und ich hörte sie darunter lachen. Dann zog sie es von ihrem Kopf: „Meine Herren. Was war denn überhaupt los? Abgesehen davon, dass du fast nackt wie Gott dich schuf vor Undertaker gesessen hast?“ Mein rechtes Auge zuckte: „Ach! Steck dir deine blöden Sprüche dahin wo niemals die Sonne scheint!“ Amy verschränkte mit einem diebischen Grinsen die Arme um mein Kopfkissen und neigte den Kopf ein Stück: „Hat man(n) denn was gesehen, was man(n) nicht sehen sollte?“ Mehr Blut pulsierte in meinem Gesicht: „Du kannst mich mal am Arsch lecken, weißt du das?!“ „Hat er?“, zog Amy eine Augenbraue hoch. „Ähm nem nem“, ich bekam kein richtiges Wort heraus. Ich wusste es nicht! Ich konnte nur beten, dass nichts verrutscht war! Und wie ich dafür betete! „Kehehehehe! Habe ich nicht“, lachte ein wohlbekanntes Lachen durch die geschlossene Zimmertüre. „AHHH!“, verschwand ich wieder unter meiner Bettdecke. Amy zog sie weg: „Hörst du? Alles in Ordnung. Wobei es zu diskutieren ist, ob Undertaker seinen Abflug wirklich verdient hatte.“ Ich hatte wieder die Nase in der Matratze: „Das war so peinlich...“ „Und deswegen kickst du ihn einmal durch den Flur? Nett. Ich würde dich nicht mehr retten.“ „Nein...“, ich seufzte: „Er hat… eine doofe Stelle erwischt...“ Ein paar Sekunden herrschte Stille. Dann blieb Amy ihrem Lachen ein weiteres Mal nicht Herr: „Ehrlich?! Hahahaha! Sag' nicht die Stelle, die ich denke!“ „Doch...“, ich fand die ganze Situation nur bei weitem weniger lustig als Amy. Amy dreht mich um und schaute mir kichernd ins Gesicht: „Aber er hat nichts gesehen und eigentlich ist es ja auch nur halb so wild.“ „Was?!“, ich fuhr in den Sitz: „Halb so wild?! Verarschen?!“ „Ja, mein Gott. Denkst du, du bist die erste nackte Frau, die er sieht?“ Amy machte nichts besser. Amy machte das alles wirklich nicht besser! Ja, wahrscheinlich hatte sie recht. Trotzdem war das einfach peinlich! „Außerdem“, fuhr Amy fort: „Würde uns alle viel mehr interessieren, warum du schreist wie am Spieß. Zieh dir was an und komm rüber.“ Ich versteckte mein Gesicht in meiner Hand: „Ich kann nicht...“ Ich werde Undertaker nie wieder unter die Augen treten können! „Gut“, machte Amy und ich hörte ihre Schritte: „Dann öffne ich jetzt diese Türe und hole alle rein. Alle! Ohne, dass du dich angezogen hast.“ „Waaaaaaaaaaas?!“, ich machte einen Satz vom Bett und sprang Amy in den Rücken. Mit einem erschrockenen Laut ihrerseits, riss ich sie um: „Das wirst du nicht tun!“ „Aua...“, nuschelte Amy unter mir in den Boden: „Meine Nase...“ Ich setzte mich auf: „Das hast du verdient!“ Auch Amy setzte sich auf: „Ich meine es ernst. Ich kann auch einfach rufen. Die Reaper hören mich.“ Amy atmete einmal tief ein. Ich wedelte mit einer Hand: „Nein, nein, nein! Ist gut! Ich komme rüber! Bitte tu‘ das niiii~iiicht!“ Amber lachte und stand auf: „Gut, bis gleich.“ Dann ging sie aus dem Raum. Ich seufzte geschlagen. Dann tigerte ich zu meinem Kleiderschrank und zog mir frische Unterwäsche und Socken, sowie meine lila Jogginghose und ein weißes Top an. Ich wechselte es allerdings durch ein schwarzes aus, da mir der Stoff zu dünn war und ich nicht noch einmal Gefahr laufen wollte mehr zu zeigen, als ich wollte. Darüber zog ich eine schwarze Stoffjacke und zog ihren Reißverschluss bis zum Hals zu. Vor meiner Zimmertüre stand ich ein halbe Ewigkeit. ‚Überwindung‘ war untertrieben für das was ich aufbringen musste, um diese Türe zu öffnen! Sicherlich hatten es alle irgendwie mitbekommen. Ganz bestimmt lachten sie mich alle aus sobald ich ins Wohnzimmer kam! Mit zittrigen Knien wackelte ich durch den Flur. Durch die Badezimmertüre erreichte das Rauschen von Wasser meine Ohren. Amy war wohl nun endlich selbst unter die Dusche gestiegen. Ich hörte die Stimmen der Anderen durch die offene Wohnzimmertür. Vor allem hörte ich Undertaker lachen und war kurz davor wieder umzudrehen und für immer in meinem Bett zu bleiben. Ich blieb am Rahmen der Wohnzimmertüre stehen, sodass mich von innen keiner sah. Ein Seufzen entfuhr mir. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Erst die Sachen am Freitag, dann dieses aufzehrende Wochenende gekrönt von dem Angriff eines riesigen Leviathans, garniert mit einem enormen Schreck und der peinlichsten ‚0,1%-Klamotten am Leib‘- Situation meines Lebens! Der einzigen… und schlimmsten! Das war doch keine Verkettung unglücklicher Umstände mehr! Ich lehnte mich mit einem leisen Jammern gegen die Wand. Warum war die Welt so gemein zu mir? Wieso? Was hatte ich getan? Ich war so müde... „Eh he he he. Willst du nicht rein kommen?“ Mein Kopf fuhr nach rechts. Undertaker hatte seinen aus dem Türrahmen gesteckt. Sein Pony fiel ihm aus dem Gesicht und er grinste mich an, als wäre nie etwas Peinliches passiert… oder ich hätte ihn nie durch den Flur getreten... Mein Gesicht allerdings leuchtete sofort wie der Stern von Bethlehem. Nur leider wies mir das keinen Weg! Ich schaute wieder zu Boden: „Es… Es tut mir leid...“ „Was?“ „Da-da-da… Der Tritt...“ „Ach der“, Undertakers Gesicht erschien vor meinen zu Boden schauenden Augen. Er beugte sich so tief herunter, dass sein langer Pferdeschwanz ein Stück auf dem Boden lag: „Kihihi! Ich habe es überlebt und ja, wahrscheinlich auch verdient.“ Ich streckte meine Wirbelsäule: „Wie?“ Undertaker entdrehte sich aus seiner komisch vorgebeugten Position - die der Wirbelsäule definitiv nicht dienlich sein konnte - und schaute mir ins Gesicht: „Wie ich es sagte. Ich habe ihn wahrscheinlich verdient.“ Verwirrung mischte sich in den puren Scham: „Wahrscheinlich verdient?“ „Nun“, er hob grinsend beide Hände: „Ich hatte es mit Nichten geplant, doch es ist mir nicht entgangen, dass ich meine Hand ein...“, er räusperte sich wieder in seine Faust: „Wenig unglücklich positioniert hatte.“ Mit diesen Worten schickte er mir ein zahnvolles, breites, entschuldigendes und vor allen Dingen vollkommen unschuldiges Grinsen entgegen. Ich blinzelte. Unglücklich positioniert? Dinge harmlos darstellen konnte er. Und das er jetzt dieses Grinsen aufzog war einfach gemein! Dem konnte man nicht böse sein! Undertakers Kopf fiel immer noch grinsend zur Seite: „Doch ich sah mich in der Pflicht nahendes Unglück abzuwenden. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Verzeihe mir.“ Wieder blinzelte ich. Hatte er sich gerade entschuldigt? Eigentlich konnte ich ihm wirklich keinen Vorwurf machen. Diese Entschuldigung entfachte in mir ein mehr als schlechtes Gewissen. Ich glaubte ihm, dass alles was geschehen war nicht aus Berechnung passiert war und eigentlich wollte er mir ja nur helfen und war zu mir geeilt, als ich mir die Seele aus dem Leib geschrien hatte: „Nein… eigentlich bist du das nicht...“ „Dann“, er steckte mir seine Nase ins Gesicht: „Bin ich doch neugierig, warum ich der Wand hallo sagen musste.“ „Äääääääh...“, die Hitze in meinem Gesicht brachte mich fast um. Leider nur fast: „Nun ja... ich äääähm... bin nicht sonderlich ansehnlich und... das war mir alles einfach peinlich... 'Schuldigung...“ Er nahm seine Nase aus meinem Gesicht. Vollkommen verständnislos schaut er auf meine Brust: „Aha?“ Die Hitze wich einen infernalischen Höllenfeuer. Ich schlang meine Arme auf meine Brüste und drehte mich ein Stück ab: „WAS MACHST DU DA?!“ Undertaker hob seine Augen wieder in mein Gesicht: „Gucken.“ „WAS?!“ „Gucken.“ „BITTE?!“ Undertaker hob eine Augenbraue: „Na. G, u, c, k, e, n. Gucken.“ Ich starrte ihn mit aufgerissenen Augen an: „Wa-wa-warum?!“ „Ich habe das Unansehnliche gesucht.“ Mein Kiefer klappte auf: „Das… das ist nicht dein Ernst?!“ Undertakers Kopf fiel zur Seite: „Nun… Doch.“ „Das musst du suchen?!“ „Ja. Sie blieb erfolglos.“ Mir klappte wieder der Kiefer auf. Ich starrte ihn mit offenen Mund an: „Er-er-er-er-erfolglos?!“ Er wackelte mit dem Kopf hin und her: „In der Tat. Erfolglos.“ „WAS?! Wa-wa-wa-was meinst du damit?!“, ich war bis ins Letzte beschämt und vollends verwirrt! „Na, ehehehe! Das, was erfolglos meint!“ „Wie?!“ Undertaker seufzte. Keine Sekunde später war ich dem plötzlichen Herztod ein weiteres Mal sehr nahe. Der Bestatter lehnte seinen Unterarm gegen die Wand neben mir. Ich drückte mich so fest gegen die Mauer in meinem Rücken wie ich konnte, als er sich nach vorne beugte und mein Kinn mit seinen langen Fingern griff. Er drehte mein Gesicht zu seinem: „Erfolglos meint, dass ich nichts Unansehnliches gefunden habe, ke he he! Und man könnte sagen ich bin seit neustem ziemlich gut im Bilde.“ Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen in sein diebisches Grinsen. Undertaker war nah... Er war sehr sehr nah! Unsere Körper und auch unsere Nasen berührten sich fast. Seine Finger schickten ein elektrisches Knistern durch die verzehrende Hitze in meinem Gesicht. Meine Schamesröte blühte in ganz neuen Dimensionen und mein Herz legte ein Tempo an den Tag, was nicht mehr als gesund zu bezeichnen war. Nachdem was im Badezimmer passiert war ertrug ich diese Nähe nicht sonderlich gut und dass er jetzt auch noch betonte wie gut er ja nun 'im Bilde sei' war zu viel für mein in so vielen Punkten überstrapaziertes Gemüt: ‚Peinlich! Peinlich, peinlich, peeeeeeinlich!' Zu keinem Kommentar mehr fähig tauchte ich mich hochroten Kopf unter seinem Arm hinweg und verschwand so schnell ich konnte ins Wohnzimmer. Ich konnte dieses Gespräch einfach nicht mehr ertragen! Immer noch im Gesicht leuchtend, warf ich mich auf die große Couch. Ronald grinste mich vom Sessel aus an: „Alles ok?“ „Tssshhh!“, fauchte ich ihn an ruhig zu sein. Sebastians Hand erschien mit einer immer noch dampfenden Tasse vor meiner Nase: „Beruhigt euch, Lady Rosewell. Trinkt einen Schluck, das wird helfen. Dann erklärt uns was euch so geängstigt hat.“ Seufzend nahm ich die Tasse entgegen. Dann ruckelte kurz die Couch. Ich schaute neben mich, wo sich Undertaker schwungvoll gesetzt hatte. Ich war mir sicher, dass ich kein Gesicht mehr hatte. Nur ein verkohltes Etwas mit Nase. Doch auch merkte ich, dass neben mir der einzige freie Platz gewesen war. Ich drehte mein Gesicht ab und nahm hastig einen Schluck Kakao. Er schmeckte köstlich! Süß und schokoladig. Die Sahne und die Mini-Marschmellows gaben alles den richtigen Schliff. Doch so richtig genießen konnte ich ihn nicht. Ich war müde. Nein, eigentlich fühlte ich mich vollkommen überanstrengt. Ich hatte mich an diesem Tag so oft erschreckt, ich konnte es nicht zählen. Mein Herz zog unangenehm in meiner Brust, gebeutelt von der ständigen Gratwanderung zwischen aussetzten und rasen. Mein Kopf hämmerte und verursachte mir einen leichten, aber sehr unangenehmen Schwindel. „Du siehst nicht gut aus, Herzchen“, weckte mich Grells Stimme, der neben William auf der 2er Couch saß. Mein Blick wanderte über die Anwesenden. Ich war mir sicher ausgelacht zu werden, doch alle Gesichter schauten mir recht bedeckt und zumindest Grell, Ronald und Undertaker auch reichlich besorgt entgegen. Eine Hand erschien auf meinem Kopf: „Fu fu fu. Mir scheint als bräuchte da jemand dringend sein Bett.“ Ich drehte meinen Kopf zu Undertaker. Es war tatsächlich seine Hand. Er lächelte mich an. Warm und herzlich. In seinem Gesicht stand nichts mehr von dem, was passiert war. „Erzähle uns was geschehen ist“, schien mir sein Lächeln entgegen: „Danach solltest du zu Bett gehen.“ „Ich“, ich schaute auf meine Kakaotasse in meinen verschränkten Fingern: „Weiß nicht genau... Als ich die Türe aufgemacht habe, stand da so ein... Ding...“ „Ding?“, fragte Ronald: „Was für ein Ding?“ „Ihr habt es nicht bemerkt, Lady Rosewell?“, setzte der Butler sofort nach. Meine strapazierten Gedanken brauchten ein paar Sekunden, bis ich verstand worauf der Butler anspielte: „Äh... nein. Nein, ich meine nicht...“ „Du meinst?“, legte Ronald seinen Kopf schief. Undertakers Hand verschwand von meinem Kopf. Ich sah aus meinem Augenwinkel wie er die Beine überkreuzte: „Nun. Fuhuhuhu! Heute war ein sehr ereignisreicher Tag, danach kann man nicht von jedem erwarten noch aller Sinne vollends Herr zu sein.“ Ich schaute wieder zu dem Totengräber. Er hatte Arme und Beine verschränkt. Sein eines, frei liegendes Auge musterte die Gruppe brillenlos, aber aufmerksam. Wieder einmal war ich mir sicher, dass Undertaker nicht so sah, wie wir es definierten. Ich war mir sicher diese Augen sahen ganze andere, viel wichtigere Dinge. Doch was mich wirklich irritierte war der Satz, den er gerade gesprochen hatte. Hatte er mich in Schutz genommen? Ich konnte es nicht sagen. Grell seufzte und weckte mich aus meinen Gedanken: „Ja, ja das ist wohl wahr.“ „Oder es war kein Dämon“, hörte ich William. Alle Augen wanderten zu ihm. „Wie sollen wir das verstehen, Mr. Spears?“, sprach Sebastian mehr als skeptisch. „Es gibt mehr als nur Dämonen. Wir sind darüber im Bilde. Die Trancys auch“, der Aufsichtsbeamte wandte den Kopf zu mir: „Eine detaillierte Beschreibung wäre dienlich, Miss Rosewell.“ Die Formulierung 'im Bilde' scheuchte in mir ein ganz unangenehmes Gefühl auf. Von heute an war sie auf unangenehmste vorbelastet! Ich versuchte mich krampfhaft auf seine Frage zu konzentrieren: „Nun... sie war groß, unproportional langgezogen und... verfault.“ „Verfault?“, fragte der Totengräber neben mir sofort. Wahrscheinlich waren solche Worte seine inoffiziellen Codewörter. Ich neigte mein Gesicht zu ihm: „Ja, sie... Das Ding... war total verrottet. Überall sah man die Knochen und das... ihre... Innereien fielen aus dem Bauchraum. Es hatte nur noch ein Auge, sah aus wie ein vermoderter Zombie und kreischte ganz schrill. Es war so laut, es tat richtig in den Ohren weh. Als ich die Tür öffnete, schrie es mich an. Ich habe intuitiv die Augen zusammen gekniffen und als ich wieder hinschaute... war sie einfach weg...“ Alle Augen richteten sich zu Undertaker. Dieser lachte auf: „Fuhuhu! Schaut' mich nicht so an! Eine Doll war es nicht.“ „Aha“, machte William: „Sicher?“ Undertaker grinste William an: „Aber über alle Maßen! Ich würde nie eine Doll so verkommen lassen. Außerdem kann es sich nicht um einen menschlichen Körper handeln.“ Ich wollte einen Schluck Kakao nehmen, doch das dieses Gespräch auf einmal auf Undertakers Dolls zu sprechen kam verscheuchte in mir jegliches Bedürfnis auf Kakao oder Lebensmittel an sich. Mir fuhr durch die Gedanken, was die Dolls waren. Was Undertaker getan hatte. Wie schrecklich es war. Obwohl ich mir sicher war in Undertakers Nähe bleiben zu wollen, genau so sehr wünschte ich mir Undertaker hätte nie bei dem Experiment von Osiris mitgewirkt. Ich wünschte mir so sehr, er hätte all die schlimmen Dinge nicht getan. Doch die Anderen bekamen diese Gedanken nicht mit und das Gespräch, welches mir schmerzhaft Herz und Magen verdrehte, ging weiter. „Warum nicht?“, fragte Ronald. Undertaker lachte: „Kehehehehe! So wie es klingt war dieses Wesen schon recht verwittert. Ab einem gewissen Verwesungsgrad sind nicht mehr genug intakte Muskeln und Sehnen vorhanden um einen menschlichen Körper zu bewegen. Ganz einfach.“ „Macht Sinn“, Grell nahm einen Schluck aus seiner Tasse: „Es ist widerlich, aber es macht Sinn.“ „Habt ihr was bemerkt?“, lenkte Ronald mit seiner Frage das Thema von den Dolls weg. Ich war ihm unendlich dankbar dafür: „Sky ist schließlich nicht die Einzige, die Präsenzen mitbekommen sollte. Vielleicht sollten wir uns nicht nur auf ihr Gespür verlassen.“ „Hast du was bemerkt?“, konterte Grell mit einer eigenen Frage. „Nein“, schüttelte Ronald seinen blonden Schopf: „Aber ich bin auch kein Maß.“ „Stimmt, aber ich passe auch“, wirkte Grell nun recht resigniert. „Ebenfalls“, sprach William einsilbig in seine Tasse. Sebastian schüttelte nur den Kopf. „Nein, nichts“, schüttelte auch Undertaker den Kopf und wirkte ungewohnt unbegeistert dabei. „Aber William“, Grell wandte sich zu dem Aufsichtsbeamten neben sich, der selbst nur die Augen zu dem roten Reaper bewegte: „Warum erwähnst du die Trancys?“ William nahm noch einen Schluck aus seiner Tasse bevor er sprach: „Weil es kein fernliegender Gedanke ist, dass sie ihre Finger im Spiel haben könnten. Sie werden bemerkt haben, dass Miss Rosewell fähig ist Dämonen trotz der Steinmedaillons zu bemerken. Das sie nun plötzlich ein Wesen ängstigt, welches keiner mehr spüren kann, ist entweder ein Streich ihres gestressten Gemütes oder ein neuer Schachzug Olivers und Claudes.“ Sebastian legte überlegend eine Hand an sein Kinn. Ronald und Grell schauten sich besorgt an. Ich schaffte es irgendwie Undertaker anzuschauen. Sein Gesicht war ernst geworden. Sehr ernst. Darin stand, dass er der Situation keinerlei Komik abgewinnen konnte, was immer ein sehr schlechtes Zeichen war, soviel hatte ich in der kurzen Zeit in der ich ihn nun kannte verstanden. Als er die recht betretene Gruppe musterte, huschten einige Gedanken durch sein strahlend grünes Auge. „Aber“, Ronald schaute jeden einmal ins Gesicht und brach so das langgezogene nachdenklich Schweigen: „Was für ein Ding war das, wenn es weder eine Doll, noch ein Dämon war?“ „Gute Frage“, seufzte Grell und schaute Undertaker an. Dieser schüttelte nur schweigend den Kopf. Ein Umstand der nur noch mehr verdeutlichte wie ernst die Situation war. Grell seufzte wieder: „Das ist mehr als nur schlecht.“ „Was?“, hörte ich auf einmal Amys Stimme. Ihre Haare waren feucht und sie setzte sich neben Undertaker: „Was ist schlecht?“ „Das Wesen, welches uns Lady Rosewell beschrieb, stellt uns vor ein Rätsel, junge Lady“, antwortete der Butler: „Keiner ist fähig es zu spüren und selbst Undertaker kennt es nicht.“ „Woas?!“, Amy schaute Undertaker an: „Du hast keine Idee?“ Wieder schüttelte Undertaker nur den Kopf. Mir gefiel nicht, dass er nicht sprach. Amy seufzte nun ebenfalls: „Na prächtig. Und nun?“ Ein weiteres Mal setzte ein fast ratloses Schweigen ein. Sebastian wandte sich zu dem Bestatter: „Undertaker?“ „Hm?“, fragte dieser durch seine geschlossenen Lippen und schien gerade aus einem tiefgehenden Gedankengang aufgewacht zu sein. „Ich habe eine Bitte an dich.“ Undertakers Kopf fiel zur Seite und das altbekannte Grinsen erschien wieder darauf. Doch es wirkte angespannt, fast aufgesetzt: „Ehehe! Nun bin ich gespannt.“ „Wäre es dir möglich täglich bei der jungen Lady vorbeizuschauen? Die neusten Entwicklungen bereiten mir Sorge.“ „Kehe! Welch seltenen Worte aus deinem Munde, Butler.“ „Was wäre ich für ein Butler, wenn ich mich um die Tochter meines Herren nicht sorgen würde?“ Undertaker lachte noch einmal: „Nihi! Keiner, der der Familie Phantomhive würdig wäre“, dann ebbte sein belustigter Ton sehr abrupt ab. Er grinste noch, doch es fehlte in seiner Stimme: „In der Tat, Butler. Es ist mir möglich.“ „Ich danke dir.“ „Wuhuhu!“, erschien Undertakers Lachen so plötzlich wieder wie es gegangen und gekommen war. Ich war mir nicht sicher, was diese extremen Schwankungen zu bedeuten hatten: „Noch seltener! Ich muss mir diesen Tag rot im Kalender anstreichen!“ Sebastian seufzte: „Es ist nicht die Zeit zu scherzen.“ „Es ist immer Zeit für ein herzliches Lachen“, grinste der Totengräber: „Aber es wundert mich nicht, dass du dies nicht verstehst.“ Ein komisches Gefühl wallte in mir auf. Undertaker will täglich vorbei kommen? Ging er doch nicht fort und kam nie wieder? Doch irgendwie... war seine Aussage, er schaue nun öfter nach dem Rechten, kein Garant dafür. Er tat das als ein treuer Gefährte Alexanders und seine blanke körperliche Anwesenheit verhinderte nicht, dass er sich emotional von mir entfernen könne. Ich wollte das nicht. Dieser Gedanke war noch quälender, als die Tatsache ich könnte ihn nie wiedersehen. Der Butler seufzte erneut. Doch bevor er etwas erwidern konnte wehte eine leise Rockmusik durch den Raum. Ich erkannte sie. Es war Amys Klingelton. Die Phantomhive klopfte ihre Hose ab: „Hü? Wo ist es denn?“ Sebastian griff in seine Tasche und streckte Amy ihr Handy entgegen: „Ich war so frei es aufzulesen.“ „Danke“, machte Amy und schaute auf ihr Display in Sebastians Hand: „Oh, oh...“ Ich schaute sie an: „Wer ist es?“ „Lowell...“, machte Amy geknickt. Ich schluckte. Die Lehrer und Schüler waren geflohen. Sicher war Lowell aufgefallen, dass wir fehlten. Ich wusste nicht wie wir ihr erklären sollten, dass wir schon wieder im Schulheim waren. Amy sah aus, als habe sie ähnlich wenige Ideen dazu. Sebastian nahm ihr Handy und ging einfach ran: „Sebastian Michaelis, Butler der Phantomhives, am Apparat. Mit wem spreche ich?... Ah! Miss Lowell, natürlich... Nein, die junge Lady ist gerade verhindert, kann ich ihnen behilflich sein?... Tatsächlich?... Ich muss verneinen, Miss, uns ist nichts Außergewöhnliches aufgefallen... Im Wohnheim, seit etwa 10 Minuten, ich bitte untertänlichst unsere Verspätung zu entschuldigen, der Verkehr.“ Ich hörte Undertaker prusten. Amy hielt ihm sofort den Mund zu. Abgesehen von Undertakers ersticktem Lachen und Sebastians Worten herrschte Stille im Raum. Mit einem fast schelmischen Lächeln fuhr Sebastian damit fort, unserer Lehrerin einen Bären aufzubinden: „Miss Rosewell? Sie kam mit uns... Ja, in der Tat, sie war gestern noch im Wohnheim, doch heute Morgen entschied sie sich spontan uns mit ihrer Anwesenheit beim 12 Uhr Tee zu beehren. Mein Herr war äußerst erfreut... Die Damen erfreuen sich bester Gesundheit. Was ist denn geschehen, dass sie so explizit nachfragen?... Aha? Wenn dem so ist. Doch die Wohnheime sind doch sicherlich wieder freigegeben... Wunderbar!... Nein, ich habe zu danken... Ihnen auch einen guten Abend.“ Sebastian legte auf und hielt Amy ihr Handy wieder entgegen: „Miss Lowell ist beruhigt, junge Lady.“ Alle blinzelten den Dämon an, der Miss Lowell gerade in Perfektion den unwissenden Butler vorgespielt hatte. Amy ließ Undertakers Mund los, der sich nun in einem lauten Gekicher erging. Die Phantomhive steckte ihr Handy in die Hosentasche und ignorierte den giggelnden Totengräber neben ihr: „Gut.“ Ich seufzte und lehnte mich in die Couch. Meine Glieder waren bleischwer, genau wie meine Augenlider. Ich hob meine Tasse an den Mund, die gefühlte Tonnen wog, und leerte sie in einem Zug. Neben mir ebbte das Kichern ab. Ich spürte ein paar Augen auf mir und wandte mein Gesicht Undertaker zu. Dieser musterte mich, was mir immer noch mehr als nur unangenehm war. „Was“, fragte ich schließlich skeptisch: „Schaust du?“ Er fuhr mir mit seinen Fingernägeln durch die Haare: „Du siehst müde aus.“ Diese Geste erschreckte mich, da sie so unerwartet war. Unerwartet und schön. Doch ich hatte immer noch das Gefühl, dass eine Wand zwischen mir und dem Bestatter stand. Und diese Wand bestand nicht aus meiner noch nicht gänzlich abgeflauten Scham. Sie stand schon vorher dort. Auch wenn Undertaker herzlich, wenn nicht sogar fürsorglich mit mir umging, irgendetwas stimmte nicht. Diese Empfindung brannte in einer heißen Übelkeit in meinem Magen. Sein Mund grinste, sein Auge schaute mir mit einer besorgten Nuance entgegen, doch etwas stand darin, was mir sauer aufstieß. Eine Schwere, von der ich mir sicher war, dass er sie zu verstecken versuchte. Ich wusste, dass Undertaker mit seiner Aussage, ich sähe müde aus, diesen Tag für alle beenden wollte. Ronald und Grell sahen recht mitgenommen aus. Sicherlich war auch William angestrengt, schaffte nur besser es zu verstecken. Wie es Sebastian ging konnte ich nicht recht sagen, doch auch er hatte heute einiges an Kraft aufgeboten, dessen war ich mir sicher. Amy war, wie ich, über ihren Zenit, was ich ihrem ermatteten Gesicht entnahm. Wie es Undertaker selbst ging, war mir allerdings ein vollkommenes Rätsel. Abgesehen von all dem lag immer noch eine gewisse Ratlosigkeit in der Luft, die merklich auf das Gemüt aller Anwesenden drückte. Wahrscheinlich war es keine schlechte Idee nun einen Schlussstrich unter diesen Tag zu ziehen. Doch irgendwie machte mir dieser Gedanke Angst. Was passierte, wenn Undertaker nun ging? Wenn er heim ging und noch einmal über alles schlief. Dachte er überhaupt darüber nach, was heute alles passiert war? Und damit meinte ich nicht meine Badezimmereskapade, sondern die Situation vorher... an der Themse. Alles was er dort gesagt hatte. Die Überzeugung er sei kein Wegbegleiter für mich... Der Aussage, dass auch er mich vermisst hatte. Welche Schlüsse zog er? Hatte er sie schon gezogen? Ich schaute in sein grünes Auge und suchte die Antwort auf all meine Fragen. Doch es war als habe er einen Riegel vor seine Gedanken geschoben. In seinem Auge stand nur diese unterschwellig schwere Nuance, die ich nicht deuten konnte. Sein Grinsen wurde ein seichtes, doch sehr seltsames Lächeln: „Gehe ins Bett.“ „Aber...“ „Nichts aber“, unterbrach Undertaker meinen Protest mit einem Kopfschütteln. Ich wusste auch nicht recht, was ich protestiert hätte, obwohl ich schon dazu angesetzt hatte. „Ich möchte, dass du nun schlafen gehst“, fuhr er fort: „Es ist heute genug passiert. Lass den Tag enden und ruhe dich aus.“ Er nahm seine Hand aus meinen Haaren, um sie auf meine Wange zu legen. Sie war so kalt und ihre kühle Berührung fühlte sich ungeahnt gut an. Mein Gesicht war immer noch furchtbar warm, obwohl ich dachte meine Schamesröte sei endlich wieder verschwunden. Sofort zog er skeptisch sein Auge zusammen: „Geht es dir gut?“ Ich runzelte die Stirn: „Wieso fragst du?“ Er strich mir mit dem Daumen über die Wange: „Du bist ganz warm“, er legte seine Hand auf meine Stirn: „Ist dir wohl?“ „Ähm“, ich stockte kurz. Nein, mir war nicht wohl. Doch das lag nur bedingt an meinem körperlichen Zustand. Aber... vor allen konnte ich meine Gedanken nicht aussprechen. Ich war mir sicher, ich konnte es selbst vor Undertaker allein nicht direkt. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Ich konnte ihm nicht sagen, wie viel Angst ich hatte, dass er sich von mir abwenden könnte. Warum auch immer er dies tat. Doch er sah mich so eindringlich an, dass ich wusste, er würde jede Lüge sofort entlarven. Dann nahm er plötzlich die Hand von meiner Stirn. Zu plötzlich für seine Verhältnisse. In mir drin stockte es. Es stimmte. Er wandte sich ab. Ich schlug die Augen nieder: „Ich... bin müde.“ Sein Blick blieb skeptisch: „Nur?“ Ich nickte leicht. Ich hatte nicht gelogen, doch überzeugt hatte ich den Bestatter auch nicht. Ronald hüpfte auf die Füße und ließ meinen Kopf herumfahren: „Für uns wird es auch Zeit“, er schaute seine Kollegen an: „Nicht?“ William erhob sich: „Sicherlich. Morgen wird ein langer Tag.“ Grell stand auf und streckte sich: „Betone es nicht so... Mir ist bei diesem Gedanke nur allzu sehr nach Urlaub.“ Sebastian verbeugte sich: „Ich werde mich ebenfalls empfehlen. Euer Vater erwartet meinen Bericht sicher mit scharrenden Hufen, junge Lady. Ich wünsche allen Anwesenden eine erholsame Nachtruhe.“ Ein Wind ging durch den Raum und der Butler war einfach verschwunden. „Ich schließe mich dem an“, sprach William in seiner tonlosen Stimmlage und ging zum Fenster: „Gute Nacht.“ Mit diesen Worten sprang er hinaus. „Gute Nacht, meine Süßen! ~♥“, Grell blies uns einen Handkuss zu und sprang hinter William her. „Schlaft gut! Last euch nicht fressen!“, entschwand auch Ronald. Undertaker erhob sich. Ich schaute zu ihm auf. Er grinste. Er grinste wie immer und gleichzeitig auch nicht: „Skyler? Amber?“ „Hm?“, machten wir beide im Chor. „Sollte einer von euch unerwartet Besuch bekommen“, grinste er: „Ruft mich an. Sofort. Kehehehe! Keine Heldentaten.“ Amber nickte zerknirscht, wohl wissen worauf der Bestatter sich bezog: „Ist gut. Ich habe verstanden...“ Ich konnte nichts sagen. Als Undertaker aufgestanden war, hatte sich ein Kloß in meinen Hals gesetzt. Irgendetwas in mir wollte ihn bitten zu bleiben. Doch ich wusste nicht wie ich diese Bitte begründen sollte. „Nun denn“, er verbeugte sich formvollendet, was in seinem T-Shirt- und Jogginghosenaufzug mit den nackten Füßen recht sonderbar aussah: „Erholt euch gut. Gute Nacht.“ Dann war auch er plötzlich verschwunden. Zu plötzlich um noch irgendetwas zu sagen. Ich schaute auf die Stelle von der er verschwunden war. Das Herz war mir schwer. Kummer lag darin. Kummer, Angst, Verwirrung und Scham. Ich schloss meine Augen, als ich mich diesem zermürbendem Gefühlen ein Stück ergab. Ich spürte zwei Arme um meinen Hals und eine Schläfe an meiner. „Was hast du, hm?“, sprach die Stimme der Phantomhive weich und doch besorgt an meiner Schläfe. Ich schüttelte ermattet den Kopf: „Ich weiß es nicht.“ „Womit haderst du?“ Mit einem Seufzen stellte ich meine leere Tasse ab und vergrub mein Gesicht in den Händen. „Sky?“ „Hm?“ „Sei ehrlich zu mir. Die Situation ist nicht ansatzweise geklärt, oder?“ Ich schüttelte wieder den Kopf. Mein Herz schlug schwer und langsam. Müde und erschöpft. „Was hat er gesagt, was so schwer wiegt? Es kam doch noch etwas dazu, oder? Es geht nicht nur noch um das was auf der Campania passiert ist, nicht?“ Ich ließ meine Hände sinken und schaute auf meine Finger. Nervös nestelte ich an einem der Tapes um meine lädierten Fingernägel herum: „Nein... Nein er... Er meinte er sei kein guter Wegbegleiter für mich und...“, ich brach ab. Was er alles gesagt hatte legte mir abermals einen Kloß in den Hals. „Und?“, machte Amy mitfühlend: „Sky rede. Alleine gehst du daran unter.“ Ich kniff die Augen zusammen: „Er sprach so schlecht von sich.“ „Wirklich?“ „Ja...“ „Und noch?“ „Er sagte, er habe mich vermisst...“ Amy atmete durch: „Paradox... Das passt nicht zu ihm. Aber er benimmt sich schon das ganze Wochenende seltsam.“ Jetzt schaute ich Amy an: „In wie fern?“ „Ja, was beim Training los war, weißt du. Warum genau das passiert ist, ist immer noch ein stillschweigendes Geheimnis zwischen Undertaker und Ronald und heute... ich weiß nicht. Er wirkte unauthentisch. Erlebt habe ich das noch nie. Ich kenne Undertaker nur grinsend und lachend, aber heute wirkte es... nicht richtig.“ Ich legte meinen Kopf schief: „Denkst du?“ Ich fragte nicht, weil ich Amys Einschätzung nicht glaubte. Ich fragte, weil ich genau dasselbe gedacht hatte. Amy nickte: „Ja. Irgendwie stand er heute ziemlich neben sich.“ „Und warum?“ Amy zuckte mit den Achseln: „Ich weiß nicht. Ich weiß nicht recht, was ich davon denken soll. Ich kenne ihn schon lange, doch so habe ich ihn noch nie erlebt.“ Ich kratzte mich am Hals: „Wahrscheinlich... hab ich sein Vertrauen am Freitag Abend vollends mit Füßen getreten. Ich... ich war mir sicher... wenn ich ging, dann... dann ist die Türe zu“, wieder versteckte ich mein Gesicht in den Händen: „Und ich habe es trotzdem getan... und nun? Sagt Undertaker ich habe intuitiv das Richtige getan und ich solle meine Zeit nicht mit ihm verbringen...“ „Hat er?“ Wieder nickte ich nur. Mein Herz riss mich fast zu Boden. Amys Arme verschwanden und ich hörte wie sie in die Polster fiel: „Scheiße...“ Ich schaute sie müde an: „Mein Gedanke. Doch warum ist es auch deiner?“ Amys Gesicht sah fast leidend aus: „Wenn er etwas sagt, meint er es auch... und dann passiert es auch...“ Mit einem raschelnden Atemzug unterdrückte ich ein Schluchzen. Meine Nase knisterte. Tränen klopften an. Ich stand auf: „Ich gehe ins Bett.“ „Sky...“ „Amy“, unterbrach ich sie: „Bitte... Lass es gut sein...“ Die Phantomhive fühlte nur allzu offensichtlich mit mir mit, doch ignorierte sie meine Aussage: „Was nun?“ „Ich...“, verließ ich das Wohnzimmer: „Weiß es nicht...“ Kurz danach lag ich in meinem Bett. Mutterseelen alleine. Von der Welt verlassen. Vom Schicksal geschlagen und meinen schlechten Gefühlen machtlos unterlegen. Es war still. Furchtbar still. Mein Kopf repetierte alles was geschehen war. Immer wieder. Ich war schmerzhaft verwirrt. Obwohl Undertaker so nett zu mir gewesen war, hat sein komisches und, wie Amy recht erkannt hatte, streckenweise wirklich paradoxes Verhalten tiefe Spuren hinterlassen. Ob alles wieder gut wurde... wusste ich nicht. Doch ich hatte das unabdingbare Gefühl der Bestatter hatte sich schon mehr als zwei Schritte von mir entfernt. Obwohl mein Herz so schwer war und meine Gedanken so konfus, forderte die Anstrengungen der letzten Tage irgendwann ihren Tribut. Doch schöne Träume waren es nicht. Undertaker 'Nein, nein, nein!' Die Luft surrte an mir vorbei. Mein Herz raste. Obwohl alles so schnell vonstatten ging, hatte ich das Gefühl die Welt und ich selbst bewegte sich träge und quälend langsam. Nur der Tentakel tat es nicht. Der Tentakel hatte eine ungeahnte Geschwindigkeit angenommen. 'Nein!', ich würde es nicht schaffen! Ich war mir sicher, ich würde nicht rechtzeitig zu Skyler kommen. Ich hechtete zu ihr, so schnell mir nur möglich war. Mein Verstand war bis zum bersten gespannt. Mein Puls hatte eine Frequenz angenommen, die ich erst vor einigen Tagen wieder kennen gelernt hatte. Davor hatte ich es Jahrzehnte nicht gefühlt. Das Gefühl der heißen Angst um ein geliebtes Wesen, die quälende Gewissheit zu spät zu sein und der kleine helle Funken Hoffnung. Der, der am Ende meist erbärmlichst starb. Der, dessen Tod einen in die Verzweiflung trieb. Doch ich hielt an diesem Funken fest. Trotz allem hielt ich mich an diesem Funken fest. Die Tentakel kam der jungen Frau immer noch viel zu schnell näher. Viel schneller als ich es tat. Doch Hilfe kam von einer Seite an, die ich in diesem Moment nicht mehr gedacht hatte. Ich hatte nicht mehr daran gedacht, dass ich nicht alleine war. Ich hatte, um ehrlich zu sein, an nicht viel mehr gedacht. Nur daran so schnell wie möglichen, nein, eigentlich schneller, zu der schönen Brünetten zu kommen. Während die Tentakel auf Skyler zu schnellte, krachte die Schneide einer Baumschere davor. Mit Schwung. Mit viel Schwung. Williams Intervention brachte das Vieh zum kreischen. Es schepperte in meinen Ohren. Die Tentakel zuckte getroffen zur Seite. Der Funken wuchs und glühte weiß in meiner Magengegend. Doch die Astschere hatte nicht ausgereicht um den Angriff ganz zu stoppen. Der Tentakel erwischte Skyler von der Seite und das junge Ding verschwand darin. Er zog sie weg: ‚Nein!‘ Ich schlitterte einen Stück über den Rasen, an der Stelle wo eben noch Skyler saß. Allerdings hatte der Leviathan seine Tentakel mit der schönen Lady im Griff wieder eingezogen und im Wasser verschwinden lassen. Doch wenigstens hatte er sie nicht zermalmt. Dank Williams beherzten Eingreifens hatte er sie nicht einfach zerquetscht. Ohne Luft blieben Menschen vielleicht 3 Minuten bis zur Bewusstlosigkeit. Wenn sie vorher tief Luft geholt hatten. Und wie ich Skyler kennen gelernt hatte hielt sie immer wenn sie ein schlimmes negatives Gefühl beschlich den Atem an. So blieb ihr viel weniger Zeit. Ich musste ihr hinterher! Mein Blick fiel auf den breiten aufgewühlten Fluss. Fluss… Ich strauchelte. Trotz all der heißen Sorge strauchelte bei diesem Anblick mein Tatendrang. Ein Fluss… Ich hasste Flüsse. Ich wusste nicht wieso, doch… ich hasste Flüsse. Aus tiefstem Herzen verabscheute ich sie. Meer, Pool, Sumpf, Moor, Seen all das war kein Problem, aber mit Flüssen… hatte ich ein riesiges. Ein saures Gefühl stieg mir in den Hals. Doch ich schüttelte den Kopf. So schnell ertrank ich nicht, doch die junge Sky kämpfte gerade um ihr junges Leben. Nach einem tiefen durchatmen preschte ich wieder nach vorne. Auf den… Fluss… zu. Doch ich durfte die unverhoffte Chance, die mir William verschaffte hatte, nicht verstreichen lassen! Der Leviathan schickte mir einen anderen Tentakel entgegen. Mir einem bestimmten Schnitt befreite ich ihn davon. Die Filmstreifen würdigte ich nicht einen Blickes. Kurz hoffte ich, es war vielleicht die Tentakel mit Skyler gewesen. Doch ich stellte erbost zischend fest, dass dem nicht so war. So lief ich weiter auf das Wasser zu. Es kam näher. Schnell, da ich wieder rannte so schnell mich meine Füße trugen. Und mit jedem Zentimeter, die der Fluss näher kam, geriet mein Herzschlag weiter aus den Fugen. Er wurde schneller. Hämmerte. Schickte mir mehr des sauren Gefühls in die Kehle. Ich holte ein weiteres mal tief Luft. Nicht um mich mit Sauerstoff zu bewaffnen, sondern um das Zaudern zu erdrücken. Dann sprang ich ab. In den Fluss. Das Flusswasser schlug mir ins Gesicht. Dieses Gefühl war abartig! Es war widerlich, abstoßend, vollkommen ekelhaft! Mein schnell schlagendes Herz schickte einen unwillkürlichen Schwall Überspanntheit in meine Glieder. Nur meine nach wie vor heiße Sorge, war stärker als mein Drang sofort wieder aufzutauchen. Der Anblick, der die Hände vor das Gesicht haltenden Skyler vor meinem inneren Auge, beflügelte mich zu den nächsten Schwimmzügen, gegen die sich sonst alles in mir sträubte. Da das Höllentor den Himmel verfinsterte, war es hier unten unsagbar dunkel. Erst nach dem ich einige Meter abgetaucht war fanden meine Augen die eine zusammengerollte Tentakel, in der Skyler steckte, da ich immer noch meine Brille auf der Nase trug. Doch der Leviathan hatte noch 6 weitere. Eine strich neben mir hart durchs Wasser. Wirkte nur träge, da Unterwasser jede Bewegung träger wirkte. Er verfehlte mich, aber die aufgewühlten Wassermassen drückten mich zur Seite. Ich machte einen sehr unfreiwilligen Salto, bis ich mich wieder fing und weiter tauchte. Gegen das Wasser und mein inneres Widerstreben ankämpfend. Doch die Tentakel des Leviathans wischten weiter durch den Fluss. Drückten mich durch das sich verwirbelnde Wasser nach rechts, nach links, nach oben, nach unten. Doch ich schwamm weiter. Immer weiter auf die eingerollte Tentakel zu. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich die Tentakel die mein Ziel war. Ich holte mit meiner Sense aus, da drückte mich ein weiterer Stoß Wasser fort. In die sengende Sorge und die allgegenwärtige Aversion mischte sich heiße Wut. Ich wünschte dieser verdammten Wasserschlange die blanke Pest an den abscheulichen Hals! Dafür, dass sie Skyler angriff! Dafür, dass sie mich zu diesem unsäglichen Tauchgang gezwungen hatte! Als ich mich abgefangen hatte schüttelte ich den Kopf. Ich musste mich konzentrieren. Auf das wirklich Wichtige! Nach zwei weiteren Zügen erreichte ich endlich wieder die Tentakel und rammte meine Sense hindurch. Das Biest schrie. Ich hörte das furchtbare Kreischen sogar durch die Wassermassen. Der abgeschnittene Teil erschlaffte. Filmstreifen wirbelten durch das Wasser. Ich schnipste sie weg, da sie mir das bisschen Sicht nahmen, das ich hatte. Sky kam zum Vorschein. Ihre Augen fielen zu. Ein Stich ging durch meinen ganzen Körper und vertrieb alles Weitere. Hatte ich zu lange gebraucht? Ich hoffte so sehr das nicht! Um das dünne Ding greifen und auftauchen zu können, entließ ich meine Sense. Ich griff ihre Hand, zog sie zum mir, schlang dann den Arm um ihren schlanken Leib und schwamm so schnell ich könnte gen Oberfläche. Es war so düster, die Oberfläche erkannte ich erst an dem Gefühl von Wasser das aus meinem Gesicht floss. Ich sog tief ein wenig der frischen Luft ein. Nicht, weil ich in Atemnot gekommen war, sondern aus Erleichterung, da wenigstens mein Gesicht nicht mehr im Wasser steckte. Ich schob meine Brille in die Innentasche, da ich durch die dicken Tropfen an den Gläsern noch weniger sehen konnte, als ohne. Mit einem Armschlag legte ich mich ein Stück auf den Rücken, sodass Skylers schlaffer Körper auf meinem lag. Rückwärts paddelte ich mir ihr zum nächsten Ufer. Mit einem Arm zog ich uns beide an dem steinernen Wellenbrecher hoch, hob sie auf beide Arme und stieg auf das sandige Ufer. Selten war ich dem Boden unter meinen Füßen so verbunden. Doch dieses Gefühl war nur eine Randerscheinung. Behutsam kniete ich mich hin und hielt die schöne Skyler im Arm. Ich legte meine Hand auf ihre Wange, kalt von dem herbstkühlen Wasser: „Sky?“ Keine Reaktion. Ihre blauen Augen waren geschlossen und sie rührte sich nicht. Ich schüttelte sie sachte an der Schulter: „Sky!“ Nichts. Ich beschaute die junge Frau. Dann griff eine klamme Hand mein Herz mit einem unbarmherzigen Griff. Ich sah, dass sich ihre Brust nicht hob! Mein Kopf fuhr wieder zu ihrem Gesicht: „Sky!!“ Als ich die Finger unter ihre Nase hob fühlte ich, was ich befürchtete: Nichts. Mein Herz erhöhte seinen Takt: „Kein Atem… Das kann… das darf nicht wahr sein!“ Die Sorge endete in Angst. In Angst, die mir den Mund austrocknete. Ich musste funktionieren! Mein Kopf schrie meinem Herz entgegen, dass ich jetzt funktionieren musste! Ich legte sie auf den Boden. Dann schob ich sachte ihren Kopf nach hinten und legte eine Hand auf ihre Stirn um ihren Kopf überstreckt zu halten. Ich war kein Meister in solchen Dingen. Normalerweise hatte ich es mit Menschen zu tun, die solchen Maßnahmen nicht mehr bedurften. Doch ich hatte keine Wahl. Etliche Jahre in der Dispatch Association, hatten auch einige Schüler bereit gehalten, die es fast geschafft hatten ertränkt zu werden. Einen Sensenmann zu ertränken war langwierig und umständlich, doch mit Nichten unmöglich. Ich konnte nur hoffen, dass ich wirklich so viel behalten hatte, wie ich meinte. Mit Daumen und Zeigefinger der auf der Stirn liegenden Hand verschloss ich ihre feine Nase. Mit der anderen griff ich ihr Kinn und öffnete leicht ihren geschwungenen Mund. Mein Herz machte einen lauten Schlag, als ich an das dachte was ich nun tun musste. Mein Gesicht wurde mir warm, was mich verwirrte und fast erschreckte. ‚Konzentriere dich...‘, ermahnte ich mich mit einem weiteren durchatmen selbst. Dann atmete ich so tief ein wie ich konnte. Meinen weit geöffneten Mund setzte ich fest um den Mund des jungen Dings und drückte vorsichtig die Luft von meinen Lungen in ihre. Als meine Lungen leer waren, nahm ich meinen Kopf hoch. Ich sah wie sich ihre Brust wieder senkte. Es muss funktioniert haben, doch ein eigenständiges Atmen Skylers blieb aus. Mein Herz zog sich zusammen. Schmerzhaft. Unendlich schmerzhaft. Gestresste Hitze stieg mir ins Gesicht. Ich wollte nicht, dass sich das Schicksal für mein Eingreifen vor einigen Tagen jetzt rächte. Mir sie doch wegnahm. Endgültig wegnahm. Ich war mir bewusst sie schon verloren zu haben. Aber der Gedanke sie könnte mir unter den Händen wegsterben ertrug ich nicht: „Bitte... atme.“ Ein weiteres Mal holte ich tief Luft. Ein weiteres Mal drückte ich meinen Mund um ihren und presste ihr meine Luft in die Lungen. Ein weiteres Mal sah ich wie sich ihre Brust wieder senkte, als ich abgelassen hatte. Ein weiteres Mal zog sich mein Herz zusammen und ich merkte den Funken in mir flattern. Ich merkte wie er kleiner wurde. Wie er Verzweiflung wich: „Tu‘ mir das nicht an! Atme!“ Machte ich doch etwas verkehrt? Ich musste gequält feststellen selbst wenn, ich wusste es nicht besser. Ich wusste es einfach nicht besser! Ein drittes Mal atmete ich ein und ein drittes Mal drückte ich ihr meine Luft entgegen. Dann merkte ich plötzlich ein Aufbäumen unter mir. Skys Mund stahl die Luft aus meinem. Hastig. Als ich ihr meinen ganzen Atem überlassen hatte, zog ich mein Kopf von ihrem weg. Mit einem tiefen, heiseren Einatmen sprangen ihre blauen Augen auf. Dann hustete sie verkrampft. Wasser schwappte aus ihrem Mund. Der Blick in diese blauen Augen gaben dem Funken neuen Zunder. Er wurde zu einer Flamme und vertrieb die aufkommende Verzweiflung mit einer warmen Flut Beruhigung: „Sky?“ Hustend huschten Skys Augen aufgeregt hin und her. Sie wirkte annähernd panisch. Ich legte meine Hand auf ihre Wange um ihr den Schock zu nehmen: „Sky?“ Als ich meine Hand wieder auf ihre ausgekühlte Haut gelegt hatte, fand ihr Blick meine Augen. Dort verblieb er. Schaute mir groß und ungläubig entgegen. Groß und ungläubig, aber atmend und lebendig. „Ahahaha“, sickerte meine unendliche Erleichterung in einem leisen Lachen aus mir heraus. Ich war so froh. So unbeschreiblich froh, dass sie mich wieder anschaute: „Na hallo, meine kleine Heldin.“ „Under… Ahe! Ahe! Ahe!“, ihr Versuch zu Sprechen ging in einem weiteren gepeinigten Aushusten von Wasser unter. „Shhh“, legte ich ihr einen Zeigefinger auf die Lippen: „Sprich nicht. Alles wird gut.“ Ich legte den Kopf schief und konnte das erleichterte Lächeln nicht aus meinem Gesicht vertreiben. Mein Herz war mir so warm geworden, als sie die Augen wieder aufgeschlagen und wieder zu atmen begonnen hatte. Warm und so ungeahnt leicht. Mit einem Mal. Sie schaute mich weiter an. Ihre Brust hob sich schwer. Plötzlich floh eine Träne aus ihrem Augenwinkel. Bei diesem Anblick grätschte ein unangenehmer Gedanke in meine Erleichterung. Der Gedanke, nein, die Erinnerung, dass sie vor mir weggelaufen war. Dass sie Angst vor mir hatte. Mit Sicherheit nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Mit Sicherheit und zu Recht. Ich konnte sie nicht glücklich machen. Nur immer mehr unangenehm überraschen und noch mehr ängstigen. Weil ich ein Monster war. Nichts, was sie verdiente. All dies stach mich. Hart und grausam. Doch nichtsdestotrotz, ich werde nicht zulassen, dass ihr junges Leben zu früh endet. Oder dass ihr großes Leid geschieht. Niemals. Mit diesen Gedanken nahm ich den Finger von ihren weichen Lippen und wischte die kleine Träne von ihrer nassen Wange. Strich mit den Rückseiten meiner Finger über ihre leicht eingefallenen Wangen: „Ich weiß, ich bin der Letzte, den du sehen wolltest.“ Ihre Unterlippe begann zu zittern. Sie hatte also tatsächlich Angst vor mir... „Aber ich habe dir etwas versprochen“, redete ich gegen diese grausamen Gewissheiten an: „Und du kannst vor mir davonlaufen, aber nicht vor meinen Versprechen.“ Immer noch schauten mir ihre himmelblauen Augen geweitet entgegen. Darin lagen viele rasende Gedanken. Darin lag Schreck. Doch sie lebte. Es war die Hauptsache, dass sie lebte und einen kurzen Moment verscheuchte diese angenehme Erkenntnis die andere bittere. Sie entlockte mir ein leises Lachen und ich gab den Impuls nach meine Stirn auf ihre zu legen. Wenigstens kurz auszunutzen, dass sie sich nicht wehren konnte. Vollkommen unverschämt nutzte ich aus, dass sie nicht weglaufen konnte: „Ich bin so froh, dass du lebst.“ Ich wusste, dass meine Stirn nur kurz auf ihrer ruhte. Doch ich genoss dreist diese kurze gefühlte Ewigkeit. Dann krachte ein weiteres Mal dieses grässliche Kreischen durch meine Ohren. Ich war mir fast sicher, es zerriss mir das Trommelfell. Mein Kopf fuhr zu dem Leviathan, dessen sich derweilen die Anderen angenommen haben. Das erkannte ich durch ein paar verschwommene Schatten. Ich griff in meine Tasche und setzte meine Brille wieder auf die Nase. Nicht nur die Reaper sprangen um den Leviathan herum. Auch der Butler war dort. Der Butler, der Skyler einfach zurückgelassen hatte. Ich wusste genau, dass es ihm ein Einfaches gewesen wäre, beide Mädchen mit sich zu nehmen. Wut gluckerte durch meinen Magen. Den Butler kralle ich mir noch. Später, aber ich werde es tun. Eben dieser Butler sprang von einer Tentakel weg: „So ein Ärger!“ Ich hätte es ihm mehr als nur gegönnt voll erwischt zu werden. Grell lenkte dies vollkommen ab und er ließ den Feind aus den Augen um zu Sebastian zu schauen, der weiteren Tentakeln auswich, indem er an ihnen weiter nach oben spurtete: „Bassy! Vorsicht!“ Ronald segelte einen Fuß auf seinem Rasenmäher durch die Luft, wedelte genervt wie angestrengt mit einem Arm und schaute ebenfalls nicht auf den Wasserdrachen, sondern war bemüht seine Balance zu halten: „Was ein Packo!“ „Sutcliff! Knox! Konzentriert euch!“, schallte sie William. Zu Recht. Ein Leviathan war kein Kontrahent, den man aus dem Fokus lassen sollte. Stark und mit 8 - gut, dieser nur noch 6 – Tentakel, zwei Händen mit scharfen Krallen, 4 großen Schwingen und etlichen spitzen Zähnen ausgestattet, hatte er ein großes Repertoire an Möglichkeiten einem sehr unangenehm zu Leibe zu rücken. „Ehehehehe!“, wischte ich mir lachend den Pony ganz aus dem Gesicht, gespannt wann die Beiden die Retourkutsche für ihre Unumsichtigkeit bekamen. Dann schaute ich wieder auf die neben mir auf dem Boden liegende Skyler. Sie sah schwach aus. Eigentlich wollte ich sie nicht recht alleine zurücklassen, doch ich hatte keine Wahl. Die größte Gefahr war gerade der große Leviathan. Er musste schnellstmöglich wieder verschwinden, bevor er zu viel Schaden anrichten konnte: „Hör gut zu, meine Schöne. Tehe! Es gibt da noch eine Kleinigkeit bei der ich mit anfassen muss.“ Ein oranger Schein erreichte meinen Augenwinkel. Ich schaute wieder zu den Kämpfenden und giggelte. Da war sie, die Retourkutsche. Grell und Ronald wurden von einer Flammenböe aus dem Mund des Wasserdrachens getroffen. Sie hatten wohl vergessen, dass auch ein Wasserdrache, ein Drache war. Und diese Biester hatten nicht nur ein flammendes Temperament. Hätten sie doch nur auf William gehört. Doch William sah nicht zu wie seine Gefährten in Flammen aufgingen. Durch seine Death Scythe nur eine Hand frei, hatte er Ron am Kragen gegriffen und fort geworfen. Dann packte er Grell an seinem Handgelenk und war mit ihm weggesprungen. Dafür opferte das Hosenbein seines Anzuges der Feuersäule. Ronald und klopfte seinen brennenden Hosenboden aus, als er mit wedelnden Beinen durch die Luft strampelte: „Hei-ei-ei-eiß! So ein Drecksvieh!“ Ein Bild für die Götter! Grell beschaute einige abgefackelte Haarsträhnen und schaute dann mehr als nur erzürnt zurück zu seinem Gegner: „Die Frisur! Doch nicht die Frisur! Ich komm gerade vom Friseur!“ „Das stelle ich dem Earl in Rechnung“, wedelte William, aufgrund seiner vollen Händen, mit dem Bein die kleinen Flammen aus. Es funktionierte nicht recht, doch Grell lieh ihm seine freie Hand und klopfte besonnen die kleinen Flämmchen aus. „Wenn ihr überlebt, Mr. Spears“, lachte der Butler süffisant, der als einziger um Feuerschaden herum gekommen war. Niemand dort war ihm wichtiger, als sein Anzug. Ich wollte Skyler nicht alleine lassen, doch ich wollt auch nicht, dass sich Grell und Ronald noch in Briketts verwandelten. So strich ich ihr ein letztes Mal mit meiner Hand über die Wange: „Stirb mir nicht, ja? Ich verlasse mich auf dich.“ Dann stand ich auf und schaute wieder zum Wasser. Neben mir hörte ich Skyler husten. Parallel dazu sah ich wie der Leviathan Grell und Ronald mit seiner Hand wegschlug, die Wut schnaubend und viel zu unüberlegt zu einem impulsgesteuerten und dementsprechend dilettantischen Gegenangriff angesetzt hatten. Lautstark krachten sie in eine große Brücke. Der Leviathan setzte einen Tentakel hinterher, demolierte eine Hälfte der Brücke komplett und die zwei Reaper verschwanden mit etlichen Trümmerteilen im Wasser. Das kommt davon, wenn man seine Fassung verlor. Eine der wenigen Dinge, die ich und der strenge William in vollkommener Einigkeit immer wieder predigten. Ich stellte fest wie vergebens. „Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich konzentrieren“, erreichte diese Erkenntnis William ebenfalls ohne den Leviathan aus dem Augen zu lassen und attackierte seine Hand mit seiner ausfahrenden Astschere. Er schwang sich daran hoch, um nicht aus der Luft zu fallen. „Ihr kennt das Spiel doch“, stieß sich der Butler an einem hoch zuckenden Tentakel ab, ebenfalls nicht erpicht darauf in die Themse zu fallen. Ich beschaute wie William und Sebastian um das Biest herumsprangen und versuchten dem Wasser fern zu bleiben und gleichzeitig Angriffe zu landen. Dies war koordinatorische Schwerstarbeit. Ein Kampf ohne festen Boden war kompliziert. Ein Kampf gegen einen schrill schreienden Gegner gerade für uns Reaper belastend und ein Kampf gegen einen so starken Gegner für alle geistig wie körperlich anstrengend. Und hier handelte es sich um einen Kampf gegen einen starken, kreischenden Gegner, ohne festen Untergrund. Ich stellte fest, unsere Karten standen nicht ganz so gut. Doch war das Spiel noch nicht verloren. Und als ich diesen Kampf so vollkommen unangemessen in meinem Kopf als ‚Spiel‘ bezeichnete flatterte in mir eine ebenso unangemessene spielerische Freude auf. Mein Grinsen wurde weiter, fiel aber doch wieder ein Stück in sich zusammen, als mein Blick wieder auf die Themse fiel. Ich ermahnte mich nicht darüber nachzudenken. Ich musste dem Wasser einfach fern bleiben. So wie es auch William und Sebastian blieben. Ich streckte meine Hand aus, in der treu meine Sense erschien und sprang zu den anderen. Im Sprung schickte ich dem Leviathan eine grün leuchtende Sichel von Blatt meiner Sense entgegen. Sie traf das Biest mit vollem Schwung im Rücken, was es zum schreien und taumeln brachte. Meine Trommelfelle vibrierten mehr als schmerzhaft und ich verzog kurz mein Gesicht. Ich sprang von einer wedelnden Tentakel in die Luft und griff in meinem Mantel. Da mir der weite Mantel fehlte steckten meine Sotoba in dem engeren. Seit der Situation mit Oliver, Hannah und Claude ging ich ohne sie nicht mehr aus dem Haus. Lange war ich ohne ausgegangen. Doch die gesteigerte Bedrohung hatte dies wieder geändert. Eine nun bestätigt weise Entscheidung. „Sotoba, Butler?“, erschien ich neben Sebastian und streckte ihm eins entgegen. Während wir sprachen segelten wir ein Stück in die Tiefe. „Warum denkst du ich wäre darauf angewiesen?“, fragte der Butler mit zusammengezogenen Augen. Ich versteckte meine Wut hinter einem zahnvollen, doch schadenfrohen Grinsen. Die kleine Ratte sollte froh sein, das ich ihm eine Waffe reichte anstatt ihn für seine vorangegangene Aktion in der Themse zu ertränken. Wäre der Butler nicht gerade durchaus nützlich, würden wir ein ganz anderes Gespräch führen. Und das sicherlich nicht mit Worten. Doch ich lachte: „Nun ja, ke he he he, du kannst natürlich auch Peu a Peu den Berg mit deinen Buttermessern abschaben, wenn du soviel Zeit und Muse besitzt. Uhuhuhu!“ Einige Sekunden schwieg der Butler nachdenklich, dann streckte er die Hand aus: „… Wir werden nie wieder darüber sprechen.“ Lachend reichte ich ihm ein Sotoba: „Ich schweige wie ein Grab. Nehehehe!“ „DU HAST MIR MEIN MAKE UP VERSAUT, DU HÄSSLICHES MISTVIEH!“, Grell preschte an uns vorbei. Einige Tropfen landeten auf dem Butler und mir. Grells Kettensäge surrte wütend. Nachdem der Leviathan ihm Make up und Frisur versaut hatte, konnte ich wenigstens sicher gehen, dass Grell mehr als genug Antrieb hatte um der Wasserschlange die Lichter auszupusten. Ich nutzte den kleinen verwirrten Moment Sebastians, den Grells plötzliches Auftauchen und Ausruf mit sich führte, drückte einen Fuß auf seine Schulter und sprang schwungvoll, wie giggelnd wieder ein Stück nach oben. Der Butler schwirrte ein Stück schneller nach unten, konnte aber einen Tentakel packen, der ihn gleich zu einer Runde Rodeo einlud, als der Leviathan versuchte ihn abzuschütteln. Ich kicherte über meine erste kleine Racheaktion. Als ich aufschaute sah ich wie Grell seine Kettensäge in einer Tentakel vergrub. Sie röhrte und knurrte als sie das Fleisch der Extremität zerriss und Blutstropfen, so wie Filmstreifen durch die Luft flogen. Ich spürte förmlich wie mit jedem scheppernden Kreischen, dass durch meinen Kopf knallte eine meiner grauen Zellen das Zeitliche segnete. „Für so etwas werde ich einfach nicht gut genug bezahlt“, seufzte William gestresst, stach seine voll ausgefahrene Baumschere in das Flussbett der Themse und blieb am oberen Ende, mit einer Hand und gegen den Stab gestützten Füßen, hängen. Er nutzte die Eigenschaft seiner Death Scythe um sich eine kleine Verschnauf- und Denkpause zu ermogeln. Mit der freien Hand griff er Ronalds Hand, der ansonsten ein weiteres Mal zu den Fischen gefallen wäre. Der Blonde schaute seinem Arm hinauf: „Wir werden hier für gar nichts bezahlt, William.“ William schaute an seinem herunter: „Wie ich sagte, Knox.“ „Pahahahahahahahahahahahaha!“, flog mein lautes Lachen durch die schlagende Luft, als ich meine Sense in einem der Flügel vergrub und mich weiter nach oben schwang. Ich wollt unter keinen Umständen wieder im Wasser landen. Nicht für den besten Witz der Welt! Der Kampf hielt an. Er war anstrengend. Amüsant, doch äußerst anstrengend. Groß und massig wie er war, war der Leviathan doch recht schnell. Zumindest verstand er es, den Schwung zu nutzen, die seine Extremitäten aufbauen konnten. Sich den etlichen Gliedmaßen zu erwehren war ein Akt für sich. Es ohne die Chance auf eine Denkpause auf festen Grund zu tun war ein Fakt, der alles noch zerrender machte. „Das nimmt kein Ende! Das blöde Vieh will einfach nicht sterben! Das hat einfach keinen Schwachpunkt!“, beschwerte sich der Jüngste der Runde, dem der Kampf am meisten zusetzte. Natürlich ging es Ronald an die Substanz. So einen anstrengenden und langen Kampf hatte er viel seltener gefochten, als wir anderen. „Kehehehe! Siehe es positiv, Ronald!“, gab ich ihn lachend einen versteckten Tipp. „Was ist denn daran positiv?!“, fluchte Grell und schlug eine Tentakel mit seiner Kettensäge weg: „Hast du dir mal meine Haare angeschaut!?“ „Wenn das eure einzige Sorge ist, Mr. Sutcliff“, bohre der Butler das Sotoba in den Arm des Drachens. Wären die Scheite nicht gesegnet gewesen, wäre dies durch den Schuppenpanzer auch mit der übermenschlichen Stärke des Butlers nicht möglich gewesen. Durchbrechen konnte der Dämon den Panzer damit nicht, doch normales Holz wäre einfach daran gesplittert, anstatt darin stecken zu bleiben. „Lasst uns das endlich hinter uns bringen“, schwang sich William wie ein Hochspringer an seiner Baumschere von A nach B: „Wir müssen die Arbeitszeit hinten dran hängen.“ „BITTE WAS?!“, riefen Gell und Ronald im Chor. „Fuhuhuhuhuhuhuhu“, fing ich an über ihre Reaktion zu lachen. Böser Fehler. Just ins diesem Moment spürte ich, wie sich etwas um meinen Knöchel zog. „Huch!“, beschritt ich einen so schnellen, wie unvorhergesehenen Abstieg, dass ich mich nicht sofort dagegen wären konnte. Wieder schlug mir Wasser ins Gesicht, als mich der Leviathan in die Themse zog. Überrascht von meinem plötzlichen Abtauchen und dem Flusswasser um mich herum setzte mein Kopf aus und ich wedelte mit dem Armen, als mein Herz abermals zu rasen begann. Anstatt mich sofort effektiv zur Wehr zu setzen ruderte ich nur vollkommen geistlos mit den Armen und meinem freien Bein, während der Leviathan mich nach unten zog. Dadurch ließ ich meine Sense los. Erst in diesem Moment setzte sich mein Verstand wieder durch. Mit hektischen Händen griff ich meine Sense wieder. Ihr Blatt begann grün zu schimmern und ich schickte eine grüne Sichel in die Tiefe. Sie durchtrennte die Tentakel und der Griff um meinen Knöchel verschwand. Mit allem was ich hatte, drückte ich mich an dem abgetreten Teil ab und verließ dieses unsägliche Wasser so schnell ich konnte. Kaum war ich aufgetaucht fiel mir Ronald entgegen. Ich griff seinen Kragen und zog ihn mit mir in die Höhe. „Die Augen!“, rief er mir entgegen. „Nihihihihi!“, erkannte ich gefällig, dass er meinen Wink verstanden hatte. Dumm war der Junge nicht. Er war unüberlegt, doch nicht verständnislos und auf keinen Fall schwer von Begriff: „Wenigstens einer, der mich versteht!“ Ronald schaute zu den anderen: „William! Sebastian! Die Augen!“ Auch dies erfüllte mich mit Gefälligkeit. William und Sebastian hatten längere Waffen, als Grell und wir waren noch zu weit von den Augen des Biestes entfernt. Das er dies erkannt hatte zeugte davon, dass er durchaus taktisch denken konnte, auch wenn ihm sein Temperament noch immer öfter dazwischen ging. Ich warf Ronald auf eine Schulter des Drachen. Er machte sich sofort daran die zur Tat geschrittenen ernsten Männer zu unterstützen. „Grell!“, rief ich dem roten Reaper zu: „Nehme doch den Anderen. Nihihi!“ „Und du?!“, rief er zurück. Drei Tentakel flogen aus dem Wasser, erpicht darauf Sebastian und William aufzuhalten, die es sichtlich auf die Augen des Drachen abgesehen hatten. Empfindliche Körperteile und als einzige nicht geschützt durch den dicken Schuppenpanzer. Ich warf meine Sense. Sie drehte sich um den Leviathan, stutzte ihm die Tentakel und kam verlässlich zu mir zurück. „Weißt du was?“, klimperte mich Grell mit großen Augen an, was eine Lachanfall meinerseits provozierte: „… Vergiss es einfach“ Dann schritt auch Grell zur Tat. Von allen Seiten attackiert, den Großteil seiner Tentakel verloren, wirkte nun der Leviathan in die Enge gedrängt. Als letzten Ausweg schlug es mit seinen großen Flügeln. Mir flogen die Haare aus dem Gesicht. Meine Brille segelte von meiner Nase. Ich wich nur recht knapp einem schlagenden Flügel aus, griff meine Brille und steckte sie sicher in meine Innentasche. Dann ergriff mich die steife Böe und stieß mich fort. Mich und die Anderen. Die Böe hatte so viel Kraft, dass wir bis zum Ufer flogen. Einige auf halbem Weg, andere kurz vor knapp, fingen wir uns ab und landeten sicher auf unseren Füßen. Die Gruppe war recht ramponiert. Nur der Butler glänzte wie eh und je. Wir Restlichen waren nass, angesengt, oder beides gleichzeitig. Ronald band sich sein Jackett um die Hüften. Der Leviathan hatte seiner Hose an einer arg privaten Stelle einige Brandlöcher verpasst. Grell war von seiner in Mitleidenschaft gezogenen Erscheinung erwartend wenig begeistert: „Dieses MIESTVIEH! Wie kommen wir jetzt an den ran?!“ Ich stemmte eine Hand in die Hüfte und schaute in den Himmel. Ich sah den Drachen nicht. Ich sah gar nichts außer schwarzem und rotem Zucken. Durch die tosende Luft verschwand das Flügelschlagen schnell, was allerdings selbst ein Zeichen dafür war, dass der Leviathan mehr als ein paar Meter gen Himmel geflogen war: „Wuhuhuhuhuhu! Der will aber hoch hinaus für so ein großes Schlängelchen!“ „Schön, dass du das auch geschnallt hast!“, echauffierte sich Grell springenderweise: „Wir kommen trotzdem nicht an das Vieh ran! Von uns kann keiner fliegen!“ Ich verschränkte die Arme und sah den Butler an: „Wir können nicht fliegen, nein. Tehehehe.“ Sebastian sah unangtan zurück in mein Gesicht: „Ich bin nicht dein Werkzeug.“ „Aber eine Krähe. Hehe. Also“, ich zeigte mit meinem Zeigefinger in sein Gesicht. Sowohl ich, als auch der Butler wussten genau, dass er der Einzige in unserer Truppe war, der fliegen konnte. Der Leviathan musste fort. Es war unumgänglich, dass alles weitere an ihm hängen bleiben musste: „Also tu‘, was brave Vögelchen so tun und schwinge dich nach oben. Fuhuhuhuhu!“ „Sage das Zauberwort.“ „Nihihihihi!“, lachte ich, nicht ansatzweise dazu bereit den Butler um irgendetwas zu bitten. Ich hatte andere Möglichkeiten, dass er tat was ich wollte: „Das mit den fünf Buchstaben, Butler?“ Ich erntete nur ein Nicken. Der Butler im Gegenzug ein noch breiteres Grinsen. Ich freute mich ihm nun ein weiteres Mal ins Bockshorn zu jagen. Dahin schickte ich ihn nur allzu gern. Außerdem war ich immer noch alles andere als gut auf ihn zusprechen: „Tihihihihihi! Amber.“ Der Dämon seufzte und sprang ohne weitere Kommentare in die Luft. Mit meinem breiten Grinsen genoss ich meinen Triumph und ließ mir meine weitere kleine Rache süß auf der Zunge zergehen: ‚Bis ich dich um etwas bitte muss schon die Welt untergehen, Butler! Ni hi hi hi!‘ Ich setzte meine Brille wieder auf. Sollte der Butler alleine nicht weiter kommen, musste ich halt in den sauren Apfel beißen und ihm zur Hilfe eilen. Schließlich musste dieses stinkende Schlangenvieh endlich verschwinden. Und mit ihm sein widerwärtiges Getöse und Gekreische. Doch nicht sofort. Das ein oder andere kann der Butler ruhig einstecken. Und die Schlange auch. So viel Zeit muss sein! Nun sah ich auch wie der Butler zwei weiße Flügel ausklappte. Seine Art die Welt um ihn herum ein wenig auszulachen. Grell allerdings lachte nicht. Er war vollkommen begeistert: „AAAAAAAAHHHHHH! Mein schöner Tyrann! Ein engelsgleicher Teufel! Ein Rabe mit den Flügeln einer Taube! Mein kleines Lamm mit dem Appetit eines Wolfs! Mein ganz eigener Sebastian Liebling!~♥ Mach ihn fertig, Bassy- Hasi!!~♥“ Ich lachte, während Ronald und William die Hand vor die Stirn schlugen. Dann brach der Kampf über den Wolken los. Außerhalb unserer Reichweite. Doch leider nicht außerhalb unserer Hörweite. Das Vieh schrie und kreischte. Folglich stand in den Gesichtern der anderen Reaper eine ziemliche Anspannung. Auch ich war vor diesem Geräusch nicht gefeilt und steckte mir die Zeigefinger in die Ohren, während ich die Wolken nicht aus den Augen ließ. Grell und William hielten sich ebenfalls die Ohren zu. Ronald schrie: „Kannst du dem Vieh endlich das Maul stopfen?! Dieses Gekreische macht mich wahnsinnig!“ „Nihihihihi!“, lachte ich zustimmend: „Das ist wirklich kein schönes Geräusch!“ „Ach ne!“, blafften mir Ron und Grell im Chor entgegen. Nach diesem kleinen Geplänkel schauten wir alle nur noch in den Himmel. Der Butler focht einen strammen Kampf. Immer wieder segelte er aus den Wolken und schwang sich wieder zurück. Unermüdlich, so viel musste man ihm lassen. Und ausdauernd. Denn der Kampf war lang, war selbst als Zuschauer zehrend. Denn obwohl wir aktiv nicht mehr beteiligt waren, entspannen taten wir uns nicht. Abgesehen davon, dass es in dieser Geräuschkulisse unmöglich wäre, waren wir immer bereit einzuschreiten, sollten wir müssen. Auch wenn keiner so recht wusste wie. Natürlich, zusammen wären wir stark genug den Leviathan zu erlegen, doch Sensenmänner waren des Fliegens nicht mächtig. Weder Grell, noch Ronald, noch William, noch ich könnten dem Butler einfach so zur Seite eilen. Selbst wenn wir es schaffen sollten zu ihm hoch zu kommen, wären wir doch sehr schnell wieder auf dem Weg Richtung Boden. Überleben würden wir die Landung alle vier. Doch wahrscheinlich nur Grell und meine Wenigkeit unbeschadet. Ich grübelte. Überlegte hin und her. Dachte darüber nach was wir im Notfall tun könnten. Doch ein ärgerliches Rufen und ein plötzliches Ruckeln an meiner Schulter unterbrachen meine Gedanken unvorhergesehen: „AH! Ich halt‘ das nicht aus!“, ich sah, dass es Grell war der mich schüttelte, warum auch immer er das tat: „Ich werde sterben, wenn Bassy irgendwas passiert! Mach etwas, verdammt!“ ‚Ich hätte es mir denken können… Es ist doch immer wieder dasselbe‘, seufzte ich innerlich. Warum Grell sich um den Butler so sorgte, der ihn immer so harsch und vollkommen unverblümt feindselig von sich stieß, verstand ich nicht. Ich verstand nicht, warum Grell sich so behandeln ließ. Er hätte es so viel besser verdient. Doch meinem Lippen entfuhr ein schrilles Lachen: „Pahahaha! Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Ich kann nicht fliegen! Nihihihi!“ „Und du willst eine Legende sein?!“, zeterte Grell weiter: „Lass‘ dir was einfallen, man!“ „Buhahahahahaha!“, mein Lachen wurde lauter, aufgrund dieser selten dämlichen Frage: „Nein, wollte ich nie!“ Grells Schütteln wurde fester, als mein Lachen lauter wurde: „Du weiß genau was ich meine, du furchtbarer alter Sack! Tu‘ irgendwas!“ Ein ungeahnt lautes Krachen durchbrach unsere Diskussion. Mein Kopf klingelte vom ganzen Gebrülle, Gekreische, Gekrache und Getose schon genug und dieser Laut war dadurch um ein vielfaches schmerzhafter. Dieser beständige Lärm war auf Dauer extrem anstrengend. Mit einem spitzen Schrei hatte ich auch plötzlich Grell auf dem Arm und um den Hals. Ronald zuckte zusammen, während William seinen Kopf gleichzeitig mit mir zu den dunklen Wolken drehte. Dann sah ich auch schon die sterblichen Überreste meines Sotobas auf den Boden zu segeln. Eine Hälfte fiel in die Themse. Die Zweite schlug ein wenig von uns entfernt in den Boden ein. ‚Na fein… -1‘, dachte ich mit einem kaum hörbaren Seufzen. Ich hatte im Kampf gegen die Trancys schon eine Sotoba verloren. Nun ein weiteres. Von den Dingern hatte ich nicht unendlich und wann ich das nächste Mal nach Japan kommen würde, um mir Neue segnen zu lassen stand in den Sternen. „Die Sotoba!“, quietschte mir nun auch noch Grell direkt in meine eh schon lädierten Ohren, was meine Augenlider kurz flattern ließ und mich über alle Maßen nervte: „Er ist unbewaffnet! Undertaker! Maaaaaaach waaaaaaaas!“ Nun seufzte ich hörbar, als sich mir wieder die Frage stellte wie. Doch das Wort ‚Unbewaffnet‘ brachte mich auf eine Idee. Ich setzte Grell auf seine Füße und schaute zu dem strengen Aufsichtsbeamten: „William! Nehehe! Sei so gütig!“ Auch William seufzte, doch er verschränkte die Hände und ging in die Knie, als er ohne weitere Worte verstand was ich von ihm wollte. Es war auch nicht schwer zu erraten. Ich nahm Anlauf und sprang mit einem Fuß in Williams gefaltete Hände. Der Wind pfiff durch meine Ohren, als ich mit der Hilfe des strengen Reapers meinen Weg zu dem Butler zurücklegte. Meine Ohren waren so angestrengt, dass selbst das Geräusch des vorbei zischenden Windes extrem unangenehm war. Dann wurde auch noch das Kampfgeschrei des Leviathans lauter. Der Butler kam mir Rücken voran entgegen. Ich griff den Kragen seines Fracks und nahm ihn recht unsanft mit mir mit. So weit ich mit dem Schwung, den ich hatte, halt kam. „Was tust du hier?“, fragte der Dämon angestrengt. Seine Garderobe war schon klar von der Auseinandersetzung gezeichnet. „Dich retten“, verließ mich der Schwung. Die Schwerkraft griff mich und begann mich aus der Luft zu ziehen. Der Dämon schlug mit seinen lachhaft weißen Flügeln und fing sich ab. Ich ließ seinen Kragen los und er griff mein Handgelenk: „Mit Verlaub, gerade bist du eher Ballast!“ „Nihihihi!“, lachte ich und meine Death Scythe erschien in meiner Hand. Ich hielt sie dem Butler hin: „Die auch?“ „Wie meinen?“, blinzelte der Dämon. Ich streckt ihm meine Sense näher hin: „Kehe! Nimm. Alles andere wäre unsinnig unpraktisch, nicht?“ „In der Tat“, mit der freien Hand nahm der Dämon meine Sense: „Doch nun entschuldige mich, ich habe zu tun.“ Sebastian ließ meine Hand los. Und so segelte ich zu Boden. Erst langsam, doch sehr schnell, sehr viel schneller. Ich sah mich mit einer Entscheidung konfrontiert, bei der Beide Optionen wie Pest und Cholera waren. Gefallen tat zumindest mir keine: ‚Boden, oder… Wasser...‘ Eine harte Landung würde es so oder so werden. Da führte mich kein Weg mehr dran vorbei. Denn die beiden Dämonen kämpften einige hundert Meter in der Luft. Dies war ratsam, da so alle am Boden sicherer waren. Für mich war dieser Umstand doch gerade eher als ungünstig zu bezeichnen. Für was ich mich entschied, war eigentlich egal. Aus dieser Höhe war der Unterschied verschwindend gering. Hätte der Butler nicht einen kleinen Schlenker machen können? Nur 200 Hundert Meter weniger und die Welt sähe ein bisschen anders aus. Oh, dieser ätzende Dämon! Aber der Butler war kein Dämon, um nachsichtig zu sein. Alles in mir sträubte sich, ins Wasser zufallen… doch ich ärgerte mich zu lange und fiel zu schnell. Mein Rücken knallte auf harten Untergrund. Dann gab er nach. Mir wurde die Luft aus den Lungen gedrückt. Scharfer Schmerz surrte durch meinen Rücken. Etwas knackte. Ziehender Schmerz verriet mir, dass es eine Rippe war. Das Wasser schlug über mir zusammen und erst dann realisierte ich überhaupt, dass es Wasser war. Es war so grausig... Mein Herz legte einen Takt zu. So gut ich konnte unterdrückte ich dieses Gefühl. Ich bekam Wasser in den Mund und hätte es nur all zu gerne ausgespuckt, doch wusste ich, dass es natürlich nicht funktionierte. Also wedelte ich mich mit den Armen in eine aufrechte Position. Meine Seite zog schmerzlich. Durch meinen Fall war ich fast auf dem Grund des Flusses gelandet. Ein Umstand, der mich nur beflügelte noch schneller aufzutauchen. So schnell wie nur irgendsmöglich. Es war ein fast erlösendes Gefühl, als das Wasser sprang und mein Kopf durch die Oberfläche brach. Ich schüttelte den Kopf und damit die Tropfen aus meinem Gesicht. Dann spuckte ich das viele Wasser in die Luft. Ich blinzelte kurz Richtung Himmel, doch erkannte das ich nichts erkennen konnte und machte mich dann schleunigst auf den Weg Richtung Ufer. Als ich meine Arme auf den Wellenbrecher legte um mich daran hinaufzuziehen, kam Ronald zu mir geeilt und verstellte mir den Weg, als er sich zu mir hinunter kniete: „Was hast du gemacht?“ Ich grinste, obwohl ich nicht angetan war, dass Ronald mir den Weg versperrte: „Fu fu fu. Ich hab ihm meine Death Scythe überlassen. Könntest du zur Seite gehen? Ich möchte hier raus.“ „Echt?!“, mein Kopf fuhr mit Ronald zu Grell, der Skyler im Arm hatte und mit den Füßen wedelte. Er hatte Sand in Haaren und Gesicht und generell verstand ich nicht warum die Beiden so komisch ineinander verknotet beisammen saßen: „AHHH! Die Death Scythe des legendären Todesgottes! Er kann nur noch gewinnen! Du bist ein Geschenk des Himmels! Ich könnte dich von oben bis unten abknutschen, Undi-Schatzi!~♥“ Grells Überschwänglichkeit entlockte mir ein Blinzeln und vertrieb kurz den Drang dieses unsägliche Gewässer zu verlassen. Was folgte verwunderte mich allerdings: Mit einem sehr unbegeisterten Gesichtsausdruck nahm Skyler ihre freie Hand und drückte Grell in den Sand. Aus dem Nichts fing Ronald nach einem Prusten an zu kichern. Ich wandte meinem Kopf zu ihm: „Was ist so lustig? Ich will mitlachen!“ Auch Ronald drehte wieder den blonden Schopf zu mir: „Erklär ich dir später, versprochen.“ „Nihi. Wehe dir wenn nicht“, lachte ich kurz. Dann schwabbte mir eine Welle in den Nacken. Ich unterdrückte ein Zaudern und sie erinnerte mich daran wo ich war: „Kannst du nun endlich zur Seite gehen?“ „Mach ich, mach ich“, dann legte Ronald den eben noch schüttelnden Kopf schief: „Geht‘s dir gut?“ „Gewiss, gewiss“, grinste ich ihn an. Er kniete mir immer noch im Weg. Ronald wusste nichts von meiner Aversion gegen Flüsse. Und so sollte es auch bleiben. Trotz allem war ich von seinem Talent ewig im Weg zu stehen gerade ein wenig genervt: „Doch wärst du so gütig endlich zur Seite zu treten?“ „Hat deine Landung nicht furchtbar weh getan?“, fragte er und ignorierte meine Bitte mehr als nur gekonnt. „Hat sie“, grinste ich zurück und versuchte die Anspannung aus meinem Gesicht zu halten: „Doch ich hatte nur die Wahl zwischen Wasser und Boden. Nehehehehe! Würdest du nun bitte?“ „Hat das wirklich noch ‘nen Unterschied gemacht?“ Ich verdrehte innerlich die Augen: „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Puhuhuhu! Ich hatte wenig Lust es herauszufinden! Würdest du nun bitte zur Seite gehen?“ „Hast du dir wirklich nichts...“, setzte der Jüngling erneut dazu an meine Bitte ungeachtet zu lassen. Mein Mund verzog sich zu einer Fratze, die ich im letzten Moment zu einem Grinsen lenken konnte. Dieses Mal ließ ich ihn nicht zu Ende sprechen: „Ronald, ich will hier raus.“ Ronald blinzelte irritiert, als ich nun nicht mehr ganz verstecken konnte, dass ich irgendwie geartet gereizt war. Doch obwohl er es nicht recht einsortieren zu können schien, streckte er mir seine Hand entgegen: „Klar. Komm, ich helfe dir.“ Ich griff Ronalds Hand. In diesem Moment erreichte ein komischer Laut von oben meine Ohren. Ronald und ich schauten synchron in den Himmel. „Oh oh“, machte der Jüngling, als wir sahen woher das Geräusch kam. Meine Augen wurden weit. Dass selbst ich ohne Brille das was kam einigermaßen erkennen konnte, war ein klares Zeichen dafür, dass es schon viel zu nah war: „Och nö!“ „Scheiße...“, hörte ich Skylers dünne Stimme dicht gefolgt von Grells wesentlich lauterem: „Was?! Was ist los?!“ Ich war mir sicher Grell wird es nicht mehr wissen wollen, sobald er es wusste. Der Butler hatte entweder gewonnen oder keine Lust mehr den Kampf alleine zu führen. So oder so hätte er uns wenigstens irgendwie warnen können. Denn der Leviathan raste Rücken voran auf uns zu und ich hatte keine Death Scythe um zu verhindern, was ich kommen sah. Ich konnte nichts tun. William konnte. Und William tat. Seine Death Scythe schlug in der Seite der Wasserschlange ein und schob sie aus ihrer Flugbahn. Sekunden später landete der Leviathan mit einem lauten Krachen in der Themse. Sie bäumte sich auf. „Soviel zu alles Gute kommt von oben!“, erreichte mich abermals Grells Stimme und ich konnte ihm nur vollkommen zustimmen, als ich mit größeren Augen als ich wollte auf die große Welle stierte. Etwas, das ich am heutigen Tag definitiv nicht mehr brauchte. „Weg hier!“, zog Ronald an meinem Arm. Bitten brauchte mich der junge Reaper kein zweites Mal. Als Ronald mich soweit aus dem Wasser gezogen hatte, dass ich mein Knie auf den Wellenbrecher legen konnte, sah ich, dass auch Grell mit Sky zur Flucht angesetzt hatte. Doch bevor ich aus dem Wasser steigen konnte sprang mir die Welle in den Rücken und drückte mich mit dem ganzen Schwung den sie hatte nach vorne. Sie hatte reichlich davon. Ich versuchte Ron festzuhalten, doch seine Hand rutschte mir im Wasser aus den Fingern. Ich krachte mit meiner Stirn auf den betonierten Wellenbrecher. Mit einem fiesen Schmerz flatterte mein Sichtfeld in bunten Sternchen und die Welle nahm mich mit. Dann stieß ich frontal in etwas, doch meine lädierten Sinne konnte mir nicht sagen was es war. Trotz des harten Schlags auf meinem Kopf, hatte ich das Bewusstsein nicht ganz verloren. Ich spürte wie sich das Wasser zurückzog und ich einfach liegen blieb. Von gänzlich bei mir war ich allerdings weit entfernt. Immer noch tanzten Sternchen in allen Farben des Regenbogens vor meinen geschlossenen Augen. Ein dumpfer Schmerz klopfte im Takt meines Pulses gegen meine Stirn. Mein ganzer Kopf pochte aufgrund des Aufpralls. Meine Ohren klingelten noch von dem Kreischen des Drachen. Aufgrund alldem dauerte es, bis ich wieder bei Verstand und Sinnen war. Sie kamen nur stückchenweise und langsam zu mir zurück. Ebenso wie mein Körpergefühl. Als erstes fiel mir auf, dass um mich herum nun Ruhe herrschte. Wohlige, wohlige Ruhe. Ich genoss sie. Nach dem ganzen Krach, war sie mir mehr als nur willkommen. Als zweites, dass ich nicht auf dem harten Boden lag. Unter mir war es weicher als es sein sollte. Auch hob sich der Untergrund immer ein Stück und senkte sich wieder. Mein angeschlagener Verstand konnte mir dafür nicht sofort eine Erklärung liefern. Meine Augenlider lagen schwer aufeinander. Ich war dem Knistern und Klingeln noch nicht gänzlich Herr geworden, auch wenn ich langsam schaffte es zurück zu drängen Es dauerte eine kleine Weile, als Husten aus etwas Entfernung meine Ohren erreichte. Direkt danach ruckelte der Untergrund unter mir. Das Husten was darauf folgte war viel näher. Ich hörte danach schwach ein komisches leises Geräusch. Eine Stimme? Worauf lag ich? Ich hörte ein: „Päh!“ und spürte ein weiteres Ruckeln unter mir. Daraufhin noch mehr Bewegung. Ich zwang die Benommenheit aus meinem Kopf und meinen Gliedern. Mit einem Zucken bekam ich die Kontrolle über meine Muskeln zurück. Ich hustete heiser, als mir mein wiedererlangtes Körpergefühl signalisierte, dass ich Wasser in der Kehle hatte. Haare flogen von meinem Gesicht. Weiter das Wasser aushustend nahm ich den Kopf hoch und stützte mich auf meine Hände. Als ich die Augen aufschlug hielt ich inne. Wie schon erwartet lag ich nicht auf den Boden. Was ich allerdings nicht erwartet hatte war der Anblick, der sich mir bot. Meine Augen wanderten ungläubig hin und her. Der Körper unter mir war schlank und zierlich, steckte in einer kurzen schwarzen Hose mit violetter Strumpfhose und war gewickelt in einen nassen Poncho. Ich erkannte diese Aufmachung sofort. Trotz allem musste ich mehr als nur irritiert blinzeln, als ich den Kopf hochgenommen hatte und in das feine Gesicht mit den großen himmelblauen Augen schaute: ‚Sky?‘ Wie war ich denn hier gelandet? Ich erinnerte mich daran, dass ich gegen etwas geprallt war, als ich weggeschwemmt wurde. Es musste Skyler gewesen sein. Grell hatte sie also nicht aus der Affäre ziehen können. Ich tippte keiner von uns war davon gekommen. Sky schaute mich genau so verwundert an wie ich sie. Einen Moment sagte keiner von uns irgendetwas. Keiner bewegte sich. Ich war immer noch etwas überrascht davon wohl auf sie gespült worden zu sein. Das Schweigen zwischen uns wog schwer. Darin wog alles, was gesagt oder nicht gesagt wurde. Alles, was Freitagabend getan oder nicht getan wurde. Ich kam in die Situation nicht recht zu wissen, wie ich reagieren sollte. Also beschränkte ich mich - wenn auch reichlich holprig - auf altbewährtes, lachte einmal und grinste sie an so gut ich es schaffte: „Ähähähä… Äh… Hi.“ Skyler starrte mich weiter an. Natürlich war sie nicht begeistert mich zu sehen. Für mich war die Situation nur seltsam, doch für sie? Für sie muss sie richtig gehend unangenehm sein. Ich erinnerte mich an ihre zitternde Unterlippe. Wie sie mich angeschaut hatte, nachdem ich sie aus dem Wasser gezogen hatte. Mit ihren feuchten, großen Augen. Bedroht von einem Leviathan, fast ertrunken, dann erfasst von einer großen Welle und nun zum zweiten Mal sehr unfreiwillig in meiner direkten Nähe: Sie muss das Gefühl haben immer wieder vom Regen in die Traufe zu geraten. Doch anstatt sich davon zu machen wurden ihre Augen mit einem Mal weiter: „Was hast du gemacht?!“ Diese Frage irritierte mich erneut: „Bitte?“ Sie schaute mich weiter mit großen Augen an: „Dein… Dein...“, dann zeigte sie nach ein paar verwunderten Wimpernschlägen auf mein rechtes Auge: „Du… du blutest!“ ‚Ich blute?‘, ich blinzelte und fuhr mir mit den Fingern durch mein Gesicht. Nass war es dank der Welle über und über, doch ich hatte tatsächlich rote Fingerspitzen, als ich wieder auf meine Hand schaute. Nachdenklich rieb ich meine Finger aneinander: ‚Woher?‘ Dann sprang der Funken über: „Oh, hehe. Das war wohl der Wellenbrecher.“ „Bitte?!“ machte Skyler erschrocken: „Der Wellenbrecher?!“ „Ja, der Wellenbrecher“, ich nahm meinen Unterarm und wischte mir über die Stelle, die eben noch gepocht hatte und über meine Wange: „Ich habe mir wohl ein bisschen den Kopf angeschlagen, als ich davon geschwemmt wurde.“ Ich ließ meinen Arm sinken und grinste sie an: „Nur gut, dass da drinnen eh nichts mehr kaputt gehen kann. Kihihi!“ Skys Gesicht blieb unverändert. Bitter stellte ich fest, dass kein Witz und kein lustiger Satz der Welt die Situation zwischen uns entspannen können wird. Sie öffnete den Mund. Dann entfuhr ihr ein Schrei. Neben uns ertönte ein lautes Krachen. So unvorhergesehen, dass ich kurz zusammen zuckte. Im selben Moment hatte ich aus heiterem Himmel Skylers Arme um meinen Hals. Meine Verwunderung riss nicht ab. Eher wuchs sie. Ich klimperte verwirrt mit den Augen. Dass sie mir die Arme um den Hals warf, war das Letzte mit dem ich gerechnet hatte. Mir war klar sie hatte sich bloß erschreckt. Es war keine mir zugeneigte Geste, sondern eine Schockreaktion aufgrund des plötzlichen Lärms. Trotz meiner Verwirrung wanderte mein Kopf zur Seite und ich sah meine Sense neben uns im Boden stecken. Der vom Kampf gezeichnete Butler landete auf dem Boden und lachte kalt. Der Dämon nervte mich. Über alle Maßen. Obwohl er heute wirklich nützlich gewesen war und die Situation gerettet hatte, nervte mich sein Benehmen. Denn der Ruhe entnahm ich der Kampf war vorüber und das Biest war tot. Auch der Himmel schien wieder in sanften rötlichen Pastellfarben. Das Höllentor schien fort zu sein. Es war trotz allem mehr als nur weise, dass der Butler sich darauf besann sich abzudrehen, die etwas weiter fort gespülten Ronald und Grell zu greifen und mit ihnen zu verschwinden. Nun alleine und nicht mehr von meinen Groll gegen den dämonischen Butler abgelenkt, merkte ich wie schwer Skyler atmete. Wie sehr sie zitterte. Sicherlich war sie mit den Nerven wieder vollkommen am Ende. Wie oft sie das noch verkraftete wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass es aufhören musste. Es musste aufhören, dass sie immer wieder bis an ihre Grenzen und darüber hinaus gefordert wurde. Allzu oft würde sie das nicht mehr vertragen und bleibende Spuren davon tragen. Zusätzlich zu den Spuren, die sie von mir schon hatte. Ronald hatte Recht. Ich bereute Freitagabend. Ich bereute es sie so geängstigt zu haben, dass die Flucht nach vorn in ihren Augen ihr einziges Mittel gewesen war. Ich hätte ihr doch nie wissentlich irgendetwas angetan... Meine Gedanken rissen ab und endeten in Verblüffung, als sie ihre Arme plötzlich enger um meinen Hals zog. Ich war verwirrt, dass sie mich fester hielt und nicht ein weiteres Mal die Flucht ergriff. Im nächsten Moment wich meine Verwirrung einer unangenehmen Überraschung. Skylers Körper begann zu beben. Ich hörte ein Schluchzen dicht gefolgt von einem anhaltenden bitterlichen Wimmern. Sie weinte. Wegen mir? Hatte sie soviel Angst? Doch warum ließ sie mich dann nicht los? Was vor sich ging erschloss sich mir nicht. Genau so wenig wie ich die Situation verstand, konnte ich sie ertragen. Ich konnte ihr wimmern nicht ertragen. Wie verkrampft sie zwischen ihren Schluchzen zu atmen versuchte. Ich wollte sie halten. Dafür sorgen, dass es ihr besser ging. Ich wusste nicht, ob ich es wirklich konnte, doch ich wollte es wenigsten versuchen. Aber ich war immer noch auf meine Arme gestützt und lag mehr, als das ich saß. Also stützte ich mich ein weiteres Stück auf und schob ein Knie nach vorne. Dann das zweite Knie. Ich merkte wie Skylers Arme um meinen Hals lockerer ließen. Doch ich ließ sie nicht ziehen. Nicht jetzt. Nicht so. Als ich auf meinen Knien saß nahm ich meine Hände vom Boden und schlang meine Arme um Skylers viel zu schlanken, zittrigen Körper. Ich drückte sie so fest an mich, wie ich mich traute. Sie war so fadendünn und wirkte immer so unendlich zerbrechlich. Ich wollte nicht, dass sie zerbrach. Wie auch immer geartet. „Wa...“, schluchzte Skyler abgehackt: „Warum tust du das?“ Meine Augen fielen über ihre Schultern zu Boden: „Weil ich nicht möchte, dass du weinst.“ Sie schluchzte ein weiteres Mal: „Aber… Aber wieso…?“ Ich vergrub mein Gesicht ein Stück in ihren Haaren und schlug die Augen zu: „Weil ich möchte, dass du glücklich bist.“ Ich erinnerte mich so genau, wie sie an dem Abend auf dem Balkon der Phantomhives dasselbe gesprochen hatte. Und sie war bei weitem nicht die einzige von uns Beiden, die es dem anderen wünschte. Oder gewünscht hatte. Ihr Wimmern ebbte nicht ab: „Aber… Aber… Aber...“ Es wurde immer schlimmer. Sky zitterte immer mehr und ihr Wimmern wurde ein bitterliches Weinen. So bitterlich, dass es mir mehr als nur eine Hand voll schwerer Steine ins Herz legte. Ich zog sie ein kleines Stück mehr an mich heran. Es war komisch sie im Arm zuhalten. Es war komisch, dass sie ihre Arme so fest um meinen Nacken zog, war sie doch noch vor 2 Tagen voller Panik von mir davon gerannt. Doch was mir viel wichtiger war, war dass es ihr körperlich gut ging. Dass sie trotz allem unversehrt davon gekommen war. Dass sie wieder atmete und weiter lebte. Auch wenn die Situation zwischen uns so komisch war und sie nicht weiter an meiner Seite stand - was für sie wesentlich besser war - war sie doch wenigstens am Leben. „Sccchhhh“, hauchte ich in ihr Ohr und strich über den nassen Stoff an ihren Rücken: „So beruhige dich doch.“ „Ich…“, Skyler entfuhr ein gequältes Husten: „Ahe! Ahe! Ich...“ Natürlich, sie war in Ordnung. Doch hatte sie sicher mehr als einmal Wasser geschluckt und es auch in die Lungen gekommen. Ihr Weinen macht diesen Umstand sicher nicht besser. Eher im Gegenteil: „Atme tief durch. Beruhige dich.“ „Ich...Ahe!“, wollte sie wieder sprechen, wurde aber von einem Husten unterbrochen. Sie musste sich ganz dringend beruhigen und etwas zur Ruhe kommen um ihre lädierten Lungen nicht noch mehr zu strapazieren, als sie eh schon waren: „Sprich nicht. Atme tief durch.“ Doch ich redete gegen eine Wand. Geschüttelt und mit gepresster Stimme überschlugen sich fast ihre Worte, als selbst der Husten ihren Redefluss nicht mehr zurückhalten zu können schien: „Aber… Ich bin so ein Idiot! Ahe! Ahe! Ich hab alles falsch gemacht! Ich… Es tut mir leid! Du… Du musst mich nicht mehr retten. Ich... rede mit Amy, du... Du musst nicht mehr so tun, als würdest du mich mögen. Ich… Ich… Ich...“ Ich riss die Augen auf, als ich mit ungläubigen Ohren ihre Worte hörte, die doch wieder von ihrem lauten Weinen niedergedrückt wurden: ‚Mit Amy reden? Ich muss nicht mehr so tun, als würde ich sie mögen? Sie habe alles falsch gemacht? Bitte was?!‘ Ich brauchte Zeit um zu verarbeiten, was meine Ohren da gerade gehört hatten. Es hallte in meinen Kopf wieder und wieder: Ich muss nicht mehr so tun, als würde ich sie mögen? Was sollte das bedeuten? Ich mochte sie! So sehr wie ich vor ihr nur wenige Wesen gemocht hatte! Und auf eine Art und Weise wie vor ihr noch keines. Wie konnte sie auf den Gedanken kommen ich würde nur so tun als ob? Ich nahm meinen Kopf aus ihren nassen Haaren und legte ihr die Hände auf die Schultern. Ich drückte sie ein Stück weg. Nicht um sie mir fern zu halten, sondern um ihr Gesicht zu sehen. Ich wollte sie sehen, wenn sie mir erklärte was sie gerade gesagt hatte, da ich es nicht verstand: „Was hast du da gerade gesagt?“ Natürlich verstand ich ihre Worte. Doch ich hatte doch so viel getan um ihr zu zeigen, dass ich sie mochte. Oder? Anstatt mir zu antworten versteckte sie ihr schönes Gesicht in ihren Händen. Es war ein schmerzhafter Anblick. Sie wirkte so gepeinigt. Ich griff mit einer Hand ihre Finger. Ihre Hände waren so zart, dass alle ihre 10 Finger in eine meiner Hände passten. Sachte zog ich ihre Hände von ihrem feinen Gesicht: „Sky? Was hast du da gerade gesagt?“ Doch sie starrte nur auf ihre Beine: „Die… die Wahrheit...“ Ich schüttelte einmal mit dem Kopf und schaute sie wieder an: „Denkst du das wirklich?“ Skyler nickte schwach. Ich ließ ihre Finger los und griff ihr Kinn, um ihre Augen in meine zu heben. Sie schlug meine Hand weg. Das Klatschen ihrer Hand auf meiner surrte schmerzhaft durch mein Innerstes. Mein Herz setzte für einen kurzen Moment einfach aus. Für denselben Moment war ich vollkommen unfähig mich zu bewegen. Ich schaute auf ihren hängenden Kopf, ihr Gesicht verhangen von ihren zimtbraunen, feinen Haaren. Sky setzte eine Hand hinter ihren Rücken und schob sich so nach hinten. Weg von mir. Mir war klar, dass sie nicht lange bei mir sein wollte. Doch was sie gesagt hatte drückte mir schwer auf der Seele. Zu schwer um es zu ertragen. Meine Hand schnellte nach vorne und griff ihre. Die, die meine eben noch weg geschlagen hatte: „Warte.“ Sky fror kurz ein. Ihr Kopf hob sich leicht. Nicht genug, dass ich ihr Gesicht sehen konnte. Doch genug um zu erahnen, dass sie auf meine Hand schaute. Ich atmete tief durch, um das angespannte Gefühl in meiner Brust zu vertreiben. Es funktionierte nicht recht:„Bitte warte.“ Stumm schüttelte sie ihren braunen Schopf und schickte mir ein weiteres fieses Surren die Brust hinunter. „Bitte“, beschwor ich sie und lehnte mich nach vorne. Ich streckte meine andere Hand nach ihrem schönen Gesicht aus: „Schaue mich an.“ Als meine Fingerspitzen ihre Wange berührten zuckte ihr Kopf sofort zur Seite. Das Surren wurde intensiver und schlimmer, was meine Finger ebenfalls ein Stück zurückzucken ließ. Es war heiß und kalt gleichzeitig. Unangenehm war dafür gar kein Ausdruck. Doch wie ich es genau beschreiben sollte, war mir ein Rätsel. Ich wusste nur, dass ich noch ein letztes Mal diese großen Augen sehen wollte. So blau als hätte man ein Stück Himmel gestohlen und es hinein gesetzt. Ich wollte ihren Willen nicht untergraben. Doch das Bedürfnis in ihre Augen zu schauen war stärker. Wenigstens ein letztes Mal. So streckte ich meine Finger wieder aus und legte sie behutsam auf ihre kühle Wange: „Sky, schaue mich an.“. „Warum?“, wich sie meinen Fingern zwar nicht aus, sah mich aber auch nicht an. „Bitte. Tu‘ es“, bat ich sie ein weiteres Mal. „Du musst nichts sagen“, sprach sie mit ihrer dünnen Stimme. Dünn, zerbrechlich und melodisch wie teures Glas: „Ich habe verstanden… Ich habe alles verstanden. Menschen sind dir egal… und ich. Ich bin ein Mensch.“ Nun verstand ich. Ich hatte es Freitagabend nicht mehr geschafft diese Aussage zu differenzieren. Was zwischen uns im Raum stehen blieb, war zu allgemein um wahr zu sein. Es stimmte nicht. Ich seufzte als ich verstand, was ich angerichtet hatte… unter anderem: „Ja, sind sie. Menschen sind mir egal. Bis auf einige und du...“ Abrupt drehte Skyler ihren Kopf zur Seite. Ihre Wange verließ meine Hand und ich fühlte mich sofort… einsam. Ihr mir abgewandtes Verhalten, es war verständlich. Es war klug, es war logisch und… es tat mir weh. Ich konnte es nicht anders beschreiben. Dieses furchtbar heiße Ziehen und Surren. Dieses kalte zusammengezogene Gefühl. Ihr Wegzucken und ihr Bedürfnis vor mir zu fliehen. All das tat mir weh. „Siehst du“, hauchte Skyler mit ihrem abgewandten Kopf, der mir so schmerzte: „Du musst nichts mehr sagen...“ „Doch, muss ich“, sprach ich so ruhig ich konnte. Auf keinen Fall wollte ich, dass sich aus meiner Stimme herauskristallisierte, wie schlecht ich mich fühlte: „Aber nicht so. Schaue mich an. Sky. Schaue mir ins Gesicht.“ „Warum?“ „Weil du mich so nicht verstehen würdest.“ Sky riss ihre Hand aus meiner. Das Gefühl was darauf folgte war einfach nur schrecklich. Sie setzte sich auf ihre Knie und hob endlich ihr Gesicht. Sie schaute mich an. Doch der Ausdruck in ihren Augen war so wütend. So wütend und von Schmerz getragen. Immer noch funkelten darin viele Tränen in der pastellfarbenen Abendsonne und liefen über ihre seicht eingefallenen Wangen. Dann erhob sie ihre Stimme. Und sie war laut: „Ich habe dich sehr wohl verstanden! Ich habe alles verstanden! Du bist ein Sensenmann! Du bist kein Mensch und du hast mit ihnen nicht mehr am Hut, als sie als Versuchskaninchen zu benutzen! Du hast mir gesagt, du würdest nie lügen! Und ich dummes Stück hab‘ dir geglaubt! Doch eigentlich war alles was du getan hast doch nur ein großes Theater! Eine riesige Komödie und ich war deine Witzfigur! Gut genug zum erschrecken und zum auslachen! Zum an der Nase herumführen und drüber lustig machen! Denn für mehr brauchst du Menschen nicht! Du hast mir wochenlang vorgespielt du seiest ein Mensch! Du hast mir noch länger vorgespielt du würdest mich mögen. Doch das war alles nur heiße Luft! Warum hast du nicht einfach gesagt, dass du genervt von mir bist?! Warum hast du mich nicht einfach aus deinem Laden geworfen?! Warum hast du meine Geschenke nicht einfach vor meinen Augen in den Müll geschmissen und damit gewartet bis ich weg bin, hm?! Warum hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?! Warum hast du nicht viel früher gesagt, was du von Menschen hältst?! Dann hätte ich viel früher verstanden was du von mir hältst und du hättest mir und dir eine Menge erspart!“ Ich konnte nicht verhindern, dass mir die Augen weit wurden. Ich konnte nicht verhindern, dass sich mein Herz zusammenzog. Das war alles nicht wahr! Das stimmte schlicht nicht! Das war alles einfach nicht das, was ich von ihr dachte. Das war nicht das, was sie für mich war. Ich hatte schon bei ihren vorangegangenen Sätzen gedacht, ich hätte verstanden. Doch das hatte ich nicht. Was ich angerichtet hatte wog viel schwerer, als ich bei dem vorherig Gesprochenen gedacht hatte. Ich griff ihre Schultern, als mich eine peinigende Art von Verzweiflung ergriff: „Sky, ich…!“ Doch sie nahm meine Hände und drückte sie weg. Ein weiteres Mal konnte ich ihr nicht sagen, wie die Dinge wirklich standen: „Pfoten weg! Fass‘ mich nicht an!“ Ich war mir fast sicher so elend hatte ich mich nur einmal gefühlt. Nur bei einem Tod, den ich gesehen hatte. Bei einem Menschen, der mir so unglaublich nahe gestanden hatte und wie nah mir sein Tod folglich gegangen war. Dieser Ausruf war ein Messer in meiner Brust: „Sky, ich…!“ Kaum hatte ich zum Sprechen angesetzt, hatte ich eine Hand vor meinem Mund: „Nein! Nein, ich will nichts hören!“ Verwirrung stieg in meine Pein. Sie hatte mir doch Fragen gestellt. Man will auf Fragen doch Antworten. Doch sie unterbrach mich, hielt mir den Mund zu und schrie mir entgegen nichts hören zu wollen. Das verstand ich ein weiteres Mal nicht, weswegen ich meine Augenbraue nicht davon abhalten konnte nach oben zu wandern. Sky entging dies natürlich nicht: „Was soll dieses Gesicht?!“ Schon wieder eine Frage. Doch ihre Hand presste sich immer noch gegen meinen Mund, sodass ich nicht sprechen konnte. So konnte ich ihr nicht antworten. Als nahm ich meine wieder freie Hand und deutete auf ihre. „Ich hab doch gesagt, ich will nichts hören!“ Schon wieder! Sie stellte mir eine Frage, nur um dann zu sagen sie wolle nichts hören. Abgesehen davon, dass dieser Umstand mit nichts logisch zu erklären war, konnte es so einfach nicht weiter gehen. Nach einem Seufzen nahm ich ihre Hand und zog sie von meinem Gesicht: „Erst stellst du mir Fragen und dann schreist du mich an, du willst nichts hören. Das ist paradox.“ Einen Moment sah sie mich an. Fast geschockt. Sie sagte nichts und ich sah wie ihr Unterkiefer zu zittern begann. Und wie sich neue Tränen in ihren himmelblauen Augen sammelten. Dann fielen sie wieder aus meinem Gesicht: „Ich… Ich will einfach nicht… dass du so tun musst, als würdest du mich mögen… Ich... Ich will nicht, dass du weiter lügen musst… Ich...“ Nun ließ ich sie nicht zu Ende sprechen. Ich ertrug das alles nicht mehr. Diese Distanz und ihre falschen Schlüsse. All das, was sie gesagt hatte, wog viel zu schwer in meiner Brust und flatterte unaufhörlich in meinem Kopf herum. Ich wollte ihr endlich sagen, dass es nicht wahr war. Also zog ich sie ein weiteres Mal in meine Arme: „Nicht du bist der Idiot. Ich bin es.“ „Aber… aber...“ Ich schüttelte meinen Kopf: „Nichts aber.“ Meine Ohren erreichte ein weiteres Wimmern. Ich wollte so gerne, dass sie aufhören konnte zu weinen. Ich wollte sie nicht weinen hören oder sehen: „Was du sagst… Das ist alles nicht wahr. Ich habe nie gelogen, Sky. Ich habe nie behauptet ich sei ein Mensch. Ich habe dir so oft gesagt, dass ich kein gutes Wesen bin. Ich habe nie behauptet ich würde Menschen mögen, doch“, ich nahm sie fester in die Arme, in der Hoffnung sie unterbrach mich nicht ein drittes Mal bei dem was ich ihr die ganze Zeit schon sagen wollte. Sky tat es nicht. Sie tat es nicht und ich konnte es endlich aussprechen: „Doch dich. Dich mag ich wirklich.“ Ich merkte wie sie in meinen Armen einfror: „Was?“ „So wie ich es sagte“, fuhr ich fort. Ich fuhr fort mit all dem was wirklich die Wahrheit war. Und doch waren meine Worte für das was ich eigentlich fühlte zu wenig. Doch mehr… Ich brachte einfach nicht mehr zustande: „Du warst nie eine Witzfigur für mich und schon gar nicht Teil irgendeiner Komödie. Ja, ich habe mit dir Scherze getrieben. Aber das liegt daran, dass ich vollkommen verrückt bin und an nichts anderem. Ich habe dich nie belogen, noch weniger warst du ein Versuchskaninchen, oder habe ich dich an der Nase herumgeführt. Warum ich nie sagte, ich sei genervt? Weil ich es nicht war. Warum ich dich nie aus meinem Laden geschmissen habe? Weil ich es nicht wollte, denn ich war glücklich, dass du da warst. Warum ich deine Geschenke nicht vor deinen Augen in den Müll geschmissen habe? Sky, ich habe deine Geschenke nie weggeschmissen. Ich habe mich viel zu sehr darüber gefreut. Über das Bild und die leckeren Kekse“, ich lachte kurz. Ich lachte kurz, weil ich mich erinnerte wie sehr ich mich über diese Geschenke gefreut hatte: „Ich habe immer noch welche davon. Es war nicht ganz einfach, aber ich habe sie mir eingeteilt. Nihihi! Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz was ich tun soll, wenn sie irgendwann doch leer sind. Aber ja, ich hätte dir einiges ersparen können. Als ich dir versprach, dir Rede und Antwort zu stehen, habe ich nicht erwartet, dass du hinter die Ereignisse auf der Campania kommst, oder je davon erfährst. Was dumm von mir war. Denn ich wusste ja schon lange was für ein kluges, hübsches Ding du bist.“ Als ich geendet hatte, als ich endlich alles aussprechen konnte, merkte ich wie Skyler in meinen Armen zusammensackte. Mit einem Mal wirkte ihr ganzer Körper vollkommen kraftlos. Ich realisierte abermals wie erschöpft sie sein muss. „Aber…“, sprach sie kaum hörbar: „Ich bin doch nur ein Mensch...“ „Nein“ ich lockerte meine Umarmung. Doch ich hielt sie weiter fest. Dieses kraftlose, erschöpfte Ding. Meine zweite Hand griff ihr Kinn und ich hob ihren Kopf in mein Gesicht, der sich nicht mehr wehrte. Der nicht mehr weg zuckte. Und aufgrund dieser Tatsache fühlte ich mich in hohem Maße erleichtert. Ich wusste nicht ganz, warum sie meinem Gesicht nicht mehr entfloh, doch ich wusste wie gut es sich anfühlte. In dem Moment wo ihre Augen in meine schauten, sah ich eine weitere Träne ihre Wange hinunter kullern. Ihre Augen waren so rot vom vielen Weinen. Ein Anblick, der meine Erleichterung dämpfte. Nein, er erstickte sie. Solche Augen sollten nicht so aussehen... Und es war alles meine Schuld. Ohne mich würden sie nicht so rot sein. Ohne mich hätte sie nicht so viel geweint. Wären nicht so erschöpft und so gepeinigt. Ich war Schuld. Der Ursprung alles Übels… der war ich. Und ich fühlte mich aufgrund dessen so schlecht. So unsagbar schlecht, dass das Wort ‚schlecht‘ zu wenig war um dieses Gefühl zu erfassen. Und ich war mir sicher, würde sie in meiner Nähe bleiben, wäre dies nicht das einzige Mal wo sie mir mit so rot geweinten Augen entgegen schauen wird. Ich kann nicht gut für sie sein. Das geht nicht. Nicht so wie ich war. Doch weil ich sie so nicht sehen wollte, weil ich nicht wollte, dass sie weiter weinte und es ihr weiter schlecht ging, lächelte ich und fand meine Stimme um weiter zu sprechen: „Du bist bei weitem mehr als nur ein Mensch für mich.“ Angespannt kaute Skyler auf ihren geschwungenen Lippen herum. Und sie weinte weiter. Sie weinte immer weiter. Meine Augen folgten einer Träne, die mir ein so bitteres Gefühl in meinen ganzen Körper legte. Doch ich lachte. Ich lachte einmal auf, obwohl mir nicht zum lachen war, damit sie das Gefühl bekam nicht mehr weinen zu müssen. Dann wischte ich diese unsägliche Träne fort: „Du warst vom ersten Moment an eines meiner Lieblingswesen.“ Skys Augen wurden groß: „Was?“ Ich legte lächelnd den Kopf schief. Ich lächelte noch nicht einmal mehr aus Gewohnheit. Ich lächelte nur noch für sie. In der Hoffnung, dass es ihres zurück brachte. Denn nach lächeln war mir ganz und gar nicht: „Glaubst du mir nicht mehr?“ Sie ließ ihre Augen herabfallen: „Ich… Ich weiß nicht… Ich... kann mir halt vorstellen, dass es für jemanden wie dich doch nervig ist mich ständig retten zu müssen. Heute schon wieder…“ „Na na“, ich drückte ihren Kopf wieder hoch und lächelte für sie weiter dieses Lächeln, was für mich so anstrengend war: „Du bist nicht nervig. Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Ich bin wahrlich Jemand, der nicht viel bereut und wahrscheinlich“, ich lachte einmal auf. Eigentlich wollte ich auch damit die Situation weiter entspannen, doch es klang so schwer und falsch wie es sich anfühlte. Weil mir ihr trauriges Gesicht so schmerzte. Und weil es mir so schmerzte schaute ich zur Seite: „Macht mich das nicht gerade zum sympathischsten Wesen zwischen den Welten, doch“, ich schaffte es ein erschöpftes Seufzen zu unterdrücken. Dieses Gespräch, diese Gefühle waren so viel anstrengender, als es ein Kampf gegen einen Leviathan je sein könnte. Doch fand ich die Kraft meine Augen wieder zu heben und ihr ins Gesicht zu schauen. Ich fixierte ihre Augen, weil ich wollte, dass sie ein für alle mal verstand: „Das ich einige Male nicht verhindern konnte, dass dir etwas zustößt. An Amys Geburtstag. An deinem Geburtstag. Heute. Das“, das bei diesen Erinnerungen an mein Versagen erneut anklopfende ermattete Seufzen atmete ich aus, doch ich konnte nicht mehr verhindern dass es in meinem Lächeln erschien: „Das bereue ich wirklich.“ Skylers schöner Mund klappte ein Stück auf. Ihre großen Augen schauten mir so ungläubig entgegen wie noch nie. Obwohl ich die vielen Gedanken darin rasen sah, konnte ich nicht sagen was für welche es waren. Sprechen tat sie nicht. Ich schob meine Hand ihre Wange entlang und dabei ihren feuchten Pony aus ihrem schönen Gesicht: „Sage es mir. Sage mir was ich tun muss, damit du mir wieder glauben kannst. Oder sage mir, dass du es nie wieder können wirst und ich werde gehen. Doch ich werde immer dann da sein, wenn dir irgendetwas passieren könnte. Denn das habe ich dir versprochen und meine Versprechen sind mir wichtig. Diese Versprechen sind mir wichtig, weil du mir wichtig bist.“ Und das meinte ich. Trotz allem. Doch noch während ich sprach wappnete ich mich dafür, dass sie mir nun verkündete ich habe alles vollends zu Grunde gerichtet und das ich jetzt gehen solle. Es war ihr gutes Recht. Denn sie hätte Recht. Wenn jemand von Anfang bis Ende und durch die Bank alles falsch gemacht hatte war ich es. Nicht sie, ich. Wofür ich mich nicht gewappnet hatte, waren ihre Arme um meinen Hals. Ich war vollkommen überrascht. Aufgrund dessen war es eher eine intuitive Reaktion, als ich meine Arme auch um ihren Rücken schlang und sie zu mir zog. Noch während ich das tat blinzelte ich verwirrt und begriff erst langsam, dass sie mich und ich sie im Arm hatte. Und wie gut es sich anfühlte. Doch mein Herz das wog. Das wog schwer. Denn sie weinte und schluchzte immer noch. Beruhigt hatte sie sich nicht ein Stück. Egal wie viel ich gelacht und gelächelt hatte. So stellte ich mit meinem schwer wiegenden Herz fest, dass ich wohl nicht mehr in der Lage war sie zu beruhigen. Dass ich es verspielt hatte wie so vieles andere auch. Und das Surren brach nicht ab. „Ich“, Sky versteckte ihr weinendes Gesicht in meiner Schulter und riss mich aus meinen Gedanken: „Ich… Ich war so konfus! Du klangst so grausam! Was du sagtest war so grausam! Wie du geschaut hast war so grausam! Ich konnte… nein... ich kann mir immer noch nicht vorstellen was du da getan hast! Aber… Aber ich will nicht, dass du gehst! Bitte, bitte nicht!“ Obwohl sie mich fester in ihre Arme nahm, war ihre Umarmung so schwächlich. So erschöpft musste sie sein. Ich schlug meine Augen zu. Weil sie so entkräftet war. Weil sie sagte, sie könne sich nicht vorstellen ich hätte all das getan, was ich ihr erzählt hatte. Doch das hatte ich. Ich hatte das alles getan. Und ich bereute es nach wie vor nicht im Mindesten. Ich bereute nur, dass sie es wusste und so darunter zu leiden schien. Doch bevor ich sprechen konnte sprach sie weiter. Aufgebracht und aufgezehrt. Sie wirkte vollkommen entnervt: „Ich weiß, ich war die, die weg gerannt ist. Es tut mir leid! Bitte… bitte bleib hier...“ Ich bekam einen weiteren Stich. Sie war die Letzte, die sich entschuldigen musste. Doch wie ich sie kennen gelernt hatte konnte ich ihr dies 100-mal hintereinander sagen und sie würde es trotzdem 200 weitere Male entschuldigen. Sie gehört sicher auch zu den Menschen, die sich dafür entschuldigen sich entschuldigt zu haben. Also ging ich nicht weiter darauf ein. Diese Diskussion muss jetzt einfach nicht geführt werden. Außerdem war es viel wichtiger, dass Skyler wieder etwas zur Ruhe kommt. Ich strich ihr aufmunternd mit meinem Finger der an ihrer Schläfe ruhenden Hand über ihre kühle Wange: „Sccchhh sccchhh, meine kleine Puppe. Ich bin hier, hörst du?“ Wieder merkte ich wie sie ihre schwachen Arme fester um mich zog. Und ich hielt sie fest, während sie so bitterlich weiter weinte. Auch wenn es mir gefühlt mein Herz zerriss: „Hey, hey. Durchatmen, meine Schöne.“ Ich hörte ein ersticktes Geräusch, als ein Beben durch ihren dünnen Körper ging: „Es geht nicht! Ich muss... Ich kann nicht...“ Ich begriff, dass nur das Rauslassen ihrer Tränen ihr Ruhe bringen konnte. Also entschied ich es zu ertragen, solange ich musste. Ich war es ihr schuldig und sie alleine zu lassen war eine Option, die es für mich in diesem Moment einfach nicht gab: „Weine, wenn du weinen musst. Quäle dich nicht. Ich bin hier.“ Und so ertrug ich ihr bitterliches Weinen und Zittern minutenlang. Quälende Minuten, in denen ich immer wieder überlegte wie ich die Situation für sie ändern konnte. Doch mir fiel nichts ein. Ich blieb meine Arme um das zitternde junge Ding gefaltet sitzen und fuhr immer wieder durch ihre feuchten Haare. Das Gefühl ihrer Haare zwischen meinen Fingern war so schön. Es war so schön, dass es mir die Kraft gab zu ertragen was ich hörte und fühlte. Und in diesen endlos vielen Minuten wurde ich mir immer mehr gewahr was ich verbrochen hatte. Denn ein so schönes Wesen so zum Weinen zu bringen war ein Verbrechen. Und ich wurde mir der Tatsache immer mehr gewahr, dass es sich wiederholen würde, würde sie in meiner direkten Nähe bleiben. Sie wusste von der Campania, aber beispielsweise noch nichts vom Weston College, was auch alles andere als ein feiner Zug meinerseits gewesen war. Ich wollte die vier Jungen unterstützen, ja. Diese vier reuevollen Jungen mit ihrem endlos belasteten Gewissen, die sich nicht anders zu helfen wussten und mit ihrem Mord wahrscheinlich so viel Schlimmeres verhindert hatten. Und danach immer und immer wieder vom Regen in die Traufe gekommen waren. Doch ich hatte auch geforscht. Ich hatte viel an den 6 neuen Dolls damals herum geforscht und Agares war ein Meisterwerk! …Zumindest von meiner Warte aus… Alle anderen sahen die Sache – wie bei allem was mit meinen Dolls zu tun hatte – doch ein wenig anders. Vor allen Dingen Sebastian war alles andere als begeistert gewesen. Nun gut, von seiner Sichtweise aus sicherlich vollkommen zu Recht. Schließlich hatte er, der große fabulöse Dämon, wie der letzte Trottel wochenlang neben einer meiner Dolls gestanden und sich lediglich gefragt wie blöd man als Vice-Headmaster sein kann, keine Treppen ordentlich steigen zu können. Die Erklärung gefiel ihm nicht ganz so gut. Und ich war mir sicher, dass auch Skyler wie schon Freitagabend die Meinung der Anderen teilen wird. Nein, sie konnte nicht bei mir bleiben. So etwas konnte ich ihr kein zweites Mal antun. Oder ein drittes… Oder ein viertes… Ich hatte zu viel getan, was sie ängstigen und verstören wird und meine Gründe waren vollkommen irrelevant. Für eine reine Seele war es einfach nicht gut zu reden. Doch gerade ging ich nicht. Es war niemand sonst da, der auf Sky achten konnte. Ich hatte diese ganzen Minuten, die ich das weinende zerbrechliche Ding im Arm hatte, die leise Hoffnung, dass vielleicht Amy kam um nach ihr zusehen. Dass ich sie hätte an sie abgeben können. Doch ich wusste nicht wo Amy gerade war. Sebastian hatte sie sicher versteckt, gut versteckt, damit Claude sie nicht haschen konnte. Und ihr Auftritt blieb aus. Wenigstens war es irgendwann soweit, dass das junge Ding in meinen Armen aufhörte so gepeinigt zu weinen. Sie schluchzte noch, doch das Weinen verebbte. Ich wusste auch nicht wie lange ich es noch hätte verkraften können. Nachdem sie ein paar Mal tief geschluchzt hatte, flog ihr Kopf aus meiner Schulter: „Himmel! Ich bin so peinlich!“ Meine Hand drückte ihren Kopf auf meine Stirn, sodass ich sie mit einem seichten Lachen - das ich von irgendwo her genommen hatte, ich wusste nicht woher - zwang mit mir den Kopf zu schütteln: „Äh-äh. Bist du nicht.“ Einen Moment schaute sie mir mit ihren fürchterlich rot geweinten Augen entgegen: „Doch… ganz doll sogar.“ Ich lachte noch einmal, so warm und aufmunternd wie ich es schaffte: „Hehe. Aber nein. Nicht ansatzweise.“ „Doch…“, erwiderte sie kleinlaut: „Und du musst es ertragen...“ „Hey“, ich zog meinen Kopf zurück um ihr ganzes Gesicht zu sehen: „Fu fu fu. Das hier ist alles meine Schuld. Also hab ja kein Mitleid mit mir.“ „Das…“, Sky schaute schräg zu Seite. Ihre Wangen wurden rot und vertrieben so ein wenig ihre erschöpfte Blässe: „Ist nicht deine Schuld. Das ist meine… Ich hab meine Nase in deine Angelegenheiten gesteckt, obwohl ich merkte, dass du nicht drüber sprechen möchtest. Ich zwang dich es zu tun und dann... bin ich weg gerannt… Ich weiß nicht, warum ich das getan hab… Es war total doof und… und gemein...“ „Nein“, nachdem ich ihr auf die Nase getippt hatte schaute sie mich wieder an. Mit dem besten Lächeln, das ich zustande brachte, legte ich meinen Kopf ein Stück schief. Ich merkte allerdings, dass ich es nicht mehr schaffte meine Gefühlslage so gänzlich meinem Lächeln fernzuhalten: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du es verstehst. Ich hätte es auch nie verlangt. Ein so reines, junges Ding wie du, kann so etwas nicht verstehen. Aber ich verstehe dich. Glaube mir, ich war nie sauer oder wütend über das, was du getan hast. Ich habe es verstanden und ich dachte es war“, ich atmete kurz durch: „Ich denke es ist besser so.“ „Was?!“, Skylers aufgeschreckte Stimme verwirrte mich und ihre Augen schauten mir recht gehend schockiert entgegen: „Wieso?!“ Ich schloss die Augen, als ich kurz den Kopf schüttelte. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich in ihr bleich gewordenes Gesicht: „Ich weiß, dass ich… dass ein Wesen wie ich es bin kein Wegbegleiter für dich ist.“ Sie riss ihre Augen noch mehr auf. Sie hatte mich schon oft mit aufgerissenen Augen angeschaut, doch so schockiert nur einmal. Und das werde ich nie wieder vergessen. Es war Freitagabend gewesen. Dieser verflixte Freitagabend. „Wie“, schluckte sie: „Wie meinst du das?“ ‚Liegt das nicht auf der Hand?‘, mit diesem Gedanken beschaute ich ihr Gesicht eine ganze Weile. Sie war so schön. So fein, schön und endlos sensibel. Viel zu fein, schön und sensibel für mich. Schweren Herzens fuhr ich mit meiner Hand die Kontur ihres Gesichtes entlang. Ich strich sachte mir meinen Fingern über ihre schöne Wange, ihr kleines Kinn und ihre geschwungene Unterlippe, als mir abermals klar wurde aus was für verschiedenen Welten wir kamen. Welten, die nicht zueinander passten. Es passte einfach nicht. Ich schaute ihr wieder in die Augen: „Ich bin ein Mörder“, legte ich meine Stirn an ihre. Schloss die Augen, als ich mir mein schweres Herz fasste. Strich weiter mit nervösen Fingern über ihr feines Gesicht, da ich jetzt wahrscheinlich die letzte Möglichkeit dazu hatte: „Ein Massenmörder sogar. Ein vollkommen verrückter Massenmörder.“ Ein Kopfschütteln Skylers ließ meine Augen wieder aufspringen. Ich schaute ihr tief in ihre blauen Augen. Ich wusste ich werde sie vermissen. „Du bist kein verrückter Massenmörder“, sprach sie das erste Mal mit ruhiger Stimme. Es hatte trotz allem etwas Erlösendes: „Du bist ein verletzter Mann, der seinen besten Freund vermisst. Das macht einen himmelweiten Unterschied.“ Doch das Lachen, was mir aufgrund dieser naiv süßen Aussage entfuhr, war mehr als nur flach: „Ich bin ein verrückter Massenmörder und ein verletzter Mann, der seinen besten Freund vermisst. Das Eine schließt das Andere nicht aus.“ „Osiris.“ Fast erschrocken zuckte nun mein Kopf zurück. Nur ein paar Zentimeter. Ich musterte ihr Gesicht, von meinem Lächeln und Lachen nun komplett befreit. Ich hatte diesen Namen eine gefühlte Ewigkeit nicht gehört: „Woher kennst du diesen Namen?“ „Amy.“ ‚Amy, natürlich… Die Retterin der Herzen‘, entfuhr mir ein weiteres Lachen, welches immer noch weit von fröhlich entfernt war. Zu weit für meinen Geschmack. Aber ich konnte es nicht ändern. Das Gefühl in mir war deprimierend. Scharf und kalt und zur gleichen Zeit weißglühend und sengend: „Hehe. Sie hat den Butler ausgefragt, richtig?“ Skyler nickte. „Herrje… Hehe!“, war mein Lachen doch dieses mal halbwegs ehrlich, als ich der jungen Phantomhive ihre Fürsorge und Beharrlichkeit anrechnen musste: „Ich hätte mir denken können, dass die kleine Phantomhive nicht locker lässt.“ „Die Campania war nie deine Idee, oder?“, fragte Skyler. Ich schüttelte den Kopf, nicht begeistert von der erneut aufkommenden Fragerunde: „Nein, aber das macht nichts besser.“ „Natürlich!“ Skys naiver Ausruf entlockte mir ein weiteres reichlich freudloses Lachen. Es machte nichts besser. Sky musste verstehen, dass ich aus eigenem Antrieb mitgemacht hatte. Und nicht nur mitgemacht. Dass sie mir am Besten so fern blieb wie es ihr nur möglich war: „Tihi. Sky. Ich habe mitgemacht. Zwingen musste man mich zu nichts. Chamber unterbreitete mir den Plan und ich habe sofort zugestimmt. Ich wollte wissen, wozu meine Dolls fähig sind. Ich habe mich Chamber und Stocker wahrlich nicht aus Sympathie angeschlossen. Sie waren nützlich. Stocker war nützlich, übereifrig, von seiner Begeisterung geblendet und dumm. Die perfekte Marionette. So hatte ich durch das Karnsteinhospital mehr als nur massig Material. Ich wollte wissen wie weit meine Dolls wirklich waren.“ Wieder schüttelte Sky nur ihren braunen Schopf: „Die Dolls an sich, Undertaker, das ist halb so wild.“ Eine meiner Augenbrauen wanderten fast perplex nach oben, als ich dem was ich hörte ein weiteres Mal mehr als nur ungläubig gegenüber stand: „Was?“ Sie seufzte seicht und legte mir eine Hand auf die Brust. Ihre Berührung vibrierte durch das schmerzende Surren in meinem Inneren: „Diese Menschen waren schon tot, Undertaker. Die hat das doch nicht mehr interessiert. Doch das mit der Campania… das hat sich angehört, als hast du dir Monster zusammengebastelt um die verdorbene Menschheit zu vernichten, oder irgendwie sowas. Aber das war gar nicht deine Intension. Du warst nur neugierig und hast dich an Dinge… Menschen… gehalten, denen es nicht mehr schadet.“ Der Unglauben klingelte lauter in meinen Ohren, als das infernalische Gekreische des Leviathans und ließ mich mit einem sicherlich reichlich intelligenzbefreitem Ausdruck im Gesicht blinzeln: „Aber du weißt was du da sagst, ja?“ „Ja“, hielt Skyler meinen Blick stand. Fest und überzeugt. So fest und überzeugt, dass ich es nicht einsortieren konnte: „Doch denke nicht, dass ich deine Aktion auf der Campania gut finde. Das war gelinde gesagt richtig scheiße, Undertaker. Das war so richtig großer Mist. Viel davon. Verdammt viel davon. Aber“, sie lächelte mich an. Ein erschöpftes, aber ehrliches Lächeln. So ehrlich, dass es einfach nur umwerfend war und meine Augen noch größer werden ließen, als sie nicht eh schon waren: „Ich glaube fest daran, dass du deine Gründe gehabt haben wirst und das diese Gründe nicht die Vernichtung der Menschheit und die Ausrottung allem Übels waren.“ Ich merkte wie ich kurz davor war meine eigene Zunge zu verschlucken. Ich hielt gerade noch rechtzeitig dagegen und schüttelte den Kopf: „Nein. Nein, das war es nicht. Ich war neugierig. Ich wollte einfach nur wissen, wie dass alles ausging.“ „Siehst du?“, lächelte sie weiter und ich wusste vollends nicht mehr wie ich mich fühlte… oder fühlen sollte: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Doch unwichtig ist er auch nicht.“ Mir entfuhr ein Schnauben und ein leichtes Grinsen schlich sich wieder auf mein Gesicht. Es war nicht amüsiert, doch ihr Lächeln hatte in meinem Sturm schlechter Gefühle etwas wunderbar Warmes ausgelöst. Ich wusste nicht was, ich wusste nicht woher, doch es sickerte sofort in meinen Verstand und drohte ihn zu übernehmen. Zu einem gewissen Maß tat es das auch. Dieses warme Gefühl ließ mich abermals die Ränder ihres Gesichtes mit den Fingerkuppen entlang fahren: „Du bist so schön.“ Skyler blinzelte mich irritiert an und dieser erquickliche rosa Schatten erschien wieder auf ihrem Gesicht. „Und du hast so eine reine Seele und so einen unglaublichen Charakter“, ich strich mit meinem Finger über ihre weiche Unterlippe: „Du hast so viel an dir was so liebreizend ist, dass mir die Worte fehlen es zu beschreiben, meine Schöne.“ Trotz dieses Gefühls, die Gewissheit, dass sie so gerne ich es auch hätte nicht bei mir bleiben konnte, war unumstößlich. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Und diese Gewissheit verscheuchte mein Lächeln endgültig: „Ich habe das alles nicht.“ „Was?“, Skys Hand verkrampfte sich in mein Hemd. Ihre andere Hand verschränkte ihre Finger in meine. Ich wehrte mich nicht dagegen. Es war ein schönes Gefühl. Doch es hatte einen so bitteren Beigeschmack, dass ich es nicht schaffte ihre Finger zurück zudrücken. Ich schaute ihr nur wieder in ihre schönen tropfenförmigen Augen. So tief, dass ich fast darin verschwand. Wie gerne wäre ich einfach darin verschwunden: „Ich habe keine reine Seele. Bin kein unglaublicher Charakter. Ich bin mitleidslos, reuelos, selbstsüchtig, rachsüchtig. Einfach schlecht und verdorben bis ins Letzte. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich verderben würde. Doch genau das würde passieren. Es war gut, dass du ranntest. Du hast vollkommen intuitiv das Richtige getan. Ein so unbescholtenes, lauteres und argloses schönes Ding wie du, sollte ihre Zeit nicht mit einem Scheusal wie mir verbringen.“ „Was?“, fragte sie abermals mit ihren ungläubigen großen Augen: „Scheu… Bitte?! Scheusal?! Wa-warum sagst du sowas? Warum redest du so schlecht von dir?“ Ich seufzte innerlich: „Weil ich nicht lüge.“ „Aber…“, ihre Stimme wirkte, als könne sie ihre Gedanken nicht recht sortieren: „Das stimmt nicht! Du bist so gar nicht!“ „1873.“ Sie drückte meine in ihre verschränkten Finger fester und ich schaffte es immer noch nicht diese Geste zu erwidern: „Aber… warum bist du gerade nicht so?“ Ich schaffte ein halbes Lächeln. Ich schaffte es nur, weil ich das was folgte so ehrlich meinte: „Wegen dir.“ „Was? Warum?“ Mit dem Daumen fuhr ich über ihre Wange: „Weil ich dich mag.“ „Aber...“, Sky ließ ihre Augen nach unten fallen: „Ich… bin doch gar nicht mögenswert...“ Diese Aussagen waren so leidlich. Natürlich war sie das. Über alle Maßen und mehr als sie sich selber bewusst zu sein schien. Ich griff behutsam ihr Kinn und zog sie zu mir. Unsere Nasen stießen aneinander, was mich lächeln ließ. Ihre Nähe ließ mich lächeln, wenn sie doch so bitter schmeckte. Aber auch ihre Nähe war es, die diesen bitteren Geschmack gleichzeitig wieder vertrieb. Ein konfuses Gefühl. Ein konfus warmes Gefühl: „Natürlich bist du das. Hörst du mir denn gar nicht zu?“ Wieder schaute ich tief in diese Augen, in denen ein Stück Himmel lag. Und dieses Stück Himmel schaute genauso tief zurück. Keine Flucht, nicht den Hauch davon. Ein Umstand, der das Surren und Ziehen, das angespannt heiße und kalte in Wärme auflöste. Zum größten Teil. Ich merkte wie trotz all der Wärme, ein scharfer Splitter zurück blieb. Er steckte tief in meinem Herzen. Doch er war für den Moment nur unterschwellig und unwichtig. Denn ich durfte noch mal in ihre Augen schauen. Ich durfte ihr noch mal nah sein. Und dieses Mal zwang ich es ihr nicht auf. Sie akzeptierte es, da sie sich dagegen nicht mehr erwehrte. „De-“, begann Sky nach einer kurzen Ewigkeit ein wenig holprig wieder zu sprechen: „Denkst du?“ „Aber natürlich“, mogelte die ganze Wärme ein leises Schmunzeln in meinem Stimme: „Sehr sogar.“ „Du“, atmete sie kurz durch: „Du bist auch kein schlechtes Wesen. In… in meinem Augen nicht.“ Ich schob meine Hand in Skylers Haare und strich ihr gedankenverloren über die Wange. Denn ich hatte meine Gedanken verloren. Irgendwo in diesem Stück Himmel: „Du sagst so etwas, obwohl du nun alles weißt?“ Sie nickte. „Das ehrt mich“, hellte meine Stimme weiter auf und meine Gedanken drifteten weiter ab: „Wirklich.“ Sky rutschte ein Stück nach vorne und legte mir ihre Arme um den Hals. Schon wieder. Ich war so froh, dass sie das tat. Ich spürte ihre Stirn auf meiner und sie schlug ihre Lider mit den langen Wimpern zusammen: „Ich habe dich vermisst.“ Und mit einem leisen Lachen meinerseits war es um meine Gedanken vollends geschehen. Den kleinen Splitter spürte ich nicht mehr. Ich spürte nur noch wie gern ich ihr nah war… und wie gerne ich ihr noch näher wäre. Und da ich nicht mehr dachte rutschte meine Nase neben ihre: „Ich habe dich auch vermisst“, und ich neigte meinen Kopf zur Seite: „So furchtbar...“ „JAAAAAAAA!!!~♥“ ‘Grell!‘, schepperte dieser Ausruf und die sofortige und mehr als nur verstimmte Gewissheit von wem er kam durch meinen Verstand. Skys Kopf zuckte erschrocken zurück. ‚Nein!‘, fluchte ich erzürnt in meinem Kopf und meine Hände verkrampften sich. Ich bedauerte nur, dass Grells Hals nicht dazwischen lag! „Du machst das toll!“ ‚Du nicht!‘ „Weiter so! Nur...!“, Grell brach ab. Unterbrochen von... Ronald: „Och! Halt doch nur einmal deine Klappe, du Schwachmat!“ Ich hörte ein lautes Scheppern, gefolgt von einem spitzen Kreischen und lärmenden Platschen. Ich hoffte der blonde Jüngling hat Grell seine Death Scythe mit ordentlich Schwung über die Murmel gezogen! Ich brauchte keine Anfeuerungsrufe! Und schon gar nicht jetzt! Mein Kopf fuhr herum und ich musste mich von Skyler abdrehen, um die Brücke mit den undeutlichen Schatten darauf zusehen. Skys Arme verloren ihren Halt um mich. Doch Grell hatte die Situation eh schon in vollkommener Bravour zu Grunde gerichtet! So wollte ich wenigstens sicher gehen, dass er seinen Abstieg so würdelos wie möglich beschritten hatte. Mir entfuhr allerdings ein sehr genervtes Seufzen und ich legte meine Hand auf die Augen, als ich 3 Gestalten auf der Brücke sah. Kalkulierte ich nun ein, dass Grell nicht mehr dort stand, lag es auf der Hand, dass auch William und der Butler zum Spannen vorbei geschaut hatten. William war ja das kleinere Übel. Er war diskret und bedeckt. Aber der Butler? Warum ausgerechnet der Butler? Natürlich wusste ich warum. Weil Sebastian sich nichts entgehen ließ, was er potenziell gegen mich verwenden konnte. Und wenn man etwas gegen mich verwenden konnte war es Skyler und meine Gefühlswelt. Oh, wie schwante mir Übles... Mehr als nur resigniert stellte ich fest, dass nun eh nichts mehr zu ändern war. Ich musste damit leben wie es nun, mehr als nur gegen meinen Willen, gekommen war. Also schaute ich auf die Themse. Ich sah etwas Unscharfes, was wohl der verstorbene und fast aufgelöste Leviathan war. Auch ein roter Klecks trieb auf der Oberfläche. Mein Mitleid hielt sich mehr als nur in Grenzen. Ich wünschte dem Rothaarigen die Kopfschmerzen seines Lebens. Aber da es nun mal war wie es war, nutzte mir auch der ganze Ärger nichts. Ich konnte die Situation nur nicht noch unangenehmer werden lassen, als sie war. Also lachte ich. Laut. So laut, dass die Drei auf der Brücke es hören konnten: „Ehehehehehehehe! Ich glaube, er ertrinkt!“ „Zu Recht!“, rief Ronald. Im Hinterkopf stimmte ich ihm zu, auch wenn ich auch von seiner Anwesenheit nicht gerade begeistert war. „Ach?“, hörte ich William: „Möchtest du seine Schicht übernehmen?“ „Was?! Nein!“ Es krachte wieder. Aus dem lauten: „AAAAAAHHHHHH! WIIIIIESO?!“, schlussfolgerte ich, dass William Ronald Grell hinterher geschickt hatte. Sehen konnte ich es nicht. „Dann hole ihn da raus!“, bestätigte William meine Vermutung umgehend und es ertönte ein weiteres lautes Platschen. ‚Und wer wirft nun euch Beide von der Brücke?‘, fragte ich mich in meinem Kopf säuerlich. Dann fiel mein Blick auf die Themse. Ein zweiter Schatten erschien, der wohl Ronald war, und zusammen drifteten sie über die Wasseroberfläche. Ein Anblick, der mich doch mit Pläsier erfüllte. Sadistisches Pläsier, aber Pläsier. Und wie es mit meinem Pläsier so war, hatte ich es nicht gut im Griff. Ich schlang die Arme um meinen Bauch und kippte wild lachend nach hinten: „Pahahahahahahaha! Awuwuwuwuwuwuw! Jetzt ertrinken Beide! Ehehehehehehehe!“ „Wenn du es schon feststellst“, hörte ich wieder Williams Stimme durch mein Lachen: „Hole sie doch raus. Du bist schon nass.“ „Was?!“, ich fuhr in den Sitz. Hatte der humorbefreite Langweiler mittlerweile Verdauungsprobleme, die ihm zu Kopf gestiegen waren? Erst bespitzelt er mich und nun soll ich seine Schäfchen wortwörtlich zurück ins Trockene bringen? „Warum soll ich jetzt deine Leute retten?!“ Doch die Beiden waren schon verschwunden und ließen mir so keine Wahl. Mit einem Seufzen stand ich auf. Einem Seufzen, das halb wirklich resigniert und halb noch recht amüsiert war: „Haaaaaa… Nihihihi! Wie furchtbar. Das sind keine Grim Reaper, das ist eine Truppe schlecht bezahlter Zirkusclowns. Fu fu fu fu!“ Ich schaute zu Skyler, die mit hochrotem Kopf die Szenerie schweigend beschaut hatte. Begeisterung sah auch bei ihr anders aus: „Ki hi hi. Wenn du mich kurz entschuldigen würdest? Bevor die Beiden da ersaufen. Fuhuhu!“ „Klar...“, antworte sie gepresst: „Mach du mal...“ „Nihihi. Bis gleich“, entschwand ich zum Fluss. Ich wünschte Grell Kopfschmerzen und Ronald auch, aber nicht den Ertrinkungstod. Doch ich springe kein viertes Mal in diesen abstoßenden Fluss! Niemals! Auch nicht für zwei so gute Freunde wie Grell und Ronald eigentlich waren, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren mich auszuspionieren, oder zu sabotieren, oder diese beiden unsäglichen Angewohnheiten zu kombinieren. Es ging außerdem auch anders. Mit der Spitze meiner Sense angelte ich die beiden Idioten aus dem Fluss. Sie blieben bewegungslos liegen. Mit weiterer sadistischer Freude erkannte ich, dass Beide ganz ordentlich etwas abbekommen hatten. Kichernd entließ ich meine Sense, verschränkte die Arme und stieß mehrere Male mit meinem Fuß gegen Grells Schulter: „Nihihi! Lebst du noch?“ Doch er bewegte sich nicht. Ich wandte mich zu Ronald und wiederholte die Prozedur: „Fuhuhu! Und du?“ Ronald spuckte Wasser aus und setzte sich auf, während er seinen Kopf hielt: „Warum tut William sowas immer? Ich habe doch wirklich nichts gemacht...“ „Nun ja“, das lag nun wirklich im Auge des Betrachters. Ich sah es nämlich anders: „Das könnte mein schon als hinterhältigen Mordversuch auslegen. Fu fu fu!“ „Als ob Grell sowas ernsthaft was ausmacht!“ Mein Gesicht wanderte wieder zu Grell: „Nun, tihi! Er bewegt sich nicht.“ „WAS?!“, entfuhr es Ronald: „Oh ne. Ach Scheiße! Sag‘ nicht der ist hin!“ „Fuhuhuhuhu!“, lachte ich nun doch wieder recht amüsiert. Wenigstens waren die Beiden amüsant genug ihre weit von Intelligenz entfernte Aktion wieder gut zu machen. Ich ging neben Grell in die Knie, griff sein Kinn, zerknautschte absichtlich sein von Make up verschmiertes Gesicht und drehte es hin und der: „Selbst wenn. Dann muss ich ihn halt wieder hübsch machen. Mit dem versauten Make up kann ich ihn nicht vergraben und der Aufzug geht für eine Gala nun gar nicht. Ihihihihi! Ein blaues Kleid steht ihm sicher vorzüglich. Puhu! Ja, genau so mache ich es!“ „BLAUES KLEID?!“, ging Grell mir wie erwartet sofort an die Kehle: „Du kannst mir, mit meinem strahlend roten Haar, doch kein blaues Kleid anziehen! Das BEIßT sich! Oh, du hast von Mode sowas von dermaßen keine Ahnung, es ist zum Mäuse melken! Du stilbefreiter AFFE!“ Ich lachte weiter: „Pahahahahahahahaha! Du lebst ja doch noch!“ „Natürlich lebe ich, du irre alte Wachtel!“ „Wahahahahaha! Warum reagierst du dann nicht sofort?!“ „Warum bringt ihr mich immer halb um?!“ „Ich?“, lachte ich immer noch: „Ich habe dich aus dem Wasser gezogen, mein lieber Freund. Ehehehehehe! Du würgst den Falschen!“ Grell ließ von mir ab und ging auf Ronald los. Ihm entfuhr ein weiterer Schrei, doch er erstickte als Grell seine Kehle zuschnürte und ihn wieder und wieder auf den Boden haute: „DU kleiner Scheißer! Was denkst du dir eigentlich dabei?! Das hat verdammt weh getan! Mein Make up muss komplett im Eimer sein, wenn es schon dem Verrückten auffällt! Erwürgen sollte ich dich, du KLEINE RATTE!“ „Ja, was tust du denn gerade?!“, schrie Ronald erstickt: „Lass‘ mich los! Ich krieg‘ keine Luft!“ „Das ist der Sinn der Sache, du IDIOTISCHER GRÜNSCHNABEL!“ Ich konnte nicht mehr. Diese Szene war so unglaublich unterhaltsam, dass ich in einem Lachanfall unterging. Dann hörte ich Skyler spitz aufschreien. Ich hörte sofort auf zu lachen und fuhr herum. Ich dachte erst, es sei jemand aufgetaucht der Skyler etwas Böses wollte, doch als ich mich umdrehte sah ich schon Williams Astschere über das Ufer fegen, welche sehr gezielt ihren Weg zu Grells Schläfe fand. Er kippte einfach zur Seite. Ronald blieb geschlagen liegen, sicherlich um nicht noch mal der Wut des Aufsichtsbeamten zum Opfer zufallen. Ich fing wieder an zu grinsen als ich merkte, dass die Neuankömmlinge nur William und der Butler waren. Niemand, der Sky schaden wollte und niemand, den ich einen anderen Ausdruck als einen Grinsen entgegen schicken wollte. „Subtil, Mr. Spears“, schritt Sebastian an Sky vorbei und kam auf mich zu. „Ich habe keine Lust mehr auf dieses Theater“, folgte ihm William. Ich schüttelte lachend meinen Kopf und verschränkte die Arme: „Na, fabelhaft. Kihihihihi! Jetzt ist er wirklich K.O. Fuhuhuhu!“ „Mein Mitleid hält sich in Grenzen“, William schob seine Brille hoch. „Nihihihi!“, lachte ich abermals: „Das fällt gar nicht auf, liebster William.“ „Nenne mich nicht so“, erwiderte er wie erhofft unangetan. „Wir haben andere Probleme“, sprach nun der Butler. „Aha?“, machte ich grinsend. Sebastian zeigte mit einen Nicken auf den Fluss: „Das. Die ganze Schule hat es gesehen.“ „Das war auch wahrlich schwer zu übersehen, findest du nicht, Butler? Nihihihi!“ Der Dämon seufzte: „Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Wir müssen es irgendwie erklären.“ „Viel Spaß“, grinste ich schadenfroh: „Kehehehe! Das könnte spannend werden. Wie viele Schüler hat diese Schule? 800? Das Jungscollege hat es definitiv auch mitbekommen. Da wären wir schon bei 1600. Fuhuhu! Dann noch mal um die 60 Angestellte und Lehrer auf beiden Schulen...“, ich tippte gespielt überlegend mit meinem Finger an mein Kinn: „Huhuhu! Das sind ja nur 1720! Die Nachbarn, die es sehr wohl auch gesehen haben werden, nicht mit eingerechnet. Kehehehe!“ „Auch dessen bin ich mir bewusst“, entgegnete der Butler entnervt. Oh, wie gönnte ich es ihm! Herrlich! Mir war klar, dass wir es nicht erklären konnten. Hier handelte es sich nicht um eine handvoll Zeugen wie an Halloween. Ein solches Vieh mitten in der Londoner Innenstadt erweckte reichlich Aufsehen: „Fu fu fu. Da ist guter Rat wahrlich teuer, hm?“ Sebastian neigte skeptisch seinen Kopf: „Hast du denn einen guten Rat?“ Ich hielt dem Dämon in schäbigen Pläsier meine aneinander reibenden Finger vor die menschliche Maske: „Wie gesagt, der ist teuer. Nihihi!“ Seufzend wischte er sie weg: „Haben dich diese Einfaltspinsel denn nicht gebührlich genug unterhalten?“ „Hey!“, echauffierte sich Ronald und setzte sich auf, nur um von William Gesicht voran und mit wedelnden Armen in den sandigen Boden gedrückt zu werden. Ich kicherte, als ich nicht im Mindesten vorhatte den Butler von der Angel zu lassen: „Kehehehe! In der Tat. Doch die fragen mich nicht.“ Ich hatte tatsächlich eine Idee. Eine, die ein wunderhübsch blöden Ausdruck auf der schicken Maske des Dämons erscheinen lassen wird. Was freute ich mich darauf! Doch er sollte mich bezahlen. So sehr wie ich mich heute über ihn geärgert hatte, sah ich es nicht ein dem Dämon einen Rabatt zu geben. William tat es mir gleich. Auf einen Blick des Butlers schob er nur seine Brille hoch: „Ich helfe keinem Dämon. Meinen Rabat gebe ich für dich nicht aus.“ Ich kicherte wieder, als ich auch William ein wenig ärgern musste: „Sprach der, der eben noch Seite an Seite mit ihm kämpfte.“ Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. Dieser Blick war alles was ich sehen wollte. Also drehte ich mich wieder zu Sebastian: „Nihihi. Also?“ Mit einem Seufzen kam der Dämon auf mich zu: „Nun. Es muss wohl so sein.“ Da wir uns nicht in einen Raum befanden, aus dem der Butler die anderen werfen konnte, legte er seine Hand an mein Ohr und begann zu flüstern. Leise. Doch meine Ohren hörten ihn trotz allem fabelhaft: „Damals 1890.“ Ich nickte und meine Mundwinkel kräuselten sich nach oben. Geschichten die so anfingen hatte etwas mit dem kleinen Earl zu tun und hatte dementsprechend sehr viel Potenzial. „Kamen der junge Meister, oder eher der jüngste Sklaventreiber der Welt wie ich ihn lieber nennen würde, und ich in die missliche Lage auf Mr. Sutcliffs Hilfe angewiesen zu sein.“ Mein Grinsen wurde weiter. Das konnte nur gut werden! Der Butler fuhr fort: „Natürlich war es ein Akt für sich Mr. Sutcliff dazu zu bringen uns zu unterstützen. Also schlug die kleine Kröte ihm ein Geschäft vor.“ Ich gluckste. Das konnte nur auf Kosten des Butlers gegangen sein. Aber nicht komplett. Sebastian erzählte keine Geschichten die sich nicht irgendwann zu seinen Gunsten und gegen die Gunst aller anderen Beteiligten drehte. Hören wollte ich die Geschichte trotzdem! „So kam ich in den sehr… speziellen… Genuss eines abendlichen Tanzes mit anschließenden ...Candlelightdinners… mit besagten Herren. Wie mir Mr. Sutcliff im Laufe des Abends erzählte versprach der junge Meister ihm ein Rendezvous mit“, der Butler seufzte kurz: „Allem was dazugehört. Für einen Abend hatte der… junge Meister… mich komplett an Herrn Sutcliff überschrieben.“ Ich prustete. Ciel war wirklich nie zimperlich gewesen seinen Butler als Einsatz zu benutzen, aber das war für den Dämon sicherlich die pure Folter! Und so sicher ich das wusste, wusste Ciel es damals auch. Ich nahm meinen Kopf ein Stück zurück und schaute den Butler giggelnd an: „Nicht im ernst, Butler! Nihihihi! Mit allem drum und dran?“ Sebastian nickte sichtlich gefangen in schlechten Erinnerungen, die er nur heraus kramte weil er genau wusste, dass sie mich amüsieren würden: „In der Tat, mit allem drum und dran.“ „Fuhuhu! Du armer Tropf!“, ich streckte ihm mein Ohr wieder entgegen: „Erzähl weiter!“ Der Butler fuhr fort: „ So landete ich also auf einem Abendball und legte mit Herrn Sutcliff irgendetwas auf das Parkett, was wohl ein Tanz werden wollte. Wie wir den werten Herrn Sutcliff kennen war er etwas zu… überschwänglich... um sich ganz auf den Tanz zu konzentrieren.“ Ich begann zu kichern, als ich genau das Bild von Sebastians unangetanen Gesichtsausdruck und Grells überschwänglichen Gebärden im Kopf hatte. Grell konnte tanzen. Doch er tanzte doch sehr auf seine eigene Art und Weise und diese war wie alles an dem Rotling doch sehr speziell. War der rote Reaper im 7ten Himmel gelandet, war es für Sebastian sicher eher seine persönliche Folterkammer gewesen! „Nun ich brachte diesen Tanz so würdevoll wie irgendsmöglich hinter mich und wir gingen weiter zu dem Dinner. Mr. Sutcliff bestand darauf, dass ich seine Hand halten sollte damit die richtige, wie er es nannte, Atmosphäre aufkam.“ Mein Kichern riss nicht ab. Diese Bilder in meinem Kopf! Von Sebastians Gesichtsausdruck hätte ich nur allzu gern ein Foto! „Das Dinner dauerte lange. Ich stellte fest und war wahrlich erstaunt wie viele Themen es gab, über die sich Mr. Sutcliff ‚unterhalten‘, oder wie ich es beschreiben würde, einen Monolog halten wollte. Vier Stunden verbrachte ich mit ihm zu Tisch.“ Mein Kichern wurde immer lauter. Dieses Gesicht muss herrlich gewesen sein! Warum hatte mir niemand Bescheid gegeben, dass ich sein Gesicht sehen konnte! „Als ich auch dies irgendwie geartet durchgestanden hatte, beschlossen wir den Abend enden zu lassen. So brachte ich Mr. Sutcliff bis an seine Tür. Dort angekommen sah ich schon den kleinen Hoffnungsschimmer der Erlösung, doch Mr. Sutcliff ist immer für erneute Überraschungen gut. So hatte er einen letzten Wunsch.“ Ich ahnte welcher es war. Ich hatte selten in meinem Leben so spitze Ohren gehabt. „Einen Abschiedskuss.“ ‚Ich wusste es!‘, es war anstrengend nicht jetzt schon los zu lachen. Doch ich wollte die Geschichte unbedingt zu Ende hören. „Allerdings.“ Dieses Wort machte alles noch viel viel spannender! „Hatte ein Blumentopf, der Mr. Sutcliff selbst gehörte, Erbarmen mit mir.“ Mir war mehr als nur bewusst, dass der Butler irgendwie dafür gesorgt hatte, dass dieser Blumentopf Mitleid mit ihm hatte. „Und beendete diesen Abend, als Mr. Sutcliff schon begonnen hatte zur Tat zuschreiten, doch kurz bevor es zu diesen… Umstand gekommen war mit einem lauten Krachen. Als letzte Amtshandlung trug ich den Ohnmächtigen Herrn Sutcliff zu Bett und entschwand.“ Als ich mir bildlich vorstellen musste wie Grell mit leuchtenden Augen kurz vor der Erfüllung seiner kühnsten Träume stand und dann von einem Blumentopf erschlagen wurde konnte ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten. Es brach aus mir heraus und krachte durch die ruhige fast Nacht. Besiegt von meinen eigenem Lachanfall und immer noch Grell, der so schändlich von einem Blumentopf niedergestreckt wurde, und Sebastian, der einen Abend lang dank des kleinen Earls so viel zu leiden hatte, fiel ich geifernd lachend zu Boden und blieb dort liegen. Eine kleine Ewigkeit fingen mich die Bilder in meinem Kopf in einem Lachanfall der Superlative. Nach einiger Zeit flaute er ab, auch wenn ich mich immer noch nicht ganz beruhigt hatte. Recht ermattet und schwer atmend lag ich alle Viere von mir gestreckt auf dem Boden: „Kihihihi… Awuhuhuhuhu… Nahahahaha… Herrlich, Butler! Einfach… Buhuhuhu… Einfach vorzüglich!“ Sebastian hatte zwar geduldig gewartet, doch war er nur daran interessiert die Früchte seiner Arbeit zu ernten: „Nun?“ Mit einem breiten Grinsen setzte ich mich auf und freute mich schon auf das Gesicht des Dämons: „Tue einfach gar nichts.“ Und es kam wie ich es mir erhofft hatte. Sebastian schien seine liebe Mühe zu haben ein mächtiges Brodeln und Dampfen hinter einer pulsierenden Ader und einem höflichen Ausdruck zu verstecken. Begeistert war er von meinem Vorschlag wie erwartet eher weniger: „Bitte?“ „Tue gar nichts!“, mit einem schrillen Lachen stand ich wieder auf meinen Füßen, beschwingt von dem Ausdruck des dämonischen Butlers. Doch er hatte mich bezahlt und so verriet ich ihm was hinter dieser lapidaren Aussage eigentlich stand: „Menschen sind atemberaubend geschickt darin sich selbst zu belügen. Nihihihi! An so etwas, fu fu fu, abstruses, wie wir es sind, wollen sie nicht glauben. Sie werden sich ihre Geschichte schon zusammen puzzeln. Es wurde uns doch allen schon einmal eindrucksvoll demonstriert!“ William verstand mit einem unbegeisterten Gesichtsausdruck, während er Ronald im Sand erstickte: „Die Massenhalluzination auf der Campania.“ Mit einem Schnipsen zeigte mein Finger auf ihn: „Exakt. Kihihihi!“ Der Butler war derweilen in ein kleines Grübeln verfallen: „Dieser Einwand ist gar nicht so dumm.“ Gespielt beleidigt fiel mein Kopf zur Seite: „Naaaa. Das klingt ja, als würde ich den ganzen Tag nur Unsinn erzählen.“ „98% der Zeit“, triezte der Butler mich weiter: „Doch auch ein wahrhaft blindes Huhn, wie du, scheint hin und wieder ein Korn zu finden.“ Ich starb ja für diese kleinen Gefechte! Ärgern konnte der Butler mich damit nicht. Nur sehr gut unterhalten. So erntete der Butler nicht mehr als eine kichernd erhobene Augenbraue: „Deine Freundlichkeit sprengt mal wieder alle Grenzen. Ti hi hi hi.“ „Es ist erstaunlich, nicht?“, stieg Sebastian weiter ein: „Ich bin immer wieder selbst von mir überrascht.“ Ich reckte meinen Kopf ein Stück zu dem Dämon und zog ein paar Mal übertrieben laut Luft durch meine Nase ein. Dann lachte ich und wedelte mit meiner Hand vor meiner Nase: „Puuuuuuh... Ki hi hi hi!“ Sebastians Kampfgeist schlug in seichte Verwirrung um: „Was tust du da?“ „Ehehehehe! Dein Eigenlob stinkt zum Himmel!“ Mit einem Seufzen schüttelten Sebastian und William gleichzeitig ihre Köpfe. Doch ein lautes und helles: „Hatschie!“, unterbrach unser nettes Geplänkel und ließ mich den Kopf drehen, als ich die Stimme wohl erkannte. Skyler rieb sich zitternd ihre dünnen Arme. Ich seufzte innerlich. Da ich selbst nicht fror vergaß ich öfter wie schnell Menschen es taten. Vor allem, wenn sie vollkommen durchnässt an einem frischen Novemberabend draußen saßen. Und Sky tat dies schon seit einer ganzen Weile. „Herrje herrje“, ging ich also zu dem dünnen jungen Ding und kniete mich vor ihr hin: „Wie unmanierlich von mir dich hier im Kalten sitzen zu lassen.“ „Ach“, sie lächelte, doch war es dieses Mal furchtbar schief: „Mir geht es… Hatschie!“ Aufgrund dieses schiefen Lächelns schloss ich mit einem inneren Seufzen die Augen. Dann schob ich die Arme unter die viel zu leichte junge Dame und hob sie hoch: „Na na. Keine faulen Ausreden. Die muffeln immer schlimmer, als das Eigenlob des Butlers und das, nihihihi, ist wahrlich gar nicht so einfach.“ „Äh äh äh… Ich… ich“, leuchtete ihr Gesicht auf einmal in einem satten possierlichen Rot: „Ich… kann selber laufen!“ „Gewiss“, grinste ich Sky entgegen und wandte mich dazu zu der kaputten Brücke zu gehen: „Aber ich lasse dich jetzt nicht bis zu nächsten intakten Brücke und wieder zurücklaufen, damit du auf jeden Fall wieder mit einer herrlichen Erkältung danieder liegst.“ Ich erinnerte mich nur so gut, dass Amy erzählte Skyler wurde recht schnell krank und ich hatte sie eine ganze Weile hier sitzen lassen. Außerdem wirkte sie recht erschöpft und war heute fast ertrunken. Da sie dazu noch so unfassbar dünn war, war ich mir nicht sicher wie weit ihr Kreislauf sie kommen ließ. Ginge es ihr gut, wäre sie einfach selbstständig aufgestanden und hätte sich entschuldigt. Doch sie hatte nur auf den Boden gesessen. Ich erinnerte mich ebenfalls noch genau, wie ihr Kreislauf ihr in Othellos Untersuchungszimmer schon einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Auch da war sie recht lange einfach sitzen geblieben. Wiederholungsbedarf hatte dieser Umstand wirklich nicht. „Aber aber…“, protestierte Sky stotternd, was mich nicht im Mindesten zum stoppen animierte: „Es macht doch keinen Unterschied, ob ich alleine zur nächsten heilen Brücke laufen oder du mich dort hin trägst!“ „Wer sagt, dass ich zur nächsten heilen Brücke will?“ „Ja, was denn sonst?“, fragte sie recht verwirrt: „Die hier ist total zerstört! Da kommt man nicht mehr weit!“ „Sicher?“, mein Grinsen wurde weiter. Für normale Menschen war dies durchaus richtig. Doch weder war ich normal, noch war ich ein Mensch. Ich kam soweit ich wollte! „Ja!“, setzte Skyler bestimmt hinterher. „Oh, wie schmerzlich“, neigte ich meinem Kopf mit dem immer größer werdenden Grinsen: „Dass du mir nicht einmal so etwas zutraust.“ „Hä?“, schaute sie mich verständnislos an und schien nicht auf den Gedanken zu kommen, dass jemand der sich mit großen bösen Monsterhunden und Wasserschlangen herumschlägt vielleicht nicht ganz so große Probleme mit einer kaputten Brücke hatte. Ich hätte es ihr erklären können, doch ich entschied, dass eine kleine Demonstration vielleicht länger im Gedächtnis blieb. Außerdem war es so amüsanter. Also sprang ich mit einem lauten Kichern in die 10 Meter in die Luft und landete auf der zerstörten Brücke. Skyler blinzelte mir etwas blass um das feine Näschen mit großen Augen entgegen. „Kein Mensch“, grinste ich und begab mich zum bröckeligen Ende der Brücke: „Mir scheint du vergisst es des Öfteren, ni hi hi hi!“ „Öhm höm nöm… nein?“, es war ja schon erstaunlich wie sie es schaffte Frage und Antwort zu vermischen, sodass sie wahrscheinlich selbst nicht recht wusste was es hätte werden sollen: „Aber woher soll ich wissen, was du alles kannst?!“ Ich blieb stehen: „Vertraue mir doch einfach. Kihihihi!“ Ich blinzelte in die Themse und unterdrückte ein Schaudern. Dann schaute ich zu Skylers und Ambers Wohnheim. Oder wo ich dachte wo ihr Wohnheim stand. Ich war mir sicher es war dort und dass ich es erreichen konnte. Sehen konnte ich es allerdings nicht. „Das schaffst du nicht!“, jammerte Skyler in meinen Armen: „Wir gehen beide baden! Oh bitte, Undertaker! Ich hab‘ genug von WassAAAAAHHHHH!!!“ Ich sprang ab, bevor sie ausgesprochen hatte. Sie wusste ja gar nicht wie sehr ich ihrer Meinung war. Mit einem spitzen Schrei warf sie mir die Arme um den Hals. Ich kam nicht drum herum zu kichern zu beginnen. Sie war so possierlich einfach zu erschrecken! Nun gut, meine Mittel waren wahrscheinlich auch reichlich unfair. Der Wind sauste an meinen Ohren vorbei während es weiter hoch anstatt hinunter ging. Nach kurzer Zeit landete ich leichtfüßig mit dem dünnen Ding auf den Armen auf dem Dach des Wohnheimes der violetten Wölfe. „Siehst du“, grinste ich in ihr Gesicht, welches mich reichlich durch den Wind zurück anschaute: „Ich schaffe es doch.“ „Du… du bist total verrückt!“, gab sie mir irgendwo zwischen aufgebracht und atemlos zurück. Diese Aussage brachte mich wie üblich zum Lachen: „Ach, ist dir das auch schon aufgefallen? Nihihihihi!“ Sie blinzelte mich weiter an: „Ach weißt du… Vergiss‘ einfach alles was ich gesagt habe...“ „Kehehehe! Habe ich Alzheimer?“, lachte ich Skyler entgegen: „Wieso sollte ich? Das war amüsant!“ Sie schwieg mit einem eindeutig unbegeisterten Gesichtsausdruck. „Sky!“, erreichte uns eine rufende Stimme, die ich sehr wohl kannte. Als ich aufschaute sah ich einen Schatten, der laufenderweise die Konturen der jungen Phantomhive annahm: „Oh Sky! Es geht dir gut!“ Ich setzte Skyler sachte auf die Füße. Sie stand, wirkte aber mehr als wackelig. Als Amy ihr aus dem Lauf um den Hals fiel, strauchelte sie und kippte nach hinten. Ich griff ihre schmalen Schultern und sie lehnte mit dem Rücken vor meiner Brust, um auf ihren Füßen zu bleiben. „Ich bin so froh!“, seufzte Amy ebenfalls erschöpft, doch vor allen Dingen erleichtert: „Ich hätte Sebastian den Hals umdrehen können! Dich einfach zurück zu lassen! Prefect vor Fag?! Ja, spinnst du denn?! Du bist doch total verrückt! Aber es geht dir gut! Oh, ich bin so froh, dass es dir gut geht!“ Sky schwieg kurz, legte ihrer Freundin dann die Arme um den Hals und vergrub das Gesicht in Amys langer nasser Mähne: „Ja, mir geht es gut.“ Und ich war so froh, dass sie in Ordnung war. Kaum waren wir - nass und tropfend - in dem kleinen Apartment der Mädchen angekommen, entfuhr Skyler ein erneutes Niesen. Sky zitterte. Amy nicht, doch ich konnte der Phantomhive ansehen, dass sie es unterdrückte. Nachdem die junge Adelstochter das Licht angeschaltet hatte stemmte sie die Hände in die Hüften, während sie uns musterte: „Gott, ihr seid beide total nass.“ „Ach“, schaute Skyler ihre beste Freundin mit erhobener Augenbraue an: „Und du nicht?“ Amy ging nicht darauf ein und wandte ihren Kopf zu mir: „Außerdem siehst du aus, als hättest du mächtig einen vor die Murmel bekommen.“ Auch ich wandte meinen Kopf endgültig zu der jungen Phantomhive und ich betastete mein Gesicht, als ich mich der kleinen Wunde erinnerte, die mir wohl der Wellenbrecher verpasst hatte: „Nihihi! Sag nicht es blutet immer noch.“ „Ich glaube nicht“, antwortete Amber trocken: „Aber du bist total verschmiert.“ Ich lachte sie nur an. Ich hatte die kleine Wunde schon wieder vergessen und durch die vielen Tropfen, die die ganze Zeit aus meinen Haaren über mein Gesicht liefen, auch die Blutspur nicht bemerkt: „Kehehe! Kopfwunden sind nervig! Außerdem sehen sie meistens schlimmer aus als sie sind.“ Amy schüttelte nur den Kopf: „Schon klar. Trotzdem bist du blutverschmiert, nass und siehst deswegen ein wenig zerpflückt aus, Onkelchen.“ „Kihihi! Ist dem so?“, Amber hatte immer schon ein Problem damit gehabt jemanden von uns bluten zu sehen. Als sie jünger gewesen war hatte sie deswegen immer einen halben Panikanfall bekommen: „Mir macht so etwas doch nichts. Aber Sky und du solltet euch ganz dringend aufwärmen.“ „Ach passt scho… Hatschie!“, versuchte Skyler zu reden, wurde aber von Niesen und Husten unterbrochen. Ich hoffte sie war nicht schon krank: „Ahe! Ahe! Ich lebe und so...“ Plötzlich hellte Amys Gesicht in Anbetracht eines Einfalls auf: „Ich weiß wie wir es machen!“ Dann verschwand sie in einer Türe. Sky steckte ihr ihren Kopf hinterher: „Hey! Was hat dein Plan mit meinem Zimmer...“ Sie brach ab, als Amy sie aus der Türe schob und einen dunklen Stoffstapel in der Hand hatte. Ich erkannte meinen Mantel… und meine Jogginghose. Sofort hatte ich ein doofes Gefühl. „...zu tun…“, beendete auch Skyler ihren Satz, als Amy mir meine Kleider in die Arme drückte: „Verschwinde schnell ins Bad, zieh dich um und wasch dir das Gesicht. Häng‘ deine nassen Sachen einfach über die Heizung. Danach stecken wir Skyler unter die Dusche und dann würde auch ich gerne warm duschen.“ Ich grinste Amy an, allerdings ein wenig schief. Ich hatte diese Hose noch nie getragen und wollte eigentlich, dass es so blieb: „Och. Das ist wirklich nicht nötig.“ Doch die Phantomhive verschränkte herrisch mit erhobener Augenbraue die Arme: „Verarschen? Du trägst eine Lederhose, man. Das muss ein ultra ekeliges Gefühl sein.“ „Joa“, grinste ich sie weiter an. Es stimmte. Wasser zwischen Haut und Leder war wirklich kein schönes Gefühl. Bis jetzt war ich allerdings zu abgelenkt gewesen es zu bemerken: „Erhebend ist es nicht, nehehehehe! Aber es gibt Schlimmeres.“ Amy schüttelte sich aufgrund meiner Aussage. Dann riss sie die Badezimmertüre auf und beförderte mich mit einem erstaunlich harten Tritt in meine vier Buchstaben durch eben diese: „Es ist nur eine Jogginghose! Stell‘ dich nicht an wie ein Mädchen!“ Mir entfloh ein kurzer Schrei, hatte ich doch nicht damit gerechnet, dass sich Amber solchen Mitteln bediente. Ich wedelte mit den Armen um meine Balance zu halten, ein Unterfangen was durch meine Überraschung fruchtlos blieb. Kurz nach meinen Kleidern landete auch ich auf den Kacheln des Fußbodens. Ich hörte wie sich die Türe schloss und Amber durch diese gedämpfte Stimme: „Man man man, ist der teilweise furchtbar.“ Ich krabbelte auf die Knie und öffnete die Türe wieder ein Stück, in totaler Abneigung gegen diese Jogginghose: „Amber, nihihihi, es ist wirklich nicht… Jau!“ Bevor ich aussprechen konnte, sah ich abermals an diesem Tag viele viele bunte Sternchen. Die Türe traf meine Nase und schickte mich zurück auf den Boden. „Jetzt zieh dich endlich um!“, tönte Ambers Stimme wieder durch die Türe: „Oder Skylers Erkältung ist deine Schuld!“ „Das ist ganz miese Erpressung“, murmelte ich auf dem Rücken liegend und zog meine knisternde Nase hoch. „Hey!“, hörte ich Skyler sich beschweren. Sie klang zu meinem Leidwesen schon recht verschnupft: „Halt‘ mich daraus!“ Dann wurde es stumm hinter der Tür. Da ich keine Lust hatte ein weiteres Mal an diesem Tag in den bunten Sternenhimmel zu schauen, stand ich auf und ergab mich der jüngsten Phantomhive, die ein weiteres Mal bewiesen hatte die Beharrlichkeit vorangegangener Generation geerbt zu haben. Außerdem hatte sie Recht. Eine Lederhose war nichts, in dem man schwimmen gehen wollte. Also zog ich seufzend Mantel und Hemd aus und schlüpfte in das T-Shirt. Als ich es übergestreift hatte erreichte ein seltsamer Geruch meine Nase. Es roch leicht nach dem Zitrusreiniger, den ich immer benutzte. Doch auch nach Lavendel. Ich zog ein Stück Stoff von der Schulterpartie zu meiner Nase und tatsächlich. Das T-Shirt roch nach Reiniger und Lavendel. Es roch nach…: „Sky...“ Nach Sky und ihrem Unfall am Freitag. Mit einem schweren Schmunzeln erinnerte ich mich daran wie sie in dem Sarg gelegen hatte, Putzwasser überall. Wie ich sie auf einen anderen Sarg gesetzt hatte und besagtes Putzwasser aus den großen blauen Augen gewischt hatte. Wie ich sie ins Badezimmer getragen hatte. Nur einige Momente, bevor dieses unsägliche Gespräch seinen Verlauf genommen hatte. Von dort aus wanderten meine Gedanken zu ihren roten verweinten Augen. Ich seufzte frustriert, schloss meine Augen und schüttelte den Kopf, als der kleine Splitter zurückkehrte. Prägnant, intensiv und schmerzhaft. Ich wusste schon was es zu tun galt. Was das einzig Gute für das zerbrechlich sensible junge Ding war. Mit einem weiteren Seufzen entschied ich mich nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln. Schließlich wartete Skyler darauf duschen zu können und sie war der Erkältung schon näher als mir lieb war. Was das allerdings anders sah war meine Hose. Sie klebte an meinen Beinen und stellte sich als außergewöhnlich besitzergreifend heraus. Es dauerte eine Weile bis ich siegreich war und schlussendlich in der Jogginghose endete. Ich schaute an mir herunter. Diese Kleider waren durchaus gemütlich, doch sie sahen furchtbar aus. Wie jemand wissenden und sehenden Auges freiwillig so vor die Türe gehen konnte war mir ja durchweg schleierhaft. Als ich es geschafft hatte mich umzuziehen angelte ich ein Haargummi aus meiner Manteltasche und wandte mich zu dem ovalen Spiegel um mir einen Zopf zu binden. Da sah ich was Amy meinte. Ich ging näher an den Spiegel heran und schob meinen Pony in die Haare. Eine kleine Wunde leuchtete an meinem Haaransatz. Nichts Gravierendes, aber sie hatte eine feine mittlerweile angetrocknete Blutspur über meine rechte Gesichtshälfte gezogen. Nachdem ich mir meine Haare zusammengefasst hatte, warf ich mir ein paar Hände Wasser ins Gesicht und wusch mir so das Blut ab. Dann verließ ich das Badezimmer. „Sebastian?“, hörte ich schon im Flur Skylers verwunderte Stimme. Der Butler hatte sich also auch in dem Apartment der Mädchen eingefunden. Sebastian blubberte sein übliches ‚Was-wäre-ich-denn-für-ein-Butler-wenn‘-Gefasel, während mich meine nackten Füße zu der Stube der Mädchen trugen. Als ich im Rahmen der Wohnzimmertür erschien sah ich, dass nicht nur Sebastian seinen Weg in die kleine Wohnung der jungen Damen gefunden hatte. Alle waren da, auch die Reaper, Grell immer noch ohnmächtig. Ich sah wie Skyler Sebastian verwirrt anblinzelte, nachdem er mit seiner Ausführung geendet hatte. „Ein dämonischer...“, antwortet sie auf die Frage, die für gewöhnlich keiner beantwortete und schlug sofort beide Hände vor den Mund. Mir entlockte diese Antwort ein Lachen, da sie so wahr war: „Nihihihihi! Sie hat Recht. Fuhuhuhu!“ Die Köpfe der Anwesenden fuhren zu mir herum, sofern sie nicht von einer Astschere K.O. geschlagen wurden. Dann spürte ich ein paar Augen auf mir. Ich drehte meinen Kopf zu der jungen Skyler, die immer noch beide Hände vor den Mund hielt und mich mit großen blauen Augen musterte. Ihr Gesicht hatte ein sattes Zinnoberrot angenommen und irgendwie wirkte ihr Gesichtsausdruck fast geschockt und irgendwie überfordert. Mir erschloss sich nicht warum sie mich so musterte. Ich überlegte kurz, ob ich schon wieder irgendetwas Seltsames getan hatte. Ich meinte nicht, doch das hieß nicht allzu viel. Ich fand mein Verhalten oft nicht ansatzweise so seltsam, wie andere es taten. Sky versteckte ihr Gesicht nun komplett in ihren Händen. Meine Verwunderung wuchs ein Stück, doch dass Ronald anfing zu kichern und Sebastian wieder seine Stimme erhob lenkte mich davon ab: „Wahrscheinlich.“ Ich wandte meinen Gesicht wieder dem Butler zu: „Nihihihihihihi! Wie gut, dass es dir selbst auffällt, Butler.“ Dann schaute ich zu Grell, ging auf ihn zu und griff im Vorbeigehen eine Rolle Küchentücher. Da Grell zielgenau von einer Schere getroffen wurde und immer noch Ohnmächtig war tippte ich er war auch nicht um eine Wunde herum gekommen, auch wenn ich es nicht sah: „Amber, tihi, ihr habt doch sicher einen Verbandskasten.“ „Ja“, antwortete mir Amy mit amüsierter Stimme und ging aus der Türe: „Ich hole ihn.“ Als ich mich neben Grell kniete sah ich die kleine Wunde an seiner Schläfe. Nichts, was für ihn wirklich gefährlich wäre. Er würde bald wieder aufwachen und durch die Gegend hüpfen wie man es von ihm gewohnt war. Ich riss ein Blatt von der Rolle und wischte das Blut aus Grells nassem Gesicht: „Ehehehehe! Dem hast du es aber gezeigt, William!“ „Angemessene Härte“, erwiderte der strenge Mann in seinem monotonen Tonfall. „Könntest du...“, hörte ich schließlich Skyler nach einem tiefen Durchatmen: „… Das Ding hier drin wegstecken, William?“ Als Ronalds Kichern ein lautes Lachen wurde wandte ich mich um. Doch meine schlechten Augen sah ich nichts, was zum Lachen wäre. William entließ derweilen seine Death Scythe: „Natürlich.“ „Danke“, hörte ich Skylers dünnes Stimmchen. Dann erschien Amy wieder im Raum und reichte mir den Verbandskasten. Ich machte mich daran Grells kleine Wunde zu versorgen. „Ich war so frei euch Wechselwäsche mitzubringen“, hörte ich wie der Butler ein Tablett auf den gläsernen Kaffeetisch stellte und das Rascheln von Stoff. „Cool“, machte Ronald: „Mir ist ziemlich kalt. Wo ist euer Bad?“ „Letzte Türe links. Häng‘ deine Sachen über die Heizung. Beeil dich, wir wollen duschen“, antwortete Amy. Es gefiel mir nicht, dass Skyler noch länger auf die warme Dusche warten sollte, doch Ronald war schon entschwunden. Ich klappte den Verbandskasten zu und sah wie sich der Dämon mit einem Kleiderstapel auf dem Arm zu Grell wandte. „Kehehehe! Keine Chance“, schüttelte ich lachend meinen Kopf. Doch auf Sebastians Gesicht schien nur ein wissendes Grinsen, als er den Stapel ablegte und sein Jackett aufknöpfte. Sofort erschloss sich mir was er vorhatte. Es war immer wieder derselbe Trick und er hatte immer wieder denselben einschlagenden Effekt. Mit einem langen lauten Seufzen griff der Dämon das Reviere seiner Jacke: „Es ist so warm hier. Ich glaube ich muss ein paar Lagen ablegen...“ Grell sprang neben mir sofort auf die Couchlehne: „Was?! Das muss ich sehen!“ Ich musste wieder laut loslachen, als Grell mal wieder auf den Trick des Butlers hereinfiel. Man könnte annehmen, dass er die Tricks des Dämons mittlerweile kannte, aber dies war wohl eine Fehleinschätzung. Sebastian ließ natürlich sein Jackett Jackett sein und reichte Grell nur den roten Stoffstapel: „Guten Morgen, Mr. Sutcliff.“ „Was?!“, schaute Grell fast enttäuscht und aufgeregt auf den Dämon in seiner menschlichen Verkleidung: „Das… das war nur eine Finte?!“ Der Butler legte den Kopf schief: „Ich dachte ihr könntet trockene Kleidung bedürfen.“ Der rote Reaper hüpfte von der Couch und begann wackelnd den Stoffstapel zu kuscheln: „Oh Bassy! Du liebst mich doch!~♥“ Ich stellte fest, dass kein Blumentopf der Welt Grell von seiner Obsession dem Butler gegenüber heilen konnte. Doch ich kicherte nur: „Na ja.“ Grell steckte mir wütend seine Nase ins Gesicht: „Du hast von sowas doch überhaupt keine Ahnung, du furchtbarer alter Knacker!“ „Nihihihihi!“, lachte ich wieder, als ich den Rotling zustimmen musste: „Ich habe nichts dagegen einzuwenden! Pahahahaha!“ „Hey, du stehst ja“, kündigte Ronald sein Wiedererscheinen an und William verließ den Raum. Auch der Blonde trug ein T-Shirt und eine Jogginghose. Grell verschränkte mit einem verächtlichen Blick auf Ronald die Arme: „Du hast nicht viel dafür getan.“ Ronald öffnete seinen Mund um zu antworten. Doch ein lautes Klatschen unterbrach ihn, bevor er begonnen hatte. Mein Kopf fuhr zur Quelle des Klatschens. Ich zog meine Augen ein Stück zusammen und konnte erahnen, dass sie eine Hand vor ihr Gesicht geschlagen hatte. Warum sie das nun getan hatte, war mir abermals ein Rätsel. Teilweise verstand ich dieses junge Ding wirklich nicht, egal wie amüsant ihr Betragen war: „Ehehehe! Was hat sie denn?“ „Ach nichts“, antwortete mir Amy kichernd: „Sie hat das manchmal einfach.“ Sie erntete wohl einen Blick von Skyler, das entnahm ich der Tatsache, dass der Schatten mit dem braunen Schopf ihre Hand vom Gesicht nahm und sie anschaute, worauf Amber noch mehr kicherte. Mein Kopf fiel zur Seite. Ich konnte Skys immer so unterhaltsame Mimik nicht recht sehen und ihr Verhalten erschloss sich mir nicht, aber wenn es irgendetwas zu lachen gab, wollte ich wissen was: „Was ist dann so lustig? Ich will auch lachen!“ Amy brach in einen Lachanfall aus, der meinen durchaus Konkurrenz machte. Auch Ronald begann wieder zu kichern: „Ich erkläre es dir später.“ Ich schaute den Jüngling an. Ich hasste es auf Erklärungen warten zu müssen, vor allem wenn es sich um die Erklärung von Komik handelte und dies war nicht die erste Erklärung seines Lachens, die der Blonde mir heute vorenthielt. „Schon wieder?“, stand ich auf: „Alle Lachen und niemand weiht mich ein. Das ist grausam!“ Ronald lachte weiter Schön für ihn! Und was ist mit mir?! Doch auf eine Erklärung wartete ich vergeblich. Ronald lachte weiter und weiter und speiste mich ab: „Ich erkläre es dir! Wirklich! Nur nicht hier.“ Ich verschränkte nur wenig begeistert die Arme, obwohl ich unverändert grinste: „Nihihihi! Gnade dir was immer dir heilig ist, wenn es am Ende nicht wirklich lustig ist!“ Mit wedelnder Hand atmete der Jüngling durch: „Puuuuuuh… Haha! Es ist eher eine Art Situationskomik.“ Meine Lieder flatterten als ich zusammenfügte was Ronald mir vermittelte. Dann ergriff mich Echauffiertheit: „Aber dann bringt es mir ja nichts, wenn du es mir später erzählst!“ „Was ich dir zu erklären habe, wird dir schon etwas bringen“, verteidigte sich Ronald und ich war mir mittlerweile fast sicher das Küken möchte mich veräppeln. Wo ist denn da der Sinn?! „Ja, was denn?“, steckte ich Ron meine Nase ins Gesicht und bohrte ihn mahnend immer wieder den Finger in die Brust: „Was soll mir nachträglich erklärte Situationskomik denn bitte bringen? Das heißt Situationskomik, weil sie in der Situation komisch ist und nicht irgendwann im Nachhinein!“ „Es wird dich auch wahrscheinlich nicht zum Lachen bringen, doch...“, ich unterbrach ihn, indem ich ihm noch näher kam und er sich ganz komisch nach hinten beugte. Ich wollte wissen was so lustig war und nicht irgendwas anderes! Was soll mir seine Erklärungen den bringen, wenn es gar nicht mehr komisch war?!: „Siehst du! Es bringt mir rein gar nichts!“ „Herrgott!“, wirkte Ronald schon fast genervt, wo auch immer er sich das Recht hernahm es zu sein: „Sei doch nicht so ungeduldig! Vertrau mir einfach!“ Ich stellte mich wieder gerade hin. Ronald fiel zu Boden. Mit verschränkten Armen wandte ich mich von ihm ab: „Ich kann niemandem vertrauen, der mir einen Witz vorenthält!“ Ich hörte den Jüngling aufstöhnen: „Himmel, Herrgott, Sakrament… So schlimm ist es nun auch nicht...“ „Schlimmer!“, erwiderte ich mit einem vernichtenden Blick zu ihm und wandte dann mit einem Seufzen die Augen an die Decke: „Alle lachen und ich kann nicht mitlachen… Was ein tristes Dasein ich fristen muss...“ Ich hörte Ronald vom Boden aus murmeln: „Sebastian und William lachen nicht...“ Was war denn das für eine Aussage?! Ich warf meine Arme nach vorne: „Sebastian und William lachen nie!“ Nun hörte ich nach einem doppelten Seufzen Amys Stimme, die mir im Punkto ‚Lachanfälle‘ heute in nichts nachstand: „Chill mal, Undertaker.“ Mit verschränkten Armen und erhobener Augenbraue schaute ich Amy entgegen. Dann erreichte mich eine andere bekannte Stimme: „Was ist denn hier los?“ Mit einem Kopfschüttelnd schaute William kurz zu dem rothaarigen Widerankömmling: „Undertaker.“ Grell tat diesen Umstand ab. Anstatt sich weiter damit zu beschäftigen hüpfte er auf uns zu, zog Ronald auf die Füße und harkte sich bei uns ein: „Wie cool! Partnerlook! Yey!~♥“ „Ja, Grell“, Ronald klang, als habe er für heute genug erlebt: „Ist gut...“ „Hatschie!“, erreichte es wieder mein Ohr. Mein Gesicht wanderte zu Skyler. Sie stand immer noch in ihren nassen Sachen im Wohnzimmer, obwohl nun alle umgezogen waren. „Oh weh“, zog ich meinen Arm wieder zu mir, ging auf das nasse Ding zu und streckte ihr lächelnd meine Nase entgegen: „Mir scheint, da muss Jemand schnell unter die warme Dusche.“ Sie versuchte wieder zu lächeln, was allerdings recht schief und scheel wirkte: „Ach… Äh...Passt schon.“ Ich nahm meinen Kopf zurück und drehte meinen Kopf zu der jungen Phantomhive. Diese schaute darauf hin zu Skyler und diese zu ihr: „Geh du zuerst.“ „Oh nein, nein, nein, nein“, protestierte Amber vehement: „Ich falle nicht wegen jedem Bazillus um. Du schon. Und in der Themse gibt es davon sicherlich einige.“ „Ach“, wollte Sky es abtun: „Ich werde schon nicht sterben. Prefect vor...“ Doch Amy hielt sie auf: „ARG! Sage das nie, nie wieder!“ Skyler versuchte abermals zu protestieren, doch Amy drehte sie um und schob sie aus der Türe: „Nichts Aber! Ich habe keine Lust mehr auf deine Aber‘s!“ Ich schüttelte mit dem Kopf, als Amy ihre Freundin unter die Dusche bugsierte. „Hey Leute“, forderte Ronald unsere Aufmerksamkeit ein. Ich drehte mich zu ihm: „Hm?“ „Was sollte das wieder?“, fragte der Jüngling mit verschränkten Armen: „Da hing doch wieder Olivers Namensschild dran.“ „Überdeutlich“, bestätigte der Butler. Ronald ließ sich schlaff in den Sessel plumpsen: „Doch was sollte das? Beschwört er jetzt ständig irgendwelche Viecher nur um Chaos zu veranstalten?“ Grell legte mit verschränkten Armen den Kopf schief: „Chaos ist ein starkes Werkzeug.“ „Wenn man es kontrollieren kann“, führte William fort: „Kontrolliert war dies aber definitiv nicht. Einen Leviathan kontrolliert man nicht.“ „Was will er dann? Schaden anrichten?“, fragte der Jüngling weiter: „Um Amy scheint es ja nicht gegangen zu sein.“ „Warum denkst du das?“, fragte ich zurück. „Habt ihr Claude gesehen?“, schaute Ronald in die Gruppe: „Sebastian hat Amy aus der Schusslinie gebracht, doch wenn man eine riesige Schlange beschwört und ein Amulett besitzt was seine Präsenz versteckt, dann nutzt man das doch und sucht wenigstens, oder? Hätten wir ihn dann nicht bemerken müssen?“ Ich legte ebenfalls den Kopf zur Seite, als ich mir die Worte des jungen Reaper zweimal durch den Kopf gehen ließ: „Nihi. Claude ist gut. Wie du schon sagtest, spüren können wir ihn nicht, also könnte er durchaus gesucht haben, ohne das wir es mitbekamen. Der Leviathan hat uns ziemlich in Beschlag genommen.“ „Also können wir wieder nicht recht einschätzen, warum er das getan hat“, schlussfolgerte Ronald. William nickte: „So sieht es aus.“ „Warum wehren wir uns nicht?“, fragt der Blonde weiter. „Inwiefern?“, fragte Grell zurück. „Wir reagieren nur!“, warf der Jüngling die Arme in die Luft: „Oliver und Claude schmeißen uns etwas entgegen und wir hacken darauf herum. Warum gehen wir nicht zum Manor Trancy und schlagen dem kleinen Idioten endlich die Zähne aus? Greifen mal als Erste an?“ „Weil es sich einfacher anhört, als es wirklich ist“, Ronald schaute zu mir, als ich weiter sprach: „Claude und Hannah sind an sich schon starke Gegner, beide haben ein Höllenschwert, die beide kein unbeschriebenes Blatt sind. Dann gibt es noch die Tripletts und einen Engel. Wie diese bewaffnet sind wissen wir nicht einmal, geschweige denn haben wir einen blassen Schimmer was dieser Engel ist. Er könnte zur dritten Triade gehören. Dann wäre alles halb so schlimm. Zweite Triade oder höher“, ich wackelte mit einer Hand: „Niiiijaaa. Weniger amüsant.“ Ronald zog die Augen zusammen: „Du findest etwas nicht amüsant?“ „In der Tat“, grinste ich zurück: „Engel der zweiten und ersten Triade sind definitiv nicht amüsant, sondern sehr sehr nervtötend.“ Ich hörte Schritte. Als ich mich zur Türe drehte sah ich Amy eintreten, ebenfalls in Top und Jogginghose, aber ungeduscht. Als ich zu ihr schaute sah ich auch Grell angestrengt mit einer zuckenden Augenbraue und einer Hand an seinem Kinn an die Decke schielen. Mir entfuhr ein Kichern: „Kihihi! Was überlegst du Grell?“ „Ich versuche die 9 Chöre auf die Kette zu kriegen“, entgegnete er: „Aber die der unteren 2 vergesse ich immer. Die haben aber auch Namen...“ Ich legte eine Hand vor den Mund: „Ehehehe! Schwach in Latein, lieber Grell? Dabei trifft man die der Dritten am öftesten. Sollte dir ein Cherub oder sogar ein Seraph über den Weg laufen, solltest du nicht mehr tun als rennen und beten. Schnell rennen und viel beten, tehehehehe!“ Mit nun verschränkten Armen kippte Grells Kopf zu mir: „Sprichst du aus Erfahrung?“ Ich nickte grinsend und in dem Wissen, dass es keine Begegnungen waren, die Grell anstreben sollte. Lief einem hier ein Engel über den Weg gehörte er in der Regel nur zum 9-7 Chor und war recht gut zu händeln. Engel höherer Chöre traf man eher selten. Sie zu beschwören war extrem kompliziert wie aufwendig und aus eigenem Antrieb stiegen sie eher selten herab. Selbst ich sah einen von ihnen in meinem langen langen Dasein pro Chor nur zwei-, oder dreimal. Gekämpft habe ich mit ihnen nur einmal. Vor über 2000 Jahren in Jerusalem. Viele Reaper waren sich nicht gewahr wie düster dieses Kapitel ihrer Geschichte wirklich war. Ich konnte die einzelnen Chöre also einschätzen. Folglich war ich nicht erpicht darauf, dass der neue Verbündete der Trancys sich als Angehöriger der höheren Chöre entpuppte. Wirklich nicht. Noch bevor wir weiter spekulieren konnten zerriss die Luft ein spitzer Schrei. Der Schrei einer Stimme, die ich überall erkennen würde. Ich stürzte aus der Türe. Etliche paar Füße hinter mir. Der Flur war dunkel und leer. Ich sah nur Licht aus der offenen Badezimmertür fallen. 2 kleine nackte Füße und Waden schauten heraus. Saß Sky auf den Boden? Warum? Mit dem Schwung meines kurzen Sprints rutschte auf meinen Knien über den Dielenboden: „Sky!“ Ich stoppte vor ihr. Mit riesigen Augen schaute sie in den Flur, atmete schwer, schnell und raschelnd, war so kreidebleich wie ich es noch nicht gesehen hatte. Ich nahm sie an den Schultern: „Was ist passiert? Du bist weiß wie die Wand.“ Ich hörte wie Grell, Ronald, William, Sebastian und Amy zu meiner linken stehen blieben. Mit zitternder Hand zeigte Sky in den Flur rechts von mir: „Da… da… da war...“ Sie brach ab. Die blanke Panik stand in ihrem Himmelblau. Ich folgte ihrem Finger, doch der Flur war bis auf unserer Bekannten vollkommen leer. Wohin sie zeigte war nichts und vorher auch nichts gewesen, das hätte ich bemerkt. „Was?“, schaute ich ihr wieder ins Gesicht: „Was war da?“ „Ein… ein…“, das junge Ding war vollkommen verschreckt: „Ich weiß es nicht!“ Ich nahm ihre erhobene Hand und legte sie auf meine Brust. Sie musste sich etwas beruhigen, ansonsten würde sie mir nichts erklären können: „Ruhig, meine Schöne. Atme tief durch. Was war dort? Beschreibe es mir.“ Taten und Worte stießen auf taube Ohren. Sky bekam ihren Atem nicht unter Kontrolle. Sie zitterte vom puren Schreck und ich hatte keine Ahnung, was sie so dermaßen geängstigt hatte: „Ein… ein… Habt ihr das denn nicht gehört?!“ Mein Kopf ratterte kurz. Dann schüttelte ich ihn: „Nein, ich habe nur dich schreien hören. Was ist passiert?“ „Ich...“, sie versuchte zu schlucken: „Ich wollte in mein Zimmer um mir etwas anzuziehen und...“ Skyler verstummte schlagartig. Ich schaute sie nachdenklich an. Kaum hatte sie aufgehört zu sprechen starrte sie mich an und ihr kreideweißes Gesicht fing an in einem so satten Rot zu leuchten, wie ich es ebenfalls noch nicht gesehen hatte. Da sie weiter schwieg grübelte ich weiter wieso sie es tat und schaute abschätzend in ihr von nassen Haaren umrahmtes Gesicht. Dann fiel mir auf, dass meine Hand auf ihrer Schulter auf warmer Haut lag. Mein Gehirn begann zu kombinieren: Nasse Haare, warme Haut, die Tatsache, dass sie duschen gewesen war. Meine Vorahnung traf mich etwas unvorhergesehen. Um zu überprüfen, ob ich richtig lag schaute ich an der dünnen Dame hinunter. ‚Oh...‘, tatsächlich. An ihren schlanken Körper verdeckte nur ein großes Frotteetuch das allernötigste und ließ stellenweise recht… tief blicken: ‚Oh!‘ Ein Umstand, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Nicht, dass ich mich beschweren wollen würde. Mir gefiel was ich sah! Ich war entzückt! Doch gerechnet hatte ich damit wahrlich nicht. Als ich merkte wie furchtbar warm mir wurde, schaute ich ihr wieder in ihr rotes Gesicht. Doch ich konnte nicht verhindern breit zu grinsen aufgrund dessen was ich gerade erblicken durfte: „Das ist definitiv ein“, ich räusperte mich einmal in meine vorgehaltene Hand um mir Zeit zu erspielen über eine Formulierung nachzudenken, die mich nicht auf direktem Weg und vor allen Dingen One Way in Teufelsküche schickte. Auch konnte ich einen Hauch Verlegenheit nicht verneinen, der mich doch nur reichlich selten ergriff: „Unerwarteter Anblick.“ Obwohl es mich beeindruckte, dass es noch möglich war, wurde Skylers Gesicht noch dunkler, als sie weiter schwieg und mir regungslos entgegen schaute. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen noch einmal nach unten fielen. Dieser kleine Anflug von Verlegenheit war bei weitem nicht so stark wie meine Neugierde und meine Begeisterung. Außerdem sollte man Möglichkeiten ergreifen wie sie kamen, oder nicht? Ich für meinen Teil ergriff sie und legte meinen Zeigefinger an mein Kinn, als ich den schönen, dünnen und nur sehr spärlich bekleideten Leib der jungen Brünette musterte. Sie war eine äußerst attraktive junge Dame, dies war mir schon immer bewusst gewesen, doch gerade erfasste ich erst wie attraktiv sie wirklich war. Es war noch nicht einmal ihr exorbitanter Ausschnitt, der am reizendsten war. Viel erstaunlicher fand ich ihre endlos langen Beine, die neben mir über der Türschwelle des Badezimmers ragten. Endlos lang und schlank. Überzogen von ihrer makellosen bleichen Haut. Durch und durch einfach nur betörend. Mir wurde wärmer... … Viel wärmer... Und bevor ich der fixen Idee unterlag, sie rückwärts zurück in das Badezimmer zu schieben, die Türe zu schließen und mir ein noch besseres Bild von ihr zu machen, besann ich mich darauf, dass es hier für solcherlei Gefühle etwas zu viel Publikum gab. Und ich wusste, dass auch Ronald hier stand. Ein junger Reaper, der nie um einen Blick auf eine schöne Frau verlegen war und der von diesem Anblick sicher ähnlich begeistert war wie ich. Und ich merkte nur zu genau, wie wenig es mir passte, dass er dasselbe sah wie ich. Ich konnte ihm allerdings keinen Strick drehen. Wir waren alle aus dem Wohnzimmer gestürzt um Skyler zu Hilfe zu eilen. Niemand hatte vorher mit den Offenbarungen rechnen können, die nun direkt vor mir lagen. So schaute ich Skyler wieder ins Gesicht: „Was nicht heißt, kehehe! Dass er nicht gefallen würde.“ Sky schaute mich mit aufgerissenen Augen aus hochrotem Gesicht an. Dann merkte ich wie sie ihre Hand, die das Handtuch festhielt, lockerer ließ. Da ich mir gerade erst wieder bewusst geworden war, dass wir mitnichten auf dem Flur alleine waren und das für meinen Geschmack gewisse andere Sensenmänner eh schon zu viel sahen, griff ich ihre Finger und hielt sie an dem Handtuch: „Ah ah ah! Das solltest nicht los lassen.“ Es gab Dinge, die sah doch bitte nur ich. Kaum hatte ich ihre Hand gegriffen, riss Skyler ihre Augen noch weiter auf. Der Ausdruck in diesen Augen schrie mir auf einmal förmlich entgegen und ich schaute auf meine Hand, die von beiden Seiten warme, weiche Haut fühlte. ‚Hallelujah!‘, fuhr es mir durch den Kopf, als ich sah was meine Finger eigentlich alles berührten. Die Innenseite meiner Finger berührten ihre feine Hand. Die Außenseite vermittelte mir eine sehr genaue Idee zweier fester Brüste. Mir wurde sofort klar, dass ich mir gerade mein One-Way-Ticket gekauft hatte, egal wie unwillentlich es gewesen war… Auch, wenn ich das Geschehene nicht gerade beweinte. Ich schaute der jungen Dame wieder ins Gesicht: „...Ups.“ Skyler schrie laut und spitz aus. Dann löste sie mein Ticket ein. Ein Fuß ihrer so endlosen Beine bohrte sich aus dem Nichts und mit einer derartigen Kraft in meinen Solarplexus, dass er mir mit einem erstickten Geräusch die Luft aus den Lungen schob. Ich verlor den Halt an ihr und polterte rücklings und mit eineinhalb Überschlägen durch den kleinen Flur, ein weiteres Mal mit bestem Ausblick auf viele leuchtend bunte Sterne. Meine Beine krachten erst vor die Wand und kippten dann über mein Gesicht. Ich hörte eine Tür knallen. Schritte kamen zu mir. Ich schob meine Augen in die Winkel, um an meinen Beinen vorbeizuschauen und zwei Füße in schwarzen Socken und den Saum einer roten Jogginghose zu sehen. „Du bist ein Trottel vor dem Herrn, Undertaker“, sprach der rote Reaper, als er neben mir zum stehen kam. Ich stellte einen Fuß gegen die Hand, stieß mich daran ab, kullerte auf meinen Hosenboden und blieb in einem Schneidersitz sitzen. Mein Solarplexus pochte. Das dünne Ding hatte bei weitem mehr Kraft, als ich ihr zugesprochen hätte. Nur noch Grell, Ronald und Amy standen im Flur. Sebastian und William hatten wohl als einzige den Anstand besessen wieder zu verschwinden, als sie begriffen, dass keine Gefahr drohte und das alles nicht für ihre Augen bestimmt war. Mit schief gelegten Kopf sah ich zu Grell: „Was habe ich denn getan?“ Grell klappte der Kiefer auf. Ronald legte eine Hand über seine Augen. Amy schritt mit schüttelndem Kopf an mir vorbei und klopfte an die Tür aus der sie auch meine Kleider geklaubt hatte. Dann verschwand sie darin, obwohl eine junge Stimme ganz eindeutig und laut: „NEIN!“, rief. Grell blinzelte, nachdem er sich ein Stück fangen musste und zog beide Augenbrauen in die Höhe: „Das fragst du wirklich?“ „Ja, ich war doch nett, oder?“ Grell hustete ein paar Mal mit flatternden Lidern: „Dein Ernst?“ Ich verstand diese Reaktion nicht. Ich hatte mir doch alle Mühe gegeben nichts Falsches zu sagen: „Natürlich!“ „Du“, Grell schlug sich eine Hand gegen die Stirn als er immer weiter blinzelte: „Hast sie begafft!“ „Eine nicht ganz unverständliche Reaktion“, grinste Ronald und hatte sofort die Rückseite von Grells Faust im Gesicht, der sich noch nicht mal zu dem Jüngling herum gedreht hatte. „FRESSE!“, schepperte es laut hinter der Türe, in der die Mädchen verschwunden waren und wir wandten ihr unsere Köpfe entgegen. Nur Ronald nicht. Der hielt sich die Nase. Mit spitzen Ohren lauschte ich den durch die Tür gedämpften Stimmen. „Meine Herren. Was war denn überhaupt los? Abgesehen davon, dass du fast nackt wie Gott dich schuf vor Undertaker gesessen hast?“ Mir entfuhr ein Glucksen. Amy musste es natürlich äußerst direkt formulieren. Da fand ich mich ja um Welten eleganter. „Ach! Steck dir deine blöden Sprüche dahin, wo niemals die Sonne scheint!“ „Hat man(n) denn was gesehen, was man(n) nicht sehen sollte?“ „Du kannst mich mal am Arsch lecken, weißt du das?!“ Mein Glucksen wurde ein Kichern. Einen solchen Jargon hatte ich der sonst so schüchternen jungen Lady ja gar nicht zugetraut! „Hat er?“ Von Skyler hörte ich auf diese Frage keine Antwort. Ich sah mich in der Pflicht ihr ein Stück zur Seite zu stehen: „Kehehehehe! Habe ich nicht!“ Darauf hin fuhr ein weiterer spitzer Schrei durch die Türe. Sofort hatte ich eine Hand an meinem Arm. „Du bist sowas von furchtbar!“, echauffierte sich Grell, zog mich auf die Füße und am Arm zurück in die Stube. „Aber warum denn?“, fragte ich, als er mit mir durch die Tür bog: „Ich wollte doch nur helfen!“ „Du hast sie erst in diese Situation gebracht!“ Ich blieb stehen und zog an meinem Arm, sodass sich Grell zu mir umdrehte: „Wie soll ich sie denn in diese Situation gebracht haben? Sie saß so vor mir! Aus heiterem Himmel!“ Grell ließ von mir ab und stemmte die Hände in die Hüften: „Ach, also war es auch der heitere Himmel der dich zwang sie vollkommen offenkundig zu bespannen?“ „Nun“, ich hob meine Arme: „Ich habe lediglich die Gelegenheit beim...“ Grell hielt mir den Mund zu: „Sag‘ es ja nicht!“ Ich zog seine Hand von meinem Mund: „Warum?“ Grell ließ seufzend die Schultern hängen und schaute an die Decke: „Oh Herr schmeiß Hirn vom Himmel“, dann warf er die Arme nach vorne: „Oder Backsteine, hauptsache du triffst. Sag‘ mal, Undertaker, raffst du es nicht?!“ „Nein“, antworte ich vollkommen ehrlich. Ich hatte gar nichts getan! Ich hatte mich ja sogar noch zurückgehalten! Grell schlug allerdings die Hände vor sein Gesicht. Kurz quoll ein nicht verständliches Gemurmel durch seine Finger, dann ließ er die Hände sinken: „Du warst es doch noch, der vor ein paar Tagen feststellte wie schüchtern sie ist!“ „Ja, und?“ „Dann kannst du sie doch nicht so unverhohlen bemustern!“ „Warum nicht? Man hat doch nichts gesehen“, doch nun verstanden ich wohl, dass mein offenkundiges Interesse in Skylers Augen wohl keine Schmeichelei gewesen war. Sie war wirklich unglaublich schüchtern und beschämt. Wahrscheinlich hätte es wirklich einige bessere Wege zu reagieren gegeben, aber unverhofft kommt nicht so oft wie man denken möge und ich hatte vielleicht nachgedacht, doch das nur recht einspurig. „Herr im Himmel gib mir Kraft“, drehte sich der rote Reaper eine Hand an der Stirn von mir weg. „Leider“, tönte es hinter mir und ich erkannte Ronald. Nun hatte er die Rückseite meiner Faust im Gesicht: „Kihihi! Du hast hier gar nichts zu bedauern.“ Ich hörte Ronald auf dem Boden landen. „Beachtlich“, erreichte mich nun Williams Stimme: „Kaum lässt man euch alleine kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen.“ Ich grinste ihn an: „Jeder das, was er verdient. Außerdem bist du doch selbst alles andere als zimperlich.“ „Und wer schalt dich?!“, rief Grell mit annähernd verzweifelter Stimme aus und verhinderte so eine Antwort Williams. „Genau!“, setzte sich Ronald auf: „Warum verprügeln alle nur mich? Ich saß nicht vor ihr und hab sie mit den Augen ausgezogen!“ William schob seine Brille hoch: „Was du getan hättest, wären die Positionen getauscht gewesen.“ „Ja, du nicht?!“ „Nein“, zog William eine Augenbraue hoch: „Warum sollte ich?“ Ronald ließ die Schultern hängen: „Du bist unfassbar. Bist du ein Mann? Hast du Bedürfnisse?“ „Das geht dich alles nichts an“, Will setzte sich auf die kleinere Couch: „Außerdem seid ihr unfassbar. Alle Beide.“ „Ist das etwas Neues?“, lachte ich. „Es hat definitiv ganz neue Ausmaße erreicht“, verschränkte der Aufsichtsbeamte in Jogginghose Arme und Beine. „Aber ich habe doch gar nichts getan! Ich habe ihr sogar ein Kompliment gemacht!“ „Ich brech‘ zusammen“, klang Grells Seufzen hinter mir. Ronald stand auf, ging wieder zum Sessel und setzte sich: „Ich glaube sonderlich geschmeichelt war Skyler nicht.“ „Warum auch immer“, legte ich den Kopf schief: „Dabei habe ich meine Worte so sorgfältig gewählt.“ Grell hob die Hände in die Luft: „Als ob du nachgedacht hättest!“ „Hab ich.“ „Hat man nicht gemerkt!“ Mein Kopf kippte mit blinzelnden Augen zur Seite und Grell warf sich neben William auf die Couch: „Du machst mich fertig!“ „Wieso?“ „Frag nicht ständig wieso oder warum!“ Ich musste kurz auflachen. Dann erreichte ein leises Jammern mein Ohr. Ich ging rückwärts zu der Türe und steckte meinen Kopf hindurch. Skyler stand, in Jogginghose und Kapuzenpulli, neben der Türe an die Wand gelehnt. Ich lachte sie an: „Eh he he he. Willst du nicht rein kommen?“ Ihr Kopf wandte sich hektisch zu mir. Mit einem erneuten roten Leuchten schaute sie nach zwei Wimpernschlägen zu Boden: „Es… Es tut mir leid...“ „Was?“, fragte ich irritiert. „Da-da-da… Der Tritt...“, stammelte das schöne Ding und schaute weiter zu Boden. „Ach der“, ich ging endgültig aus dem Türrahmen und drehte mich so, dass ich in ihr zu Boden schauendes Gesicht sah: „Kihihi! Ich habe es überlebt und ja, wahrscheinlich auch verdient.“ Sie schaute auf: „Wie?“ Auch ich richtete mich wieder auf und sah in ihr Gesicht: „Wie ich es sagte. Ich habe ihn wahrscheinlich verdient.“ „Wahrscheinlich verdient?“, fragte das junge Ding zögerlich. „Nun“, hob ich beide Hände: „Ich hatte es mit Nichten geplant, doch es ist mir nicht entgangen, dass ich meine Hand ein...“, ich räusperte mich wieder da ich wieder sorgsam überlegte was ich sagte, obwohl mir dies keine glauben wollte. Vor allem aber musste ich gewisse Bilder aus meinem Kopf vertreiben: „Wenig unglücklich positioniert hatte.“ Ich grinste ihr breit entgegen. Sky blinzelte mir wieder recht verstört entgegen, was mich ein wenig in Zugzwang brachte. Ich neigte meinen Kopf zur Seite: „Doch ich sah mich in der Pflicht nahendes Unglück abzuwenden. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Verzeihe mir.“ Ich hatte es ja wirklich alles andere als schlecht gemeint. Sie in Unannehmlichkeiten zu bringen lag mir fern, doch genau dass hatte ich getan. Also hatte ich wohl auch den Tritt verdient. Warum ihr aber ihr attraktiver Körper und dem entsprechen positive Resonanz unangenehm war, erschloss sich mir nicht. Wieder blinzelte Sky. Dann wirkte ihr Gesicht betreten: „Nein… eigentlich bist du das nicht...“ „Dann“, verfiel ich in alte Muster und steckte ich ihr meine Nase ins Gesicht. Wenn ich ihr gar nicht zu nah getreten war, warum reagierte sie so?: „Bin ich doch neugierig, warum ich der Wand hallo sagen musste.“ „Äääääääh...“, wirkte sie sofort wieder vollkommen überfordert: „Nun ja... ich äääähm... bin nicht sonderlich ansehnlich und... das war mir alles einfach peinlich... 'Schuldigung...“ Ich nahm meinen Kopf zurück und beschaute ihren Körper. Selbst in dem Pulli zeichneten sich ihre entzückenden Konturen deutlich ab, da er recht eng um ihre Brust lag. Wie sie so von sich sprechen konnte war mir unbegreiflich: „Aha?“ Arme verdeckten mir die Sicht und Sky wandte sich halb zur Wand: „WAS MACHST DU DA?!“ Ich schaute wieder in ihr Gesicht: „Gucken.“ „WAS?!“ „Gucken.“ „BITTE?!“ Sprach ich eine andere Sprache? Ich hob eine Augenbraue, aufgrund ihres mehrfachen Nachfragens: „Na. G, u, c, k, e, n. Gucken.“ Mit weiten Augen schaute sie mir entgegen: „Wa-wa-warum?!“ Diese ganze Situation wurde mir immer schleierhafter: „Ich habe das Unansehnliche gesucht.“ Ihr geschwungener Mund klappte auf: „Das… das ist nicht dein Ernst?!“ Meine Verwirrung wuchs und wuchs, was meinen Kopf zur Seite kippen ließ: „Nun… Doch.“ „Das“, fragte sie vollkommen verständnislos: „Musst du suchen?!“ „Ja“, antwortete ich ihr. Sie war wunderhübsch! Dessen war ich mir nun noch sicherer als vorher. Es war unumstößlich und indiskutabel, dass sie attraktiv war. Sehr attraktiv. Ein hübsches Gesicht garniert mit einem schönen, schlanken Leib. Dahinter ein possierlicher Charakter und eine so reine Seele. Und wie sie lächeln und lachen konnte wenn es ehrlich war! Umwerfend! Natürlich musste ich da suchen, was unansehnlich sein sollte: „Sie blieb erfolglos.“ Ihr Kiefer klappte weiter auf: „Er-er-er-er-erfolglos?!“ Ich wackelte mit dem Kopf: „In der Tat. Erfolglos.“ „WAS?!“, fragte sie abermals: „Wa-wa-wa-was meinst du damit?!“ „Na, ehehehe! Das, was erfolglos meint!“ „Wie?!“ Ich seufzte. Warum verstand sie mich nur nicht? Waren meine Worte so unverständlich? Ich musste wohl direkter werden, auch wenn ich dachte schon direkt gewesen zu sein. Weil ich einfach immer direkt war. Ich lehnte meinen Unterarm gegen die Wand neben Skylers Gesicht. Dann beugte ich mich nach vorne und hob ihr Gesicht an ihrem Kinn in meines. Die wieder aufkommenden Bilder ließen meine Lippen weiter grinsen: „Erfolglos meint, dass ich nichts Unansehnliches gefunden habe, ke he he! Und man könnte sagen ich bin seit neustem ziemlich gut im Bilde.“ Sie starrte mich an. Mit schockierten Augen. Ich fühlte einen Stich in meiner Brust und den Splitter aufglühen. Als ich diese aufgerissenen Augen sah, kam mir eine ganz andere Erkenntnis. Vielleicht lag es gar nicht an der Situation an sich. Vielleicht lag es an mir. Vielleicht lag es daran, dass ich da gewesen war. Dass sie mich nicht da haben wollte. Aber sie hatte mich doch noch am Ufer gebeten zu bleiben. Wahrscheinlich war sie einfach zum denken gekommen, als sie alleine in der Dusche stand. Wahrscheinlich hatte sie erfasst wer ich wirklich war. War sich alles bewusst geworden und hatte eingesehen… dass sie mir fern bleiben wollte. Dass ich nicht gut für sie sein konnte. Das ich verrückt und blutrünstig war. Ein Monster... Dann tauchte sie unter meinem Arm hinweg und verschwand schnell wie wortlos in die Stube. Ich blieb zurück und schaute zu Boden. Ich fühlte mich so einsam, als dieser Splitter wieder schmerzhaft surrte, fror und glühte. Aus dem Wohnzimmer erreichten mich Stimmen, doch ich gab ihnen kein Gehör. Ich war zu sehr damit beschäftigt festzustellen, dass die junge Dame mir immer noch floh. Dass sich nichts geändert hatte. Alles was sie gesagt hatte, dass ich in ihren Augen kein schlechtes Wesen war, hatte sie wahrscheinlich gesagt, weil sie dachte mir zu Dank verpflichtet zu sein. Denn ich war ein schlechtes Wesen und ein so reines Wesen musste dies bemerken. Und diese neue Erkenntnis, dass sie so unglaublich betörend und begehrenswert war, machte die Gewissheit ihr nicht mehr nahe sein zu können, so unendlich viel schlimmer. Sie zog und surrte noch schmerzhafter, als sie es am Ufer der Themse schon getan hatte. Ich war zerrissen zwischen dem Bedürfnis ihr nahe zu sein, bei ihr zu sein… und dem Wissen, dass dies nicht gut für sie war. Für meine Belange konnte ich sie nicht zerstören. Sie war so durcheinander und erschöpft gewesen. Hatte so furchtbar geweint. So lange und so bitterlich. Nein. Wiederholen durfte es sich auf keinen Fall. Auf gar keinen Fall. Nach einem tiefen Seufzen hob ich wieder den Kopf und ging ins Wohnzimmer. Es gab noch etwas, dass ich wissen wollte. Ich wollte wissen was überhaupt zu dieser ganzen Situation am Badezimmer geführt hatte. Wenn Sky so schrie, konnte es nichts Lapidares gewesen sein und wenn sie immer noch in Gefahr war musste ich es wissen. Denn auch, dass ich sie weiter beschützen wollte, meinte ich. In der Stube sah ich, dass der einzige freie Platz auf der großen Couch neben Skyler war. Sie griff mit erschöpfter Mine eine Tasse mit Sebastians Kakao. Außer dem Butler hatte jeder eine Tasse in der Hand. An der Sitzgruppe angekommen, hielt er auch mir eine hin, doch ich winkte ab. Mir war nicht nach Kakao. Mir war gerade eigentlich nach gar nichts. Dieser fiese Splitter schmerzte und vertrieb mir jede Lust. Ich fiel neben Skyler auf die Couch, da es der einzige Sitzplatz war und dieses Gefühl ermüdete mich so sehr, dass ich nicht stehen wollte. Und es war auch der kleine Funken, der nach ihrer Nähe wünschte. Skyler schaute mich kurz an und sofort wieder weg. Sie nahm einen Schluck Kakao, um nicht mit mir sprechen zu müssen. So flaute dieses Gefühl in mir einfach nicht ab. Eher flaute es schmerzhaft auf. „Du siehst nicht gut aus, Herzchen“, erhob Grell die Stimme und nahm so das Gespräch in die Hand. Ich musterte Skyler. Sie wirkte wieder so endlos müde. Als hielt sie ihre Augen nur mit Mühe offen. War wieder ganz blass und so stumm, als sie uns allen entgegen schaute. Aus einem Impuls, der zu plötzlich kam um ihn zu unterdrücken legte ich ihr meine Hand sachte auf die feuchten, doch nun sauberen Haare. Mir schlug der Geruch von Lavendel entgegen und verschlimmerte das Surren ein weiteres Mal. Doch ich lachte auf. Niemand hier sollte wissen, wie es in mir aussah: „Fu fu fu. Mir scheint als bräuchte da jemand dringend sein Bett.“ Sky schaute mich an und ich lächelte. Wieder lächelte ich nur für sie: „Erzähle uns was geschehen ist. Danach solltest du zu Bett gehen.“ „Ich“, sie schaute wieder weg von mir auf ihre Tasse. Der Splitter bohrte sich tiefer und tiefer: „Weiß nicht genau... Als ich die Türe aufgemacht habe, stand da so ein... Ding...“ „Ding?“, fragte Ronald verwirrt: „Was für ein Ding?“ Sebastian legte den Kopf schief: „Ihr habt es nicht bemerkt, Lady Rosewell?“ Es brauchte etwas bis Skyler antwortete. Sie wirkte nicht so, als könne sie nicht recht nachdenken: „Äh... nein. Nein, ich meine nicht...“ „Du meinst?“, schien auch Ronald überzeugt, dass Skyler nicht mehr ganz bei sich war. Ich nahm meine Hand von ihren Haaren. Ich tat es mit Widerwillen, doch meine Hand war sicher die Letzte, die sie noch berühren sollte. Ich verschränkte Arme und Beine um sie endgültig unter Kontrolle halten zu können. Dann lachte ich wieder. Irgendwie: „Nun. Fuhuhuhu! Heute war ein sehr ereignisreicher Tag, danach kann man nicht von jedem erwarten noch aller Sinne vollends Herr zu sein.“ Ich beschaute die Gruppe. Auch ohne Brille merkte ich wie erschöpft alle waren. Auch Sebastian und William. Eine müde Atmosphäre lag über den Raum. Erschöpft, doch furchtbar angespannt. Ein zerrendes Klima. Grell bestätigte mich mit einem tiefen Seufzen: „Ja, ja das ist wohl wahr.“ „Oder es war kein Dämon“, lenkte William das Gespräch wieder aufs Wesentliche. Unsere Augen blieben an ihm hängen. Sebastian wirkte skeptisch: „Wie sollen wir das verstehen, Mr. Spears?“ „Es gibt mehr als nur Dämonen. Wir sind darüber im Bilde. Die Trancys auch“, William wandte sich Skyler zu: „Eine detaillierte Beschreibung wäre dienlich, Miss Rosewell.“ „Nun...“, begann sie stockend und schien sich extrem konzentrieren zu müssen um zu beschreiben, was sie gesehen hatte: „Sie war groß, unproportional langgezogen und... verfault.“ Sofort horchte ich auf: „Verfault?“ Sky neigte ihr Gesicht zu mir. Nicht ganz. Nur ein kleines Stück: „Ja, sie... Das Ding... war total verrottet. Überall sah man die Knochen und das... ihre... Innereien fielen aus dem Bauchraum. Es hatte nur noch ein Auge, sah aus wie ein vermoderter Zombie und kreischte ganz schrill. Es war so laut, es tat richtig in den Ohren weh. Als ich die Tür öffnete, schrie es mich an. Ich habe intuitiv die Augen zusammen gekniffen und als ich wieder hinschaute... war sie einfach weg...“ Ich überlegte wieder. Ich hatte nichts außer Skyler schreien hören und meinen Ohren war bis jetzt nur sehr wenig entgangen. Plötzlich merkte ich alle Blicke auf mir. Ich wusste sofort warum. Immer wenn das Wort ‚Zombie‘ fiel sahen mich alle direkt an. Dieser immer wiederkehrende Umstand ließ mich lachen: „Fuhuhu! Schaut' mich nicht so an! Eine Doll war es nicht.“ „Aha“, William wirkte wie immer bei diesem Thema mehr als skeptisch: „Sicher?“ Ich grinste ihn an: „Aber über alle Maßen! Ich würde nie eine Doll so verkommen lassen. Außerdem kann es sich nicht um einen menschlichen Körper handeln.“ „Warum nicht?“, fragte Ronald verwundert. Nun lachte ich ihn an: „Kehehehehe! So wie es klingt war dieses Wesen schon recht verwittert. Ab einem gewissen Verwesungsgrad sind nicht mehr genug intakte Muskeln und Sehnen vorhanden, um einen menschlichen Körper zu bewegen. Ganz einfach.“ „Macht Sinn“, Grell trank einen Schluck Kakao: „Es ist widerlich, aber es macht Sinn.“ „Habt ihr was bemerkt?“, lenkte Ronald das Gespräch in eine andere Richtung, die alles andere als eine dumme war: „Sky ist schließlich nicht die Einzige, die Präsenzen mitbekommen sollte. Vielleicht sollten wir uns nicht nur auf ihr Gespür verlassen.“ „Hast du was bemerkt?“, fragte Grell zurück. „Nein“, schüttelte Ronald den Kopf: „Aber ich bin auch kein Maß.“ „Stimmt, aber ich passe auch“, stimmte Grell ihm frustriert zu. „Ebenfalls“, tat William es ihm gleich. Der Butler schüttelte stumm den Kopf. Auch ich schüttelte den Kopf: „Nein, nichts.“ Das gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht. Sky bemerkte es nicht und wir alle anderen auch nicht. Was war das Ding? Verfault, komisch geartet und für unsere sehr feinen Sensoren vollkommen unsichtbar. Mir widerstrebte ein Kontrahent, der nun vollkommen unter dem Radar agieren konnte. Ich kannte auch kein Wesen, das vollkommen präsenzlos war. „Aber William“, brach Grell durch meine Gedanken: „Warum erwähnst du die Trancys?“ William trank bevor er sprach: „Weil es kein fernliegender Gedanke ist, dass sie ihre Finger im Spiel haben könnten. Sie werden bemerkt haben, dass Miss Rosewell fähig ist Dämonen trotz der Steinmedaillons zu bemerken. Dass sie nun plötzlich ein Wesen ängstigt, welches keiner mehr spüren kann, ist entweder ein Streich ihres gestressten Gemütes, oder ein neuer Schachzug Olivers und Claudes.“ William hatte Recht. Ich glaubte nicht, dass es nur ein Hirngespinst gewesen war. Davon auszugehen war außerdem potenziell gefährlich. Was hatten die Trancys da ausgegraben? Was war es und wo kam es her? Und warum hatte es Skyler nur erschreckt und nicht angegriffen? War es dem Kämpfen vielleicht gar nicht mächtig? Oder wir zu schnell da? Fragen über Fragen und mein Widerstreben wuchs. Betretenheit fiel über die Gruppe. Betretenheit und Erschöpfung. Ich konnte fühlen wie müde alle waren. Ich war es ebenfalls. Dass wir heute noch zu einem sinnvollen Gedanken kamen, bezweifelte ich. Ermattet und ohne jeden Hinweis gab es dafür keine Grundlage. Ronald musterte jeden von uns kurz und stellte eine weitere äußerst sinnige Frage, die bis jetzt nur stumm gestellt wurde, doch jedem im Raum deutlich auf dem Leib geschrieben stand: „Aber was für ein Ding war das, wenn es weder eine Doll, noch ein Dämon war?“ „Gute Frage“, seufzte Grell und schaute mich an. Ich schüttelte den Kopf, mit meiner eigenen inneren Abhandlung nicht weiter gekommen. Grell seufzte erneut: „Das ist mehr als nur schlecht.“ „Was?“, erschien Amy im Zimmer und setzte sich neben mich: „Was ist schlecht?“ „Das Wesen, welches uns Lady Rosewell beschrieb, stellt uns vor ein Rätsel, junge Lady“, gab der Butler ihr eine Tasse: „Keiner ist fähig es zu spüren und selbst Undertaker kennt es nicht.“ „Woas?!“, Amy Kopf flog zu mir: „Du hast keine Idee?“ Wieder schüttelte ich nur den Kopf. Mir war nicht mehr nach reden. Ich war deprimiert, selbst erschöpft, von schlechten Empfindungen gebeutelt und stand einer neuen Gefahr vollkommen ansatzlos gegenüber. Amy seufzte und dieses ganze Geseufze macht die Atmosphäre nur noch drückender: „Na prächtig. Und nun?“ Schweigen. Bedrückendes, ratloses, müdes und betretenes Schweigen. Ich wälzte meine Gedanken. Die schwächsten Präsenzen hatten Geister. Doch einen Geist hätten wir Reaper bemerkt. War es ein Dämon mit einem weiteren ‚fessles Stone‘? Wie viele davon hatten die Trancys? Oder eine erschaffene Illusion? Darauf zu vertrauen, dass dieses Wesen nicht real war, war mir immer noch zu gefährlich. Sebastian brach mit einem Wort an mich die Stille und abermals meinen inneren Diskurs mit mir selbst: „Undertaker?“ „Hm?“, schaute ich zu ihm auf, immer noch nicht recht zu Worten aufgelegt. „Ich habe eine Bitte an dich.“ Mein Kopf fiel zur Seite. Das war selten. So selten, dass ich es schaffte ein wenn auch reichlich plakatives Grinsen aufzusetzen: „Ehehe! Nun bin ich gespannt.“ „Wäre es dir möglich täglich bei der jungen Lady vorbeizuschauen? Die neusten Entwicklungen bereiten mir Sorge.“ Ausnahmsweise waren der Butler und ich einer Meinung. Ich war sicher er wusste es und nutzte es nun schamlos aus: „Kehe! Welch seltenen Worte aus deinem Munde, Butler.“ „Was wäre ich für ein Butler, wenn ich mich um die Tochter meines Herren nicht sorgen würde?“ Diese immer gleiche Phrase. Amüsiert dachte ich an Skylers so ehrlich und treffende Antwort von früher am Abend: „Nihi! Keiner, der der Familie Phantomhive würdig wäre“, doch mein Amüsement verließ mich fast im selben Atemzug: „In der Tat, Butler. Es ist mir möglich.“ „Ich danke dir.“ „Wuhuhu!“, lachte ich wieder. Ich musste. Alle hätten sofort Verdacht geschöpft hätte ich ein ‚Danke‘ des Dämons nicht belacht: „Noch seltener! Ich muss mir diesen Tag rot im Kalender anstreichen!“ Der Butler seufzte: „Es ist nicht die Zeit zu scherzen.“ „Es ist immer Zeit für ein herzliches Lachen“, grinste ich mein maskenhaftes Grinsen. Es war so anstrengend. So unfassbar anstrengend: „Aber es wundert mich nicht, dass du dies nicht verstehst.“ Plötzlich spielte Musik durch den Raum. Sofort untersuchte Amy ihre Hose: „Hü? Wo ist es denn?“ Sebastian hielt ihr ihr Telefon entgegen: „Ich war so frei es aufzulesen.“ „Danke“, schaute Amy auf das Ding in Sebastians Hand: „Oh, oh...“ „Wer ist es?“, hörte ich Sky. Und ihre Stimme stach mir. So furchtbar... „Lowell...“, klang Amy alles andere als glücklich. Sebastian erlöste die Phantomhive. Er hob an ihrer Stelle ab und begann mit der Lehrerin zu telefonieren. Bravourös belog der Butler sie vom A bis Z und das ohne rot zu werden. Ich kicherte. Ich kicherte, weil ich kichern musste um zu verschleiern wir grässlich es mir ging. Die Reaper sollten es nicht wissen. Der Butler schon gar nicht. Amy auch nicht und Sky von allen am allerwenigsten. So fürsorglich wie sie war, hätte sie sicher ein schlechtes Gewissen. Ich wollte nicht, dass sie ein schlechtes Gewissen quält. Eines was sie nicht haben musste. An allem Schuld war doch nur ich. Amys Hand presste sich auf meinen Mund und verblieb dort bis der Butler zu Ende gelogen hatte. Erst als er Amy ihr Handy mit der Versicherung alles geklärt zu haben entgegenstreckte ließ sie mich los und ich fing an zu lachen. Und es fühlte sich so falsch und freudlos an. Und da es sich so anfühlte verebbte es schneller als üblich. Neben mir hörte ich ein Seufzen. Als ich Skyler anschaute wirkte sie so endlos ermattet. Und obwohl mir ihr Anblick schwer fiel, ließ mich die Sorge um sie ihr müdes Gesicht mustern. Recht schnell schaute Sky zurück und Skepsis schlich in ihren Blick: „Was schaust du?“ Ich fuhr mir mit meinen Fingern durch ihre nach Lavendel duftenden Haare. Vollkommen unüberlegt und diesem kleinen Funken erlegend, der sich einen grausamen Kampf mit dem Splitter lieferte: „Du siehst müde aus.“ Alle waren müde. Es machte alles keinen Sinn mehr. In jeder Hinsicht machte alles einfach keinen Sinn mehr. Jeder wurde nur gebeutelt. Von der Situation, der Atmosphäre. Von zurückliegenden Situationen. Ihrer eigenen zerrenden Erschöpfung. Mein plakatives Grinsen wurde kleiner, als ich Skyler noch einmal ein Lächeln schenken wollte: „Gehe ins Bett.“ „Aber...“ Ich schüttelte den Kopf: „Nichts aber. Ich möchte, dass du nun schlafen gehst. Es ist heute genug passiert. Lass den Tag enden und ruhe dich aus.“ Der Blick in ihre Augen ließ mich meine Hand auf ihre Wange legen. Ich wusste, dass es ein Fehler war, doch ich kam gegen diese Bedürfnisse nicht an. Ich kam nicht gegen diesen Funken an, der einfach keine Distanz zu lassen wollte, obwohl der Splitter schrie es müsse sein. Kaum hatte meine Hand ihre Wange berührt, spürte ich wie warm sie war. Zu warm. Natürlich war Skyler für mich immer warm, aber so warm? In der unguten Vorahnung, sie wurde schon krank und bekam Fieber zog ich die Augen zusammen: „Geht es dir gut?“ Sky runzelte die Stirn: „Wieso fragst du?“ Ich strich mit dem Daumen über ihre viel zu warme Wange. Sorge erstickte den Splitter unterstützt von diesem unsäglichen Funken: „Du bist ganz warm“, ich legte meine Hand auf ihre Stirn: „Ist dir wohl?“ „Ähm“, brach sie ab. Dann kaute sie auf ihrer Unterlippe. Warum? Ich beschaute sie eindringlich. Dann ergriff der Splitter wieder Oberhand. Weil ich sie anfasste. Meine Hand verließ ihr Gesicht. Ruckartiger als ich wollte. Sky ließ ihre Augen herabfallen: „Ich... bin nur müde.“ Obwohl ich die Hand weggenommen hatte schaute ich sie weiter an. Ich glaubte ihr nicht ganz. Sicher wurde sie schon krank. Warum hatte ich sie nur so lange draußen sitzen lassen? Warum hatte ich nicht daran gedacht, dass sie frieren musste? Warum...: „Nur?“ Sie nickte erschöpft. Ihr Aussage war nicht gelogen, aber auch nicht alles, dass sah man ihr an. Doch Ronald sprang aus dem Sessel und griff sich jede Aufmerksamkeit: „Für uns wird es auch Zeit. Nicht?“ Stumm dankte ich Ronald. Er war sicher von uns Nicht-Menschen am meisten erschöpft. Er hatte auch einfach Recht. Es reichte. Es wurde Zeit. William stand auf: „Sicherlich. Morgen wird ein langer Tag.“ Grell tat es ihm gleich und streckte die Arme: „Betone es nicht so... Mir ist bei diesem Gedanke nur allzu sehr nach Urlaub.“ Sebastian entschuldigte sich mit einer Verbeugung: „Ich werde mich ebenfalls empfehlen. Euer Vater erwartet meinen Bericht sicher mit scharrenden Hufen, junge Lady. Ich wünsche allen Anwesenden eine erholsame Nachtruhe.“ Dann verschwand er. „Ich schließe mich dem an“, ging William zum Fenster: „Gute Nacht.“ Kaum war er hinaus gesprungen schwebte Grell hinterher und blies noch ein Küsschen in die Runde: „Gute Nacht, meine Süßen! ~♥“ Auch Ronald stellte ein Fuß auf den Fensterrahmen: „Schlaft gut! Last euch nicht fressen!“ Dann waren alle entschwunden. Ich stand auf. Es wurde Zeit das erschöpfte Ding endlich aus meiner unsäglichen Anwesenheit zu entlassen. So gut ich konnte grinste ich die beiden Freundinnen ein letztes Mal an: „Skyler? Amber?“ „Hm?“, antworteten mir die Beiden, zu müde für Worte. „Sollte einer von euch unerwartet Besuch bekommen ruft mich an. Sofort. Kehehehe! Keine Heldentaten.“ Verstehend knirschte Amber mit den Zähnen: „Ist gut. Ich habe verstanden...“ „Nun denn“, ich verbeugte mich. Ich verbeugte mich, da ich Skylers gebeuteltes Gesicht nicht länger ertragen konnte. Ein Ausdruck, der in so hohem Maße meine Schuld war: „Erholt euch gut. Gute Nacht.“ Mit diesen Worten war auch ich verschwunden. Und der Splitter glühte. Kapitel 13: Initiative und Beharrlichkeit ----------------------------------------- Sky Es war dunkel. Ich kniete auf dem unebenen Kopfsteinboden. Auf dieser Straße im Nirgendwo. Neben mir flackerte das Licht der alten Straßenlaterne. Hinter den gelben Lichtkegeln endete diese Welt. Hinter dem Licht gab es nichts außer einer großen, einsamen Leere. Keine Häuser. Keine Menschen. Nichts. Nur die Straße vor und hinter mir war endlos. Ich saß schon lange hier. Ich wusste nicht wie lange, aber ich saß schon lange hier. Ich kannte diese Straße. Diese endlose dunkle Straße im Nirgendwo. Ich war hier oft. Vollkommen und mutterseelenallein. Anfangs. Allein. Ich war allein… Ich schlang die Arme um meine Brust und kniff die Augen in meinem hängenden Gesicht zusammen. Ich war allein… Und als ich so gequält feststellte wie einsam und verlassen ich war, streifte ein Geruch meine Nase. Sofort zuckte mein Kopf nach oben und meine Augen sprangen auf. Ich kannte diesen Geruch. Zucker. Gras. Zedernholz. Niemals, unter keinen Umständen könnte ich diesen Geruch vergessen. Und in dem Moment, an dem ich meinen Kopf hochgenommen hatte, schritt jemand an mir vorbei. Ich kannte diesen Jemand. Silbernes, endloses Haar. Das scharf geschnittene, so stattliche Gesicht verhangen von einem langen Pony. Gekleidet in einer schwarzen Robe. Die Absätze der hohen Lackstiefel machten keinen Ton auf dem zerklüfteten Kopfsteinpflaster. Er war noch nie hier gewesen: „Undertaker?“ Doch er hörte mich nicht. Er ging einfach weiter. Mir wurde kalt. Er hörte mich sonst immer. Wollte er mich nicht hören? „...Undertaker?“ Er stoppte nicht. Lautlos ging er weiter die endlose Straße entlang. „Hey!“, ich rief weiter nach ihm. Der Gedanke er ging einfach an mir vorbei und ignorierte mich war schlichtweg zu grausam: „Undertaker!“ Er blieb stehen. Mein Herz machte einen lauten Schlag und setzte aus. Langsam, sehr langsam drehte er sich zu mir um. In seinem verhangenen Gesicht stand sein ewiges Grinsen. „Es tut mir leid!“ Sein Kopf neigte sich gemächlich zur Seite. „Wirklich! Es tut mir alles so unendlich leid! Ich… ich wollte nicht… Ich wollte das alles so nicht! Bitte! Glaub mir!“ Träge hob er wieder den Kopf. Gleichzeitig die Arme. Mit weiten Augen sah ich wie er seine Arme ausbreitete. Mir entfuhr ein hauchendes Geräusch der Erleichterung, ein halbes Lachen bei diesem Anblick. Sofort sprang ich auf meine nackten Füße und rannte auf ihn zu. So schnell ich konnte. Wollte mich in seine Arme werfen. Ihn in meine eigenen nehmen. Doch als ich bei ihm angekommen war drehte er seine Hände und griff mich an meinen Handgelenken. Fest. So fest, dass es wehtat. Ich schaute in seine Augen. Doch ich sah nur seinen Pony und dieses endlose Grinsen: „Was tust du?“ Sein Griff wurde noch fester. Ich zog an meinen Händen: „Undertaker?!“ Er bog meine Arme nach oben, vollkommen ungeachtet der Tatsache, ob er es gegen ihre natürliche Richtung tat. Tränen stiegen mir in die Augen: „Aua! Lass das! Du tust mir weh!“ Er kicherte und bog meine Arme weiter. Sein Kichern war so kalt und so unendlich dunkel. Es schickte mir mehr als nur einen kalten Schauer durch den heißen Schmerz: „Au! Au! Du machst mir Angst! Hör auf! Undertaker, was soll das? Du tust mir weh, hör auf!“ Ich kam nicht gegen ihn an. All das Zerren und Zetern war vollkommen sinnlos: „Aua! Bitte! Du tust mir weh! Du tust mir weh!“ Plötzlich warf er mich zur Seite. Gnadenlos landete ich auf dem harten Steinboden. Meine von der Überdehnung brennenden Arme zitterten, als ich mich aufstütze und den Kopf zu ihm wandte. Er stand dort und hielt sich die Hand vor sein Kichern. „Warum?“, die Tränen rollten meine Wangen hinunter: „Macht es dir Spaß mir weh zu tun?“ Mit einem breiten Grinsen nickte er stumm auf etwas hinter mir. Bevor ich meinen Kopf dort hin drehen konnte, traf etwas brachial meine Magengegend. Mit einem erstickten Aufschrei rollte ich einige Meter zur Seite. Wimmernd blieb ich bäuchlings liegen. Ich verstand nicht was vor sich ging. Was passierte hier? Etwas schob sich unter meinen Kopf und hob ihn am Kinn an. Ich sah ein Bein vor meinen Augen. Es trug eine blue Jeans. Zu Undertaker gehörte es sicher nicht. Meine Augen wanderten langsam das blaue Hosenbein hinauf, über ein weißes T- Shirt, in ein Gesicht mit kalten blauen Augen umrahmt von blonden kurzen Haaren. Zwischen den Augen zog sich eine grobe Narbe in Richtung Stirn. „D-d...“, mein Herz blieb stehen: „D-dad?“ Sein Gesicht musterte mich eisig und von oben herab. Dann trat er mir gegen die Schulter. Mit einem Aufschrei drehte ich mich auf den Rücken. Ich stöhnte, als ich mir die schmerzende Schulter hielt und mich aufstützte. Mein Blick fiel auf Undertaker. Das Kichern war dieses endlos grausame Lachen geworden. Hatte ich es so weit getrieben? Ich konnte, nein, ich wollte nicht glauben, dass er sich gerade so benahm. Er wollte mir doch immer helfen! Er sagte doch trotz allem wollte er nicht, dass mir etwas passiert! „Under…!“, bei der Hälfte meines Hilferufs brach ich ab. Denn bei der Hälfte meines Hilferufs drehte er sich ab und machte sich auf den Weg die Straße hinunter. „Nein!“, ich fuhr in den Sitz: „Undertaker!“ Auf einmal ging ein steifer Wind über die leere Straße. Undertakers Gestalt brach mit einem lauten Knacken und der heftige Wind nahm sie als viele bunt schillernde Splitter mit sich, bis sie im schwarzen Nirgendwo verschwanden: „Undertaker!!“ Was von ihm auf der Straße übrig blieb und sich aufgrund meiner Rufe zu mir drehte, schockierte mich zutiefst. Es war der Zombie. Der Zombie, der mich gestern am Badezimmer so erschreckt hatte. Ein Fuß traf meine Schulter. Zerquetschte meine Finger. Mein Rücken schlug auf dem harten, kalten Pflaster auf. Ich schaute meinem Vater in sein Gesicht, der seinen Fuß noch immer in meine Finger und Schulter bohrte: „Bitte! Bitte, tu mir nichts! Bitte! Tu mir nicht weh! Nicht mehr!“ Ich wusste er würde mir wehtun. Sein Fuß verschwand. Er nahm ihm nach oben. Unheilvoll schwebte er direkt über meinem Gesicht. Ich hob abwehrend die Hände: „Nein!“ Sein Fuß fuhr nach unten, durchbrach ohne Mühe meine zittrige Abwehr: „Nein!“ Und raste auf mein Gesicht zu: „Nein!!“ „Nein!!“ Ich saß aufrecht im Bett. Vollkommen benebelt von diesem endlos grausamen Traum. Ich war in meinem Zimmer. Mir war heiß und kalt gleichzeitig und ein fieser Schwindel wütete in meinem Kopf, wie das Zittern in meinen Gliedern. Mein Atem und mein Herz rasten. Mit zitternder Hand wischte ich mir meine Haare aus meinem Gesicht. Poltern hallte durch den Flur hinter meiner geschlossenen Zimmertüre. Als die Türe aufgerissen wurde zuckte mein Kopf herum. „Sky!“, Amy kam in mein Zimmer gestürzt. Sie trug ihren Pyjama: „Sky, was ist los?! Warum schreist du?!“ „Ich...“, ich konnte kaum sprechen. Mein Mund war trocken und klebrig. In meinen Augen brannten Tränen: „...Ich...“ Die junge Phantomhive kniete sich mit einem besorgten Ausdruck neben mein Bett: „Alptraum?“ Ich nickte schwach. Noch immer pulsierte mein Blut durch meinen Körper und mein Atem raschelte. Amy legte ihre Hand auf meine. Sie kannte das Spiel. Seit Jahren. „Wieder der Alptraumboulevard?“ Wieder konnte ich nur nicken. ‚Alptraumboulevard‘ war der gängige Spitzname zwischen uns für meinen Alptraum auf der Kopfsteinpflasterstraße im Nirgendwo. Boulevard deswegen, da es definitiv eine Prachtstraße von Alptraum war. „Ach herrje“, Amy nahm mich in den Arm: „Alles gut, Süße. Es ist vorbei.“ Ich umarmte sie zurück. Die Tränen fielen aus meinen Augen. Ich konnte Amy nicht sagen, dass der Alptraum dieses Mal etwas anders gewesen war. Wer noch dort gewesen war und in was er sich verwandelt hatte. Ich konnte gar nichts sagen. Der Schwindel ließ nicht nach. In meinen Armen und Beinen zog es unangenehm. Ich hatte Kopfschmerzen und jetzt, wo der heiße Schreck verschwunden war, war mir nur noch kalt. Amber ließ von mir ab: „Ich würde gerne sagen lege dich noch etwas hin, aber wir müssen in 5 Minuten eh aufstehen.“ Ich nickte wieder, immer noch von meinen Worten komplett verlassen. Es war nur ein Traum. Und trotzdem tat die Erinnerung daran, wie Undertaker mich behandelt hatte, so weh. Dass er mir wehgetan hatte. Mich meinem Vater zum Fraß vorwarf. Lachend. Dunkel und kalt lachend. Ich schaute Amy an: „Geht schon klar, ich... bin in Ordnung.“ „Sicher?“, hob Amy eine Augenbraue an. Ich nickte wieder: „Ja, ich… war nur erschreckt. Es tut mir leid. Mach du dich zuerst fertig.“ „Ok“, Amy lächelte mir ein letztes Mal schwesterlich entgegen: „Bis gleich.“ „Bis gleich.“ Die Phantomhive verließ mein Zimmer. Ich blieb noch eine kurze Weile sitzen. Irgendwann krabbelte ich aus dem Bett. Der Schwindel stob auf und es dauerte bis sich das bunte Funkeln vor meinen Augen beruhigt hatte. Mein Kopf puckerte. In meinen Armen und Beinen lag immer noch ein fieses Ziehen. Als ich mir gerade meine Schläfen massierte rollte ein kleiner, kalter Windstoß über meinen Rücken. Ich wandte mich um. Träge wehten meine violetten, eigentlich immer zugezogenen Gardinen in einem kühlen Luftzug, der durch mein offenes Fenster kroch. Irritiert schaute ich auf die wehenden Gardinen. Ich tapste immer noch von Taumel geplagt die zwei Schritte voran. Warum stand es offen? Am Fenster angekommen schüttelte ich den Kopf. Sicher war mir des Nachts zu warm geworden und ich habe das Fenster selber geöffnet, bin im Anschluss sofort wieder eingeschlafen und habe es deswegen vergessen. Ich griff den Hebel meines Fensters, doch stockte, denn der Hebel stand gar nicht so, wie er stehen müsse um das Fenster ganz zu öffnen. Er war geschlossen. Ich tat es mit einem Kopfschütteln ab. Vielleicht hatte ich ihn versehentlich wieder verdreht. So schloss ich das Fenster und zog die Vorhänge zu. Dann tapste ich weiter zu meinem Kleiderschrank. Um mich umzuziehen setzte ich mich allerdings wieder auf mein Bett. Der unangenehme Schwindel in meinem Kopf war anstrengend, mir war so kalt, dass ich zitterte und ich hatte das Gefühl mich mit dem Umziehen schon hemmungslos verausgabt zu haben. Es klopfte zweimal an meine Türe. Amys Zeichen dafür, dass das Badezimmer frei war. Auf dem Weg ins Bad zwang ich mich den Schwindel zu ignorieren. Nachdem ich mir die Zähne geputzt, mich geschminkt, die Haare gekämmt und oben in meine übliche Frisur gedreht hatte, fiel unwillkürlich mein Blick auf das Abbild etlicher Kleidungsstücke über unserer Heizung in dem Spiegel vor mir. Unter dem ganzen Berg zerstörter Herrenanzüge lugten die Schösse eines langen schwarzen Mantels heraus. Bei diesem Anblick wurde ich mir erst richtig bewusst, dass der Totengräber heute wieder vorbeischauen wollte. Irgendwie... hatte ich Angst vor dieser Begegnung. Wie wird er sich verhalten? Zugewandt? Abgewandt? Resigniert seufzend ging ich ins Wohnzimmer und wenig später mit Amber durch zum Morgentee. Ich unterdrückte meinen Schwindel und das Ziehen. Sicherlich waren das nur die Nachwehen des auszehrenden Wochenendes, der doch recht aufreibenden Begegnung mit dem Leviathan und der Tatsache, dass ich schon länger nicht gut geschlafen hatte. Wie üblich trank ich allerdings keinen Tee, sondern schwarzen Kaffee. Die Phantomhive unterhielt sich mit mir über Gott und die Welt. Doch waren meine Antworten eher einsilbig, wenn mir Amy überhaupt mehr als ein Nicken oder Kopfschütteln abluchsen konnte. Nachdem wir unsere Kaffeeservice auf den Küchenwagen stellten, verließen wir das Wohnheim. „Ich hatte auch einen Albtraum“, sagte Amy recht unvermittelt: „Der war ziemlich weird.“ „Echt? Was für einen?“ Amy wedelte mit einer Hand: „Von ‘nem komischen Zombie. Hat mich die ganze Nacht durch irgendeinen Wald gescheucht. Ekliges Vieh.“ Ich wurde hellhörig: „Zombie?“ „Jup.“ Ich wusste genau, dass Amy gestern meine Erklärung und Beschreibung verpasst hatte, da sie duschen gewesen war. Es kam mir spanisch vor, dass Amber genau in der Nacht von einem Zombie träumte, in der mich einer fast zu Tode erschreckt hatte, erweitert durch die Tatsache, dass er auch in meinem Traum vorgekommen war: „Wie sah der aus?“ „Ja“, Amy rollte nachdenkend im Gehen die Augen nach oben: „Wie ‘n Zombie halt. Ein Auge war weg, Gedärme fielen heraus, das Fleisch war eher Moder, usw.“ Ich legte den Kopf schief: „War er groß?“ Amy schaute mich skeptisch an, als wir durch die Türe auf den Schulhof traten: „Ziemlich.“ „Langgezogen?“ Amys Augen flatterten, als sie wie vom Donner gerührt stehen blieb: „Ja. Woher weißt du das?“ Ich seufzte und stoppte ebenfalls: „Fuck...“ Amy zog eine Augenbraue hoch und die Andere herunter: „Sky?“ „Das...“, ich seufzte ein weiteres Mal: „Das Vieh, was mich gestern erschreckt hatte, sah genauso aus und… ich habe auch davon geträumt.“ „Das war ein Zombie?!“, rief Amy erschrocken aus: „Und du hast auch davon geträumt?!“ Ich nickte müde. Meinem Körper war jede Bewegung, jedes Wort und jeder Gedanke eigentlich zu anstrengend, doch es gab im Moment wichtigeres. Amy schaute mich derweilen blinzelnd an. Hinter ihrem Königsblau rasten einige Gedanken: „Aber… ich habe gestern nicht mitbekommen, was dich erschreckt hat. Ich konnte nicht wissen wie es aussieht.“ Ich nickte wieder: „Stimmt, deswegen ist es auch ziemlich bedenklich, findest du nicht?“ Amber verschränkte die Arme: „Das ist echt zu verrückt um ein Zufall zu sein“, dann ging die Phantomhive weiter: „Was ein Scheiß! Wir sagen später Undertaker Bescheid. Vielleicht klingelt bei ihm dann doch was.“ Bei dem Klang dieses Namens fuhr ein scharfer Blitz durch mich hindurch. Wegen gestern… Wegen dem Traum…: ‚Es war nur ein Traum!‘ Ich schloss zu Amy auf: „Klar, tu‘ das.“ Mit diesen Worten betraten wir das Schulgebäude und starteten in einen sehr langen wie anstrengenden Schultag. Stumm saß ich auf meinem Platz und versuchte dem Unterricht zu folgen. Was die Lehrer mir erzählten war allerdings an mir abgeprallt und so gut wie komplett vorbei gegangen. Der Gedanke Undertaker könnte sich von mir abwenden lenkte mich einfach zu sehr ab. Das an die ersten 2 Schulstunden anschließende Frühstück war meinerseits von Appetitlosigkeit getragen, doch ließ ich mich von Amy dazu bewegen wenigstens einen Joghurt zu essen. Doch bevor wir den Frühstückstisch überhaupt erreichten, wurden wir von Annmarie Galiger aufgehalten. Sehr zu meinem Leidwesen. Mein Kreislauf war immer noch schwach und ich wollte mich hinsetzen. Amy sah es mir wohl an und deutete mir, dass ich weiter gehen konnte. Ich nahm ihr Angebot dankbar entgegen. So ging ich vor und Amy unterhielt sich eine Weile mit der Green Prefect. Als ich mir gerade den 3ten Löffel meines Joghurts in den Mund geschoben hatte, kam die Phantomhive Jr. zu mir an den Tisch und wartete mit einer ganz schlechten Überraschung auf. Sie berichtete, dass die Sport AG für die Volleyballmannschaft bis zum Turnier Pflicht sei. Entnervt wandte ich mich danach wieder meinen Joghurt zu. Auch Amy wandte sich ab und tippte auf ihrem Handy herum. Sobald ihr Vibrationsalarm brummte war die junge Phantomhive schon seit ein paar Tagen nicht mehr zu sprechen. Als ich meinen Joghurt bezwungen hatte stand ich auf und warf einen verstohlenen Blick über Amys Schulter. Ein kleines Lächeln erschien auf meinen Lippen, als ich über dem WhatsApp Chat auf ihrem Handy den Namen »Lee« las. Erst wurde sie Halloween rot, als er sie zum Tanz einlud und jetzt tippt sie sich an ihm die Finger wund? Ich war mir ziemlich sicher, Amber schwärmte für den jungen Asiaten. Als auch Amy zuende gefrühstückt hatte, gingen wir zum Swan Gazebo. Es gab nicht wirklich etwas zu diskutieren. Die Vorbereitungen für das Sportevent waren dieselben wie auch für das Kricket Event und würden wohl nächste Woche beginnen. Amy und ich waren uns genau wie alle anderen Prefect und Prefect-Fags bewusst, dass wohl wir dieses Jahr die leitenden Kräfte sein würden. Doch es war wie gesagt jedes Jahr dasselbe: Das Eröffnungsevent mit Begrüßung der Angehörigen durch eine Rede von Vizeheadmaster Grandolier, das Turnier an sich mit 2 Pausen und anschließend eine Gala mit einer weiteren Rede Grandoliers, gefolgt von dem Bootsauftritt der Siegermannschaft vor dem Palace of Westminster und der Queen. Nicht, dass irgendjemand bezweifeln würde, dass entweder die Green Lion der Jungen oder der Mädchen diesen Auftritt haben würden. Wie immer. Obwohl Lila immer noch groß tönte Annmarie solle sich nicht allzu große Hoffnungen machen, wussten doch alle wie wenig sie ihren eigenen Worten glaubte. Selbst Amy gab sich mit ihrem schweigenden, doch viel zu selbstsicheren Lächeln und kurzen Kommentaren der Flunkerei schamlos hin. Nur Mandy versuchte selbiges gar nicht erst. Ich blieb an Amys Seite im Swan Gazebo, servierte ihr Tee und verdrehte mit ihr die Augen, während wir Annmaries und Lilas Zickenkrieg über uns ergehen ließen. Dann ging es zurück in den Unterricht. Nicht einmal der Kunstunterricht hatte mir heute Freude bereitet. Ich war kreativ wie ein Kieselstein und zu dem Zittern gesellte sich trockener Husten. Ich war mehr als nur dankbar, dass wir in Musik theoretisch arbeiteten. Lauten Geräuschen war ich heute spinnefeind. Noch dankbarer war ich, als es um 14 Uhr endlich zum Ende des verpflichten Schultages klingelte. Ich ging zwar mit Amy zum Mittagsessen, doch trank nur einen Tee. Die Phantomhive beschwerte sich vehement, doch musste dieses Mal nun sie die Segel streichen. Ich hatte keinen Appetit. Ich hatte keine Lust zu essen. Ich hatte generell auf nichts wirklich Lust. Zeichen? Hmmmm ne… Geige? Nicht wirklich... Gitarre? Auch nicht… Spazieren gehen? Nein… Lernen? Guter Witz... Undertaker treffen? …Eigentlich immer… Sofort! Doch heute hatte ich davor Angst... Ich seufzte stumm in meine Tasse: ‚Lassen wir das...‘ Auch wollte ich heute um 17 Uhr nicht ins Atelier gehen. Ich war so froh, dass ich den Menschenmassen nun fliehen konnte. Ich trug mich generell für die Woche in keine der außerschulischen Aktivitäten um 17 Uhr ein. Sie waren freiwillig und ich hatte auch hier einfach keine Lust dazu. Im Apartment zogen Amy und ich uns alltagstaugliche Kleider an. Dann fiel Amy auf die Couch und zückte ein Buch. Sie las seit neustem ‚Die Schöne und das Tier‘ von Gabrielle Suzanne de Villeneuve, aus dem Jahre 1740, das näher an dem französischen Volksmärchen war als ‚Die Schöne und das Biest‘. Ein Fakt, der mich weiter bestärkte, dass Amy ein wenig von Schwärmerei und einem kleinen Romantiktaumel eingenommen wurde. Ich holte meinen Laptop aus meinem Zimmer und surfte auf meinem Sessel ein wenig durch ein paar Seiten für Hobbykünstler, in denen ich einige Bilder hochgeladen hatte, welche gar nicht so schlecht ankamen wie ich erst dachte. Doch dies lenkte mich nicht recht ab. Mein Kopf ratterte und Nervosität mischte sich in meine Unsicherheit. Jetzt, wo die Schule vorbei war, konnte Undertaker jederzeit auftauchen. Laut den paar Worten, die ich Amy so beiläufig wie möglich entlocken konnte, hing der Zeitpunkt seines Besuchs nur davon ab, wie viele Gäste und Beerdigungen er zu betreuen hatte. Ich hatte keine Ahnung wie viel Arbeit Undertaker noch hatte. Sicherlich hatte er einige der 15 Halloween-Opfer schon abgearbeitet, wenn nicht sogar alle. Undertaker war niemand, der seine Arbeit vor sich her schob. Eher ganz im Gegenteil. Dann erreichte plötzlich ein gläsernes Klopfen mein Ohr. Mein Kopf fuhr zum Fenster. Aus dem Augenwinkel sah ich wie Amy ihr Buch sinken ließ und sich ebenfalls zum Fenster drehte. Mein Herz blieb stehen, obwohl ich mir denken konnte wer geklopft hatte. Auf der Fensterbank an der Außenseite saß, die angewinkelten Beine überschlagen und mit dem Rücken gegen das schmale Stück Mauer gelehnt, ein großer Mann mit versteckten Augen, langen silbernen Haaren und einem knochenförmigen Keks zwischen den grinsenden Lippen. Ich musterte Undertaker kurz, mir sehr wohl bewusst, dass sein üblicher Aufzug immer noch bei uns über der Heizung hing. Er hatte die Jogginghose gegen eine schlichte schwarze Jeans getauscht, das T-Shirt gegen ein ebenso unaufregendes schwarzes Hemd. An seinen Füßen glänzten polierte schwarze Lackschuhe in der hellen Herbstsonne. Hätte er nicht so viele Narben und so unglaublich lange Haare, sähe er gerade sicherlich ziemlich normal aus. Mein Kopf wurde warm. Ziemlich normal… und ziemlich gut… Warum er immer unter dieser weiten Robe versteckte wie stattlich er eigentlich war, war mir ja ein vollkommenes Rätsel. Als er sah, dass wir unsere Augen zu ihm wandten winkte er kurz, ließ mit einem Happen den Keks in seinem Mund verschwinden und tippte gegen den Fensterrahmen, dort wo das Schloss war. Ohne das sich der Hebel bewegte sprang es auf: „Ni hi hi. Guten Tag, die Damen.“ Ich winkte ihm, was alles andere als elegant oder einfallsreich war. Doch als ich den Bestatter gesehen hatte, hatte ich sofort das Sprechen verlernt. Ich hatte immer noch keine Ahnung was ich sagen sollte. Was ich tun sollte. Dass ich von seiner Erscheinung wieder einmal total überrumpelt war, war peinlich und machte all diese Fragen nicht einfacher zu beantworten. Innerlich machte ich drei Kreuze, dass ich seine Augen nicht sah und so dem totalen Idiotenstadium fern blieb. Doch anstarren tat ich ihn trotzdem. „Hey Undertaker“, grinste Amy: „Na? Alles klar?“ Undertaker neigte den Kopf zu der Phantomhive und blieb auf der Fensterbank sitzen: „Ke he he! Unkraut vergeht nicht, liebste Amber. Und bei euch? Wie ist es euch ergangen?“ Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe. Was sollte ich zu ihm sagen? Was? Auch kam es mir komisch vor, dass Undertaker keine Anstalten machte seinen Platz auf der Fensterbank aufzugeben und ins Zimmer zu kommen. Dazu kam, dass die Phrase ‚Unkraut vergeht nicht‘ keine adäquate Antwort auf die Frage wie es ihm ginge war. Wie es ihm ging konnte man daraus gar nicht entnehmen! Abgesehen davon, dass es mir sauer aufstieß, dass er sich selbst als ‚Unkraut‘ betitelte. Ich wollte so etwas aus seinem Mund nicht hören. Es war einfach nicht richtig... „Och“, machte ich schließlich, schaute Undertaker doch recht besorgt entgegen, versuchte jedoch jegliche Unsicherheit aus meiner Stimme zu verbannen und so normal wie möglich zu klingen: „Eigentlich ganz gut.“ „Wir müssen jetzt gezwungen zur Sport-AG“, seufzte Amy: „Das nervt, aber ansonsten war es ein ziemlich normaler Tag.“ Undertakers Kopf fiel zur anderen Seite: „Aha?“ Amy nickte: „Jup, wegen dem Volleyballturnier. Training und bla. Schlimmer als Sebastians Trainingsstunden kann es kaum werden. Ätzend ist es trotzdem.“ „Ehehehehe! Nun gut“, lachte Undertaker auf, beendete das Thema und schien uns kurz zu mustern: „Ist irgendetwas Interessantes vorgefallen?“ Dass er das Gespräch über die aufgezwungene Sport-AG so plötzlich beendete, kam mir komisch vor. Vielleicht bildete ich es mir nur ein oder es lag an meiner eigenen inneren Anspannung, aber ich hatte das Gefühl die Luft lag schwer im Raum und drückte mir massiv auf die Schultern. Und als ich so vollkommen neben mir stand, führte Amy das Gespräch weiter: „Es ist tatsächlich was Interessantes passiert.“ Der Totengräber legte den Kopf schief: „Eh he he! Nun bin ich aber gespannt.“ Amy schaute mich an. Ich schaute zurück. Sie zog auffordernd die Augenbrauen hoch und hob eine Hand. Ich brauchte ein paar Sekunden um zu verstehen, dass Amy wollte, dass ich von unseren komischen Träumen erzählte. „Äh...“, begann ich so geistlos wie ich mich fühlte und schaute Undertaker wieder an, der seinen Kopf mit den verhangenen Augen zu mir gewandt hatte: „Amy, ich, wir… also, ähm… Wir haben beide ziemlich komisch geträumt...“ „Und?“, erwiderte Undertaker langgezogen und ließ seinen Kopf zur Seite kippen. Ich wusste nicht ob ich erleichtert war, dass er mit mir sprach, denn es fühlte sich nicht so gewohnt... nicht so locker und unbekümmert wie vorher an. „Und“, versuchte ich fortzufahren und atmete einmal tief durch: „Wir haben beide von dem Zombie geträumt...“ „Tatsächlich?“, Undertaker richtete sich ein Stück auf: „Hast du Amber gestern noch von deiner Begegnung erzählt?“ „Äh… äh… Nein. Nein, habe ich nicht.“ Undertaker schaute zu Amy: „Und obwohl du nicht wusstest, wie das Wesen aussah, träumtest du davon?“ Amy nickte. „Interessant“, Undertaker legte eine Hand ein sein Kinn: „Das ist wirklich interessant.“ „Klingelt was bei dir?“, fragte Amy. „Ki hi hi. Halb“, antwortete Undertaker: „Ich kenne ein Wesen was darauf passen würde, doch das hätten die Reaper sofort bemerken müssen. Von daher kommt es auch nicht in Frage.“ „Verdammt“, sank Amy seufzend zurück in die Couch. „Nun denn“, der Totengräber hüpfte auf seine Füße und hockte nun im Fensterrahmen: „Ich will euch dann nicht weiter aufhalten.“ „Du“, floh mir, ohne das ich recht darüber nachdachte es auszusprechen, meine Angst aus dem Mund: „Gehst schon?“ Kaum hatte ich es so unüberlegt ausgesprochen bereute ich es. Die Frage war dumm. Dass er gehen wollte war offensichtlich. Auch war die Art wie ich gefragt hatte nicht gerade von Sicherheit getragen gewesen. Eher war meine Stimme klein und kläglich gewesen, wie ein Mäuschen, das vor der großen Katze saß. „In der Tat“, grinste der Bestatter mich an. Sein Grinsen war unverändert, sein Gesicht wirkte wie immer und auch an seiner Stimme war nichts ungewöhnlich. Doch irgendetwas war sehr ungewohnt. Seine Augen verrieten mir sicher, dass etwas anders war als sonst. Doch seine Augen sah man nicht. Sie waren fein säuberlich hinter dem langen Pony verschwunden: „Ich habe ein paar Gäste auf dem Tisch, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen.“ „Was für Gäste?“, nahm ich diesen schlechten Vorwand an, ihn noch ein wenig länger im Gespräch zu halten. Doch Undertaker schüttelte den Kopf: „Fu fu fu. Das ist doch wirklich nichts, um das ihr euch jetzt sorgen solltet“, er stand aus der Hocke auf und beugte sich runter um durchs Fenster zu lucken. Doch tat er es so, dass seine Augen verhangen blieben. Ich zog die Augen zu Schlitzen. Ihr? Ich hatte gefragt! Da war kein ‚ihr‘! Und Undertaker redete nicht über seinen Job? Eigentlich ließ er keine Möglichkeit aus davon zu berichten. Und wenn er es tat – was er sehr oft tat – ließ er auch keine Details aus. Ob man sie hören wollte oder nicht. Und dann schlug er es aus, wenn man ihn konkret danach fragte? Ich war mir so sicher über seinen Job mit ihm ins Gespräch kommen zu können. So wie… … So wie früher... „Ich wünsche euch einen entspannten Abend“, grinste er weiter und schaute Amber und mich noch einmal kurz an: „Sollte etwas passieren, ruft mich unverzüglich an. Eh he he he! Bis Morgen!“, mit diesen Worten kippte er einfach hinten über und fiel aus dem Fensterrahmen. Als ich Undertaker nach hinten kippen sah, ergriff mich sofort ein heißer Schock. Die Art Schock, die mich aufspringen und zum Fenster rennen ließ. „Undertaker!“, rief ich und hing mich aus dem Fenster. Doch der Bestatter war nirgendwo zu sehen. Und als ich merkte, dass Undertaker nicht mehr hier war schwirrte auf einmal ein scharfes Ziehen durch meinen Kopf. Als die bunten Flecke vor meinen Augen erschienen kam auch der Husten zurück. Ich hielt mich am Fensterrahmen fest und ging in die Knie, als ich mir die Hand vor meinen heiser hustenden Mund drückte. Das Husten kratzte in meinem Hals und schnürte mir die Brust zu. Meine Schultern griffen zwei Hände: „Sky? Was hast du?! Ich schaute Amy an und wedelte mit meiner Hand vor meinem Mund: „Ahe! Ahe! Ich bin nur zu schnell aufgestanden und hab‘ mich verschluckt. Ahe! Ahe! Geht gleich wieder.“ „Sicher?“, musterte mich Amy skeptisch. Ich atmete raschelnd tief durch und stellte mich hin. Immer noch flimmerte mein Blickfeld ein wenig: „Klar. Ahe! Typisch mein Glück und so...“ Amys Kopf kippte zur Seite: „Wenn du meinst.“ „Ja, ich meine“, ich ging an Amy vorbei: „Ich geh‘ in mein Zimmer.“ Und als ich in meinem Zimmer auf den Bett lag versuchte ich verzweifelt mir einen Reim aus Undertakers Verhalten zu machen. Wieso sprach er von sich selbst als ‚Unkraut‘ und hatte uns nicht verraten wie es ihm ging? Er plauderte immer gerne, warum hatte er also das Gespräch über die Sport-AG so schnell und doch sehr bestimmt beendet? Warum sprach er selbst über seinen Job nicht mehr mit mir? Ich drehte mich zur Seite und starrte an meine Wand: „Und warum ist er so plötzlich so schnell wieder verschwunden…?“ Ein weiteres Mal träumte ich unsagbar schlecht. Es war wieder ein Traum auf dem Alptraumboulevard. Wieder war Undertaker auch dort. Doch dieses Mal hatte er sich nach meinem Rufen gar nicht erst umgedreht. Er ging einfach an mir vorbei und ließ mich dort sitzen, obwohl ich nach ihm rief… Und rief… Und als er verschwunden war, weinte ich. Bitterlich. Jemand griff harsch meinen Oberarm. Mein Vater zog mich grob auf meine Füße und ich sah über seine Schulter in die Fratze dieses ekelhaften Zombies. Doch ich hatte nicht die Zeit mich mit dem Zombie zu beschäftigen, denn mein Vater zog an meinem Oberarm und mein Kopf zuckte zu ihm. Er hatte mit einer Hand ausgeholt. Vollkommen eingefroren starrte ich auf diese Hand. Tränen tropften von meinem Gesicht. „Hör auf zu heulen!“, sauste die Hand auf mich zu. „Nein!!“ „Nein!!“, ich wachte spitz schreiend auf. Mitten in der Nacht. Wieder steckte Amy ihren Kopf durch mein Zimmer: „Sky?“ Ich schaute sie schweratmend an, zu verstört um zu sprechen. Amy kniete sich neben mein Bett: „Alptraumboulevard?“ Ich nickte. „Zombie?“ Ich nickte wieder. „Ja, scheiße“, seufzte Amy. „Du...“, ich schluckte trocken: „Du auch?“ Jetzt nickte Amy: „Er hat mich wieder durch einen Wald gescheucht.“ „Warum… einen Wald?“ „Ich weiß nicht. Wenn ich raten müsste würde ich sagen, es ist das Waldstück, in dem unser Manor steht. Zumindest bin ich an einem Baumhaus vorbei gekommen, wie ich es mal mit Fred, Lee, Ronald und Undertaker gebaut habe.“ ‚Undertaker...‘, ich verdrängte den Gedanken und den Schmerz bei dem Klang seines Namens: „Magst du… den Wald nicht?“ „Doch, eigentlich schon. Dort haben Fred, Lee und ich als Kinder oft gespielt. Fangen, verstecken, Baumhäuser bauen, Hasen jagen, Insekten sammeln. Hin und wieder mit einem von den ‚Erwachsenen‘. Eigentlich waren wir dort ständig unterwegs. Mein Vater nannte uns ‚kleine Waldschrate‘. Doch das ist alles schon Jahre her. Kindergarten und Grundschule so um den Dreh.“ „Warum... ist es dann ein Alptraum?“ „Keine Ahnung. Vielleicht will das Vieh mir ein paar meiner besten Erinnerungen versauen.“ Ich stockte in meinen Gedanken: ‚Ein paar meiner besten Erinnerungen...‘ Undertaker war erst auf dem Alptraumboulevard aufgetaucht, als es auch der Zombie war. Ich schaute nach unten. Amy wuschelte mir schwesterlich durch meine wirren Haare: „Versuche noch etwas zu schlafen, ja?“ Wieder nickte ich. Amber stand auf und verließ mein Zimmer: „Schlaf noch gut.“ „Du auch.“ Dann schloss sie die Türe hinter sich. Eine Weile saß ich im Bett und schaute auf meine Bettdecke: „Ein paar meiner besten Erinnerungen...“ Mein Kopf rekapitulierte viele Momente, die ich mit dem morbiden Bestatter erlebt hatte. Auf dem Friedhof, in seinem Laden, im Manor Phantomhive, nach dem Jugendamt… Definitiv waren das alles gute Erinnerungen. Selbst einen Horrortrip wie den Besuch bei Hemsworth… Dass ich danach Undertaker getroffen hatte, war gut gewesen. Als ich mit dem Bus weggefahren war ging es mir nicht wirklich gut, doch ich war mir sicher, hätte ich ihn an diesem Tag nicht getroffen wäre es mir viel schlechter gegangen. Ein kalter Wind strich über meine nackten Arme und weckte mich aus meinen Erinnerungen. Ich rieb mir meine Oberarme und schaute zur Seite. Die Gardinen meines Fensters wehten sachte in dem kühlen Herbstwind. Ich blinzelte verwirrt: ‚Schon wieder?‘ Begann ich zu schlafwandeln? Ich konnte mich abermals nicht daran erinnern das Fenster geöffnet zu haben. Es war auch untypisch für mich. Ich fror ja jetzt schon. Langsam schob ich meine Beine aus dem Bett. Als ich aufstand sah ich sofort hunderte bunte Flecken vor meinen Augen und strauchelte zurück auf die Matratze. Ich hielt mir meinen wummernden Kopf. Er war warm, aber ich hatte auch bis eben noch unter meiner Bettdecke gelegen. Meine Arme und Beine brannten unterschwellig. Ich hatte mich wohl Sonntagabend mehr verausgabt als ich dachte und mir eine fiesen Muskelkater geholt. Auch dass ich wieder schlecht geschlafen hatte, machte mir mein Schwindel nur allzu deutlich. Als das Blinken vor meinen Augen verschwunden war, ging ich zum Fenster und sah den abnehmenden Mond. Bald wird es Neumond sein. Als ich den Mond sah, erinnerte ich mich an das Gespräch auf dem Balkon und an Undertakers im fahlen Mondlicht leuchtende, atemberaubende Augen. Mir entfuhr wieder ein Seufzen: „Ein paar meiner besten Erinnerungen...“ Die Erinnerungen an Undertaker waren nicht nur ein paar meiner besten, es waren wahrscheinlich die Besten. Natürlich hatte ich auch an Amy viele gute Erinnerungen und sie war mir so wichtig wie vorher niemand, doch… die Erinnerungen an Undertaker waren auf eine ganze andere Weise schön. Doch seit letztem Freitag lagen mir all diese Erinnerung nun wie ein Stein im Magen: „Warum war ich nur so dumm…?“ Ich seufzte erneut und wollte das Fenster schließen. Doch als ich den Hebel griff, stimmte wieder etwas nicht. Ich starrte auf den Hebel in meiner Hand: ‚Geschlossen? Schon wieder?‘ Vielleicht schlafwandele ich durch die schlechten Träume, da brauchte ich mich über einen verstellten Fensterhebel auch nicht wundern. Ich schloss das Fenster und zog meine Vorhänge zu. Dann krabbelte ich wieder in mein Bett. Ich schlief unruhig. Immer wieder landete ich auf der Kopfsteinpflasterstraße. Mit dem Zombie… Mit meinem Vater… Mit Undertaker, der an mir vorbeiging und einfach wieder verschwand. Und immer wieder schreckte ich hoch. Es war so anstrengend nicht durch zu schlafen… Auf einem zermürbenden Montag folgte ein zermürbender Dienstag. Als ich aufwachte war mir immer noch kalt. Immer noch schwindelig. Ich stand wieder vor meinem Wecker auf und merkte, dass meine Gardinen nicht ganz zusammen gezogen waren. Ich hatte sie wohl nachts nicht ordentlich zugezogen. So holte ich es nach und machte mich fertig. Dann startete ich mit Amy in einen weiteren Schultag. Mein Kopf dachte und machte sich Sorgen. Ich hatte Angst. Undertaker war so kurz angebunden gewesen, wie ich es noch nie erlebt hatte. Nachdem ich irgendwie eine Stunde Mathe und eine Stunde Geografie überlebt hatte, knabberte ich an einem Brötchen herum und ignorierte Ambers Einwände ich solle mehr essen. Nachdem Frühstück setzte ich Amy im Swan Gazebo ab, sorgte mit den anderen Prefect Fags für Tee und Snacks und erledigte dann die folgende Stunde meine Pflichten als Fag. Es dauerte länger bis ich das Apartment durch und Staub gewischt hatte und ich schaffte es gerade mal 2 von unseren gefühlten 1000 Kleidungsstücken zu bügeln und zu falten. Da ich selbst keinen Fag hatte blieb an mir meine, wie auch Amys Wäsche hängen. Ein Umstand, der mich eigentlich nicht weiter störte, doch dieses beständige Zittern stand mir heftig im Weg. Dann war es um 11:00 Uhr Zeit für 2 Stunden bildende Kunst. Ich traf Amy im Klassenraum. Ein weiteres Mal stellte ich fest, dass alles ok war, wenn man mir ein Blatt Papier und einen Stift gab, allerdings Holland rauschend unterging sobald ich etwas aus Ton oder Modelliermasse formen sollte. So sah das, was schon seit ein paar Stunden eine Ton-Katze werden sollte, immer noch mehr wie ein Alien nach einer Bruchlandung im Kornfeld aus. Ich gab auch ehrlich die Hoffnung auf, dass sich dies noch ändern würde. Amy allerdings schabte und formte und hatte in den Stunden in denen ich an meinem Alien arbeitete schon eine Katze und einen Hund fertig und war nun an einem Vogel dran. Seufzend nahm ich eins der Tonwerkzeuge und wollte das Ohr meiner Alien-Katze zu Ende modellieren, wurde aber abermals von einem der immer wiederkehrenden Hustenanfälle unterbrochen. Daraufhin brach das Ohr ab und landete auf dem Tisch. Ich verbrachte dann den Rest der Doppelstunde damit es irgendwie wieder dran zu pappen, was sich als schwierig herausstellte. In den darauf folgenden Stunden Literatur war ich fertig mit der Welt und auch mit meinen Nerven. Der Husten kam immer wieder und krachte durch den ganzen Klassenraum, was mir einige stumme und genervte Blicke von Miss Lowell und meinen Klassenkameraden einbrachte. Ich war dazu müde und hungrig, obwohl ich mir sicher war weder richtig essen noch schlafen zu können. Schon das Brötchen zum Frühstück war für meinen Magen harte Arbeit und ich hatte keine Lust auf diese furchtbaren Träume, die momentan noch schlimmer waren, als sie es nicht eh schon waren. Es macht keinen Spaß selbst - oder eher vor allem - in seinen Träumen nicht sicher zu sein. Schlafen macht keinen Spaß. Hat es noch nie und wird es auch wahrscheinlich nie mehr machen. Als es endlich zum Ende des Unterrichtes klingelte war es nicht halb so erleichternd, wie es gestern gewesen war. Denn ich wusste, dass ich um 17 Uhr in der Sporthalle zu stehen hatte und mir Volleyballbälle um die Ohren hauen lassen musste. Oder meinen Glück nach eher mitten ins Gesicht. Am Mittagstisch hatte ich es wenigstens geschafft meinen Teller halb leer zu essen. Danach hatte ich eigentlich nur noch das Bedürfnis umzufallen. Ich war kaputt und müde und seit gestern fror und zitterte ich wie Espenlaub. Dass sich nun auch noch scharfer Husten dazu gesellt hatte, war mehr als nur nervig. Doch als ich auf dem Weg in unser Apartment mit dem Gedanken spielte einfach auf die Couch zu fallen und nie wieder aufzustehen, fing ich mich wieder. Ich hatte einfach nur schlecht geschlafen und mir von meinen Tauchgängen wahrscheinlich einen Schnupfen geholt. Doch davon durfte ich mich nicht unterkriegen lassen. Es hätte schließlich viel schlimmer kommen können. Dass ich jetzt tot wäre, beispielsweise. Im Apartment angekommen zogen Amy und ich unsere violette Jogginghose und unser schwarzes Sporttop mit dem aufgedruckten silbernen Wolf an und packten unsere Sporttasche mit Wechselwäsche. Ich hatte noch meine schwarze Stoffjacke übergezogen, da mir in dem Spagettieträgertop schlicht viel zu kalt war. Ich krempelte die Ärmel meiner Jacke nach oben und machte ich mich im Wohnzimmer wortlos daran unsere Wäsche zu Ende zu bügeln. Amy setzte sich auf das Sofa und schaltete unsere Lieblingssendung im Fernseher ein. Eine Doku-Reihe über medienträchtige Mordfälle, die wir beide aber nur mit einem halben Auge schauten. Amys Nase hing wieder in ihrem Buch oder am Handy – mehr am Handy - und da ich mit Bügeln beschäftigt war, war das Fernsehprogramm für mich eher ein Hörbuch. Nebenbei unterhielten wir uns ein wenig, während Amy auf ihrem Handy unaufhörlich mit Lee chattete und wir darauf warteten, dass die Zeit zum Sport herumging. Als mein Wäscheberg zu neige ging, schaute ich kurz auf unsere Wanduhr: 15:52 Uhr. Seufzend stellte ich fest, dass ich schon recht lange am Bügeln war. Mein Kopf war so voll und geschafft. Ich fühlte mich so matt und träge. Dadurch arbeitete ich sehr langsam. Doch es brachte mir nichts mich dem jetzt hinzugeben. Sicherlich würde ich diese Nacht wieder recht ordentlich schlafen können, so müde wie ich war. Als ich gerade eine neue Bluse auf das Bügelbrett gelegt und begonnen hatte den Ärmel zu bügeln unterbrach mich ein gläsernes Klopfen und schickte mir etliche kalte Schauer über den Rücken. Ich brauchte nicht nachzuschauen wer an unser Fenster klopfte. Ich wusste es. Es war mir fast schon schmerzlich bewusst. Genauso schmerzlich war mir bewusst, dass ich immer noch keine Ahnung hatte was ich von seinem Verhalten denken sollte. „Ti hi hi hi“, hörte ich das wohlbekanntes Kichern, nachdem unser Fenster quietschend aufgeschwungen war: „Ich wünsche einen guten Tag.“ „Hi Undertaker“, hörte ich Amy antworten. Ich schaute den Bestatter an, der wieder in seiner viel zu normalen Montur vor unserem Fenster saß und von selbst nicht in den Raum kam. Ich hatte gestern schon ein schlechtes Gefühl deswegen und dass sich dieser Umstand wiederholte verschlimmerte es nur noch mehr. Wieso kam er nicht herein? Wollte er so dringend so schnell wieder weg? War es wegen mir? ‚Wahrscheinlich...‘, fielen meine Augen kurz hinunter. Trotz allem versuchte ich ein Lächeln auf meine Gesicht zu legen, als ich den Totengräber wieder anschaute: „Hey.“ Undertaker legte seinen wie üblich grinsenden Kopf schief, ohne dass seine Haare dabei aus seinem Gesicht fielen: „Was habt ihr geträumt?“ „Ich wusste, dass du fragst“, grinste Amy: „Dasselbe wie gestern Nacht. Sky auch.“ „Hm“, legte der Bestatter nachdenklich eine Hand an sein Kinn: „Wieder dasselbe. Ni hi hi! Wie mysteriös.“ „Hast du mittlerweile ‘ne Idee?“, fragte Amy. „Fu fu fu! Es klingt immer mehr nach dem was ich gestern vermutete, obwohl es eigentlich nicht sein kann. Die ganze Angelegenheit ist wahrlich mehr als spannend. Ihr träumt nur davon? Es ist nicht mehr aufgetaucht?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein. Nur in unseren Träumen.“ „Kurios“, Undertaker wog seinen Kopf hin und her: „Wirklich kurios. Ki hi hi hi!“ Auf einmal zuckte sein Kopf hoch und er zog zweimal Luft durch die Nase ein. Dann drehte er seinen Kopf zu mir und kicherte: „Nihihihi! Du brennst.“ Ich klimperte ihm irritiert entgegen: „Ich tu‘ was? Brennen? Nein, ich… ich brenne nicht!“ Dass hätte ich wohl noch bemerkt und es wäre sicherlich überhaupt nicht komisch würde ich es tun! Doch als ich ein paar bewusste Atemzüge getan hatte roch es tatsächlich verbannt. Auch Amy schien es gerochen zu haben und schaute sich schnuppernd um. Undertaker zeigte immer noch giggelnd mit seinen langen Finger auf meine Hände: „Fu fu fu. Aber gleich, wenn du so weitermachst.“ Meine Verwirrung flaute nicht ab: „Was?“ Amys Blick folgte Undertakers Finger. Dann fuhr sie erschrocken ein Stück hoch: „Sky! Das Bügeleisen!“ Schlagartig schaute ich nach unten. „Oh Mist!“, ich hatte vollkommen vergessen, dass ich gerade eine meiner Blusen gebügelt hatte. Mir wurde sofort bewusst, dass ich einfach in meiner Bewegung gestoppt hatte, als Undertaker geklopft hatte und das Bügeleisen die ganze Zeit nicht vom Stoff genommen hatte. Hastig stellte ich das Bügeleisen ab und hob meine Bluse an. Ein großer Brandfleck zog sich einem quer über den rechten Ärmel: „Och ne! Das kann doch nicht wahr sein! Die ist hin… und zwar total.“ Seufzend ließ ich die Arme sinken. Ich ärgerte mich über alle Maßen. Nicht zwingend, dass ich eine Bluse zu Schund gebügelt hatte - was an sich schon selten dämlich war - sondern dass es mir natürlich vor Undertaker passieren musste. Und natürlich hatte er es auch als erster bemerkt. Ich korrigierte meinen ersten Gedankengang: Undertaker hatte jedes Recht der Welt zu lachen. Während ich innerlich über mein Schicksal fluchte, schaute ich wieder auf meine Bluse: „Ein Fall für den Müll...“ Resigniert wollte ich die Bluse in besagten Müll stecken und setzte mich immer noch die Bluse beschauend in Bewegung. Doch das Schicksal und meine beispiellose Tollpatschigkeit waren noch lange nicht fertig mit mir. Nicht ansatzweise. Da ich nicht schaute wohin ich lief, verhedderten sich meine Füße in dem Kabel des Bügeleisens. Natürlich stolperte ich mit einem spitzen Schrei und wedelnden Armen. Genauso natürlich verlor ich das Gleichgewicht, fiel nach vorne und war von dem plötzlichen Straucheln so erschrocken, dass ich mich nicht fangen konnte. „Sky!“, hörte ich Amys erschrockene Stimme. Die Bluse flog durch die Luft. Das Bügeleisen wurde von meinen Füßen an seinem Kabel vom Bügelbrett gerissen und fiel mit der heißen Bügelsohle direkt auf meinen nackten linken Unterarm. Ein heißer Schmerz surrte durch meine Haut, als das heiße Eisen sie verbrannte. Als ich mir sicher war, ich würde mich jetzt auch noch richtig erbärmlich auf die Nase legen, ging eine kleiner Windstoß durch den Raum und wehte mir meine Haare ins Gesicht. Dann blieb ich auf einmal in der Luft hängen. Ich war so verwundert davon nicht auf dem Boden aufzuschlagen, dass ich sogar für einen Moment meinen brennenden Unterarm vergaß. Irritiert blinzelte ich dem Boden entgegen, dem ich zwar ein ganzes Stück näher gekommen war, aber nicht berührt hatte. Ich spürte etwas um meine Taille liegen. „Du hast es herbei geschrien“, hörte ich Amys Stimme. Daraufhin lachte Jemand. Mein Herz blieb stehen, als ich bemerkte, dass das Lachen von direkt über mir kam: „Ehehehe! Das war definitiv nicht der Vater des Gedankens.“ Obwohl ich schon fast Angst davor hatte drehte ich meinen Kopf nach links. Ich schaute direkt auf eine schwarze Männerjeans. Langsam wanderten meine Augen die Männerjeans hinauf, bis ich Undertaker von unten in das scharf geschnittene Gesicht schaute. Er hatte den rechten Arm um meine Taille geschlungen um meinen Fall aufzuhalten und mit dem kleinen Finger der linken Hand das Bügeleisen am Henkel gefangen. Sein Kopf wandte sich zu mir herunter. Da er von oben auf mich herab schaute fiel sein Pony von seinen strahlenden Augen. Augen, die heute gar nicht so strahlend waren. Ein komischer Schatten lag darin und sie wirkten dadurch etwas matter als üblich. Ich habe mir schon seit der Situation an der Themse gedacht, dass etwas mit ihm nicht stimmte und der Schatten, der sein strahlendes Grün wenn auch nur kaum merklich etwas erstickte, bestätigte mich. Doch er verriet mir nicht woher er kam und bereitete mir erneut Sorgen. Sein Mund allerdings grinste weiter, als er anfing zu sprechen und mich dazu brachte damit aufzuhören über seine Augen und ihren veränderten Ausdruck nachzudenken: „Hast du dir etwas getan?“ Meine Gedanken fanden durch seine Frage endgültig von der Sorge über diese Schatten in seinen Augen, zu dem zurück was vor einer knappen Minute geschehen war. Ich drückte meine Hand feste auf die verbrannte Stelle an meinem Unterarm. Es tat weh. Meine Unterlippe begann zu zittern und ich spürte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Nicht, weil ich mir wehgetan hatte, sondern weil ich von mir selbst so maßlos enttäuscht war. Ich war so peinlich. Ich verschmorte eine Bluse, massakrierte mich anschließend selbst mit einem Bügeleisen und das auch noch auf die dämlichste Art und Weise, die man sich vorstellen konnte, sodass Undertaker mal wieder in die Bresche springen musste, damit mir nichts Schlimmeres passierte. Ich war einfach nur erbärmlich. Tollpatschig und ein unbeschreiblicher Idiot. Ich ließ den Kopf hängen und krampfte meine Hand fester um die verbrannte Stelle. Unter den Druck meiner Hand schmerzte sie immer mehr. Ich wollte mir nicht wehgetan haben. Ich wollte nicht wieder wirken, als sei ich vollkommen lebensunfähig. Was soll Undertaker denn bitte von mir denken? Er muss doch denken ich würde keine 24 Stunden alleine überleben… Ich wollte nicht, dass er so dachte. Also drehte ich meinen Kopf mit geschlossenen Augen wieder zu ihm und lächelte: „Nein. Nein, ich hab mir nichts getan.“ „Skyler?“, hörte ich seine tiefe Stimme prompt und mit einem reichlich unangetanen Tonfall. Ich sah ihn mit großen erschrockenen Augen an. Undertaker schaute mir unbegeistert und ohne ein Grinsen entgegen, als er mich kurz musterte: „Wenn du schon meinst mich belügen zu müssen, solltest du dabei nicht so unsagbar falsch lächeln.“ Besagtes Lächeln brach auf meinem Gesicht augenblicklich in sich zusammen und Undertaker fuhr fort: „Dieses Lächeln ist nicht nur furchtbar anzusehen, es enttarnt dich auch sofort.“ Ich ließ den Kopf wieder hängen und fühlte mich wie das dümmste Mädchen dieser Welt. Ich war vollends niedergeschlagen. Ich hörte Undertaker seufzen. Dann sah ich aus meiner hängenden Position wie er die Spitze eines Fußes in das Bügeleisenkabel wickelte und es mit einem kleinen Ruck aus der Steckdose zog. Mit einem blechernen Geräusch hörte ich, wie er es auf dem Bügelbrett abstellte. Auch hörte ich ein paar Füße das Wohnzimmer verlassen und durch die Haustüre gehen. Danach justierte Undertaker seinen Griff an mir und stellte mich wieder auf die Füße. Ich blieb mit hängenden Kopf und die Hand um meinen verbrannten Arm gekrampft stehen. Die Stelle pochte und brannte unter meinen überspannten Fingern. Es tat weh, doch ich wollte auf keinen Fall, dass er es sah. „Zeig her“, hörte ich seine milde tiefe Stimme ohne Lachen oder Kichern darin. Ich tat einen Schritt zurück und schüttelte meinen hängenden Kopf: „Es gibt nichts zu zeigen. Ich habe mir wirklich nichts getan. Danke für‘s Auffangen...“ „Wenn du dir nichts getan hast, dann nehme deine Hand herunter.“ „Wa-warum?“ „Na, wenn du doch nichts zu verstecken hast.“ ‚Mist!‘, ich wusste nicht was ich tun sollte. Wenn Undertaker mitbekam, dass ich mich nicht nur fast auf die Nase gelegt, sondern auch noch an einem voll aufgeheizten Bügeleisen verbrannt hatte, sah ich doch nur wieder wie der letzte Trottel aus, der es schaffte sich bei den banalsten hauswirtschaftlichen Tätigkeiten fast umzubringen. Ich schüttelte abermals den Kopf: „Ich verstecke nichts.“ Als ich ein weiteres Seufzen hörte, griff eine kalte Hand das Handgelenk meines lädierten Arms und zog ihn hoch. Doch ich hielt meine Hand weiter an der verbrannten Stelle. „Herrje, nun zeig schon“, mit diesen Worten nahm er meine Hand mit seiner Zweiten und zog sie von meinem Arm. Die handgroße verbrannte Stelle leuchtete rot und fing mittig schon an Blasen zu werfen. Ich hob nur meine Augen, als ich Undertakers Blick auf mir spürte. Durch einen Spalt in seinem Pony leuchtete mir eines seiner Augen einerseits besorgt und andererseits etwas verdrießlich entgegen: „Nichts getan, ja?“ Ich ließ meine Augen wieder nach unten fallen und wollte meinen Arm zu mir ziehen: „Das ist… nicht der Rede wert...“ Doch als ich meinen Arm nach hinten zog, zog Undertaker ihn auf einmal nach vorne. Er führte mich aus dem Wohnzimmer hinaus ins Badezimmer. Dort hielt er meinen verbrannten Arm unter den Wasserhahn des Waschbeckens und ließ das kalte Wasser an. Es war ein wohliges Gefühl, als das kalte Wasser über meine verbrannte Haut lief und ließ mich seicht seufzen. „Warum belügst du mich?“ Seine Frage ließ meinen Kopf zu ihm fahren. Er schaute mich weiter durch den schmalen Spalt in seinen Haaren an, durch den ich nur die Mitte seiner unfassbar grünen Iris sehen konnte. Die Iris, die so komisch matt wirkte und ich meinte nun noch etwas mehr als vorher. Meine Augen fielen wieder nach unten: „Es ist doch nichts schlimmes passiert. Ich habe mich nur ein bisschen verbrannt...“ „Nur ein bisschen verbrannt? Sky, ich bin wahrlich nicht der geborene Hausmann. Nicht im Entferntesten. Aber ich weiß wie heiß ein Bügeleisen wird. Das muss doch schmerzen.“ Ich neigte meinen Kopf, als mich eine Art von Hilflosigkeit ergriff: „Ach was. So schlimm wird es schon nicht sein und so weh tut es auch gar nicht...“ „Du belügst mich. Abermals. Warum?“ „Weil...“, ich brach ab. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe. „Weil?“ „Weil ich dachte… es sei nicht so schlimm...“ „Du musst doch Schmerzen haben.“ Ich schaute ihn wieder an. Entschlossen. Er dachte ich sei aus Papier? Dem war nicht so und es war an der Zeit es endlich klar zu stellen. Ich wollte nicht mehr nur jammern. Ich hatte genug gejammert. Ich hatte ihm Sonntag und an so vielen anderen Tagen lange genug voll gejammert. Damit war jetzt Schluss: „Vielleicht bin ich auch einfach nicht so empfindlich wie du denkst.“ Undertaker schaute mich eine kurze Weile an. Dann schlug er sein nur halb sichtbares Auge zu und schnaubte kurz. Dieses Schnauben klang komisch. Zu schwer für ihn. Nicht belustigt. Er schaute mich wieder an. In dem Moment öffnete sich die Haustüre. Undertaker wandte sich um. Amy erschien mit erhobenen Erste-Hilfe-Kasten in der Badezimmertüre: „Hab ihn!“ „Wunderbar!“, erschien Undertakers altbekanntes Grinsen mit einem Mal wieder auf seinem Gesicht. So plötzlich, dass es seltsam war. Seit er mich beim Lügen erwischt hatte, war sein Grinsen verschwunden gewesen. Doch Undertaker stellte weiter grinsend das Wasser wieder ab, zog mich an meinem lädierten Arm mit sich und griff sich im Vorübergehen den Erste-Hilfe-Kasten von Amy. Wieder in der Stube angekommen drückte er mich an der Schulter auf das Polster der 2er Couch und setzte sich neben mich. Ohne große Eile klappte er den kleinen roten Koffer auf, klaubte eine Tube mit Brandsalbe, ein Wundpad, einen Verband und eine Schere heraus, legte alles in seinem Schoß ab und kleckste etwas von der Salbe auf zwei seiner Fingerkuppen. Dann ließ er auch die Tube einfach in seinen Schoß fallen und griff sich wieder mein Handgelenk. Behutsam und mit diesem so plötzlich wieder erschienenen Grinsen auf den schmalen Lippen strich er die Salbe auf die geschundene Stelle: „Ni hi hi hi. Du bist ein kleiner Unglücksrabe.“ Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Ich wollte nicht, dass er so von mir dachte. Er klang zwar auf seine ganz eigene Art ehrlich mitleidig, doch schmeckte es nur allzu bitter. Ich wollte kein Mitleid. Ich wollte, dass kein Mitleid mehr nötig war. Vielleicht… Vielleicht dann...: „Vielleicht, aber ich deichsel das schon.“ „Ehehehe! Aber mit Sicherheit.“ Mein Kopf zuckte zu ihm hoch: „Bitte?“ Er blickte nur ganz kurz zurück, legte dann das Wundpad auf die eingeriebenen Stelle und begann den Verband herum zu wickeln: „Mit Sicherheit deichselst du das. Hi hi hi hi. Ich würde nichts anderes von dir erwarten.“ „Wa-wa-wa-wie bitte?“ Undertaker schnitt den Verband ab und das Ende ein ganzen Stück ein: „Na, ich zweifle nicht im Mindesten daran.“ „Warum… betonst du mein Pech dann immer so?“ „Fu fu fu“, er schlang ein Teil der eingeschnittenen Mullbinde ein weiteres Mal um meinen Arm und begann dann die beiden Teile zu verknoten: „Na, weil es faszinierend ist wie viel Pech ein Mensch haben und es trotzdem immer wieder zum größten Teil unbeschadet überstehen kann.“ Mein Kopf wurde warm. Ich wusste nicht genau was es jetzt auslöste: „Wie… meinst du das…?“ Undertaker räumte kurz alles wieder in den kleinen Kasten und schaute mir dann durch den kleinen Spalt in die Augen: „Ich meine, dass du...“, er stockte. Kurz sackten seine Mundwinkel ab, doch zuckten sie sofort wieder nach oben: „Ein faszinierend einzigartiges Glück im Unglück hast.“ Undertaker stand auf. „Warte!“, ohne nachzudenken griff ich seine Hand. Von meiner sitzenden Position konnte ich ihm wieder von unten ins Gesicht schauen und seine Augen sehen. Er grinste, doch ich hatte das Gefühl es erreichte seine Augen nicht. Undertaker schaute auf unsere Hände. Eine kurze Weile herrschte eine schwere und kaum definierbare Stille zwischen uns. Kurz sah Undertaker nach unten und dann wieder in mein Gesicht. Er zog seine Hand aus meiner. Behutsam, aber bestimmt: : „Ni hi hi. Ich sollte jetzt gehen.“ Diese Worte erschreckten mich. Sie erschreckten mich, weil ich sie nicht hören wollte und weil sie so ernst klangen obwohl sie begleitet von einem Giggeln aus seinen grinsenden Lippen kamen. Mein Herz zog sich so schmerzhaft zusammen, dass ich nicht mehr atmen konnte. Es surrte in meiner Seele. Als er seine Hand aus meiner gezogen hatte und sagte er ginge jetzt, war irgendetwas schmerzhaft in mir zusammengebrochen und begrub alles in mir drin in einer Wolke giftigen Staubs. Ich schaute in sein Gesicht. Ich suchte etwas darin, dass mir sagte er habe die Hand nicht weggezogen, weil er nicht mehr von mir berührt werden wollte. Seine Augen wirkten weiter so dunkel und ich wusste nicht was sie mir sagen wollten. Denn es war dieser verschlossene Ausdruck, der zwar klar merken ließ, dass etwas nicht stimmte, doch nicht mehr verriet was. Undertaker drehte sich ab und ging mit einem letzten Winken Richtung Fenster: „Nun denn, meine Damen. Ich wünsche einen angenehmen Abend. Kihihi! Und vergesst ja nicht: Wenn irgendetwas Seltsames geschieht ruft mich an.“ „Klar“, hörte ich Amy aus dem Türrahmen. Mit einem kleinen Luftstoß war der Bestatter auch schon verschwunden. Kurz schauten Amy und ich einander schweigend an. Dann vergrub ich mein Gesicht in den Händen. „Sky?“, ruckelte kurz die Couch, als sich Amy neben mich setzte. Ich schaute zu ihr hoch: “Hm?“ Amy seufzte: „Es geht dir nicht gut, richtig?“ Ich drehte meinen Kopf weg: „Es ist alles ok...“ „Es ist ‘nen Scheißdreck ok.“ Ich wandte mich wieder zu Amber: „Ich sagte doch, es ist alles ok. Ich habe nur seit Tagen schlecht geschlafen und bin kaputt.“ „Du belügst mich.“ ‚Nicht sie auch noch...‘, meine Stimme wurde ungewöhnlich scharf und die Aussage, ich würde Lügen, reizte mich ungemein: „Warum denkst du das?“ Amy schüttelte den Kopf: „Sky, ich bin doch nicht blind.“ „Jetzt sag‘ doch endlich worauf du hinauswillst und fasel nicht um den heißen Brei herum!“ Amy seufzte angestrengt: „Du meinst abgesehen davon, dass du so gereizt bist? Gut, ich rede Klartext und dafür brauche ich nur ein Wort. Ich habe mir das jetzt lange genug angesehen.“ Ich neigte meinen Kopf und deutete mit einem Handwedeln, dass Amy weitersprechen sollte. Ein paar Sekunden schaute sie mir bedeutungsschwer in die Augen. Als sie ihren Mund öffnete, wünschte ich mir sofort sie hätte ihn gehalten: „Undertaker.“ Dieser Name traf mich wie ein Schlag. Ich drehte sofort meinen Kopf weg: „Oh nein! Nein, nein, nein! Vergiss‘ es, Amy!“ Durch das hastige Abdrehen stob ein weiterer Schwall Schwindel auf. Ich rieb mir die grellen Flecken aus den Augen. Eine Hand erschien an meiner Schulter: „Ich vergess‘ hier gar nichts! Ich rede Klartext und du auch, klar?!“ Ich schob ihre Hand von meiner Schulter und schaute zu ihr, immer noch halb mit dem Taumel ringend: „Was willst du von mir?!“ „Dass du redest“, Amber schaute mir fest in die Augen: „Rede jetzt mit mir.“ „Ich will nicht darüber reden!“ „Tust du aber!“ „Nein!“ „Undertaker!“ Ein schmerzhafter Blitz zuckte durch mein Inneres: „Hör‘ auf, Amy!“ „Undertaker!“ Ein weiterer Blitz: „Kannst du das endlich mal lassen?!“ „Undertaker!“ „Amber!“, ich war laut geworden. Dass ich laut wurde war so selten wie das Amen in der Kirche gängig war, doch Amy hatte es geschafft. Dieser Name... im Moment war er die reinste Folter: „Hör‘ endlich auf damit!“ Die Phantomhive schüttelte den Kopf: „Nein. Nein, das tue ich nicht. Rede mit mir.“ Ich schaute zur Seite: „Ich will darüber nicht reden...“ „Du musst. Alleine erträgst du das nicht.“ Nun schaute ich Amy wieder an: „Was?“ „Den Liebeskummer.“ Wieder versetzte mir Amy mit chirurgischer Präzession einen mentalen Tritt genau in meine Magengrube. Augenblicklich drehte ich mich wieder ab: „Äh-äh! Knick‘ es, Amy!“ Und wieder erschien die Hand der Phantomhive an meiner Schulter: „Ich knicke hier gar nichts, klar?“ „Oh doch!“ „Oh nein!“ „Amber!“ „Skyler!“ Ich rollte kopfschüttelnd mit den Augen: „Und da wären wir...“ „Und wir bleiben hier bis du redest.“ „Wir müssen gleich los.“ „Nebensächlich!“ „Bist du bescheuert?!“ Amber schaute mich immer noch eindringlich an: „Besorgt, nicht bescheuert.“ Ich hatte keine Lust mehr. Ich hatte weder Lust über Undertaker zu reden, noch auf dieses ätzende Hin und Her. Doch ich wusste, dass Amy nicht locker lassen würde: „Herrgott, was willst du?“ „Du hast dich in ihn verliebt, oder?“ Mein Herz stockte kurz. Auch wenn ich mir schon gedacht hatte, dass Amy mich durchschaut hatte war es etwas ganz anderes, wenn sie es laut aussprach. Nachdem ich sie einige Momente angestarrt hatte, fielen meine Augen nach unten. Ich wusste nicht, ob ich mit Amy darüber sprechen konnte. Undertaker war schließlich ihr Patenonkel. Amy war mit ihm aufgewachsen. Er war für sie wie ein Verwandter. Ein Onkel. ‚Familie...‘ Was für eine kranke Konstellation war das denn bitte? Doch wenn ich nicht mit ihr sprechen konnte... mit wem dann? Sollte ich überhaupt? War Reden oder Schweigen Gold? Denn eigentlich… waren meine Gefühle für ihn auf so viele Art und Weisen einfach nur bescheuert. Undertaker war einfach viel zu unikal um sich an jemandem wie mir zu verschwenden. Und generell was wollte so jemand wie er, denn mit so jemandem wie mir? Auch war Undertaker nicht nur Amys Patenonkel. Er war noch nicht mal ein Mensch, sondern ein ca. 200.000 Jahre alter Sensenmann, der Menschen nicht wirklich schätzte. Sicherlich würde er nie irgendeines meiner Gefühle erwidern. Das war alles einfach verrückt. Das passte alles einfach nicht. Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich krallte meine Finger in meine Jogginghose. „Ja oder nein?“, fragte Amy, als ich eine Zeit lang nicht geantwortet hatte. Ich schüttelte meinen hängenden Kopf. „Sky, nur weil Undertaker mein Patenonkel ist heißt das nicht, dass du mit mir nicht darüber reden kannst.“ Ich schaute Amy an: „Aber...“ Nun schüttelte Amy den Kopf und wischte mir sachte die Tränen aus den Augen: „Nichts aber. Wegen mir musst du dich nicht zurückhalten.“ Ich schaute ihr leidend entgegen: „Wie… wie meinst du das?“ Die Phantomhive lächelte milde: „Ich hätte da nichts gegen. Es ist ein bisschen crazy, ja, aber in meiner Welt ist eh nichts normal. Dann sollen die Leute darin doch bitte wenigstens mit all diesen Abnormalitäten glücklich sein, damit es sich auch lohnt. Was du ganz offensichtlich nicht bist.“ Meine Augenlider flatterten: „Aber… du...“ „Nichts aber und nichts du. Sowohl Undertaker, als auch du habt endlich mal ein Stück vom Regenbogen verdient und wenn ihr halt das Stück vom Regenbogen für den jeweils anderen wärt, dann wäre das so! Dann bin ich die Letzte, die dazwischen springt, klar? Was hätte ich auch davon, außer eine todunglückliche beste Freundin? Nichts. Ich habe davon einfach nichts, außer dich stumm noch mehr leiden zu sehen. Ich will dich nicht leiden sehen“, Amy schüttelte resigniert den Kopf. Danach nahm sie mein Gesicht in beide Hände: „Du leidest schon so stumm so viel wegen deiner beknackten Eltern. Immer noch. Und wenn zwischen dir und Undertaker was passieren sollte, wäre das schlecht für mich? Nein, wäre es nicht. Für mich würde sich nichts ändern. Du bist meine beste Freundin. Nein. Sky, du bist meine Schwester und ich weiß, dass kein Mann der Welt etwas daran ändern kann. Weder an deiner noch an meiner Seite. Und Undertaker bleibt immer der Patenonkel, der mit mir in Särgen verstecken gespielt hat und daran wird keine Frau etwas ändern. Ich habe nichts zu verlieren, doch du eine ganze Menge. Also, hast du?“ Ich schaute wieder auf meine Knie. In meinem Hals saß ein riesiger Kloß, doch ich nickte. „Ich höre die Englein singen!“, mein Kopf zuckte wieder zu der Phantomhive. Sie hatte ihre Arme ausgebreitet und den Kopf nach hinten fallen lassen: „Endlich! Süßer der Groschen nie klingelt!“ Ich zog meine Augen zusammen: „Was… genau ist jetzt bei dir los?“ Amy legte grinsend eine Hand vor den Mund, als sie mich wieder anschaute: „Na, du hast dir ja lang genug selbst auf den Füßen gestanden. Wie üblich.“ Meine Augen wurden schmaler: „Wie meinst du das?“ Amys Kopf fiel zur Seite: „Echt jetzt? Dass ich schon lange weiß was Phase ist, natürlich!“ Mir klappte der Kiefer auf: „Wa-wa-woher?!“ Amy kicherte: „Also: Als erstes bin ich darüber gestolpert, dass du dich entschieden hast deine Ferien in einem verschrobenen Bestattungsunternehmen zu verbringen. Da wurde ich hellhörig. Dann erinnere ich mich noch sehr genau wo meine beste Freundin war, als ich an Halloween von einer Dessertleiche attackiert wurde. Nicht nur in einem Sarg, nein nein, sondern in kuschelnder Zweisamkeit mit einem gewissen Bestatter.“ Ich merkte Hitze in meinen Kopf steigen, doch Amy führte ihre Gedanken fast schon genüsslich weiter aus: „Als du allerdings Frank einmal quer übers Maul gefahren bist, weil er Undertaker beleidigt hat, war die Sache klar.“ Schweigend und rot leuchtend starrte ich Amy an. Sie grinste breit: „Ihr seid so knuffig zusammen.“ Mein Gesicht wurde immer wärmer. Dann seufzte die Phantomhive: „Nur im Moment nicht… Sky? Wie geht es dir? Sei ehrlich.“ Ich schüttelte den Kopf: „Nicht so gut...“ „Warum?“ „Ist das nicht offensichtlich?“ „Klar, doch ich will, dass du es aussprichst.“ Erschöpft rieb ich mir durch die Augen. Ich fühlte mich so ausgezehrt, körperlich und auch mental: „Ich… bin weggerannt und nun… ja… benimmt sich Undertaker so komisch. Außerdem hab ich dir ja schon erzählt, dass er der Meinung ist ich sollte meine Zeit nicht mehr mit ihm verbringen...“ „Denkst du er ist beleidigt?“ Ich zuckte mit den Schultern und blinzelte zu Amy hoch: „Keine Ahnung. Es hat bei ihm auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlassen… und es war kein guter...“ Amy verschränkte Arme und Beine und ließ sich in die Polster fallen: „Na ja, so oder so. Was er meint, kann er knicken.“ Ich hob meinen Kopf wieder: „Inwiefern?“ „Er schaut doch jetzt täglich bei uns vorbei um sicher zu gehen, dass wir kein Zombiefutter werden“, sie schaute kurz an die Decke: „Was tatsächlich ein bisschen paradox ist… Aber egal! Er muss mit dir zu tun haben, wenn er sich erkundigen muss ob du wohlauf bist. Von daher muss er mit dir und du so auch mit ihm Zeit verbringen. Ob er will oder nicht.“ Ich schaute wieder zur Seite: „Gezwungenes Zusammensein ist doch nicht dasselbe...“ „Stimmt“, die Phantomhive hob zwei Finger: „Zwei Dinge, die du jetzt an den Tag legen musst um es zu ändern, sind Initiative und Beharrlichkeit!“ „Wie… wie genau meinst du das?“ „Nun, wenn er sich von dir abwenden will, dann lass‘ ihn einfach nicht. Ergib dich nicht immer sofort und sei nicht so auf den Mund gefallen. Es ist an dir ihm zu zeigen, dass du nicht weggelaufen bist, weil er dir nicht wichtig sei. Zeig‘ Undertaker, dass du es mit ihm aufnehmen kannst und schwache, sofort kapitulierende Püppchen können das nicht. Jemand wie Undertaker kann mit ihnen nichts anfangen. Sei stark! Gib‘ ein bisschen Gas und zeig ihm, dass dir der Kontakt zu ihm wichtig ist. Von heute auf morgen wird das allerdings nichts. Deshalb, Initiative und Beharrlichkeit. Es ist deine Aufgabe das Bild zu korrigieren, was du ihm gezeichnet hast. Das Leben ist eine Leinwand und du bist eine Künstlerin! Also, wenn Undertaker meint dieses schwarze Bild weiter malen zu müssen, dann malst du jetzt mit rosa drüber!“ Ich schaute die Phantomhive einige Wimpernschläge lang an. Was sie sagte ratterte durch meinen Kopf. Schwach… Püppchen…. Bei diesen Worten klingelte etwas hinten in meinem Kopf. Dann fiel es mir ein. Mir fiel ein, was Ronald und Undertaker vor einigen Tagen in Othellos Untersuchungszimmer gesprochen hatten: ‚Das ist ein Kompliment. Mit Püppchen und Ladys können wir auf Dauer nicht viel anfangen.‘ ‚Nihihihi! Wie wahr. Zu schwach! Zu zerbrechlich!‘ „Aber...“, begann ich von dieser Erinnerung nur noch mehr verunsichert. Entfernte sich Undertaker von mir, weil ich zu schwach war? Ein Püppchen und zu zerbrechlich? Meine Augen fielen nach unten. Wahrscheinlich war es so. Ich hatte was er mir offenbarte nicht standgehalten. Ich war weggerannt. Ich war zu unzulänglich, zu schwach und zu fragil. Jemand, der die Wahrheit nicht aushielt, erntete von so einem Grund auf ehrlichen Wesen, wie Undertaker es war, sicher nichts anderes als Missgunst: „So... einfach ist das doch nicht… Ich kann ihn doch nicht zwingen… Oder eher mich ihm aufzwingen...“ „Oh doch! Genau so einfach ist das. Ich rede nicht davon, dass du ihm ständig einfach nur Nonsens blubbernd hinterher rennen sollst. Sei kreativ, außergewöhnlich und süß!“, Amy lächelte mir zwinkernd zu: „Undertaker hat nämlich eine Schwäche für süße Sachen, vor allem wenn sie unerwartet sind. Da du das alles bist, sehe ich da gar keine Probleme. Natürlich kann ich dir nicht versprechen, dass es funktioniert, doch ein Versuch ist es wert.“ Nach ein paar Augenblicken hob ich nur meine Augen zu meiner besten Freundin: „Aber… Was ist, wenn er mich einfach nicht mehr mag? Wenn ich einfach nicht zu ihm passe? Wenn er schon der Meinung ist ich sei ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen? Ich meine… als er mir die Wahrheit sagte, bin ich gelaufen. Ich hab sie nicht ertragen und sofort Angst bekommen… Das ist doch… was ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen tut...“ „Dann wirst du es merken.“ „Ganz toll...“ Amy zuckte mit den Schultern: „Ich glaube nicht, dass er so von dir denkt.“ „Glauben ist nicht wissen.“ „Das ist der Punkt. Doch wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ „Ich bin ein Loser, Amy...“ „Ach!“, Amber warf die Hände nach oben: „Du bist kein Loser. Kopf hoch und kämpfen, Sky! Er hat ein falsches Bild von dir und deiner Meinung von ihm. Korrigiere es!“ „Denkst du… ich kann das?“ „Klar“, Amy legte ihren Kopf zur Seite: „Sky, jeder hätte sich erschreckt wenn er solche Dinge hört. Selbst meine Familie schluckt jedes mal drei Mal, wenn sie es erfährt und die hat seit ein paar Generationen einen Pakt mit einem verdammten Dämon. Doch du bist weg gerannt. Du hast ihm ein falsches Bild darüber vermittelt, was für einen Stellenwert seine Gesellschaft für dich hat. Von ihm kannst du den ersten Schritt nicht erwarten. Du kannst auch nicht darauf hoffen, dass irgendein Wunder passiert. Wenn du dich gegen seine Interpretationen nicht wehrst signalisierst du ihm, dass sie richtig seien. So würdest du ihm zeigen, dass sich deine Meinung aufgrund dessen, was du erfahren hast so stark verändert hat, dass du ihn nicht mehr bei dir haben willst. Wenn du jetzt stark und beharrlich bleibst, kannst du ihm zeigen, dass es wirklich nur der Schreck war und du stark und er dir wichtig genug ist, um mit dem zu leben, was er vor 126 Jahren alles getan hat. Andere Optionen hast du nicht. Wenn du alles einfach laufen lässt, zieht Undertaker sein Ding durch und dann ist er weg, das verspreche ich dir. Wenn du ihn haben willst, dann tu‘ auch was dafür. Von nichts kommt nichts. Reiß dich zusammen und mach was! Versuch‘ es wenigstens! Wenn es nicht funktioniert, kannst du dir zumindest nicht vorwerfen es nicht versucht zu haben. Du wirst es hinterher bitterlich bereuen, wenn du es nichts wenigstens probierst.“ Ich schaute Amy an und schwieg. Ich schwieg eine ganze Zeit, während alles was die Phantomhive gesagt hatte in meinem Kopf rauf und runter lief. Sie hatte Recht. Ich war mir ganz sicher, dass sie Recht hatte. Ich würde es bereuen, es nicht versucht zu haben. Ich wollte nicht, dass Undertaker mich für schwach und erbärmlich hielt. Darüber hinaus hatte Undertaker mir so oft geholfen, dass ich es ihm einfach schuldig war klar zustellen, dass ich nicht schlecht über ihn dachte. Amy wirkte so zuversichtlich und irgendwie gab mir diese Zuversicht ein motivierendes Gefühl. Ich wollte bei Undertaker sein. Ich wollte, dass alles wieder so wurde wie es vorher gewesen war. So, oder besser. Amy lag auch damit richtig, dass es an mir war dafür zu sorgen, dass alles wieder in Ordnung kam. Ich wollte, dass es wieder in Ordnung kam, denn Undertaker war mir so unfassbar wichtig geworden. Also musste ich etwas dafür tun! Ich hatte lange genug geheult und gejammert. Damit ist jetzt endgültig Schluss! Kurz rekapitulierte ich alles, was Amy mir gesagt hatte. An dem Wort ‚Süß‘ hingen sich meine Gedanken kurz auf. „Du hast recht“, ein dünnes Lächeln erschien auf meinen Lippen, als ich endlich mit meinen Gedanken nach all dem fruchtlosen Denken auf einen annähernd grünen Zweig gekommen war: „Ich muss etwas tun und ich hab auch schon eine Idee.“ Amys Lächeln wurde breiter: „Ich liebe es, wenn du deinen Kampfgeist auspackst!“, dann schwang sie sich auf die Füße: „Wenn er Morgen vorbei schaut, will ich Aktionen sehen, meine Süße. Ansonsten bring ich sie!“ „Oh nein!“, ich zog Amy an ihrem Top mit der Nase zu mir: „Halt deine aristokratischen Finger daraus, oder ich beiß‘ sie dir ab!“ „Hey! Warum? Ich will dir helfen!“ „Wilson!“ „Ach das“, Amy befreite sich und verschränkte die Arme: „Das ist doch jetzt auch schon wieder zwei Jahre her. Ich habe meine Taktiken perfektioniert! Wie hieß der noch mal mit Vornamen? David?“ Ich zog eine dunkle Schnute: „Daniel… Und verziehen habe ich dir das alles noch lange nicht! Was du perfektioniert hast ist mir vollkommen egal! Du bist ein ganz schlechter Aushilfs-Cupido!“ „Ja, ich gebe ja zu, dich in dieselbe Sauna wie ihn zu stecken war keine ganz so gute Idee.“ „Nicht ganz so gut?!“ „Ok, ok“, die Phantomhive stemmte ihre Hände in die Hüften: „Es war gar keine gute Idee.“ „Ich schwöre dir“, bedrohlich zeigte ich mit meinem Zeigefinger auf sie: „Wenn du deine Finger nicht daraus hältst und vor Undertaker mein Seelenleben ausbreitest, fahre ich sofort ins East End und reibe Lee lauwarm unter die Nase, was du von ihm hältst!“ „Was?!“, Amy schaute mich mit riesigen Augen an und wurde knallrot: „Wie meinst du das?!“ ‚Erwischt!‘, ich ergriff meine Chance: „Du bist in Lee verknallt. Über beide Ohren.“ Amys Augen wurden noch größer: „Was?! Wie kommst du denn auf sowas?!“ „Groß, nonchalant, sportlich, humorvoll, loyal. Lee passt perfekt auf deinen Männergeschmack. Nein, anders. So lange wie du Lee schon kennst ist Lee wahrscheinlich dein Männergeschmack. Außerdem schreibst du seit Halloween nonstop mit ihm. Denke nicht ich bekomme sowas nicht mit.“ Kurz schien die Phantomhive nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Dann ließ sie seufzend die Schultern hängen und begann zu lachen: „Du machst dich.“ „Wie?“ „Wir haben uns Beide zu gleichen Teilen in der Hand und du hast es zum ersten Mal in 4 Jahren Freundschaft genutzt.“ Ich schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an: „Wie auch immer. Versprech‘ es!“ „Aber...“, Amy seufzte tiefer: „Ist ja gut, ist ja gut. Ich halte mich daraus.“ „Nie wird auch nur ein Wort von dem was du heute erfahren hast deine Lippe verlassen! Gegenüber niemanden!“ „Is‘ ok...“ „Versprech‘ es!“ „Ist ja gut! Ich verspreche es. Aber du auch!“ „Gut. Ich verspreche es.“ Die Phantomhive lächelte wieder: „Du packst das. Das heute war Pech. Das ist halt blöd gelaufen, doch das nächste Mal wird besser. Ganz sicher.“ „Ich habe immer Pech, Amy...“ „Jetzt werf‘ nicht vor dem ersten Versuch wieder die Flinte ins Korn. Beharrlichkeit, schon vergessen? Er hat dich wenigstens nicht einfach auf den Boden klatschen lassen wie ein Sack Reis. Das ist doch schon mal was, oder?“ „Wooooooow...“, machte ich gedehnt: „Ganz toll. Du siehst das Problem nicht. Er musste mich davor bewahren von einem Bügeleisen erschlagen zu werden und trotzdem habe ich es noch geschafft mich zu verbrennen. Das ist ‘ne Glanzleistung! Vielleicht verleiht er mir dafür ja die goldene Himbeere!“ „Na ja. Wenigstens war das Bügeleisen im Vergleich zu einem ausgewachsenen Leviathan doch ein recht einfacher Gegner.“ „Amy“, ich stand auf und schaute sie an: „Halt‘ einfach den Schnabel.“ „Ich will nicht, dass du jetzt wieder so denkst!“ Ich seufzte: „Aber...“ „Was er am Ende gesagt hat war doch gut. Er denkt gar nicht du seist schwach. Im Gegenteil. Er weiß, dass du eigentlich alleine klar kommst.“ Ich legte den Kopf schief: „Denkst du?“ „Sky, er hat es gesagt.“ „Vielleicht meinte er das nicht so...“ „Er meint immer was er sagt.“ „Aber er ist auch gerne mal verwirrend und kryptisch...“ „Stimmt, aber in der Aussage ‚ich zweifle nicht im Mindesten daran‘ ist kein Platz für Irreführung und kryptische Doppeldeutung.“ „Denkst du?“ Amy schaute an die Decke und hob die Hände: „Er hat es doch gesagt! Genauso“, sie schaute mich wieder an: „Außerdem hat er dir den Arm verbunden. Nicht ich, nicht du selbst. Er kam gar nicht auf den Gedanken es sollte ein Anderer machen. Aufgefallen?“ Ich atmete einmal durch: „Grell hat er auch verbunden...“ „Sky“, Amys Stimme klang reichlich verständnislos: „Grell ist einer seiner besten Freunde.“ Ich blinzelte Amy an: „Ehrlich? Grell würgt ihn doch immer.“ „Undertaker findet sowas lustig. Ansonsten wäre Grell schon lange in einem Loch verschwunden. Six feed under, wenn du verstehst.“ Unschlüssig faltete ich die Finger: „Aber den Koffer hast du geholt...“ „Weil er mir gedeutet hat es zu tun.“ „Echt?“ „Echt.“ „Ehrlich?“ „Ja.“ „Aber“, mein Blick fiel zur Seite: „Wieso?“ Amy neigte kurz überlegend den Kopf hin und her: „Wahrscheinlich, weil er dich nicht alleine lassen, aber deine Brandwunde versorgen wollte. Vielleicht… weckst du in ihm eine Art Beschützerinstinkt.“ Mein Kopf wurde schlagartig wärmer. Mit verschränkten Armen wandte ich meinen Blick und meinen hochroten Kopf weiter ab. Das Wort ‚Beschützerinstinkt‘ hatte in diesem ganzen Kontext einen komischen Touch, der mir nicht recht schmecken wollte, auch wenn ich mir überhaupt nicht sicher war wie es überhaupt schmeckte: „Amy… Er ist ein Sensenmann.“ „Ja, und?“ „Wäre es nicht für einen Sensenmann ein wenig untypisch, wenn nicht sogar hinderlich, irgendwelche“, ich malte mit meinen Fingern Gänsefüßchen in die Luft, da mit dieses Wort immer noch nicht gefiel: „‘Beschützerinstinkte‘ gegenüber Menschen zu entwickeln?“ „Klar, in der Theorie ist das so. In der Praxis kommt nicht mal William so 100% dagegen an was man ja daran gesehen hat, dass er Undertaker zu uns geschickt hat, als uns Oliver und Co. gehascht haben. Es sind halt trotz allem immer noch empfindungsfähige Wesen.“ Ich seufzte: „Wie auch immer. In irgendjemanden ‚Beschützerinstinkte‘ zu wecken ist nicht gerade ein Loblied an meine Person.“ „A hat doch nichts mit B zu tun.“ „Klar! Wenn man jemand das Gefühl gibt beschützt werden zu müssen, dann ist man klein, schwach und ziemlich erbärmlich.“ „Ja, bist du denn bescheuert?!“, Amy warf ihre Hände nach vorne: „Es ist gut, dass du es tust!“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Gegenfrage: Bist du bescheuert? Was soll daran denn gut sein?“ „Das liegt doch auf der Hand!“ „Äh… nein?“ „Noah, Sky!“, Amy schaute kurz an die Decke und dann wieder in mein Gesicht: „Man entwickelt nur für Leute Beschützerinstinkte, die man mag!“ Ich blinzelte sie an: „Wie… wie meinst du das?“ Amber nahm mich an den Schultern und schüttelte mich: „Dass er dich vor idiotischen Earls, Dämonen, Drachen und Bügeleisen beschützt, weil er dich mag!“ „Aber...“, nachdem ich Amy ein paar Augenblicke ins Gesicht geschaut hatte fielen meine Augen zu Boden: „Ich weiß einfach nicht was ich von dieser Begegnung halten soll… Noch weniger weiß ich was er davon hält...“ Amy seufzte und stemmte die Hände in die Hüften: „Damit hast du allerdings recht.“ „Naja“, ein Seitenblick auf die Wanduhr verriet mir, dass wir los mussten: „Wie und was auch immer, wir müssen zum Sport… Ich habe so selten wenig Lust da drauf...“ Amy und ich schauten uns an. „Ich auch nicht“, seufzte sie: „Aber es hilft alles nichts.“ Keine 10 Minuten später standen wir in der Sporthalle. Unsere Sportlehrerin, Ms Charles, ließ uns durch die Halle laufen, damit wir uns aufwärmten. Ich war schnell außer Atem. Mein Kopf begann sich zu drehen und immer wieder musste ich husten. Ich hatte Seitenstechen. Doch Ms Charles kannte kein Erbarmen und scheuchte mich weiter. Ich hasste Sport. Heute erst recht. Als es an das eigentlich Training ging musste ich dem Sport doch anrechnen, dass er ablenkte. Denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt mich Volleybällen zu erwehren. Meine Aufschläge funktionierten nie. Sie gingen überall hin, doch nie in das gegnerische Feld. Annehmen schaffte ich auch nicht. Ich haute immer daneben. Ich sah mittlerweile doppelt, entschied mich konsequent für den falschen Ball. Doch immer wenn ich mich auf meinen Oberschenkeln abstützte und mich von meinem Taumel erholen wollte, meckerte Charles mich an ich solle weiter spielen und mir gefälligst etwas Mühe geben, es ginge hier ja schließlich um ein Turnier. Auch Amy schlug sich nicht so gut wie sonst, wenn auch besser als ich. Sie war etwas langsamer und unpräziser. Wirkte schneller erschöpft als üblich. So verliefen die nächsten 1 ½ Std. Als es endlich klingelte war mir durch den Schwindel ziemlich übel und meine Gliedmaßen fühlten sich an, als hätte man sie angezündet. Mein erhöhter Puls schickte das Blut fast krachend durch meine Adern und ließ so auch die große verbrannte Stelle schmerzlich pochen. Ich setzte mich auf eine Bank, als die anderen Mädchen unter die Dusche verschwanden. Amy setzte sich neben mich und wir unterhielten uns eine Weile ziemlich müde darüber, dass wir müde seien. Dann ging die Phantomhive irgendwann duschen. Meine Gedanken huschten derweilen weiter durch die Gegend und fanden keine Ruhe. Mir entfuhr ein ermattetes Seufzen. Dann zerriss meine Gedanken ein schriller Schrei. Mein Kopf zuckte hoch: ‚Amy!‘ Als mir klar wurde zu wem der Schrei gehörte vergaß ich meine innere Abhandlung und auch meinen Schwindel und die Kopfschmerzen. Ich rannte in die Umkleide. Die Türe krachte auf und gegen die Wand: „Amy!“ Bevor ich die Szenerie sah, schlug mir schon ein fauliger Geruch entgegen. Amy saß auf einer Bank. Ihre Haare waren nass, sie trug ihre Wechselkleidung und drückte sich gegen die Wand. Mit großen Augen schaute sie auf den vermoderten Zombie, der sich über sie beugte. Als ich durch die Türe polterte, drehte es seinen Kopf zu mir. Ich starrte auf das Vieh. Dann zuckte kurz die Realität und es war im Nichts verschwunden. Ich hatte noch nicht mal geblinzelt, es war einfach… weg! Amy starrte auf die mittlerweile leere Stelle: „War das…?“ Ich nickte perplex: „Ja… Ja, das war es.“ „Das ist… voll ekelhaft...“ „Wo ist es hin?“ Amy und ich musterten uns gegenseitig kurz schweigend. Dann schüttelte sie den Kopf: „Keine Ahnung…“ Nachdem mein Herz wieder eine normale Frequenz erreicht hatte, pfiffen mir plötzlich Kopfschmerzen durch den Kopf. Es fühlte sich an, als habe man mir einen Pfeil durch beide Schläfen geschossen. Schnell setzte ich mich auf die Bank, da ich außer bunten Lichtern nichts mehr sehen konnte und das Gefühl hatte meine Knie gaben nach. „Geht's?“, hörte ich Amy fragen. Ich nickte: „Wird schon. Ich bin einfach nur kaputt… Aber“, ich blinzelte Amy durch mein von Kopfschmerzen verzerrtes Sichtfeld an, welches sich nur langsam beruhigte: „Viel wichtiger ist, was dieses Vieh von uns will.“ „Ich weiß nicht“, Amy legte den Kopf schief: „Doch es scheint uns nur anzugreifen, wenn wir duschen waren.“ „Aber das ist es ja“, ich lehnte mich gegen die Wand: „Es greift uns ja gar nicht an. Sonntag, geschenkt. Da hatten wir das Haus voller übernatürlicher Wesen, doch nun? Wir sind nur 2 Mädchen. Das Vieh ist ganz offensichtlich irgendwie nicht von dieser Welt und wir doch sicher keine Gefahr dafür.“ „Es sei denn“, Amy zog ihr Handy aus der Hosentasche und tippte auf dem Display herum: „Es kann gar nicht kämpfen.“ „Inwiefern?“ „Gefährlich ist nicht immer gleich brutal“, sie hielt ihr Telefon an ihr Ohr: „Ein Wesen muss nicht kämpfen können um bedrohlich zu sein. Vor allen Dingen nicht in meiner Welt, die mittlerweile auch deine ist.“ Ich blinzelte Amy kurz an: „Mei… meine?“ „Klar“, Amy lächelte mir entgegen, dann zuckte ihr Kopf hoch, als wohl auf der anderen Seite abgehoben wurde: „Heeeey Onkelchen! Na, wie geht‘s?“ ‚Undertaker...‘, es war klar gewesen, dass Amy ihn anrief. Er hatte es schließlich verlangt und Amy schien keinen Wiederholungsbedarf für eine Standpauke zuhaben. Wahrscheinlich da nicht gesagt war, wie viel Güte und Verschwiegenheit Undertaker für kopflose Aktionen unsererseits noch übrig hatte. Das Letzte was Amy wollte war ein Report bei ihrem Vater. Während Amy telefonierte beruhigte sich mein Sichtfeld. Doch gut ging es mir nicht. Ich war so geschafft. Auch dass ich wusste, dass Amy mit dem Totengräber sprach verursachte ein komisches, fast schmerzliches Gefühl in meiner Brust. Ich war froh nur ihre Stimme hören zu können: „Oh, wohin denn? Beerdigung?… Ja, ja klar. Aber wenn du unterwegs bist, wie sollen wir dich dann eigentlich erreichen? Du hast ja kein Handy… Und die Antwort?… Himmel, warum auch immer... Die sind schon praktisch… Warum wohl? Wir hatten Besuch!… Nein, es geht uns gut. Kein Kratzer, kein Haar gekrümmt... Ich… Gar nichts! Es hat mich nur angestarrt. Aber ich sage dir, dass Vieh ist ein Fall für dich!… Sporthalle, Umkleide. Ich kam gerade aus der Dusche… Ja, ist uns auch schon aufgefallen, genau wie uns auffiel, dass das Vieh nicht angreift… Keine Ahnung. Wir sind hier allein, es hätte die Gelegenheit gehabt… Alles klar!… Ja, wir passen auf uns auf… Jo, bis dann!“ Amy legte auf und schaute mich an: „Undertaker schaut sich hier gleich um.“ „Nur hier?“ „Er meinte in der Wohnung wäre ihm schon was aufgefallen, wenn dort etwas wäre, was ihm nicht ist.“ Ich schaute zu Boden: „Das Vieh ist ziemlich komisch...“ Amy nickte: „Jup. Willst du auf ihn warten?“ Ich schaute Amy kurz an. Mir war schwindelig und übel. Mein Kopf wummerte, als bearbeitete ihn jemand mit einem Vorschlaghammer: „Ich glaube es macht gerade keinen Sinn, ich bin viel zu platt.“ „Aber du machst jetzt keinen Rückzieher, oder?“ Ich schüttelte kurz den Kopf: „Nein, ich versuche es Morgen nochmal.“ „Siiiicher?“ „Jaha...“ „Gut“, Amy stand auf: „Du willst nicht duschen, tippe ich.“ Ich schüttelte den Kopf. Weder hatte ich Lust nochmal nach der Dusche Besuch zu kriegen, noch weniger hatte ich Lust ein weiteres Mal nach der Dusche Besuch zu kriegen, wenn Undertaker in der Nähe sein könnte. Lange ließ er sicher nicht auf sich warten, es ging schließlich um eine Phantomhive. „Dann los“, Amy griff ihre Tasche und ging Richtung Ausgang. Ich schnappte meine und folgte ihr. Nach ein paar Schritten waren wir aus der Sporthalle. Ich schaute meine beste Freundin an: „Was hast du eigentlich jetzt vor?“ Amy schaute mich an: „Was meinst du?“ „Lee.“ „Asü“, Amy schaute nach vorne: „Keine Ahnung. Der Typ ist voll der Esel.“ „Aber?“ Amy grinste mich an: „Ein ziemlich gutaussehender Esel.“ Ich musste auflachen, trotz des Drucks in meinem Inneren: „Ist das wirklich alles, was dich interessiert?“ „Wenigstens muss es bei mir keine übernatürliche Legende sein.“ „Neeeein“, konterte ich gedehnt: „Nur der inoffizielle König des East Ends, Leiter einer Importfirma, ein talentierter Kung Fu Künstler, einer der größten Drogenbarone Londons und ein Aristokrat des Bösen in einer Person“, ich legte den Kopf schief: „Ist ja nichts.“ Amy wackelte geschlagen mit dem Kopf hin und her und grinste von einem Ohr zum anderen: „Gut, Punkt für dich. Lee ist schon toll. Er hat Humor, Herz und Hirn, ist ein gestandener junger Mann und hört gut zu, aber...“, Amy sah mit einem mal recht angeknackst aus, brach ab und schaute zu Boden. „Aber?“, harkte ich nach. Sie schaute wieder nach vorne und steckte eine Hand in die Hosentasche: „Er ist ein echter Weiberheld...“ „Inwiefern?“ „Jaaaa, er kann jede haben, weiß es und nutzt es auch aus… Und was für Weiber der immer hat! Meine Fresse! Da halt ich nicht mit...“ „Hör auf zu spinnen“, ich schubste sie leicht an der Schulter: „Du siehst 100x besser aus, als ‘ne Hobbyhure aus dem Slum. Vertraue mir, ich kenne das East End. Natürlich hast du Chancen.“ Amy lächelte: „Wenn du es sagst. Trotzdem hab‘ ich ein Problem damit.“ „Klar, aber Lee ist ungebunden. Er darf tun und lassen was er will. Aber das ist eine Sache die sich ändern lässt. Sei wie du immer bist. Anlauf nehmen und mit dem Kopf durch die Wand, auch wenn die Tür 2 Meter daneben ist.“ „Es ist nicht das Problem, dass ich nicht wollen würde. Aber Lee kennt mich von Kindesbeinen an. Ich glaube für ihn bin ich eher wie eine kleine Schwester.“ „Glauben ist nicht wissen“, ich hielt Amy die Türe zum Wohnheim auf und schlüpfte hinter ihr hinein: „Seit wann hast du ein Problem damit deinen Mund aufzureißen?“ „Hast‘ schon Recht, aber wenn es nicht funktioniert verliere ich ‘nen ziemlich guten Freund. Außerdem er ist Frederics bester Freund, ein Aristokrat, Dads Geschäftspartner und und und. Wir würden uns ständig sehen.“ „Aber ein Versuch wäre es wert. Initiative und Beharrlichkeit“, lächelte ich sie an: „Wenn du ihn haben willst, musst du etwas dafür tun. Ansonsten würdest du es bereuen.“ Amy blieb stehen und beschaute mit zusammengezogenen Augen mein Gesicht: „Das habe ich irgendwo schon mal gehört.“ „Es gilt nicht nur für mich.“ „Stimmt. Dann geh ich mal mit guten Beispiel voran“, ihr Gesicht hellte auf: „Den schnapp‘ ich mir!“ Ich schnaubte so amüsiert wie ich konnte. Es ging mir immer noch nicht gut, weder körperlich noch seelisch, doch für Amy freute mich ihr Elan: „Das ist die Amber, die ich kenne.“ Sie schenkte mir ihr riesiges Grinsen: „Ich bin schließlich eine Phantomhive!“ Ich schüttelte leicht den Kopf, da alles Festere wieder Schwindel auslösen würde: „Nein, du bist Amy. Die Art, wie du bist, bist du. Das hat nichts mit deiner Linie zu tun.“ Amy lachte: „Das ist süß von dir.“ Ich lächelte so weit ich konnte: „Die Wahrheit und so.“ Dann schlang Amy ihren Arm um meine Schultern: „Weißt du, was noch die Wahrheit ist?“ „Öhm… nein? Und ich habe Angst davor...“ Ich stellte fest, was ich antwortete war so oder so irrelevant. Denn Amy ignorierte meine Aussage und zeigte mit der anderen Hand nach vorne: „Wir haben beide eine Mission, meine Süße! Da warten zwei Kerle auf eine Erlösung aus dem Singledasein und es ist unsere zugeteilte Aufgabe dafür zu sorgen!“ Ich stockte kurz in meinen Gedanken. Vorsichtig schaute ich zu Amy: „Wie kommst du darauf? Ich will deinen Enthusiasmus in deiner Sache echt nicht bremsen, aber die scheinen Beide recht gut so zu leben wie es ist. Haben sie mal irgendwas in die Richtung erwähnt?“ Amy ließ den Arm herunter fallen und sah mich an: „Könntest du mal ein bisschen mehr Elan und Tatendrang an den Tag legen?“ Ich seufzte: „Amy, haben sie?“ „Äh... Lee erwähnte mal beiläufig, dass er gerne eine feste Freundin hätte. Und Undertaker… Nun ja… Gesagt hat er sowas nicht, aber nach 200.000 Jahren Singledasein hat man doch die Schnauze voll!“ „Was?!“, ich zuckte ein Stück von ihr Weg: „200.000 Jahre Singledasein?! Das ist ja fast sein ganzes Leben! Du verarschst mich.“ „Nein“, Amy schüttelte den Kopf: „Und es nicht nur fast sein ganzes Leben, sondern sein ganzes Leben. Undertaker war laut eigenen Erzählungen noch nie liiert und warum sollte er bei sowas lügen, wenn er es sonst nie tut?“ Mir klappte der Kiefer auf: „Er ist wahrscheinlich eines der ältesten noch lebenden Wesen und du willst mir erzählen er hatte noch nie eine Partnerbeziehung?! Das klingt ja nach Zölibat!“ Amy schaute mich ein paar Sekunden an. Dann fing sie laut an zu lachen. Abgesehen davon, dass ich die Komik definitiv nicht verstand, fühlte ich mich von ihr veralbert: „Was ist so lustig?!“ „Pffff! Undertaker und Zölibat! Pahaha! Ich fass‘ es nicht!“, Amy rieb sich Lachtränen aus den Augen: „Denkst du denn mit der Aussage, du seist nicht die erste nackte Frau die er sieht, habe ich mich nur auf seine Arbeit bezogen? Der Kerl war im Reaper Realm das Pendant zu einem Rockstar, man! Und naja“, Amy kicherte dreckig in ihre Hand: „Auch in seiner Zeit bei den Menschen hat die ein oder andere trauende Witwe, sagen wir, seinen Laden nicht so traurig verlassen, wie sie ihn betreten hat. Der Mann hat eine Menge sehr einschlägige Erfahrungen, glaub‘ mir.“ Ich merkte wie mir das Blut in den Kopf schoss: „Können wir… bitte das Thema wechseln?“ Wenn ich mich über etwas nicht unterhalten wollte, dann war es das Liebesleben des Totengräbers! Amy kicherte weiter: „Du bist so knuffig eifersüchtig.“ „...Und du bist scheiße...“ Aus Amys Kichern wurde ein Lachen. Ich seufzte. Ja, wahrscheinlich war ich wirklich eifersüchtig. Eifersüchtig auf jede Frau, die den Bestatter haben konnte. Weil ich es nicht konnte… A-also… natürlich nicht im diesem Kontext! …Eher so... allgemein… versteht sich... Ich versteckte mein, durch meine eigenen Gedanken, hochrotes Gesicht in meinen Händen: ‚Hör einfach auf zu denken, Rosewell~‘ Amy riss mich aus meinen Gedanken: „Ach, Sky! Bevor ich es vergesse!“ „Hm?“, ließ ich meine Hände sinken. Amy kicherte kurz: „Woran denkst du denn gerade? Du bist ja knallrot.“ Ich zog die Augen zu Schlitzen. Ich wusste woran Amy dachte, dass ich dachte: „Miststück...“ Amy kicherte weiter: „Hach ja. Prüde, prüde.“ „Halt doch endlich deine Klappe.“ Die Phantomhive wedelte mit einer Hand: „Ich habe einen Themenwechsel für dich.“ „Der wäre?“ „Lee brachte mich drauf. Gib‘ mir mal dein Handy.“ „Warum?“ „Ich will dir eine App runter laden.“ „Was für eine?“ „Ein Messenger.“ „Aha?“ „Ein spezieller“, sie hielt mir ihre Hand hin: „Ronald hat ihn programmiert. Die Aristokraten und die Reaper benutzen ihn.“ „Und… was soll ich dann da?“ „Das ist nun auch deine Welt. Ich bin auch kein Aristokrat und drin. Lee denkt es wäre sinnig. Spidersense und so, vergessen? Man braucht allerdings ein Passwort um sie runterzuladen und in den Chatroom zu kommen.“ Seufzend klaubte ich mein Handy aus der Tasche und gab es der Phantomhive Jr. Sie tippte kurz darauf herum. Dann gab sie es mir wieder. Auf meinem Startbildschirm prangte neben meinem WhatsApp-Icon nun ein Icon, welcher aussah wie das Logo der Funtom Corporation. Darunter stand »Funtom-Talk«. „Wer genau hat das jetzt alles?“ „Mein Dad, meine Mum, mein Bruder, Lee, Frank, Josi, Charlie, Grell, William, Ronald, ein paar Aristokraten, die du nicht kennst und wir beide.“ „Wer ist ‚Josi‘?“ „Ach stimmt. Du kennst sie ja noch nicht. Josefina von Steinen. Franks Tochter, Freds Verlobte.“ „Das ist aber nicht… Du weißt schon...“ „Arrangiert? Nein, die Zeiten sind auch bei uns vorbei. Es war nur ein glücklicher Zufall.“ „Okay...“ „Hallo, ihr Lieben!“ Ich wandte mich aufgrund der bekannten Stimme um. Amy tat es mir gleich. Wir sahen Lola, die einige Meter von uns entfernt durch die Eingangshalle ging, einen Eimer in der Hand hielt und uns mit der anderen zuwinkte. Amy winkte zurück: „Hey Lola!“ Lola winkte noch einmal und ging ihres Weges. Mein Kopf schaltete: „Lola! Warte kurz!“ Lola blieb stehen und schaute mich fragend an. Ich drehte mich zu Amy: „Geh‘ vor. Ich komme gleich nach.“ Amy legte den Kopf schief: „Es riecht hier nach einem Plan.“ Ich schaute hoch: „Ja, schon. Ich hoffe die Idee ist gut.“ Amy grinste. In ihrem Gesicht sah ich, dass sie sich denken konnte was meine Idee war: „Ich denke schon. Hau rein, Süße.“ Ich nickte und ging zu Lola. Die Küchenchefin musterte mich mit einem milden Lächeln: „Was kann ich für dich tun?“ „Ich habe eine Bitte an dich, Lola.“ „Erzähl.“ „Hast du die Tage Zeit für mich? Ich… würde gerne nochmal backen…“ „Ah“, Lola lächelte: „Ein Versöhnungsversuch.“ Ich seufzte resigniert: „Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee ist… Doch eine andere kommt mir nicht.“ „Man muss hin und wieder auf seinen Bauch hören und Liebe geht doch bekanntlich durch den Magen. Ich glaube es ist eine.“ Mein Gesicht wurde warm: „Musst du es so formulieren?… Wie auch immer… Hast du?“ „Hm“, Lola legte nachdenklich ihre Hand an ihr Kinn. Ihr großer eckiger Smaragdring blitzte in der Sonne, die durch die hohen Fenster fiel: „In der Küche ist viel los. Wir planen schon für das Sportevent. Aber ich finde sicher Zeit für dich. Nur nicht mehr heute.“ Unruhig wechselte ich von einen Fuß auf den anderen: „Ist ok. Nur keine Eile.“ „Es brennt dir unter den Nägeln.“ „Schon… Die Situation sieht im Moment eher düster aus. Ich weiß eigentlich noch nicht mal, ob ich etwas retten kann. Ich hab ziemlichen Mist gebaut.“ „Er baut Mist, wenn er dich abblitzen lässt, Liebes. Weißt du schon was? Noch einmal Desertpreußen? Kamen sie gut an?“ Ich überlegte kurz hin und her: „Schon… Aber ich will eigentlich nicht zweimal das Gleiche machen… Doch meine Idee ist noch nicht weiter...“ „Was trinkt er denn gerne? Oft kann man durch die Trinkgewohnheiten auf Ideen kommen.“ Ich klimperte mit den Augen: „Naja. Er trinkt viel Tee. Eigentlich trinkt er immer Tee. Ansonsten hab ich ihn nur Wein und… äh… ich glaube Whiskey trinken sehen.“ „Jetzt wäre es natürlich gut zu wissen, ob rot oder weiß, lieblich oder trocken und Bourbone oder Scotch.“ „Ich… weiß nicht. Ich habe auch von Whiskey echt keine Ahnung. Der Wein war sowohl als auch, aber der wurde in einer Runde und zum Essen getrunken. Da weiß ich nicht, ob er ihn nur mit trank und es ok, oder ob es wirklich seine bevorzugte Sorten waren.“ „Gut, wie wäre es dann mit Teegebäck?“ Ich konnte nicht verhindern, dass sich mein Gesicht ein wenig aufhellte: „Die Idee klingt gut!“ „Weißt du was für ein Tee er trinkt? Früchte oder Kräuter?“ Grübelnd schaute ich an die Decke. Ich stellte fest, dass ich den Namen der Teesorte die Undertaker immer aufgoss nicht kannte, doch ich konnte sie beschreiben: „Ähm…. Ich meine der den er immer machte, wenn ich bei ihm war, war Früchtetee mit Minze. Rote Früchte, da bin ich mir recht sicher.“ Lola lächelte: „Mit Zucker?“ Ich pfiff langgezogen durch die Zähne: „Sein Standard sind 13 Löffeln auf einen 0,5l Mess...“ ich stockte kurz: „Tasse.“ Lola zog blinzelnd beide Augenbrauen hoch: „Hui! 13 Löffel auf 0,5l?“ Ich nickte kurz. „Das ist Sirup.“ Ich nickte wieder. „Gut. Diabetiker ist er zumindest noch nicht. Wir müssen wohl nicht am Zucker sparen. Doch ich denke bei so süßen Tee wäre ein bittersüßes Gegenstück nicht verkehrt. Wie wäre es mit Flapjacks mit Herrenschokolade, getrockneten Cranberrys, Berberitze und Holunder? Ich muss eh bei Funtom bestellen.“ Ich nickte wieder: „Klingt gut!“ „Dann machen wir es so. Sobald ich einen freien Moment habe, legen wir los. Ich kann dir nur leider nicht sagen, wann es ist.“ „Ist kein Problem. Danke, dass du mir hilfst.“ „Immer doch, Liebes.“ Ich seufzte: „Naja, ich bin müde und möchte ins Bett.“ „Wir haben erst 19 Uhr. Ist alles in Ordnung?“ „Ich hab… die letzten Nächte nicht so gut geschlafen...“ „Ach herrje“, Lola tätschelte mitfühlend meine Schulter: „Dann ab mit dir. Gute Nacht.“ Ich lächelte sie ein letztes Mal dünn an: „Danke für alles, Lola. Gute Nacht.“ Dann verschwand ich ins Apartment. Als ich durch die Türe trat hörte ich Stimmen aus dem Wohnzimmer. Ich legte kurz den Kopf schief, als ich die Türe ins Schloss zog: ‚Ist Undertaker in der Umkleide schon fertig und redet mit Amy?‘ Kurz zögerte ich, ging aber dann ins Wohnzimmer. Im Türrahmen der Stube ergriff mich ein grausames Gefühl, als ich sah was los war. Vollkommen steif blieb ich im Rahmen stehen und starrte in den Raum. Auch Amy sah alles andere als begeistert aus. Ich konnte merken wie mir meine Gesichtsfarbe floh und in mir drin wurde es schlagartig endlos starr und kalt. Bis ins letzte beunruhigt und schlug mein schlechtes Gefühl, was das Verhältnis zwischen dem Bestatter und mir anging, in einen durch mein Herz klirrenden Horror um. In meinem Kopf formte sich bei dem was ich sah sofort ein peinigend grauenhafter Verdacht: „Grell?“ Der rote Reaper saß leger mit, in einer hellblauen Ripp-Jeans steckenden, überschlagenen Beinen und einem knallroten Stoffjackett, garniert mit roten Doc Martens in unserem offenen Fensterrahmen und lächelte mich mit einem doch reichlich schiefen Haifischlächeln an: „Huhu, Herzchen.“ „Was“, ich stockte. Innerlich redete ich auf mich ein. Vielleicht war es nicht so wie es aussah. Vielleicht war Grell einfach so hier. Zum Plaudern oder Tratschen: „Tust du hier?“ Grell seufzte: „Undertaker schickt mich.“ Irgendwas in mir fror ein. So tief, dass es im Sterben lag: „...Was?“ „Nun ja“, Grells roter Schopf fiel zur Seite: „Ich bin bei ihm vorbeigegangen und er bat mich hier vorbeizugehen. Ich habe mich daraufhin in eurem Umkleideraum umgesehen, aber nichts gefunden.“ Ich hörte das tiefgefrorene Etwas in meiner Brust unheilvoll knacken: „...Undertaker hat… Er hat... dich…“ Ich bekam keinen Satz zustande. Das war die Hiobsbotschaft. Es ging um Amy und er schickte Grell?! Eine Phantomhive stand vor etwas komischen, dass er selbst nicht recht kannte oder einordnen konnte und er kam nicht selbst!? Ich war mir sicher dafür gab es nur einen Grund. Mein erstarrtes Herz sprang in tausend Teile. Erst redet er kaum mit mir. Macht aus ‚du‘ ‚ihr‘. Dann zog er seine Hand aus meiner. Nun schickte er Grell, anstatt selbst zu erscheinen. ‚Er...‘, die vereisten Teile meines Herzens rieselten zu Boden: ‚… Es muss wegen mir sein… Er...‘ Er will mich nicht sehen. Das war die ultimative Bestätigung für alles Üble, was mir schwante. Er will mich nicht mehr sehen. Grell zog die Augenbrauen zusammen: „Sky? Geht es dir gut?“ „Wa...“, ich schluckte schmerzhaft. Meine Brust war so zugeschnürt, ich konnte kaum noch atmen: „Warum fragst du?“ „Du bist total blass.“ „Ich...“, ich lachte debil auf: „Ahaha! Nein! Alles super! Ich konnte nur kaum schlafen die letzten Nächte“, unbeholfen und viel zu übertrieben wedelte ich mit meinen Armen: „Ich hau mich hin! Schlaft gut!“ Ich wandte mich um und ging aus dem Türrahmen. Doch ich kam nur 2 Schritte weit, bevor mich mein gesprungenes Herz stoppte. Mit einer Schulter kippte ich gegen die Wand. Ich krampfte meine Finger in mein Oberteil, als mir nach weinen war und ich es nicht schaffte. Ich war so geschockt, hart getroffen und unendlich verletzt, ich konnte noch nicht einmal mehr weinen. Meine Brust war so zusammengezogen, ich konnte nicht schluchzen, von atmen ganz zu schweigen. Ich hatte das Gefühl erbärmlich, langsam und von der ganzen Welt vollkommen ungehört an meinem feststeckenden Kummer zu ersticken. Aus dem Wohnzimmer hörte ich ein langes Seufzen von Amy: „Grell?“ „Ja?“ „Tu‘ mir doch bitte einen Gefallen.“ „Was für einen?“ „Wenn du Undertaker siehst“, Amy machte eine aggressiv frustrierte Kunstpause: „Schlage ihm doch bitte so fest in die Fresse wie du kannst.“ „Nein!!“ Keuchend fuhr ich aus meinen Kissen. „Schon wieder“, hauchte ich kaum hörbar und fuhr mir mit meinen zittrigen Fingern durch die Haare. Dann zog ich meine Knie an mich heran, schlang meine Arme um mein Gesicht und vergrub es: ‚... Undertaker, es tut mir leid...‘ Nachdem ich nach Grells Besuch wahrscheinlich stundenlang von meinem Bett aus vollkommen apathisch und gedankenarm an meine Zimmerdecke gestarrt hatte, war ich doch irgendwann eingeschlafen. Ich war auf der Kopfsteinpflasterstraße gelandet. Mitten im Nichts. Und wieder war Undertaker einfach an mir vorbei gegangen. Hat mich dem Zombie und meinem Vater überlassen: ‚Ich wollte das nicht...‘ Diese Nacht kam die Phantomhive nicht in mein Zimmer gehechtet. Sie war wahrscheinlich selber zu erschöpft und endlich mal am Schlafen. Schließlich war ich nicht die Einzige, die mit schlechten Träumen und wenig Schlaf zu kämpfen hatte. Ich hob meinen Kopf aus meinen Armen und stützte mein Kinn auf: ‚Wie...‘, betrübt fiel mein Kopf zur Seite: ‚Wie kriege ich das alles wieder hin, wenn er jetzt schon andere vorschickt um nicht selbst vorbei kommen zu müssen?‘ Ich war mir sicher der Bestatter wird auch heute wieder an unserem Fenster auftauchen. Er hatte sein Wort gegeben täglich vorbeizuschauen. Das hieß einmal und nicht zwingend öfter. Undertaker hatte gestern nichts getan was gegen sein Wort gestanden hätte. Er hatte nur etwas getan, das mir das Herz gebrochen hat. Etwas, was den Totengräber sicherlich nur noch marginal bis gar nicht interessierte. Er hatte mich anscheinend endgültig abgeschrieben. Was erwartete ich denn? Ich war schließlich die gewesen, die wortwörtlich als erste Reißaus genommen hatte: ‚Warum bin ich nur weggerannt?‘ Amy konnte sich ihr Geschwafel von wegen ‚verständlicher Schock‘ an den Hut stecken! Ob er verständlich war oder nicht war vollkommen irrelevant. Ich hatte Undertaker unmissverständlich zu verstehen gegeben, was ich von ihm hielt. Auch wenn es nicht annähernd der Wahrheit entsprach. Ich raufte meine Haare. Ich war vollkommen ratlos. Das Undertaker Grell geschickt hatte anstatt selbst vorbeizuschauen hatte all meine Motivation, all meine Hoffnungen die Situation noch kitten zu können, zerschlagen. Ich konnte mir vorstellen wie Undertaker zu mir stand: Für ihn war ich nur noch klein, schwach und erbärmlich. Wie Amy es schon passend beschrieben hatte, ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen. Niemand, mit dem der außergewöhnliche Totengräber etwas anfangen konnte. Als ich dabei war vollends zu verzweifeln und einfach alles aufzugeben strich ein kalter Wind über meine Schultern, unterbrach so meinen Gedankengang und veranlasste mich mein Kopf zum Fenster zu drehen. Es stand offen und meine Gardinen wehten in mein Zimmer hinein. Lange blinzelte ich dieses Fenster an, verzweifelnd an mir selbst. Zum dritten Mal stand es nun offen und ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung warum. Als ich mit verwirrt klimpernden Augen auf mein Fenster starrte fragte ich mich was bei mir eigentlich wohl endgültig kaputtgegangen war. Langsam krabbelte ich aus meinem Bett. Als ich stand musste ich so stark husten, dass ich mich auf meine Knie stützte. Mein Sichtfeld schillerte in den buntesten Farben, als ich versuchte durchzuatmen. Es dauerte etwas bis ich in der Lage war mich aufzurichten und die paar Schritte zu meinem Fenster zu gehen. Ich blieb vor meinem Schreibtisch stehen, über dem mein Fenster offenstand und schaute auf den Fenstergriff. Geschlossen. ‚Schon wieder?‘ Skeptisch musterte ich das Schloss des Fensters, denn ich spielte kurz mit dem Gedanken ob ich das Fenster vielleicht ohne es zu entriegeln aufgerissen hatte. Doch eigentlich traute ich mir nicht zu stark genug dafür zu sein. Erst recht jetzt nicht, wo ich mich immer entkräfteter fühlte und so furchtbar schlecht schlief. Und wie ich es mir dachte, war das Schloss meines Fensters vollkommen in Ordnung. Hätte ich es aufgerissen wäre es zumindest hier oder da verbogen. Doch es war geradezu spöttisch unversehrt. Ich schloss das Fenster wieder, krabbelte ermattet wieder unter die Bettdecke. Ich hatte andere Probleme, als ein offen stehendes Fenster. Ich hatte einen Bestatter, nachdem ich mich sehnte - mehr als mir selber lieb war - und der nur allzu offensichtlich nichts mehr von mir wissen wollte. Ich drehte mich auf die Seite und mein Blick fiel auf meinen Nachttisch. Darauf stand mein Radiowecker. Etwas glänzte im Schein der roten Zahlen. Ich streckte meine Hand danach aus. Meine Fingerspitzen berührten kaltes Metall. Als ich es hochhob schaute ich auf ein feines Silberkettchen mit einem schön gefertigten Pentagrammanhänger: „Der Anhänger...“ Ich hatte das kleine Ding jetzt schon Tage nicht mehr gesehen. Ich erinnerte mich daran wie ich ihn gefunden hatte, nachdem ich den Sprint meines Lebens in mein Zimmer hinter mich gebracht hatte, der alles ruiniert hatte. Ich erinnerte mich sofort an dieses schreckliche Gefühl, wie mir klar geworden war, dass Undertaker mir nichts Böses tun wollte und ich so darauf fixiert war was er Schlimmes getan hatte, dass ich genau das angenommen hatte. Nachdenklich zog ich meine Augenbrauen zusammen. Ich hatte den Anhänger nicht auf meinen Nachttisch gelegt. Nachdem ich die Kleider des Totengräbers auf den Boden geworfen hatte, hatte ich das Kettchen nicht mehr gesehen: ‚Warum liegt es hier?‘ Ich nahm das Kettchen fest in meine Faust und zog es zu meinem Gesicht. Es war ein Geschenk von Undertaker. Und Undertaker wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Diese Kette war ein Geschenk für die Leute, die dem Bestatter nach eigener Aussage lieb und teuer waren. Und ich gehörte nicht mehr dazu. Eine Träne stahl sich aus meinem Augenwinkel. Ich faste einen Entschluss, als ich mich zusammenrollte und die Augen schloss: ‚Wenn Undertaker morgen vorbeischaut, gebe ich sie ihm zurück… Ich habe kein Recht mehr sie zu haben...‘ Am nächsten Morgen war mir furchtbar warm. Ich hatte polternde Kopfschmerzen. Als ich meine Faust öffnete hatte ich immer noch das feine Kettchen in der Hand: ‚Heute gebe ich sie ihm wieder...‘ Dieser Entschluss war so schmerzlich. Doch ich wusste, dass ich es tun musste. Nachdem Amy 2x an meine Türe geklopft hatte, nahm ich meine Schuluniform und ging ins Bad. Im Bad merkte ich, dass ich das Kettchen noch in der Hand hielt. Ich legte es auf dem Wachbeckenrand ab und schaute in den Spiegel. Rechts fiel eine kleine geflochtene Strähne über meine Schulter. Ich hob sie an und beschaute sie. „Ein Zeichen für unsere Verbundenheit, hm?“, flüsterte ich und löste das Haargummi. Langsam und mit einem schrecklichen Gefühl in Brust und Bauch löste ich das Zöpfchen. Als ich den letzten Überschlag gelöst hatte, packte ich die drei Strähnen die mir einst Undertaker zu dem Zöpfchen geflochten hatte und zerquetschte sie in meiner zittrigen verkrampften Faust, während ich eine einzelne Träne nicht halten konnte: „Doch anscheinend verbindet uns nichts mehr...“ Und das war so schmerzhaft. Ich riss mich von dem Gedanken an die Situation, in der er mir den Zopf geflochten hatte, los und ging unter die Dusche. Ich duschte schnell. Denn mein Kreislauf verlangte schnell danach die Dusche wieder zu verlassen. Mir war so horrend schwindelig geworden, dass ich mich in ein Frotteetuch gewickelt auf den zugeklappten Klodeckel setzte und einige Male tief durchatmete. Mein Magen rebellierte. Nachdem ich einmal würgen musste drückte ich meine Hände vor den Mund. Säure stieg in meinem Hals. Nach vorne gebeugt versuchte ich all dem Drohendem Herr zu bleiben. Ich schaffte es nicht. Blitzschnell sprang ich von der Toilette, riss den Deckel hoch und spuckte hinein. Tragischerweise war mein Magen nur fast komplett leer. Röchelnd und hustend brannte die Säure weiter in meinem Hals. Irgendwann schaffte ich es endlich auf zu stehen und zum Waschbecken zu wanken. Ich nahm zwei große Hände mit Wasser. Dann noch zwei. Kaum hatte ich etwas Wasser in den Mund genommen merkte ich wie durstig ich war. Mir war furchtbar warm und trotzdem begann ich irgendwie zu frieren. Seufzend stützte ich mich auf das Waschbecken: „Ach Scheiße...“ Frustriert stellte ich fest, dass ich dieses Befinden kannte. Mit einem langen Seufzen wischte ich den Dunst von dem blanken Spiegel und schaute in mein bleiches Gesicht, welches meine ungute Vorahnung nur noch mehr bestätigte. Ich griff in den Alibert und angelte ein Fieberthermometer heraus. Es widerstrebte mir zwar, aber ich schob es in den Mund. Mit auf das Waschbecken gestützten Armen wartete ich, bis es zu piepsen begann. Ich nahm es auf dem Mund und was das kleine Display mir zeigte frustrierte mich nur noch mehr: „Ach, nein… so ein Scheiß...“ »39,2°C« Ich hatte mir keinen Schnupfen eingefangen, sondern eine Erkältung. Das war wirklich das Allerletzte, was ich nun gebrauchen konnte. Resigniert ballte ich meine Faust um das Fieberthermometer. Mein Blick fiel wieder auf den Anhänger auf dem Waschbeckenrand. Mit den schwachen Fingern meiner freien Hand griff ich danach. Die Kette fiel mir um meinen Mittelfinger und ich ließ den Anhänger in meiner Faust verschwinden um ihn an mein schmerzendes Herz zu legen: „Es ist doch alles einfach nur Scheiße. Was soll das? Warum? Warum ich?“ Ich war tatsächlich der blanken Verzweiflung nicht nur nahe. Ich war dort angekommen. Undertaker hielt sich von mir fern. Unterhielt sich nicht mit mir, wollte mich nicht sehen und jetzt hatte ich auch noch Fieber. Ich war schon wieder krank geworden. Ein weiterer Beweis wie unglaublich schwach und erbärmlich ich war. Ich ließ den Kopf hängen und stützte mich wieder auf das Waschbecken. Tränen tropften auf das weiße Keramik: „Das kann doch alles einfach nicht wahr sein...“ Ich wollte Undertaker beweisen, dass ich nicht schwach war. Aber so konnte ich das in den Wind schießen. Ich war einfach schwach. Punkt aus Ende! Ich war einfach schwach! Und es frustrierte mich so unendlich. Ich schaute noch einmal auf das Thermometer, welches mir immer noch dasselbe verkündete. Amys Worte schossen mir durch den Kopf. Alles was sie sagte. Dass sie nicht glaubte, dass er schlecht von mir dachte. Nur einen falschen Eindruck hatte. Dass ich diesen Eindruck vielleicht noch kippen konnte. Dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht versuchte. Ja, Undertaker hatte Grell vorgeschickt. Aber ich konnte wie Amy es schon sagte nicht erwarten, dass der Bestatter von sich aus auf mich zuging oder irgendein Wunder passierte. Ich hatte das Gefühl ich stand an einem Scheideweg. Der eine Pfad war meine Resignation. Die Aufgabe, die mich in eine Zukunft führen wird in der ich wieder alleine und recht einsam vor mich hin dümpeln würde, so wie ich es die letzten Jahre getan hatte. Eine Zukunft, die trist und grau war. Wenig ansprechend. Doch er war eben. Dieser Weg war einfach. Der andere Weg war bei weitem steiniger. Ging auf und ab. Hatte viele enge Kurven, wo ich nicht sehen konnte was dahinter lag. Doch ich wusste, am Ende dieses Weges war die Türe zu meinem Lieblingsgruselkabinett. Und ich wusste dieser Weg war verdammt schwierig. Ich musste stark sein um ihn zu beschreiten. Doch wenn ich das schaffte. Wenn ich jedes auf hochgekrachselt und jedes ab hinunter geklettert – oder wie ich mein Glück kannte, eher gepoltert – war und wieder aufstand um weiter zu gehen. Wenn ich jeder sicherlich sehr unangenehmen Überraschung hinter der engen Kurve trotzte, dann hatte ich vielleicht eine Chance. Ich schaute auf die Kette in meiner Hand: „Und vielleicht gibt er mir die am Ende dieses Weges wieder.“ Ich ballte meine Hand entschlossen um den Anhänger zur Faust. Ich wollte den steinigen Weg nehmen! Ich hatte keine Lust immer den Weg des geringsten Widerstandes zu nehmen und mich dann über die ganze Welt zu beschweren! Hieß ich William?! Nein! Ich wollte auch nicht bereuen es doch nicht versucht zu haben. Ich hatte ja auch noch gar nichts versucht um es zu ändern! Ich war ja noch gar nicht dazu gekommen! Undertaker hatte angekündigt so zu reagieren. Ja, es war hart. Verdammt hart sogar. Und es tat verdammt weh. Doch was gestern Abend passiert war, war die böse Überraschung hinter der ersten Kurve. Der ich trotzen musste! Initiative und Beharrlichkeit, statt Heulen und Jammern! Es war nun an mir! Doch für diesen Weg brauchte ich viel Kraft. Mit einem weiteren Blick auf das Fieberthermometer in meiner Hand entschied ich, dass ich gerade keine Krankheit gebrauchen konnte. Mein Fieber war unwichtig! Mit 39°C gingen andere Menschen noch arbeiten und beschwerten sich nicht! Fieber war das Eine, sich dem zu ergeben das Andere. Dieses Mal würde ich mich nicht ins Bett verziehen und leiden. Ich werde weiter machen. Ich hatte keine Zeit! Ich musste Undertaker jetzt überzeugen, dass ich stärker und stabiler war, als es schien. Dass ich stark genug war einer kleinen Erkältung zu trotzen und das ich stark genug war, damit zu leben was er vor über 100 Jahren getan hatte. Ich entschied, dass ich nicht krank war. Ich verbot mir krank zu sein! Ich war jung und an sich gesund und stark genug, um das alles zu schaffen. Auch mit ein bisschen Fieber und Schwindel. Ich darf mich nur nicht immer so anstellen. Nicht immer ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen sein. Ich schaute mit festem Blick auf meine um den Anhänger zur Faust geballten Hand: „Dir zeig ich‘s, du lachender Irrer!“ Und als ich das alles beschloss, zuckte mein Kopf nach oben. Denn meine Nase erreichte ein gar widerwärtiger Gestank. Ein Gestank, den ich schon 2x vernommen hatte. Ich erstarrte. Klirrend fiel das Thermometer in unser Waschbecken. Mein Atem und Herz fing zu rasen an, als ich mir sicher war, was hinter mir stand. Ich konnte mich nicht umdrehen. Ich schaffte es nur mit einer mehr als zittrigen Hand die Türe des Aliberts zu schließen. Als die Spiegeltür zuklappte sah ich es hinter mir stehen. Den Zombie. Ich sah nur durch den Spiegel wie dieses Wesen – was auch immer es nun genau war – einen langsamen behäbigen Schritt auf mich zu tat. Da unser Badezimmer nur ein paar Schritte maß, war es nicht weit von mir entfernt. Es streckte seine Hand nach mir aus: „Gib mir...“ Meine Augen wurden riesig. Noch einen Schritt und es würde mich berühren. Auch das es sprechen konnte verwunderte mich. Es war röchelnd und abgehackt, doch es sprach: „Gib mir...“ Ich war mir irgendwie sicher: Wenn es mich berührte war alles vorbei. Irgendetwas in mir wusste, dass dieses Ding mich niemals berühren durfte. „Gib mir...“ Ich war tot. Weil ich ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen war, würde ich nun sterben. Meine Finger zogen sich fester um den Pentagrammanhänger. Etwas wallte in mir auf. ‘ Nein...‘, ich musste noch etwas tun: ‚Nein, ich darf noch nicht sterben. Nicht, bevor ich wenigstens versucht habe mich mit Undertaker zu versöhnen!‘ Ich drehte mich um und streckte meine flache Hand nach vorne: „Stopp!“ Ich war mir natürlich bewusst, dass das Vieh nicht stoppen würde nur weil ich es sagte. Doch zu meiner Verwirrung wich das ekelhafte Zombie-Ding sofort vor meiner Hand zurück. Irritiert sah ich es an. Dann auf meine Hand. Ich sah ein silbernes Kettchen um meinen Mittelfinger liegen. Unter meinem Handballen baumelte der Anhänger: ‚Hat es Angst vor…?‘ Ich warf meine Hand nach vorne. Der Anhänger flog ein Stück auf den Zombie zu: „Verschwinde!“ Es schreckte noch weiter zurück. ‚Tatsache!‘, das war doch mal eine Erkenntnis, die Gold wert war! Ich schlug nochmal mit dem Anhänger nach ihm: „Bleib mir weg! Hau ab!“ Kurz hatte die Realität eine Störung. Dann war das Vieh tatsächlich weg. Ich lehnte mich hinterrücks gegen das Waschbecken und pfiff durch die Zähne: „Das war knapp...“, dann schaute ich nochmal auf den Anhänger in meiner Hand: „Das muss ich Amy erzählen.“ Und das tat ich. Als wir auf dem Weg zum Morgentee waren schaute ich die Phantomhive an: „Du Amy?“ Sie schaute von ihrem Handy auf: „Hm?“ „Mir ist heute Morgen etwas passiert.“ „Was‘n?“ „Ich war duschen und...“ Mit einem Stöhnen unterbrach sie mich: „Nicht das Zombie-Vieh wieder, oder?“ Ich nickte, als wir uns an unseren Platz an dem kleinen vor Kopf aller anderen Tische stehenden Tisch setzten, der nur für den Prefect und seinen Fag bestimmt war: „Doch.“ „Was hat es gemacht?“, die Phantomhive legte ihr Handy auf den Tisch und nahm ihren schwarzen Tee. Auf meinem Platz stand schon mein schwarzer Kaffee. Ich griff die Tasse und hob sie zum Mund: „Es wollte nach mir greifen und es hat mit mir geredet.“ Amy blinzelte: „Es hat geredet?“ „Jup.“ „Das ist neu. Was denn?“ „Immer denselben Satzfetzten: ‚Gib mir...‘ Ich weiß nur nicht was ich ihm geben sollte.“ „Mysteriös. Und es wollte nach dir greifen?“ „Ja“, ich schaute Amy an: „Doch ich habe es vertrieben.“ „Wie?“ Ich zog den Anhänger aus meiner Jackettasche: „Hier mit.“ Amy blinzelte erneut: „Der Anhänger...“, es ratterte kurz in ihrem Blick, dann kam ihr etwas in den Sinn: „Den habe ich im Umkleideraum noch nicht getragen! Zum Duschen hatte ich ihm abgelegt!“ „Ich hatte ihn Sonntagabend auch nicht um“, ich beschaute die kleine Kette in meiner Hand: „Heute Morgen hatte ich ihn zufällig dabei.“ „Trägst du ihn jetzt wieder?“ Ich seufzte: „Nein...“ „Warum nicht?“ „Weil...“, ich steckte ihn wieder in meine Tasche: „Undertaker sagte diese Ketten sind für Wesen, die ihm wichtig sind. Ich will ihn erst wieder tragen, wenn er sich sicher ist, dass ich ihn unter diesen Konditionen noch tragen kann. Wenn nicht will ich ihn nicht haben, auch wenn er mich vor den Trancys beschützt.“ „Du benutzt ihn also als Symbol.“ „Irgendwie schon“, ich schaute Amy an: „Ich gebe ihn Undertaker heute wieder. Mit genau diesen Worten. Und dann schaue ich wie er darauf reagiert.“ „Woho!“, Amy nickte anerkennend: „Wie ausgebufft!“ „Inwiefern?“ Amy wackelte mit den Händen: „Ist dir nicht bewusst, dass das eigentlich ein ganz fieser Psychotrick ist? Du bringst ihn damit in Zugzwang. Und zwar massiv! Das ist fast hinterhältig, Süße.“ „Hinter… Hinterhältig?“, ich stockte kurz: „Also… keine gute Idee?“ „Oh nein, nein. Mir gefällt‘s“, Amy grinste: „Das ist genau seine Liga. Mach‘ es!“, dann wackelte die Phantomhive mit dem Kopf: „Doch bedenke, dass es auch nach hinten los gehen kann.“ Ich seufzte und trank einen Schluck meines Kaffees: „Ich glaube alles kann nach hinten los gehen...“ „Kann es auch“, Amy schaute mich an und grinste wieder: „Doch ich find‘ das gut. Das ist die Form von kreativ und außergewöhnlich, die ich meinte!“ „Aber… es ist nicht süß...“ Amy schüttelte den Kopf: „So habe ich das gestern auch nicht gemeint. Man muss nicht auf alles rosa Zuckerperlen streuen. Es ist konsequent und knallhart. Ich bin dafür. Außerdem backst du für ihn, das ist süß genug. Was eigentlich?“ Ich schaute Amy aus meine Tasse aus an: „Flapjacks.“ „Waaaas?!“, machte Amy: „Ich will auch welche!“ Ich musste kurz kichern: „Ich mache ein paar mehr, ok? Für deine Unterstützung hast du dir echt welche verdient.“ Amy lächelte mich an und wir starteten in den Tag. In der ersten Stunde hatten wir Geschichte. Gerade quälten wir uns durch das Industriezeitalter, in dem es gerade in London zu massiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen kam. Während wir unserer Geschichtslehrerin, Ms. Karlson, zuhörten flüsterte mir Amy zu, dass die Hälfte was wir lernten kaum stimmte. Sowohl Sebastian, als auch die Shinigamis hätten ihr das wohl mal erzählt. Sie hatten nur leider ausgespart, welche Hälfte es war. Trotzdem kicherten wir kurz albern auf unseren Plätzen, nur um sofort dafür gerügt zu werden. Der Rest der Stunde ging dann doch wesentlich unamüsanter vonstatten, da er nur aus mitschreiben bestand. Eine Timeline, die für die nächste Klausur Grundvoraussetzung sein sollte. Danach hatten wir Französisch. Ein Fach, durch das ich mich so mogelte und über ein ‚C-‘ mehr als erfreut war. Denn dann war ich wenigstens nicht durch den Kurs gefallen. Und wenn ich durch auch nur einen Kurs fiel, konnte ich meinen A-Level vergessen und niemand verließ das Weston College ohne A-Level. Außerdem wollte ich nach dem College an die Uni gehen, wozu ich meinen A-Level zwingend brauchte. Es half also nichts. Ich musste da durch. Doch französische Grammatik macht einen einfach fertig. Es sei denn man hieß Amber Heather Phantomhive und stammt aus einer Familie, die Französisch schon seit etlichen Generationen als Zweitsprache spricht und kann einen Dämonen-Butler als Privatlehrer vorweisen. Dann schien das alles kein Problem zu sein. Ich überlebte es einen weiteren Mittwoch und ging mit Amy zum Frühstück. Mein Appetit war irgendwo im Nirwana verschwunden. Mir war einfach nur furchtbar warm und furchtbar bäh. Doch in dem Moment wo ich mir dachte, dass es mir so ging verbot ich es mir. Ja, ich war ein bisschen erkältet. Und nein, es war kein Grund sich so anzustellen. Außerdem musste ich etwas essen. So erdolchte ich mein Frühstück und schob es mir in den Mund. Mein Magen und mein Geist fochten einen verbitternden Kampf darum, ob Essen nun eine gute Sache sei oder nicht. Bevor ich mich allerdings entscheiden konnte, vibrierte mein Handy. Auch Amy zog ihres hervor. Auf meinem Sperrbildschirm leuchtete eine Notification der ‚Funtomtalk‘-App. Ich schaute relativ irritiert auf die Benachrichtigung »Neues Gruppenmitglied hinzugefügt«. Neben mir fing Amy schon an zu kichern. „Was ist los?“, fragte ich sie kurz. „Lies selbst“, antwortete sie grinsend: „Das musst du selbst sehen um es zu glauben.“ Ich tippte auf die Benachrichtigung und entsperrte mein Handy. Der Chatroom erschien auf meinem Desktop. Er hatte ein sehr detailreichen Steampunk-Comic-Skin. Der Hintergrund war ein viktorianisches Büro und die Nachrichten wurden wie gewohnt in Sprechblasen mit Namen und dem dazugehörigen Bild daneben angezeigt. Ich schaute auf die Benachrichtigung ganz unten die keine Sprechblase sondern ein brauner Balken war und traute meinen Augen nicht: „Zur Hölle, bitte WAS?!“ Ich blinzelte so oft wie ich noch nie geblinzelt hatte. »Lee hat Undertaker hinzugefügt« „Undertaker?!“, mein Kopf fuhr zu Amy: „Wie? Er hat kein Handy und machte nie einen Hehl daraus, dass er keins haben will. Im Gegenteil! Er stellt sich dumm, damit es jedem zu anstrengend ist ihn zu überreden!“ Amy fing an zu glucksen: „Wie es scheint holt auch ihn der Fortschritt ein.“ Dann kam ein helles Geräusch aus meinem Handy. – Grell [11.11.15; 09:11] Undertaker?! Hab ich das Einsetzen des 8 Weltwunders verpasst? - – Ronald [11.11.15; 09:11] ...O.o'... Alle in die Bunker, die Apokalypse naht! - – Grell [11.11.15; 09:11] Er hat nur endlich ein Handy, du Schwachmat… -_-* - – Ronald [11.11.15; 09:12] Wie ich sagte! Alle in die Bunker! >:P - – Grell [11.11.15; 09:12] Du bist eine Ravioli, Ronald! Siehst du?! Dank dir traut er sich noch nicht mal was zu schreiben! @Undertaker: Hör nicht auf ihn, Schätzchen! Ich freue mich, dass du hier bist! Willkommen im technischen Zeitalter! ("(^_^)/") - – Ronald [11.11.15; 09:12] Er ist gerade mal 2 Minuten dabei... - – Grell [11.11.15; 09:12] So schreckst du ihn ab! - – Ronald [11.11.15; 09:12] Genau… Ich schrecke Undertaker ab m( - – Ronald [11.11.15; 09:12] Außerdem war dein erster Kommentar doch auch ein blöder Spruch!- – Fred [11.11.15; 09:12] Mädels, bitte... - – Ronald [11.11.15; 09:12] Mädels?! - Mit den Augen klimpernd beschaute, nein, bestaunte ich diese Konversation. Dann schaute ich zu Amy: „Grell und Ronald sind zumindest voll im technischen Zeitalter angekommen...“ Amy grinste amüsiert zurück: „Ja, nicht? Ziemlich schnell sogar. Auch William hatte den Bogen echt schnell raus. Der Dispatch arbeitet mittlerweile auch mit Handys, aber das sind ihre Privatnummern.“ „Faszinierend“, blinzelte ich wieder auf mein Handy und konnte was ich sah immer noch nicht so recht glauben. Sensenmänner in einem Messenger Chatroom. Ich hatte nun wirklich alles gesehen! – Lee [11.11.15; 09:13] Fred und ich haben Undertaker gestern ein Handy besorgt und es ihm eben vorbei gebracht! Cool, hm? (^゚ヮ゚^) - – Grell [11.11.15; 09:13] Model?- – Fred [11.11.15; 09:13] S4 - – Grell [11.11.15; 09:13] Uhhhh… Is aber ein altes Ding... - – Fred [11.11.15; 09:14] Für ihn reicht‘s - – Lee [11.11.15; 09:14] Aber dicke. Wenn es nicht schon 20 Modele zu modern ist - – Grell [11.11.15; 09:14] *Seufz* Wenn ihr meint >,> - – Lee [11.11.15; 09:14] Schreib mal was, Takerchen! - – Ronald [11.11.15; 09:14] Hast du ihn gerade tatsächlich Takerchen genannt? - – Lee [11.11.15; 09:14] Fancy Nickname Time! (>⌐■‿■)> - Ich schaute Amy wieder an: „Echt jetzt?“ Amy lachte zurück: „Lee, halt. Hinterfrag‘ es nicht. Und jetzt Pst! Ich will wissen wie es weiter geht!“ „Takerchen“, ich schüttelte den Kopf, als ich wieder auf mein Handy schaute: „Ich fasse es nicht...“ – Ronald [11.11.15; 09:14] Ich würde dich schlagen >,>* - – Lee [11.11.15; 09:14] Ja, Roni. Iss‘ dir ‘n Snikers - – Ronald [11.11.15; 09:15] -_________-* - – Grell [11.11.15; 09:15] Aber ehrlich, Leute. Warum schreibt er nicht? - ‚Gute Frage‘, fiel mein Kopf zur Seite. – Ronald [11.11.15; 09:15] Habt ihr ihm erklärt wie das geht? - ‚Auch eine gute Frage‘, fiel mein Kopf zur anderen Seite. – Fred [11.11.15; 09:15] Was ‘ne Frage… Natürlich! Und selbst wenn nicht, der Mann ist nicht blöd. Nur stur wie ein Ochse - – Lee [11.11.15; 09:15] Oder ein Esel - – Frank [11.11.15; 09:15] Oder eine Mischung aus beidem - Amy seufzte neben mir: „Frank wie er leibt und lebt. Kein Hallo, aber ein blöder Spruch.“ „Das“, ich seufzte ebenfalls: „Ist wenigstens normal...“ – Grell [11.11.15; 09:16] Ihr seid so… Ach lassen wir das! @Undertaker: Huhu? Lebst du noch? - Dann geschah das Undenkbare. Etwas von dem ich wahrscheinlich nie in meinem Leben gedacht hätte, dass es auch nur passieren B]könnte! – Undertaker [11.11.15; 09:16] @#$"*- Mir klappte der Kiefer auf: „...Was?“ Amy und ich schauten uns an. Lange. Auch die Phantomhive sah mehr als nur verwundert drein: „Mich sollte ab dem heutigen Tag nichts mehr überraschen, aber… hast du eine Ahnung was er meint?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nicht einen Hauch.“ Wir schauten wieder auf den Chat. – Lee [11.11.15; 09:17] Was? - – Grell [11.11.15; 09:17] Was? - – Fred [11.11.15; 09:17] Was? - – Ronald [11.11.15; 09:17] Was? - – Frank [11.11.15; 09:17] Wundert ihr euch wirklich? - – Undertaker [11.11.15; 09:17] &#%"#*+ - – Frank [11.11.15; 09:17] Ich mich nicht - – Undertaker [11.11.15; 09:18] #$%&! - Ich konnte nicht glauben, dass die Sprechblase wirklich zu Undertaker gehören sollte, obwohl sein Name darüber und sogar ein Bild von ihm daneben stand. Er grinste darauf breit und hatte einen seiner Kekse zwischen den Zähnen: ‚Irgendwie… Irgendwie sieht das knuffig aus...‘ Doch ich fragte mich, warum er so komisches Zeug schrieb? Er schrieb nur Sonderzeichen! Ein Code vielleicht? Aber wie sollte er innerhalb von so kurzer Zeit einen Code auf die Beine stellen? Ich stockte kurz. Das wäre wahrscheinlich nicht das größte Problem für ihn. Wie Fred schon sagte er ist stur, nicht blöd. Doch warum benutzte er ihn? Es verstand doch keiner. Erlaubte er sich nur einen Spaß mit allen? Überlegend tippte ich mit meinen Daumen auf meinen Handy herum. Durch die Berührung ploppte meine Tastatur auf, ohne dass ich es wollte, und stellte sich auf Sonderzeichen. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. – Sky [11.11.15; 09:19] ...Undertaker? - „Was machst du?“, fragte Amy von der Seite. „Ich hab eine Idee“, seufzte ich: „Ich hoffe nur er antwortet mir überhaupt…“ Bangend sah ich auf mein Handy. Eine Minute verstrich ohne Antwort. Dann die nächste. Fast hatte ich die Hoffnung aufgegeben, da machte der Chat einen weiteren Ton: – Undertaker [11.11.15; 09:21] ? - Ich wusste nicht was ich fühlte, als Undertaker mir im Chat antwortete. Ich war irgendwie erleichtert, doch andererseits war es nur ein Chat mit vielen anderen. Auch mit Amy und Alex... – Sky [11.11.15; 09:21] Kann es sein, dass… Also ich will dir wirklich nicht zu nahe treten… Aber kann es sein, dass du deine Tastatur auf Sonderzeichen gestellt hast und nicht weißt, wie man sie zurückstellt? - Wieder verstrich eine kleine Weile. „Oh nein“, seufzte ich nach einer Minute, die unendlich lang schien: „Ich hab ihn verärgert… Ganz sicher...“ Amy wedelte mit einer Hand: „Durchatmen. Warte ein bisschen.“ Dann wieder ein Ton. Sofort raste mein Blick auf mein Handy. – Undertaker [11.11.15; 09:23] !!! - Ich zog meine Augenbrauen hoch. Das könnte jetzt Bestätigung, Ärger, oder Verneinung sein. Es könnte einfach alles sein! – Sky [11.11.15; 09:23] Mach ein + für ja und ein – für nein - – Undertaker [11.11.15; 09:23] + - „Pfffff!““, ich konnte nicht verhindern, dass ich anfangen musste loszulachen. Obwohl mir eigentlich nicht nach Lachen zumute war, konnte ich nichts dagegen tun. Ich musste sogar so sehr lachen, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich musste mir bildlich vorstellen, wie er an seinem Tresen, einen Keks im Mund, vor seiner neuen Errungenschaft saß, die er nie haben wollte und seine verstellte Tastatur anblinzelte. Er war wirklich nicht dumm, aber streckenweise ein bisschen dämlich: „Ich fasse es nicht! Das gibt‘s doch nicht! Ahahahaha! Das gibt es doch wirklich nicht! Der Mann ist 200.000 Jahre alt und verzweifelt an einer Handytastatur! Ahahaha! Gott, nein! Das schießt doch wirklich den Vogel ab!“ Nachdem ich mich beruhigt hatte, wischte ich die Lachtränen aus meinen Augen und schaute wieder auf den Chat. Ich hatte ganze 3 Minuten gelacht und es war einiges passiert: – Fred [11.11.15; 09:23] Das… habe ich wohl vergessen zu erklären... - – Lee [11.11.15; 09:23] Der Burner! XD - – Fred [11.11.15; 09:23] Du hast es auch vergessen! - – Lee [11.11.15; 09:23] XD Witzig ist es trotzdem XD - – Frank [11.11.15; 09:23] Ich fasse es nicht... - – Undertaker [11.11.15; 09:23] !!! - – Amy [11.11.15; 09:24] Da auch Sky gerade vor Lachen stirbt, übernehme ich: Unten links auf die Taste mit ‚abc‘ tippen, du Held ^^* - – Undertaker [11.11.15; 09:24] Heureka! - – Lee [11.11.15; 09:24] Er hat Eldorado gefunden! XD Ich schmeiß mich weg!- – Ronald [11.11.15; 09:24] Oi, Undertaker! Holpriger Start? - – Undertaker [11.11.15; 09:24] Was lange währt, wird endlich gut. Außerdem sorgte es für einige lachende Gesichter, so war meine Pein nicht umsonst - – Frank [11.11.15; 09:24] Pein… Man kann es auch übertreiben... - – Undertaker [11.11.15; 09:24] Das kleine Ding ist verdammt zickig! - – Lee [11.11.15; 09:24] Ich kann nicht mehr X‘D - – Amy [11.11.15; 09:25] Sky lacht auch noch xD - – Undertaker [11.11.15; 09:25] Fein, fein. So soll es sein, hehe - – Frank [11.11.15; 09:25] Hat er gerade tatsächlich ein Lachen ge… Ich bin raus - »Frank ist beschäftigt« – Lee [11.11.15; 09:26] *ROFL* *LOL* - – Undertaker [11.11.15; 09:26] Wie bitte? - – Fred [11.11.15; 09:26] Lee lacht… und zwar viel... - – Undertaker [11.11.15; 09:26] Ah ja, was auch immer - Jetzt war ich beim aktuellen Stand angekommen und es kam eine weitere Nachricht rein: – Amy [11.11.15; 09:27] Sky lebt wieder. Ich war kurz davor das Sauerstoffzelt zu holen, aber sie hat es überstanden ;D - Mein Kopf fuhr zu Amy: „Amy!“ „Was? Ist doch so.“ „Du machst mich total lächerlich!“ „Ach quatsch. Schau dir bitte Lee an. Der lacht sicher immer noch.“ „Die anderen sind mir egal! Mach‘ mich nicht zum Affen!“ „Gott, du Diva. Auch ‘n Snikers?“ „Amy!“ „Es geht weiter.“ Sofort schaute ich auf mein Handy. – Undertaker [11.11.15; 09:27] Eine wünschenswerte Wendung, hehe - ‚Wünschenswerte… Wendung?‘, irgendwie verwirrte mich dieser Satz und ich wusste nicht recht mir einen Reim darauf zu machen. – Grell [11.11.15; 09:27] Nun, da alle wieder leben (mehr oder weniger) und alle Tastaturen richtig stehen: Willkommen im technischen Zeitalter! ("(^_^)/") - – Ronald [11.11.15; 09:27] Genau! Cool, dass du es auch endlich geschafft hast! - – Undertaker [11.11.15; 09:27] Die Welt dreht sich, oder wie heißt es? - – Lee [11.11.15; 09:27] Bingo, alter Mann! - – Grell [11.11.15; 09:27] Unser Undertaker hat ein Handy. Ich fasse es immer noch nicht! - – Ronald [11.11.15; 09:28] Ich hab mich schon 3-mal gekniffen! - – William [11.11.15; 09:28] Sutcliff! Knox! - – Grell [11.11.15; 09:28] Oh Schande... - – Ronald [11.11.15; 09:28] Shit... - – William [11.11.15; 09:28] Ihr habt Schicht! An die Arbeit! Sofort! - – Grell [11.11.15; 09:28] Ay, ay, Sir! - – Ronald [11.11.15; 09:28] Ay, ay, Sir! - »Grell ist beschäftigt« »Ronald ist beschäftigt« »William ist beschäftigt« – Fred [11.11.15; 09:29] Ich könnte mich irren, aber... hat Will nicht auch Schicht? - – Lee [11.11.15; 09:29] Mysteriös :D - – Amy [11.11.15; 09:29] Grell und Ronald sind halt teilweise nicht die hellsten Kerzen im Leuchter xD - – Lee [11.11.15; 09:29] Stimmt wohl ;) Naja, ich hab‘ auch noch zu tun! BBL! - »Lee ist abwesend« – Undertaker [11.11.15; 09:29] Wie bitte? - – Amy [11.11.15; 09:29] Be back later - – Fred [11.11.15; 09:29] Muss auch los. Bin jetzt in der Uni. CUL8R - »Fred ist abwesend« – Undertaker [11.11.15; 09:29] Wie bitte? - – Amy [11.11.15; 09:29] See you later - – Undertaker [11.11.15; 09:30] Könntet ihr anständig schreiben? Ist ja fürchterlich! - – Amy [11.11.15; 09:30] Wir könnten, ja. Aber das hier ist unsere Welt. Komme besser früher, als später damit zurecht - – Undertaker [11.11.15; 09:30] Ich merke, ich muss noch eine Menge lernen, hehe - – Amy [11.11.15; 09:30] ;D - – Undertaker [11.11.15; 09:30] Wie bitte? - – Amy [11.11.15; 09:30] Ein zwinkernder Smiley. Wir müssen zu Ende frühstücken. Bis dann! - – Undertaker [11.11.15; 09:31] Na dann, guten Appetit - – Undertaker [11.11.15; 09:31] Was ist ein Smiley? ­- »Amy ist abwesend« Ich stellte mich ebenfalls auf Abwesend. Dabei fiel mir etwas auf: „Amy?“ „Ja?“ „Warum habe ich ein Foto drin?“ „Das ist süß, nicht?“ Es war furchtbar. Ein Bild von der letzten Sommerkirmes und ich stand seitlich vor einer leuchtenden Reklame, einen Stiel voll rosa Zuckerwatte essend, nur notdürftig die Haare von der ein oder anderen Karussellfahrt gerichtet: „Nein, es ist ganz schrecklich...“ „Ach Quatsch!“ „Wie nehme ich es raus?“ „Gar nicht.“ „Wie gar nicht!?“ „Ronald macht das. Ich hab‘s ihn für dich geschickt.“ „Ich hasse dich“, ich schaute sie vernichtend an: „Über alle Maßen!“ Nach dem Frühstück ging Amy in den Gazebo und ich bezog die Betten neu, saugte die Teppiche ab und wechselte alle Gardinen. Anschließen hatten wir eine Doppelstunde Musik und eine Doppelstunde Kunst. Musik war furchtbar. Wir spielten unsere selbstgewählten Instrumente, aber meine Geige quietschte eher, als dass sie spielte, was meinen Kopfschmerzen nicht zuträglich war. Doch ich konnte mich auf die Noten einfach nicht recht konzentrieren. Ich war immer noch zu geflasht davon, dass Undertaker nun ein Handy haben sollte. Außerdem setzte es mir immer noch zu wie er mir mehr als nur allzu deutlich eine kalte Schulter zeigte. Laut Amy war mein Plan ihm seine Kette wiederzugeben wohl recht hart. Ich haderte zwar immer wieder, doch ich fühlte, dass ich es tun musste. Ich benutzte es nicht als Symbol. Diese Kette war schon eins. Und ein Symbol trägt man nur, wenn man dafür die vorausgesetzten Konditionen erfüllte. Was ich im Moment einfach nicht tat. Nicht so. Ich begrüßte die Ruhe in Kunst. Doch mit meinem Bild kam ich auch heute nicht weiter. Nach dem Mittagessen - welches ich dann doch zum Großteil wieder verschmäht hatte - wollte ich nur noch in mein Zimmer. Mir war heiß, mein Kopf tat weh und ich hatte auf die Welt keine Lust mehr. Doch ich zwang mich mich zusammen zu reißen. Zu ignorieren, wie ich mich fühlte: ‚Stark sein, Skyler!‘ Ich hatte keine Zeit. Ich konnte es nicht aufschieben mich mit Undertaker zu versöhnen. Jeder Tag könnte der Tag zu viel sein und davor hatte ich rasende Angst. Ich wollte es auch nicht aufschieben. Es sollte endlich aufhören. Denn sein Verhalten… … es tat mir so weh… Doch bevor ich in mein Zimmer kam, kam Lin Wang, der Fag des blue Prefect, in unseren Speisesaal und hielt mich auf. Die Wimpel mit den Wappen der Häuser waren wohl mittlerweile arg in Mitleidenschaft gezogen und mussten erneuert werden. Da ich die beste Note in Kunst hatte sollte ich es übernehmen. Fast eine ¾ Stunde redete Wang auf mich ein und wir beratschlagten uns über Gleichbleibendes und Änderungen. Ich sagte zu, mich ab nächster Woche im Atelier darum zu kümmern. Seufzend machte ich mich auf den Weg in unser Apartment, als ich die Eule endlich losgeworden war. In einem Gang entdeckte ich Lola und lief zu ihr. Doch laut ihren Erzählungen war wohl in der Küche immer noch viel zu viel zu tun. Ich verschwand die Treppen hoch, während das sauer bittere Gefühl der vergehenden Zeit sich erst so richtig entfaltete. Als ich durch die Eingangstüre unserer kleinen Wohnung ging, war es ein kleines Gefühl der Panik geworden. „Ehehehe!“ ‚Undertaker!‘, ich erkannte dieses Lachen sofort! Es kam aus dem Wohnzimmer: „Interessant. Wirklich. Ich glaube ich muss mich mit Grell beratschlagen.“ Ich lief im Laufschritt durch den Flur. Als ich im Türrahmen stehen blieb, sah ich einen Undertaker in seinem so ungewohnt normalen Aufzug in unserem Fensterrahmen hocken. Als ich ihm Türrahmen ankam, verstummte die Konversation zwischen Amy und dem Bestatter. Ich schaute Undertaker in sein verhangenes Gesicht und ging ein paar Schritte in den Raum: „Hey.“ Undertaker kicherte kurz, doch ich hatte das Gefühl die Atmosphäre war erstarrt, als ich ins Zimmer gekommen war: „Nihihi! Guten Tag, Skyler.“ ‚Skyler?‘, ich strauchelte in mir drin. Er hatte meinen vollen Namen sonst immer nur sehr selten benutzt. Dann schaute er zu Amy: „Nun denn. Ich schaue, dass ich Grell zu fassen bekomme.“ „Schreib ihm doch ‘ne Sms“, konnte man das Grinsen in der Stimme der Phantomhive deutlich hören. Undertaker grinste zurück: „Vielleicht tue ich dies. Ehehehehe! Bis morgen, meine Damen!“ Dann fiel er rücklings aus dem Fenster. „Warte!“, doch als ich am Fenster ankam, war der Totengräber schon verschwunden. Ich fühlte mich vollkommen verloren, als ich aus dem Fenster schaute: „Er ist weg… Einfach weg...“ Ich war so vor den Kopf gestoßen. 10 Minuten später war ich in Alltagsmontur unterwegs in die verwinkelten Gassen der City of London. In meinen Poncho gewickelt, offenen Haaren und einen großen 500g Becher Erdbeerjoghurt in der Hand lief ich durch die kalten Herbststraßen der Großstadt und schob mir immer mal wieder einen Löffel in den Mund. Wenn ich sonst nichts herunter bekam, aß ich immer Joghurt. Er gibt einem ein Sättigungsgefühl, ohne dass man wirklich das Gefühl hatte zu essen. Ich ging und aß ohne Eile, kam irgendwann am Friedhof vorbei und bog eine weitere knappe halbe Stunde später in das Gassenwirrwar ein. Ich hatte keine Musik in den Ohren. Ich hatte keinen Nerv dazu. Auch waren mir die Gestalten, die hier herum lungerten immer noch nicht ganz geheuer. Ich hatte noch nicht einmal ¼ meines Joghurts aufgegessen und musterte 2 Gassen vor Undertakers Laden den Joghurtbecher: ‚Behalten oder wegtun…?‘ „Miiiaaaaau!“ Ich schaute auf. Irritiert sah ich mich um: ‚Eine Katze?‘ Wahrscheinlich ein Streuner. Doch das Maunzen war sehr hell gewesen. Meine Augen suchten weiter die Gasse ab. „Miiiaaaaau!“ Mein Blick fiel auf eine Gruppe von Mülltonnen. Ich ging darauf zu und schaute nach unten. Zwischen den Mülltonnen lugte eine kleine schwarze Knopfnase heraus. Ich ging in die Knie und schaute einer kleinen Kitty ins Gesicht. Vielleicht 1 Hand voll Katze. „Noaaaah“, entfloh es mir: „Wie plüschig!“ Diese kleine Katze bestand aus Fell! Am Köpfchen, den Beinen und Schwanz pechschwarz, ansonsten grau-braun. Es bestand aus Fell, Knopfnase und großen bernsteinfarbenen Augen. „...Oh…“, einem bernsteinfarbenen Auge. Das zweite fehlte und es war nicht operativ entfernt worden. „Miiiaaaaau!“ Ich streckte meine Hand aus: „Du bist aber ein armer kleiner, süßer Streuner.“ Langsam reckte es ihr Köpfchen hervor und stupste mit der Nase gegen meinen Finger. Mein Herz schlug höher. Dann leckte es mit seiner rauen, kleinen Zunge den Löffel in meiner ausgestreckten Hand ab. „Natürlich“, ich verstand und legte den Kopf schief: „Du hast Hunger, nicht?“ „Miiiaaaaau!“ Ich kicherte: „Du armes kleines Ding. Plüschiges, armes kleines Ding.“ Ich seufzte und schaute auf den Plastikbecher in meiner Hand: ‚Fressen Katzen Joghurt?‘ Dann schaute ich wieder auf das Kätzchen, welches mittlerweile unter meiner Hand auf dem Rücken lag und im liegen meinen Löffel ab schleckte. „Naja“, ich stellte ihr den Becher hin. Sofort rollte das Kätzchen auf die Füße: „Ob, oder ob nicht. Verhungern ist auch nicht besser.“ Die kleine Knopfnase verschwand sofort im Becher. Ich kraulte kurz das schmutzige, knotige Fell: „Du bist so ein Schönes. Wer setzt nur so eine aus?“ Auch, wenn es nur ein Auge hatte und dreckig war: Es war ein schönes Tier. Mit rosa Joghurt verschmierter Schnauze, tauchte der Kopf der Katze auf und sie schloss ihre in Mitleidenschaft gezogenen Augen, während ich ihr Köpfchen kraulte. Dann stand ich auf, steckte den mittlerweile ‚sauberen‘ Löffel in die Tasche meiner Hose, in der die Kette nicht steckte und wandte mich zum Gehen: „Lass es dir schmecken. Ich habe noch zu tun.“ Das Kätzchen maunzte noch einmal. Dann ging ich weiter die Gasse entlang. Vor Undertakers Ladentüre blieb ich einige Momente stehen. Ich schaute auf die Klinke, als wollte ich sie beschwören sich selbst zu öffnen und mir so die Frage abzunehmen, ob ich sollte oder nicht. Die letzten Male hatte es nichts Leichteres gegeben, als diese Klinke hinunter zu drücken. Hinein in mein Lieblingsgruselkabinett. Doch nun? Ich griff in die Tasche meiner Hose und zog die Kette heraus: ‚Ich.. Ich muss.‘ Ich wollte es tun. Ich wollte Undertaker diese Kette geben und ihm sagen warum. Vielleicht löste es ja wirklich irgendetwas aus… oder die Sache war wenigstens klar. Ich drückte die Klinke hinunter und spähte in den dunklen Laden: „Undertaker?“ Nichts. Bedächtig öffnete ich die immer quietschende alte Türe ganz, betrat den schummrigen Laden und schloss sie wieder. Ich schaute mich um und ging ein paar Schritte in den Laden: „Undertaker? Bist du da?“ Als ich mich umschaute und in den Laden ging fielen mir ein paar Dinge auf: 1) Es roch furchtbar nach Formaldehyd. 2) Neben der Eingangstür fehlte ein Regal. Ich war mir sicher, dass eins fehlte, da ich mir sicher war es gewischt zu haben. 3) Die Eingangstür war an der Seite des fehlenden Regals eingedrückt und teilweise sogar gerissen. Die Wand daneben war es auch. 4) Neben der Tür hinterm Tresen lagen - zwar fein säuberlich zusammengelegt, aber vollkommen zerstört - die Überreste eines weiteren Regals. ‚Was ist denn hier passiert?‘ Nach 3 Schritten erschien eine Gestalt im Türbogen, der in den Sezierraum führte und brachten mich von diesen Überlegungen ab: „Du hier?“ ‚Was eine Begrüßung...‘, ich schaute den silberhaarigen Mann in diesem verstörend normalen Hemd und dieser verstörend normalen Hose in das verhangene Gesicht: „Du warst eben sehr schnell weg...“ „Nun“, sein Kopf fiel zur Seite: „Ich habe zu arbeiten.“ „Ich“, ich atmete einmal tief durch: „Brauche nur 5 Minuten deiner Zeit. Höchstens.“ „Skyler.“ „Ja?“ „Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist.“ Mir wurde schlagartig eiskalt: „Wa-was?“ „Dass du hier bist. Warum auch immer du es bist.“ „Aber“, meine Lider flackerten. Undertaker lachte nicht. Auch sein Mund grinste nicht. Er stand am anderen Ende des Raumes und machte keine Anstalten auf mich zuzukommen. Er stand dort und sah mich an, die Augen verhangen. Die Atmosphäre fühlte sich zum Zerreißen gespannt an: „Wieso?“ Er neigte den Kopf noch ein Stück: „Ich sagte es schon. An der Themse.“ „Aber...“, ich strauchelte. Verzweifelt hielt ich die Kette fester. Als ich den Anhänger in meiner Hand spürte, flackerte ein recht kleines Flämmchen in mir auf, doch es gab mir genug Kraft auf den Bestatter zuzugehen: „Nein. Nein, es ist gar keine schlechte Idee.“ Undertaker seufzte: „Skyler...“ „Nein. Hör mir zu“, ich blieb vor ihm stehen: „5 Minuten.“ „Hätte es nicht bis morgen Zeit?“ „Nein.“ „Ich kümmere mich um dieses komische Wesen. Ich habe schon mit Grell telefoniert.“ „Darum geht es nicht.“ „Dann hast du keinen Grund hier zu sein.“ Ich unterdrückte ein weiteres inneres Straucheln: „Doch. Einen guten sogar“, streckte ich ihm meine geballte Faust entgegen. Undertaker schien kurz meine Hand durch seinen Pony zu mustern: „Was hast du da?“ Ich wedelte mit meiner Faust: „Nimm.“ Doch Undertaker schüttelte den Kopf: „Nein.“ In mir brach irgendwas zusammen. Sein Benehmen war brutal. Brutal schmerzhaft. War der Tag zu viel schon lange gekommen? Meine Unterlippe begann zu zittern, doch ich hielt meine Tränen zurück. Ich würde jetzt nicht weinen! Ich musste stark sein. Stark genug, um es mit ihm aufzunehmen. Entschlossen griff ich mit der freien Hand nach seiner, zog sie nach oben und legte die Kette hinein. Dann nahm ich meine Hände zurück. In meiner Handfläche kribbelte noch die Kälte seiner Haut und schickte mir einen schmerzhaften Schwall vieler feiner Nadeln durch mein Herz. Einige Augenblicke beschaute der Bestatter stumm die Kette in seiner Hand. Sein Mund war ein Strich, doch war sein Ausdruck durch den Pony vor seinen Augen nur schwer zu deuten. Während der Totengräber die Kette musterte schlug mein Herz so laut, dass es die Stille im Raum für mich vertrieb. Meine Hände schwitzten. Mir war vor Aufregung so schlecht, dass es meinen Schwindel ein Stück aus dem Hintergrund holte. Doch ich unterdrückte all das. Wenn ich nun nicht stark blieb, konnte ich alles vergessen. „Warum gibst du mir das?“, fragte der Bestatter nach einer gefühlten Ewigkeit und nahm sein verhangenes Gesicht ein Stück hoch. Ich drehte mich halb ab: „Weil ich sie nicht tragen kann.“ „Wie meinst du das?“ Ich schaute zur anderen Seite. Sein Anblick war trotz aller Bemühungen zu viel für mich: „Du sagtest du gabst diese Ketten den Wesen, die dir wichtig sind.“ „Ja, das sagte ich.“ „Deswegen kann ich sie nicht tragen.“ „Ich weiß ich wiederhole mich, doch: Wie meinst du das?“ „Diese Kette“, ich musste schlucken und durchatmen, als mein Magen schmerzhaft gluckste. Ich legte eine Hand darauf: „Ist ein Zeichen dafür, dass dir Jemand wichtig ist. Sie beschützt einen nicht nur vor den Trancys und Co., sie steht für deine Zugewandtheit Jemandem gegenüber.“ Ich blinzelte die immer wieder aufkommenden Tränen weg und wandte mich ab zum Gehen: „Ich wollte sie dir nur wiedergeben. Denn ich möchte kein Symbol für etwas tragen, das nicht existiert...“ Ohne eine Antwort seitens des Bestatters machte ich mich auf meinem Weg aus dem kleinen Laden und hatte das Gefühl mein Herz war zu verkrampft um noch schlagen zu können. Was ich fühlte war schrecklich und meine Seele schmerzte so sehr, dass es auch körperlich weh zu tun begann. Doch ich war nicht ansatzweise in der Lage ihm zu sagen wie grausam es in mir aussah. Ich konnte ihm nicht sagen, wie viele seelischen Schmerzen sein Verhalten immer und immer wieder auslösten. Ich würde mir so Schwächen zugestehen, die ich nicht haben darf. Denn Undertaker konnte mit schwachen Persönlichkeiten nichts anfangen. Mit dem Gefühl tiefsten Bedauerns und eiskalter Traurigkeit legte ich meine Hand an die alte Klinke. In diesem Moment stieß ein kleiner Luftstoß ein paar meiner Haare nach vorne und wehte den Geruch von Zucker, gemähtem Gras und Zeder zu mir. Ich spürte einen Körper hinter mir, der so nah bei mir stand, dass er meinen Rücken berührte. Zwei bleiche, lange Hände erschienen kurz vor meinen Augen. Nachdem sie hinter mir verschwunden waren fiel Gewicht um meinen Hals. Gewicht von etwas Kaltem. „Natürlich kannst du sie tragen“, flüsterte eine Stimme hinter mir. Noch nie habe ich die Stimme des Bestatters so leise erlebt. Meine Augen weiteten sich, wegen dem was er gerade gesagt hatte. Ich fror ein. Dieser Satz hallte in meinem Kopf immer wieder. Solange bis der Körper in meinem Rücken verschwand. Ich wirbelte herum: „W-was?“ Undertaker war ein Stück zurück in den Laden gegangen, stoppte allerdings mir den Rücken zugewandt als ich die Stimme erhob: „Ich sagte, dass du sie natürlich tragen kannst.“ Es folgte eine kleine Pause, in der ich nichts anderes tun konnte, als den Rücken des Bestatters anzustarren. „Und das sollst du auch“, setzte er nach einige Wimpernschlägen hinzu. „Wie, ich soll?“ „Ich bitte dich darum.“ In meinem Kopf herrschte das totale Chaos. Denn was Undertaker tat und sagte war das totale Chaos: „Was?“ „Ich bitte dich sie zu tragen.“ Ich bekam was er tat und mir sagte einfach nicht überein: „Was?“ „Trage sie“, er drehte seinen Kopf halb zu mir: „Bitte.“ Dieses ‚Bitte‘ versetzte mir einen Tritt. Ich konnte nicht definieren was für einen, doch er war schmerzhaft. Kann… Soll ich sie tragen, da ich ihm doch wichtig war? Hoffnung keimte in mir auf und ich lief die paar Schritte auf Undertaker zu: „Undertaker, ich...“ Doch eine ausgestreckte Hand vor meiner Nase stoppte mich, bevor ich bei ihm war. Ich blieb stehen und starrte auf die lange Hand mit den langen, schwarzen Nägeln. Mein Herz rieselte zu Boden und hinterließ nichts als schreiende Verwirrung. „Ich muss dich bitten nun zu gehen“, er ließ die Hand sinken, wandte sich wieder ab und ging auf den Türbogen zu: „Meine Gäste verlangen nach mir.“ Ich konnte mich nicht verabschieden. Ein Kloß in meinem Hals würgte mich. Ich hatte sogar das Gefühl er erwürgte mich, wodurch ich anfing furchtbar laut und schwer zu atmen. Wo mein Herz war, war nur noch ein großes Loch, welches sich nicht ganz leer und doch klaffend anfühlte. Ich wusste nichts mehr. Ich konnte auch nichts mehr recht denken. Und bevor der Totengräber im Hinterzimmer verschwunden war, hatte ich seinen Laden auch schon wieder verlassen. „Nein!!“ Als ich aus den Federn fuhr rasselte ich über den Rand meines Bettes. Hart stieß mein Kopf gegen den Nachtisch und mein Wecker knallte auf meinen Hinterkopf. Ich blieb reglos liegen. Bunte Farben flimmerten vor meinen Augen und mein Kopf drehte sich. Er drehte sich vor Schwindel, meinem Absturz und dem immer gleichen und immer gleich furchtbaren Traum. Ich hörte wie sich meine Türe öffnete und Schritte zu mir kamen. Eine Hand erschien auf meiner Schulter: „Sky?“ Mein Kopf zuckte hoch. So schnell, dass ich kurz noch mehr bunte Farben sah, bevor mein Blick sich scharf stellte und ich in die Augen der Phantomhive schaute: „Amy?“ Es wunderte mich, dass sie in mein Zimmer kam. Ich hatte sie, nachdem ich von meinem Besuch bei Undertaker nach Hause gekommen war, so harsch abgewürgt wie wahrscheinlich noch nie. Doch nach reden war mir gestern wirklich nicht mehr gewesen. Nicht, dass sich irgendwas geändert hätte. Weder kam ich auf mich selbst wirklich klar, noch auf die Situation und auf Undertaker schon mal gar nicht. Ich rieb meine puckernde Nase und setzte mich auf: „Du schläfst nicht?“ Amy schüttelte den Kopf. Sie sah endlos müde aus. Ihr Gesicht war recht fahl und sie hatte Schatten unter ihren Augen: „Wie denn? Das Vieh lässt mich genauso wenig schlafen wie dich.“ Ich rieb mir durch die Augen: „Ich weiß nicht wie lang ich das alles noch durchhalte...“ Ich war so müde. Ich war so frustriert. Ich war so verwirrt und verletzt: „Ich werde noch total verrückt...“ „Wegen dem Vieh oder Undertaker?“ Ich seufzte: „Sagen wir einfach, dass das Vieh das kleinere Problem ist...“ „Das glaube ich“, die Phantomhive rieb sich die Augen: „Gestern warst du zumindest ziemlich barsch.“ Ich ließ den Kopf hängen: „Es tut mir leid… Ich hatte einfach keinen Bock mehr...“ „Worauf?“ „Alles“, ich seufzte: „Ich habe keinen Bock mehr auf alles, was gerade läuft.“ „Gibst du auf?“ Ich schaute die Phantomhive eine Weile an. Undertakers Verhalten hatte mich gestern fast zu dem Entschluss gebracht die Brocken einfach hin zu werfen. Doch als ich daran dachte war mir dieses ‚Bitte‘ in den Kopf gestiegen. Dieses ‚Bitte‘ mit diesem endlos undefinierbaren Tonfall. Irgendwie hielt mich dieses ‚Bitte‘ davon ab alles hin zu werfen: „Ich… bin mir nicht sicher...“ Amy streckte ihren Zeigefinger aus. Dann stupste sie damit vor die Kette: „Du trägst sie wieder.“ Ich seufzte: „Verrückte Geschichte...“ „Es ist Undertaker.“ „Selbst für ihn verrückt.“ Amys Kopf fiel zur Seite: „Mit dieser Aussage ist die Sache gerade richtig interessant geworden. Erzähl.“ „Er“, ich rieb mir durchs Gesicht: „Wollte mich ganz klar nicht da haben. Meinte mein Auftauchen sei eine schlechte Idee. Doch als ich ihm die Kette gab meinte er A) ich könnte sie tragen und B) soll ich es auch und...“, ich brach ab. Amys Kopf fiel zur Seite: „Den interessanten Teil verschweigst du mir?“ Ich schüttelte den Kopf: „Es ist auch der Teil von dem ich nicht weiß, was er mir sagen will.“ „Vielleicht kann ich helfen.“ „Er… hat mich sogar gebeten, sie weiter zu tragen...“ „Ay ja“, machte die Phantomhive: „Macht Sinn… nicht. Was ist bei dem Kerl eigentlich gerade kaputt?“ Ich schüttelte den Kopf: „Frag mich was leichteres… Aber schön, dass wir zusammen total ratlos sind.“ „Lass mich mit ihm reden.“ Ich schüttelte wieder den Kopf: „Nein. Das muss ich irgendwie selber schaffen.“ „Schaffst du das auch?“ „Ich weiß nicht, ob ich ihn noch überzeugen kann...“ „Das meine ich nicht“, Amy sah mich eindringlich an: „Undertaker ist verdammt stur und es kann verdammt lange brauchen ihn von einer Idee abzubringen. Wenn es denn überhaupt funktioniert. Ich will wissen, ob du das aushältst. Sky, wie lange hältst du die Situation noch durch? Nachdem du Grell gesehen hast oder gestern am Fenster, du warst weiß wie ein Gespenst. Ich mache mir Sorgen um dich.“ Ich atmete tief durch. Dann schaute ich der Phantomhive wieder entgegen. Tränen knisterten in meinen Augen und meiner Nase: „Ich weiß es nicht, Amy. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch versuchen kann. Ich weiß nicht, was ich noch versuchen soll oder was er eigentlich wirklich denkt. Ich weiß nur“, meine Stimme begann so sehr zu zittern, dass sie abbrach. Nachdem ein paar Tränen auf den Boden getropft waren kam wieder eine dünne Stimme aus meinem verspannten Mund: „Dass ich will, dass es wieder wie vorher wird...“ Amy nahm mich in die Arme. Die junge Phantomhive drückte mich fest an sich: „Lass dich nicht unterkriegen, Süße. Ich kann mir vorstellen wie schrecklich das alles ist. Ich hoffe Grell hat ihm mächtig eine reingehauen.“ „Was soll das denn bringen?“, sprach ich in Amys Schulter. „Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen doch bekanntlich das Denkvermögen. Außerdem gehört er für das was er veranstaltet einfach geschlagen. Vielleicht hat Grell ja so seine grauen Zellen wieder an den rechten Platz gebracht. Unterschätze Grell nicht. Er ist einer der Stärksten. Selbst stärker als Seb.“ „Seb?“ „Wir nennen Sebastian so, wenn er nicht in der Nähe ist. Er hasst Spitznamen.“ „Freak...“ „Dämon.“ „Ist das nicht irgendwie dasselbe?“, erschöpft ließ ich mich gegen Amy sinken: „Es wirkt allerdings nicht so, als hätte Grell irgendwas umsortiert. Ich kann Grell verstehen. Ich würde Undertaker auch nicht schlagen.“ „Damit hat Grell wirklich kein Problem.“ „Ja, bis man ihn von der Wand kratzten darf...“ „Grell und Undertaker sind Freunde. Da bolzt Undertaker nicht ohne Rücksicht auf Verluste zurück. Wenn es gute Gründe gab ihn zu schlagen gar nicht. Er schlägt also eigentlich nie zurück.“ „Es ist trotzdem alles wie es schon die ganze Woche ist. Abgebunden, verwirrend und total zum kotzen“, ich richtete mich wieder auf und wischte mein Gesicht trocken: „Alles was er sagt ist knapp und distanziert, doch er… was er tut nicht immer.“ „Inwiefern?“ Ich schaute auf den Verband um die Brandwunde, die ich täglich morgens neu versorgte und verbannt. Sie schmerzte immer noch und fing mit dem Heilen gerade erst an: „Das zum Beispiel. Oder, dass er mir die Kette nicht einfach wieder gab sondern umhing, als ich aus dem Laden gehen wollte.“ Amy zog eine Braue hoch: „Der Mann war echt noch nie ein Interaktions-Genie, doch was er gerade veranstaltet ist die totale Mopelkotze.“ „Zu wissen, dass er sich komischer als üblich benimmt bringt mich aber nicht weiter. Soweit bin ich selbst auch schon gekommen, stell dir vor. Ich... weiß einfach nicht wie viel Sinn, dass alles noch hat.“ „Ich glaube du solltest es weiter probieren“, die Phantomhive stand auf und streckte sich: „Sei mir nicht böse, aber ich bin total kaputt und so auch echt keine Hilfe. Ich will einfach nur schlafen.“ Ich nickte matt und stand auch auf: „Wäre ‘ne echt coole Abwechslung.“ „Also dann“, gähnend wandte sich Amy zum Gehen. In dem Moment fegte eine steife Böe durch mein Zimmer. Amys und mein Kopf fuhren herum. „Warum steht dein Fenster offen?“, fragt die Phantomhive verwirrt. „Ich“, blinzelte ich ebenso verwirrt mein Fenster an: „Habe keine Ahnung...“ Ich hatte es wirklich nicht. Schon wieder stand mein Fenster weit offen. Schon wieder stand der Hebel auf Verriegelt. Und schon wieder kann ich mich nicht dran erinnern es geöffnet zu haben. Wie auch, wenn der Riegel gesperrt ist? Amy schaute mich an: „Du hast es nicht aufgemacht?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nicht das ich wüsste.“ Amy ging auf das Fenster zu: „Nicht, dass das das Vieh war.“ „Bitte?!“, ich konnte den Ausruf nicht so leise halten, wie ich gewollt hätte. Amys Einwand traf mich wie ein Hammer. Weil er gut war. Und weil ich selbst nicht drauf gekommen war. Da er so gut und mir bis eben so fern gewesen war, traute ich mich nicht Amy zu sagen, dass mein Fenster schon die ganze Woche offen stand. Vielleicht war ich der Grund, warum keiner von uns mehr richtig schlafen konnte. Vielleicht war ich Schuld an allem! „Wollte es dich nicht anfassen?“, beschaute Amy das Fenster und bekam meine schreckliche Ahnung nicht mit. „Schon, aber...“, ich brach ab. Die Phantomhive drehte sich um und musterte mich: „Aber?“ „Ich… Ich glaube, dass hat es nicht“, haspelte ich. Ich wusste nicht woher dieses Gefühl kam, doch irgendwie wusste ich eine Berührung von dem Ding hätte ernste Folgen. Ich wusste nicht welche und nicht woher dieses Gefühl kam, doch ich wusste irgendwie, dass das Wesen mich auf keinen Fall berühren durfte: „Ich weiß nicht woher, aber ich bin mir fast sicher eine Berührung hätte sehr schwer wiegende Folgen.“ „Spidersense?“ „Ich spüre das Vieh ja nicht. Ich habe nur… dieses Gefühl.“ „Das Schloss ist auf jeden Fall in Ordnung. Alles sehr mysteriös. Wir reden morgen mit Undertaker darüber, ja? Schaffst du das?“ Ich seufzte schwer. Dann nickte ich. „Machst du weiter?“, fragte Amy. Sie wirkte auf viele Arten besorgt. Ich schaute kurz überlegend zur Seite. Vieles in mir wollte aufhören. Fand nicht mehr die Kraft Undertakers Verhalten zu ertragen und weiter nach Wegen zu suchen, alles wieder zu ändern. Doch Etwas in mir wollte so sehr, dass alles wieder in Ordnung kam und war so präsent, dass alles andere einpacken musste. Ich sehnte mich nach Undertaker. Nach all den vielen guten Seiten, die er hatte. Nach all den vielen guten Seiten, die auch die ganzen Wahrheiten über Zombies und Kreuzfahrtschiffe und vielleicht ganz andere für noch mich noch neue Wahrheiten nicht annihilieren konnten. Was er auf dem Balkon sagte und ich so großkotzig verneint hatte, war zum Teil doch wahr: Was er vor hunderten von Jahren gemacht hatte, da schrie kein Hahn mehr nach. Zumindest meiner nicht. Es war mir egal. Ich liebte diesen Mann. Und etwas Präsentes in mir wünschte sich es nicht in den Sand zu setzen. Nur einmal. Nur ein verdammtes Mal nicht. Mein Blick wanderte wieder zu Amy und ich nickte stumm. Die Phantomhive lächelte: „Stark“, dann ging sie aus meinem Zimmer: „Versuch‘ zu schlafen. Gute Nacht.“ „Nacht“, schaute ich der Adelstochter nach, bis meine Türe ins Schloss fiel. Dann stellte ich meinen Wecker wieder auf den Nachttisch, beugte ich mich seufzend über meinen Schreibstich und schloss mein Fenster. Dabei stützte ich mich auf die Tischplatte und merkte wie Etwas an meiner Hand festklebte. Als ich nach unten schaute sah ich, dass ich mich auf ein Blatt meines Schulblocks gelehnt hatte und dieses nun an dem Handballen hing. Ich zupfte es ab und schaute ihm dann irritiert entgegen. Auf dem linierten Papier prangte ein großer Schuhabdruck. Dem Rillenprofil nach eher von einem eleganten, doch recht großem Schuh. Ein weiteres Detail was ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte. Auch zeigte die Schuhspitze, so wie der Block auf meinem Schreibtisch gelegen hatte, Richtung Fenster. Doch was machte ein Schuhabdruck auf meinem Schreibtisch? Das Vieh trug keine Schuhe. Vielleicht war er mir mal irgendwo runter gefallen und eine Schülerin hatte darauf getreten. Vielleicht hing, dass alles gar nicht zusammen. Doch der Schuhabdruck sah eher nach einem Mann aus so groß wie er war: „Das ist kein Schuh. Das ist ein Kindersarg...“ Ich stockte. ‚...Sarg?‘, Undertaker war sehr groß. Er kratze sicher an der 2 Meter Marke. Ein so großer Mann… Ich schüttelte den Kopf: „Ach quatsch.“ Das war nun wirklich so abstrus, dass der Gedanke noch nicht einmal das zu Ende denken Wert wäre. Wie sollte auch Undertakers Schuhabdruck auf einen Schulblock auf meinen Schreibtisch kommen? Ich war mir sicher ihn nie mit in seinen Laden oder auf den Friedhof genommen zu haben. Meinen Zeichenblock, ja. Aber nie einen Schulblock. Sicherlich war mein Streit – oder wie man das, was zwischen dem Totengräber und mir los war, auch immer nennen wollte – mit Undertaker in meinem Kopf nur viel zu präsent und kam mir deswegen als erstes in den Sinn. Immer noch recht verwirrt und vollkommen von allem überfordert krabbelte ich zurück zu meinen schlechten Träumen ins Bett. Irgendwann saß ich mit Amy beim Morgentee/Kaffee. Gesprächig war keine von uns Beiden. Wir waren müde. Der fehlende Schlaf ging langsam selbst der sonst so aktiven und unerschütterlichen Phantomhive an die Konstitution. „Heute ist Mathe und Physik...“, nuschelte Amy irgendwann in ihre Tasse. „Ich weiß...“, nuschelte ich zurück und das mit der Konversation hatte sich auch schon wieder erledigt. Ich fühlte mich komisch. Das unangenehm warme Gefühl ließ sich nicht recht aus meinem Kopf vertreiben und wollte mir ständig in die Glieder steigen. Es war extrem anstrengend dies zu verhindern. Außerdem hatte ich sengende Kopfschmerzen. Doch so schlimm war das alles gar nicht. Etwas, was ich mir immer wieder sagte. Es war nur eine kleine Erkältung mit ein bisschen Fieber. Alles kein Grund umzufallen. Doch was sich wirklich komisch angefühlt hatte war der morgendliche Blick in den Spiegel gewesen. Ich hatte mich gestern Morgen entschieden den Zopf, den mir Undertaker geflochten hatte nach dem Duschen nicht neu zu binden. Da er ein Zeichen für etwas war, was dank mir nicht mehr zu existieren scheint. Aber es fühlt sich so falsch an. Meine Haare sahen auch einfach falsch aus. Es erinnerte mich daran was ich dabei war zu verlieren. Oder vielleicht schon verloren hatte. Denn wenn ich etwas nicht konnte, dann meine Chancen abwiegen. Undertaker war momentan einfach vollkommen unberechenbar. Noch unberechenbarer als üblich. Komischer als üblich, unberechenbarer als üblich und endlos paradox. Dazu kam, dass mir immer wieder durch den Kopf ging, dass er während meines kurzen Besuches nicht einmal gelacht hatte. Nicht mal gekichert oder gegrinst. Er war so kurz angebunden und ernst gewesen. Meine Sterne, ich erkannte wie schlecht sie standen. Und während es mir auf viele Art und Weisen so schlecht ging, wie meine Sterne standen, quälte ich mich durch den Schulalltag. Durch eine Stunde Mathe und eine Stunde Physik. Ebenfalls Fächer, in denen ich schon unter normalen Umständen keine Leuchte war. Ich dachte gar nicht erst darüber nach, wie heute meine Leistungen gewesen waren. Frühstück aß ich nur mäßig. Ich aß zwar, aber zu langsam um es in der Zeit zu schaffen. Nach dem Frühstück putzte ich das Bad und wusch einen neuen Schwung Wäsche. Ich brauchte dafür gefühlte Jahre. Ich war einfach nicht in der Lage mich schnell und koordiniert genug zu bewegen um zügig zu sein. Doch ich schaffte es in der Zeit, auch wenn das Bad nicht so sauber war wie von mir gewohnt. Auch legte ich die Kleider mit in die Waschmaschine, die immer noch von Sonntag über unserer Heizung hingen. Außer Ronalds und Williams Hose, da sie total verbrannt waren. Als ich das große Brandloch in Ronalds Hosenboden sah, wusste ich auch sofort warum er sich sein Jackett umgebunden hatte. Als ich allerdings die Schuhe in ein Fach unseres Schuhregals räumen wollte, bis sie wieder abgeholt wurden, hielt ich kurz inne. Ich beschaute kurz die Schuharmada der Shinigamis und meine Gedanken fanden ihren Weg zurück zu meinem Schulblock. Ich wusste wie dösig diese Idee war, doch holte ich besagten Block ins Badezimmer und musterte den Schuhabdruck. Dann wieder die Schuhe unter der Heizung. 2 Paar Lackschuhe und 2 Paar Absatzschuhe. Natürlich kam keiner dieser Schuhe in Frage. Sie standen hier seit Tagen und hatten augenscheinlich noch nicht von selbst laufen gelernt. Auch wenn mich dies nicht mehr wundern würde. Trotzdem griff ich einen von Ronalds Schuhen und verglich die Sohle mit dem Abdruck. Der Schuh war zu klein, aber das Muster war dasselbe. Dasselbe Spiel bei William. Sein Schuh war etwas größer, als Ronalds, doch zu klein für den Abdruck. Hatte allerdings auch das gleiche Muster. Es war also definitiv ein Lackschuh und die Lackschuhe von Ronald und William waren dazu noch wirklich hochwertige Modele. Ich war kein Experte für Männerschuhe, doch ich war mir fast sicher, dass diese Schuhe nicht aus Menschenhand stammten. Ich spekulierte eher, dass sie von anderen Sensenmännern gefertigt wurden. Obwohl ihre Sohle schon recht abgewetzt war, waren sie super gepflegt und sicherlich noch lange zu gebrauchen. Das Profil des Abdrucks war allerdings noch abgenutzter, als das der beiden Reaper. Dann griff ich Grells Schuh. Es machte keinen Sinn, ich schindete nur Zeit, da ich aus irgendwelchen undefinierbaren Gründen Hemmungen hatte sofort nach Undertaker krassen Lackstiefeln zu greifen. Ich griff also erst Grells Schuh und er war viel zu klein. Grell schien von allen die kleinsten Füße zu haben. Ich stellte die rote Stiefelette ab und beschaute die Lackstiefel. Nach einem tiefen Einatmen nahm ich endlich einen in die Hand und hielt ihn neben dem Abdruck. „Sie...“, ich starrte auf den Vergleich in meinen Händen. Lange konnte ich nichts sagen. Sicherlich 5 Minuten brauchte ich, bis ich meine Stimme wieder gefunden hatte: „Sie sind gleich groß...“ Ist das…? War…? „Ich versteh das nicht“, schüttelte ich den Kopf. Vielleicht hatten der Totengräber und der mysteriöse Schuhabdruck-Verursacher nur zufällig dieselbe Schuhgröße. Obwohl ich das bei dieser Größe irgendwo bezweifelte. Undertaker trug mindestens eine 14, wenn nicht sogar eine 15! Doch es musste ja so sein. Undertaker hatte keinen Grund mehr in mein Zimmer zu kommen. Ich entschloss mich, dass alles sein zulassen. Es war eh eine totale Schnappsidee, nur gut dafür mich noch mehr zu verwirren. Ich verräumte die Schuhe im Schuhschrank und legte den Block wieder auf meinen Schreibtisch. Anschließend ging ich zum Kunstunterricht, doch ich schaffte es nach 15 Minuten durch zwei recht zittrige Striche die Arbeit von 3 Wochen fast komplett zu Grunde zu richten. Nach einigem Verzweifeln, Fluchen und Haare raufen machte ich mich daran die Farbe mit einem Farbspachtel abzukratzen. RATSCH! „Nee~ein!“, meine Stirn kippte, Hände vor den Augen, gegen meine zerstörte Leinwand: „Das kann doch nicht wahr sein...“ Die Arbeit von 3 Wochen… Im Eimer! Total! Unrettbar! Denn einmal quer durch den ganzen Stoff zog sich ein riesiger Riss. Meine Augen sprangen auf als ich merkte, dass die Farbe an meiner Stirn sogar noch feucht war. Ich seufzte geschlagen und ließ die Arme baumeln: „Das kann doch wirklich einfach nicht wahr sein...“ Ich richtete mich auf und machte mich daran mir mit einem Stofflappen das, was von meinem Bild übrig geblieben war, aus meinem Gesicht zu wischen. Ich fing mehr als nur halbherzig einen neuen Versuch an. Dann hatten wir wieder zwei Stunden Musik. In meinem Kopf kriegen würde ich die Noten vor meiner Nase wahrscheinlich nie mehr und stellte meine Geige irgendwann sogar in die Ecke. Um 14 Uhr war der verpflichtende Teil endlich geschafft. Doch meine Gedanken drehten sich um einen Shinigami mit kalter Schulter, einer zerstörten Leinwand und viele Fragezeichen in Mathe und Physik: ‚So eine Scheiße...‘ So wie die ganze Woche... Am Mittagstisch angekommen legte Amy ihren Kopf auf meine Schulter: „Ich mag nicht mehr...“ Ich legte meinen Kopf auf ihren Kopf: „Ich weiß was du meinst...“ So saßen wir an unserem Platz und aßen nichts. Selbst Amy hatte wohl etwas endgültig den Appetit verhagelt. „Ist was mit Lee?“, fragte ich 2 Minuten, nachdem die auf meiner Schulter hängende Phantomhive verkündete sie würde nichts essen. „Jein...“ „Also ja.“ Amy nahm den Kopf hoch und sah mich an. Dann malte sie Gänsefüße in die Luft: „Er ‚geht heute aus‘.“ „Wie heißt sie?“ „Interessiert mich nicht. Ich habe nicht vor ihr Blumen ans Grab zu legen.“ „Beruhige dich mal...“ „Vielleicht sollte ich die Absätze ihrer Highheels ansägen.“ „Ich glaube du übertreibst.“ „Oder ihr Natriumhydroxid ins Schminkpuder kippen“, ein großes, fieses Grinsen erschien auf ihrem Gesicht: „Die würde sich beim Abschminken so richtig wundern.“ „Maßlos...“ „Ich helfe dir auch bei deinen Plänen“, Amy schaute mich mit aufgeplusterten Wangen an: „Warum hilfst du mir nicht mit meinen?“ „Ich will Teegebäck backen, du Leute assasinieren. Erkennst du den Unterschied?“ „Ja, ja ist ja gut“, dann schaute sie mich doch recht ehrlich gebeutelt an: „Doch was soll ich dann tun?“ „Sag ihm, dass du es nicht willst.“ „Was?“ „Dass er mit ihr ausgeht. Sag du hast auch Zeit. Der Unterricht ist vorbei, ein wenig Zeit hättest du.“ „Ich kann doch nicht bestimmen mit wem er ausgeht“, kippte Amys Kopf zur Seite. Ich seufzte: „Amy, wir spielen hier gerade verkehrte Welt.“ „Wie?“ „Ich bin die, die zögert und du die mit den Kopf-durch-die-Wand-Ratschlägen, nicht anders herum. Also, ab mit dir. Mit dem Kopf durch die Wand.“ Amy schaute mich kurz an. Ich wedelte mit einer Hand: „Na hopp! Wartest du auf besseres Wetter?“ Mit einem wieder Amber typischen Grinsen huschte sie ohne ein weiteres Wort aus dem Speisesaal und tippte dabei fleißig auf ihrem Handy herum. Ich blieb noch eine Weile sitzen: „Mit dem Kopf durch die Wand, hm?“ Ich war mir sicher, auch ich stand vor einer Wand. Und die wollte ich einrennen. Doch wie oft ich davor rennen musste, bis sie umfiel, das war eine Frage auf die es keine wirkliche Antwort zu geben schien. Ich hatte das Gefühl dieser Ratschlag funktionierte nur mit gewaltigen Kopfschmerzen, oder einfach gar nicht, wenn auf der Wand ‚Undertaker‘ stand. Was es bei mir tat. Auf dem Gang sah ich ein blaues Kleid mit Schürze Richtung Küche huschen. Lola hatte wieder keine Zeit, versprach mir aber Morgen welche zu haben. Ich ging die Treppen weiter hoch und öffnete hustend die Türe zu unserem Apartment. „Und du denkst im Archiv könnte etwas sein, was dir weiter hilft?“ ‚Amy ist noch da?‘, mit zu Schlitzen gezogenen Augen schloss ich die Wohnungstür. Es gab für mich nur einen logischen Grund warum sie noch nicht auf dem Weg ins East End war. „Ehehe. Ich weiß nicht. Dort unten ist so einiges. Einen Blick wäre es wert.“ ‚Undertaker! Ich wusste es!‘, was ich nicht wusste war, was passierte wenn er mich sah. Doch trotz dieser Ungewissheit erschien ich in der Wohnzimmertür. Wie erwartet saß Undertaker auf unserer Fensterbank und unterhielt sich mit der jungen Phantomhive, die allerdings schon recht aufgedonnert und bereit für ihr Treffen mit Lee zu sein schien. Was unerwartet war war, dass er sein Hemd gegen einen dünnen, schwarzen Pulli mit ¾ Ärmeln und V-Ausschnitt getauscht hatte, der ihm so perfekt passte, dass er eine sehr gute Idee von seiner Statur vermittelte. Die stattlich war… ziemlich gut trainiert… und unheimlich attraktiv... Ich merkte meinen Kopf noch wärmer werden und atmete einmal tief durch: ‚Lass dich nicht immer so leicht aus der Fassung bringen, Rosewell...‘ „Hey Undertaker“, lächelte ich schließlich und ging in den Raum. Undertaker schaute von der Phantomhive auf und musterte mich durch seinen Pony: „Guten Tag, Skyler.“ Dann schaute er wieder zu Amy: „Nihihihi, nun denn. Es wartet noch Arbeit auf mich“, er hüpfte auf seine Füße: „Danach gehe ich mit Grell ins Archiv und versuche mehr über euren rätselhaften Besucher herauszufinden. Ich wünsche einen angenehmem Abend, die Damen!“ Und schon war er wieder verschwunden. Ich schaute Amy an. Sie hob ihre Faust: „Kneif dir morgen das Hallo und nimm direkt die.“ Ich schüttelte den Kopf und rollte die Augen an die Decke: „Amy, was machst du noch hier? Du hast eine Mission, vergessen?“ „Du auch.“ Ich seufzte: „Geh schon los.“ Amy musterte mich mitleidsvoll: „Sicher?“ „Jetzt lauf schon.“ „Was machst du denn dann? So ganz allein?“ „Ich geh zum Friedhof“, ich lächelte sie dünn an: „Ich hab schon recht lange nichts mehr gezeichnet und nach dem Desaster heute im Kunstunterricht muss ich mir beweisen, dass ich es noch kann.“ „Wenn du es sagst“, die Phantomhive ging an mir vorbei. Kurz vor dem Türrahmen stoppte sie: „Wenn was ist, ruf mich an.“ „Klar“, antwortete ich ihr: „Bye.“ „Bye.“ 45 Minuten später ging ich, meine Schuluniform gegen Alltagskleidung getauscht, mit gepackter Zeichentasche durch das Friedhofstor und zog meine Kopfhörer aus meinen Ohren. Ein kleiner Windstoß hieß mich willkommen, wehte mir den erdigen Geruch des alten Friedhofs entgegen und ließ mich zwei Schritte hinter dem Tor inne halten. Genüsslich hielt ich meine Nase in den Wind, schloss meine Augen und hörte der Stille des Friedhofs zu. Ich mochte die Ruhe auf dem Friedhof und diesen Geruch. Ich mochte generell erdige und natürliche Gerüche. Und als ich darüber nachdachte was alles erdig und natürlich roch, wurde mir das Herz schwer und ich öffnete die Augen. Als ich nach unten schaute wusste ich, dass es nur noch den Geruch von Zucker brauchte und der Friedhof würde fast genauso riechen wie: „Undertaker...“ Vielleicht war der Friedhof wirklich nicht das beste Ziel für mein von Liebeskummer gebeuteltes Herz. Aber ich ging seit fast 2 ½ Jahren zum Zeichnen hierher. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht es nicht zu tun. Mit einem kleinen Seufzen setzte ich mich wieder in Bewegung. Ich ging wie gesagt schon seit 2 ½ Jahren hier hin und hatte Undertaker in dieser Zeit sage und schreibe 2x hier getroffen. Die Wahrscheinlichkeit ihm ausgerechnet heute über den Weg zu laufen war folglich eher klein. So lief ich los und hielt Ausschau nach dem passenden Motiv. Und als ich so angestrengt Ausschau hielt erreichte ein komisches Geräusch mein Ohr. Ich zog die Augen zusammen. Es klang wie ein…. Kratzen? ‚Was ist das?‘ Das Geräusch war behäbig und kehrte in einem gleichbleibenden Rhythmus zurück. Ich folgte dem Geräusch. Nach wenigen Schritten wurde es lauter und deutlicher. Ich stoppte kurz und spähte die Zeile recht frischer Gräber entlang, vor der ich gelandet war: ‚Schaufelt dort jemand?‘ Ich kannte mich mit Friedhöfen nicht unglaublich gut aus, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass Gräber noch mit einer Schaufel ausgehoben wurden. Sicherlich wurden auch solche Dinge mittlerweile mit Maschinen gemacht. Einem kleinen Bagger, zum Beispiel. Ich folgte also weiter diesem kratzenden Geräusch, welches - da war ich mir sicher - ein Schaufeln war. Irgendwann sah ich einige Schritte vor mir ein rechteckiges Loch, Ränder wie mit dem Lineal gezogen, an dessen rechte Seite sich ein Hügel Erde aufhäufte. In regelmäßigen Abständen flog Erde auf besagtem Hügel und ein Kopf mit silbernen Haaren schaute aus dem Loch. Ich blinzelte zwar irritiert, aber nicht da ich verwundert war, dass Undertaker wohl das einzige Wesen unter der Sonne war, welches Gräber noch per Hand aushob! Das wunderte mich wirklich nicht. Mich wunderte eher, dass er mir - oder ich ihm - ausgerechnet heute über den Weg lief. Kurz überlegte ich einfach zu gehen. Der Totengräber schien – wortwörtlich - so in seine Arbeit vertieft zu sein, dass er mich noch gar nicht bemerkt hatte. Ich tat einen zögerlichen Schritt zurück, da hallte Amys Stimme durch meinen Kopf: ‚Initiative und Beharrlichkeit!‘ Und da begann ich die Dinge anders zu sehen. Das hier war ein Wink mit dem Zaunpfahl und dieses Mal wollte ich dem Schicksal zeigen, dass ich ihn gesehen hatte! So ging ich auf das Loch zu und blieb an dem Ende stehen, an dem der Bestatter gerade so emsig buddelte: „Undertaker?“ Undertaker stoppte sofort, drehte sich zu mir um und legte den Kopf in den Nacken um mich aus seinem Loch heraus anschauen zu können. Einige Herzschläge sagte er gar nichts. Ich sah seine Augen nicht, doch ich hatte das überdeutliche Gefühl, dass der Totengräber mich musterte. Ich schaute hinunter auf seine Lippen. Sie waren kein Strich, doch eher skeptisch verzogen und so auch kein Lächeln. „Skyler?“, fragte er schließlich mehr als alles andere. Ich winkte zögerlich: „Hi. Ähm… Wie geht es dir?“ Undertaker wackelte mit dem Kopf und zog seine Mundwinkel nach oben: „Kehehe! Unkraut vergeht nicht.“ ‚Schon wieder!‘, diese Antwort ärgerte mich. Sie ärgerte mich, weil es immer noch so klang, als sei er das Unkraut in Gottes Garten. Ich packte die Gelegenheit beim Schopfe, dass Undertaker in einem ca. 1.60m tiefen Loch stand, welches er noch nicht zu Ende gegraben hatte und mir so schwerer entfliehen konnte. Ich ging in die Knie und war so das erste Mal größer als der Bestatter: „Das ist keine adäquate Antwort auf die Frage wie es dir geht, meinst du nicht auch?“ Tatsächlich ließ die Antwort des Bestatters ein paar Sekunden auf sich warten. Er steckte seine Schaufel in die Erde: „Ihihihi, wieso meinst du das?“ „Weil man gar nicht heraushören kann wie es dir geht.“ „Nun“, Undertaker legte den Kopf schief und grinste breit: „Kihihihi! Es geht auch nicht um die Frage wie es mir geht, sondern um die Frage wie es euch geht. Ich werde schließlich nicht von irgendwelchen komischen Wesen bedrängt, die mich sogar in meinen Träumen verfolgen.“ Ich schaute ihn zweimal Blinzeln lang an. Dann zog ich meine Augenbrauen zusammen. Mir stank die Sache. Ich hatte das unabdingbare Gefühl es hatte einen tieferen Grund warum er der Frage nach seinem Wohlbefinden ganz bewusst auszuweichen schien: „Trotzdem möchte ich wissen wie es dir geht.“ „Nehehe. Warum denn das?“ „Weil es mich interessiert.“ „Nihihi. Muss es nicht.“ Ich fuhr mir kopfschüttelnd durch die Haare: „Was soll das? Sag es doch einfach.“ Plötzlich zeigte er mit seinem langen Zeigefinger auf meine Stirn: „Ehehe! Du hast da was.“ Ich blinzelte erneut. Mein Kopf ratterte ein wenig überfordert von dieser unvorhergesehenen Aussage. „Lenk‘ nicht ab!“, feuerte ich ihm entgegen, als ich das Gesagte nach einigen Sekunden verarbeitet hatte. „Kehehehe!“, er deutete weiter auf meine Stirn: „Da ist wirklich etwas!“ „Das ist mir vollkommen egal!“ „Sieht aus wie Farbe. Tihihi!“ „Rede nicht an mir vorbei!“ „Nehehehe! Du hast es sogar in den Haaren!“ „Undertaker!“ Sein Grinsen wurde weiter: „Nihi! So heiße ich.“ „Was soll das?“, hauchte ich entkräftet. Ich merkte wie meine Verzweiflung in meinem Gesicht erschien. Ich war dabei dieses Wortgefecht zu verlieren. Ich merkte es. Ich sah meine Niederlage winken und konnte nichts dagegen tun. Er benahm sich wie ein Clown! Und ich hatte nicht den Hauch einer Idee was ich dagegen setzen sollte. Bei dieser Erkenntnis stürzte etwas in mir zusammen. „Nun, ich versuche dich darauf aufmerksam zu machen, dass du dir irgendetwas in die Haare geschmiert hast“, er streckte seine lange Hand aus und fuhr mir durch den Pony. Dabei schob er sein Gesicht direkt vor meines: „Ehehe. Farbe, wenn ich raten müsste.“ Ich erstarrte: ‚Er fasst mich an!‘ Seine Berührung surrte durch meinen ganzen Körper. Sengend heiß und klirrend kalt gleichzeitig. Mit großen Augen schaute ich in sein verhangenes Gesicht. Durch einen Spalt in seinem Pony konnte ich ein Stück seines Auges sehen welches auf meine Stirn schaute, während er einmal durch meinen Pony fuhr. Dann hielt er seine lange Hand zwischen unsere Gesichter und ich sah sein Auge darauf fallen. Ich schaute ebenfalls auf seine dünnen Finger die er aneinander rieb. An seinen Fingerkuppen klebten Reste schwarzer und brauner Farbe, die definitiv von meinem zerstörten Bild in Kunst herrührten. „Tatsächlich!“, er giggelte kurz: „Kihi! Es ist Farbe! Fuhu! Wie auch immer die dahin kommt.“ Dann merkte ich seinen Blick auf mir. Ich hob meine Augen zu dem kleinen Spalt in den Haaren hinter der seine unbeschreiblich grüne Iris leuchtete. Die so matt wirkte. Immer noch. Mich streifte bei dem Anblick dieses satten und doch so schattigen Grünes ein Gedanke: ‚Will er nur mir nicht sagen wie es ihm geht‘, ich schaute weiter in sein Auge welches… traurig wirkte. Ich konnte mir nicht helfen, doch ich hatte das nicht zu ignorierende Gefühl sein Auge sah traurig aus. Und müde. Irgendwie furchtbar erschöpft: ‚Oder will er generell nicht, dass irgendjemand weiß, dass es ihm irgendwie nicht gut geht?‘ Ich war mir mittlerweile mehr als nur sicher Undertaker verschwieg seine Gefühlslage, sobald sie von albern und eitle Sonnenschein abwich. Denn dieser Ausdruck, dem ging es nicht gut und er war so verschlossen, dass es unmöglich war zu erraten warum. Er streckte seine Hand ein weiteres Mal aus und fuhr mir immer wieder durch den Pony. Es zippte ganz fürchterlich: „Fuhuhu! Dein Pony ist voll damit! Was hast du gemacht?“ „Ein Bild zerstört“, zog ich aufgrund des Zippens die Augen zu Schlitzen und die Nase kraus. „Ehrlich?“, Undertaker fing wie gewohnt an zu kichern. Es war wirklich wie gewohnt. Für einen kurzen Moment hatte ich nicht das Gefühl die Atmosphäre wäre angespannt. Ich hatte wieder etwas Dösiges angestellt und Undertaker amüsierte sich darüber, während er sich um die Folgen kümmerte. Ohne das ich ihn danach gefragt oder darum gebeten hätte. Eine nur allzu gewohnte Situation. Ich hatte das Gefühl mein Herz holte einmal tief Luft. Denn es fühlte sich das erste Mal seit Tagen nicht so verkrampft an. Ich merkte wie meine Seele die Wärme der Situation aufsaugte. Und obwohl ich die gewohnte Atmosphäre unglaublich genoss, war etwas in mir auf der Hut. Ich traute Frieden generell nicht, doch dieser kam doch sehr plötzlich und unverhofft. Und unverhofft geht genauso oft wieder, wie es kommt. Ich merkte wie meine Seele die Wärme zurücklegte, um Kraft für die sicher bald wiederkehrende Kälte zu sammeln. „Nihihi! Wie das denn?“, sprach Undertaker weiter und riss mich aus meinen Gedanken. Sie waren innerhalb von Sekunden durch meinen Kopf gerattert. „Mit einem Farbspachtel…“ Die Hand immer noch in meinem Pony fing Undertaker laut an zu lachen: „Pahahahaha! Wieso bearbeitest du deine Bilder auch mit einem Farbspachtel?“ „Hab zwei Striche versaut...“ Der Kopf des Totengräbers fiel zur Seite: „Fu fu fu. Kann ich mir nicht vorstellen.“ „Du hast ja keine Ahnung...“ Undertaker brachte seinen Kopf wieder ins Lot und zog meinen Pony nach oben: „ Nihihi! Du hast die Farbe wirklich überall“, er ließ die Hand wieder ein Stück sinken und rubbelte mit dem Daumen an meinem Haaransatz herum: „Sogar an der Stirn!“ Plötzlich wurde sein Auge ein Stück schmaler. Auch war sein Grinsen eingebrochen. Er zog seine Hand aus meinem Pony, legte sie auf meine Schläfe und fuhr mit dem Daumen behutsam über meine Stirn: „Sage mir.“ Ich stockte innerlich. Ich stockte, weil ich nicht verneinen konnte wie gut sich diese kalte Berührung anfühlte. Weil mein Kopf so warm war und die Kopfschmerzen immer noch unterschwellig gegen meinen Schädel pochten. Und weil ich das Gefühl hatte diese Berührung flickte irgendetwas in mir umgehend wieder zusammen. „Bist du wohlauf?“, sprach Undertaker, nachdem er zweimal mit dem Daumen über meine Stirn gefahren war weiter: „Du bist sehr warm.“ Ich machte noch größere Augen. Eine schlimme Erkenntnis schnitt scharf durch das kurze Wohlgefühl: ‚Mein Fieber!‘ Ich hatte nicht mehr daran gedacht! Panik ergriff mich. Wenn Undertaker herausfand, dass ich wieder krank geworden war, was würde er dann denken? Sicherlich, dass ich noch nicht mal in der Lage wäre ein bisschen Novemberwind und Flusswasser zu trotzen. Dass ich fragil bin und viel zu schwach! Er durfte mich nicht für schwach halten! Ich war mir über nichts wirklich sicher, außer über die Tatsache, dass alles vorbei war hielt Undertaker mich für zu schwach! „I-i-ich“, polterte ich recht unelegant los: „Bin doch immer wärmer, als du! Nicht ich bin sehr warm, sondern deine Hände sind sehr kalt!“ Undertakers Auge sah durch den kleinen Spalt direkt in meines. Irgendetwas huschte hindurch und verdunkelte sein Grün noch mehr. Er blieb eine Weile stumm. Nur ein paar Sekunden die sich in die Länge zogen, während wir in die Augen des Anderen schauten. „Stimmt“, sprach er schließlich und zog mit diesem Worten und seinem üblichen Grinsen seine langen Finger aus meinen Haaren. Als er dies tat spannte er mit seiner zurückweichenden Hand die Atmosphäre zwischen uns und brachte sie dem Zerreißen nah. Was in mir zusammengeflickt wurde, fiel wieder auseinander: „Verzeih mir, ich vergaß.“ ‚Nein!‘, ich konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Vielleicht hatte ich gerade die Chance versaut! Undertaker hat mich angefasst… Freiwillig! Und ich hatte vollkommen unüberlegt los geplappert, sodass er seine Hand zurückzog: ‚Das kann doch nicht… Ich bin so blöd!‘ „Sag, Skyler“, er zog sein Gesicht zurück und jeder Zentimeter fühlte sich nach einem emotionalen Meter an. Er begann wieder zu grinsen und lehnte sich seitlich auf seine Schaufel, damit er die Beine kreuzen konnte: „Was möchtest du hier? Kehehehe! Du bist doch sicher nicht her gekommen und mir beim Graben zu zuschauen.“ Ich starrte ihn ein paar Sekunden lang an. Ich war so sauer auf mich. So wütend auf mich selbst und so gnadenlos frustriert. Ich blinzelte ein paar Tränen weg und schüttelte den Kopf. „N-Nein. Ich war nur verwundert, dass hier jemand buddelt… Ich meine… Man hebt Gräber doch nicht mehr per Hand aus, oder?“ Undertaker kicherte kurz auf: „Kihihi. Nein, aber ich habe meinen Spaß daran.“ „Okaaay“, machte ich gedehnt und lächelte… irgendwie: „Jedem das Seine.“ „Was treibt dich also eigentlich hierher?“ „Ich… Ich wollte ein bisschen Zeichnen...“ Sein Kopf fiel zur Seite: „Ehehe. Dann tue dies.“ „Aber… Naja, ich hab dich jetzt getroffen und ich kann dich ja nicht einfach...“ „Nah, tihihi! Mache dir keine Gedanken um mich“, unterbrach mich der Totengräber doch sehr direkt, auch wenn es sehr beiläufig klang: „Ich sagte dir schon letztes Mal, dass du auf mich keine Rücksicht nehmen musst.“ „Aber...“ „Ich bin hier eh noch beschäftigt“, giggelte er wieder direkt durch meinen Satz und sägte mich ab: „Fu fu fu. 20 Zentimeter fehlen mir noch. Also tue doch einfach so, als würde ich hier gar nicht herum streunen.“ ‚Herum streunen?‘, das klang doch wieder mehr als negativ. Mir fiel erst jetzt auf, dass einige Phrasen die Undertaker auf sich selbst bezog, zwar so beiläufig klangen, dass man ihnen keine Bedeutung zu maß, aber furchtbar negativ waren: „Aber...“ „Skyler“, er zog seine Schaufel aus dem Boden: „Ehehe. Gehe ruhig Zeichnen.“ Mir wurde klar, ich hatte das Wortgefecht verloren. Undertaker hatte mich erfolgreich von der Frage wie es ihm ging abgelenkt. Bei dieser Erkenntnis wurde mir endlos übel. Denn nun wollte er auch sehr nachdrücklich das Gespräch beenden. Sicherlich… da ich verloren habe… denkt er nun ich sei zu schwach. Sicher denkt er ich sei zu schwach um mit ihm mitzuhalten, konnte ich ihm noch nicht einmal seine Gefühlslage entlocken. „Ok...“, ich stand auf und drehte mich ab: „Dann bis morgen...“ Und anstatt nach einem Motiv zu suchen ging ich zurück ins Wohnheim. „Nein!!“ Keuchend riss ich die Augen auf. Alles drehte sich. Stumm und schwer atmend starrte ich gen Decke. Dieser Traum… Dieser verfluchte Traum… Immer und immer wieder... Die fünfte Nacht! Ich konnte förmlich spüren wie mein Geist daran vor die Hunde ging. Als ich noch ganz in den Erinnerungen an diesen ätzenden und furchtbare Traum gefesselt war, bewegte sich plötzlich eine der wirren Strähnen die in meinen Wimpern hingen träge. In dem Moment strich kalter Wind über meine Arme. Ich fuhr sofort hoch. „Was?!“, meine mentale Konstitution bekam den letzten Tritt. Mit einem Satz war ich aus dem Bett und knallte mein Fenster zu: „Warum ist das scheiß Ding schon wieder auf?!“ Das Fenster knallte gegen den Rahmen. Es schepperte laut, doch da der Riegel mal wieder auf verriegelt stand schwang es wieder auf. „Ich hab keinen Bock mehr!“, angefüllt mit einer siedenden Wut auf einfach alles und verdammt nochmal jeden trat ich gegen meinen Schreibtischstuhl. Mit voller Wucht… und nackten Füßen: „Au! FUCK!“ Der Stuhl polterte um, während ich auf einem Fuß rum hüpfte und mir den Anderen hielt: „Das gibt‘s doch nicht! Scheiße, man!“ „Was ist denn hier los?“ Ich wandte mich um und sah eine Phantomhive mit irrer Frisur in meiner Türe stehen, die sich müde ein Auge rieb. „Was tust du da?“, fragte sie mit verständnislosen Blick und gähnte: „Wir haben Halb 2 Nachts und du reißt die Bude ab. Geht‘s noch? Ich hatte endlich mal geschlafen.“ Seufzend ließ ich den Fuß ein Stück sinken: „Sorry, Amy. Ich hab die Beherrschung verloren.“ „Ja, das hab ich bemerkt“, Amy ging auf mich zu: „Was hast du gemacht?“ „Ich hab mein Fenster zu gemacht...“ „Warum steht es dann offen?“ „...Weil es nicht zu gegangen ist...“ „Und warum hüpfst du hier rum wie Pinocchio nach einem Besuch im Sägewerk?“ „Ich hab vor den Stuhl getreten...“ „Barfuß?“ „...Ja...“ „Tat das nicht weh?“ „...Ja...“ „Hach, Sky“, Amy stellte den Stuhl wieder hin und schloss zivilisiert mein Fenster. Dann schaute sie mich an: „Traum oder Bestatter?“ „Traum Auslöser, Bestatter Grund...“ Amy setzte sich auf mein Bett: „Ich bleib dabei. Schlag ihn. Feste.“ „Er geht mir aus dem Weg...“ „Er ist ein Trottel“, Amy wuschelte mir durch die Haare: „Schlaf noch etwas.“ „Ich habe keine Lust mehr zu schlafen...“ „Aber du musst es tun.“ Ich nickt schwach: „Ich weiß...“ Amy wünschte mir noch eine gute Nacht und ich legte mich wieder in mein Bett. „Sky!“, jemand rüttelte an mir herum: „Wach auf! Wir haben 7:25 Uhr! Nur noch 5 Minuten bis zum Unterricht!“ Ich riss die Augen auf. Noch nie war ich so schnell wach. Ich sprang in einem Satz aus meinem Bett. Amy hatte mich zwar geweckt, doch war sie wohl auch noch nicht lange wach. Sie trug noch ihren Pyjama. In Windeseile sprangen wir ins unsere Schuluniformen und griffen unsere Taschen. Dann rasten wir aus der Türe. Auf dem Weg zur Treppe zog ich mir noch auf einem Bein hüpfend den letzten Schuh an, während Amy sich im Rennen die Haare kämmte. … Beides keine schlaue Idee… Es kam wie es kommen musste. Ich stolperte und Amy achtete nicht auf mich um mir auszuweichen. So rasselte ich in Amys Rücken, riss die Phantomhive von ihren Füßen und wir beschritten die Treppe anders als geplant: Polternd und kreischend. Nach einem ungeahnt schnellen - doch sehr schmerzlichen - Treppengang kamen wir in der Eingangshalle an. Amy auf ihren 4 Buchstaben und ich auf meiner Nase. Amy rieb sie sich die Sitzfläche: „Au… Doch nicht drei Stockwerke runter...“ Ich sprang auf und riss die Phantomhive hoch: „Komm! Wir haben keine Zeit mehr!“ Ohne Jacke und als wäre der Leibhaftige hinter uns her stürmten wir aus der Türe des Wohnheimes. Wir hechteten über den Schulhof und rannten wie von der Tarantel gestochen ins Schulgebäude. Auf der Hälfte des Weges gab mir Amy ihre Haarbürste. Gleichzeitig mit unserer Ethiklehrerin, Ms. Watsworth, kamen wir am Klassenraum an. Sie beschaute uns zwar skeptisch, doch es war Punkt 07:30 Uhr und wir waren nicht zu spät. Mit gerade noch rechtzeitig gelichteter Frisur und dem unschuldigsten Grinsen auf Erden schlüpften wir in den Klassenraum und versteckten wie gnadenlos außer Atem wir waren. „Die Prefect kommt zu spät“, murmelte Amy: „Das wär‘s gewesen...“ Watsworth zog trocken den Ethikunterricht durch, dem ich doch nur bedingt folgen konnte. Ich war so müde. So müde, schlapp, gefrustet und besorgt. Meine Lider und mein Herz wogen in etwa gleichviel: Tonnen. Nach Ethik ging es mit Biologie nicht gerade erhebend weiter. Eher krachte meine recht lichte Laune weiter in den Keller. Und nicht nur meine. Ich hatte nur selten das Gesicht der jungen Phantomhive so düster gesehen. Ein klarer 'Sprich-mich-an-und-stirb'-Ausdruck lag darin, der selbst mich davon abhielt mit ihr zusprechen. Am Frühstückstisch bemerkten wir, dass sich die 'Funtomtalk'-Truppe als recht gesprächig herausstellte, auch wenn es sich um recht normale Themen handelte. Als Amy mir erzählte die Aristokraten benutzten diesen Chat und es sei mit einem Passwort gesichert, war ich mir fast sicher gewesen die Gespräche drehten sich um Mord, Totschlag, Drogenhandel, Schutzgelderpressungen, oder irgendsoetwas in der Richtung. Doch eigentlich beschwerten sich die Reaper nur über ihre Arbeit, Josi erzählte wie es so in Deutschland lief, Charlie berichtete wo er gerade war, was er dort mache und was sein nächstes Ziel war und der Earl und seine Frau kommentierten das alles recht gelassen und erzählten selbst hier und da einen Schwank aus dem Büro, vornehmlich über kuriose Vorfälle mit Geschäftspartner, Mitarbeitern oder Kunden und ließ sich von ihren Kinder erzählen wie Schule und Uni lief. Von Frank, William und Sebastian las man eher spärlich etwas und Undertaker hatte seit seinem ersten Chatversuch gar nichts mehr verlauten lassen. Amy erzählte sie war sich sicher, der Totengräber verfolgte die Konversationen zwar mit einem Auge, doch schrieb er wahrscheinlich nichts dazu, da es nicht notwendig sei. Ich war zu nervös zum Essen und es ging mir zu schlecht, auch wenn ich mir nicht erlaubte mich schlecht zu fühlen. Ich führte Amy in den Gazebo, bereitete dort alles vor und ging dann in den Wäschekeller. Dort klaubte ich die Kleider der Reaper aus der Trommel um sie aufzuhängen. Dabei kreisten meine Gedanken um die Situation, in der ich steckte. Ich entschloss, wenn ich mir mit Lolas Hilfe heute kein Wunder backen konnte, dann gab es wohl auch keine Wunder mehr. Doch dieser Gedanke ängstigte mich und setzte mich massiv unter Druck. Denn das hieß wenn es heute nicht funktionierte, dann war es vorbei. Vorbei. Endgültig. Und dieser Gedanke tat körperlich weh. Ich versuchte diesen Gedanken zu verdrängen und bekam auch prompt Hilfe von meinem Karma, als ich die Hose des Totengräbers aus der Wäschetrommel zog. Seine Lederhose! „Oh nein!“, in dem Moment, wo ich die Hose in den Händen hatte stellte ich fest, dass ich auch die Hilfe meines Karmas nicht brauchte. Wirklich nicht. Ich hatte keine Ahnung wie man Leder ordentlich wusch! Schon gar nicht Leder, das wohl ein wenig älter gewesen war... oder auch ein wenig mehr... Auch hatte ich gar nicht darüber nachgedacht, dass es Leder war! Ich war schon die ganze Woche so gestresst und verkopft, dass es vollkommen an mir vorbeigegangen war! Die Hose jedenfalls war steif wie ein Brett. Ich sprang auf die Füße und schlug sie ganz intuitiv aus, um zu schauen was ich noch retten konnte. Meine Intuition ließ übrigens auch zu wünschen übrig... RAAAAAATSCH: „Neee~ein!“ Ich hatte nun fast zwei Hosen in der Hand. Der Riss war monströs! Geschlagen ging ich das Gesicht in meinen Händen versteckt in die Knie: „Oh Himmel hilf...“ Es sollte doch eine nette Geste sein! Doch stattdessen hatte ich die Lieblingshose des Bestatters über den Jordan geschickt: „Oh, ich Hohlfrucht... warum kann ich nicht mal für 5 Pennies etwas richtig machen?“ Jetzt konnte der geplante Besuch bei Undertaker ja wirklich richtig interessant werden: 'Hi! Ich weiß du willst von mir eigentlich nicht mehr wissen und bist jetzt gerade sicher total genervt, dass ich wieder unangekündigt vor deiner Nase stehe, aber ich habe dir Kekse gebacken! Und deine Lieblingshose gehimmelt, weil ich zu dumm zum nett sein bin! Cool, nicht?' „...Ich will sterben...“ Ich atmete tief durch und entschloss mich... dass es eh nur zwei Optionen gab: Entweder konnte Undertaker mich am Ende dieses Tages eh nicht mehr leiden, dann konnte es eh nicht mehr schlimmer kommen, oder ich werde auf dem Boden rumrutschend bei ihm um Verzeihung betteln und hoffen, dass ich mich wenigstens so blöd angestellt hatte, dass er es irgendwie belustigend fand. Vielleicht konnte (musste) ich meine Schuld auch mit Witze erzählen abarbeiten. Wahrscheinlich mein Leben lang: „...Ich will wirklich sterben...“ Nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, legte ich die weißen Hemden in die Trommel, von denen ich mir zwar sicher war zu wissen wie man sie wusch, es aber dennoch auf 3 verschiedenen Seiten nachgegoogelt hatte, damit ich dem Bestatter nicht auch noch sein reinweißes Hemd versaue! Mir fiel auch auf, wie komisch sein Hemd geschnitten war. Die Ärmel hatten Überlänge und ein Hemd mit Stehkragen hatte ich generell noch nie gesehen. Auch fiel mir auf wie gut gepflegt seine Kleider waren. Dass Williams Sachen akkurat waren, wunderte mich nicht. Auch das Grell auf seine Kleider achtete passte. Ronald ließ es augenscheinlich ein wenig schleifen, sein Hemd zumindest hatte einen Grauschleier und schiefe Bügelfalten, doch waren sie in Ordnung. Doch Undertakers Hemd war blütenweiß, ausgebügelt und hatte ein Wäscheschild auf dem ein Name stand, der mir nichts sagte und das Datum »1956«. Es sah nicht neu aus, aber bei weitem nicht 59 Jahre alt. Ich tat es fast ehrfürchtig – und betend - mit den anderen in die Trommel, stellte die Maschine an, hing das an Wäsche auf, was mich und den Leviathan überstanden hatte und stellte tragischerweise fest, dass Grells Hose als einziges Beinkleid überlebt hatte. Seufzend verließ ich den Wäschekeller und traf auf dem Weg zum Klassenraum Amy. Die Phantomhive sah mein gestresstes Gesicht, konnte über die zu Tode gewaschene Hose des Totengräbers aber nur herzlich lachen. Endgültig nichts mehr zu Lachen hatten wir in den nächsten zwei Stunden bildende Kunst. „Die Klausur, meine Damen“, verkündete Lowell und knallte einen Stapel Hefte auf das Lehrerpult. Wir zuckten bei dem Knall zusammen in einem Anflug böser Ahnung. „Zum Teil sehr schöne Arbeiten“, Lowell schaute eine Mitschülerin am anderen Ende des Raumes an. „Zum Teil ließen sie zu wünschen übrig“, Lowell schaute uns an. Amy und ich schauten uns jetzt schon vom Schicksal erlegt ins Gesicht und dann wieder nach vorne. Lowell verteilte die Hefte. Einige Schüler freuten sich, einige wackelten mit dem Kopf, nickten aber danach. Dann landeten unsere Hefte vor uns. Ich blätterte meins durch und hatte nur selten so viel Rotstift in einem meiner Hefte gesehen. Viele Jahresdaten waren falsch, doch eine Notiz traf mich besonders hart: »Rokoko hat nichts mit Zombies zu tun!« Ich knallte eine Hand vor meine Stirn: „Das setzt dem ganzen Tag die Krone auf...“ Doch da hatte ich meine Note noch nicht gesehen. Die schien mir leuchtend rot 2 Seiten später entgegen. „Nein!“, hauchte ich und schlug die Hände über meinem Kopf zusammen: „Ich bin durchgefallen!“ „D?“, fragte mich Amy. Ich schaute sie am Boden zerstört an: „Ja... und du?“ „C-“, seufzte sie: „Gerade noch geschafft. Begeistert sein wird Dad trotzdem nicht. Eigentlich ist bildende Kunst mein bestes Fach.“ „Heute“, ich schlug das Heft zu: „Ist ein Scheißtag!“ Dass die folgenden Stunden Sport auch nicht das Highlight meines Tages waren, war wohl nichts was ich noch erwähnen musste. Ms Charles war unbarmherziger denn je. Sie war gereizt, weil die Leistungen nicht stimmten und heizte uns mächtig ein. Vor allem Amy, die auch zu keinen Glanzleistungen mehr fähig schien. Doch auch ich bekam mein Fett ordentlich weg. Mir war so heiß. Ich fühlte mich immer schwächer und kämpfte mehr mit meinem Schwindel, als mit allem anderen. Ich traf nichts. Nicht den Ball und schon gar nicht bekam ich ihn übers Netz, was Ms Charles nur zusätzlich sauer machte und dazu animierte mehr und mehr auf mir herum zu hacken. Es war Folter. Mentale und körperliche Folter. Als ich mich nach dem Unterricht auf die Bank setzten wollte hielt Amy mich auf: „Wir duschen mit den Anderen.“ „Warum?“ „Dem Vieh. Vielleicht taucht es dann nicht auf.“ „Oder wir bringen alle in Gefahr.“ „Was sollen wir denn tun? Wir müssen es probieren. Schau dich an. Du bist nassgeschwitzt und ich auch.“ Ich ergab mich. Zum Diskutieren fehlte mir die Kraft. So landeten wir mit der ganzen Klasse in der Gemeinschaftsdusche und ich duschte fast kalt. Mein Kreislauf war am Boden, doch ich zwang mich weiter zu machen. Ich musste noch zu Lola, danach zu Undertaker. Heute musste ich es schaffen. Ich hatte keine Optionen mehr. Heute galt und ich konnte es mir nicht leisten mir von meinem Kreislauf einen Strich durch die Rechnung machen zu lassen. Tatsächlich blieben wir trotz des schlechten Gefühls in mir von dem Vieh unbehelligt. Amy führte aus wie glorreich sie erdachte, es käme nicht wenn wir nicht alleine wären und wie vorzüglich es funktioniert hätte, als wir ins Wohnheim zurück gingen. Zuhören tat ich ihr nicht. Mir war schwindelig, schlecht und ich wurde immer nervöser. Mein Mittagessen aß ich nicht. Ich trank allerdings fast 4 Tassen Tee. Als wir abgeräumt hatte fing mich Lola an der Türe ab: „Hallo Herzchen.“ „Hi Lola“, lächelte ich ihr entgegen. Die Küchenchefin zog die Augen zusammen: „Schläfst du immer noch nicht besser? Du siehst gar nicht gut aus.“ „Leider nein. Ich habe diese Woche keine Nacht durchgeschlafen.“ „Sollen wir es verschieben? Möchtest du nicht lieber ins Bett?“ „Nein, nein! Ich will... Ich muss das endlich irgendwie hin kriegen! Ansonsten schlaf ich nie mehr gut...“ „Oh weh. Na dann, komm! Wir backen jetzt deine Probleme weg.“ Lolas Enthusiasmus steckte mich nicht an, doch es war erfrischend mit jemanden zu reden, der nicht genauso ermattet war wie ich und etwas Energie versprühte: „Wenn du es sagst.“ Ich verabschiedete mich von Amy und ging in die Küche. Lola entging nicht wie unkonzentriert ich war. Ich versuchte wirklich ihr bis ins Letzte zuzuhören und alles richtig zu machen, doch schlichen sich immer kleine Fehler ein. Zu viel Zuckerrübensirup, zu wenig Hafer und auch mehr Holunder als eigentlich geplant war. Doch Lola rettete mich mit einem skeptisch besorgten Ausdruck im Gesicht. Als die Flapjacks im Ofen waren ließ Lola Schokolade schmelzen und ich hing recht schief auf einem Hocker. Immer wieder fielen mir die Augen zu. Irgendwann waren sie zu geblieben. Ich schlief nicht recht, fiel auch nicht vom Hocker, doch ich dämmerte vor mich hin bis irgendwann meine Nase der Geruch von Kaffee erreichte. Sofort prangen meine Augen auf und ich schaute Lola ins Gesicht. Sie hielt mir eine dampfende Tasse vor die Nase. „Denkst du es ist eine gute Idee das alles heute zu machen, Schatz?“, fragte sie besorgt. Ich nickte und nahm die Tasse entgegen: „Ich glaube ich habe keine Zeit mehr, Lola...“ „Was lässt dich das denken?“ „Er geht mir aus dem Weg... Vermeidet es mit mir zu reden... Gibt komische und knappe Antworten. Redet an Themen vorbei und und und.“ „Das klingt wirklich nicht gut.“ Ich nahm einen tiefen Schluck Kaffee: „Siehst du...“ Lola schüttelt den Kopf. Dann öffnet sie den Ofen: „Naja, wenn du ihm das hier gibst“, sie stellte ein wunderbar duftendes Blech auf die Arbeitsplatte: „Wird er gar keine Antworten geben, da es ihm die Sprache verschlagen wird. Warum wolltest du eigentlich so viele machen?“ „Amy hat sich auch ein paar verdient.“ Lola lächelte angetan und milde: „Verstehe. Kommst du und hilfst mir?“ Anbetracht des wunderbaren Geruchs nahm ich noch einen tiefen Schluck Kaffee, hüpfte von meinem Hocker und half Lola die Bleche voll Keks in Vierecke zu schneiden und eine Ecke in Schokolade zu tunken. Eine Stunde und 3 Kaffee später war ich mit zwei vollgepackten Gebäck-Geschenktüten den Weg die Treppe hoch. Ich war nervös, doch was aus dem Ofen gekommen war war tatsächlich lecker geworden und einigermaßen ansehnlich, was mich doch ein wenig motivierte. „Bye“, hörte ich, als ich durch die Wohnungstüre kam. Amy fand ich ein paar Sekunden später an unserem offenen Wohnzimmerfenster stehen: „War er da?“ Amy nickte: „Gerade weg. Ich konnte ihn nicht im Gespräch halten. Tut mir leid.“ Ich legte den Kopf schief und lächelte: „Halb so wild. Ich trage noch die Jogginghose von nach der Dusche. Das ist nicht gerade der passende Aufzug.“ „Oho!“, Amy legte einen Finger an ihr Kinn: „Machst du dich etwa schick?“ „Ach!“, ich warf ihr ihre Tüte Flapjacks an den Kopf: „Wer hat sich den aufgedonnert wie die junge Britney als es hieß mit Lee auszugehen?!“, ich stockte. Wegen meinem ganzen Gefühlschaos hatte ich vollkommen vergessen, dass Amy ja auch mit den Kopf in einer Schwärmerei steckte. Sie war die ganzen Tage für mich dagewesen, aber ich nie für sie: „Wie war's eigentlich?“ Amy grinste: „Gut. Wir waren was trinken.“ „Donnerstagabends?“ Amy kicherte: „Joa. War nicht viel. 2 Cocktails“, sie hob die Hände: „Aber wenn er schon anbietet zu bezahlen.“ Ein leichtes Lächeln legte sich auf mein Gesicht: „Klingt nach 'nem guten Abend.“ Amy grinsen wurde größer und recht verheißungsvoll: „Er hatte auch ein gutes Ende.“ Mein leichtes Lächeln endete in einer hochgezogenen Augenbraue: „Der Abend oder Lee?“ Amys grinsen wurde noch breiter: „Sowohl als auch.“ Meine Augenlider flatterten und ich wedelte mit den Armen: „Nein! Nein, nein, nein! Ich will nicht mehr wissen!“ „War gut.“ „Hör auf!!“ „Prüüüüüde~“ „Arg!“ Amy fing an zu lachen. Nachdem sie sich beruhigt hatte schaute ich sie an. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen in den letzten Tagen nicht so eine gute Freundin für sie gewesen zu sein, wie sie für mich: „Es tut mir leid...“ „Was?“ „...Dass ich erst jetzt nachfrage“, ich ließ meinen Kopf hängen: „Du redest dir an mir den Mund fusselig. Gibst mir Tipps. Und ich? Ich bin einfach nur ein furchtbar egoistisches Biest...“ Zwei Hände griffen meine Schultern und ich schaute Amy in ihr wie üblich strahlendes Gesicht mit den viel zu müden Augen: „Was redest du denn da? Wer hatte denn die Idee das Date mit Lee an mich zu reißen?“ „Aber du hast viel mehr für mich getan...“ „Bei dir ist ja auch viel mehr nötig. Das mit Lee und mir ist bei weitem unkomplizierter, als der Schlamassel in dem du steckst. Sky?“ Ich legte meinen Kopf ein Stück schief: „Hm?“ Dann nahm mich Amy in den Arm: „Danke für deine Hilfe.“ „Ich danke dir auch“, ich drückte sie zurück: „Für alles.“ Amy half mir bei der Kleiderwahl und hielt mir ein paar Sachen hin: „Nimm die. Dazu deine Boots.“ Ich schaute die Kleider an. Es war eine enge schwarze Röhrenjeans mit vielen großen Löchern, eine Netzstrumpfhose, ein dünner enganliegender schwarz/weiß gestreifter Pulli, eine schwarze bauchfreie Weste mit vielen Reißverschlüssen, Nieten und einem breitem Gurt am unteren Saum und mein breiter Nietengürtel. Ich schaute von den Kleidern zu Amy: „… Ist das nicht eher rockig, als schick?“ „Willst du im Ballkleid auftreten?“ „Nein!“ „Wo ist dann das Problem? Ich weiß, dass es dir stehen wird und es sieht nicht so aus als hättest du dich extra in Schale geworfen. Wie ich dich kenne, soll er bloß nicht merken, dass du dich feingemacht hast. Warum auch immer.“ „Weil sowas total peinlich ist!“ „Keine Sorge. Die Netzstrumpfhose verrät es ihm sowieso.“ Mein Kopf wurde noch heißer als er eh schon war: „Amy!“ Sie lachte auf und warf mir die Sachen über den Kopf: „Wenn du es für eine schlechte Idee hältst, dann zieh halt etwas anderes an. Aber vielleicht solltest du bedenken wer ihn länger kennt. Jetzt zieh dir auf jeden Fall endlich irgendetwas an, oder du gehst nie los.“ Als die Phantomhive mein Zimmer verlassen hatte seufzte ich, schminkte mich, drehte mir meinen üblichen Halbzopf mit Dutt und… zog die Sachen an, die Amber mir gegeben hatte… Amy hatte einmal zufrieden gekichert und mein Aussehen gelobt, als ich meinen Kopf zur Verabschiedung durch den Türrahmen des Wohnzimmers geschoben hatte. Nach einem Seufzen war ich aus der Türe gegangen. Den ganzen Weg zu dem verschrobenen Laden hatte ich mich an dem Stoffbeutel festgekrallt, in dem die kleine Geschenktüte steckte. Es war recht kühl draußen. Für das was ich trug eigentlich zu kühl, doch weder Amy noch ich hatten bei der Kleiderwahl an die Außentemperatur gedacht. Wer schön sein wollte, musste wohl wirklich leiden. Ich war nur leider nicht schön. Der Weg zog sich endlos. Ich fühlte mich wie auf dem Gang nach Canossa. Wahrscheinlich, weil es mein ganz persönlicher Gang nach Canossa war. Als ich in die Gassen eingebogen war erreichte ein Maunzen mein Ohr, als ich eine Gruppe Mülleimer passierte. Davor stand ein wohlbekanntes kleines Kätzchen. Lächelnd ging ich kurz in die Knie und kraulte das kleine Ding hinter seinem Ohr: „Na du?“ Es maunzte nochmal hell und drehte seinem Kopf genüsslich unter meinen Fingern. „Ich würde dich ja gerne länger kraulen, aber ich habe noch was wichtiges vor“, ich stand wieder auf und ging weiter: „Mache es gut, Kleines.“ Doch kaum war ich ein paar Schritte gegangen schaute ich neben mich, wo die kleine Katze neben mir her lief und zu mir hoch schaute. Mit einem leisen Lachen beschritt ich so den Rest des Weges nicht ganz allein. Dann stand ich vor der Ladentüre und haderte mit mir selbst. Ich war weder 100% sicher, ob meine Idee gut oder nur nervig war. Noch war ich mir sicher, ob ich Undertaker in meinem jetzigen Aufzug wirklich unter die Augen treten sollte. Aber Amy hatte mich noch nie willentlich in Bockshorn gejagt. Dafür aber nur allzu oft in guter Absicht. Ich schaute die kleine Katze an, die sich neben mir auf den Boden gesetzt hatte: „Was denkst du?“ Die Katze maunzte. Ich seufzte: „Was mache ich hier? Du verstehst mich ja gar nicht...“ Auf einmal hüpfte die kleine Katze auf, fing wie verrückt zu maunzen an und kratzte an der Ladentür… mit ihren Krallen… Es war furchtbar laut. Schnell schnappte ich das kleine Ding: „Bist du verrückt?“, wisperte ich ihr entgegen: „Du kannst doch hier nicht so ein Theater...“ ...In diesem Moment ging vor mir die Türe auf… Ich brach sofort ab. Ganz langsam und in böser Ahnung hob meinen Kopf. Ich starrte auf die hochgewachsene Gestalt, die jetzt vor mir im Türrahmen stand und… fühlte mich wie der letzte Idiot. „Skyler?“, fragte Undertaker recht skeptisch, als er auch mich durch seinen Pony zu mustern schien. Er trug dieselben Sachen wie gestern. Was sollte er auch sonst tragen? Ich wusste ja wo seine Lederhose war… und auch was ihr widerfahren war… Ich verdrängte diesen Gedanken. Tunlichst. Was ich nicht verdrängen konnte war, wie gut ihm diese Sachen standen. „Hi“, sagte ich langgezogen und zog das dilettantischste Lächeln meines Lebens auf: „Alles klar bei dir?“ Von Undertaker kam eine gefühlte Ewigkeit gar nichts. Dann zeigte er auf die kleine Katze auf meinem Arm: „Wen hast du da?“ „Äh“, ich schaute auf die kleine Katze, die mich anschaute als wartete sie auf ihr Lob. Nach einem Seufzen tätschelte ich ihr Köpfchen und sie begann zu schnurren: „Einen kleinen Streuner wie es scheint“, ich ließ die Katze herunter und sie strich durch meine Beine: „Ich habe ihr am Mittwoch etwas zu essen gegeben und heute lief sie mir den ganzen Weg hinterher...“ „Mir scheint sie mag dich.“ Ich hob meinem Kopf wieder in sein Gesicht und legte ihn mit dem besten Lächeln was ich zu Stande bekam schief: „Meinst du?“ „Skyler, was tust du hier?“ Mein Lächeln brach ein. Irgendetwas in mir wackelte, als ich in sein wieder nicht grinsendes Gesicht schaute: „Also...“ „Ich habe Amy schon alles gesagt was ich weiß.“ „Darum geht es nicht.“ Undertaker seufzte: „Worum dann? Warum kommst du immer wieder hierher?“ Ich ließ meine Augen aus seinem Gesicht fallen. Er schien wirklich von mir genervt zu sein. Vielleicht hatte Amy sich verschätzt. Selbst wenn man Undertaker besser und länger kannte als ich, war er sicherlich immer noch recht schwer einzuschätzen. Aber nun war ich hier und er stand vor mir. Ich brachte es nicht fertig mich einfach umzudrehen und zu gehen. Zu kapitulieren und es nicht ein letztes Mal zu probieren. Ich schaute ihn wieder an. Dahin wo ich unter seinen Haaren seine Augen vermutete: „Ich… wollte mit dir reden.“ „Skyler...“ „Warum nennst du mich Skyler?“, ich schüttelte verständnislos ein wenig mit dem Kopf: „Skyler nennt mich Amy nur, wenn sie sauer auf mich ist.“ „Es ist dein Name, oder liege ich falsch?“ „N-Nein.“ „Warum soll ich ihn dann nicht benutzen?“ „Weil...“, ich drückte die Henkel der Stofftasche mit beiden Händen um meine Anspannung herauszulassen: „Du hast vorher auch immer meinen Spitznamen benutzt. Seit meinem ersten Besuch.“ „Seit deinem ersten Besuch ist einiges passiert.“ „Und genau deswegen bin ich hier.“ Doch Undertaker schüttelte den Kopf, was in mir eine Art persönliches Armageddon auslöste: „Gehe heim.“ „Wa...“, ich versuchte das Zittern meiner Stimme zu unterdrücken, doch ich hatte das Gefühl sein Kopfschütteln hatte mir die Brust zugeschnürt. Ich quetschte meine Stimme an dem riesigen Kloß in meinem Hals vorbei der mich zu würgen begann: „Warum?“ „Weil alles so gekommen ist, wie es nun mal gekommen ist. Niemand kann daran etwas ändern“, eine kurze Stille fiel zwischen uns. Ich schaute weiter in sein verhangenes Gesicht, vollkommen überfahren von dem was er sagte. Mein Herz surrte in meiner verschnürten Brust. Irgendetwas in mir ging unter. Dann griff Undertaker seine Klinke: „Kümmere dich um die Dinge, die wirklich wichtig sind. Um deine Schule, Amy. Versuche irgendwie ein wenig zu schlafen oder wenigstens zu rasten. Ich kümmere mich um das Etwas“, eine weitere angespannte Stille. Ich konnte nicht mehr atmen. Kämpfte mit den Tränen. Kämpfte in mir drin damit nicht unterzugehen. „Mache es gut“, hauchte er schließlich und brach damit die Stille kaum. Dann wollte er seine Türe schließen. In meinem Kopf machte irgendetwas ganz laut Klick. Es war eher ein Knallen und ließ meinen Fuß hervorschnellen. Er hielt die Türe davon ab ins Schloss zu fallen. Ich wollte nicht, dass alles vorbei war! Ich wollte nicht! Mit beiden Händen drückte ich die Türe wieder ein Stück auf und zwängte mich in den Laden. Es funktionierte, doch ich musste ein paar Schritte auf einem Bein in den Laden hüpfen um nicht auf die Nase zu fallen. Es verwunderte mich fast, dass ich es schaffte. Als ich zum Stehen kam, surrte eine Welle Schwindel durch meinen Kopf. Das konnte ich nicht gebrauchen! Ich hatte wichtigeres zu tun! Ich schaffte es mit diesem Gedanken den Schwindel nach hinten zu drängen. „Skyler, was tust du?“ Ich drehte mich um und hob eine Hand: „Ich akzeptiere das nicht.“ Undertaker schwieg wieder kurz. Doch wirkte es dieses Mal als müsse er kurz seine Gedanken aufgrund dieser Aussage sortieren. Er stand einige Schritte von mir entfernt vor der mittlerweile ins Schloss gefallenen Ladentüre und musterte mich durch seinen Pony: „Was akzeptierst du nicht?“ „Das alles so vor die Hunde geht.“ „Was ‚alles‘?“ „Wir!“, ich haderte. Irgendwie klang das Wort ‚Wir‘ zu hoch gegriffen: „Also! Ich meine… du… ich… wir“, da war es schon wieder! In mir wuchs Wut über meine eigene verbale Inkompetenz: „Das, was wir hatten!“, ich schlug sofort meine Hände vor mein Gesicht. Ich merkte wie heiß es war und wie es noch viel heißer wurde. Das klang auch wieder nach zu viel! Viel zu viel! Ich ließ meine Hände herunter fallen als mir klar wurde, dass ich es nicht ausdrücken konnte: „Es... tut mir leid, dass ich weggerannt bin… Es tut mir leid, dass ich dir Unrecht getan habe und dass… denn ich“, ich kniff meine Augen zusammen und ballte meine Hände zu Fäusten: „Ich hab vor einer Woche deine ganze Hilfe, all die netten Dinge die du zu mir gesagt und für mich getan hast, all die Situationen nach denen ich ohne dich gar nicht mehr da wäre, mit Füßen getreten, als ich beschlossen habe dich auszufragen und dann wie ein Hase weggerannt bin. Wenn ich die Zeit zurück drehen könnte, würde ich nicht weg laufen. Dann würde ich da bleiben und dir sagen, was ich wirklich denke...“ „Du kannst die Zeit nicht zurückdrehen. Das kann niemand.“ „Es geht nicht darum was niemand kann!“, ich schaute ihn wieder an: „Undertaker! Ich habe dich kennen gelernt wie du jetzt bist und nicht wie du vor 100 Jahren warst! Alles andere ist nebensächlich.“ „Ich habe mich nicht sonderlich verändert.“ „Blödsinn!“, ich schüttelte den Kopf: „Niemand bleibt 100 Jahre der Selbe!“ „Sehr wohl. Jemand, für den sich 100 Jahre nicht mehr wie 100 Jahre anfühlen.“ Ich starrte ihn an. Was er sagte klang gar nicht so unwahr wie ich es gerne gehabt hätte. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, dass jemand der so alt war Zeit anders wahrnehmen musste, als Jemand mit einer normalen Lebensspanne. Ich spürte wie etwas in mir wackelte. Doch ich durfte nicht wackeln! Was ich jetzt tat galt! Es galt! „Dann warst du damals schon kein schlechtes Wesen.“ „Du weißt was ich getan habe. Doch auch das nur zu einem Teil.“ „Ja, ich weiß es. Und ich will mehr wissen. Ich will es wissen, weil deine Vergangenheit ein Teil von dir ist. Weil ich neugierig auf dich bin und auf alles was den Charakter geformt hat, den ich kennen lernen durfte. Ein Charakter, der großartig ist. Du hast gute Seiten. Ich sehe sie. Undertaker, du bist großartig.“ Wieder schwieg Undertaker. Sein nicht lächelnder Mund war ohne seine Augen nur eine Maske, die an Ausdruck vermissen ließ. Komisch und unbehaglich. Dann ging er plötzlich ein paar Schritte in den Laden. Schließlich blieb er vor mir stehen: „Wie kannst du all das sagen? Wie willst du verkraften was ich noch alles getan habe, wenn wir beide schon wissen wozu die erste Erzählung geführt hat?“ „Ich laufe nicht mehr weg“, ich schaute fest dahin, wo seine Augen sein müssten. Weil ich es meinte. Weil ich mit jeder Faser meines Körpers spüren konnte, dass ich es genauso meinte. Ich sprach die Worte aus, ohne dass ich wirklich dachte. Sie kamen nicht aus meinem Kopf, sondern aus meinem Bauch und meinem Herzen: „Nie wieder. Ich laufe sicher nie wieder vor dir weg. Denn die einzige Richtung, die sich richtig anfühlt, ist zu dir hin.“ Vollkommen unvorhergesehen verzog sich sein Mund wieder in ein Grinsen und er lachte leise auf. Es war ein komisches Grinsen. Es wirkte nicht amüsiert, doch ich konnte nicht erklären was für ein Ausdruck wirklich darin lag: „Eh he he! Zu mir hin, ja? Wie naiv. Possierlich, doch unbeschreiblich naiv“, sein Grinsen wurde noch weiter und noch komischer: „Ke he he. Es gibt gute Gründe warum die Menschen vor mir Reißaus nehmen, Skyler. Die Instinkte der Menschen sind flach geworden. Schwach, dünn und ungenau. Doch auch sie erkennen noch, wenn der Tod vor ihnen steht. Ich bin ein Sensenmann. Ein Wesen, dessen einzige Existenzberechtigung darin liegt die Seele von Menschen aus ihren Körpern zu reißen und ihr Leben zu beenden. Doch wer entscheidet wer sterben soll? Niemand hat das Recht dazu. Niemand hat das Recht sich über das Leben zu erheben und mit dem ausgestreckten Finger Todesurteile zu verteilen. Einzig ein in Leder gebundener Stapel Papier, vollgekritzelt mit Namen und Daten, zum Bersten voll mit Fotos und Orten, Fakten und Angaben, entscheidet wer sterben soll, wann und wie. Doch es gibt Wesen, die nahmen sich dieses Recht einfach heraus. Übergingen das in Leder gebundene Papier. Nahmen sich einfach dreist das Recht, das niemandem zusteht und verfügen nach Belieben über Leben und Tod. Wesen wie mich“, er nahm seinen Zeigefinger und wischte mir behutsam, aber nur mit der Spitze seines langen Fingernagels eine verirrte Strähne aus dem Gesicht: „Du bist eine vorzügliche Rednerin. So passioniert, wenn du etwas meinst. So wunderbar wortgewandt, wenn du für einen Moment vergisst über deine Worte nachzudenken. Doch wer vor dir steht kann auch deine kleine Goldzunge nicht gut reden“, er zog seine Hand zurück: „Und ich brauche so etwas auch nicht.“ Mit langsamen Schritten ging er an mir vorbei: „Ich brauche niemanden, der das Gute an mir sucht. Keinen blauäugigen Weltverbesserer. Ich brauche niemanden, der mich oder was ich tue und sage, oder getan und gesagt habe, so hinbiegt, dass es eine tiefe versteckte gute Bedeutung hat. Ich bin solcher überdrüssig. Im Endeffekt fallen sie eh nur von ihrem Glauben ab und gehen. Und die Zeit die sie bleiben ist meist von unglaublich minderwertiger Qualität, da diese Persönlichkeiten oft unbeschreiblich nervig sind und in ihrem Gebrabbel alles andere als erheiternd, sondern eher sehr sehr einschläfernd.“ Ich drehte mich halb um. Undertaker war 2 Schritte hinter mir stehen geblieben und drehte mir so den Rücken zu. Doch ich sah, dass er an seine Decke schaute: „Jemand, der das ganze Schlechte sieht und mich trotzdem voll akzeptiert. Das wäre allerdings eine nette Abwechslung.“ Mehr als einen Moment konnte ich gar nichts tun. Ich starrte einfach nur auf die Rückseite des hochgewachsenen Sensenmannes und fühlte mich von seinen Worten regelrecht überfahren. War was er sagte doch alles in allem recht hart gewesen, hatte sein letzter Satz einen unglaublich bitteren Touch. Auch da er ihn leiser gesprochen hatte, als die Vorangegangenen. Ich fragte mich auch, was er damit meinte. Er hatte doch einige Freunde. Er war auf jeden Fall mit Amy befreundet. Und laut Amy auch recht gut mit Grell. Auch die andern Sensenmänner waren seine Freunde, wenn vielleicht auch nicht so eng. Und was war mit dem Earl und Co.? Das waren doch auch seine Freunde. Sebastian außen vor gelassen. Mit ihm war Undertaker wohl wirklich nicht befreundet. Eher war es eine Art Waffenstillstand. Ich entschied, dass es nichts brachte mich das alles im Stillen selbst zu fragen: „Du hast doch einige Freunde.“ Undertaker seufzte: „Ke he he. Dem ist wohl so“, dann drehte er den Kopf halb zu mir. Sein Grinsen fehlte wieder komplett: „Doch keiner von ihnen akzeptiert, was damals geschehen ist. Die Reaper beispielsweise halten es mir vor. Immer wieder. Bei jeder Gelegenheit. Die Menschen lassen es außen vor. Was wohl auch wirklich das Beste ist, was ich erwarten kann. Ich erwarte auch nicht mehr. Es ist gut so.“ „Sie mögen dich trotzdem und du tust das alles ja auch nicht mehr.“ „Gewiss. Aber das ändert alles nichts daran, dass es Dinge und Seiten in mir gibt, die mich damals dazu verleitet haben mich zu entscheiden, wie ich mich nun mal entschieden habe. Ich stand nicht unter Zwang. Nie. Es waren meine Entscheidungen und sie kamen aus einem tiefschwarzen Teil von mir, den es heute immer noch in genauso großen Ausmaßen gibt wie damals. Ich habe nur jetzt etwas… Wesen… die mir wichtiger sind, als die Befriedigung meiner eklatant anders und dunkel gearteten Neugierde und Rachegelüste. Sodass ich diesen Teil von mir, der ein großer Teil von mir ist, in ein viel zu kleines Kästchen irgendwo in meiner Seele zwänge und mich drauf setzten muss um es drin zu halten“, er grinste wieder. Ein Grinsen, welches unglaublich plakativ wirkte: „Fu fu fu! Doch ich habe halt kein Größeres!“, er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand und drehte sein Gesicht wieder nach vorne: „Eh he he he. Sei‘s drum.“ Nachdenklich beschaute ich ihn. Es klang, als habe er das Gefühl zwar wirklich von seinen Freunden gemocht zu werden, doch das nur in Teilen seiner Persönlichkeit. Nie ganz. Das muss ein fieses Gefühl sein. Und verstellte er sich wirklich jeden Tag so sehr? ‚Nein!‘, ich war mich sicher, dass nicht. So stellte ich meine Tasche auf einem Sarg neben mir ab und fasste mir ein Herz. Mein Herz, das von den Ausführungen des Bestatters so schwer geworden war. Nach zwei schnellen Schritten warf ich ihm meine Arme um die Taille. Ich hielt ihn so fest ich konnte. Damit seine und meine schlechten Gefühle keinen Platz mehr hatten: „Gut und Böse sind immer nur eine Frage der Perspektive und Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters. Auch auf charakterlicher Ebene. Aus meinem Blickwinkel ist deiner nicht zu so großen Teilen so schwarz. Ich finde deinen Charakter schön. Ich mag dich, Undertaker. Sehr. Mit allem, was gut und schlecht ist. Mit allem, was du getan hast. Mit jeder Entscheidung die du gefällt hast, egal wie sie aussah. Ich mag dich… und ich vermisse dich…“ Hände griffen meine Handgelenke und bogen sachte, aber bestimmt meine Arme auseinander: „Sage so etwas nicht. Tue so etwas nicht. Gehe heim, Skyler“, Undertaker lies meine Hände los: „Gehe heim und komme nicht mehr hier hin zurück.“ Meine Unterlippe zitterte. Obwohl er mir kein Haar gekrümmt und auch das Auseinanderbiegen meiner Arme nicht im Mindesten geschmerzt hatte, fühlte ich mich als habe man mich gerade zusammen geschlagen. Von allen Seiten gleichzeitig. Ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper, als ich ein paar Schritte nach hinten tapste. Ich konnte die Tränen nicht mehr halten. In mir war ein riesiges Loch. Eines der Löcher, die blutig waren. Die schmerzhaft zeigten, dass etwas fehlte. Etwas Großes. Direkt in meiner Brust. Mitten in meiner Seele. Mein Schwindel brach sich Bahn. „Es tut mir leid“, hauchte ich, als die Tränen zu Boden tropften, mein Kopf sich drehte und meine Knie so stark zitterten, dass ich nicht sofort laufen konnte. Ich musste husten: „ Ahe! Ahe! Es tut mir so leid. So unendlich leid. Ich habe schon… Ahe! Befürchtet, dass ich nichts mehr retten kann… Ich wollte es trotzdem probieren, weil du mir so wichtig bist. Doch ich… Ich habe Schmerzen“, ich musste aufgrund eines leisen Wimmerns abbrechen, in das sich immer mehr trockener Husten mischte. Langsam richtete ich mich immer noch hustend wieder ein Stück auf und ging auf wackeligen Beinen zu meinem Beutel. Es war mehr ein Torkeln. „Sky?“, hörte ich Undertakers Stimme aus dem Laden hinter mir. Sie klang unwirklich, verzehrt und weit entfernt: „Ist alles in Ordnung?“ Meine Ohren sausten. Mein Sichtfeld schwankte und flackerte: „ Ahe! Deine kalte Schulter tut so weh… Ahe! Ahe! Doch ich weiß“, behutsam stellte ich den Beutel auf Undertakers Tresen. Kopfschmerzen surrten durch meinen Kopf. Ich legte meine Hand auf meine pochende Stirn: „ Ahe! Dass ich das verdient habe...“, dann tapste ich weiter und öffnete mit der Anderen die Ladentüre. Die Luft die mir entgegen schlug fühlte sich noch kälter an als vorher, denn ich hatte zu schwitzen begonnen. Kalter Schweiß. Meine Hände waren klamm. Drangsaliert von einem plötzlichen Hustenanfall krallte ich mich an der Türklinke fest, als meine Kopfschmerzen drohten mich in die Knie zu drücken und der heiße Schwindel mein Sichtfeld so sehr verschwimmen ließ, dass ich kaum noch etwas sah. „Was ist mit dir?“, zwei leise Schritte hallten Undertakers unwirklicher Stimme hinterher: „Ist dir nicht wohl?“ „Es tut mir leid. Ahe! Ahe!“, versuchte ich meine Stimme durch den mittlerweile beständigen Husten zu schieben. „Sky?“ „Ich habe... Ahe! Ahe! Alles kaputt gemacht... Ahe! Und bin dir dann auch noch auf die Nerven gegangen... Ahe! Ahe! Ahe!“, ein ekelhaftes Ziehen in meinen Gliedern machte Körperspannung zum Folterakt. Unwillkürlich sackte ich endgültig in die Hocke, nur noch gehalten von meinem Griff an der Klinke. Mein Blickfeld drehte sich und verschwand in bunten Sternchen. Dann erschlaffte meine Hand ohne meinen Willen und rutschte von der Klinke. „Sky!“, bevor ich auf dem Boden landete fing mich etwas ab. Dann wurde alles schwarz. Ich hustete. Ich konnte gar nicht damit aufhören. Es brannte in meinem Hals und Lungen. Immer noch hustend öffnete ich meine Augen. Das Ziehen und meine Kopfschmerzen waren bestialisch. Ich zitterte und hatte gleichzeitig das Gefühl in Flammen zu stehen. Als der Husten abgeflaut war und ich einige gequälte Atemzüge und Schluckversuche unternommen hatte, schaute ich mich um und erkannte, dass ich in einem Sarg lag. Ich setzte mich auf um besser Luft zu bekommen, was nur in Teilen funktionierte. Da merkte ich wie mir etwas von den Schultern rutschte. Erst jetzt realisierte ich, dass ich in einige bunte und flauschige Wolldecken gewickelt war. Die Tür hinter dem Tresen ging auf. Der Bestatter balancierte ein Tablett auf der Hand und schüttelte die Andere. Er blieb neben dem Sarg stehen, stellte das Tablett auf einen Anderen und gab mir einen Messbecher voll Wasser. Auf dem Tablett standen noch 2 weitere mit heißem Tee und eine dampfende Schüssel Suppe. Ich kippte das Wasser meinen staubtrockenen Rachen herunter und konnte endlich durchatmen. Dann nahm Undertaker mir immer noch wortlos den Becher aus der Hand und reichte mir etwas an. Ich wusste die Atmosphäre nicht zu deuten. Einerseits half er mir ganz offensichtlich. Doch er wirkte angespannt. Sein Mund war stumm und grinste nicht. Mit zittrigen Finger nahm ich was er mir reichte entgegen und beschaute es. Ein altes Fieberthermometer mit Quecksilber. Ich schaute Undertaker wieder an. Sein Gesicht war durch die in die Haare geschobene Brille freigelegt, seine Augen schauten mich auffordernd an. „Ich soll…?“ „Fieber messen, ja.“ „Warum?“ „Weil es dir offensichtlich alles andere als gut geht.“ Ich blinzelte den Bestatter an. Er nickte zu dem Thermometer in meiner Hand. Seufzend schob ich es in den Mund. Es dauerte 10 Minuten bis der Bestatter es mir wieder wortlos aus dem Mund nahm. Er beschaute es, zog eine Augenbraue in die Höhe und schaute mich an: „Warum tust du so etwas?“ „Wa-“, ich schluckte: „Was?“ „Ich habe nach dem Was zu fragen. Was bringt dich dazu mit 40,3 °C Fieber hierher zu kommen, anstatt das Bett zu hüten?“ Mir klappte der Mund auf: „40 Komma… oh.“ „Also?“ Meine Augen fielen nach unten: „Ich… Es… tut mir leid… Ich wusste, dass ich Fieber hatte, aber da war es noch nicht so hoch...“ „Wie hoch?“ „Nicht so hoch.“ „Skyler.“ Ich seufzte: „...39...“ „Wann war das?“ „...Mittwoch...“ Undertaker seufzte: „Und da warst du auch schon hier...“, seine lange Finger hoben meinen Kopf an. Seine Kälte knisterte durch meine heiße Haut. Ich konnte nicht aufhören in seine so nah vor mir leuchtenden Augen zu schauen. Sie leuchteten allerdings recht matt und trübsinnig: „Ich wusste doch, ich habe mich gestern nicht getäuscht. Skyler, du gehörst ins Bett. Wahrscheinlich seit Tagen. Seit Montag, tippe ich, da dein Fieber sicherlich von einigen unfreiwilligen Tauchgängen sonntags herrührt, habe ich recht?“ Ich nickte stumm. „Wieso hast du dich nicht ausgeruht? Was machst du hier? Schlechter Schlaf, Krankheit, es muss dir doch schlecht gehen.“ „Ich...“, ich krampfte meine Hände in die Decke: „Wollte das wieder hinkriegen. Zwischen uns und… ich hatte das Gefühl ich hatte keine Zeit mehr. Außerdem meinten du und Ronald mal ihr könnt alle mit Schwächlingen nichts anfangen, deswegen… ich wollte nicht schwach sein… ich wollte, dass du mir glaubst, dass ich alles vertragen kann. Dass ich stark genug bin mit dir mitzuhalten… Doch Jemand, der wegen jedem Bazillus und Schnupfen umfällt, ist nicht stark… also… wollte ich… habe ich einfach weiter gemacht… Ich… Ich will auf keinen Fall, dass du wirklich gehst und da war mir das Fieber… einfach egal...“ „Ich weiß, dass du stark bist“, er kniete sich neben den Sarg. Zwei Arme zogen mich zu sich. Aufgrund dieser plötzlichen Umarmung war ich mehr als nur verwirrt. Auch stob eine bittere Angst in mir auf es könnte für immer die Letzte sein. „Das musst du nicht beweisen. Das ist doch...“, er seufzte und ich merkte, dass er ein Stück die Schultern hängen ließ: „Wieder meine Schuld.“ „Nein!“, ich buddelte mich ein Stück aus seinen Armen und schaute ihn an: „Du hast mich nicht dazu gezwungen keine Ruhe zu halten.“ „Aber ich habe dir das Gefühl gegeben, du kannst sie dir nicht leisten.“ „Undertaker, nein! Das ist nicht deine Schuld, es ist meine und...“, ich seufzte: „Es ist auch nur eine Erkältung mit ein bisschen Fieber.“ „Ein bisschen? Damit gehen Andere ins Krankenhaus. 2° mehr und du kannst gleich bleiben wo du bist, wenn du verstehst was ich meine.“ „Es ist nur eine Erkältung…“ „Die sich wunderbar auswächst tut man nichts dagegen, läuft herum, macht Hausarbeit, Schule und Sport.“ „Es tut mir leid...“ Undertaker drückte mich wieder an sich: „Nein, mir muss es leid tun. Und das tut es.“ „Es ist alles ok, ok? Ich… möchte, dass zwischen uns wieder alles gut wird. Das ist das einzige was mich interessiert, Undertaker.“ Gewicht legte sich auf meinen Kopf und ein paar silberne Strähnen fielen vor meine Augen. „Warum?“, sein Atem fuhr durch meine Haare während er sprach, sodass ich sicher war, dass er mit dem Kopf auf meinem lehnte: „Warum magst du mich? Wie kannst du?“ Ich krallte meine Hände in seinen Pulli: „Ich mag dich, weil ich dich toll finde. Du warst immer so lieb zu mir und jetzt“, ich atmete einmal tief durch: „Hab ich dich lieb.“ Es war nicht ganz die Wahrheit. Aber für die ganze Wahrheit war ich einfach zu schüchtern. Ich war einfach zu auf den Mund gefallen und konnte es ihm nicht sagen. Außerdem glaubte er mir noch nicht mal, dass ich ihn mag, wie soll er mir dann glauben ich würde ihn lieben? Auch war es meine Schuld, dass er nicht glaubte. Doch obwohl es nur die halbe Wahrheit war drückte Undertaker mich noch fester: „Du hast dich doch schon so oft über mich beschwert.“ „Ich weiß nicht warum“, antwortete ich ehrlich: „Denn eigentlich stört mich das alles gar nicht. Von dir erschreckt zu werden, deine plötzlichen Themenwechsel und deine komischen Angewohnheiten. Sie sind in dem Augenblick vielleicht seltsam, vielleicht auch mal sehr seltsam, doch im Endeffekt stört es mich nicht mehr sobald du lachst.“ „Warum?“ „Weil ich dein Lachen mag, Undertaker. Ich mag deinen Frohsinn und auch deine total übertriebene Heiterkeit. Ich mag dein Grinsen und dein Kichern. Wenn du vor Lachen um oder irgendwo runter fällst. Ich mag dein Honigkuchenpferd-Grinsen, wenn du was angestellt hast und ich mag dein weiches Lächeln, wenn du mal nicht albern bist. Ich mag die Momente, in denen du ruhiger bist und was erzählst. Ich mag viel an dir. Ich glaube... ich beschwere mich nur, weil du deswegen auch immer wieder zu lachen anfängst...“, ich merkte wie sich ein paar dicke neue Tränen ihren Weg brachen: „Und ich habe trotz allem so riesen Mist gebaut. Ich habe nicht nachgedacht, Undertaker. Du hast alles Recht dazu, aber bitte. Bitte sei nicht mehr sauer auf mich...“ „Ich bin nicht sauer auf dich. Ich war es nie.“ Verwundert nahm ich meinen Kopf aus dem Stoff seines Pullis und schaute auf. Als ich meinen Kopf in den Nacken gelegt hatte bekam ich etwas, was ich nur mit einem Schock beschreiben konnte. Denn 2 Tropfen fielen mir entgegen und landeten auf meinem Gesicht. Dann noch einer. Sie tropften mir von seinen Wangen entgegen. Mit großen Augen starrte ich in sein Gesicht und konnte nicht glauben was ich sah: Er weinte. Er neigte seinen Kopf nach unten um mich anzuschauen. Ich schaute in seine strahlend grünen Augen, die ich noch nie so dunkel gesehen hatte. Der dunkle Schatten in seinem satten Grün und die stummen Tränen, die ihm noch nicht einmal ein schweres Atmen, Seufzen oder leises Wimmern entlockten, waren ein Bild, das mir das Herz zerriss. Und anstatt sich seines eigenen Gesichtes anzunehmen, nahm er eine Hand von meinem Rücken und wischte behutsam die Tränen von meiner Wange: „Ich wollte genau das verhindern. Ich wollte es nicht mehr sehen. Ich wollte nicht mehr sehen, wie du weinst. Wollte nicht mehr, dass dir irgendetwas schmerzt. Ich will das Beste für dich, denn nur das ist gut genug für dich. Doch“, er schloss seine Lider mit diesen endlos langen Wimpern. Zwei weitere Tränen flohen dadurch in die Freiheit. Sie tropften von seiner blassen Haut, als er die Augen wieder aufschlug und trafen abermals meine Wange: „Das bin definitiv nicht ich.“ Ich streckte eine Hand nach oben. Sachte legte ich sie auf seine kalte Wange und wischte mit dem Daumen die kleinen Tropfen fort, während ich seine getrübten Augen beschaute: „Wie geht es dir, Undertaker?“ Sein Mund verzog sich zu einem traurigen Lächeln, was das Bild noch viel tragischer aussehen ließ: „Nicht sonderlich gut.“ Ich wechselte die Hände und strich über seine zweite Wange: „Warum?“ „Weil ich dich vermisse.“ Ich ließ meine Hand auf seiner Wange: „Ich bin hier.“ „Aber das ist nicht gut für dich“, Undertaker schloss wieder seine Augen: „Höre auf so nett zu mir zu sein“, flüsterte er kaum hörbar und legte seine Stirn an meine: „Ich will dich nicht noch mehr verletzen. Aber ich werde es tun. Immer und immer wieder. Das ist unvermeidlich. Deswegen muss ich dafür sorgen, dass du mir fern bleibst. Egal wie wenig ich es will. Dein Wohlbefinden ist wichtiger.“ Ich nahm meine Hand von seiner Wange und faltete meine Arme um seinen Hals: „Das ist Blödsinn, Undertaker.“ Undertaker nahm sein Gesicht ein Stück hoch und schaute mir direkt in die Augen. Er hatte zu weinen aufgehört, doch seine Augen waren noch ein wenig feuchter als sonst. In Kombination mit dem schwachen Leuchten seiner Pupillen in dem schummrigen Licht des Ladens ein atemberaubender Anblick. Ich lächelte ihn an und zog eine Hand wieder nach vorne auf seine Wange um mit dem Daumen über sein Gesicht zu streichen, während ich weiter in seinen Augen versank: „Ich möchte auch nicht, dass du weinst. Und du siehst immer mal wieder aus, als würdest du gerne weinen, tust es aber nicht. Ich möchte nicht, dass du immer wieder so traurig schaust. Du hast so tolle Augen. Ich will nicht, dass dieser blöde traurige Schatten immer wieder dadurch schleicht und sie so furchtbar matt macht.“ Besagte tolle Augen wurden weiter, doch der Totengräber schaute mich nur an. „Denn dann sehe ich genau, dass dich auch etwas schmerzt und das möchte ich auch nicht. Auch ich hätte dich gerne nur lachend und gut drauf. Doch das Andere scheint zu uns zu gehören. Ich bin empfindlich und nah am Wasser gebaut. Und du. Du leidest immer öfter stumm und kaum ersichtlich vor dich hin und redest nie darüber“, ich schüttelte betont ein wenig mit dem Kopf: „Du hast mir nicht weh getan. Nie. Ich habe mich nur erschreckt. Alles was folgte resultierte aus einem Ärger von mir gegen mich. Weil ich etwas getan habe, was so krass war und wahrscheinlich war es auch der ultimative Verrat an dich. Denn damit wirkte es so, als würde ich dich nicht mögen, oder Angst vor dir haben und das ist beides Quatsch. Das stimmt nicht. Es war gruselig, ja, was du erzähltest war grausam, ja, aber deswegen mag ich dich nicht weniger. Wenn du denkst du seist nicht das Beste für mich, irrst du. Denn gerade du bist es. Glaube mir, noch nie hat mir jemand so gut getan wie du. Nicht einmal Amy. Denn abgesehen von diesem einen verflixten Freitagabend, habe ich durch dich viel öfter gelacht, viel mehr gelächelt und viel weniger geweint. Ich hatte Bauchweh vor Lachen und nicht mehr vor Kummer. Du machtest alles so viel besser.“ Eine Idee schoss durch meinen Kopf. Sie war etwas heikel. Nein, eigentlich war sie ziemlich heikel, doch in mir schrie etwas, dass sie richtig war. Ich drückte den morbidesten Totengräber ganz Londons einen Kuss auf die kalte Wange: „Danke für alles, Undertaker.“ Mein Gesicht war kurz davor Feuer zu fangen. In meinen Kopf hatte ich schon in dem Moment, wo meine Lippen seine Wange berührt hatten, damit angefangen für die Richtigkeit dieses nicht unterdrückbaren Impulses zu beten. Als ich knallrot im Gesicht, aber doch neugierig auf seine Reaktion, in das Gesicht des Totengräbers schaute, sah er mich mit Augen an, die die Größe der phantomhivischen – und ich war mir sehr sicher die hatten Übergröße! - Suppenteller angenommen hatten. Er blinzelte mir immer wieder recht langsam entgegen. Dann legte er genauso langsam eine Hand auf die Stelle, wo ich ihn geküsst hatte. Nach ein weiteren paar Mal blinzeln kräuselten sich seine Mundwinkel nach oben und sein Gesicht hellte schlagartig um mindestens 5 Nuancen auf: „Eh he he he! Skyler Rosewell? Du bist der helle Wahnsinn.“ Ich konnte nicht anders als mitzulachen: „Dann bist du der blanke Wahnsinn!“ Gleichzeitig fielen wir einander um den Hals. „Fu fu fu. Wie recht du hast“, lachte Undertaker direkt neben meinem Ohr. Und mit diesem Lachen kippte die ganze Atmosphäre. Mit diesem Lachen und dieser Umarmung war alles auf einmal wieder herrlich warm und unglaublich vertraut. So leicht und einfach. „Undertaker?“, ich löste die Umarmung, doch schnappte mir sofort seine Hände. Von unten lugte ich in sein Gesicht. „Hm?“, legte er sein grinsendes Gesicht schief und ich merkte, dass der Schatten aus seinen Augen zu einem großen Teil verschwunden war. „Ist… also… Ist jetzt alles wieder wie vorher? Keine kalte Schulter mehr? Darf ich wieder einfach so vorbeikommen?“ Undertaker lachte auf: „Ehehehehehe! Du bist doch so oder so einfach vorbei gekommen, oder?“ „Ähm“, machte ich sehr geistreich: „War das… sehr schlimm?“ „Fu fu fu. Nur, wenn sich für dich nicht richtig anfühlt was du erreicht und getan hast.“ „Also getan… Eigentlich schon. Aber… was habe ich denn erreicht?“ Undertaker seufzte zwar kurz, doch sein Grinsen blieb: „Wenn du dir wirklich sicher bist. Wenn du es wirklich willst. Dann kannst du mich jederzeit besuchen kommen.“ Mir kullerten die Steine in Sinnfluten vom Herzen: „Echt?! Und, und… Keine kalte Schulter mehr?“ Er schüttelte kurz den Kopf. „Ehrlich?!“ „In der Tat.“ „Du hast mir verziehen!?“ „Es gab nie etwas zu verzeihen.“ „Du bist nicht mehr sauer auf mich?!“ „Nein, Sky, war ich nie.“ „Nicht gekränkt?!“ „Nein.“ „Nicht beleidigt?!“ „Nein.“ „Nicht…!“ Undertaker griff mich an den Schultern: „Ich hege und hegte dir gegenüber nie irgendwie geartete negative Gefühle, so glaube mir doch.“ Mir entfuhr ein Quietschen. Ich schlug die Hände vor den Mund um es auf zweitem Wege zurück zu halten. Dann fiel ich dem Bestatter um den Hals. Zwei Arme schnappten und hielten mich. Fest und eng. Ich fühlte mich so sicher. Denn ich war mir so sicher, hier war der sicherste Platz der Welt. Für meinen Körper und meine Seele. Hier. In Undertakers Armen. „Darf ich direkt etwas bleiben?“, nuschelte ich in seine Schulter. „Du musst.“ Ich blinzelte ihm entgegen: „Wie?“ „Nun“, er strich mir behutsam eine Strähne aus dem Gesicht und legte seine Hand auf meine Stirn. Die Kälte seiner Hand surrte knisternd und angenehm durch meine fiebrige Stirn: „Du hast hohes Fieber. So lasse ich dich sicherlich nicht durch die Weltgeschichte wandern. Außerdem ist die Sonne schon untergegangen.“ „Bitte?!“, Lowell bringt mich um... „Ruhig. Schone dich endlich. Ich habe Amy ge... simst?“, er wedelte mit einer Hand: „Na, diese komischen kleinen Texte in diesem komischen kleinen grünen Programm.“ Ich musste kichern. Ich fühlte mich endlich wieder leicht genug es zu tun. Außerdem schien Undertaker von seinem neuen Handy noch nicht wirklich überzeugt, was auf seine ganz eigene Art und Weise wirklich knuffig war: „Du hast ihr eine WhatsApp-Nachricht geschrieben.“ „Heißt das so?“, legte er seinen Arm wieder um meine Schulter. Ich kicherte wieder: „Ja, tut es.“ „So lang?“, er lachte kurz: „Fu fu! Kein schmissiger Netzjargon, den ich nicht entziffern kann?“ Ich überlegte, während ich mich bemühte nicht laut loszulachen: „Ähm... Kihi! Also, nicht das ich wüsste. Höchstens, dass man das 'Nachricht' weglässt.“ „Wie auch immer“, giggelte Undertaker mit einem irgendwie zufriedenen Gesichtsausdruck und hatte immer noch die Arme um mich herum. Er machte keine Anstalten dies zu ändern und in mir glomm ein warmer Funken auf, der sich schnell überall hin ausbreitete und die kranke Hitze ein Stück verdrängte. Undertaker fuhr derweilen fort: „Deine Lehrerin weiß jedenfalls, dass du auswärts übernachtest. Mache dir darum keine Sorgen, meine Schöne.“ „Deine... Schöne?“, ich machte große Augen. Obwohl er mich schon oft so genannt hatte, ich hatte nie verstanden wieso. Doch ich war immer zu verschämt gewesen nachzufragen. Ich konnte nicht glauben, dass es mich wieder so nannte. Ich dachte er täte es nie mehr. So war mir die Frage rausgerutscht. Undertakers Hand auf meiner Wange holte mich aus meinen Gedanken über die unüberlegte Frage: „Du bist schön. Eine Augenweide!“, er tippte mir auf die Nasenspitze: „Und wage es ja nicht mir zu widersprechen.“ „Du…“, ich konnte ein Lächeln nicht verhindern: „Siehst auch gut aus.“ „Ni hi hi. Danke für die Blumen. Ich war bei der Wahl einer Ausweichgarderobe auf mich allein gestellt und habe nicht damit gerechnet, dass etwas halbwegs ansehnliches dabei herum kommt“, lachte Undertaker, klappte eine Hälfte des Sargdeckels über meine Beine und setzte sich darauf. Dann gab er mir die Suppenschüssel: „Doch ich habe ständig vergessen meine Kleider bei euch abzuholen. Ich erlöse euch morgen davon, versprochen.“ Leider war dieses nett gemeinte Versprechen für mich ein zweites Mal ein halber Weltuntergang. Ich konnte es nicht verschweigen. Wenn Undertaker es sah, ohne dass ich vorher einen Ton sagte, würde es nur viel schlimmer werden: „Ich… muss dir etwas beichten...“ „Hm?“, Undertaker schaute mich fragend an. Da die Brille immer noch die Haare fern hielt sah ich seine Augen, die mich fast irritiert anblinzelten: „Was denn?“ „Ich… habe deine Kleider gewaschen...“ „Wie liebreizend! Aber warum nennst du so etwas Beichte?“ „Ich habe… alles gewaschen...“ „Ja?“ „Auch… deine“, ich schluckte und schaute auf die Schüssel: „Hose...“ „Oh oh.“ „Ich hab irgendwie… nicht mehr dran gedacht, dass es… Leder ist.“ „Doppel Oh oh.“ „Und… und… und...“ Zwei Hände griffen meine Schultern: „Ist sie noch zu retten?“ Ich schaute ihm von unten ins Gesicht. „Nein...“, fiepste ich. Doch Undertaker fing an zu lachen, was mich im hohen Maße verwirrte: „Ehehehehe! Dann ist dem so. Sie hat mir lange treu gedient.“ „Es tut mir leid...“ „Sky, es ist nur eine Hose. Außerdem war sie alt und wäre wahrscheinlich eh bald über den Jordan gegangen. Du hast es lediglich ein wenig vorgeschoben“, er strich mir mit seiner kalten Hand über meine fieberheiße Wange: „Nun iss etwas. Es wird dir gut tun.“ Ich schaute wieder auf die Schüssel in meinen Händen. Die Suppe dampfte und roch herrlich: „Hast du wirklich...?“ Ein lautes Auflachen des Totengräbers ließ mich in der Mitte abreißen: „Pahahahahahaha! Bitte denke nicht ich habe gekocht! Ich kann nicht kochen!“ Ich blinzelte ihn an: „Echt jetzt?“ Er nahm grinsend einen Messbecher: „So wahr ich hier sitze.“ „Du kannst nicht kochen?“ „Nicht im entferntesten“, er nahm einen Schluck Tee ohne seinen Blick von mir zu nehmen. „Aber“, ich blinzelte „Du wohnst doch alleine hier, oder?“ „Wer sollte denn mit mir hier wohnen?“, er nahm einen zweiten Schluck Tee. „Also... ich... ähm“, haspelte ich und kam nicht weiter. Ich erinnerte mich, dass Amy mir schon erzählt hatte, dass Undertaker noch nie gebunden gewesen war. Der Totengräber aber kicherte: „Vielleicht findest du eine Hand voll Spinnen oder die ein oder andere Maus, die schon etwas länger hier heimisch sind, mehr aber nicht. Warum ist dies für dich interessant?“ Ich merkte wie mir das Blut in den Kopf schoss. Die Kopfschmerzen, die bis eben so unwichtig gewesen waren, dass ich sie gar nicht mehr gespürt hatte fingen aufgrund dessen an zu wummern: „Öhm höm nöm... äh... Wenn du alleine wohnst und nicht kochen kannst, was isst du dann den ganzen Tag?!“ „Kekse“, erwiderte er in einer, mir fast die Sprache aus dem Mund nehmenden, Selbstverständlichkeit. „Nur Kekse?!“, polterte es aus mir heraus. Undertaker lachte schrill: „Und Marmite!“ „Pfui!“, ich schüttelte den Kopf: „Willst du mir sagen, dass du dich überwiegend von Keksen und Marmite ernährst?!“ „Nun, ke he he ja, so sieht es wohl aus.“ „Das kann nicht gesund sein!“ „Vergiss nicht, dass ich kein Mensch bin.“ „Trotzdem!“ „Es geht mir gut, fu fu fu! Ich wollte weiter protestieren, doch Undertaker legte mir seinen langen Zeigefinger auf die Lippen: „Doch da ich mir bewusst bin, dass du weder meine Kekse noch Marmite sonderlich erquicklich findest, wu hu hu hu, habe ich den Lieferservice angerufen.“ „Lie...“, ich zog seinen Finger von meinen Lippen und blinzelte ihn an: „Lieferservice?“ Undertaker grinste von einem Ohr bis zum anderen: „Ni hi hi hi! Den Earl.“ „Alexander?!“ „Jup“, der Totengräber überschlug die Beine und nippte an seinem Tee: „Amy schrieb dein Appetit war die vergangene Woche rar gesät bis vollkommen verdorrt. Da dir schon schwarz vor den Augen wurde, dachte ich etwas zu essen wäre eine nicht ganz so schlechte Idee. Doch da ich selbst nichts als komischen Glibber und toxischer Brühe zusammengerührt kriege, rief ich den Earl an. Der übergab meine Bitte an den Butler. Der ist im Kochen doch um einiges kompetenter als ich. Hat mich einige Rabatte gekostet, aber deine Gesundheit ist es mir wert.“ Ich wusste nicht warum, aber mir stiegen die Tränen in die Augen. Mit einer Hand schnappte ich seine: „Undertaker?“ „Hm?“ Ich merkte wie sich mein Mund zu meinem Lächeln verzog, während mir gleichzeitig eine Träne aus dem rechten Auge floh: „Danke für alles.“ „Nicht. Es ist selbstverständlich“, er stellte den Messbecher ab und wischte mit der nun freien Hand den Tropfen von meiner Wange: „Du bist erkältet. Hast Fieber. Kaum gegessen und nur sehr schlecht geschlafen. Iss. Danach schlafe ein wenig. Vielleicht funktioniert es hier besser. Erhole dich etwas“, er strich weiter über meine nun trockene Wange und legte mit seinem samtweichen Lächeln den Kopf schief: „Erweise mir die Ehre und sei mein Gast.“ Mein Lächeln wurde weiter. Meine Hand drückte seine fester: „Ich würde nirgendwo lieber sein.“ Undertaker Das Gefühl in mir war ekelhaft, als ich schnell über die Dächer des nächtlichen Londons sprang. Es schmerzte. Es war traurig, kalt und endlos bitter. Mein Innerstes war zum Zerreißen gespannt. Ich wusste weder was ich dagegen tun sollte, noch ob ich es irgendwie kompensieren konnte. Ich hatte diesem Gefühl einfach nichts entgegen zu setzen. Und ich wusste, dass ich es vorerst nicht loswerden würde. War ich jetzt auf meinen Heimweg stand es außer Frage, dass ich nicht lange daheim bleiben würde. Ich hatte keine Ahnung was Skyler so verängstigt hatte. Noch weniger wusste ich, ob es plante sie wieder heimzusuchen. Ich wollte nach Hause meine Kleider wechseln. Zum einem, da ich dieser unsäglichen Jogginghose wirklich nichts abgewinnen konnte und zum anderen, da diese Kleider sehr prägnant nach Lavendel rochen. Nach Lavendel und Seife. Ein Geruch, den ich mittlerweile sehr gut kannte. Er wehte immer um eine junge zierliche Dame mit großen himmelblauen Augen herum. Ich mochte diesen Geruch. Er war natürlich, unaufdringlich und doch angenehm blumig. Doch im Moment wog sich sein Wohlgeruch mit Pein auf. Auch musste ich verschwinden, damit Sky etwas Ruhe und Frieden fand. Ihre Nerven lagen blank genug, da musste ich sie mit meiner Anwesenheit nicht auch noch weiter ängstigen. Ich würde da sein. So lange dieses Etwas eine potenzielle Gefahr darstellte, würde ich sicherlich nichts dem Zufall überlassen. Doch ich wusste genauso gut, dass Sky dies nicht wissen durfte. Ich wollte, dass sie sicher und angstfrei war und ich... machte ihr Angst. Ich war so sehr mit diesem klirrenden Gefühl beschäftigt, dass mir der schwarze Schatten unter mir auf der Straße fast entging. Meine Mundwinkel zuckten wieder ein Stück nach oben, als ich ihn als den Butler identifizierte. In mir glomm düstere Vorfreude. Der Butler war mir an der Themse nicht nur furchtbar auf die Nerven gegangen, nein, vor allem hatte er mich extrem verbiestert. Mit einer Aktion. Und diese Wut freute sich nun auf die nahende Kompensation. Denn sie konnte ich kompensieren. Ich konnte und ich würde! So sprang ich auf den Schemen zu. Um einen Häuserblock nicht ausweichen zu müssen sprang der Schatten in die Luft. In dem Moment wo ich ihn erreichte. Er sprang genau in meinen Fuß... ...Und es fühlte sich herrlich an! Nicht, dass ich es mir hätte nehmen lassen, ihm mit reichlich Schwung entgegen zu kommen. Der Dämon schwirrte ab und verschwand in einer großen Staubwolke in dem Asphalt einer Londoner Straße. Ich landete auf der Stuckleiste eines Parterrefensters, während sich der Butler aus dem Straßenbelag sortierte. Der Dämon richtete sich auf und sah mich an, während er sein Jackett zurecht zupfte: „Du könntest das nächste Mal deine, wenn auch nur noch spärlich vorhandene, Manieren beschwören und höflich fragen, ob ich gerade etwas Zeit übrig hätte. Doch ich übergehe einfach diesen Fauxpas. Wie kann ich dir behilflich sein?“ Ich hob ein Stück den Kopf, als sich in mir noch mehr Verachtung gegenüber dem Teufel anhäufte: „Du weißt genau worum es geht.“ Der Butler strich sich angelegentlich einige Steinchen aus den Haaren: „Natürlich. Lady Rosewell“,Sebastian sah mich mit einem wissenden Gesichtsausdruck an und kam ein paar Schritte auf mich zu: „Doch sie hat ihr kleines Abenteuer unbeschadet überstanden, oder ir...!?“ In dem Moment versenkte ich meine Faust in des Butlers Gesicht. Ich trat ihm in den Magen, sodass er nach hinten strauchelte. Es krachte, als ich sein Gesicht griff, seinen Hinterkopf auf ein Autodach schlug und ihn dann rücklings mit meinem Arm an seiner Kehle dagegen drückte. „Was nicht dir geschuldet ist“, zischte ich dem Dämon entgegen. Das Dach knarzte unheilvoll unter seinem Rücken. Aus seiner Nase floss ein dünnes Blutrinnsal und er hatte einen Zähne gebleckten, angestrengten Ausdruck im Gesicht: „Die beiden Mädchen stehen vor einem ausgewachsenen Leviathan, Sky riskiert ihr Leben um das Leben der Tochter deines Meisters zu retten, es wäre ein Leichtes für dich beide zu retten und du tust es nicht?“ Trotz seiner schlechten Position legte sich ein süffisantes Lächeln auf seine menschliche Maske: „Wer bin ich denn dir die Rolle ihres glänzenden Helden abzujagen?“ Meine Verachtung stand kurz vor einer Explosion. „Spare dir deine kecken Sprüche, Dämon“, knurrte ich dem Teufel entgegen: „Es stand in den Sternen, ob ich pünktlich gewesen wäre. Wäre William nicht in die Bresche gesprungen, weiß nur der Wind wie dieser Tag für Sky geendet hätte.“ „Es ist alles blendend gelaufen. So wie geplant. Ich habe schon der jungen Lady versichert, dass Lady Rosewell nie in wirklicher Gefahr schwebte.“ „Sie wurde fast ertränkt, Butler.“ „Was du zu verhindern wusstest“, Sebastian lächelte weiter: „Und niemals zugelassen hättest, nebenbei erwähnt. Es ist die Aufgabe eines Butlers zu sehen, was die Personen wünschen denen er, wenn auch nur temporär, zugeteilt ist. Lady Rosewell wollte nicht von mir gerettet werden. Dies ist deine Aufgabe. Du hast es selbst zu deiner gemacht, nun kümmere dich auch darum. Natürlich, ich hätte ihren Körper retten können“, seine rostroten Augen blitzten mich an: „Doch ihre Seele, die kann ich nicht retten. Das kannst nur du.“ „Spare die dein Geschwafel, Dämon. Tue nicht so, also ob du etwas von Seelenrettung verstehen würdest.“ „Ah“, dem dämonischen Butler entfuhr ein kurzes, doch wahrlich amüsiertes Lachen: „Und du, nicht nur ein Shinigami, nein, sondern auch der 'silberhaarige Deserteur ohne Brille' wie dich die Grim Reaper seit den Vorfällen auf der Campania nennen, die dich suchen um dich wegen 100ten gebrochenen Regel zu exekutieren, der zuvor selbst tausende von Jahren Seelen aus menschlichen Körpern gerissen hat und als er darauf keine Lust mehr hatte entschied frohen Mutes daran herum zuschneiden und etliche Menschen in die nasse Verdammnis zu stürzen, verstehst mehr davon?“ Die Worte des Dämonen-Butlers provozierten mich und ich konnte den Ärger gerade so mit einem kalten Lächeln aus meinen Gesicht fernhalten: „Der Tod ist oft eine Art Erlösung. Gerade Sensenmänner retten Seelen“, wieder lachend streckte ich dem Butler den Zeigefinger meiner freien Hand ins Gesicht: „Eh he he! Vor fresssüchtigem Abschaum wie dir, unter anderem“, ein zweites Mal schlug ich ihm unvermittelt ins Gesicht. Dann packte ich ihn am Kragen und zog seinen Kopf zu mir: „Wage es nicht, mich mit dir über einen Kamm zu scheren und überschätze nicht die Dicke des Eises, auf dem du wandelst. Du musst mich nicht wütend machen“, bedrohlich leise wisperte ich in das Ohr des Dämons: „Ich bin es schon. Es ist pure Selbstbeherrschung und blanker Respekt gegenüber des Earls Entscheidungen, dass ich dich nicht gleich in das dunkle Höllenloch zurücktrete, aus dem du einst gekrochen bist. Wie sicher du dir warst, interessiert mich nicht. Welchen Plan du dir erdachtest und wie gut er funktionierte, ist mir vollkommen egal.“ Ein weiteres dunkel amüsiertes Lachen des Dämons, als er meine Hände griff und daran zog. Er tat trotz allem, als habe er die Situation im Griff, doch ich merkte, wie angeschlagen er war. Sebastian hatte heute schon einen Leviathan zu besiegen gehabt und hatte nun auch noch ein Problem mit mir. Beides Gegner, die ihn nicht begeisterten, weil er nicht mit einem 100% eindeutigen Sieg, aber sehr sicher mit Schmerzen rechnen konnte. Eine Rechnung, die er sich besser zweimal überlegt hätte,denn so geschwächt standen die Variablen für ihn schlecht. Was nicht hieß, dass er seinen Stolz und damit seine Zunge auch nur ansatzweise im Griff hatte: „Du bist immer so possierlich protektiv, wenn es um diese spezielle junge Dame geht.“ „Wenn du nicht herausfinden willst wie 'possierlich protektiv' ich in Bezug auf 'diese spezielle junge Dame' wirklich bin, gehst du das nächste Mal auf Nummer sehr sehr sicher. Denn sei dir gewiss, Butler, sehr gewiss, passiert dies ein weiteres Mal war der heutige Tag ein Spaziergang bei eitel Sonnenschein. Nimm dir meine Worte lieber zu Herzen.“ Sebastian schaffte es meine Hände von seinem Kragen zu ziehen, fand einen sicheren Stand und richtete seine Krawatte: „So, so, ich verstehe. So weit ist es also schon mit dir gekommen“, der Dämon wandte sich um, eine weise Entscheidung, die ihm wahrscheinlich sein Leben rettete. Und das wussten wir beide: „Ein nutzloses Gefühl dem du erlegen bist. Gehe du lieber 'auf Nummer sehr sehr Sicher', dass nicht der falsche Dämon zu verstehen beginnt, wie groß der Narr ist, den du Narr dir an der jungen Lady Rosewell wirklich gefressen hast. Das wäre strategisch doch sehr ungünstig.“ Dann verschwand der Dämon. Mir entfuhr ein verächtliches Zischen: „Kleiner Dämonenwurm!“ Dann machte ich mich weiter auf den Weg gen Heimat. Doch die Worte des Butlers klingelten lauter in meinen Ohren, als mir lieb war. Zuhause angekommen zog ich schnell andere Kleider an. Da meine übliche Garderobe unpässlich war, zog ich die schwarze Jeans und ein schwarzes Hemd, sowie meine Halbschuhe an. Kein wirklich kreatives Assemblee, doch konnte ich mit ihm am besten leben. Anschließend räumte ich die Überreste des Sarges und des Regals - die immer noch erlegt von meinem freitäglichen Wutanfall auf dem Boden neben meiner Ladentüre lagen - in meinen kleinen Werkraum, der Schreinerei, Steinmetz- und Metallwerkstatt zugleich und durch eine Tür zwischen den Regalen des Sezierraum erreichbar war. Dann endete ich mit aufgestützten Armen auf meinem Tresen und philosophierte grummelnd über mein ‚Gespräch‘ mit dem Butler. Ich war wütend. Wütend auf den Dämon mit seiner vorlauten Klappe. Diese ganzen Worte, die mich doch so hart getroffen hatten. Ich wollte mir das Geschwafel des Dämons nicht so zu Herzen nehmen. Man konnte einen Dämon, der über Gefühle sprach, einfach nicht ernst nehmen. Doch etwas in mir tat es. Denn es gab etwas in mir, das wollte, dass der Butler Recht hatte. Denn wenn Skyler wirklich von mir gerettet werden wollen würde, nach wie vor, hieß dies, dass sie alles was sie gesagt hatte wirklich meinte. Ich wollte nicht, dass all diese Worte nur nett gemeinter Nonsens oder ihrer Überreiztheit geschuldet war. Ich stemmte meine Augen in eine Handfläche, als ich verstand, dass ich einfach nichts verstand. Diese ganze Situation war paradox. Eigentlich hatte ich ja meinen Spaß am paradoxen, doch diese Situation war alles, nur nicht lustig. Ich erinnerte mich daran, wie sehr sie geweint hatte. Wie gepeinigt mir ihre rot geweinten Augen entgegen geschaut hatten. Wie verzweifelt sie geklungen hatte, als sie mich bat zu bleiben. Und wie sie letzten Endes doch Reißaus von mir genommen hatte. Wollte sie, dass ich bleibe? Hatte sie die Wahrheit gesagt? Oder wollte sie nur nett zu mir sein, da sie dachte ein weiteres Mal in meiner Schuld zu stehen? Paradox. Dieses Mädchen und das ganze drum herum, machten einfach keinen Sinn. Es machte auch keinen Spaß nach dem Sinn zu suchen. Der Splitter in mir glühte erneut. Mein Kopf war heiß gedacht. Mein Herz zog sich zusammen. Schmerzhaft. Mein ganzer Brustkorb folgte. In mir schreckte etwas auf, aufgrund dieser heftigen körperlichenReaktion auf mein verbittertes Seelenleben. Ich legte eine Hand auf meinen verspannten Oberkörper: ‚Was ist das?‘ Ich kannte dieses Gefühl, doch in diesem Kontext konnte ich es erst nicht einordnen. Einige Male hatte ich schon seelisch so sehr gelitten, dass es in körperliche Schmerzen umschlug. Die Situation war immer die Gleiche gewesen, doch eine andere als jetzt. Das letzte Mal war 130 Jahre her. Sky war nicht tot. Sie lag nun wahrscheinlich bei sich Zuhause in ihrem Bett und schlief. Und doch hatte mich dasselbe Gefühl fest im Griff, wie es mich immer überkommen war, als die andern Ersten und auch Vincent verstorben waren. Ich schüttelte die Erinnerungen an sie aus meinen Kopf. Als sie mich verlassen hatten zwang ich mich tief durchzuatmen. Die Verkrampfung löste sich ein Stück und mein Kopf spuckte mir eine Bezeichnung für das Gefühl entgegen: Liebeskummer. Ich überlegte, warum sich diese Gefühle so ähnlich waren. Schnell kam ich auf die Antwort, dass es immer das Gefühl war etwas Wichtiges verloren zu haben. Jemanden, den man liebt. Für immer. Mir entfuhr ein Seufzen. Ich fühlte mich recht ermattet, doch ich musste weiter. Ich hatte schon zu viel Zeit vertrödelt und im Wohnheim könnte alles passieren. So ging ich an meinen Tresen vorbei, tätschelte beiläufiges Merkenaus Kopf, der aus meiner Keksurne aufgetaucht war und mir müde entgegen krächzte und verließ dann den Laden wieder. Ich brauchte nicht lange bis ich das Wohnheim erreichte. Brille auf der Nase bezog ich Posten auf dem Baum vor den Fenstern der Mädchen. Schließlich wusste ich nicht, ob das Etwas wiederkam und sich abermals an Skyler vergriff. Auch musste ich das Zimmer der schönen Brünetten erst noch finden. Wenn ich das Apartment und was ich davon gesehen habe nicht ganz falsch einschätzte, müsste Skys Zimmer genau neben der Stube liegen. In der Gewissheit, dass mich niemand sehen konnte, balancierte ich an die Spitze eines dicken Astes, setzte meine Brille auf die Nase und spähte durch das Nachbarfenster des Wohnzimmers. Doch ich sah nur violette Satin-Gardinen. Lautlos sprang ich auf das Stück Fensterbank, welches eigentlich für Blumenkörbe gedacht war und machte wischende Bewegungen mit meinem beringten Zeigefinger. Die Gardinen hüpften vom Fenster weg und gaben den Blick auf den Raum frei. Das Interieur des vielleicht 12 m² großen Raumes war stämmig, dunkel und bescheiden. Der Parkettboden und die halbhohe Wandvertäfelung waren aus dunkelbraunem, massivem Holz. An den Wänden aufgebaut in Holzkassetten mit abgeplatteten Feldern, die plastisch hervorstachen, abgeschlossen mit einer hervorstehenden Holzbordüre, wie es in viktorianischen Stil gängig war. Der obere Teil der Wände war schlicht weiß tapeziert. Auf dem Boden lag in der Mitte des Raumes ein großer, runder, violetter Teppich mit dem schwarzen Logo der Wölfe. Erst fiel mein Blick auf die Wand dem Fenster gegenüber, in der sich die geschlossene Zimmertüre befand. In der Ecke links davon stapelten sich – recht wirr, lieblos und unachtsam aufeinandergestellt, wenn nicht sogar geschmissen - bearbeitete Leinwände sicherlich 1 ½ Meter hoch. An der rechten Wand stand ein großer, dunkler Kleiderschrank im schlichten, altmodischen Design mit einem großen Spiegel an einer Tür. Direkt unter dem Fenster stand ein rustikaler Holz-Schreibtisch, unter den ein schwarzer Bürostuhl auf Rollen geschoben war. Auf dem Schreibtisch lag ein silberner Laptop an dem ein Lämpchen immer mal wieder vor sich hin blinkte, eine Federmappe, ein linierter und karierter Block, sowie ein Skizzenbuch mit Blanko-Blättern, umgeben von zahllosen losen Stiften, etlichen Kohle- und Pastellkreiden, einem bis eineinhalb Rudeln Acrylfarbtuben, Pinseln in allen Größen, Arten undFormen, sowie einem leeren mit Farbe verschmierten Wasserbecher, einem Taschenrechner, einem Geodreieck und einem Zirkel. In der von mir aus rechten Ecke stapelten sich darüber hinaus noch 4 verschieden große unberührte Leinwände und neben dem Schreibtisch stand eine hölzerne Staffelei. Auf der Tischplatte herrschte - um es direkt auszudrücken - das pure Chaos. Der Schreibtisch war der Schreibtisch eines Künstlers, wie ich ihn kannte. Ich hatte schon viele sehr gute und sehr kreative Künstler getroffen und auch wenn sie nicht alle zwingend in allen Bereichen körmelig waren, ihre Kreativ-Stätte war immer ein heilloses Durcheinander gewesen. Und umso kreativer der Kopf gewesen war, umso schlimmer fiel es aus. Doch ich hatte mich in diesem Punkte entweder fein geschlossen zu halten oder die nächsten 5 Wochen meines Lebens mit Hausputz/Grundsanierung zu verbringen. Doch schon der Schreibtisch und auch der Stapel Leinwände verrieten mir, dass ich in Skys Zimmer schaute. Doch ansonsten verriet nichts, dass dieses Zimmer überhaupt bewohnt war. Es war aufgeräumt – bis auf den Schreibtisch und den Stapel -, aber nicht in der Art, dass sie einfach ordentlich zu sein schien, sondern in der Art, dass dieses Zimmer einfach nicht belebt wirkte. Der einzige Ort der wirkte, als würde dort gelebt, war der Schreibtisch. Das ganze Zimmer war fast beklemmend mit seinen leeren weißen Wänden und freiem Boden. Es war in keinster Weise von ihr dekoriert worden. Dabei war das hübsche Ding doch so umwerfend kreativ. Die einzigen dekorativen Elemente waren die Gardinen, ein Wappen und ein Kalender an der Wand und der Teppich, was aber alles zur Standarteinrichtung der Wohnheime zählte. Selbst ihre vielen bemalten Leinwände waren nicht ausgestellt oder aufgehängt. Sie waren auf einen Berg in eine Ecke gebannt, wo sie keiner bewundern konnte. Diese junge Frau hatte nichts getan um dieses Zimmer zu ihrem Zimmer zu machen. Sie hatte so gut wie keine Spuren darin hinterlassen. Zumindest nicht mehr, als ein Tourist während seinem 2 Wochen Aufenthalt in einem Herbergszimmer. Dieser Umstand machte mir Sorgen. Ich wusste, dass Sky ein Heimkind war und ich wusste besser, als sie dachte, wie ihre Eltern sich benahmen. Doch dieser vollkommen unpersönliche Raum ließ mich vermuten, dass auch die Zeit nach ihren Eltern nicht einfach gewesen war. Erweitert um die Tatsache, dass Amy uns schon grob von einer 2-jährigen Therapie der jungen Frau berichtet hatte. Mit einem unguten Gefühl ersann ich mir die Theorie, dass Skyler mehr als eine neue Familie sah und nach dem x-ten Versuch aufgehört hatte sich irgendwo einzuleben. Ich neigte mich zur Seite um durch das zweiflüglige Sprossenfenster, welches von 3 vertikalen, sowie im oberen Drittel durch eine horizontale Sprosse gebrochen wurde und so keine ungehinderte Durchsicht bot, auf die von mir aus linke Seite des Zimmers schauen zu können. Direkt an dem Schreibtisch stand ein kleiner Nachtisch in demselben dunklen Holz. Darauf stand ein digitaler Wecker, eine Tischlampe mit einem Standfuß, der wie ein liegendes Kätzchen mit viel zu großen Augen aussah. An dessen hochgestreckter Schwanzspitze hing ein Lampenschirm im Design einer alten Straßenlaterne. Sie sah mit dem Laptop wie der einzige persönliche Gegenstand im ganzen Raum aus. Erweitert um ein Handy, das an der äußersten Kante des Nachttisches an seinem Ladegerät lag. Auch ein schlankes Trinkglas mit einer weißen Lilie stand darauf. Ich erkannte diese Blume direkt. Es war die Blume, die ich ihr aus Laus Grabblumenstrauß in die Haare gebunden hatte. Sie sah noch so frisch aus wie an dem Tag, an dem ich sie aus dem Strauß gezogen hatte, obwohl ihr Köpfchen mittlerweile hängen müsste. Ich war recht verwundert, dass sie noch dort stand. Sicherlich hatte Skyler nur vergessen sie fort zu schaffen. Direkt neben dem Nachttisch stand ein Bett, der Rahmen aus dunklem rustikalem Holz, ebenfalls wiedie Wandvertäfelung verziert mit plastischen Holzkassetten. Auf der dicken Matratze, unter einer fluffigen violetten Bettdecke, lag die junge Skyler. Ihr zimtbraunes Haar lag wirr über ein weißes und ein schwarz-violett kariertes Kopfkissen, doch ihr hübsches Gesicht stach mir ins Herz. Auch ließ es mich die Augenbrauen skeptisch zusammenziehen. Der Ausdruck auf ihren feinen Zügen war angestrengt. Stunden saß ich am Fenster und ließ Sky nicht aus den Augen. Nichts passierte abgesehen davon, dass ihr Kopf immer wieder ein kleines Stück hoch zuckte und die Finger ihrer Hand sich unruhig auf dem weißen Stoff des Bettbezugs bewegten. Irgendwann drehte sie sich auf den Rücken. Doch sie warf ihren Kopf immer wieder heftig von einer Seite zur anderen. Meine Besorgnis brach sich bahn. Ich steckte die Brille in meine Hosentasche, legte meine Hand auf das Schloss des rechten Fensterflügels. Er schwang auf und ich suchte mit dem Fuß einen freien Platz auf dem voll gelegten Schreibtisch. Dann hüpfte ich tonlos in das Zimmer. Sky warf immer noch ihren Kopf hin und her, als ich neben ihrem Bett in die Knie ging. Was immer sie träumte, schön war es mitnichten. Der Anblick wie sie sich in ihrem Bett, hilflos einem Albtraum erlegen, hin und her warf machte mein Herz zusätzlich schwer. Sehr schwer. Ich konnte nicht anders. Ich streckte meine Hand aus und strich über ihre Wange. „Under...“, ich stoppte, als Skyler zu murmeln begann. Ich dachte erst sie sei aufgewacht, doch ihre Augen waren geschlossen: „...taker...“ ‚...Ich?‘, ich schaute mit großen Augen auf die von Albträumen geplagte Schönheit. Etwas in mir hatte sich schmerzhaft zusammengezogen. Sie hatte Albträume und murmelte meinen Namen mit einem derart gepeinigten Gesichtsausdruck. Der Rückschluss war eindeutig. Und er folterte mein Herz. „...Un…der...taker...“ Das Etwas zog sich mehr zusammen. Ich nahm hastig meine Hand wieder zu mir. Plötzlich bäumte Sky sich mit einem erstickten gequälten Laut ein Stück auf und warf den Kopf auf die andere Seite: „Under...taker...“ Ich hätte vieles dafür gegeben in ihren Traum schauen zu können und ich hätte alles dafür gegeben, dass ich in ihrem Traum nur vorkam und nicht ihr ganzer Albtraum war. Alles. Ich schlang einen Arm um sie und zog sie in meine Arme. „Ganz ruhig“, hauchte ich in ihre weichen Haare. Sie roch so gut. Nach Blumen. „Was...“ Mein Gesicht zuckte in der Ahnung sie sei aufgewacht wieder hoch. Sky drehte sich in meinen Armen. Sie schlief noch, fing aber urplötzlich zu strampeln an. Ich war ein wenig überrumpelt, versuchte sie aber mit behutsamen Nachdruck still zu halten: „Beruhige dich, Schöne.“ „Un...“, ich wusste erst nicht, ob es ein Laut oder ein Wort war: „...der...“ Ein Wort… Mein Name… Schon wieder... Ihre zierlichen Finger, die sich in meinem Unterarm krallten, holten mich aus meinen Gedanken: „...Aua...“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich in ihr gequältes Gesicht: ‚Wie bitte?‘ Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und versickerte in ihrem weißen Kopfkissen: „... Lass...Du... mir“, wieder fing Sky an zu strampeln: „Au... Au...“ Ich fing eine ihrer Hände ab, bevor sie in meinem Gesicht landete. Dann schaute ich wieder in Skylers Gesicht. Was träumt sie? Wer tut ihr weh? „Du… machst... mir Angst... Hör auf... Under… taker...“ Mein Name… doch vor dem, was ihm folgen könnte… ich hatte Angst davor. Ich starrte auf ihren leise murmelnden Mund, als ich darauf wartete was sie noch aus ihrem Traum erzählte ohne es zu wollen oder zu wissen. „...Du...“ Ich drückte ihre Hand in einer Mischung aus Furcht und Ungeduld: ‚Ich?‘ „Tust... mir weh...“ Ich erschrak innerlich so stark, dass ich festfror: ‚Wie bitte?!‘ „...Aua...“, Sky krampfte ihre Hand fester in meinen Ärmel:“...Bitte... Du tust mir weh... Du... tust mir... weh...“ Eine gefühlte Ewigkeit tat ich nichts außer in Skys albtraumverzerrtes Gesicht zu schauen. Ich tat ihr weh?! Soweit hatte ich es also gebracht. Was ich dafür geben würde, damit es nicht so war, war vollkommen egal. Ich war ihr Albtraum. Langsam legte ich meine Hand mit ihrer auf ihr Herz: „Ich würde dir nie weh tun. Niemals.“ „Macht es... dir Spaß... mir...“ „Nein“, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht hörte, sprach ich dagegen an und strich mit der anderen Hand über ihre Wange: „Wenn ich an etwas nichts zu lachen finde, ist es dein Leid.“ „D-d...“, sie begann zu zittern. Am ganzen Leib. Ich musterte sie sorgenvoll: „Ruhig.“ „...Under…“ „Ruhig.“ „...Under...“ „Dir passiert nichts“, ich versteckte mein Gesicht in ihren Haaren. Ja, ich versteckte es. Denn ich hatte das Gefühl es verloren zu haben. Ich hatte mein Gesicht verloren, da ich es geschafft hatte, dass das Wesen welches mir am wichtigsten war so viel Angst vor mir hatte, dass sie nun träumte ich würde ihr weh tun: „Ich bin hier, damit dir nichts passiert. Ich würde dir nie etwas tun.“ „Under…taker...“, mehr Tränen sickerten in ihr Kopfkissen:„...Bitte… tu mir... nichts...“ Ich nahm sie fest in beide Arme: „Würde ich nie...“ „...Nicht weh...“ „Niemals…“ „...Nicht mehr...“ Ich drückte sie fester an mich. Wenn ich noch eine Bestätigung gebraucht hätte, dass ich aus ihrem Leben verschwinden musste, hätte ich sie spätestens jetzt gehabt: „Verzeih mir…“ „Nein!!“, ihr Schrei zerriss das schwarze Zimmer. Ihr Oberkörper sprang förmlich in den Sitz, riss sich so aus meinen Armen und ihr Kopf krachte so hart gegen meine Nase, dass ich hintenüber fiel und auf meinen Rücken landete, nur um mit den Hinterkopf zusätzlich gegen den Hartplastikfuß des Bürostuhls zu knallen. Ich hörte Sky keuchen, während ich darauf wartete, dass das Blinken und Blitzen vor meinen Augen aufhörte. Dann stützte ich mich auf meinen Ellbogen, um Sky und ihren Zustand bemustern zu können. Sie schaute sich aufgehetzt in ihrem Zimmer um, wohl gerade erst dabei zu realisieren, das es nur ein Traum war und sie nun wach. Sie schaute auch genau in mein Gesicht. Doch ich wusste sie sah nicht mehr, als ihren Schreibtischstuhl. Dann erreichten schnelle Schritte mein Ohr. Keine Sekunde später flog ihre Zimmertüre auf: „Sky!“ Amber kam in Skylers Zimmer gerannt, zielstrebig auf die Stelle neben dem Bett zu, an der ich saß. Ich sprang auf die Füße. Nun musste ich ganz schnell verschwinden, ansonsten lief die junge Phantomhive genau in mich hinein. Ohne zu bremsen. Sie sah mich ja nicht. Mit einem großen Satz war ich aus dem Fenster verschwunden. Leider verpasste ich in meiner Hast den Ast. Den Rosenbusch am Fuß des Gebäudes traf ich allerdings Punkt genau. Ich blieb darin liegen und schaute in den pastellfarbenen Morgenhimmel. In mir fühlte es sich so kalt an. Ich ekelte mich. Vor mir selbst. Ich empfand mich selbst zum Spucken abscheulich. Während ich durch die dünnen Dornenranken in die Morgenröte starrte, begann ich mich zu hassen. Zurück in meinem Laden bekam ich einen Anruf aus der städtischen Leichenhalle. Ein Toter wartete auf seine Überführung. Natürlich wurden mir keine Details genannt, doch die Tatsache, dass die städtische Leichenhalle und nicht etwa ein Krankenhaus anrief ließ schon verlauten, dass nicht alles ganz natürlich abgelaufen war. Wie immer in solchen Fällen saß ich schnell mit einem gewissen Maß an Neugierde in meinem Wagen und rollte über die verstopften Straßen Londons. Am Leichenschauhaus angekommen gab es das übliche Hin und Her. Eine blonde, hübsch taillierte Frau, fast noch ein Mädchen, stellte sich mir vor. Ihre glänzenden Haare zusammengefasst in einer unpraktischen und vermeidlich schicken Frisur, das Oberteil der unvorteilhaften Einheitsuniform spannte an der Brust um eine ausladende Weiblichkeit. Den Namen hatte ich sofort wieder vergessen, das höflich hohle Gerede kichernd ignoriert. Ich zeigte meine Papiere vor, amüsierte mich über den verstörten Anblick der unterbezahlten kleinen Arbeiterbiene vor mir, was besagtes Bienlein nur noch mehr verstörte und mich noch mehr belustigte. Sind Teufelskreise nicht herrlich?! Dann ging ich endlich durch den Hintereingang in das Gebäude und zog das Tuch mit dem beachtlichen roten Fleck von seinem Gesicht. Gepflegt war der Herr nicht. Seine Haare wirkten immer noch dreckig, obwohl er von den Leichenwäschern schon gewaschen worden war. Seine Fingernägel waren ungeschnitten und ebenso ungepflegt. Das Bezeichnenste war allerdings die vollkommene Abwesenheit seines Gesichtes. Die fleischige formlose Fratze starrte mich aus augenlosen Höhlen an. Das entstellte Gesicht löste nicht einen Hauch von Ekel, Mitgefühl oder irgendeiner anderen menschlich nachvollziehbaren Regung in mir aus. Ich war lediglich neugierig, wo sein Gesicht und die Hälfte seines Skalps abgeblieben waren. Ich wandte mich ab und beugte mich nah zu der kleinen Arbeiterbiene hinunter, um sie überhaupt richtig erkennen zu können: „Ki hi hi! Wo habt ihr denn dieses Exemplar aufgelesen?“ ‚Komfortzone! ‘, meckerte eine aufgescheuchte melodische Stimme in meinem Kopf. Ich konnte mein Lächeln gerade so vorm Einstürzen bewahren. Ein kurzes Zucken meiner Mundwinkel war allerdings nicht zu verhindern gewesen. Warum? Warum erinnerte ich mich ausgerechnet jetzt an sie? Vielleicht, weil mir die kleine Angestellte des Leichenschauhauses auch mit erschrocken aufgerissenen hellblauen Augen von ganz nah entgegen schaute? Doch Skys Nähe… fühlte sich anders an. Diese verstört starrende Frau war einfach nur eine verstört starrende Frau. Und viele starrten mich verstört an. Ständig. Sie war nichts Besonderes. Sie hatte ein hübsches, noch recht junges Gesicht vielleicht, mit ihren hellblauen Augen ganz nett anzusehen, aber nichts Besonderes. Ich kannte ein Gesicht was hübscher war, ein Blau was tiefer war, ein Gesichtsausdruck der amüsanter war und ein Charakter der mehr bieten konnte, als in diesem Weibchen je stecken könnte. Abgestoßen von ihrer Trivialität zog ich mein Gesicht zurück und schaute abschätzend an ihr hinunter. Ihre Figur war höchstens in Ordnung, da sie falsch proportioniert wirkte. Auch dort hatte ich erst vor kurzem Besseres gesehen. In dem Moment, wo ich sie wirklich anschaute bemerkte ich allerdings etwas wirklich Interessantes an ihr: Ein Din A4 großes blaues Klemmbrett in ihrer Hand. Wahrscheinlich stand dort alles drin, was über den Toten derzeit herausgefunden wurde. Eine Antwort bekam ich von ihr eher zögerlich und nach ein paar Mal ausgiebigen Augenklimpern: „Äääähm… Im East End. Nach Angehörigen suchen wir noch. Wir… werden sie an Sie weiterleiten, doch könnte dies… äh dauern.“ Dass er im East End gefunden wurde, war wiederum weniger verwunderlich. Dass noch keine Angehörigen gefunden wurden, war in so umständlich, als das ich mich mit den Behörden auseinandersetzen und wieder Formulare ausfüllen musste, um ihn unter die Erde bringen zu können. Immer diese leidliche Bürokratie. „Nun“, grinste ich breit, schaute ein letztes Mal auf das Klemmbrett in der Hand mit dem so prägnant roten Nagellack, dass ich selbst Grell davon abraten würde, und beugte mich wieder in ihr Gesicht: „Gi hi hi! Ein wahrhaft interessanter Anblick, nicht wahr?“ Der kleinen blonden Arbeiterbiene klappte, nur allzu offensichtlich von allen Wörtern dieser Welt verlassen, der Kiefer auf. Ich legte kichernd den Kopf schief: „Bahre?“ „Bi...“, sie schien erst durch meine Worte aus einer Art Schockstarre erwacht zu sein: „Bitte?“ „Nihihihi! Ich hätte gerne eine Bahre“, ich beugte mich noch weiter hinunter. Um mir auszuweichen lehnte die Blondine sich nach hinten, wurde allerdings von einem Tisch aufgehalten, auf den sie sich stützen musste um nicht hintenüber zu fallen. Ich kam ihr noch ein Stück näher, sodass sie wirklich unbequem hintenüber gestreckt auf dem Tisch hing: „Oder soll ich meinen Gast den ganzen Weg zu meinem Wagen tragen? Ki hi hi.“ „Ga-ga-“, es schien, als besann sich die Blonde im letzten Moment nicht weiter nachzufragen: „Ok!“ Sie wandte sich irgendwie aus dem Spalt zwischen mir und dem Tisch und verschwand eilig: „Ich bringe ihnen eine! Einen Moment!“ Kichernd wartete ich auf meine Bahre… … und grinste einmal dem auf dem Tisch zurückgebliebenen Klemmbrett entgegen. Nachdem die kleine Arbeiterbiene mir meine Bahre gebracht hatte, verlegte ich meinen neuen Gast von der Leichenhauskühltruhe in den Sarg in meinem Wagen. Wieder daheim wanderte mein Gast auf einen meiner Seziertische und ich mit einem Tee an meinen Tresen. Die Brille auf der Nase zog ich die Papiere aus meiner Hosentasche und stellte mir das verdutzteGesicht der kleinen Blonden vor, wie sie auf ihr leeres Klemmbrett starrte. Ein kleines Kichern entfuhr mir. Dann begann ich zu lesen. Viel war nicht herausgefunden worden. Der Tote war mitten in White Chapel gefunden worden. Doch dies war bewiesen einer der schlechtesten Gegenden Londons. Sein Gesicht war nirgends zu finden, seine Haarpracht ebenso wenig und der Schädel war aufgebrochen gewesen. Anmerkungen war zu entnehmen, dass alle Schnitte fachmännisch waren, der Knochen wohl von einer Knochensäge zertrennt worden war. Der Mann wurde identifiziert durch einen Ehrenamtler einer Suppenküche anhand eines Tattoos. Nach Angehörigen wurde noch gesucht. Ich wog meinen Kopf hin und her. Kurz dachte ich an eine Art Organ-, oder Gewebediebstahl. Doch das Gesicht und ein Stück Skalp waren nicht gerade die bevorzugte heiße Ware in der Londoner Unterwelt. Herzen, Leber, Nieren, alles was ersetzt werden konnte. Das Gehirn hätte ich mir sicher auch irgendwie erklären können, aber das Gesicht? Und warum war der Schädel zwar geöffnet, das Gehirn aber vollkommen unversehrt? Der Sinn versperrte sich mir. Ich entschied, dass vielleicht ein neuer Irrer auf Londons Straßen wandelte. Doch sicherlich würde der Earl bald in meiner Stube stehen. Mit diesen Gedanken packte ich die Blätter in meine Schublade. Ansonsten war es ruhig. Ich kümmerte mich um meinen neusten Gast. Legte seine vor Drogen und Alkohol sauer riechenden Organe in einige Messbecher. Eigentlich wirkte der Tag wie ein ganz gewöhnlicher. Durch die jüngsten Ereignisse fühlte ich mich jedoch nicht gerade konzentriert. Doch meine Hände arbeiteten wie gewohnt von alleine. Meine Gedanken allerdings hingen an Skylers verzehrtem Gesicht. Nicht nur in der Leichenhalle, sondern auch hier war dieses Bild immer in meinem Hinterkopf und die kleinsten Banalitäten buddelten es erbarmungslos an die Oberfläche. ‚...Du...‘, hallte ihr verspannt ersticktes Murmeln immer wieder durch meinen Kopf: ‚...Tust... mir weh...‘ Es ließ mich einfach nicht los. Es fachte diesen ekelhaften Splitter an. Ein permanent anwesendes weißes Glühen direkt in meiner Brust, welches mir einfach keine Ruhe gönnte. Begleitet von dieser endlosen Abscheu gegen mich selbst. Ich schaute auf meine Taschenuhr. »14:39 Uhr« Der Anblick des gesprungenen Glases erinnerte mich an den Tag, an dem ich durch London gerannt war, Richtung Watersman‘s Green, um zu verhindern, dass das Detektivabenteuer der beiden jungen Frauen ein sehr böses Ende nahm. Mit einem verzerrten Gesichtsausdruck klappte ich die Uhr zu. Diese Erinnerungen hatten etwas sehr Schmerzliches. Ich überlegte kurz wie viel Arbeit ich noch hatte. Ich hatte nur noch diesen und einen weiteren Herrn in meiner Obhut, die noch nicht versorgt waren. Durch meinen neusten Gast stand zumindest ein Amtsanruf an, sollten sich keine Angehörigen finden lassen. Doch war dies äußerst nervig und wirklich nicht erstrebenswert. Meine anderen 4 Gäste waren schon vollkommen hergerichtet, bereit für ihre letzte große Gala. Zweien fehlte nur noch ein Sarg. Doch mein aufgewühltes Seelenleben brauchte dringend Arbeit. Mehr Arbeit, als zwei Tote und zwei Särge versprachen. Ich war mir sehr sicher, so sehr hatte ich noch nie Arbeit nötig gehabt. Mit einem genervten Seufzen verstaute ich meinen Gast in einer Kühlzelle. Ich sollte im Wohnheim vorbeischauen. Bei Amber… Und Skyler... Nachdem ich mir seufzend eine Hand voll Kekse aus meiner Urne geklaubt hatte, machte ich mich auf den Weg. Als ich auf dem Baum am Apartment ankam, setzte ich meine Brille auf um mir ein erstes Bild machen zu können. Ich sah Amber und Skyler im Wohnzimmer sitzen. Amber hatte die Nase in einem Buch oder tippte auf ihrem Handy herum, während Skyler irgendetwas auf ihrem silbernen Laptop machte. Dunkle Schatten standen in Skylers müdem Gesicht. Auch wirkte sie blasser, als sie eh schon war. Eine kurze Weile blieb ich sitzen. Beiden Mädchen sahen reichlich müde aus, auch die junge Phantomhive, die schlafen konnte wie eine Tote. Sie sprachen zwar hin und wieder miteinander, doch weniger als es für so gute Freunde üblich war. Sicher waren beide noch erschöpft von einem wenig erholsamen Wochenende und das Skyler – die es von allem am nötigsten gebraucht hätte – nicht gut geschlafen hatte, wusste ich ja bereits. Es stach mir hundertfach in der Brust, als ich an die letzte Nacht zurückdachte. Immer wieder wiederholten meine Gedanken, dass ich ihr in ihrem Traum wehgetan hatte. Ich steckte mir den letzten Keks in den Mund, meine Brille in meine Hosentasche und kämmte mir mit meinen Fingern meinen Pony über die Augen. Skyler hatte mir auf dem Balkon bewiesen, wie gut sie meine Augen mittlerweile deuten konnte. Was für andere seit Jahrzehnten ein Buch mit mehr als 7 Siegeln war, hatte sie in ca. 7 Wochen einfach durchschaut. In so vielerlei Hinsicht war diese junge Frau einfach nur beeindruckend. Doch wenn in meinen Augen auch nur im Ansatz stand, wie brachial furchtbar es in mir aussah, sollte sie das niemals irgendwie herausbekommen. Allerdings hatte ich nicht nur dem Earl mein Wort gegeben, ich wollte selber wissen wie es den jungen Frauen ging. Ich wollte wissen wie es Skyler ging. So klopfte ich. Sofort fuhren die Köpfe der Mädchen herum, als ich klopfte. Ich winkte kurz, schluckte den Keks herunter und öffnete mit einem Tippen den Fensterrahmen: „Ni hi hi. Guten Tag, die Damen.“ „Hey Undertaker“, hörte ich Amy: „Na? Alles klar?“ Skyler blieb stumm. Es wunderte mich nicht, dass sie mir wohl nichts mehr zu sagen hatte. Ich neigte den Kopf zu der Richtung aus der ich die Stimme der Phantomhive hörte und blieb auf der Fensterbank sitzen: „Ke he he! Unkraut vergeht nicht, liebste Amber. Und bei euch? Wie ist es euch ergangen?“ Kurz war alles still. „Och“, hörte ich schließlich eine Stimme, die ich nicht erwartet hätte. Jung und melodisch. Und sie gehörte nicht zu Amber: „Eigentlich ganz gut.“ „Wir müssen jetzt gezwungen zur Sport-AG“, seufzte die Phantomhive, nachdem Skyler geendet hatte: „Das nervt, aber ansonsten war es ein ziemlich normaler Tag.“ Mein Kopf fiel zur anderen Seite: „Aha?“ „Jup“, antwortete wieder Amy. Vielleicht war Skys kurze Antwort nur ihren guten Manieren geschuldet. Dieser Gedanke schmeckte bitter, genau wie ihr erneutes Schweigen. „Wegen dem Volleyballturnier“, fuhr Amber fort: „Training und bla. Schlimmer als SebastiansTrainingsstunden kann es kaum werden. Ätzend ist es trotzdem.“ „Ehehehehe!“, rang ich mir ein Lachen ab. Skys Schweigen bestätigte mir, dass ich schnell verschwinden sollte. Auch war mir, wenn ich ehrlich war, einfach nicht nach reden: „Nun gut. Ist irgendetwas Interessantes vorgefallen?“ „Es ist tatsächlich was Interessantes passiert“, antwortete die jungen Phantomhive. Ich legte erneut den Kopf schief: „Eh he he! Nun bin ich aber gespannt.“ Darauf folgte ein weiteres kurzes Schweigen, welches ein weiteres Mal von einer unerwarteten Stimme gebrochen wurde. „Äh...“, machte Skyler unbeholfen: „Amy, ich, wir… also, ähm… Wir haben beide ziemlich komisch geträumt...“ „Und?“, erwiderte ich und schaute nun in die Richtung, aus der ihre zarte Stimme kam. Sie hatte verdient, dass ich höflich zu ihr war, wenn ich schon nicht gut für sie war. „Und“, sie atmete tief durch: „Wir haben beide von dem Zombie geträumt...“ „Tatsächlich?“, unwillkürlich streckte ich ein Stück meine Wirbelsäule, als mir von dieser Information fast die Ohren klingelten. Ich erinnerte mich genau, Amy hatte die Beschreibung verpasst: „Hast du Amber gestern noch von deiner Begegnung erzählt?“ „Äh… äh… Nein. Nein, habe ich nicht.“ Hinten in meinem Kopf regte sich ein Verdacht. Ich schaute zurück zu Amy: „Und obwohl du nicht wusstest, wie das Wesen aussah, träumtest du davon?“ Amy sagte nichts, doch die Spannung in der Luft vermittelte mir Bestätigung. „Interessant“, ich legte eine Hand an mein Kinn: „Das ist wirklich interessant.“ „Klingelt was bei dir?“, fragte Amy. „Ki hi hi. Halb“, gab ich zurück und warf meinen Verdacht ein paar Mal in meinem Kopf hin und her: „Ich kenne ein Wesen was darauf passen würde, doch das hätten die Reaper sofort bemerken müssen. Von daher kommt es auch nicht in Frage.“ „Verdammt“, seufzte Amber. „Nun denn“, ich entschied, dass ich lange genug geblieben war. Die neusten Informationen waren ausgetauscht, die beiden jungen Frauen zwar augenscheinlich müde, aber unversehrt. So hüpfte ich auf meine Füße: „Ich will euch dann nicht weiter aufhalten.“ „Du“, hörte ich Skyler zögerlich: „Gehst schon?“ Wahrscheinlich hatte sie nur die Sekunden zu diesem Zeitpunkt gezählt. „In der Tat“, grinste ich in ihre Richtung. Ich grinste, während dieses weißglühende Gefühl weiter heiß von meiner Brust in meine Seele strahlte: „Ich habe ein paar Gäste auf dem Tisch, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen.“ „Was für Gäste?“, fragte Skyler, was mich erst ein wenig überraschte. Dann besann ich mich darauf, dass sie sicher nur wissen wollte, ob ich mir diese Gäste auch selber gemacht hatte. So schüttelte ich den Kopf: „Fu fu fu. Das ist doch wirklich nichts, um das ihr euch jetzt sorgen solltet.“ Ich hatte nicht das Recht ihr vorzuschreiben, was sie tun sollte oder sie so direkt darauf anzusprechen, doch ich wusste, dass ich verhindern musste, dass sie ihre Höflichkeit weiter quälte. Sie dachte sicher, da ich hier war um nach dem Rechten zu schauen, schuldet sie mir Interesse. Sie war so ein possierlich höfliches junges Ding. Doch sie sollte sich an Amy halten. Nicht an mich. Ich stand aus der Hocke auf und beugte mich runter, um den Beiden durch das Fenster zu winken: „Ich wünsche euch einen entspannten Abend. Sollte etwas passieren, ruft mich unverzüglich an. Eh he he he! Bis Morgen!“ Mit diesen Worten ließ ich mich einfach aus den Fensterrahmen fallen, hielt mich an einem Ast des Baumes fest, schwang mich auf das nächste Dach und begab mich nach Hause. Das Gefühl welches mich auf diesem Weg begleitete war erleichtert, dass diese angespannte Situation zu Ende war und zu einem so großen Teil grauenhaft, dass es mich so sehr stresste wie esnichts seit 130 Jahren getan hatte. Eigentlich wollte ich unverzüglich wieder an die Arbeit. Ich tat ein paar Schnitte mit dem Skalpell… dann klirrte es, als ich es auf die stählerne Ablage des Seziertisch warf. Mein Kopf war zu voll. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Ich kochte mir eine Tasse Tee und endete an meinem Tresen. Doch ich war nur damit beschäftigt gedankenverloren die Dampfwölkchen durch die Gegend zu pusten, bis der Tee so kalt war, dass es keine mehr gab. Es war erstaunlich wie gequält ein schönes Gesicht aussehen konnte und es war bezeichnend, dass diese Qual immer dann auf besagtem schönem Gesicht erschien, wenn irgendetwas mit mir zu tun hatte. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich kippte den unberührten Tee in die Spüle, indem ich einfach den vollen Becher in das Becken warf. Merkenau saß, eine Augenbraue erhoben, auf meinem Tresen und krähte mich an, als ich mich wieder setzte. „Wie kommst du denn darauf?“, grinste ich, ohne mich nach grinsen zu fühlen. Merkenau krähte noch einen Ton verständnisloser. „Ki hi hi! Das hier ist mein Haus. So weit, dass ich hier meine Laune verstecke, kommt es noch.“ Ein weiteres Krähen, welches nun vor Verständnislosigkeit nur so schäumte. „Ich grinse immer“, mit diesen Worten erhob ich mich wieder: „Egal was. Du weißt es.“ Der kleine Vogel hatte recht mit der Aussage, dass was ich sagte und tat nicht im mindesten zusammenpasste. Was daran liegen könnte, dass generell nichts mehr zusammenpasste! Resigniert fiel ich rücklings in einen Sarg und machte den Deckel zu. Ich hatte letzte Nacht nicht geschlafen, es wäre weise gewesen es nachzuholen. Doch das letzte Mal war das Etwas aufgetaucht, nachdem die Sonne untergegangen war und ich hatte immer noch keine genaue Vorstellung davon was dieses Etwas war. Auch hatten beide Mädchen davon geträumt, obwohl Amy es nicht kennen konnte. Außerdem… hatte Skyler nicht von mir geträumt? Hatte das junge Ding nicht geträumt ich tat ihr weh? Andererseits war es nach den jüngsten Erklärungen wohl nicht gerade schwierig mich mit Zombies in Verbindung zu bringen. Egal, wie wenig ich diese Bezeichnung für meine Dolls auch mochte. Auch war der Zeitpunkt, an dem aus dem Nichts ein Zombie auftauchte, doch ein wenig zu passend. Doch niemand, außer Skyler, Amber, Ronald und mir, wusste von dem Gespräch letzten Freitag. Ich verfiel in ein konstantes Grübeln. Immer wieder beschlich mich der kleine Verdacht, obwohl ich ihn immer wieder abtat. Für einen Sensenmann hätte dieses Wesen, an das ich immer denken musste, geleuchtet wie ein Weihnachtsbaum und es waren 4 davon in der Wohnung gewesen. Einer kann irren. Aber nicht vier. Leider wäre es für alles eine Erklärung gewesen. Eigentlich liebte ich es zu grübeln. Ich liebte Detektiv spielen und forschen. Ich liebte undurchsichtige Dinge, Neues, das erst noch herausgefundenen werden musste. Doch ich hasste es, dass Skyler in einer so vollkommen unkalkulierbaren Gefahr schwebte. Auch spielte mein Verstand in Dauerschleife das Bild ab, was sich mir letzte Nacht geboten hatte. Dieser furchtbar gepeinigte Gesichtsausdruck. Diese Frage was genau sie geträumt hatte. Ein großer Teil, nein, alles in mir wollte, dass die Dinge doch anders lagen, als ich seit letzter Nacht annahm. Der Deckel flog geräuschvoll auf, als ich mit meinem Fuß davor trat. Mit einem lauten erschrockenen Krächzen war Merkenau flügelschlagend in der kleinen Schachtel verschwunden. Ich passierte den Tresen und verließ meinen Laden in die gerade dunkle Nacht. Als ich meine Brille auf die Nase setzte und mit wischenden Fingerbewegungen die violetten Gardinen an die Seiten des Fensters der schönen Skyler scheuchte, fand ich ein Bild vor welches ich so gerne nicht gesehen hätte. Sky wälzte sich. Von rechts nach links. Von links nach rechts. Im Minutentakt. Und ich hockte hinter einer Glasscheibe und schaute nur dabei zu. Sah ihren Mund murmeln. Sah diesen fürchterlich verzerrten Ausdruck. Wie sie hilflos ihre Finger in ihre Bettdecke krallte. Als ich eine oder eineinhalb Stunden vor dem Fenster gesessen hatte, konnte ich dieses Gefühl der Nutzlosigkeit nicht mehr ertragen. Ich tippte gegen das Fenster und sprang in das Zimmer. Mit stummen Sohlen hüpfte ich von Schreibtisch auf den alten Holzboden neben ihrem Bett und steckte meine Brille in meine Gesäßtasche. Zögerlich legte ich meine Hand an ihre Wange. Sky schwitzte und fühlte sich ganz klamm an. Während ich über ihre Wange strich, ging ich neben ihrem Bett in die Knie. Sofort griff Skylers Hand mein Handgelenk: „...Under...“ Ich seufzte seicht. Sicherlich war die Berührung meiner Hand etwas Bedrohliches für ihr aufgewühltes Unterbewusstsein und sagte ihr sie müsse sich verteidigen. So wollte ich meine Hand zurückziehen. Kaum hatte sich meine Hand einen Zentimeter von ihrer Wange wegbewegt, zog mich ein kräftiger Ruck nach vorne. Sky hatte sich auf die Seite gedreht, dabei meinen Arm wie einen Teddybären geschnappt und fest an sich gezogen. Ich blinzelte das so dünne Ding an, welches so unendlich verletzlich wirkte, wie sie zusammengerollt, das Gesicht zwischen meinem Arm und dem Kissen versteckt und mittlerweile sogar schluchzend, vor mir lag und mich nicht mehr losließ. Sie klammerte sich an meinem Arm förmlich fest. Nun wusste ich wirklich nicht mehr wie herum die Welt sich drehte. Es passte wirklich nichts zu dem anderen. Weder was Sky tat, noch was ich tat, noch was Drumherum oder in meinem Kopf passierte. Etwas in mir freute sich. Genoss die Nähe in vollen Zügen und war stark genug, dass ich das leidende dünne Ding ganz in den Arm nahm. Fühlte sich warm und wohl. Etwas anderes war erdolcht. Erdolcht von diesem unsäglichen weißglühenden Splitter, der nicht weniger, sondern viel mehr surrte. Der mir beständig ins Ohr flüsterte, dass all das ohne ihr aktives Zutun passierte. Und wieder etwas anderes war gestresst. Da alles unter Spannung stand. Weil Dinge, die nicht passen, immer unter Spannung standen… und es noch vor ein paar Tagen so ganz anders gewesen war. Doch gerade wollte ich nur, dass Skyler ruhig schlafen konnte. Ich wusste nicht wie lange ich an Skys Bett saß, ihr mit den Fingern durch die Haare fuhr und sie ihm Arm hatte, während sie unaufhörlich zu leiden schien. Doch irgendwann schwang sie herum und aus meinen Armen. Aus dem leisen Schluchzen wurde ein angespanntes Luft einziehen und mit einem Satz saß das junge Ding mit einem markerschütternden: „Nein!!“, aufrecht im Bett. Sofort polterten wieder Schritte durch die Wohnung. Mir dieses Mal gewahr, dass die junge Phantomhive ihrer besten Freundin sofort zur Seite stand, verschwand ich schleunigst rückwärts auf das kleine Fensterbrett. Ich zog meine Brille wieder auf die Nase. Amy kam nicht wie gestern in ihr Zimmer gerannt. Sie steckte ihren Kopf durch die Türe: „Sky?“ Skyler atmete schwer. Sie schien nicht direkt antworten zu können. So kniete sich die Phantomhive mit einer engelsgleichen Milde im Gesicht neben ihr Bett: „Alptraumboulevard?“ Sky nickte nur. Obwohl sie verstört aussah, beruhigte es mich ungemein zu sehen, dass sie sich wenigstens auf Amy immer und zu 100% verlassen konnte. Sie war nicht allein.  Das Wort ‚Alptraumboulevard‘ erschloss sich mir allerdings nicht. „Zombie?“, fragte Amber mit ruhiger Stimme, was Skyler aber ein weiteres Mal nur ein Nicken entlockte. „Ja, scheiße“, seufzte die Phantomhive daraufhin. „Du...“, Sky schluckte angestrengt: „Du auch?“ Ein knappes Nicken Ambers: „Er hat mich wieder durch einen Wald gescheucht.“ „Warum…“, Sky zog ihre Augenbrauen ein Stück zusammen: „Einen Wald?“ „Ich weiß nicht“, die Adelstochter zuckte mit den Schultern: „Wenn ich raten müsste würde ich sagen, es ist das Waldstück, in dem unser Manor steht. Zumindest bin ich an einem Baumhaus vorbeigekommen, wie ich es mal mit Fred, Lee, Ronald und Undertaker gebaut habe.“ Ich erinnerte mich gut an diese Zeit. Sie war schön gewesen. Kinder hatten so etwas Federleichtes. Die Nähe dieser Leichtigkeit, Fantasie und Ehrlichkeit hatte etwas Heilsames. „Magst du… den Wald nicht?“, Skyler klang etwas verwirrt. So wie Amber erzählte, könnte es wirklich so wirken, als sei der Wald an sich für sie albtraumhaft. Doch ich wusste noch, als sei es gestern gewesen, dass wir Reaper und der Butler teilweise eine Viertelstunde damit verbracht hatten die Kinder wieder aus dem Wald zu klauben, wenn es dunkel wurde und sie sich nicht an die Absprache zum Abendessen daheim zu sein gehalten hatten. Wir haben uns dabei nicht auf das Menschenmögliche beschränkt und trotzdem die mit den Beinen strampelnden und lautstark protestierenden Kinder unterm Arm wieder in die Villa zurückgetragen. Sie haben sich auch eher seltener an Absprachen gehalten. Von ‚nicht mögen‘ konnte also keine Rede sein. „Doch, eigentlich schon“, bestätigte mich Amy in der Sekunde, in der ich daran gedacht hatte: „Dort haben Fred, Lee und ich als Kinder oft gespielt. Fangen, verstecken, Baumhäuser bauen, Hasen jagen, Insekten sammeln. Hin und wieder mit einem von den ‚Erwachsenen‘. Eigentlich waren wir dort ständig unterwegs. Mein Vater nannte uns ‚kleine Waldschrate‘. Doch das ist alles schon Jahre her. Kindergarten und Grundschule so um den Dreh.“ ‚Nihihi! Bis zur 6 Klasse!‘, dachte ich für mich, kurz gefangen in den schönen Erinnerungen, die mir ein leichtes Lächeln auf die Lippen zauberten. Ronald und ich hatten in der Zeit mehr Baumhäuser gebaut, als ein normaler Mensch in seinem Leben zusammen kriegen würde. William hatte dafür sogar die Äste abgeschnitten! Und Grell hatte Vorhänge dafür genäht. Wir hatten alle einen Weltrekord im Verstecken und Fangen spielen im piksigen Unterholzbuschwerk aufgestellt und der Butler hatte irgendwann eine Baumgruppe undeinen Baumstamm zu einer Sitzgruppe mit Tresen umfunktioniert, weil es ihm zu lästig gewesen war immer mit Getränken, Snacks und Geschirr zum Manor und zurück zu laufen. Zu was einen Kinder nicht alles brachten. Wir hatten auch diese Generation mal wieder vollends verzogen… Naja, mir egal! Schließlich mussten Alex, Heather und Jun das alles ausbaden und nicht ich! „Warum... ist es dann ein Alptraum?“ Damit hatte Skyler mir eine Frage aus dem Mund genommen, die ich nicht stellen könnte, weil ich ansonsten verraten müsste was ich hier tat. Schön, dass ich meine Antwort trotzdem kriegen würde. „Keine Ahnung.“ Naja, was man so alles Antwort nannte. „Vielleicht will das Vieh mir ein paar meiner besten Erinnerungen versauen.“ Skyler erwiderte darauf nichts. Doch sah ihr Gesicht sehr nachdenklich aus. Amy wuschelte ihr nach ein paar Augenblicken durch die zimtbraunen Haare: „Versuche noch etwas zu schlafen, ja?“ Wieder nickte Skyler nur. Die Jüngste der Phantomhives erhob sich und verließ den Raum: „Schlaf noch gut.“ „Du auch“, kam es recht knapp von Skyler zurück. Nachdem sich die Türe geschlossen hatte, verblieb Skyler mit dem Blick auf ihre Bettdecke aufrecht im Bett. „Ein paar meiner besten Erinnerungen...“, murmelte sie irgendwann ganz leise. Ich zog meine Augen ein Stück zusammen. Wieder einmal hätte ich viel dafür gegeben in ihren Kopf zu schauen. In diesem Satz lag eine schwere Bedeutung. Doch ich hatte das Gefühl diese Bedeutung rannte in mir vor eine dicke Wand und blieb mir so verschlossen. Ein paar weitere Augenblicke später rieb sich die schöne Brünette fröstelnd ihre Oberarme. Ihr Blick wanderte zu mir. Sie blinzelte. Ich wusste, sie konnte mich nicht stehen. Doch sie sah sehr wohl, dass ihr Fenster speerangelweit offen stand. Ich war mal wieder nicht dazu gekommen es zu schließen, weil Skyler so plötzlich erwacht und die Phantomhive zu schnell zur Stelle gewesen war. Die junge Frau stand auf und setzte sich sofort wieder hin. Sie fiel eher zurück in den Sitz. Schlafmangel war anstrengend für Menschen. Jeder, der einen Earl Phantomhive während der Sommersaison kannte, wusste wovon er da sprach. Nachdem sie sich ein paar Minuten den Kopf gehalten hatte, stand sie auf und kam zu ihrem Fenster. Sie blieb genau vor mir stehen. Der dünne silberne Schleier des abnehmenden Mondlichts schimmerte atemberaubend in dem hellen Himmelblau ihrer Augen. Und diese atemberaubenden Augen schauten genau durch mich durch. Ein gruseliges Gefühl. Es war ein gruseliges Gefühl, wenn jemand der einem so wichtig war einfach durch einen durchschaute, als sei man gar nicht da. Ich wusste, sie sah mich nicht. Ich sorgte dafür. Doch es machte dieses Gefühl nicht wett. Ich würde mich an dieses Gefühl wohl gewöhnen müssen. So sicher ich mir war, dass meine Gegenwart ihr nichts Gutes bescheren würde, hatte ich nicht vor mein Versprechen fallen zu lassen, dafür zu sorgen, dass sie sicher war. Genauso sicher würde sie mich nicht sehen, wenn ich dafür sorgte. Auch Skylers Leben würde für mich nicht mehr als ein Wimpernschlag lang sein. Doch ich war mirbewusst es wird ein sehr anstrengender Wimpernschlag. Denn ich wünschte ihr ein normales, glückliches Leben. Mit allem was dazu gehörte. Und so ein schönes, talentiertes Ding wird nicht ewig alleine… Mit einem grausig, scharfen Schmerz zog sich mein Herz zusammen. Überwältigt zuckte mein Oberkörper und meine Hand zu meinem surrenden Herzen. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Brust. Ein Stück weit vertrieb der körperliche den seelischen Schmerz. Ich schüttelte den Gedanken weg, den ich noch nicht einmal zu Ende denken konnte. „Ein paar meiner besten Erinnerungen...“, seufzte eine junge Stimme mich aus meinem Kopfschütteln. Skylers großen, tropfenförmigen Augen schauten traurig in das silberne Licht: „Warum war ich nur so dumm…?“ ‚Dumm? ‘, der schlimme Gedanken war sofort vergessen. Warum sollte sie dumm sein? Ich bekam kurz große Augen. Etwa, weil sie mich wegen der Campania ausgefragt hatte, was erst zu Tage gefördert hatte wie ungut ich für sie war? Konnte das…? Dachte sie das wirklich? Etwas in mir schrie danach. Denn das würde bedeuten, sie hatte keinen zum flüchtenden Eindruck von mir zurückbehalten. Doch selbst wenn. Selbst, wenn sie das nicht hatte. Ich kniff meine Augen zusammen und meine Hand verkrampfte sich ein weiteres Stück, als der Splitter glühte und Abhilfe in weiter Ferne lag. Es würde immer wieder passieren. Es gab noch die Geschichte mit dem College und etliche weitere. Mein ganzes Leben war eine endlose Gruselgeschichte, ein Psychothriller, bei dem die Betonung nur allzu offendeutlich auf dem Wort ‚Psycho‘ lag. Und die Hauptrolle darin spielte ich jetzt schon über 200.000 Jahre mehr als souverän. Was dieses Wochenende passiert war würde sich immer und immer und immer und immer wieder wiederholen. Das durfte es nicht. Ich konnte nicht der Grund sein, dass sie immer wieder leiden müsste. Ein feines Seufzen erreichte mein Ohr und ließ mich meine Augen heben. Skyler hatte den Hebel des Fensters gegriffen und schaute ihm irritiert entgegen. Mir wurde klar, dass ich das Fenster nicht öffnete indem ich den Hebel drehte. Ich konnte noch nicht mal erzählen, wie es überhaupt funktionierte! Es funktionierte einfach und hat schon immer. Ich öffnete so schon seit Jahrhunderten Fenster, Türen, Truhen, Schubladen… Hand- und Fußfesseln… Sträflingskugeln… Ein Schloss hielt den Tod nicht auf. Nach ein paar irritierten Blicken schloss Skyler das Fenster und zog die Gardinen vor mein Sichtfeld. Ich machte eine wischende Bewegung mit dem Zeigefinger und schaute mit einem Auge in das Zimmer, indem Skyler schon wieder in ihrem Bett lag. Ich beobachtete ihren unruhigen Schlaf. Sie bekam keinen Besuch. Der einzige Eindringling war ich. Doch der Anblick wie sie sich von einer Seite zur anderen warf. Immer wieder schreiend aufwachte und wieder einschlief, nur um zu zucken und aufzuschrecken, ließ mich einfach nicht nach Hause gehen. Als Skyler ziemlich müde aufstand bevor ihr Wecker klingelte, mir wieder die Gardinen vor der Nase zuzog und dann mit einem durch die Fensterscheibe gedämpften Öffnen und Schließen der Tür ihrZimmer verließ, verließ ich meinen Posten auf der Fensterbank. Schließlich lag ich in meinem Sarg, was nicht im Ansatz bedeutete, dass ich schlafen oder irgendwie Ruhe finden konnte. Ich hing dieser unheiligen Dreifaltigkeit an Gefühlen nach, die mich diese Nacht beschlichen hatten und versuchte sie zu ordnen, während ich dem dunklen Sargdeckel entgegen starrte. Freude. Schmerz. Stress. Doch vor allem war ich traurig. Eine Traurigkeit, die ich nicht mehr unterdrücken oder verdrängen konnte. Die prägnanter war, als alles andere. Das Chaos in meiner Seele warf mehr und mehr meinen Kopf durcheinander. Dann riss mich das Klingeln meines Telefons je aus meinen Gedanken. Ich stieg aus meinem Sarg, in dem ich jetzt schon so lange herumgelegen hatte, dass nun durch meine Fenster die voll aufgegangene Sonne kroch und ging zu meinem Tresen von dem aus Merkenau nun schon ein paar Tage Flugversuche unternahm. Allerdings zählte er eher zu der Gattung ‚Bruchpiloten‘. Der jetzige Absturz des kleinen schwarzen Federballs ließ mich kurz lachen, auch wenn es viel flacher als gewöhnlich war. Merkenau rollte wie eine schwarze Plüsch-Bollingkugel über den Boden, wurde von einem meiner Särge aufgehalten und blieb wankend mit ausgestreckten Beinchen auf seinem Hinterteil sitzen. Man konnte die Sternchen in seinem Kopf förmlich blinken sehen! Der kleine Rabe heiterte mich nicht wirklich auf, doch er entlockte mir hin und wieder ein Lachen, welches ein angenehmes, wenn auch immer nur sehr kurzes, Durchbrechen meiner sehr verdrießlichen Laune war. „Ni hi hi! Alle Neune, mein kleiner Freund“, grinste ich dem Vogel entgegen, während ich meine Hand auf den Telefonhörer legte: „Nicht, dass ich dich bald wieder verbinden muss.“ Merkenau schüttelte sich, krähte mich beleidigt an und hüpfte wieder auf den Bücherstapel zu, der ihm als Treppe hoch auf den Tresen diente. Mit einem halbwegs amüsierten Kichern hob ich ab: „Kihihi! Undertakers Funeral Parlor, wie kann ich behilflich sein?“ „Ähm… Ähm… Guten Tag?“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Kehehe. Ja, hallo. Mit wem spreche ich?“ „Äh… äh...“ „Ein wahrhaft außergewöhnlicher Name“, giggelte ich. „Äh… Huston, hier...“ „Aha?“, dieser Name sagte mir einfach nichts, auch wenn mir der Anrufer das Gefühl vermittelte, dass er mir etwas sagen sollte. „Aus dem London Bridge Hospital… “ „Ehehe! Wie auch immer“, nun war mir klar, warum ich den Namen nicht erkannte. Warum sollte ich mir auch die Namen irgendwelcher Krankenhausangestellten merken?: „Wen soll ich abholen?“ „Äh, also“, Huston atmete tief durch: „Niemanden.“ Meine Augenbraue wanderte in die Höhe: „Niemanden? Kehe! Warum ruft Ihr mich dann an?“ Ich wusste durch die Art des Anrufers zu antworten eins: Freiwillig hatte dieser Huston mich nicht angerufen. „Es, äh, geht eher um jemanden, den Sie schon abgeholt haben... “ Ich wurde hellhörig: „Aha?“ „Und zwar, äh… äh, ihre letzten 13... Klienten… von uns. Können sie uns vielleicht die Versicherungsnummern von ihnen durchgeben?“ „Wieso?“, fragte ich langgezogen: „Kihihihi! Hat da jemand Chaos in seinen Unterlagen?“ Ein entnervtes Seufzen am anderen Ende: „...So könnte man es sagen. Bitte, Mr… Undertaker… Ich brauche ihre Hilfe.“ Ich kicherte kurz: „Kehehe! Wenn ihr mich bezahlen könnt!“ „Be-be...“, verwirrtes Schweigen am anderen Ende. Dann hörte ich seinen Groschen förmlich durch den Hörer fallen: „Oh nein! Nein, nein! Bitte! Bitte nicht schon wieder!“ Ich grinste breit, doch lachte nicht, obwohl diese Reaktion schon außerordentlich amüsant war. Ich wusste jetzt jedenfalls, dass der Anrufer mich auf jeden Fall schon kannte: „Im Leben gibt es nichts umsonst, lieber Huston.“ „Mr. Undertaker, bitte!“, Hustons Verstörtheit wich einer so schreienden Verzweiflung, dass mich das Gefühl ergriff es ging um mehr als die Tatsache, dass er sich erinnert hatte wie ich bezahlt werden wollte: „Wir haben 13 Verstorbene, die unauffindbar sind! Seit Tagen suchen wir sie und telefonieren Gerichtsmedizin und Bestatter ab. Selbst bei Friedhöfen haben wir schon angerufen. Sie sind weg!“ Ich zog meine Augen zu Schlitzen: „Weg?“ „Ja!“ Ich setzte mich auf meinen Stuhl. Das war doch eine Aussage, die mich so neugierig machte, dass dies schon Bezahlung genug war. Ich suchte mein Verzeichnis aus der Schublade, während ich meine Füße auf meinem Tresen legte und meine Brille aufzog: „Ihihihi! Jetzt habt Ihr mich neugierig gemacht. Nun gut. Ich helfe Euch.“ „Wirklich?“ „Kehehe. Ja.“ „Einfach so? Keine… ‚Bezahlung‘?“ „Nun, ihr habt mich bezahlt. Wuhuhuhu! Nur anders. Also:“ Dann lass ich etliche Nummern vor. „Die passen alle nicht!“, seufzte irgendwann ein vollkommen am Boden zerstörter Huston aus meinem Hörer. „Ehehehe. Das sind die Nummern, die ich habe.“ „Haben Sie sie vielleicht noch nicht eingetragen?“ „Huston, Huston. Kihihihihi! Wollt Ihr mir etwa unterstellen ich würde schlampen?“ „Äh äh äh äh“, der nahende Herztod war ihm durch den Hörer hindurch anzuhören, was mich redlich amüsierte: „Nein!“ „Sicher?“ „Äh äh äh… Ja!“ „Hmmmm, kihihi! Eigentlich habt ihr zu lange gezögert, um glaubwürdig zu sein.“ „Mr. Undertaker, bitte. Wir haben 13 verschwundene Verblichene, die anscheinend bei keinem Bestatter oder Gerichtsmediziner gelandet sind. Schauen Sie nochmal nach! Irgendwo müssen sie sein!“ „Aber nicht bei mir“, lachte ich ins Telefon: „Hehehe. Ich bin mit meinen Aufzeichnungen mittlerweile bei Juni angekommen. Entweder sucht Ihr sie schon länger oder ich habe sie nie abgeholt.“ „Juni?!“ „In der Tat.“ „Wirklich?!“ „So wahr ich mir hier einen halben Knoten in die Zunge gelesen habe“, giggelte ich zurück. „Es tut mir leid, ich wollte nicht… unhöflich... werden… Wenn Euch doch etwas auffällt, dann kontaktiert uns doch bitte… Ist das okay?“ „Fu fu fu! Das wird nicht passieren.“ „Äh… Wie bitte?“ „Na!“, ich lachte laut: „Kehehehehe! Meine Unterlagen stimmen!“ „Mr. Undertaker… bitte.“ „Nehehe! Ich habe noch ein paar Fragen an Euch.“ „Äh äh, okay?“ „Die 13 werden ja nicht alle auf einmal verschwunden sein, oder?“ „Äh, nein... Nein, sind sie nicht.“ „In welchem Zeitraum sind sie Euch“, ich lachte ein weiteres Mal auf. Es war schon eine sportliche Leistung 13 Verblichene aus den Augen zu verlieren: „Nihihihi! Abhandengekommen?“ „In den... letzten 2 Monaten“, Huston räusperte sich: „Wieso?“ „Ihr wollt meine Hilfe, oder etwa nicht? Denkt Ihr nicht der Zeitraum, in dem zu suchen ist, wäre hilfreich?“ „Ähm... Ähm... Ja schon. Ich… Ich danke Ihnen! Schönen Tag noch!“ Tut tut tut tut tut! Ich hing auf, amüsiert davon wie flott er plötzlich werden konnte, wenn es darum ging aufzulegen. Dann verschränkte ich die Arme. Ein toter Obdachloser mit sonderbaren Verstümmelungen. 13 verschwundene Verblichene, innerhalb von 2 Monaten. Das kam mir schon reichlich komisch vor. Wenn das nicht Fälle für den Queen‘s Watchdog sind! Schien, als habe der Earl bald wieder Hochsaison. Doch im Endeffekt war es das Problem des Krankenhauses, der Polizei und vielleicht bald das des Earls, aber nicht meines. Ich… hatte andere Probleme. Ich seufzte schwer. Das weiße Glühen, von dem mich das Telefonat wenigstens ein paar goldene Minuten abgelenkt hatte, kam mit einem Mal und in seiner ganzen Erbarmungslosigkeit zurück. Doch mit einem Blick auf die Uhr stand ich auf, um ein weiteres Mal bei den beiden Damen vorbeizuschauen. Ich endete wieder auf dem Baum vor dem Fenster. Als ich die Brille aufzog und durch das Wohnzimmerfenster schaute erblickte ich Skyler, die gerade einen Rock bügelte und Amy, die auf ihrem Handy tippte und nebenbei Fernsehen schaute. Eine ganz normale Szenerie, hätten nicht beide Mädchen dunkle Schatten unter den Augen. Auch heute wusste ich, woher bei Skyler diese Schatten kamen. Doch war ich mir immer noch nicht sicher was sie geträumt hatte. Natürlich könnte sie lügen. Bewusst. Mir wach erzählen sie träumte von Zombies, obwohl dem nicht so war. Denn was sie im Schlaf sprach, unbewusst, musste wahr sein. Ich seufzte ermattet durch meine Nase. Ich hätte mir am liebsten eingeredet, dass sie von dem Zombie träumte. Doch ich hatte es mir eher weiter ausgeredet. Ich schüttelte einmal meinen Kopf. Es war egal! So, oder so: Ich musste ihr so fern bleiben wie möglich. Sobald die Sache mit diesem komischen Wesen zu Ende gerätselt und aus der Welt geschafft war, würde ich die Aufgabe nach dem Rechten zu sehen an den Butler abtreten. Dann hätte Sky ihre Ruhe vor mir. Endgültig. Und als ich mir bewusst wurde, dass ich die brünette Schönheit dann nie wiedersehen würde, wurde mir eiskalt. Ich starrte auf den unteren Rand des Fensters, als sich mein Herz ein Stück zusammenzog und sich meine Finger verspannten. Ich vermisste sie. Obwohl mir Skys Anblick schmerzte und ich sie noch regelmäßig sah, vermisste ich es ihr nah zu sein. Wirklich mit ihr zu reden. Ihr in die Augen zu schauen. Die kleinen Gelegenheiten, in denen ich sie einfach gepackt und an mich heran gezogen hatte. Mit ihr zu lachen. Sie lachte so schön. Es war eine so elendige Gewissheit, dass ich all das verdorben hatte. Ich schaute wieder durch die Fensterscheibe. Sky hatte den Rock gefaltet und gerade begonnen sich um eine Bluse zu kümmern. Ich beschaute sie noch ein paar Sekunden, bis der plötzliche Anfall Eiseskälte zu einem konstant frostigen Gefühl abgeflaut und mir die Kontrolle über meine Finger zurückgab. Dann steckte ich meine Brille ein, wischte meinen Pony über meine Augen, klopfte und stupste das Fenster auf: „Ti hi hi hi. Ich wünsche einen guten Tag.“ „Hi Undertaker“, klang Amys Stimme. Dann herrschte eine Sekunde Stille. „Hey.“ „Was habt ihr geträumt?“, mein Grinsen überlebte den weiteren kalten Schwall, den diese kurze Stille durch mein Innerstes spülte. Ich entschloss mich so schnell wie möglich wieder zu gehen. Sky so nicht weiter zu zwingen höflich sein zu müssen. Auch konnte ich den Schmerz in mir einfach nicht verleumden. Es ging nicht nur darum, dass dieser Schmerz da war und so furchtbar prägnant. Es ging darum, dass ich Mühe hatte die Kontrolle darüber zu behalten. Als mir klar geworden war, dass ich sie bald nie mehr sehen würde, hatte es etwas in mir ausgelöst, was ich nur noch schwer im Griff hatte. Der Gedanke, dass ich sie nicht gehen lassen wollte. Die Gewissheit, dass ich sie immer wieder sehen wollte. Und die Notwendigkeit, dass es nicht so kam. „Ich wusste, dass du fragst“, hörte ich wieder die junge Phantomhive: „Dasselbe wie gestern Nacht. Sky auch.“ Skyler allerdings schwieg. „Hm“, legte ich eine Hand an mein Kinn. Wieder sprang mir diese Vermutung in den Sinn: „Wieder dasselbe. Ni hi hi! Wie mysteriös.“ Doch es konnte nicht so sein. „Hast du mittlerweile ‘ne Idee?“, fragte Amy. „Fu fu fu!“, lachte ich auf, ohne so recht zu wissen woher ich dieses Lachen nahm. Denn auch die Suche nach Antworten lenkten mich nicht im Geringsten von der Spannung in mir ab: „Es klingt immer mehr nach dem, was ich gestern vermutete, obwohl es eigentlich nicht sein kann. Die ganze Angelegenheit ist wahrlich mehr als spannend. Ihr träumt nur davon? Es ist nicht mehr aufgetaucht?“ „Nein“, Skys Stimme traf mich fast unerwartet. Auch wusste ich nicht recht was ich fühlte, als ich sie hörte: „Nur in unseren Träumen.“ „Kurios“, ich wog meinen Kopf hin und her, als ich vollkommen abgelenkt von meinem Innersten mein sinnentleertes Statement vorbrachte: „Wirklich kurios. Ki hi hi hi!“ Dann roch ich etwas. Mein Kopf zuckte hoch und ich zog Luft durch die Nase ein. Es roch verbrannt. Ich war mir sehr sicher, es roch nach verbranntem Stoff. Ich drehte meinem Kopf in die Richtung, aus der ich Skylers Stimme gehört hatte, mir wohl gewahr,dass es nur eine Möglichkeit gab, dass es in diesem Zimmer verbrannt roch: Sky, dieser kleine endlos süße Schussel. „Nihihihi! Du brennst.“ „Ich tu‘ was? Brennen?“, Sky klang vollkommen irritiert und ahnungslos: „Nein, ich… ich brenne nicht!“ Ich musste noch mehr kichern. Sie hatte tatsächlich keine Ahnung! Dieses Mädchen ist so wunderbar zerstreut! Ich zeigte dahin wo ich ihre Hände vermutete. Schließlich wollte ich nicht, dass sie sich wirklich in Flammen setzte: „Fu fu fu. Aber gleich, wenn du so weitermachst.“ „Was?“, fragte Sky immer noch mit einer herrlichen Verwirrtheit zurück. „Sky!“, hörte ich hingegen eine alarmierte Phantomhive: „Das Bügeleisen!“ „Oh Mist!“, war auch bei Sky der Groschen gefallen. Ich hörte das hastige Rascheln von Stoff: „Och ne! Das kann doch nicht wahr sein! Die ist hin… und zwar total.“ Nach einem melodisch hellen Seufzen setzte eine kurze Stille ein. Eine Stille, die mich begleitet von dem Geruch verbrannten Stoffes dazu brachte kurz mit dem Kopf zu zucken und durch einen kleinen Spalt meines Ponys zu linsen. Viel erkennen konnte ich nicht. Doch ich sah einen Schemen mit zimtbraunen Haaren etwas in seinen Händen beschauen: „Ein Fall für den Müll...“ Mit hängendem Kopf drehte sich der Schemen ein Stück. Was dann passierte folgte Schlag auf Schlag. „Sky!“, polterte Amys Stimme. Etwas flog durch die Luft. Es schepperte blechern und der Schemen strauchelte mit einem spitzen Schrei. Ich erkannte auch ohne Brille sofort, dass sich Sky nicht fangen können würde. Doch mir sprang noch ein ganz anderer Gedanke durch den Sinn: ‚Das Bügeleisen!‘ Wenn sich ein zu Unglück verfluchter, liebenswerter Tollpatsch, neben einem aufgeheizten Bügeleisen auf das zarte Näschen legte, war die Situation dazu prädestiniert böse zu enden. In der Sekunde, wo ich mir dessen bewusst wurde, stürzte ich intuitiv ins Zimmer, sprang über das Bügelbrett und schnappte Skyler an der Taille. Beiläufig fing ich das Bügeleisen mit meinem kleinen Finger, welches natürlich runter gefallen war. Um das zu wissen hatte ich es nicht sehen müssen. Was ich getan hatte realisierte ich erst zu hundert Prozent, als alles vorbei war. Es war nicht vor Anstrengung, aber mein Atem ging ein paar Atemzüge schwerer als gewohnt. Mir war wärmer. Ich schaute auf das schlaff in meinem Arm hängende Mädchen und erkannte was mit mir los war. Ich hatte mich erschreckt. Ich hatte Angst gehabt sie könnte sich verletzen. Und in dem Moment, wo ich über Verletzungen nachdachte, erreichte der Geruch von verbranntem Fleisch meine Nase. ‚Oh nein...‘, mein Herz sackte ein Stück ab, als ich mir klar wurde, dass ich wohl nicht alles hatte verhindern können. „Du hast es herbei geschrien“, ließ mich Amys Stimme den Kopf heben. Ich schaute sie an und schaffte ein Lachen: „Ehehehe! Das war definitiv nicht der Vater des Gedankens.“ Amy fiel zurück in die Couch und schüttelte den Kopf. Sie wirkte ein wenig blasser um die Nase und schien sich ebenfalls erschrocken zu haben. Meine Augen fielen kurz nach unten. Es brauchte viel um mir einen Schreck einzujagen. Doch Sky verstand es sich vollkommen unabsichtlich immer wieder in Schwierigkeiten zu bringen. MitKleinigkeiten. Sie hatte einfach viel zu viel Pech. Sicherlich hatte sie sich in der Vergangenheit das ein um das andere Mal furchtbar weh getan. Ich… wollte nicht, dass sie Schmerzen hatte. Weder körperliche noch seelische. Doch ich war der Letzte, der sie davor bewahren konnte. Schließlich war ich einer ihrer Albträume... Ich schaute wieder auf das junge Ding. Sie hat mittlerweile zu mir aufgeblickt und schaute mir genau ins Gesicht. Sie sah so müde aus. Sie musste endlich wieder schlafen. Eine Minute schaute wir uns nur an. Skyler musterte mich genau. Erst als sich der Ausdruck in ihren blauen Augen änderte wurde mir klar, dass sie mir in die Augen schauen konnte. „Hast du dir etwas getan?“, fragte ich, um sie aus ihrem Starren zu holen. Sie blinzelte, als wäre sie aus ihren Gedanken aufgewacht. Dann zog sie ihren Mund zusammen und kaute auf ihren schönen zitternden Lippen herum. Sie drückte ihre Hand auf ihren Unterarm. In diesem Moment wusste ich, wo sie sich verletzt hatte. Dann sammelten sich Tränen in ihren Augen. Diese Reaktion auf meine Frage versetzte mir einen Tritt. Ich schaffte es mein Grinsen zu halten, doch es kroch wieder eine furchtbare Kälte von meiner Magengrube hoch in meine Brust. Die aufblühenden Eisblumen stachen schmerzend in mein Herz. Dann ließ Sky den Kopf hängen. Es sollte mich nicht wundern. Diese Situation muss für sie gänzlich unangenehm sein. Wenn nicht sogar schlimmer. Es dauerte ein paar Minuten und sie drehte ihren Kopf wieder zu mir. Das Lächeln darauf war so falsch. So brachial falsch: „Nein. Nein, ich hab mir nichts getan.“ „Skyler?“, ich war so froh gewesen, dass sie mich mittlerweile zwar selten, aber wenn ehrlich angelächelt hatte. Dass sie – wenn auch immer ein bisschen verhalten – so viel mit mir gelacht hatte. Weg. Alles vergangen. Nun war dieses unansehnliche scharfe Lächeln wieder da. Mit großen Augen schaute Skyler mich an, als ich die Stimme erhoben hatte: „Wenn du schon meinst mich belügen zu müssen, solltest du dabei nicht so unsagbar falsch lächeln“, sofort krachten ihre Mundwinkel nach unten: „Dieses Lächeln ist nicht nur furchtbar anzusehen, es enttarnt dich auch sofort.“ Sie ließ den Kopf wieder hängen. Mit einem Seufzen versuchte ich vergeblicher Weise etwas Druck aus meinem Inneren zu entlassen. Es funktionierte nicht. Mir einen zweiten Seufzer verkneifend wickelte ich das Kabel um meine Fußspitze und zog es mit einem Ruck aus der Streckdose. Meine Augen ruhten auf der zierlichen Gestalt in meinem Arm. Die Wärme ihres Körpers kroch durch meinen Ärmel in meine Haut und krachte in das frostige Gefühl. Sky krallte ihre Hand in ihren Arm. Ich war mir sicher ihr musste dies schmerzen. Deswegen fragte ich mich, warum sie es tat. Ich stellte das Bügeleisen ab und schaute zu Amy. Sie hatte Augenbrauen und Mund zusammengezogen und schaute mich ein wenig überfordert an. „Ersthilfekasten“, formte ich stumm mit meinen Lippen und nickte Richtung Türrahmen. Fluchs entschwand die junge Phantomhive aus Raum und Wohnung. Ich griff um und stellte Skyler hin. Sie schaute mich nicht an, hielt nur verkrampft ihren Arm und wirkte furchtbar verloren. Traurig und verloren. Etwas an diesem Bild störte mich, abgesehen davon, dass die Situation an sich weniger als nur bescheiden war. Ich wusste in meiner Nähe wollte sie nicht mehr sein. Doch wie verhielt sich jemand, der nicht in der Nähe eines anderen sein wollte? Man schickte ihn doch weg. Versuchte ihn aktiv los zu werden. Protestierte. Wurde sauer. Suchte schlechte Gründe und Ausflüchte. Skyler tat nichts in dieser Richtung. Sie starrte zu Boden und schwieg mich an. Wirkte nicht erzürnt, sondern niedergeschlagen. Ich hatte schon eine Mannigfaltigkeit an Menschen erlebt, die meiner Anwesenheit entfliehen wollten. Da waren alle möglichen Reaktionen dabei gewesen. Doch keiner hatte sich so verhalten, hatte dabei so eine ernüchternde Ausstrahlung gehabt wie dieses schöne, junge Ding. „Zeig her“, sprach ich sie schließlich an. Ich konnte dieses unterschwellige Glimmen, sie wollte mir vielleicht gar nicht entfliehen, nicht ersticken. Egal wie irrelevant es für den späteren Verlauf der Dinge war. Sky tat einen Schritt zurück und schüttelte ihren hängenden Kopf: „Es gibt nichts zu zeigen. Ich habe mir wirklich nichts getan. Danke für‘s Auffangen...“ Das Glimmen erlosch nicht mal eine Minute, nachdem es aufgegangen war. „Wenn du dir nichts getan hast, dann nehme deine Hand herunter“, sprach ich allerdings weiter auf sie ein. Ich konnte sie doch nicht verletzt hier stehen lassen. „Wa-warum?“, fragte Sky zögerlich und recht überfordert. „Na, wenn du doch nichts zu verstecken hast“, kurz… kam mir diese Konversation wie so viele vorher vor. Ein wenig neckisch, kein Blatt vor dem Mund. Doch die Atmosphäre… … Sie war so anstrengend. Ich merkte wie ich immer müder wurde, umso länger ich blieb. Skyler schwieg kurz. Wie ich sie kannte überlegte sie sich wieder eine nur allzu fadenscheinige Ausrede, die man nur allzu einfach enttarnte. Mit einem Kopfschütteln bestätigte sie wenig später meinen Verdacht: „Ich verstecke nichts.“ Ich seufzte. Umso gestresster Skyler war, umso unkreativer wurden die Ausreden. Diese Ausrede war so kreativ, wie einen Stein grau anzumalen. Also griff ich Skylers dünnes Handgelenk. Meine Finger passten mehr als nur einmal darum herum. Ich zog behutsam ihren Arm zu mir, doch ihre Hand versperrte mir weiter die Sicht. „Herrje, nun zeig schon“, schob ich ihre Hand fort. Ihre Hand war auch gerade groß genug gewesen um die Blessur zu verdecken. Die Mitte der leuchtend roten Stelle warf schon Blasen. Natürlich, so ein Bügeleisen wurde ziemlich heiß – so viel wusste ich vom Hemden bügeln - und Sky hatte dazu noch so empfindliche weiche Haut. Die verbrannte Stelle darauf wirkte wie ein Sakrileg. Mit einem noch bitteren Gefühl hob ich meine Augen in Skylers Gesicht, die selbst die Wunde beschaute und zusehends verlassener wirkte. Ich wartete, bis sie meiner stummen Aufforderung mich anzuschauen nachkam: „Nichts getan, ja?“ Sky ließ ihre Augen wieder nach unten fallen und wollte ihren Arm aus meiner Hand ziehen: „Das ist… nicht der Rede wert...“ Ich wusste, dass Sky sich nicht sofort um diese Blessur kümmern würde und ich wusste auch, dassdiese Blessur alles andere als klein war und versorgt werden musste. Also zog ich Skyler aus dem Türrahmen in Richtung Badezimmer und Waschbecken. Mit einer Hand hielt ich ihren Unterarm ins Becken, mit der Anderen stellte ich das kalte Wasser an. Obwohl es für solche Maßnahmen schon zu spät war, wollte ich für ein bisschen Linderung sorgen, bis Amy mit dem Ersthilfekasten wieder kam. Skyler entfuhr ein seichtes Seufzen. Ein paar Sekunden beschaute ich das Gesicht mit den so trüben traurigen blauen Augen durch einen Spalt in meinem Pony. Dieser Ausdruck klaute ihren Augen so viel Anmut: „Warum belügst du mich?“ Sie wusste doch, dass es nichts brachte, warum versuchte sie es dann wieder? Sie konnte Nein sagen und meine Hilfe ausschlagen, aber sie wusste doch, dass es nichts brachte mich anzulügen. Ihr Kopf zuckte zu mir. Sie musterte mich kurz, dann fielen ihre Augen wieder aus meinem Gesicht: „Es ist doch nichts schlimmes passiert. Ich habe mich nur ein bisschen verbrannt...“ „Nur ein bisschen verbrannt?“, diese Aussage klingelte lauter in meinen Ohren, als sie es tun sollte. Ich schaute kurz auf die leuchtend rote Stelle auf der fast schneeweißen Haut und dann wieder in Skylers Gesicht: „Sky, ich bin wahrlich nicht der geborene Hausmann. Nicht im Entferntesten. Aber ich weiß wie heiß ein Bügeleisen wird. Das muss doch schmerzen.“ Sie neigte nur kurz ihren Kopf: „Ach was. So schlimm wird es schon nicht sein und so weh tut es auch gar nicht...“, murmelte sie. „Du belügst mich“, ich unterdrückte ein Seufzen. Ich seufzte in letzter Zeit wirklich viel zu viel: „Abermals. Warum?“  „Weil...“, wie üblich, wenn sie ad hoc keine Antwort fand, brach sie ab. Dass sie auf ihrer Unterlippe herumkaute zeigte mir, dass sie angestrengt nach einer suchte. Oder hatte sie eine? Und überlegte nur wie sie am besten darum herum kam, sie mir zu sagen? Warum sagte sie dann nicht einfach, dass sie es nicht sagen will? „Weil?“, drängte ich sie, bevor sie sich etwas Erschwindeltes zurecht legen konnte. „Weil ich dachte… es sei nicht so schlimm...“, Korrektur: Nichts gutes Erschwindeltes. „Du musst doch Schmerzen haben“, betonte ich, dass ich ihr nicht glaubte. Sie schaute mich wieder an. Und während sie mich anschaute ging ein Schimmern durch ihre Augen. Ein kurzes helles Funkeln, welches ich nur ein paar Mal sehen durfte und mir immer wieder den Atem verschlug: „Vielleicht bin ich auch einfach nicht so empfindlich wie du denkst.“ Ein Anfall von Selbstsicherheit. Eine kecke Entschlossenheit. Ein Ausbrechen der festen Willensstärke, der unter all dem Schlamm der Vergangenheit lag. Kurzum: Dieser Schimmer war zum Niederknien. In Kombination mit diesem bestimmten Ton warf sie mir meine Welt kurz über den Haufen. Dieser liebliche, kämpferische und unheimlich attraktive bissige Schimmer fesselte meinen Blick eine ganze Weile. Ich konnte nicht wegschauen. Er machte es mir so schwer ihr zu wiederstehen. Außerdem war er nur aufgetaucht, weil ich ihr zu Leibe gerückt war. Ich hatte mich ihr aufgedrängt. Sie hatte recht: Nur weil sie sich verletzt hatte, hieß dies nicht, dass sie bemuttert werden musste. Das schlechte Gewissen ließ meine Augen zu fallen. Gleichzeitig wollte ich anerkennend lachen, weil sie endlich für sich eingestanden war. Doch der Umstand, warum sie dies getan hatte, verkrüppelte es zu einem verunfallten Schnaufen. Ich schaute Skyler an, die mir nun abschätzend ins Gesicht schaute. Ihr Blick verriet mir, dass sie schon wieder tiefer schaute, als ich wollte. Viel tiefer. Doch bevor noch einer von uns über das Rauschen des Wasserhahnes hinweg etwas sagen oder tun konnte, kam Amy durch die Haustür und hielt einen roten, kleinen Koffer in die Luft: „Hab ihn!“ „Wunderbar!“, zog ich mein Grinsen wieder auf. Ich wollte Sky von dem in mir fernhalten, von demich selbst nur halb wusste und nicht recht ergründen konnte was es war. Weil es so konfus war. Heiß, kalt. Beengend, zerreißend. Schrill, dumpf. Paradox zu jeder Zeit. Ich stellte das Wasser wieder ab, zog Skyler an ihrem Arm hinter mir her und schnappte mir beiläufig den Erste-Hilfe-Kasten. Im Wohnzimmer drückte ich Skyler an den Schultern auf die 2er Couch und setzte mich daneben. Ich kramte alles was ich brauchte heraus und versuchte durch gespielte Langsamkeit Entspanntheit zu heucheln. Ich schmierte die versengte Stelle ein. Die Wärme und das Gefühl von Skylers Haus unter meinen Fingern ließ mich unwillkürlich wieder grinsen: „Ni hi hi hi. Du bist ein kleiner Unglücksrabe.“ „Vielleicht“, kurz zögerte Sky, doch sie hatte etwas Sonderbares in ihrer Stimme: „Aber ich deichsel das schon.“ Ich konnte nicht ganz lesen, was zwischen den Zeilen stand. Eine Art Bestimmtheit, aber keine Sicherheit. Die wirklich große Mehrheit von Menschen, Dämonen, Engeln und auch Sensenmännern waren so schwer zu durchschauen wie ein Bilderbuch für unter 3 Jährige. Doch Sky? Sie hatte die eine oder andere Nuance in Ton, Stimme und Verhalten, Anflüge von Paradoxien und eine recht unberechenbare Sprung- und Wechselhaftigkeit, die für mich nicht immer sofort klar auf der Hand lag. Wahrscheinlich machte sie das für mich so spannend. Sie schürte meine pure Neugier. Und ich war bekennend furchtbar neugierig. „Ehehehe! Aber mit Sicherheit“, lachte ich sie an und machte ihrem spontanen Selbstbewusstsein all meine restliche Heiterkeit zum Geschenk. Ein kurzes Zucken ging durch Skys Körper: „Bitte?“ „Mit Sicherheit deichselst du das“, ich blickte sie kurz zurück an, legte dann aber schnell das Wundpad auf die eingeriebene Stelle und begann den Verband herum zu wickeln, damit ich nicht in Versuchung kam zu bleiben, was ich so gerne wollte: „Hi hi hi hi. Ich würde nichts anderes von dir erwarten.“ „Wa-wa-wa-wie bitte?“ Ich machte einen Knoten in den Verband, als ich ihr Ego zu retten versuchte, was von ihrer überforderten Art schon wieder verscheucht zu werden drohte, aber ihr doch so gut stand: „Na, ich zweifle nicht im Mindesten daran.“ „Warum…“, ich merkte, ich hatte es nicht gerettet. Es war so schade darum: „Betonst du mein Pech dann immer so?“ „Fu fu fu“, lachte ich mehr gegen meine innere Müdigkeit an, als für oder gegen alles andere: „Na, weil es faszinierend ist wie viel Pech ein Mensch haben und es trotzdem immer wieder zum größten Teil unbeschadet überstehen kann.“ „Wie… meinst du das…?“ Gezwungen gemächlich packte ich alles wieder zurück in den kleinen Koffer, nachdem Skylers Arm verbunden war. „Ich meine, dass du...“, ich stockte in meinen eigenen Gedanken. Ich wollte ihr sagen wie gut ihr diese Willensstärke und Bestimmtheit stand. Wie schön sie war. Wie interessant sie war und wie neugierig sie mich machte. Weil sie einfach so vielseitig und wechselbar war. Wollte ihr sagen, dass sie schlicht und einfach und vollkommen gänzlich faszinierend war. Doch als es mir auf der Zunge lag fiel mir ein, dass sie es von mir sicherlich nicht mehr hören wollte. Nicht nach allem was sie erfahren hatte, wie sie darauf reagiert hatte und was ich dabei und danach getan hatte: „Ein faszinierend einzigartiges Glück im Unglück hast.“ Ich stand auf. Ich musste gehen, ansonsten sah ich die Situation, meine Kontenance und alles Drumherum rauschend untergehen. Denn ich würde noch irgendetwas sagen oder tun, was wieder zum Unguten führen würde. Schon alleine, weil es mit jeder Sekunde schwerer fiel zu gehen, weil mir immer mehr auffiel, was mir gefiel und ich ständig im Hinterkopf hatte, all dies nicht mehr zu sehen. Mit der sonntäglichen Offenbarung wie attraktiv sie war, bis hin zu dieser aktuellen inneren Abhandlung was an ihrem Verhalten alles ansprechend war, wurde die Gewissheit in mir immer unleidlicher. Immer kälter. Immer bitterer. Ich musste gehen. Sonst würde ich verrückt. Und zwar endgültig und komplett und noch mehr als sonst und üblich. „Warte!“, griff mich plötzlich eine Hand. Ich grinste nur noch, weil alles in mir vergessen hatte meinen Gesichtsausdruck zu ändern. Ich schaute auf unsere Hände. Ich merkte Skylers Wärme in meine Finger kriechen. Und diesen Wahnsinn in mein Herz. Nach ein paar Sekunden, die ich brauchte um mich zu fangen, schaute ich ihr ein letztes Mal ins Gesicht und zog meine Hand aus ihrer: „Ni hi hi. Ich sollte jetzt gehen.“ Mit einem mir rätselhaften Ausdruck musterte Sky mein Gesicht. Gründlich. So gründlich wie nie zuvor. Erst dachte ich, dass dieser Ausdruck Trauer sei. Und davon nicht wenig. Aber das passte nicht. Warum sollte sie traurig sein, wenn ich ging? Wenn ich sie endlich in Ruhe ließ? Ich beschloss nicht weiter zu rätseln. Manche Antworten machten das Leben nicht leichter oder besser und diese Antworten brauchte man nicht. So wandte ich mich ab und winkte über meine Schulter: „Nun denn, meine Damen. Ich wünsche einen angenehmen Abend. Kihihi! Und vergesst ja nicht: Wenn irgendetwas Seltsames geschieht, ruft mich an.“ „Klar“, hörte ich Amy, die bis jetzt geschwiegen hatte und verschwand mit einem schnellen Satz aus dem offenen Fenster. Ich dachte an alles und an nichts, als ich an der Hintertür meines Ladens ankam. Bevor ich nach Hause gegangen war, war ich noch lange über den Friedhof spaziert und hatte ein bisschen Unkraut aus den befreundeten Gräbern gezupft, während ich über alles hin und her überlegt und philosophiert hatte. Ich fühlte mich recht ausgelaugt und tot gedacht. Und immer noch war ich recht hin und her gerissen, ob Skys Verhalten zu dem passte, was ich dachte. Etwas in mir flüsterte mir unaufhörlich ins Ohr, dass mein Eindruck mich getäuscht hatte. Die Meinung der schönen, jungen Frau von mir vielleicht doch nicht so von Angst und Flucht geprägt war. Doch leider war ein trauriger Ausdruck im Gesicht dieses Mädchens auch ihr schlimmstes Accessoire. Ich wusste allerdings nicht, ob mir ihre Art von Gegenwehr reichte. Sie hatte sich zwar dagegen gesträubt mir ihre Blessur zu zeigen, mich aber nicht hinaus geworfen oder Anstalten in diese Richtung gemacht. War sie einfach zu höflich? Zu gut? Zu lieb? Mit einem abermaligen Seufzen beendete ich diesen Gedankengang, der mich doch nicht weiter brachte. Der mir nichts brachte. Für ihr Seelenheil musste ich verschwinden. Wer von uns das wollte oder nicht war nichtig. Ich betrat meinen Laden durch die Hintertür und ging durch den Türbogen in den Verkaufsraum. Dort passierte etwas sehr seltenes: Etwas Lebendes begrüßte mich. „Undy! ~♥“ Ich klopfte Grell, der mir prompt um den Hals sprang, sachte ein paar Mal auf den Rücken: „Hallo, lieber Grell.“ Ich sagte es nicht, ließ es mir auch nicht anmerken, aber eigentlich war mir gar nicht nach Besuch oder Gesellschaft an sich. Grell ließ mich los. Da auch seine Kleider wohl noch im Weston Ladys College über der Heizung hingen, trug er eine legerere und modischere Kleiderkombination als üblich. Er hielt mir etwas hin: „Hier!“ Ich nahm ihm das Etwas aus der Hand, hielt es vor meine Nase um es überhaupt erkennen zu können und schaute dann wieder zu Grell: „Ni hi hi. Whisky?“ Grell hob bedeutungsschwer einen Zeigefinger und stemmte die andere Hand in die Hüfte, als würde meine Bezeichnung der Sache nicht im Ansatz gerecht werden: „ ‚Nikka From the Barrel‘, so viel Zeit muss sein. Blended Whisky aus Japan. Ich hab mir für dich was ganz besonderes ausgesucht!“, er streckte die Hand ganz aus und legte die zweite auf sein Herz: „Fruchtig, würzig und floral mit einer Spur Orange! Komplex mit Eiche, Gewürzen und etwas Honig! Lange, feine Eichen- und Schokoladennoten im Abgang!“ Kurz zog ich eine Augenbraue hoch. Dann entlockte Grells Betragen mir ein flaches Lachen: „Ehehe! Sacrebleu! Womit habe ich denn das verdient?“ Ich ging an Grell vorbei zu meinem Tresen, während ich mir schon denken konnte, warum Grell auf einmal mit einem Geschenk in meinem Laden stand: Er wollte sich dafür entschuldigen wie ein Vorschlaghammer in die Situation zwischen Skyler und mir gefahren zu sein. Die Frage war eher, ob er sich dafür entschuldigen musste. Ich konnte mir nicht vorstellen was passiert wäre, wäre Grell meiner unkontrollierten Impulshandlung nicht zuvor gekommen. Ich bezweifelte, dass sie die Situation einfacher gemacht hätte. „Ich… wollte mich entschuldigen…“, bestätigte mich Grell prompt und unüblich zögerlich. Grells Scham und schlechtes Gewissen wurde durch dieses Zögern fast greifbar. Es klackte leise, als ich die Flasche abstellte, mich zu Grell drehte und die Arme verschränkte, während ich mich gegen meinen Tresen lehnte: „Aha?“ „Wegen… Sonntag.“ „Ich weiß“, grinste ich. „Ich weiß, doch weißt du“, Grell kratzte sich am Hinterkopf: „Von oben sah es so aus… ich dachte ihr hättet euch schon… ja…“ Ich schüttelte den Kopf: „Falsch gedacht.“ „Hat mir Ronalds Death Scythe auch gesagt“, Grell seufzte: „Ich wollte, dass du weiter machst und nicht dich sabotieren…“ „Ich brauche keinen Cheerleader, Grell.“ „Aber…“ Mit einem Kopfschütteln unterbrach ich ihn: „Nichts aber.“ Übertriebenes Cheerleading war schließlich einer der vielen Gründe, warum ich nicht mehr für den Dispatch arbeitete. Die meisten Wesen können sich gar nicht vorstellen wie es ist, wenn man seinen eigenen Name schlicht nicht mehr hören konnte. Einfach, weil man ihn ständig, immer und überall zu hören bekommt, teilweise nur im Abstand von wenigen Minuten! Ich ging um meinen Tresen herum, setzte sich auf meinen Stuhl, klaubte 2 Whisky-Gläser aus dem Regal und wollte ein Tuch zum Staub abwischen suchen. Kaum hatte ich den Griff der Schublade gegriffen, wurde ich mir bewusst, dass es gar nicht nötig war: Sie waren sauber. Alles in den Regalen war sauber. Die Regale an sich waren sauber! Dank der Mädchen. Ich seufzte, als ich gebeutelt von den Erinnerungen an diesen Freitag die Gläser auf den Tresen stellte. „Du bist immer noch sauer auf mich“, legte Grell Arme und Kopf mit traurig aufgeplusterten Bäckchen auf die Tischplatte, als er sich mir gegenüber vor den Tresen hockte. Ich öffnete die Flasche. Sie hatte wirklich ein schönes Bouquet: „Warum sollte ich?“ „Du bist so ernst und du beseufzt was ich hier tue“, ich schaute vom Eingießen hoch, als Grell wirklich niedergeschlagen klang: „Und du seufzt sonst nie. Ich will mich wirklich entschuldigen… Ich hab ziemlichen Mist gebaut…“ Ich setzte die Flasche ab und drehte sie zu: „Deswegen seufze ich nicht.“ Der Reaper hob seinen Kopf mit einem skeptischen Ausdruck und nahm sein Glas an, ohne wirklich davon Notiz zunehmen: „Wie? Warum dann?“ Mein Glas in der Hand, zog ich ein Lächeln auf, lehnte mich zurück, klemmte meinen Schuh an die Tischkante und wackelte ein bisschen mit meinem Stuhl, als mir gewahr wurde, dass der rothaarige Sensenmann anfing mein Gemüt zu analysieren: „Tihihi! Das ist ein Geheimnis.“ „Wie?“, Grell stand auf und setzte sich halb auf den Tresen: „Jetzt erzähl!“ „Nope“, legte ich breiter grinsend den Kopf schief und nahm einen Schluck: „Hm, der ist wirklich lecker. Kihi!“ „Och, Undy! Komm schon! Was bringt dich denn schon zum Seu… Shit!“, Grell schlug eine Hand vor den Mund: „Sag nicht, Sky ist jetzt sauer, dass du sie nicht geküsst hast!“, er sprang auf: „Oh mein Gott! Ich muss das richtig stellen!“ Dann rannte er los Richtung Tür. Beiläufig hielt ich ihn ohne hinzuschauen an den langen Haaren fest. „Ei jey jey jey jey!“, fiepte die Feuerlocke und hüpfte rücklings seiner Haarpracht hinterher, an der ich ihn zurück zum Tresen zog: „Nicht die Haare!“ „He he! Beruhige dich! Es ist nicht wegen dir. Was du unterbrochen hast ist“, ich stoppte kurz. Dabei ließ ich Grells Haare los. Ich musste eine kleine Hürde überwinden, um es auszusprechen. Auch bereitete mir das Halten meines Grinsens Mühe: „Es war besser so.“ „Wie?!“, Grell stützte sich auf den Tisch, einen Gesichtsausdruck geprägt von purer Verständnislosigkeit mit Tendenzen zu Schock: „Besser so?! Du wolltest sie küssen!“ „Zum zweiten Mal, ja“, ich spülte aufkommende Resignation mit Whisky runter. Was wäre passiert, hätte ich es Halloween geschafft? Hätte es das alles verhindert? Hätte es alles nur schlimmer gemacht? Hätte ich sie danach überhaupt wiedergesehen oder mir nur eine deftige Ohrfeige abgeholt? Hätte, hätte, hätte. All diese Gedanken waren egal. Sie brachten mir nichts. Grell schaute mich fragend an: „Du hast sie schon…?“ Ich schüttelte grinsend den Kopf: „Ich versuchte schon mal.“ „Was?! Du erzählst mir so was nicht?! Wann?!“ „Nihihi! Halloween“, ich nahm eine weiteren Schluck. „Was?!“, Grell saß auf einmal mit seinen Knien auf der Tischplatte und streckte mir die Nase ins Gesicht: „Aber nicht, als ich dich aus dem Sarg gezogen habe, oder?“, Grell nahm mich an den Schultern und schüttelte mich: „Oh bitte sage mir nicht ich habe es zweimal versaut!“ Ein Schluck Whiskey schwappte durch das Schütteln aus meinem Glas. Ich fing es wieder mit selbigen und griff Grell mit der anderen Hand an der Nase, damit er innehielt: „Fuhuhuhu! Nein! Am Bach, kurz bevor du meine Wackelpuddingbombe näher kennenlerntest! Ehehehehe!“ Grell hielt wie gewollt inne und wedelte aber meine Hand weg: „Ich habe es dir immer noch nicht verziehen!“ „Wie gut, dass wir jetzt quitt sind“, grinste ich über mein Glas hinweg. Grell setzte sich auf seine Füße und verschränkte die Arme: „Touché. Aber warum hast du es da nicht getan? Alles könnte ganz anders aussehen.“ „Kinder kamen dazwischen“, ich lachte: „Kehehehe! Grell! Was nützt es mir ‚Was-wäre-wenn‘ zu spielen. Dem ist nicht so.“ „Aber…“, mit einem Seufzen kletterte Grell von der Tischplatte: „Das ist so schade!“ Ich nahm den letzten Schluck aus meinem Glas: „Tehe. Vielleicht.“ „Es ist schade“, der Reaper nahm sein Glas und schaute auf meines: „Schon leer?!“ „Du quasselst zu viel“, stellte ich giggelnd mein leeres Glas auf den Tisch und schenkte mir nach. „Hast du Frust?“, fragte Grell und nippte an seinem Glas. „Freut es dich nicht, dass ich an deinem Geschenk Freude finde?“ „Doch klar“, Grell lachte kurz: „Ich dachte schon du würdest versuchen was runter zu spülen.“ Verflucht sei Grell und seine Empathie. Auch wenn ich ihm im Glauben ließ, er habe sich geirrt. Ich hatte mir nicht bewusst vorgenommen, meine Probleme zu ertränken. Vor allem, weil es eh nicht funktionierte. Aber ich hatte für meine Verhältnisse wirklich schnell getrunken. Vielleicht machte mein Unterbewusstsein gerade aufgrund meines chaotischen Gemütszustandes komischere Dinge mit mir, als üblich. Doch das war auch egal. Eigentlich war vieles egal! Drüber nachdenken tat ich trotzdem. Und ich konnte es nicht abstellen. Ich konnte denken noch nie abstellen. Mein Kopf brauchte immer irgendwie Beschäftigung, ansonsten zogen die Gedanken ganz ungute Kreise. Ich hätte für ein paar Minuten Gedankenstille viel getan und viel gegeben. Ich lachte, was sich ziemlich hohl anfühlte: „Ehe he he! Das macht wenig Sinn, wenn man sich noch nicht einmal ordentlich betrinken kann, oder?“ Grell nippte an seinem Glas: „Manchmal wünschte ich mir, wir könnten es…“ „Fuhuhu! Vergiss es, Grell“, ich machte eine Wellenbewegung mit der Hand: „Die Probleme, die du los werden möchtest, brauchen alle keine Schwimmflügelchen mehr.“ „Und deine?“ Ich drehte den Kopf ab: „Te he he! Die sind groß genug zum Stehen!“ „So um die… 1,70m?“ Ich schaute Grell wieder an, trank aber nur einen Schluck aus meinem Glas. Gell hob eine Hand: „Denke nicht es fällt nicht auf, wie komisch du dich seit Freitag benimmst. Du hast Streit mit Sky, richtig?“ Ich legte den Kopf schief. Ich schaffte es weiter zu grinsen, doch ein Lachen bekam ich nicht mehr hervor: „Wie kommst du darauf?“ „Bei den Phantomhive warst du bedenklich still, abgesehen von der Tatsache, dass du Ronald in der Wand versenkt hast. Am Sonntag warst du Sky gegenüber eine bedenklich paradoxe Mischung ausziemlich nahe und furchtbar distanziert und jetzt bist du ständig am Seufzen“, Grell schüttelte den Kopf: „Denk‘ nicht, dass du mit deinem dösigen Grinsen immer alles verstecken kannst. Du bist gut darin und verdammt schwer zu durchschauen, aber das irgendetwas nicht stimmt kannst du nicht mehr kaschieren. Ich erkenne Liebeskummer wenn ich ihn sehe, auch bei dir! Es ist irgendwas zwischen euch passiert und Ronald hatte irgendwas damit zu tun. Also! Raus damit!“ Ich wankte kurz. Ich wollte nicht lügen. Es lief mir immer noch nach, dass ich Samstag bei den Phantomhives gelogen hatte. Ganz impulsiv und ohne darüber nachzudenken. Ich log nie und das sollte sich auch jetzt nicht ändern, auch wenn ich immer öfter merkte, dass ich kurz davor stand. Weil es immer öfter darum ging, wie es mir ging. Eine Frage, mit der ich die letzten Jahrzehnte fast nie und wenn nie wirklich ernsthaft konfrontiert wurde. Mit Vincent war der Letzte gestorben, der mich wirklich regelmäßig ernstgemeint danach gefragt hatte. Und dann kam Sky. Und Sky fragte mich ständig. Und deswegen merkte ich immer wieder, dass ich aus der Übung war auf diese Frage zu antworten. Doch auf jeden Fall war mein Wohlbefinden meine Privatsache. Fremde Nasen hatten dort nichts zu suchen. Darüber reden wollte ich nicht. Oder doch? ‚Ein bisschen Schmerz von der Seele reden, tut doch immer gut, oder?‘, hallte eine melodische Stimme durch mein Ohr. Sky hatte dies zu mir gesagt, nachdem wir aus dem Dispatch zurück im Manor waren. Auf dem Balkon. Als sie mir wirklich hat helfen wollen, weil sie erkannte, dass mir etwas auf der Seele lag. Auch mit ihr hatte ich erst nicht reden wollen, musste mir aber eingestehen, dass es wirklich gut getan hatte. Doch mit Grell? Mit ihm nicht. Ich war mir sicher es lag nicht an ihm. Ich war einfach nicht der Typ, der seine Seele ausschüttete und sein Seelenleben ausbreitete. Was brachte mir so etwas auch? Außer, dass derjenige sehr wohl meine wunden Punkte mitbekam. Ich wollte nicht angreifbar werden. Ich wollte keine empfindsame Angriffsfläche bieten. Es war nur natürlich auch die Schwächen der Leute auszunutzen, die man mochte. Ich selbst tat dies ja auch ständig! So war es am besten, wenn die Schwächen und Empfindsamkeiten einfach keiner kannte. Außerdem konnte auch Grell an der Situation nichts ändern. Es war einfach egal, ob ich sprach oder nicht. Egal wie so vieles andere. Also sah ich nicht ein mir auch noch die Mühe zu machen, alles was so konfus durch meinen Kopf flog in Worte zu fassen: „Nein.“ „Aber…!“ Ich unterbrach Grell mit einem grinsenden Kopfschütteln ein zweites Mal: „Ich habe Nein gesagt.“ „Du…“, Grell war empört: „Du kannst mich doch nicht einfach mit einem ‚Nein‘ abspeisen!“ „Oh doch“, ich zeigte grinsend meine Zähne: „Wie du gerade am eigenen Leib erfährst.“ „Ich will dir helfen!“ „Ich weiß“, ich stellte mein Glas auf den Tisch: „Nihihi! Und ich lehne ab.“ „Aber…!“ Ich hob eine Hand und unterbrach Grell ein drittes Mal: „Es genügt.“ „Du sturer Esel!“ Ich neigte den Kopf: „Tihi! Ich weiß.“ „Du undankbarer sturer Esel!“ „Nehe! Auch das stimmt.“ „Du…!“ „Grell“, ich stützte mein Gesicht in eine Hand: „Eh he he he. Es reicht, findest du nicht?“ „Nein!“ Ich seufzte. Dann schaute ich auf meine Taschenuhr und lachte: „Fuhuhuhuhu! Dann tobe von mir aus weiter! Du hast noch 45 Minuten dafür Zeit, dann habe ich eine Beerdigung. Aber lasse mich vorher ein Buch holen, um dich wirklich ignorieren zu können, ja?“ Grell klappte der Kiefer auf. „Du…“, ein paar Sekunden starrte er mich nur an, dann ergriff ihn die übliche Raserei. Wütend sprang er auf und ab: „Ich fasse es nicht! Dann buddle dich doch selbst ein, du ungehobelter alter Ochse! Vielleicht haben die ganzen ekeligen Krabbelviecher einen Rat für dich! Ich fass‘ es wirklich nicht! Ich biete dir meine Hilfe an! Zum Nulltarif übrigens! Etwas, was dir Halsabschneider nicht mal im Traum einfallen würde und du sagst einfach NEIN?! Na, dann geh doch vor die Hunde, du Arsch!“ Grell wusste gar nicht, dass er mir genau damit tatsächlich ein Stück half. Mehr als damit mich zum Reden zu zwingen. Denn ich fing lauthals an zu lachen! Und es tat gut zu lachen! Ich konnte mich wie üblich wunderbar über Grell amüsieren, der sich aufführte wie ein auf linksgedrehter Hofzwerg und sich über seine verschmähte Hilfe in einer Szenerie aufregte, die wie üblich seines Gleichen vergeblich suchte. Grell war herrlich! Ich wusste wieder, dass ich den Reaper so sehr mochte, weil bei ihm kein Auge trocken blieb. Grell wusste selbst nicht, wie viel solche Wesen wert waren. Wie viel es Wert war jemanden in jeder Gefühlslage zum Lachen bringen zu können. Denn wer viel lachte, musste durchatmen und wer durchatmete fühlte sich danach immer ein Stück freier. Solche Wesen – Grell - war Gold wert! „Oh, und jetzt lachst du, oder was?!“, Grell schlug mit der Hand auf den Tisch und ich fiel fast vor Lachen vom Stuhl: „Ich bin nicht deine Witzfigur, du verdammter alter Knacker! Nimm mich ernst, du Trottel!“ Ich legte meinen lachenden Kopf auf den Tisch, während ich gleichzeitig wie vergeblich versuchte Luft zu holen. Mein ganzer Bauch war vor Lachen ganz warm, das Amüsement und das Schnappen nach Luft beschäftigten meinen Kopf und meine Lungen brannten, was das grausam kalte Gefühl vertrieb. Ich wollte etwas sagen, doch als ich meinen Kopf ein Stück hob, um Grell anzuschauen kam nur ein lachendes Quietschen aus meinem Mund. Grell schlug immer wieder mit flachen Händen auf den Tisch, was Whiskyflasche und Gläser hin und her hüpfen ließ: „Hallo?! Hackt es bei dir?! Sei mal ein bisschen dankbar!“ Ich setzte mich japsend auf und wischte mit die Tränen aus meinem Augen: „Fuhuhuhuhuhu! Herrlich! Fabulös! Grell, du bist zum niederknien!“ Grell hielt inne: „Ich bin was?“ „Wuhuhu! Zum niederknien!“ Grell stemmte die Hände in die Hüften und wackelte angetan ein bisschen mit dem Kopf und Schultern: „Ja, du hast recht. Ich bin ziemlich gut.“ „Eh kehehehehehe!“ „Was soll jetzt diese dreckige Lache?!“ Ich wollte etwas erwidern, doch schrillte in diesem Moment mein Telefon durch das doch ungeahnt heiter amüsante Gespräch, welches ich mir lobte wie schon lange keines mehr! Ich atmete noch einmal tief durch und hob immer noch giggelnd den Hörer ab: „Ti hi hi hi! Undertakers Funeral Parlor, was kann ein bescheidener Bestatter für Sie tun?“ „Heeeey Onkelchen! Na, wie geht‘s?“, surrte mir Amys Stimme leger wie üblich entgegen. Doch ein unterschwelliger Stress in der jungen Stimme der Phantomhive ließ mich sofort aufhorchen. Ich hatte einen Verdacht, was Amber animierte mich anzurufen: „Ehe he he! Hallo, liebste Amber. Viel interessanter ist wie es dir geht. Du hast im rechten Moment angerufen, ich bin gleich außer Haus.“ „Oh, wohin denn? Beerdigung?“ „In der Tat“, giggelte ich: „Ein naheliegender Gedanke, nicht?“ „Ja, ja klar“, dann seufzte die junge Frau: „Aber wenn du unterwegs bist, wie sollen wir dich dann eigentlich erreichen? Du hast ja kein Handy.“ Ich verzog eine Schnute: „Eine sehr gute Frage.“ „Und die Antwort?“, schlug Amy weiter in die Kerbe, die gerade einen Nerv ankratzte. „Ki hi! Diese kleinen Dinger sind einfach nicht meine Welt“, entgegnete ich, was ich immer entgegnete und was auch schon immer der Wahrheit entsprochen hatte. Sicher, reinfuchsen konnte man sich in alles, aber empfand ich diese Handys doch als eher unleidlich. Sie schränkten Privatsphäre so sehr ein, wie sie Kommunikation ausweiteten. Es sei denn man saß sich gegenüber. Dann schränkten sie auch die Kommunikation ein, was paradox war, da sie ja eigentlich zum konversieren entwickelt wurden. „Himmel, warum auch immer“, stöhnte mir Amy ins Ohr. „Nehehe! Man kann auch ohne gut leben, stelle dir vor.“ „Die sind schon praktisch.“ Ganz Unrecht hatte die junge Phantomhive wahrscheinlich nicht. Schließlich hatte mich Amber auch nicht erreichen können, als der Leviathan angegriffen hatte, was prinzipiell hätte schlecht enden können. Sehr schlecht. Vielleicht wurde es langsam Zeit ein wenig… mit der Zeit zugehen. Schließlich bestand ich darauf, dass die Mädchen sich meldeten, dann musste ich auch dafür Sorge tragen wirklich erreichbar zu sein. Ich schaute auf meine Uhr, die mir verriet, dass ich noch ca. 35 Minuten Zeit hatte: „Amy, ich plaudere liebend gerne mit dir, aber es wartet ein Sarg und eine Kapelle auf mich. Ki hi hi! Beides ungeschmückt. Warum rufst du mich an?“ „Warum wohl? Wir hatten Besuch!“ Ich stellte fest, dass ich nicht zwingend immer Recht behalten musste. Manchmal wäre es schön, wenn eine schlechte Ahnung einfach nur eine schlechte Ahnung blieb: „Hat es euch etwas getan?“ „Nein, es geht uns gut. Kein Kratzer, kein Haar gekrümmt.“ Ich zog die Augen zusammen: „Wer hat es gesehen?“ ‚Bitte nicht Sky‘, flüsterte eine Stimme in mir. Die junge Dame sah so müde aus und schlief so schlecht. Sie hatte doch schon genug abbekommen, dann doch nicht auch noch dieses Ding. „Ich“, war die Antwort der Phantomhive sehr erleichternd. „Was hat es getan?“, gelang es mir trotzdem nicht, mein kurz wiedergewonnenes Amüsement zu behalten. Das Monster in Skylers und Ambers direkter Umgebung verursachte abermals ein schlechtes Gefühl. Ich machte mir Sorgen um die schöne Brünette. „Gar nichts!“, ich zog aufgrund Amys Aussage eine Augenbraue hoch. Auch Grell hatte die Augenbrauen zusammengezogen, während er mir mit verschränkten Armen stumm beim Telefonieren zuhörte und sich die Konversation erschloss. „Es hat mich nur angestarrt“, fuhr Amber fort: „Aber ich sage dir, dass Vieh ist ein Fall für dich!“ Ich zog beide Augenbrauen zusammen. Grell sah diese Mimik zwar durch meinen dichten Pony nicht, doch wirkte er als würde er sie sehrwohl fühlen. Warum tauchte dieses Ding auf und tat nichts? Wo war der Sinn? Ging es nur um das pure Erschrecken? Mein Verdacht stieg wieder in mir auf, doch ich tat ihn ab. Es war im gesamt Bild betrachtet nicht so naheliegend wie es erst wirkte. „Wo?“, fragte ich nach meiner kurzen Denkpause, die Grell nur hat noch skeptischer gucken lassen. „Sporthalle, Umkleide“, antwortete Amy: „Ich kam gerade aus der Dusche.“ „Dusche?“, ich tauschte mit Grell einen Blick durch einen Spalt in meinen Pony. Er stemmte die Hände in die Hüfte und schaute mich mit einem halb verwunderten und dann bestätigenden Ausdruck an. „Skyler hat es auch nach dem Duschen überrascht“, sprach ich den Gedanken aus, den ohnehin jeder dachte. „Ja, ist uns auch schon aufgefallen, genau wie uns auffiel, dass das Vieh nicht angreift.“ „Eh he he! Wie befremdlich“, egal wie viel ich grübelte, der fallende Groschen blieb vorerst aus. Auch Grell schaute schwer nachdenklich, aber ebenso ergebnislos in mein Gesicht: „Könnte es etwas davon abgehalten haben?“ Oder es konnte nicht, was nicht hieß, dass es potenziell weniger gefährlich war. Es gab Wesen, die komische Dinge mit Energien, Auren und Präsenzen anstellen konnten, was sehr wohl eine extrem gefährliche Angelegenheit war. In einer direkten körperlichen Auseinandersetzung würden sie aber gnadenlos und immer den Kürzeren ziehen. Zu 99 % deswegen, da diese Wesen überhaupt keinen Körper mehr hatten. Genau wie… Aber wir hätten es bemerken müssen. „Keine Ahnung“, seufzte Amber hörbar müde. Dass auch sie so müde war, schrie eigentlich nach meinem Verdacht. Er wirkte so naheliegend, wie er im Endeffekt unmöglich war. Doch was war schon wirklich unmöglich? „Wir sind hier allein“, fuhr die Adelstochter fort: „Es hätte die Gelegenheit gehabt.“ Ich kratzte mich kurz an der Wange: „Ruhe dich etwas aus, Amber und seid wachsam. Ich lasse mir etwas einfallen.“ „Alles klar!“ „Passt auf euch auf“, setzte ich noch hinterher und schaute Grell an. „Ja, wir passen auf uns auf.“ „Wir sehen uns spätestens Morgen“, verabschiedete ich mich und Grell sah mich nun mit einer sehr großen skeptischen Portion böser Ahnung an, die ihm gar nicht gefiel und die nicht mehr auf das komische Wesen gemünzt war. „Jo, bis dann!“, verabschiedete sich die Phantomhive und legte auf. Auch ich legte den Hörer zurück auf die Gabel. „Das Ekelvieh von Sonntag?“, fragte Grell. Ich nickte: „Was auch immer es ist.“ Die Anwesenheit dieses Wesens gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht. Grell legte den Kopf schief: „Du hast eine Idee.“ „Eine vage“, grinste ich und verschränkte die Arme: „Doch es gibt mehr dagegen, als dafür.“ Grell setzt sich wieder halb auf die Tischplatte: „Erzähl.“ „Ni hi hi. Wozu, wenn es unwahrscheinlich ist?“ „Sagt der Kerl der bewiesen hat, dass sich ‚unmöglich‘ nur als zu oft im Rahmen des Möglichen bewegt.“ „Ich werde noch ganz rot“, giggelte ich. „Bescheiden wie immer“, Grell hob eine Hand: „Lass uns ein bisschen hin und her grübeln. Wem schadet es denn?“ „Ki hi hi! Niemandem“, ich legte die Füße auf die Tischplatte: „Du zuerst.“ Was Grell dachte interessierte mich. Auf viele wirkte Grell nicht allzu intelligent, weil seine Art recht impulsiv und unkontrolliert war. Doch ich wusste sehr wohl, wenn das rote Köpfchen erst einmal ratterte war es wert, dass Ergebnis anzuhören. „Der Engel vielleicht?“, Grell zog eine Schnute: „Shape-shifting können die schließlich auch und er ist schon zu einem sehr passenden Zeitpunkt aufgetaucht.“ Ich wackelte mit dem Kopf: „Njaaaaaaa hi hi. Interessanter Gedanke, doch ich denke eher nicht. Ein Engel wäre sich zu fein, um verwehst auszusehen. Reinheit und bla, kihi!“ „Denkst du wirklich daran scheitert es?“ Ich grinste breiter: „Wie viel müsste man dir bezahlen, damit du dich wie eine zerfallene Leiche aussehen lässt?“ „Was?!“, Grell zog den Kopf ein wenig zurück: „Ich würde nie so aussehen!“ Laut lachte ich auf: „Pahahahaha! Danke, dass du deine Frage selbst beantwortest!“ „Hey, du hast mich ausgespielt!“ Weiter lachend schüttelte ich denn Kopf: „Fuhuhuhuhu! Nicht im Geringsten! Du warst nur selbst ein Paradebeispiel! Findest du nicht?“ „Ist ja gut, ich habe verstanden was du meinst!“, Grell schaute zur Decke: „Doch wenn ich ein bisschen darüber nachdenke… Ein Kuss von meinem Willi oder meinem Bassi könnte mich umstimmen“, er kniff die Augen zu und hob die Hände an sein Kinn, während er anfing herum zu wackeln: „Ein Kuss voller Liebe und Leidenschaft! ~♥“ „Nihi! Sage noch einmal jemand meine Preise seien unrealistisch.“ „Deine Preise SIND unrealistisch!“ „Gi hi hi hi! Realistischer als deine!“ „Was soll das heißen?!“ Ich legte grinsend die Fingerspitzen einer Hand auf meine Brust: „Ich werde regelmäßig bezahlt“, dann nahm ich diesen Zeigefinger und zeigte auf Grell: „Und du?“ Grell schaute mich mit wütend zusammengezogenen Augen an. „Du kleiner Pisser!“, zischte er und warf mich in einen kleinen Lachanfall. Er war kurz und fühlte sich recht flach an, aber es war ein Lachanfall und damit besser als gar nichts. Als ich aufgehört hatte zu lachen und Grell fertig war deswegen den Kopf zu schütteln, schaute er mich eindringlich an: „Und deine Idee? Die sind schließlich besser, als meine.“ „Humbug!“, grinste ich Grell an: „Du bist nicht dumm, Grell. Nur öfter zu faul zum Denken.“ Grell seufzte: „Manchmal weiß ich nicht, ob du die beschissenste oder liebste Person bist, die ich kenne.“ „Das musst du entscheiden. Eh he he!“ „Ein bisschen was von beidem“, lächelte Grell kurz, aber ein wenig traurig. Ein Lächeln, das verriet, dass er solche Komplimente lieber von anderen Leuten hören würde. Ich war mir sicher, der Wichtigste davon war sehr streng und klebte ständig mit seiner Nase in einem Buch mit vielen bunten Klebezetteln. „Wie auch immer“, als der Reaper den Kopf schief legte war der kleine Hauch Wehleid schon fast komplett wieder verschwunden: „Deine Idee ist dran.“ Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf: „Ein Alb.“ „Ein Alb?“, Grell zog die Augenbrauen zusammen: „Das ist unmöglich! Ein Alb ist ein Geist, den hätten William, Ronald, du und ich sofort bemerkt!“ „Ich weiß“, mein Grinsen wurde ein Stück weiter: „Doch glaube mir, der Rest passt perfekt.“ „Du hast mehr Infos als ich“, stellte Grell vollkommen richtig fest: „Faktencheck. Was wissen wir?“ „Ki hi hi. Nun denn“, Grell trank immer mal wieder an seinem Glas, während ich sprach: „Die Mädchen schlafen schlecht. Träumen schlecht. Beide. Amber wusste wie das Wesen aussah, weil es ihr im Traum erschien. Ohne es selbst gesehen zu haben oder es berichtet zu bekommen. Darüber hinaus greift es nicht an, obwohl es die besten Gelegenheiten dazu findet. Und es könnte nicht angreifen, weil“, ich zeigte mit der Hand auf Grell. „Geister nicht kämpfen können, da sie nicht mehr stofflich sind“, beendete Grell meinen Satz. „Exakt“, grinste ich und trank ebenfalls wieder einen Schluck Whisky: „Darüber hinaus können nur die Beiden es sehen und es scheint nur in bestimmten Gegebenheiten zu erscheinen. Dies könnte so sein, weil?“ „Man einen Geist beschwören und auf Leute ansetzen kann, sofern er von einem Sensenmann nie gerichtet, sondern nur gebannt wurde. Dazu werden sie an etwas gebunden. Aber das ist unglaublich kompliziert.“ „Für Claude und Hannah allerdings sehr gut machbar.“ „Stimmt“, Grell seufzte: „Klingt logisch, Undertaker. Doch wie erklärst du dir, dass wir es nicht spüren können? Vielleicht ist es doch was anderes. Auch niedere Dämonen kann man beschwören und auf Individuen ansetzen, wenn man sie gebunden bekommt.“ „Einen Dämonen zu binden ist um einiges schwieriger, als einen Geist zu binden. Das Ritual an sich benötigt viel mehr und viel schwerer zu beschaffendes Material. Selbst wenn man so viele Dämonen hat, wie die Trancys, wäre es eine Aufgabe. Vor allem, da sie schon so viele Tore geöffnet haben. Dieses Material gibt es nicht in Massen beschaffbar.“ „Du denkst also die Trancys hängen auf jeden Fall mit drin?“ „Du doch auch. Es ist naheliegend.“ „Vielleicht ist es einer der Triplets. Oder gleich Claude oder Hannah.“ „Und dann greifen sie nicht an? Außerdem kommen wir auch bei einer Dämonen-Theorie in sensorische Schwierigkeiten. Skyler erkennt Claude und Sebastian trotz Anhänger und dann diesen Dämon nicht? Wir sind wieder bei demselben K.O-Argument wie vorher.“ „Vielleicht doch der Engel“, Grell kratzte sich an der Wange: „Das Argument gegen ihn ist bis jetzt die schnöde Eitelkeit. Das wirft man einfacher über Bord, als natürliche Gegebenheiten.“ Ich zeigte mit der flachen Hand auf Grell: „Dem ist nicht zu wiedersprechen. Der Gedanke, es könnte ein Alb sein, ist nur immer so schön naheliegend, wenn es um Albträume geht.“ „Dein Gedankengang ist ja auch nicht unlogisch“, seufzte Grell. Dann wuschelte er sich durch die Haare: „Das ist so kompliziert, verdammt!“ Damit hatte Grell recht. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Natur des Wesens. Die beiden jungen Frauen schwebten irgendwie geartet in Gefahr. Verzeihen, wenn ihnen etwas passierte, könnte ich mir nicht. Doch… Ich konnte Skyler nicht 2-mal an einen Tag behelligen. Sie sah schon gequält genug aus. Wenn sie wach war… und auch wenn sie schlief. Ich konnte nicht schon wieder vor ihrer Nase auftauchen und sie stressen. Ich war schließlich ihr Alptraum. Meine Anwesenheit quälte sie. Nicht mal meine Anwesenheit- Der pure Gedanke daran. Ich kann nicht einfach ständig vor ihr stehen. „Ich habe eine Bitte an dich“, mit einer Kopfbewegung verbannte ich große Teile meines Ponys aus meinem Gesicht und schaute Grell an, während ich die Arme verschränkte. Grell zog die Augen zusammen und schaute auf meinen nicht grinsenden Mund: „Ich habe keine Lust auf Bitten, die du mir mit so einem ernsten Gesichtsausdruck stellen willst.“ „Grell“, ich schaute ihm eindringlich in die Augen: „Es wäre mir wichtig.“ Der rote Reaper hob schlagartig und mit lauter Stimme abwehrend beide Hände: „Jetzt habe ich darauf noch weniger Lust!“ „Wieso?“ „Liegt doch auf der Hand“, ließ er eine Dieser in der Luft, während er die Andere in die Hüfte stemmte: „Wenn ich’s nicht hinbekomme, hat das schwerwiegende Konsequenzen für mich. Mein frühzeitiges Ableben, zum Beispiel! Außerdem ist was auch immer zwischen dir und Sky läuft nicht mein Problem und ich mache es schon mehr zu meinem, als ich je gemusst hätte.“ Grell hatte mich ertappt. Es wäre auch dreist gewesen meine Bitte nicht als offensichtlich zu bezeichnen. Doch ich brauchte Grell. Ich konnte nicht wieder zu den Mädchen. Sky wird sich in meiner Gegenwart kaum entspannen oder erholen können. Und das brauchte sie dringend. Viel zu dringend, um es aufs Spiel zu setzen. Und auch ich… …vertrug ihre Gegenwart nicht sonderlich gut. Ich fühlte mich müde. Diese Situation zerrte mich aus. Mein schnödes Empfinden war kein Grund diesen Besuch nicht selbst zu übernehmen. Skylers Empfinden war es aber sehr wohl. Es wäre sicher für Sky besser, wenn Grell diesen zweiten Besuch übernehmen würde. Doch auch ein Stückweit für mich. Der ständige Zwiespalt zwischen meinen Gefühlen und meinem Verstand brachte mich dem Wahnsinn näher, als ich eh schon war. Ich wünschte mir so sehr ein wenig Ruhe.  „Ich habe dich zu nichts gezwungen.“ „Nein“, Grell schüttelte den Kopf und stemmte die letzte Hand in die Hüfte: „Aber du bist mein Freund und ich möchte dich unterstützen.“ „Dann erweise mir den kleinen Freundschaftsdienst, um den ich dich bitten möchte. Du denkst sicher richtig um was es geht.“ Grell schaute mich an. Länger. „Du bist scheiße!“, schrie er mich schließlich an, wütend darüber wie ich ihm die Worte im Mund herumgedreht hatte: „Es ist ein Wunder, dass du nicht braun anläufst! Das ist hundsgemein! Mit dieser Formulierung stehe ich da, wie ein schlechter Freund wenn ich nicht mache um was du mich bittest!“ „Bitte Grell.“ „Geh‘ selbst!“, Grell ging aufgeregt und wild mit den Händen gestikulierend auf und ab: „Und jetzt sage mir ja nicht die Beerdigung würde dir ein Strich durch die Rechnung machen! Wenn es um die Phantomhive geht, rettest du innerhalb von 15 Minuten die Welt und wenn es um deinen Job geht brauchst du keine 2 Minuten um Kapelle und Sarg fertig zu machen! 30 Minuten sind vollkommen ausreichend!“ Grell hatte damit recht. Doch das änderte nicht, dass ich Sky nicht ständig zumuten konnte vor mir zu stehen. Das eine Mal am Tag war für sie sicherlich mehr als nur genug. Vielleicht hat sie diesen Alptraum nicht mehr, wenn ich endlich aus ihrem Leben verschwunden war… Ich hasste diesen Gedanken so sehr. „Grell“, ich hielt ihn am Handgelenk fest, sodass er wieder stoppte und schaute ihn nun von nur noch ein paar Zentimeter Entfernung einige Sekunden direkt in die schwarzen Pupillen: „Ich bitte dich.“ Der rote Reaper zog seine Hand aus meiner. „Na, fein“ beschwerte er sich und rauschte aus der Ladentür: „Aber ich garantiere für nichts! Schämedich, Undertaker!“ Ich sagte es ihm nicht, doch Grell musste sich darüber keine Sorgen machen. Denn ich schämte mich wegen so vielem. Die Beerdigung ging spurlos an mir vorbei. Auch wenn mich das ein oder andere verdutzte Gesicht schmunzeln ließ, war ich nicht wie üblich nach einer Beerdigung gut gelaunt. Ich hatte – wie hätte es auch anders sein sollen – meine Gedanken über die immer gleichen Dinge gewälzt, während ich meinen Gast aufgebahrt, die Kapelle dekoriert, die Trauergemeinde beschaut, den Sarg zum Grab getragen und schließlich zugeschüttet hatte. Doch ich hatte noch über eine andere gute Frage nachgedacht, die mir die junge Phantomhive nur allzu recht gestellt hatte und war zu einem recht untypischen Entschluss gekommen. Zurück in meinen Laden hatte ich meinen Telefonhörer gegriffen und eine Handynummer gewählt. „Undertaker?“, schwirrte mir die Stimme aus dem Hörer entgegen: „Bist du das?“ „Kihi, in der Tat. Hallo Frederic.“ „Okaaaay“, antwortete mir der Älteste der Phantomhive Geschwister gedehnt: „Ist was passiert?“ „Nein, nein. Tihi.“ „Sicher?“, fragte er ein weiteres Mal ebenfalls skeptisch lang gezogen. „Sicher! Ist dir bei meinem Anruf nicht wohl, Fred?“ „Es ist nicht… Es ist nicht, dass es mir nicht gefallen würde, dass du mich anrufst. Ich frage mich nur warum du mich anrufst, wenn ich ehrlich bin.“ „Es ist nichts Schlimmes“, giggelte ich in den Hörer, schon ein bisschen amüsiert darüber, dass der Erbe der Phantomhives bei etwas für ihn doch sicher furchtbar banalem wie einem Anruf ein schlechtes Gefühl bekam, nur weil ich am anderen Ende des Hörers war. „Das ist“, Fred machte eine kleine Pause und suchte wohl nach einem passenden Wort: „sehr… beruhigend. Also, um was geht es genau?“ „Kihihi! Ich bräuchte deine Hilfe.“ „Das ist wiederum sehr beunruhigend…“ Ich wurde geschüttelt von einem kleinen Lachanfall, der wirklich viel zu kurz war: „Fuhuhuhuhu! Wie nett von dir! Es ist wirklich nichts Schlimmes.“ „Das Problem an der Sache ist, dass deine Interpretation von ‚Nichts-Schlimmes‘ und die aller anderen Wesen auf diesem Planeten ungefähr so viel gemeinsam haben wie ein Elefant und Hochseiltanzen.“ „Nehehehehehe! Ich brauche nur deine Hilfe bei Etwas, wovon ich nichts verstehe!“ „Jetzt bin ich endgültig beunruhigt…“ „Möchtest du mir damit zu verstehen geben, dass du mir nicht helfen möchtest?“ „Nein, ich möchte dir damit zu verstehen geben, dass ich mir definitiv nicht vorstellen kann wobei ich dir helfen soll und gerade mehrere Stoßgebete in den Himmel schicke, dass es NICHTS mit Leichen und Särgen zu tun hat.“ Ein weiterer viel zu kleiner Lachanfall. Doch ich war froh über jeden, der über mich kam: „Gahahahahaha! Die da oben werden dir nicht helfen, Fred!“ „Sehr beruhigend. Wirklich… Danke sehr.“ „Gihihi! Und außerdem gehören Leichen und Särge zu den Dingen, von denen ich sehr wohl etwas verstehe.“ „Heißt das, das ist raus?“ „In der Tat, kihihihi, ja.“ „Das ist doch mal wirklich beruhigend. Also, worum geht es?“ „Tehehehe! Frederic, ich möchte dich darum bitten mir ein Handy zu besorgen.“ Stille. Es dauerte eine ganze Weile bis sich Frederics Stimme am anderen Ende der Leitung wieder erhob: „Wie bitte?“ „Ich brauche ein Handy, Fred. Und da du genauso gut weißt wie ich, dass ich davon nicht den Hauch einer Ahnung habe, brauche ich dazu noch deine Hilfe.“ „Du brauchst… Bitte was?!“ „Kihihi! Ein Handy! Nuschle ich?“ „Nein, ich kann’s nur nicht glauben…“, dann wirkte der junge Bald-Earl ziemlich aufgeregt: „Außerdem! Warum willst du auf einmal ein Handy haben?! Ich habe mir vor knapp ‘nem Jahr den Mund fusselig geredet und dich zu überzeugen versucht! Und das Einzige, was ich davon hatte, war eine Menge in Mitleidenschaft gezogener Nerven! Und jetzt rufst DU MICH an und willst, dass ICH DIR ein Handy besorge?! Auf einmal?! Vollkommen aus dem Nichts?!“ Ich lachte schrill auf: „Kihihihihi! Tahaha! Beruhige dich! Freue dich doch lieber, dass dieser Tag gekommen ist!“ „Und wieso ist dieser Tag auf einmal gekommen?!“ „Ist das so wichtig?“ „Ja!“ „Tihi! Warum?“ „Weil ich mir damals alle Mühe gegeben habe!“, der junge Erbe der Phantomhives klang tatsächlich ein wenig enttäuscht: „Und nicht nur auf Granit gebissen, sondern mir meine Zähne ausgebissen habe! Mein Nervenkostüm trägt die Dritten! Und jetzt möchte ich wissen, was dich umstimmen konnte, wenn meine engelsgleiche Beharrlichkeit nicht genug war!“ „Fuhuhu! Engelsgleiche Beharrlichkeit! Fred, mache einen Punkt!“ „6 Stunden, Undertaker“, seufzte Frederic gestresst: „Ich wiederhole: 6 Stunden. Jetzt erzähl!“ „Kihihi. Fein. Ich habe Amy eingebläut sie solle mich auf jeden Fall anrufen sollte irgendetwas Komisches vorfallen.“ „Ja“, sagte Fred: „Das ist bei Amy sicherlich eine sehr gute Idee.“ „Jetzt sollte ich auch dafür sorgen, dass sie es wirklich machen kann. Am Sonntag, beispielsweise, war ich dienstlich unterwegs und die Mädchen konnten mich über meinen Festnetzanschluss natürlich nicht erreichen.“ „Okay“, Fred seufzte erneut: „Da es um Amy geht und der kleine quengele Hitzkopf endlich mal tut was man ihr sagt, hast du mir natürlich total den Wind aus den Segeln genommen.“ „Welchen Wind?“ „Der, um sauer auf dich zu sein“, erwiderte Fred trocken: „Ich besorge dir eins. Morgen vor der Uni komme ich bei dir vorbei. Sei da und sei belehrbar!“ „Nihihihi!“, giggelte ich: „Ich werde dein eifriger Schüler sein.“ „Ich hoffe. Bis Morgen.“ „Ih hi hi! Bis Morgen.“ Frederic hing auf und ich tat es ihm gleich. Ich blätterte kurz durch meinen Kalender. Am Freitag war eine Beerdigung. Der Sarg fehlte noch und das Grab war nicht gegraben. Also hatte ich doch noch Dinge zu tun, was mir ein bisschen Ablenkung versprach. So beschloss ich mit dem Sarg anzufangen. Ich war gerade mit ein paar Pinseln in der Hand - die noch vom letzten Auswaschen im Spülbecken gelegen hatten - wieder aus meinen Privaträumen in den Verkaufsraum getreten, da flog meine Türe auf. Laut knallte sie gegen meine Wand. „Du Volltrottel!“ Mein Kopf flog herum und ich hob meine Unterarme vor mein Gesicht, um den Fuß in den roten Doc Martens, der zielstrebig auf mein Nasenbein zu hielt, nicht ungemildert abzubekommen. Nichtsdestotrotz riss der Schwung mich von den Füßen und beförderte mich mit einer Rolle übermeinen Tresen in eines meiner Regale. Die Pinsel gingen klackend zu Boden. Ich hörte wie das Holz um mich herum splitterte und schnell trocken knackend nachgab. Der Schrank brach über mir zusammen und der ganze Segen, der darin stand landete auf mir. Das hieß unter anderem etliche Fotorahmen mit etlichen Generationen der Bösen Nobelmänner und einige sehr schöne Organe, deren Gläser splittern und somit mehr als einem Liter Formaldehyd auf meinem Hemd landen ließen. Ich sah noch das letzte Regalbrett auf mich hinunter sausen. Als es auf meinem Gesicht gelandet war, herrschte kurz Stille. Mit einem Arm hob ich es wieder von meiner Nase: „Hallo Grell. Was verschafft mir die Ehre? Zum zweiten Mal, ne he he!“ Natürlich konnte ich es mir denken. Irgendetwas bei den Mädchen musste passiert sein. Wahrscheinlich etwas mit Sky, was Grell zu 100% auf mich münzte. Grell stand, die Beine schulterbreit auseinander und in die Hüfte gestemmte Hände, vor mir und schaute mich anklagend an: „Ich hoffe es hat weh getan!“ Ich schaute ihn mit von meinem Abflug freigelegten Augen entgegen: „Ich muss verneinen, pardon. Ni hi!“ „Lässt sich ändern!“, der rote Reaper kniete auf einmal auf meiner Brust, hatte mich am Kragen gepackt und versuchte immer wieder meinen Kopf auf den Boden zu knallen, was ich aber nicht zuließ: „Arme Sky! Kannst du dir vorstellen, was du angerichtet hast?!“ Ich packte Grells Hände und zog sie von meinem Kragen. Befreit von all meinem Humor schaute ich ihn an: „Was ist passiert?“ Ich war neugierig und gleichzeitig wollte etwas in mir es gar nicht wissen. Grells emsige Bemühungen mir ernsthafte Schmerzen zuzufügen verrieten mir schon, dass es keine Lappalie war. Auch bei einem Unterweltinformanten - oder Sensenmann in Rente - war es nicht alltäglich, dass jemand durch die Türe rauschte und einem erst einmal eine auf die Nase geben wollte. Obwohl mir dieser Umstand sofort verriet, dass Grell mich ein zweites Mal besuchte. Es gab definitiv nur einen, der sich dies traute. Oder eher, der so impulsiv war, dass er sich nicht trauen musste und es einfach tat, wenn seine Pferdchen mit ihm durchgingen. Grells Koppelzaun hatte übrigens das eine oder andere Loch. „Das fragst du?! Sie ist vollkommen hinüber!“, Grell wedelte mit den Händen, als er versuchte sie zu befreien: „Das arme Ding hat mich angestarrt, als sei ich ein Gespenst, als ich ihr verriet ich käme auf deinen Wunsch! Ich habe noch nie jemanden so blass werden sehen! Und so debil lachen hören! Ich konnte ihr ansehen, wie etwas in ihr vor die Hunde ging! Ich habe keine Ahnung, was du die letzten Tage mit dem armen Mädchen angestellt hast, aber es war scheiße! Große Scheiße! Jetzt lass‘ dich schlagen, du inkompetenter IDIOT!“ Ich ließ eine von Grells Händen los. Ohne weitere Gegenwehr versenkte er seine Faust mit viel Kraft in meinem Gesicht. Einmal. Zweimal. Dreimal. Und ich hätte mich auch beim vierten oder fünften Mal nicht gewehrt. Ich hatte das Gefühl während Grell mich anschrie, war mir das Herz stehen geblieben. Eine kalte Welle war über mich geschwappt und hatte es schachmatt gesetzt. Wenn es Sky wirklich wegen mir so schlecht ging, hatte ich das verdient. Dann hätte ich noch viel mehr verdient. Denn ich wusste, dass ich die Situation für sie in diesem Moment nicht besser machen konnte. Doch sie würde sich irgendwann fangen. War ich erst mal fort wird bald der Tag kommen, an dem sie wegen mir nicht mehr traurig war. Grell ließ schließlich von mir ab und stand auf. „Du hast es verdient! Und ich war noch nett!“, Grell schüttelte den Kopf. Er schloss dabei die Augen, in denen Mitleidstränen glänzten. Grell war immer recht überemotional. Doch ich hatte nicht das Gefühl, dass er dieses Mal übertrieb, was mein Empfinden noch viel schlimmer und eisiger machte. „Was immer zwischen euch beiden abgeht“, sprach er nun mit einer ärgerlichen, aber sehr ruhigen Stimme, die ihn sehr ernsthaft klingen ließ: „Hört auf damit. Für euch beide.“ Dann verschwand der Sensenmann in Rot und knallte meine Türe ins Schloss. Ich blieb liegen und starrte an meine Decke. Warum ging es Skyler wegen mir so schlecht? War es ihre Angst? Warum wurde sie dann blass und lachte debil, weil Grell anstatt meiner dort war? Seufzend setzte ich mich auf. Meine Nase pulsierte. Grell hatte sich nicht zurückgehalten. Und er war alles andere als ein Schwächling. Doch das lenkte meine Gedanken nicht ab. Als ich aus meinem Holzberg aufstand, fühlte ich mich abermals fürchterlich gestresst. Und in mir war alles bitter und bitter kalt. Ich begann aufzuräumen, um nicht weiter zu denken. Es funktionierte eine Zeit. Denn der rote Reaper hatte das Regal in mehr als nur seine Einzelteile zerlegt. Ich sortierte also diverse Glassplitter aus Holzstücken. Die Überreste der Regalbretter stapelte ich vorerst auf dem Platz, an dem sie mal als Möbelstück gestanden hatten. Durch meinen ganzen Laden zog der scharfe Geruch des Formaldehyds. Während ich sortierte, stapelte ich die teilweise ebenfalls recht lädierten Bilderrahmen auf meinem Tresen. Hier und da hatten auch die Fotos darin einen kleineren oder größeren Kratzer. Ich war Grell nicht böse wegen dem, was er getan hatte. Doch ich war nicht gerade begeistert, dass er sich ein Regal mit Bilderrahmen aussuchen musste. Von vielen dieser Menschen hatte ich nicht mehr. Und als sei mein Kopf nicht schon voll genug, fiel mir auch noch ein größerer silberner Bilderrahmen in die Hand. Sofort war mir klar, warum Grell dieses Regal gewählt hat und das diese Wahl alles andere als Willkür war. Die traurig gestresste Bitterkeit in mir wurde abermals angefacht, als ich auf Skylers Bild schaute. Es war heil geblieben. Mir war sofort klar, dass ich extrem verstimmt gewesen wäre, wäre diesem Bild etwas passiert. Ich setzte mich auf meinen Stuhl und schaute das Bild weiter an. Jetzt konnte ich meine ganzen Gedanken nicht mehr im Zaum halten. Wollte Skyler vielleicht doch keine Distanz? Hatte sie deswegen so reagiert? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie meine Nähe wollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie das alles was ich getan hatte wirklich so nebensächlich fand, wie es an der Themse geklungen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie noch so gut von mir dachte, wie sie behauptet hatte. Und selbst sollte sie das alles wollen und meinen: Es würde alles noch viel schwerer machen. Ich wollte sie nie traurig machen. Niemals. Doch ich hatte es trotzdem geschafft. Mehrmals. Ich hatte sie so sehr zum Weinen und Leiden gebracht. Ich war ihr Alptraum. Ich wischte mir durch mein Gesicht und ließ meine Hand über meinen Augen liegen. Ich wollte nicht, dass die Tränen meine Wangen hinunterrollten. Trauer und Traurigkeit, diese unendliche Bitterkeit, sie waren mir so spinnefeind, dass ich nur noch wollte, dass all das verschwand. Und ich wusste genau was ich dafür brauchte: Skylers Nähe. Und ich wusste genau was Skyler brauchte, um ein angstfreies und glückliches Leben zu führen: Meine Abwesenheit. Und ich wollte nur das Beste für sie. Nachdem ich nach einiger Zeit schließlich mein Regal endgültig zusammengelegt hatte, hatte ich wie geplant einen Sarg in Sepiabraun lackiert. Die Foto- und Bilderrahmen waren in eins der einst benachbarten Regale gezogen. Leider war in meinem Werkraum kein Platz mehr und ich musste wohl etwas damit leben, die Überreste meiner gerechten Strafe vor der Nase liegen zu haben. Als ich mit dem Sarg fertig war, schaute ich aus dem Fenster. Die Sonne war untergegangen. Obwohl es jetzt klar war, dass das Wesen nicht an Tageszeiten gebunden war, gefiel mir der Gedanke nicht Skyler nachts alleine zu lassen. Nachts war sie so viel verletzlicher. In ihren Albträumen gefangen und sich hin und her werfend wäre sie eine allzu leichte Beute. Selbst, oder gerade wenn das Wesen nicht kämpfen konnte. Eigentlich gefiel es mir gar nicht Skyler alleine zu lassen. Es war nicht recht vorhersehbar, wann das Wesen auftauchte. Doch ständig um sie herumstreunen konnte ich auch nicht. Sie musste weiterhin die Möglichkeit haben zu leben. Ohne Angst. Und als ich aus dem Fenster auf die dunkle menschenleere Gasse gestarrt hatte fiel mir auf, dass es mir immer nur um Skyler ging. Was war mit Amy? Die junge Phantomhive schwebte bewiesen in derselben Gefahr. Doch die schöne Brünette hatte meine Gedanken komplett erobert. Ich hatte kaum noch welche für anderes übrig. Ich war mir lange sicher mit dem Phantomhives das Interessanteste gefunden zu haben, was die menschliche Welt zu bieten hatte. Doch dann hatte ich die junge Skyler getroffen. Sie machte mich neugierig, hatte mein Herz und meine Seele berührt und Spuren darin hinterlassen, so tief, dass sie einfach immer präsent waren. Mit einem Seufzen wandte ich mich ab und löschte das Licht in meiner Werkstatt. Danach verließ ich meinen Laden durch die Hintertür. Wieder hüpften die violetten Satingardinen auf das Wackeln meines Zeigefingers zur Seite, nachdem ich auf der Fensterbank gelandet und meine Brille auf die Nase gezogen hatte. Sie gaben so den Blick auf das dunkle Zimmer frei, indem die zierliche Brünette lag und schlief. Oder zumindest so etwas in der Art. Denn wieder warf sich die Schöne hin und her. Ich seufzte lang, als ich das sah. Unangetan verschränkte ich die Arme. Dieser Anblick war so schmerzhaft. Plötzlich hörte ich das Klacken von Sohle auf Stein hinter mir. Meine Augen wanderten über meine Schulter nach hinten. „Das ist furchtbar süß“, wehten ein paar lange rote Strähnen in der sachten nächtlichen Brise: „Doch du siehst aus wie ein Stalker.“ Ich schaute Grell von meinem Sitzplatz aus ins Gesicht. Er hatte abschätzend den Kopf schief gelegt. Der rote Reaper seufzte: „Doch ob süß oder nicht. Dein Gesicht gefällt mir nicht.“ Ich neigte meinen Kopf ein Stück nach hinten: „Warum?“ „Weil du nicht grinst.“ Ich schaute zurück auf das sich herumwälzende schöne Ding: „Ich sehe hier nichts was auch nur ansatzweise lustig wäre.“ „Und genau deswegen ist es süß“, Grell hüpfte von der kleinen Steinmauer, die die kleine Fensterbank abgrenzte und kniete sich neben mich: „Ansonsten wäre es pervers.“ „Aha?“ „Du bespannst ein junges Mädchen während es von Alpträumen geplagt wird“, Grell schaute auf Sky, die sich gerade Richtung Wand gedreht und in ihr Kissen gekrallt hatte: „Wenn man nicht wissen würde, dass du das hier tust um sie zu beschützen, wäre das das perfekte Triebtäterverhalten.“ Ich würdigte Grell nur einen kleinen Seitenblick und schaute wieder durch das Fenster. Spannen. Ein ekelhaftes Wort. Ich spannte nicht. Was ich hier tat, tat ich schließlich nicht zum Vergnügen. Spaß hatte ich daran in keinster Weise. Der rothaarige Sensenmann kratzte sich kurz am Kinn: „Seltsame Inneneinrichtung…“ Ein zweiter kurzer Blick: „Warum? Es ist ein Internatszimmer.“ „Schon, aber“, Grells Kopf fiel zur Seite: „Das ist wirklich nur ein Internatszimmer. Ich meine… was gehört denn ihr, außer den Leinwänden? Und die hat wahrscheinlich auch das College gestellt. Selbst auf der Staffelei ist das Logo des Colleges. Keine Deko, Fotos, Lichterketten, Bilder. Das Mädchen besitzt noch nicht mal einen Mini-Fensterbank-Kaktus oder einen Gummibaum!“, mit einer hochgezogenen schlanken Augenbraue schaute er mich an: „Schau dir im Vergleich mal Amys Zimmer an. Du siehst die Wand nicht mehr! Nenne mir ein 18 Jähriges Mädchen, das seinem Zimmer nicht wenigstens einen persönlichen Touch verleiht?“ Ich musste Grell zustimmen. Als ich Skylers Zimmer das erste Mal gesehen hatte, hatte ich schließlich genau dasselbe gedacht. „Wenigstens ein Familienfoto stellt man doch auf, wenn man in ein Internat zieht. Schließlich vermisst man die doch“, Grell verrenkt sich fast den Kopf um auf Skylers Nachtisch zu spähen: „Da steht ein einsames Blümchen, doch ansonsten sehe ich nichts.“ „Da ist auch keins“, seufzte ich. Ich überlegte kurz wie viel Grell wissen konnte. Soweit Skyler ihm nichts weiter erzählt hatte – was ich nach ihrer Reaktion gegenüber William, der in die Records ihrer Familie schauen wollte, nicht dachte – konnte er nur das bisschen wissen, was Amy verlauten ließ: Dass die junge Dame in Therapie war, da ihre Familienverhältnisse nicht toll waren. Doch das war recht ungenau. Dass es in einer Familie Probleme gab, die psychologisch aufgearbeitet werden mussten, hieß noch nichts. Es gab Familien, die sich lieb und einfach Pech hatten. Und es gab Familien wie die schöne Skyler eine gehabt hatte. „Wie meinen?“, holte mich Grell aus meinen Gedankengang. „Sie hat keinen Grund welche aufzustellen“, antwortete ich knapp. Doch Grell ließ nicht ab: „Wieso?“ „Wenn du denkst, ich plaudere jetzt aus Skylers persönlichem Nähkästchen, muss ich dich bitterlich enttäuschen.“ „Ist ja gut“, seufzte Grell: „Aber alles andere als beruhigend.“ Dann drehte sich der rote Reaper zu mir: „Undertaker, was in Gottes Namen tust du hier?“ Ich schaute weiter auf Skyler, die immer wieder zuckte: „Verrate mir lieber was du hier tust.“ „Du solltest eher antworten, oder? Schließlich hockst du wie ein Voyeur vor ihrem Fenster.“ „Was ich tue ist offensichtlich“, antwortete ich ungewohnt trocken. „Und furchtbar masochistisch.“ Wieder wanderten meine Augen zu Grell: „Was willst du?“ „Ich mache mir Sorgen um dich.“ Ich lachte leise auf. Doch war es mehr von Spott getragen, als von allem anderen: „Ke he he. Vor ein paar Stunden hast du mich in eines meiner Regale getreten und jetzt machst du dir Sorgen?“ „Ich war sauer“, Grell seufzte: „Weil ich Skyler wegen dir einen Tritt versetzt habe, der gesessen hat. Außerdem hat Amy mich darum gebeten und ich war auch der Meinung du hast es dir redlich verdient." Es wunderte mich nicht im Geringsten, dass Amy ihn angestiftet hatte, hatte Skyler wirklich so extrem reagiert. „Natürlich hatte ich das verdient“, schloss ich die Augen. Dann schaute ich Skyler wieder an: „Doch ich kann nichts ändern.“ „Was?!“, Grell sprang mich an und um. An den Schultern drückte er mich auf die kleine Fensterbank: „Natürlich! Du kannst alles ändern!“ Die Richtung, die dieses Gespräch nahm, stieß in mir auf eine so große Wand aus Bitterkeit, dass ich es unter keinen Umständen führen wollte. „Nein“, schaute ich Grell durch meinen wirren und nur noch teilweise in meinem Gesicht liegenden Pony an: „Und jetzt geh runter von mir.“ „Aber…!“ „Gehe von mir runter“, wiederholte ich: „Oder ich bringe dich dazu.“ Grell krabbelte seufzend zurück. Ich zog meine Beine wieder auf die kleine Fensterbank, auf der Grell und ich mehr schlecht als recht beide Platz fanden und wandte mich wieder dem Fenster zu: „Und sei leiser.“ „Das sieht nicht nach einem Traum aus, der es wert zu träumen ist“, nuschelte Grell: „Vielleicht wäre es netter sie zu wecken.“ Ich schaute ihn an. Er hob die Hände: „Ist ja gut! Wir tun es nicht!“, seufzend wandte er sich um: „Du musst mich mit deinen Blicken nicht gleich umbringen!“ „Könntest du endlich aufhören zu schreien?“ „Sie sieht uns doch eh nicht.“ „Aber sie kann uns hören.“ Und ich hatte keine Lust ihr erklären zu müssen, warum sich 2 Sensenmänner vor ihrem Fenster tummelten. Noch weniger wollte ich erklären, warum ich einer davon war. „Woher soll sie wissen, dass wir das sind?“ „Weil sie unsere Stimmen kennt.“ „Aber das ist doch gerade alles total nebensächlich!“ Da Grell trotz meiner wiederholten Ermahnung immer noch vor Skylers Fenster herumschrie, hob ich meinen Arm… … Und schubste ihn ohne hinzusehen an seiner Schulter vom Fensterbrett. Mit einem spitzen Schrei segelte er in die Tiefe. Ich reckte einmal meinen Kopf über die Fensterbank und sah seine knallroten Schuhe aus demRosenbusch schauen. „Nicht einmal leise sterben kann er“, seufzte ich und zog meinen Kopf wieder zurück. Ich drehte mich wieder zu Skyler, die trotz Grells Getöse immer noch unruhig schlief und hoffte, dass Grell es nach einem Sturz aus 8 Meter Höhe nun gut sein lassen würde. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt, ist immer umgekehrt proportional zu seiner Erwünschtheit. So kniete der rote Reaper nach nicht einmal einer Minute wieder neben mir. Meine Augen wanderten zu seinem verstimmten Gesicht, in dessen Frisur der ein oder andere Ast des Rosenbusches hing: „Wenn du jetzt deinem spontanen Drang mir ins Ohr zuschreien unterliegst, solltest du sehr viel gutes Karma übrig haben.“ „Das habe ich nicht verdient“, funkelte Grell mich zwar sehr düster, aber mit leiser Stimme an: „Du bist ohne Grund gemein zu mir.“ „Ich habe dich zwei Mal gewarnt.“ „Aller guten Dinge sind aber 3!“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ok, ok“, grummelte er daraufhin: „Ich bin leiser… Nicht nochmal schubsen…“ Meine Augen wanderten wieder zurück: „Was willst du mir sagen?“ „Deine Nerven sind in letzter Zeit recht dünn, kann das sein?“ Ich seufzte: „Grell, sage mir was genau du mir zu sagen hast oder verschwinde so schnell wie du gekommen bist.“ „Ay, jey, jey. Du hast ja wirklich dünne Nerven.“ Mit einem weiteren spitzen Schrei flog Grell ein zweites Mal von der Fensterbank. Und wieder dauerte es keine Minute, bis er wieder neben mir hockte: „Kannst du das jetzt mal lassen?!“ Ein kleines Lächeln und ein kurzes Lachen schlich sich auf mein Gesicht, obwohl mir nicht recht danach war. Aber aufgrund von Grells Betragen konnte ich mir nicht helfen: „He he. Du hast mir nicht geantwortet, also sah ich keinen Grund, dass du hier sein musst.“ „Wenigstens kannst du noch lachen“, Grell seufzte und sortierte die vielen kleinen Äste aus seiner Frisur: „Auch wenn es nur ein bisschen ist. Undertaker, ich sagte dir schon, ich mache mir Sorgen um dich.“ „Das ist kein Grund hier zu sein. Du hättest mich in meinem Laden aufsuchen können.“ „Ich war in deinem Laden. Einsam und verlassen.“ „Ki hi. Ein paar Gäste habe ich noch im Schrank“, grinste ich mein kleines Grinsen weiter, das ich fühlte und auch wieder nicht. Grell wackelte mit einem angeekelten Gesichtsausdruck kurz mit dem Fingern: „Ja… Die zähle ich nicht.“ „Du weißt gute Gesellschaft einfach nicht zu schätzen.“ „Und du bist einfach total krank.“ „Stimmt“, ich ließ meinen Kopf nach hinten und in Grells Richtung kippen: „Aber lassen wir die Feststellung von Offensichtlichem. Fahre lieber fort.“ Grell setzte sich im Schneidersitz auf das zwei Ziegelsteine hohe Mäuerchen: „Ich musste nicht lange überlegen wo du bist. Bist du jede Nacht hier?“ „Warum ist das wichtig?“ „Weil ich mir Sorgen um dich mache. Honoriere das mal und antworte mir anständig.“ Ich seufzte innerlich: „Ja, bin ich.“ „Ist das nicht grausam?“ Ich drehte meinen Kopf wieder zu dem unruhig schlafenden, schönen Ding und wollte nicht antworten. Es war grausam. Doch vor jemanden zugeben wollte ich es nicht. Grell seufzte nach ein paar stillen Sekunden: „Du brauchst nicht antworten. Ich sehe dir an, dass es grausam ist. Was ist zwischen euch beiden los, hm?“ Auch Grells ins führsorgliche geschwungene Stimme animierte mich nicht zu reden. Ich wollte meine Seele nicht ausschütten. Grell wusste, dass ich so etwas nicht tat: „Ki hi. Das geht dich nichts an.“ „Es geht mir nicht um Gossip, Undertaker.“ „Es ist mir egal worum es dir geht“, schnitt meine Stimme bestimmt und recht scharf durch die stille Nacht: „Es geht dich nichts an.“ „Es gibt nichts Besorgniserregenderes als du, wenn du aufhörst zu grinsen. Und dieses kleine Grinsen eben, dieses aufgesetzte Lachen vorhin. Undertaker, das bist nicht du“, zwei Hände mit manikürten Nägeln fassten mich an den Schultern und drehten mich zu Grells Gesicht: „Ich spüre dich leiden. Tue mir nicht an machtlos daneben stehen zu müssen“, seine grünen Augen schauten mich ehrlich besorgt und auch recht traurig an: „Du bist mein Freund.“ Ich wandte meinen Blick ab: „Warum willst du Probleme annehmen, die nicht deine sind?“ „Weil ich dein Freund bin“, sprach Grell noch einmal sehr eindringlich: „Und Freunde sind füreinander da sind, wenn es nicht gut läuft. Ich heule mich ständig bei dir aus und du bist der Einzige, der hin und wieder etwas Nettes zu mir sagt. Lass mich etwas zurückgeben. Undertaker, bitte. Rede.“ Ich schaute Grell ein weiteres Mal an. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und schaute viel ernster als von ihm gewohnt. Eine Zeit lang schaute ich in sein Gesicht, indem immer noch ehrliche Besorgnis und der Drang zu helfen stand. Meine innere Mauer bröckelte, was mich erschreckte. Denn diese Mauer war bis jetzt immer mehr als nur stabil gewesen. Doch ich merkte wie all diese schlimmen bitteren Gefühle, all diese Fragen und Vermutungen dagegen trommelten. Dieses Mal seufzte ich hörbar, als ich mein Gesicht wieder zu Skyler drehte: „Ich kann nicht bei ihr bleiben.“ „Warum?“ „Grell“, ich atmete einmal durch: „Wir sind der Tod.“ „Im weitesten Sinne.“ „Kann der Tod glücklich machen?“ „Nein.“ „Er bringt nur eine Menge Schmerz.“ „Ja.“ „Wie“, ich brach kurz ab. Skyler drehte sich wieder Richtung Fenster und rollte sich zusammen: „Soll ich dann bei ihr bleiben?“ „Du bist kein Sensenmann mehr.“ „Ich bin nach wie vor ein Reaper. Ob ich noch im Dienst bin oder nicht“, ich schloss meine Augen: „Was ich bin kann ich nicht ändern.“ „Aber du hast schon lange geändert wer du bist.“ Wieder drehte ich meinen Kopf zu Grell: „Ob zum besseren ist auch eher fraglich.“ Die Feuerlocke schaute mich eindringlich an: „Was rätst du mir immer in Bezug auf William?“ Verwirrung stieg in mir auf: „Warum fragst du das?“ „Antworte einfach.“ „Dass du dir was er sagt nicht zu Herzen nehmen sollst.“ „Warum tust du es dann?“ Ich zog meine Augenbrauen nachdenklich zusammen: „Wie kommst du darauf?“ Grell legte mir die Hand auf die Schulter: „William ist der Einzige, der sich beschwert, dass du nicht mehr die Legende bist, die du mal warst. Aus dem einfachen Grund, dass du und Alisa van der Hegen Williams große Vorbilder seid und er sich ärgert seinen Helden nicht so kennen lernen zu können, wie er von ihm gelesen hat. Wir kennen dich nicht anders. Von Adrian Crevan haben wir höchstens mitbekommen, dass er spurlos verschwunden ist und irgendwann für tot erklärt wurde. Du bist du. Du bist Undertaker und jeder weiß was das heißt. Und jeder mag dich so wie du bist, auch wenn wir uns pausenlos beschweren. Weil wir wissen, dass du der loyalste Weggefährte bist, den man haben kann, auch wenn wir ewig den Fehler begehen es dich nicht spüren zu lassen. Wir wissen es. Es ist uns wichtig. Du sagst mir ständig, egal wie ekelig William zu mir ist, würde er mich nicht mögen würde er sich nicht die Mühe geben mich immer raus zu boxen und auch noch in seiner Freizeit mit mir unterwegs sein und wenn wir dich nicht mögen würden, würde Ronald nicht ständig dein Zeug zusammenflicken, was schon vollkommen überholt ist und mit dir trainieren wollen. Dann würde William nicht ständig bei dir auf der Matte stehen und deine Finanzen checken. Dann würde der Earl dich nicht immer wieder einladen und Sebastian dazu befehligen deine Unterlagen so zu faken, dass es passt. Dann würden dich Amy, Fred und Lee nicht als ihren Onkel bezeichnen. Dann würde Charlie nicht mit dir reisen und Frank nicht mit dir reden. Dann würde ich dich nicht ständig besuchen kommen. Dann wären wir nicht mit dir unterwegs“, Grell nahm seine andere Hand und deutete ins dunkle Internatszimmer: „Und wenn sie dich nicht mögen würde, würde sie nicht ständig um dich herumschwirren.“ Ich folgte Grells Hand und mein Blick fiel ein weiteres Mal auf Skyler. Die bittere Traurigkeit griff mein Herz mit klammer Hand. „Ich habe es ruiniert“, kam es nur sehr leise aus meinem Mund. „Wie?“ Meine Augen hingen an dem so kläglich zuckenden jungen Ding: „Sie hat nach der Campania gefragt.“ Grell seufzte lang: „Und du hast wie immer nicht gelogen.“ „Sie ist weg gelaufen“, ich konnte nicht mehr lauter sprechen. Meine schlechten Emotionen lagen schwer auf meiner Stimme. „Oh nein…“ „Ihre Augen. Wie sie mich vorher angeschaut hat. Sie hatte Angst vor mir.“ „Na, na. Falsche Richtung, Undertaker. Ganz falsche Richtung.“ „Inwiefern?“, ich konnte nicht von Skyler wegschauen. Der bis eben noch kalte Schmerz wurde immer heißer. Kroch immer weiter in mir auf. „Sie hat nicht Angst vor dir. Sie hat sich vor dem erschreckt, was du getan hast. Denn das war schrecklich. Ich habe es mehr als nur gesehen. Doch du bist mehr als nur das.“ „Die Campania war ein Paradebeispiel für das was ich bin.“ „Verletzt.“ Mein Kopf zuckte zu Grell. „Du bist verletzt“, wiederholte er in einem sehr eindringlichen Tonfall: „Weil der Tod dir seitdem du existierst immer und immer wieder übel mitspielt. Erst hat er dich versklavt. Dann nahm er dir jeden weg. Und du bist zum Himmel hoch seufzend einsam, weil keiner bleibt. Deshalb hat dich Vincents Tod, der ein Mensch war den du so gerne mochtest, soweit getrieben etwas was nur zur Befriedigung deiner exorbitanten und exorbitant entarteten Neugierde bestimmt war, als Waffe zu benutzen. Um jene in die Finger zu kriegen, die ihn dir genommen haben. Deine Existenz ist, seitdem das alles vorbei ist, sinnbefreit“, Grell legte beide Hände auf meine Schultern und sah leidend aus. Mitleidend: „Du bist immer noch den Phantomhives verschrieben, aber das ist für jemanden mit deiner Kragenweite nicht genug. Das genügt weder deiner Stärke, noch deiner Charaktertiefe. Und es verhält sich bei einem lebenden Wesen nicht anders, als bei einer Doll oder einem komischen Stein: Was keinen Sinn hat, sucht nach einem. Alles will einen Sinn haben. Du hangelst dich von einem Sinn zum andern. Willst die Wesen, die dir wichtig sind am Leben halten. Schaffst du es nicht, machst du dir die Rache zum Sinn.“ „Ich kann den Tod nicht aufhalten. Das kann niemand.“ „Aber du versuchst die Wesen, die dir wichtig sind, so lange am Leben zu halten, wie es nur irgend möglich ist.“ Ich schaute Grell wieder eine Weile an. „Wahrscheinlich“, sagte ich schließlich. Doch ‚wahrscheinlich‘ traf es nicht. Grell hatte Recht. Doch ich konnte es nicht zugeben. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, Grell habe mich so gut durchschaut. Doch er hatte. Weil Grell ein helles Köpfchen war, mich schon lange begleitete und eine Empathie besaß, die ihres Gleichen suchte. „Du bist so alt. Du hast schon alles gesehen. Du hast schon alles gemacht. Alles“, Grell hob einen Zeigefinger: „Bis auf eine Sache.“ Mit einem Zusammenziehen meiner Augen deutete ich Grell weiterzusprechen. „Lieben“, er legte mit einem kleinen Lächeln den roten Schopf schief: „Du hast noch nie geliebt, Undertaker. Du hattest und hast echte Freunde gefunden. Du hattest etwas, was mit einer Familie vergleichbar war. Doch noch nie hast du geliebt.“ Ich konnte nicht verhindern, dass mir die Augen größer wurden. Der Sensenmann in Rot zeigte mit dem erhobenen Finger wieder durch das Fenster: „Der Sinn, den du suchst, der liegt da.“ Ich folgte ein zweites Mal Grells Hand auf Skylers schönen Anblick. Der gerade so kläglich und leidend wirkte. „Ich kann meine Bedürfnisse nicht über ihr Wohl stellen, Grell.“ „Wer sagt, dass du das musst?“, Grell pikste mir mit dem Zeigefinger ein paar Mal gegen die Schläfe: „Sie fühlt sich bei dir wohl. Ansonsten wäre sie an der Themse weggelaufen. Stattdessen hätte sie dich fast geküsst. Hätte sie etwas gegen dich, hätte sie dir ein paar auf die Fresse gegeben wärst du ihr so nahegekommen.“ Ich fing Grells Finger mit meinem ab und schaute mit den Augen zu ihm: „Sie weiß nicht einmal die Hälfte.“ Grell seufzte seicht: „Wer weiß das schon? Auch wir nicht und wir waren Ende 1800 mitten drin, statt nur dabei. Undertaker, was passiert ist, als du Adrian Crevan warst, interessiert zwar, aber wir können auch einfach Geschichtsbücher lesen und was 1800 passiert ist, hatte einen Grund und der war gar nicht so übel, auch wenn deine Methode sehr sehr grausam war. Du bist kein schlechter Typ. Du bist anders und eigen. Nicht perfekt und auch nicht rein. Aber du weißt das. Du siehst dich realistisch bis zu schlecht und jetzt wo Skyler schon anfänglich etwas weiß, sehen die anderen Offenbarungen vielleicht ganz anders aus.“ Etwas in mir wollte Grell unbedingt glauben. Etwas anderes erinnerte sich an Skylers panisches Gesicht. „Vielleicht“, seufzte ich: „Doch mit Skylers Seelenheil pokere ich nicht.“ „Natürlich nicht…“, machte der rote Reaper angestrengt: „Aber ich glaube was du tust ist für Sky auch nicht das Richtige.“ „Erkläre dich.“ „Ich glaube sie vermisst dich. Sie wollte, dass du heute noch einmal kommst, nicht ich. Ich weiß nicht wie du sie behandelst, aber ich bin mir sicher es tut ihr weh. Und dir auch.“ „Glauben ist nicht Wissen“, ich wischte mir durch mein Gesicht: „Und selbst solltest du richtig liegen. Es wird… besser, wenn ich endgültig verschwunden bin.“ „Oh, wird mir schlecht“, stöhnte Grell: „Erkläre trotzdem was das bitte heißen soll.“ „Wenn dieses komische Wesen fort ist“, ich seufzte durch die Nase. Auch dieses Gespräch war so anstrengend: „Übergebe ich es dem Butler nach dem Rechten zu sehen. Dann wird mich Skyler nicht mehr sehen“, den Blick auf der lieblichen Frau stockte meine Stimme. In den bitter heiß-kalten Schmerz mischte sich Wehmut. Etwas sträubte sich dagegen was ich sagen wollte auch nur zudenken: „Und irgendwann wird sie leben, als sei ich nie da gewesen.“ „Du denkst nicht wirklich man könnte dich vergessen, oder?“ Mein Blick wanderte zu Grell. Er hatte eine Augenbraue gehoben: „Das geht nicht. So jemanden wie dich vergisst niemand, egal wie er dir gegenüberstand. Entweder bist du der Grusel-Bestatter oder der ulkige Sonderling. Ob man dich mag oder fürchtet. Vergessen tut man dich nicht.“ „Skyler wird ihr Leben in den Griff bekommen“, ich schloss meine Augen: „Weil sie stark ist. Weil sie so viel überlebt hat und so unfassbar stark ist. Stark und unabhängig. Selbstständig und mit so vielen Talenten gesegnet. Irgendwann wird jemand bemerken wie faszinierend sie ist, dem nicht der Tod an den Fersen klebt. So, oder so.“ „Doch mit dir wäre sie glücklicher.“ „Ich weiß doch noch nicht einmal wie sie über mich fühlt.“ „Ich glaube sie hat dir an der Themse einiges erzählt.“ „Ihr standet also die ganze Zeit da oben.“ „Natürlich.“ „Aber ich bin ein Voyeur?“ „Ich habe nie gesagt, ich sei besser. Hat sie?“ „Sie hat… nicht das gesagt.“ „Hast du es ihr gesagt?“ „Nein.“ „Idiot.“ „Ich weiß.“ „Was ist dann passiert?“ „Viel, doch das Bezeichnenste war“, mein Blick fiel nach unten: „Sie weinte so viel. Ich weiß nicht recht warum, doch ich weiß, dass ich schuld daran war. Ein zweites Mal kann ich so etwas nicht verantworten. Ich kann sie kein zweites Mal verschrecken. Ich kann sie kein zweites Mal so zum Weinen bringen. Ich kann kein zweites Mal der Grund dafür sein, dass sie leidet. Doch es gibt mehr als nur einen Fakt über mich, der genau das bewirken würde. Es muss ein Ende haben.“ „Undertaker“, Grells Griff an meiner Schulter wurde fester: „Kannst du nicht einmal das Egoschwein sein, von dem du immer behauptest du wärst es?“ „Tehe“, entfuhr mir ein unauthentisches Lachen: „Sonst sagen immer alle ich solle mal ein bisschen Rücksicht nehmen.“ Grells Stirn landete auf meiner: „Du hast dich entschieden, oder?“ Ich nickte. Der rote Reaper krallte sich in meinen Pulli: „Du hängst dein Glück für ihres?“ Ich nickte. „Und ich kann nichts dagegen tun?“ Ich schüttelte den Kopf. „Was ist, wenn ihr etwas passiert? „Wird es nicht.“ „Weil du es verhindern wirst.“ „In der Tat.“ „Das ist Selbstfolter.“ „Ich weiß“, ich stockte kurz: „Doch ihr Leben ist im Endeffekt auch nur einen Wimpernschlag lang.“ „Das wird ein langer Wimpernschlag“, seufzte Grell: „Sie ist ein süßes Ding. Talentiert wie du schon sagtest. Du wirst nicht das einzige männliche Wesen sein, was das sehen wird.“ „Ich weiß“, das Grell den Gedanken aussprach, den ich nicht denken konnte, fachte diesen Schmerz in meiner Brust wieder an. Ich wiederstand dem Krampf, der daraufhin ein weiteres Mal folgen wollte. „Machst du weiter, auch wenn sie andere Lippen küsst?“ „Ich halte meine Versprechen“, ich schloss meine Augen: „Bis ins Grab.“ Grell legte eine Hand auf meinen Hinterkopf: „Ich bin bei dir. Länger als einen Wimpernschlag.“ „Ich weiß“, langsam öffnete ich meine Augen wieder: „Und du weißt gar nicht wie dankbar ich dir dafür bin.“ „Doch, das weiß ich“, Grell schwieg ein paar Herzschläge lang: „Wirst du irgendwann so leben können, als hättest du Sky nie getroffen?“ „Irgendwann“, denn irgendwann würde dieser Schmerz in den Hintergrund wandern. Wie jeder andere. Das ist die Heilung, die die Zeit verspricht. Irgendwann wird er nur noch in Momenten der nostalgischen Melancholie über mich kommen. Doch ich wusste… Ich würde nie wirklich aufhören sie zu vermissen.  Kurz nach diesem Gespräch war Grell vom Fensterbrett aus in ein Portal in den Reaper Realm gesprungen und verschwunden. Glücklich war sein Gesichtsausdruck nicht gewesen, doch er hatte das Gespräch nicht weitergeführt. Ich saß noch ein paar Minuten auf der Fensterbank, dann konnte ich den inneren Drang nicht weiter zurückhalten. Ich tippte mit dem Zeigefinger gegen den Rahmen. Das Fenster schwang auf und ich sprang hindurch. Nachdem ich hinter dem Schreibtisch gelandet war, schaute ich mich in ihrem Zimmer um. Es wirkte so furchtbar kahl und dadurch ziemlich kalt. Dunkles Holz und weiße Wände hatten nichts Heimeliges. Es war nichts zum Wohlfühlen. Ich war sicherlich kein Verfechter normaler Wohnsituationen. Schließlich besaß ich seit rund 200 Jahren noch nicht einmal mehr ein Bett und seit 161 Jahren war mein Wohnzimmer der Verkaufsraum meines Ladens. Doch selbst in meinem Verkaufsraum stand so viel herum, was zu mir persönlich gehörte: Fotos, Bilder, kleine Statuen, Talismane. Dinge, die ich selber gemacht oder geschenkt bekommen hatte. Selbst Innereien und Organe, die ich als besonders ansehnlich empfand, dienten mir als Dekor. Keine konservative Art von Dekor, aber Dekor. Ich hatte mich eingerichtet. Diese Räumlichkeiten gehörten unverkennbar mir. Skyler hatte dies nicht getan. Und Grell hatte sehr wohl recht damit, dass dies besorglich war. Hinter meinen Brillengläsern wanderten meine Augen durch die Nachtschwärze des Raumes, die mir nichts ausmachte. Ich suchte nach Etwas was ihr gehörte. Erst sah ich nur die Ecke eines alten Lederkoffers, der unter das Bett geschoben war. Doch ein paar Augenblicke später fiel mein Blick noch einmal auf den Nachttisch. Er war ein optisch dezenter, schmuckloser Holzkasten. Vorne war eine Tür mit einem halbrunden Fensterchen, darunter eine Schublade. Ich kniete mich davor, als meine Augen hinter der Glasscheibe etwas entdeckten. Dort saß ein kleiner Teddy. Beige und abgegriffen mit einer kleinen grünen Weste. Ich kam nicht drum herum mich zu fragen woher dieser Teddy kam. Er war definitiv schon einige Jahre alt. Ich erinnerte mich daran, dass viele Menschen das eine Stofftier behielten, welches sie als erstes nach der Geburt bekamen. War dies auch so ein Stofftier? Hinter der kleinen Glasscheibe wirkte es wie der einzige ausgestellte Gegenstand im Raum. Mit einem sanften Seufzen schloss ich die Augen. Irgendwie war es erleichternd wenigstens ein paarDinge zu finden, die definitiv zu Skyler gehörten. Als ich meine Augen wieder öffnete schaute ich auf die Schublade. Ich war natürlich neugierig was darin war. Doch genauso natürlich öffnete ich sie nicht. Da fiel mir plötzlich etwas ins Auge. Ich griff unter den Nachttisch und zog das Etwas hinaus. Als ich es vor mein Gesicht hielt, funkelte mir der Pentagramanhänger mit den 5 Malachiten, den ich für Skyler gefertigt hatte, entgegen. Es wunderte mich nicht, dass er achtlos unter dem Nachttisch lag. Doch versetzte mir sein Anblick einen herben Tritt. Denn ich erinnerte mich, wie ich ihn ihr wiedergegeben hatte. Ich hatte ihn auf eine neue Kette gefädelt, nachdem Hannah die Alte zerrissen hatte. Ich hatte ihn ihr über die Hand gestreift, als sie in Panik an mir vorbei aus meinen Laden lief. Sachte legte ich die Kette vor die roten Zahlen des digitalen Weckers. Dann drehte ich mich zu Skyler. In ihrem Gesicht stand ein so unfassbar angestrengter Ausdruck. Bevor ich darüber nachgedacht hatte fuhr ich ihr mit meinen Fingern durch die weichen Haare. Ich vermisste sie. Es war erstaunlich wie sehr man jemanden vermissen konnte, obwohl man ihn täglich sah. „Under…“, nach meinem halben gemummelten Namen presste sie gequält die Lippen zusammen. Sky drehte sich auf den Rücken, zuckte noch ein paar Mal mit dem Kopf hin und her: „Under… Aua…“ Mir verkrampfte sich der Magen, als sie wieder einen Schmerzenslaut nach meinem Namen von sich gab. „Nur noch ein bisschen, meine Schöne“, ich strich mit dem Knöchel meines Zeigefingers über die weiche Haut ihrer etwas eingefallenen Wange: „Dann tue ich dir nie wieder weh…“ „Nein!!“, schnellte sie schrill schreiend wieder in den Sitz. Ich sprang über den Schreibtischstuhl aus dem Fenster auf die kleine Fensterbank und wandte mich noch einmal um. „Schon wieder“, hauchte sie selbst für mich kaum hörbar und fuhr sich durch die Haare. Dann zog sie ihre Knie heran, schlang ihre Arme darum und vergrub ihr schönes Gesicht. Sie litt, das war offensichtlich. Es war nur leider nicht so offensichtlich warum. Ich ging näher an das Fenster. War es wirklich, weil sie mich auch vermisste? Oder hatte ich ihrer Angst einfach nur endgültig mein Gesicht gegeben, welches sie jagte und um den Schlaf brachte? Es gab Anzeichen für beides. Es war so konfus. So kompliziert. Und die Lösung lag genauso fern. Diese Nacht blieb Skyler einsam. Amy kam nicht durch die Türe gestürzt, was mir verriet, dass auch die Phantomhive einen bitteren Kampf gegen die Schlaflosigkeit focht. Ansonsten hätte sie ihre spitzschreiende Freundin nicht allein gelassen. Irgendwann hob sie ihren Kopf und stützte ihn auf ihre Arme. Nachdenklich fiel er zur Seite. In ihrem hellen Blau standen so viele Gedanken, doch ich konnte keinen davon entziffern. Nach ein paar weiteren Minuten raufte sie sich verärgert die Haare. Meine Augenbraue wanderte nach oben. Sie ärgerte sich. Wahrscheinlich darüber wieder aufgeschreckt und unausgeschlafen zu sein. Dann wanderte ihr Kopf zum Fenster. Sie blinzelte es eine ganze Weile sehr verwirrt an. Natürlich. Sie hatte ja auch keine Ahnung, dass ich davor saß und eben noch durch ihr Zimmer geschlichen war. Sie wäre auch sicherlich alles andere als begeistert gewesen, dass ich ihre Privatsphäre so mit Füßen trat. Doch was war, wenn ihr nachts etwas passierte? Und immer wenn ich sie so schlecht schlafen sah, überkam mich das Gefühl etwas tun zu müssen. Doch ich konnte einfach nichts für sie besser machen. Ich wurde immer wieder als eines der stärksten noch lebenden Wesen deklariert. Doch eigentlich war ich so vielen Dingen gegenüber vollkommen machtlos. Dem Tod gegenüber. Und gegenüber ihrem Schmerz. Schließlich krabbelte sie zögerlich aus dem Bett und fing so stark an zu husten, dass sie sich auf ihre Knie stützte. Meine Augen zogen sich zusammen, als sie eine Weile angestrengt tief durchatmete und sich dann wieder aufrichtete. Kam auch das vom Schlafmangel? Husten? Andererseits hustete man hin und wieder einfach mal. Man verschluckte sich oder hatte ein Kratzen in der Lunge. Als sie schließlich vor ihrem Schreibtisch stehen blieb musterte sie skeptisch das Fenster. Wieder segelten viele Gedanken durch ihr Himmelblau. Sie stand genau vor dem Fenster. Ich hätte meine Hand nicht ganz ausstrecken müssen, um ihre Wange zu berühren. Sie sah durch mich hindurch, dachte ich sei gar nicht da und sie ganz allein. Nichts in mir wollte sie alleine lassen. Ich musste aus ihrem Leben verschwinden. Offensichtlich. Doch der vollkommen irrationale Teil in mir, wollte an dem Versprechen festhalten sie zu beschützen. Ich merkte wie ich Gefahr lief, mich in diesem Versprechen zu verrennen. Doch was war, wenn ihr wirklich etwas passierte? ‚Aber du versuchst die Wesen, die dir wichtig sind, so lange am Leben zu halten, wie es nur irgend möglich ist.‘ Ich hatte doch sonst keine Wahl. Früher, oder später musste ich jeden ziehen lassen. Hatte ich dann nicht wenigstens das Recht es auf später zu verlegen? Diese Frage ließ mich leiden. Der Gedanke, dass alle, auch sie, gehen werden ließ mich leiden. Ich hatte den Punkt des innerlichen totalen Elends erreicht. Ich fühlte mich Himmel hoch seufzend einsam. Meine Hand zuckte nach oben. Zuckte nach oben auf der Suche nach der tröstenden Wärme ihrer Wange. Doch auf halbem Wege verkrampfte ich nur meine Finger und zog sie zurück. Und da griff Skyler auch schon das Fenster, schloss es vor meiner Nase und zog die Gardinen vor. Ein kleines Stück ließ ich sie auseinander hüpfen. Ich sah wie sie zurück ins Bett stieg und sich auf die Seite drehte. Dann streckte sie ihre feine Hand aus und griff nach dem Anhänger, den ich ihr dort hingelegt hatte. Wenn schon fraglich war, wie weit ich sie noch beschützen konnte, sollte wenigstens er es tun. Sie hob ihn an. Beschaute ihn eine Weile überlegend, sich sicherlich fragend, wie er dort hinkam. Dann schloss sie die Faust darum und zog ihn an sich. Diese Geste verstand ich nicht. Ich würde so gerne wissen, was sie dabei dachte. Vielleicht hätte es etwas Erlösendes für mich. Doch auch diese Erlösung würde verrauchen in Anbetracht der Tatsache, dass ich sie bald nicht mehr sehen würde. Skyler schlief irgendwann wieder ein. Als ihr Wecker klingelte war die Fensterbank wieder so verlassen, wie sie immer gewirkt hatte. Ich seufzte, als ich zurück in meinen Laden kam. Doch hatte ich für weiteres Trübsal die ersten Minuten nachdem ich durch das Hinterzimmer in meinen Verkaufsraum getreten war keine Zeit. Denn etwas wild Kreischendes und Flatterndes hing mir vollkommen ohne Vorwarnung mit einem Mal mitten in meinem Gesicht. „Neeeeeeh! Merkenau!“, ich tapste vollkommen blind durch die Gegend. Nicht, dass dies eine große Abweichung zum allgemein vorherrschenden Status quo darstellte: „Was tust du?!“ Panisch kreischte mir die kleine Krähe entgegen. Ich fand es ja schon bemerkenswert, dass er die Höhe bis zu meinem Gesicht geschafft hatte, allerdings bekam er für die Landung definitiv Abzüge in der B-Note! „Jau, jau, jau! Merkenau!“, er kratzte mir durchs Gesicht und fand trotzdem keinen Halt: „Hör auf so rumzuflattern dann kann ich dir helfen!“ Der Rabe schrie mich weiter an und kratzte mir heftiger durch mein Gesicht. Ich griff ihn am Nackengefieder. Mich ergriff auch das Gefühl, es handelte sich nicht um einen misslungenen Flugversuch. Der kleine Rabe griff mich an! „Hey!“, ich zog ihn aus meinem Gesicht: „Kleiner Mann, was soll das?“ Merkenau blinzelte mich an. In den hektischen Vogelaugen sah man die Erkenntnis, dass ich es war der vor ihm stand, förmlich aufgehen. Auf einmal strampelte und krächzte er ganz aufgeregt. Er flatterte alarmierend mit den Flügeln. „Was ist passiert?“ Merkenau krächzte weiter. Das kleine Tier wirkte verstört und vollkommen aus dem Häuschen. Ich setzte ihn behutsam auf den Tresen. Doch er hüpfte sofort ans andere Ende und faltete seine Flügel auf. „Hey hey hey! Keine Helden…!“, da segelte er auch schon - noch ein bisschen schief und mit zu viel angestrengtem Geflatter - Richtung des Fensters, welches am nächsten an der Eingangstür war: „…Taten… Ehehe! Das war gut!“ Der Rabe hatte mächtige Fortschritte gemacht! Er landete noch ein wenig unbeholfen auf dem Sarg davor. Kaum sah ich wovor genau er sitzen blieb verstand ich sein Problem prompt. Missbilligend zog ich die Augen zusammen, als ich ihm nach zu meinem Fenster ging. Oder dem, was davon übrig war. „Du brauchst nichts mehr sagen, mein kleiner Freund“, behutsam kraulte ich ihn am Kopf: „Ich habe verstanden.“ Und ich war nicht begeistert. Mein Fensterglas hing nur noch in einzelnen Bruchstücken im Rahmen. Der Rest lag vor meinen Füßen auf den Boden. Der Rahmen und ein großer Teil der Wand waren kohlrabenschwarz verrußt. Durch das Loch in meiner Wand sah ich auf einen Teil eines großen Spinnennetzes. Ich schaute durch meinen Laden. Abgesehen von meinem Fenster war alles wie gewohnt. Es wirkte nicht, als habe jemandmeinen Laden durchsucht und dann alles wieder zurückgestellt. Vor allem: Warum sollte er mir so überdeutlich deutlich machen, dass er hier gewesen war, aber dann innerraumes seine Spuren verwischen? Ich ließ von Merkenau ab und ging auf mein Fenster zu. Dort beschaute ich die oberste Strebe. Sie war am meisten verbrannt. Ich rieb mit dem Finger darüber. Unter dem Ruß kam mein in silberne Streben gesetztes Sator-Quadrat wieder zum Vorschein, wo in jede Strebenkreuzung ein Türkis eingesetzt war. Ein gewinnendes, fieses Lächeln erschien kurz auf meinem Gesicht: „Na, mein ungebetener Freund? Finger verbrannt? Ehe he he he!“ Tja. Wenn er dachte, er käme so einfach in meinen Laden, musste er danach halt Brandsalbentuben zählen! Doch Merkenau hatte der Dämon böse erschreckt. Der Rabe starrte auf das Fenster und sah aus wie eine Statue. Dass er noch kein reinweißes Federkleid aufgrund des Schreckens hatte war erstaunlich. Ich tätschelte den Raben noch einmal und setzte ihn auf den Tresen. Mit einer Hand legte ich ihm ein paar Kekse auf die Tischplatte: „Das war sicher ziemlich aufregend. Aber keine Sorge! Kihihihihihihi! Hier kommt nichts Übernatürliches rein, was nicht von mir eingeladen wird! Ich gehe kurz etwas nachschauen.“ Merkenau krähte mir nach. Ich zwinkerte ihn noch einmal ermutigend zu, schloss meine Eingangstüre auf und trat hinaus. Gleichzeitig hörte ich Schritte in den Gassen. Doch diese Schritte kannte ich. Von daher ignorierte ich sie vorerst. Ich ging durch bis zum gegenüberstehenden Haus und stemmte meine Fäuste in die Hüfte, als ich meine Außenmauer sah. Ich war versucht meine Brille aufzusetzen und merkte erst beim zweiten Gedanken daran, dass ich sie schon trug, so wenig glaubte ich im ersten Moment dem Anblick meiner Fassade. Doch dann konnte ich mir lautes Lachen nicht verkneifen: „Gwahahahaha! Fantastisch! Buhahahahaha! Dieser kleine Spinner!“ Diese kleine Mistkröte von Spinnendämon hatte mir einmal meine ganze Hausfassade eingewebt! In meinem Kopf lief bildlich ab, wie sich der Herr Meisterdieb bei dem Versuch bei mir einzusteigen erst mächtig die langen Finger verbrannt und dann im Bestreben seine hilflose Wut zu löschen meine Hausfassade umdekoriert hatte! „Ni hi hi hi! Herrlich! Muhahahahaha! Eigentlich ganz mein Stil, aber ein wenig zu dick aufgetragen! Hehehehe!“, ich fing lauter an zu lachen und hielt mir den Bauch: „Nehehehehe! Du hättest ein ‚Von: - An:‘-Schildchen dranhängen können! Puhuhuhuhuhu! Der Teufel steckt doch im Detail! Kehehehehe! Oder was meinst du, Fred?“ „Ich meine, Halloween ist vorbei.“ Ich wandte mich zu dem jungen Phantomhive, der neben mir stehen blieb: „Ich weiß, gihi!“ Fred beschaute erst meine Fassade und dann mich: „Von Claude für Undertaker?“ „Tihihi! Exakt!“ „Und warum diese… exorbitante Geste?“ „Frag ihn“, ich machte eine weite Bewegung mit den Armen: „Fuhuhuhu! Ich habe dochkeine Ahnung, warum er bei mir einbrechen wollte!“, was nicht hieß, dass ich nicht eine sehr genaue Vermutung hatte: „Arbeitet dein werter Vater gerade an etwas?“ „In der Tat“, machte Fred: „Doch ich bin nicht informiert. Ich habe Klausurphase an der Uni und bin außen vor. Vorerst.“ Ich grinste Fred an: „Freiwillig?“ „Halb“, er seufzte: „Sagen wir, ich verstehe die Logik und beuge mich ihr.“ „Wie weise. Ni hi hi.“ „Weißt du woran Vater arbeitet?“ „Woher? Wu hu hu! Er war noch nicht bei mir.“ „Was nicht heißt, dass du nicht schon jemand in deinem Laden haben kannst, der dir alles geflüstert hat. Jemand, von dem Claude auch etwas geflüstert haben will.“ Ich grinste breiter: „Oder mit dem er schon geflüstert hat. Iiih hi hi hi hi!“ Ich erinnerte mich, dass der Fundort meines neusten Gastes White Chapel gewesen war. Und in White Chapel hausten momentan wohl auch diese neuen Emporkömmlinge der Aurora Society. Wenn Grell und ich recht spekulierten, hingen der Dämon und sein kleiner nerviger Meister ja vielleicht sogar dort mit drin. Ich kicherte amüsiert in meine Hand. Nicht, dass mein neuester Gast ein Gast war, von dem der kleine Earl Trancy nicht wollte, dass ich ihn hatte. Vielleicht wollte es auch Aurora nicht. Doch zumindest letztes Mal hatten mich die Mitglieder dieses neuen Kultes noch nicht als das erkannt, was ich damals für Aurora gewesen war. Allerdings könnte sich das mit dem kleinen Trancy an der Hand auch irgendwie geartet geändert haben. Es blieb also spannend! „Was weißt du?“ „Ah ah ah!“, ich wackelte mit einem Zeigefinger: „Meine Lippen sind verschlossen, bis ein erstklassiges Lachen sie mir öffnet. Du kennst die Geschäftsbedingungen! Ki hi hi hi!“ Fred verdrehte die Augen: „Ist ja gut“, dann schüttelte er den Kopf: „Das ist eine riesen Sauerrei.“ Ich verschränkte die Arme: „Mein kleineres Problem. Das eingeschlagene Fenster und mein in Mitleidenschaft gezogener Fensterrahmen ist da problematischer.“ Fred machte sich auf Richtung Tür: „Ich frage mal Vater, ob er Sebastian beauftragen kann dir zu helfen.“ „Himmel, nein!“, ich ging kichernd hinter ihm her: „Ki hi hi hi! Lass mir die Höllenbrut aus dem Haus! Ich erledige das fein selbst.“ „Wer nicht will, der hat schon.“ Ich schloss die Tür hinter mir. Fred stand vor dem immer noch recht verschreckten Merkenau, der sich beim Auftauchen des weiteren Fremden in sein Nestkörbchen verzogen hatte: „Was hat das Tier?“ „Kihihi! Claude gesehen.“ „Alles klar. Ist das Merkenau?“ Ich nickte. Meine Augen wanderten kurz zur Eingangstür. Jemand stand davor, kam aber nicht hinein. Aber auch dieser Jemand war keine Gefahr. Also ging ich durch die Türe in meine kleine Teeküche und kam wenig später mit drei Teebechern zurück. Fred lehnte,Arme verschränkt, auf dem Tresen und durchsuchte meinen Laden mit den königsblauen Augen. Ich setzte mich auf meinen Stuhl und reichte ihm seinen Becher: „Hier fehlt nichts. Ih hi hi hi! Claude ist nicht reingekommen.“ Fred nahm seinen Becher an: „Warum macht er sich die Mühe dein Fenster einzuschlagen, sogar deinen Fensterrahmen anzuzünden und geht dann nicht rein?“ Ich zeigte auf das kleine Quadrat in der oberen Fensterstrebe: „Er konnte nicht. Ki hi!“ Fred folgte mit dem Blick meiner Hand und zog die Augen zusammen. „Na, geh und schaue! Lerne etwas. Ni hi hi!“ „Oh, eine kostenlose Lehrstunde von Meister Undertaker“, Fred stellte seinen Becher zur Seite, stieß sich von der Tischplatte ab und ging zum Fenster: „Da sagt man doch nicht nein.“ Ich merkte wie ein gefälliges Lächeln auf meinem Mund erschien. Umso mehr Handwerkszeug die Menschen hatten sich zu schützen, umso besser war es. Da verteilte ich auch gerne die eine oder andere Lerneinheit gratis. Doch Freds Wissensdurst gefiel mir, weil mir Neugierde gefiel. Weil konstruktiv neugierige Menschen, die sich so gut im Griff hatten besonders waren. Und schließlich wollte ich, dass diese besonderen Menschen solange wie möglich blieben… Mit zusammengezogenen Augen krempelte sich der Erbe der Phantomhives die Ärmel seines weißen Hemdes hoch, welches wie immer in einer dunkelblauen Jeans steckte und rieb das Quadrat weiter frei. Dann versuchte er es zu entziffern: „Sa… Sator… Arep… Arepo…“ „Sator Arepo Tenet Opera Rotas“, schmunzelte ich: „Ein ‚Sator-Quadrat‘.“ Fred schaute mich eine Augenbraue erhoben die Andere heruntergezogen an: „Das ist?“ „Ein Satzpalindrom. Man kann es horizontal und vertikal, vorwärts und rückwärts lesen.“ Fred schaute wieder einige Zeit auf das Quadrat: „Stimmt. Da steht immer dasselbe, egal wie man es liest. Sator Arepo Tenet Opera Rotas …“, der junge Mann überlegte kurz angestrengt: „Ich kann Latein, aber…“ Ich lachte auf: „Fuhu! Dieses kleine Ding da stammt aus den ersten hundert Jahren nach Christus. Das wird schwer zu entziffern.“ Er schaute wieder auf das Zeichen: „Was steht denn da?“ „Ki hi hi. Da scheiden sich die Geister.“ „Du hast das Ding in Silberstreben über deinem Fenster und weißt nicht was es heißt?“ „Kihihi! Nicht genau. Das hat sich jemand anderes ausgedacht.“ Fred drehte sich um: „Wer?“ Ich hob meine Hände: „Ich weiß nicht. Ich kann dir nur sagen es ist ein Satzpalindrom und zudem ein sehr starkes Schutzzeichen. Also wahrscheinlich ein gesegneter, oder ein verfluchter kluger Mensch. Ehehehehe! Es gibt verschiedene Versionen was dort stehen könnte.“ Fred hob kopfschüttelnd eine Hand: „Ernsthaft?“ Ich kicherte: „Ni hi hi. Mir persönlich ist was da steht doch vollkommen egal. Es funktioniert! Kihihi!“ „Als Schutzzeichen.“ „Ehihihi! Genau!“ Fred zeigt auf das Sator-Quadrat: „Kam Claude deswegen nicht hier rein?“ „Exakt. Ih hi hi!“ „Deswegen so schick? Mit Silberstreben, Türkis und brauner Tinte?“ „Silber und Türkis sind Materialien, denen man schützende und reinigende Eigenschaften zuspricht“, grinste ich: „Aber das ist keine Tinte.“ Fred kam wieder zu mir und schaute mich an: „Was ist es dann?“ Ich grinste weiter: „Wu hu hu hu! Blut.“ Fred wurde bleicher. „Wessen Blut?“, fragte er nach ein paar verstörten Sekunden. Ich lachte laut auf: „Ahehehehe! Atmen, Fred! Es ist mein eigenes.“ Fred schüttelte seine Hände aus: „Gut. Ok. Das ist… beruhigend.“ „Hast du für mich nur die Kategorien ‚Beruhigend‘ und ‚Unberuhigend‘?“ „Die Hauptkategorien“, er lächelte kurz. Dann seufzte er: „Hat Claude dein Fenster angezündet um das Zeichen auszubrennen? Warum hat es nicht funktioniert?“ „Nein, das Zeichen ist in Flammen aufgegangen, als Claude hindurch wollte“, ich lachte dunkel: „He he he. Frederick, denkst du irgendetwas oder irgendjemand kommt hier hinein, ohne dass ich es so will?“ Fred schwieg wieder kurz. Dann schüttelte er schnell den Kopf: „Nein. Nein, denke ich nicht. Wäre schön zu wissen was er wollte.“ „Kihihi! Du kannst ja bei Oliver durchklingeln und nachfragen“, ich drehte meinen Kopf zur Tür: „Ni hi hi. Möchtest du auch einen Tee, Lee?“ Schließlich stand er da draußen ja jetzt schon eine ganze Weile. Der Asiate streckte mit winkender Hand den Kopf durch die Tür: „Nǐ hǎo!“ Fred seufzte: „Hi.“ „Hallo Lee“, grinste ich: „Warum stehst du vor meiner Türe?“ „Hab‘ deine schicke Halloweendeko bewundert. Leider etwas spät, denkst du nicht?“ Ich legte den Kopf schief: „Du hast lang genug gelauscht, dass ich darauf nicht noch einmal antworten brauche. Te he he.“ „Stimmt“, Lee schüttelte den Kopf und nahm einfach Freds Becher von dem Tresen: „Frecher, kleiner Dämon.“ Fred haute Lee vor die Schulter und deutete mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck auf den Becher. Doch Lee belachte es nur und nahm einen Schluck, worauf Frederick genervt den Kopf schüttelte. Ich lachte wieder auf. In mir war diese tief kalte Grundstimmung. Ich fühlte sie, unabdingbar, obwohl ich doch ein wenig Amüsement und etwas zum Lachen gefunden hatte. Dieses Gefühl war einfach immer da. Doch ich schaffte es, es zurück zu drängen: „Ni hi hi hi. Er bekam was er verdiente.“ Lee lachte auch: „Und war augenscheinlich nicht erfreut.“ „Denkst du?“, grinste ich. Lee lehnte sich an den Tresen und hatte ein Unheil beschwörendes Lächeln im Gesicht: „Es könnte eine Warnung sein. Ein ‚Du bist mir ins Netz gegangen‘.“ „Oder die Tobsuchtreaktion eines Dämons, dem ich den Hosenboden angeflämmt habe, ohne überhaupt körperlich anwesend zu sein. Ehehehehehe!“ „Naja“, Lee schüttelte lachend den Kopf: „Wenn es dein eigenes Blut war, warst du ja schon irgendwie körperlich anwesend. Ein fieser Trick, Takerchen.“ Ich kicherte dunkel: „Ni hi hi hi. Wer denkt, ich sei nicht fies, denkt falsch.“ „Oh ja“, Lee nahm einen Schluck Tee und Fred schüttelte nochmal den Kopf. Ich gab ihn die dritte Tasse, süßte dann meinen eigenen und trank einen tiefen Schluck. Dankend nickte der Phantomhive, trank und schaute seinen besten Freund beleidigt an: „Hast du es dabei?“ Lee zog ein kleines quadratisches Kästchen aus seinem reinweißen Yakuzajackett: „Bimmel lingel ling!“ Er warf es mir zu. Ich fing es mit einer Hand. Auf der Schachtel stand »Samsung Galaxy S4«. „Ah!“, machte ich und nickte grinsend in Lees Richtung: „Ich danke. Ke he he!“ „Mein altes Handy“, grinste Lee zurück: „Lag noch bei mir herum. Sehe es als Einstand in die moderne Welt.“ „Wie gönnerhaft. Ki hi hi. Ich danke noch mehr.“ „Bitte bitte“, Lee stellte den Becher ab und nahm mir die Schachtel wieder aus der Hand: „Ich hab‘ schon alle Apps aufgespielt, die du brauchst.“ „Ni hi! Das können ja nicht allzu viele sein“, grinste ich. Lee schüttelte den Kopf, während er das Handy auspackte: „Nein, waren es wirklich nicht. Whatsapp ist drauf und Funtomtalk. Ich glaube mehr brauchst du nicht.“ Ich hob die Hände: „Was auch immer das ist.“ Fred reichte Lee eine kleine Karte: „Whatsapp ist ein Chat. Also ein Programm um sich gegenseitig Nachrichten zu schreiben. Meistens einer zu einem. Man kann damit auch zum Beispiel Fotos, Videos und Musik versenden. Funtomtalk ist dasselbe, nur sind da die Nobelmänner und die Reaper alle in einem Chat und können jederzeit alles nachlesen. Klar soweit?“ Ich drehte einmal den Kopf: „Habe ich noch gerade so verstanden. Kihi!“ Lee legte die kleine Karte hinten ein und schaltete das Handy ein: „Fred hat dir einen Vertrag besorgt. Wird monatlich abgebucht. Wunder dich also nicht.“ „Ok“, machte ich. Wenigstens hatte ich so mal wieder eine weitere Verwendung für das ganze Geld, was ich seit Jahren hier herumfliegen habe. Dann drückte mir Lee das Handy in die Hand und die beiden jungen Männer standen auf einmal hinter mir. „So“, machte Lee und griff mein kleines Telefonbuch: „Dann richten wir mal ein.“ Das sagte Lee so kurz… dabei dauerte es so lange! Fred wollte sich ganz in meinem Sinne an das nötigste halten. Doch Lee zwang mich noch so komisches vollkommen nebensächliches Zeug wie ein Hintergrundbild und einen Klingelton auszusuchen. Nachdem auf dem komischen kleinen Fenster ein kleiner Friedhof leuchtete und dieses unsägliche Ding in den drei Klingeltönen klingeln konnte, die am wenigstens Tinnitus verursachten dachte ich, ich sei fertig. Nein. War ich nicht. Dann führten mich die Jungen in die Feinheiten des modernen ‚Chattens‘ ein. 2 Probleme: Ich musste irgendwie um meine Fingernägel herum auf der glatten Glasscheibe herum tatschen. Diese ominöse ‚Autokorrektur‘ tat streckenweise komischere Dinge als ich! Zumindest schrieb sie nur allzu oft Wörter, die ich definitiv nicht schreiben wollte. Innerlich hatte ich also schon mehr als 2 Augenbrauen hochgezogen. Aber ich hatte mich selbst in diese Bredouille gebracht, also musste ich jetzt schleunigst mit diesem kleinen Ding zu Leben lernen. Nach einer Stunde richteten sich die Jungen hinter mir auf. „Das müsste alles sein!“, klopfte mir Lee auf die Schulter. „Hmhm“, summte ich durch meine Lippen und schaute geistesentleert gerade aus. „Lief doch ganz gut“, ging auch Fred wieder vor meinen Tresen. „Hmhm“, schob ich wieder durch meine Lippen und schaute immer noch auf denselben nicht existierenden Fixpunkt. Es war alles andere als kompliziert, doch wenn man vorher fast keine Berührungspunkte damit gehabt hatte, bediente es sich doch recht ungewohnt. Auch rang ich noch mit meiner eigenen Aversion, so ehrlich musste ich schon sein. Lee lachte auf: „Du siehst echt nicht begeistert aus.“ Ich lächelte schief und wedelte mit dem Handy: „Alles Gewöhnungssache, ih hi hi.“ „Stimmt“, machte Fred: „Du gewöhnst dich da schon dran.“ „Sicherlich“, fiel mein Kopf zur Seite. „So“, Lee zählte auf und schaute Fred an: „Telefonbuch ist voll. Whatsapp und Funtomtalk sind erklärt. SMS und Anrufe auch. Aufladen haben wir erklärt. Google auch. Wikipedia auch. Einstellungen auch. Tastensperre auch. Kamera und Galerie auch. An- und ausmachen, so wie Pin und Puk. Was vergessen?“ Fred schüttelte den Kopf: „Nein, müsste alles sein.“ Ich grinste die jungen Männer an: „Ich danke euch. Hi hi.“ „Kein Ding“, Lee wandte sich zum Gehen: „Wenn du noch Fragen hast, schreib mir ‘ne Whatsapp!“ „Ki hi hi. Mache ich.“ „Nimm es auch mit“, Fred ging Lee hinterher: „Und höre drauf. Lass es wenigstens auf Vibration in der Hosentasche, wenn die Töne für dich alle so nervig sind. Ansonsten nutzt es dir nichts.“ Ich hob einen Finger: „Wie geht das?“ Wenn es die Möglichkeit gab, das Gebimmel wenigstens nicht hören zu müssen, sähe die Sache schon um einiges besser aus! Fred seufzte, schob einmal seinen Finger über den Bildschirm, sodass diese komische schwarze Klappe sich runterschob und tippte auf das Bild eines kleinen Lautsprechers, um den herum ein paar zackige Linien erschienen. Es vibrierte einmal in meiner Hand. „So vibriert es nur“, Fred tippte noch einmal und der Lautsprecher wurde durchgestrichen: „So macht es wieder Ton, noch vibriert es“, er tippte nochmal, es vibrierte, machte einen hellen Laut und der Lautsprecher sah normal aus: „So macht es Töne und vibriert.“ Ich tippte auf das kleine Symbol und es vibrierte wieder kurz in meiner Hand: „So?“ Fred nickte: „Richtig. Siehst du? Geht doch.“ Ich wackelte mit einem Zeigefinger: „Auf Bildchen drücken kann ich. Ehehehehehe!“ Lächelnd schüttelten die beiden jungen Männer synchron den Kopf. Mir wurde plötzlich gewahr, dass Frederick und Lee schon erwachsen waren. Wie die Zeit verflog… „Wird schon“, macht Fred: „Wir gehen wieder und lassen dich mal in Ruhe abschmücken.“ „Danke, die Herren“, lachte ich zurück, nicht verwundert keine Hilfe von den beiden Goldjungen angeboten zu bekommen. „Ich schmeiß dich bei Funtom rein“, Lee winkte: „Also mache dich bereit! Bald bekommst du deine ersten Nachrichten!“ Mit einem letzten Abschiedswort verschwanden die Beiden aus der Tür. Ich drückte auf den Knopf, den Fred mir gezeigt hatte und der Bildschirm wurde schwarz. Ich stand auf und steckte das kleine Ding in die Hosentasche. Mehr damit beschäftigen wollte ich mich nicht, auch wenn es schon ganz interessant gewesen war. Die Menschen haben sich einiges ausgedacht, um sich das Leben leichter zu machen, auch wenn es erst alles ein bisschen wuselig wirkte. Doch ich war guter Dinge auch dieses neumodische Mysterium irgendwann gemeistert zu haben. Mögen tat ich es trotzdem nicht. Ich ging nach draußen und beschaute meine drangsalierte Fassade. Der Gedanke an Claudes Wut ließ mich noch einmal lachen. Ich sprang vom Boden ab und in Windeseile verstaute ich kiloweise Spinnenweben in meiner schwarzen Mülltonne, die danach bis zum Rand gefüllt war. Ich klopfte mir die Hände an der Jeans ab und zupfte mir etliche kleine Spinnenweben von der Garderobe, da vibrierte es in meiner Hosentasche. „Und es geht los“, seufzt-schmunzelte ich und ging durch die Hintertür zurück in meinen Laden. Es zog ein wenig durch das kaputte Fenster, doch nachdem ich mir einen Tee gemacht hatte und auf meinem Stuhl hinter meinen Tresen mein neues kleines Spielzeug aus der Hosentasche zog, interessierte mich dies nicht. Ich setzte meine Brille auf, legte die Füße auf meine Tischplatte und schaute auf den Display. Eine kleine Nachricht verkündete mir, dass ich zu der ‚Funtomtalk‘-App hinzugefügt wurde. Ich tippte drauf, gab meine 4 Zahlen Passwort ein und war fast erleichtert, als das Handy tat was ich wollte, dass es tut. Ich schaute zu Merkenau, der immer noch etwas gebeutelt aus seinem Nest blinzelte: „Ich hab‘s verstanden. Nihi!“ Merkenau krähte einmal. „So unwahrscheinlich war das gar nicht!“ Merkenau zog seinen Kopf zurück ins Nest. Giggelnd schüttelte ich den Kopf und las eine Konversation zwischen Grell und Ronald, die auch gesprochen 1:1 so hätte ablaufen können. Irgendwann schaltete sich Fred und Lee ein. Die 4 Jungspunde diskutierten kurz über die Aktualität meines Geräts. Ich fand es ja aktuell genug! Ich hatte die etlichen Symbole im Menü, mit denen ich kaum etwas anfangen konnte, wohl gesehen, doch gekonnt ignoriert. Außerdem wollte ich nur erreichbar und nicht ‚Topaktuell‘ sein. Das war ein Bestreben, das ich wirklich nicht hatte! Dann forderte mich Lee auf etwas zu schreiben. Ich zuckte mit den Schultern und schob mir einen Keks halb in den Mund. Ich klickte auf die weiße Textzeile und die Tastatur erschien auf der unteren Bildschirmhälfte. Ich zielte mit meinem Zeigefinger auf einen Buchstaben… … und wurde von meinem Fingernagel abgelenkt. Ich traf allerdings irgendetwas von dem ich nicht wusste was es gewesen war. Doch auf jeden Fall wusste ich, dass nun etwas anders war und zwar nicht so wie ich es brauchte. Trotz Keks klappte mein Mund ein kleines Stück auf, während ich blinzelnd die ganzen komischen kleinen Zeichen auf dieser komischen kleinen Tastatur beschaute. „Was sind das für Zeichen?!“, fragte ich verwirrt laut mich selbst, wenig elegant an dem Keks vorbei: „Wo sind meine Buchstaben?!“ Ich tippte mal hier mal dort. Mein Handy schrieb ganz viele drollige Symbole… …doch meine Buchstaben fand ich nicht wieder. „Fantastisch“, mein Kopf kippte hinten über die Lehne und ich schaute gegen die Decke. Dann reckte ich eine Hand nach oben: „Ich habe meine Buchstaben verloren!“ Was wahrscheinlich ein Geniestreich sondergleichen war. Meine Hand fiel geräuschvoll auf meine Augen. Doch ich hatte wirklich keine Ahnung, wo meine Buchstaben hin waren! Ich hob meine Hand ein Stück und lugte mit einem Auge auf den Chat auf meinem Handy was doch nicht das tat, was ich von ihm wollte. Ronald und Lee hatten sich kurz bekriegt. Dann hatte Grell das Wort an mich gerichtet und fragte nach einem Lebenszeichen. Da ich keine Ahnung hatte was ich nun tun sollte, schickte ich einfach ein paar der mir mittlerweile recht sympathisch vorkommenden Symbole in den virtuellen Plauderkasten und wartete darauf, dass einem an einem anderen Ende ein Licht aufging und man mich erlöste. Denn wo ich sonst noch nach meinem Buchstaben schauen sollte wusste ich nicht. Es dauerte ein wenig, aber nach wiederholten verwirrten Nachfragen, schickte ich weitere kleine Zeichen los. Etwas anderes konnte ich ja nicht tun! Eine schnippische Bemerkung von Frank. Mit einem kleinen weiteren Rudel Zeichen gönnte ich sie ihm und musste schon ein wenig kichern, dass alle mit mir auf dem Schlauch zu stehen schienen. Doch. Ich kicherte ein wenig mehr auf meinem Stuhl umher. Eigentlich war dieses ‚Chatten‘ ganz lustig! Als ich vom Kichern auf mein Handy schaute, verschlug es mir das prompt. Denn ich hatte eine Nachricht bekommen, mit der ich nie gerechnet hätte: – Sky [11.11.15; 09:19] ...Undertaker? – Jetzt blinzelte ich öfter und schneller und noch irritierter, als vorher: ‚Sky ist auch hier?‘ Und sie schrieb mir? Es schien so. Immerhin stand in der kleinen Sprechblase ihr Name und das kleine Bild daneben zeigte definitiv das junge hübsche Ding. Es war ein süßes Foto. Sie aß an einer fluffigen rosa Zuckerwattewolke und hatte ein schüchternes Lächeln im Gesicht. Ihre himmelblauen Augen schauten freudig zusammengezogen in die Kamera. Es sah aus, als hätte sie beim Zuckerwatte essen zu lachen angefangen, was wirklich einfach nur fantastisch aussah! Und ihre Haare! Sie waren nicht so streng gekämmt wie von ihr gewöhnt. Ihre lange, zimtfarbene Mähne lag recht wild über ihren Schultern und ihr langer Pony fiel in sympathischen ungebändigten Strähnchen in ihr so ansehnlich feines Gesicht. Diese junge Frau war so unaussprechlich schön, wenn sie vergaß sich selbst ständig zu kontrollieren. Ich schaute ein paar Minuten auf dieses niedliche Foto und beschloss dann ihr zu antworten. Sie hatte keine Unhöflichkeiten verdient, nur weil ich nicht wusste was ich antworten sollte. Von dem her und aufgrund meiner eingeschränkten Kommunikationsmittel fiel meine Antwort eher einfach aus: – Undertaker [11.11.15; 09:21] ? – – Sky [11.11.15; 09:21] Kann es sein, dass… Also ich will dir wirklich nicht zu nahe treten… Aber kann es sein, dass du deine Tastatur auf Sonderzeichen gestellt hast und nicht weißt, wie man sie zurückstellt? - Ich seufzte. Weiß der Kuckuck wie viele Leute in diesem Chat waren und nur die schöne Sky kam auf den richtigen Gedanken und erbarmte sich meiner? Ich muss dann wohl auch ein wahrlich erbarmungswürdiges Bild abgeliefert haben. Etwas, was mir eigentlich egal wäre wie die Fliege an der Wand. Doch irgendetwas an meinem Stolz fühlte sich auf einmal enorm angekratzt. Eine gute Figur ablegen ging wohl anders. Ganz anders. Doch ich durfte bei der Wahl meiner Retter nicht wählerisch sein und schon gar nicht das Engagement der schönen Brünetten strafen. Also folgte nach ein paar Minuten stummen Ärgerns über meinen angeknacksten Stolz wieder eine unglaublich elaborierte Antwort meinerseits: – Undertaker [11.11.15; 09:23] !!! – Erst jetzt merkte ich, dass mich Merkenau die ganze Zeit wieder beobachtete. „Sage gar nichts“, brummelte ich durch die Zähne und Merkenau zog sichtlich amüsiert seinen Kopf wieder in sein Nest. Ich schaute wieder auf den kleinen Höllenkasten und stellte fast erstaunt fest, dass Skyler mir immer weiter antwortete: – Sky [11.11.15; 09:23] Mach ein + für ja und ein – für nein – Das war eine Anweisung, die konnte selbst ich umsetzen: – Undertaker [11.11.15; 09:23] + - Jetzt fielen auch Humpty und Dumpty auf, dass sie wohl vergessen hatten mir etwas zu erklären. Ein schlechtes Gewissen oder sogar eine Anweisung was ich jetzt tun sollte, suchte ich allerdings vergebens! Ich aß endlich den Keks, den ich schon die ganze Zeit im Mund hatte und verlieh mit einem ‚!!!‘ meiner Bredouille erneut Ausdruck, auf dass die beiden Jungen mir denn endlich mal was sagten! Doch stattdessen kam Hilfe von der jüngsten Phantomhive: – Amy [11.11.15; 09:24] Da auch Sky gerade vor Lachen stirbt, übernehme ich: Unten links auf die Taste mit ‚abc‘ tippen, du Held ^^* - Ich las die Antwort erst nur zu Hälfte. Skyler lachte? Ich merkte wie ein unwillkürliches Lächeln auf meinem Gesicht erschien. Das junge Ding sah die ganze Zeit wieder so endlos belastet aus. Wenn es sie wirklich so aufmunterte, war es mir das bisschen Ärger mehr als nur Wert gewesen. Und trotzdem fühlte sich mein Lächeln schwer an. Denn in mir wurde es kühler. Wegen dem Ist-Zustand und dem Bald-Zustand. Weil ich genau wusste wie alles weitergehen würde und ich es so wenig wollte. Wegen diesem Gefühl der Machtlosigkeit, das ich jetzt schon Tage mit mir herumtrug und das mich hinunterzog. Doch Sky lachte. Und dieser Umstand machte mich irgendwo in dieser kalten Tundra in mir drin wirklich froh. Ich lass Amys Antwort zu Ende, um mich von diesem Gefühl abzulenken. Es war heute weiter weg gewesen, da ich so viel Ablenkung gehabt hatte. Es war erschreckend wie schnell es wiederkam. Wie ein Raubtier aus dem Hinterhalt, bohrte es mir seine Krallen tief ins Fleisch. Doch anstatt mich weiter damit zu beschäftigen suchte ich diese ominöse ‚abc‘-Taste: „Gibt es die über… oh.“ Es gab sie. Und kaum hatte ich drauf gedrückt waren meine Buchstaben wieder da und die ‚abc‘-Taste wurde zu einer ‚123‘-Taste: „Aha!“ – Undertaker [11.11.15; 09:24] Heureka! – Lee war von meiner kleinen Misere immer noch schwer erheitert, wobei ich immer noch der Meinung war, er und Fred seien nicht ganz unschuldig daran. Doch ich beließ es dabei. Es war schön wenn die Leute die ich mochte lachten, amüsiert und heiter waren. – Ronald [11.11.15; 09:24] Oi, Undertaker! Holpriger Start? -, holte mich Ronald aus meinen Gedanken. Jetzt, da ich meine Buchstaben wieder hatte, wollte ich wenigstens die Chance nutzen mich ein wenig auszuprobieren: – Undertaker [11.11.15; 09:24] Was lange währt, wird endlich gut. Außerdem sorgte es für einige lachende Gesichter, so war meine Pein nicht umsonst – – Frank [11.11.15; 09:24] Pein… Man kann es auch übertreiben... - Ich belachte Franks weitere schnippische Antwort: – Undertaker [11.11.15; 09:24] Das kleine Ding ist verdammt zickig! - – Lee [11.11.15; 09:24] Ich kann nicht mehr X‘D - – Amy [11.11.15; 09:25] Sky lacht auch noch xD – Wieder erschien dieses herunterziehend schwere Lächeln auf meinen Lippen. Es war so ungewohnt. Lächeln sollte leicht sein, doch ich fühlte mich, als habe man mir Blei an Hände und Füße gebunden. Und Tonnen davon in mein Herz gelegt. Dieses paradoxe Empfinden aus besser und gleichzeitig schlechter fühlen, ermüdete mich wie sonst nicht viel anderes es konnte: – Undertaker [11.11.15; 09:25] Fein, fein. So soll essein, hehe - – Frank [11.11.15; 09:25] Hat er gerade tatsächlich ein Lachen ge… Ich bin raus - »Frank ist beschäftigt« Eigentlich war jetzt einer der Momente in denen ich laut gelacht hätte. Weil Franks benehmen amüsant war. Doch die letzten Tage lachte ich nicht so schnell los, wie ich es von mir gewohnt war. Ich fühlte mich zum Lachen fast zu müde. Ich hätte in der Gruppe trotzdem gelacht. Damit keiner merkte das etwas nicht stimmte. Dass ich verwundbar oder eher schon verwundet war. Doch dieses Chatten hatte einen weiteren Vorteil: Man sah mich nicht. Ich konnte einfach nichts schreiben und keiner würde Fragen stellen. Vor allem in diesem Pulk aus Leuten, die gerade durcheinander schrieben. Lee holte mich mit einer sehr kryptischen Nachricht wieder aus meinen Gedanken: – Lee [11.11.15; 09:26] *ROFL* *LOL* - Ich zog verwundert eine Augenbraue hoch, als ich mir nichts aus diesem Buchstabensalat erschließen konnte. Das waren doch keine Wörter! – Undertaker [11.11.15; 09:26] Wie bitte? - – Fred [11.11.15; 09:26] Lee lacht… und zwar viel... - Eine Antwort, die nur bedingt einleuchtend war. Ich tippte auf eine Art Code oder Slang, der mir noch verborgen war: – Undertaker [11.11.15; 09:26] Ah ja, was auch immer – – Amy [11.11.15; 09:27] Sky lebt wieder. Ich war kurz davor das Sauerstoffzelt zu holen, aber sie hat es überstanden ;D – Ich hatte das Gefühl ich musste etwas dazu sagen. Ich stellte fest, dass die gesichtslose Kommunikation ganz neue Ansprüche an die feinen Antennen stellte, die einen eigentlich vermittelten wann Zeit zum Antworten war und wann nicht. Nicht, dass diese Antennen bei mir schon lange höchstens nur noch Radio empfingen. Aber ich hörte auf mein Bauchgefühl und versuchte mein Bestes: – Undertaker [11.11.15; 09:27] Eine wünschenswerte Wendung, hehe – Frage war, ob mein Bestes ausreichte… Doch bevor ich das herausfinden konnte, hatten sich Grell und Ronald wieder das Zepter über das geschriebene Wort gegriffen: – Grell [11.11.15; 09:27] Nun, da alle wieder leben (mehr oder weniger) und alle Tastaturen richtig stehen: Willkommen im technischen Zeitalter! ("(^_^)/") - – Ronald [11.11.15; 09:27] Genau! Cool, dass du es auch endlich geschafft hast! – Ich wackelte mit meinem Kopf. Wenigstens fiel mein neuer Einstieg in die virtuelle Welt auf fruchtbaren Boden: – Undertaker [11.11.15; 09:27] Die Welt dreht sich, oder wie heißt es? - – Lee [11.11.15; 09:27] Bingo, alter Mann! - – Grell [11.11.15; 09:27] Unser Undertaker hat ein Handy. Ich fasse es immer noch nicht! - – Ronald [11.11.15; 09:28] Ich hab mich schon 3-mal gekniffen! – Keine Minute später zerschlug William die heitere Konversation mit einer scharfen Arbeitsanweisung. Die Reaper entschwanden und ließen die Gruppe mit ein paar Fragen zurück: – Fred [11.11.15; 09:29] Ich könnte mich irren, aber... hat Will nicht auch Schicht? – Ich wusste, er hatte, was mich flach auflachen ließ. Doch das wussten Andere auch, wie Lee sofort mit einer kleinen Meldung verlauten ließ, sodass ich die Situation nur belächelte und nichts dazu beitrug. Nur, weil ich es nun konnte, musste und wollte ich nicht alles kommentieren, was hier geschrieben wurde. Das war mir viel zu anstrengend. Ich bekam jetzt wohl aus erster Hand vieles mit, was praktisch war, doch ich sah nicht die Notwendigkeit bei allem mitzuschreiben. Als sich Lee verabschiedete, kreuzte mein Blick wieder eine merkwürdige Buchstabenkombination: – Lee [11.11.15; 09:29] Stimmt wohl ;) Naja, ich hab‘ auch noch zu tun! BBL! - »Lee ist abwesend« Ich blinzelte kurz: – Undertaker [11.11.15; 09:29] Wie bitte? - – Amy [11.11.15; 09:29] Be back later – „Also doch ein Code“, mein Kopf wackelte hin und her und ein kleines Kichern entfloh mir: „Nihihi! Ein wirklich komischer!“ Ich war sicher auch dort irgendwann zumindest so viel zu wissen um es zu verstehen. – Fred [11.11.15; 09:29] Muss auch los. Bin jetzt in der Uni. CUL8R - »Fred ist abwesend« ‚Schon wieder, hehe‘: – Undertaker [11.11.15; 09:29] Wie bitte? - – Amy [11.11.15; 09:29] See you later – Nun verstand ich. Es war eine Mischung aus Anfangsbuchstaben und gleichklingenden Zahlen, um etwas kürzer auszudrücken! Also ein einfaches Zeichen dafür, dass einige Leute zu faul waren Wörter ordentlich auszuschreiben! Was eine Abart! : – Undertaker [11.11.15; 09:30] Könntet ihr anständig schreiben? Ist ja fürchterlich! - – Amy [11.11.15; 09:30] Wir könnten, ja. Aber das hier ist unsere Welt. Komme besser früher, als später damit zurecht - Da musste ich der jungen Phantomhive allerdings wieder Recht geben. Doch ich sah nicht ein diese Abart selbst zu übernehmen. Es las sich ungeahnt unästhetisch: – Undertaker [11.11.15; 09:30] Ich merke, ich muss noch eine Menge lernen, hehe - – Amy [11.11.15; 09:30] ;D - Wieder wanderte meine Augenbraue nach oben. Auch eine Abkürzung?: – Undertaker [11.11.15; 09:30] Wie bitte? - – Amy [11.11.15; 09:30] Ein zwinkernder Smiley. Wir müssen zu Ende frühstücken. Bis dann! - Ich zuckte mit den Schultern: – Undertaker [11.11.15; 09:31] Na dann, guten Appetit - Dann fiel mir siedend heiß noch etwas ein: – Undertaker [11.11.15; 09:31] Was ist ein Smiley?­- Doch die beiden Mädchen waren schon mit einer letzten Meldung des Chats verschwunden. Kurz lachte ich. Dann fand ich halt später heraus was ein ‚Smiley‘ war. Ich steckte das Handy wieder in die Tasche, nachdem ich den Bildschirm ausgeknipst hatte. Danach baute ich mein zerstörtes Fenster aus, entfernte die zerstörte Tapete auf dieser Raumseite komplett und wusch auf beiden Seiten den Ruß von meinen Wänden. Dabei legte ich ein paar Risse in meiner Wand freit. Nachdem ich Maß genommen hatte, telefonierte ich mit meinem Lieferanten, da ich eine neue Glasscheibe brauchte.Anschließend setzte ich Merkenau in den Innenhof, da er mittlerweile für seine Flugübungen mehr Platz brauchte. Ich hatte keine Angst, dass der Vogel wegfliegen und nicht wiederkommen könnte. Einerseits hatte ich nicht vor den Vogel zu zähmen und einzusperren und andererseits wird er von selbst zurückkehren, wenn er sich bei mir wirklich zuhause fühlte. Dann verschwand ich in meinen Werkraum, löste die Silberstreben und Türkise aus dem Holz und machte mich daran ein neues Fenster zu zimmern. Der Lieferant kam ein paar Stunden später, da heute so oder so eine neue Fuhre Holz kommen sollte und brachte mir meine neue Fensterscheibe gleich mit. Der gute Mann hatte wie immer wortlos die Lieferung in meinen Innenhof gestapelt und war schleunigst wieder verschwunden. Ich brachte alles in den Werkraum, arbeitete wieder ein Sator-Quadrat aus Eigenblut, Silberstreben und Türkisen ein und baute das Fenster in das in der Wand dafür vorgesehene Loch. Um 14:35 Uhr verriet nichts mehr an meiner Behausung, dass des Nachts wohl ein Dämon an meinem Fenster Feuer gefangen haben musste. Ich war zufrieden, als ich auf meine drangsalierte Taschenuhr schaute. Doch dieser Anblick vertrieb die Zufriedenheit in einem kalten inneren Schneegestöber. Ich steckte die Uhr zurück. Mit meiner ernüchtertet Gefühlslage schloss ich die Vordertür ab und verließ den Laden über meinen Innenhof. Durch das Fenster der Stube sah ich nur Amy im Wohnzimmer. Ich klopfte und öffnete: „Ih hi hi. Guten Tag, Amy.“ Amber stand von ihrer Couch auf und kam zu mir: „Hey, frischgebackener Handybesitzer!“ Ich legte den Kopf auf die Seite: „Du hattest recht, als du mich fragtest wie du mich außerhalb meiner bescheidenen 4 Wände erreichen sollst. Ich fühlte mich, nihihi, in der Pflicht dir eine Möglichkeit zu geben, tust du ja so bestrebt worum ich dich bat.“ „Soll das heißen du hast dir nur wegen mir ein Handy angeschafft?“ „Wenn du so diversen Detektivabenteuern fernbleibst. Kihihi! Ich habe mich nicht in Unkosten gestürzt. Es ist Lees abgelegtes Gerät.“ „Besser als nichts“, lächelte Amy: „Das ist ‘ne gute Sache.“ „Ni hi hi. Ich bin froh, dass ihr alle so erfreut darüber seid.“ Dann zog Amy ein paar Mal Luft ein. Ihr Gesicht wurde angewidert und sie wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum: „Wow! Puh! Hast du in deinem Formaldehyd gebadet? Du stinkst furchtbar nach dem Zeug!“ Mir entfuhr ein halb ertapptes Lachen: „Ehehehe! Sagen wir, es gab einen kleinen… Zusammenstoß. Gibt es bezüglich euch Neuigkeiten?“ Amy blinzelte kurz verwirrt. Dann grinste sie verheißungsvoll: „Oh ja. Wir hatten Besuch und der hat neue komische Sachen gemacht.“ Ich zog unter meinem Pony die Augen zusammen: „Wer?“ „Sky.“ „Ist sie wohlauf?“, sie war nicht im Zimmer. In der Wohnung hörte ich sie auch nicht: „Wo ist sie?“ Nicht, dass ihr etwas passiert ist und sie nun im Krankenzimmer lag. In meinem Magenbegann etwas unruhig hin und her zu schwappen. Ich hatte ein angespanntes ungutes Gefühl in den Fingern. Amy nickte: „Sky geht es gut.“ Das Schwappen beruhigte sich so plötzlich wie es kam. Ich bewegte meine Finger um die knisternde Versteifung in meinen Muskeln los zu werden: „Wo ist sie?“ „Sie war eben noch beim Mittagessen, da hat sie der Fag des Blue Prefect angesprochen. Sie reden sicher noch, weil sie die Banner neu machen soll.“ „Gut“, die Wogen in mir glätteten sich endgültig: „Erzähl. Was für Sachen?“ „Ui jui jui. Warum so ernst, Onkelchen?“ Nun fiel mir auf, dass mein Lächeln nicht nur verrutscht war. Es war mir eingebrochen, als ich nicht wusste wo Skyler war und ob es ihr gut ging. Ich setzte es sofort wieder auf: „Kihihi! Nun spanne mich nicht länger auf die Folter! Ich bin neugierig!“ Amy verschränkte die Arme: „Das ging aber plötzlich…“ „Nihihi! Amber, erzähl bitte.“ Ich musste mehr auf meine Mimik achten. Ich merkte wohl wie skeptisch die junge, auch schon so groß gewordene, Phantomhive vor mir war. Doch sie seufzte und tat was geschehen war mit einem Kopfschütteln ab, erkennend, dass Befragungen nichts bringen würden: „Gut. Das Vieh wollte nach ihr greifen. Hat wohl immer ‚Gib mir…‘ gestammelt. Doch es hat nicht gesagt was es genau haben will. Sky hat es vertrieben“, die Phantomhive legte eine kleine Pause ein: „Mit deinem Anhänger.“ Ich bekam große Augen. Dann entfuhr mir ein Lachen. Es war fast so, als habe es Wirkung gezeigt, dass ich mir diese Nacht gewünscht hatte der Anhänger möge sie verlässlicher beschützen als ich. Denn er hatte sie in einem Ausmaß beschützt, dass ich nicht vorhergesehen hatte. Und ich hatte sofort eine Theorie: „Ehehehe! Interessant. Wirklich. Ich glaube ich muss mich mit Grell beratschlagen.“ Schnelle Schritte hallten durch den Flur. Als ich an Amber vorbeischaute erschien die schöne Sky im Türrahmen. Sie wirkte unversehrt. Zumindest konnte sie zu schnell laufen um verletzt zu sein. Obwohl die Wogen schon glatt waren, spürte ich eine zusätzliche Erleichterung bei ihrem auch für meine Augen sehr verschwommenen Anblick. Die schöne Brünette tat ein paar Schritte in den Raum: „Hey.“ Ich kicherte, doch war es nur meiner plötzlichen Erleichterung geschuldet es zu können: „Nihihi! Guten Tag, Skyler.“ Ich hatte das Gefühl, nach allem was ich getan hatte, hatte ich das Recht verwirkt sie mit ihrem Spitznamen anzusprechen. Außerdem musste ich mich selbst auf das vorbereiten, was kommen würde: Sie nicht mehr zu sehen… Ich unterbrach die Gefühlskette, die dieser Gedanke auslösen wollte und wandte mich zu Amber: „Nun denn. Ich schaue, dass ich Grell zu fassen bekomme.“ Ich wusste nicht wie lange ich diese Gefühle im Zaum halten konnte. Deswegen musste ich schnell weg. Ich dürfte nicht riskieren, dass mir vor Sky meine Mimik entglitt. Sie würde sich nicht nur auf einen skeptischen Blick beschränken. Dafür war sie viel zu bemüht. „Schreib ihm doch ‘ne Sms“, holte mich die junge Phantomhive zurück in die Realität. Ich grinste sie über das müde Gefühl in meinem inneren hinweg an: „Vielleicht tue ich dies. Ehehehehe! Bis morgen, meine Damen!“ Dann ließ ich mich rücklings aus dem Fenster fallen und schlug am Boden einen Harken Richtung Heimat. Zurück in meinen Laden zückte ich den Hörer meines Telefons und wählte Grells Nummer. Es dauerte nicht lange bis der rote Reaper abhob: „Undertaker?“ „Hallo Grell.“ „Warum benutzt du dein Festnetz? Ruf‘ mich doch über dein Handy an!“ Ich verstand wirklich nicht, warum alle so aufgeregt waren, nur, weil ich jetzt auch so ein Handy hatte: „Muss ich es jetzt ständig benutzen, nur weil ich es habe?“ „Ja! ~♥“ „Hi hi! Nein.“ „Doch! ~♥“ „Hi hi! Nein.“ „Doch! ~♥“ „Es reicht, Grell.“ Grell seufzte: „Ok, ok. Was ist los? Warum rufst du mich an?“ „Ich habe eben mit Amy gesprochen.“ „Nur mit Amy?“ „Zum größten Teil.“ „Wo war Sky?“ „Sie kam erst später dazu.“ „Und da bist du abgehauen.“ „Ähm“, ich fühlte mich ein bisschen ertappt: „Im weitesten Sinne.“ „Also ja.“ „Ja.“ „Man, man, man. Du hockst nachts vor ihrem Fenster, bekommst aber kein vernünftiges Gespräch auf die Kette. Merkst du was?“ Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen: „Zu viel, Grell, zu viel.“ „Und was genau?“ „Kehehehe! Sag‘ ich nicht.“ Grell schrie einmal auf: „AAAAAAAHHHHH! Ich hasse es, wenn du das tust! Ich hasse es! Ich hasse es! Ich hasse es!“ Ein etwas heftigeres Lachen verließ mich: „Puhuhuhuhuhuhu! Also warum ich dich anrufe.“ „Deine Themenwechsel sind unglaublich… elegant.“ „Ja, nicht?“ „Du glaubst wirklich nur was du glauben willst, oder?“ „Auf jeden Fall…“ „ICH HASSE ES!“ „Ja, ja. Also…“ „IGNORIER MICH NICHT, WENN DU MICH SCHON ANRUFST!“ „Hat William mit dir geschimpft?“ „…Ja…“, Grell schwieg kurz eine unglaublich dramatische Pause: „Ganz doll…“ Innerlich seufzte und lachte ich zur selben Zeit. Es war doch wirklich immer dasselbe mit den Beiden. Immer: „Und warum?“ „Es war ein Rechtschreibfehler in der Liste!“ „Buhahahaahahahaha! Du hast die falsche Seele geholt.“ „DA WAR EIN RECHTSCHREIBFEHLER!“ „Hat William den auch gesehen?“ „…Nein…“ „Nehehehe! Bist du sicher, dass er überhaupt da war?“ „JA!“ „Sicher?“ „Na gut!“, Grell schnaubte einmal wütend: „Vielleicht habe ich mich auch verlesen. Aber das war kein Grund mich so anzuschreien!“ Ich legte lachend meine Hand über die Augen: ‚Ich weiß nicht, ob ich genau zum rechten oder zum schlechtesten Zeitpunkt desertiert habe!‘ Schließlich haben Grell und William nur kurz nach meinem Weggang den Dienst angetreten. Und ich hatte damals die British Branch geleitet. Folglich wäre ich Grells Vorgesetzter geworden wäre ich geblieben, was die Sache für William das ein oder andere Mal sicherlich noch um einiges abenteuerlicher gemacht hätte. Zumindest ‚Jack the Ripper‘ hätte ich wahrscheinlich weniger eng gesehen. Zumindest so, wie ich gegen Ende meiner Dienstzeit durch den Dispatch getänzelt war. Um ehrlich zu sein hatte mich da schon nichts mehr wirklich interessiert. William wäre sicherlich über mich genauso begeistert gewesen wie jetzt! Es war schon fast schade, dass ich nie herausfinden würde, wie die ein oder andere Sache abgelaufen wäre. Schließlich wäre Ronald ja auch ein paar Jahre später dazugekommen! „Hörst du mir überhaupt zu?!“ „Ehehehehe! Nein“, nahm ich meine Hand von den Augen: „Ich habe nicht ein Wort mitbekommen.“ „Vooooooll lustig“, machte Grell gedehnt: „Ich rede mir den Mund fusselig und du? Was hast du überhaupt gemacht?“ „Och“, ich gluckste: „Kihihihi! Nur ein bisschen geträumt.“ „Ay ja“, Grell seufzte: „William hat mich verbal in den Boden gerammt! 1 ½ Stunden durfte ich mir anhören wie inkompetent ich doch wäre! Warum klatsch ich den Typen eigentlich nicht vor die Wand?! Er hätte es verdient!“ „Weil du spätestens dann das Disziplinarverfahren am Hals hättest, was dir William sicherlich nicht auferlegt hat“, giggelte ich zurück. „Für sowas gibt es ein Disziplinarverfahren?!“ „Aber sicher!“, lachte ich: „Puhuhuhuhu! Es sei denn man ist Grell Sutcliff und hat einen William T. Spears, der einen davor bewahrt! Du hast einen Menschen getötet, der nicht sterben sollte und vielleicht schwirrt jetzt irgendwo ein Geist durch die Gegend, weil du ihn nicht rechtzeitig abgeholt hast. Aber wie ich William kenne hat er die Seele für dicheingesammelt bevor sowas passiert, ehehehehe!“ „…Oh…“, Grell schwieg kurz, nur um mit doppelt so lauter Stimme wieder zu sprechen: „Danke! Jetzt fühle ich mich schlecht, dass ich sauer war!“ „Ke he he! Hast du überhaupt eine Strafe bekommen?“ „… Ich muss einen Bericht für William ausfüllen… Den leitet er dann wohl wahrscheinlich an meinen Chef weiter…“ Ich lachte lauter auf: „Nehehehehehehe! Bitte! Fühle dich schlecht! Den liest nämlich nur William! Für sowas ist ein Bericht zu wenig. Das war eine Scheinstrafe, liebster Grell. Der wird sicher an niemanden weitergeleitet!“ „Warum nicht?!“ „Weil es eine vollkommen unangemessene Strafaufgabe ist, die William von jedem höheren Angestellten um die Ohren gehauen bekommen würde. Angemessen wäre ein Disziplinarverfahren mit höchstwahrscheinlich anschließender Suspendierung für ein paar Wochen! Gehe davon aus, dass die Administrative von deinem Schnitzer gar nichts weiß, ansonsten hätte sie dir schon auf dem Schreibtisch rumgetanzt!“ „Wow“, machte Grell: „Du kennst dich wirklich aus, wenn es darum geht was passiert wenn man hier Scheiße baut.“ „Aus erster Hand!“ „Doppel-Wow“, machte Grell. Dann seufzte er lange: „Jetzt ist mein schlechtes Gewissen nur noch schlechter.“ „Oh ja“, lachte ich: „Tihihihihi! Das glaube ich.“ „Also. Was hat Amber dir erzählt?“ „Kihihihi! Oh, welch unglaublich eleganter Themenwechsel“, kicherte ich. „JETZT REDE, DU ALTER SACK!“ Ich konnte nicht anders als laut los zu lachen! Und das für eine ungeahnt lange Weile. Ich hatte sogar wieder Bauchschmerzen und ein paar Tränen in den Augen. Es war ein ungeahnt gutes Gefühl. Doch leider vertrieb das anschließende Thema es genauso schnell wie es gekommen war: „Amber hat mir erzählt, dass Skyler wieder Besuch hatte.“ „Himmel!“, rief Grell aus: „Ist sie in Ordnung?!“ „Vollkommen unversehrt“, seufzte ich mit dem Gedanken an Amys kritisches Gesicht, als mir mein Grinsen vollends entgleist war, weil ich mir Sorgen um Skyler gemacht hatte: „Allerdings hat das Wesen wohl mit Skyler gesprochen.“ „Was?“ „‘Gib mir‘, was es genau wollte wussten die Mädchen nicht. Aber Skyler konnte es vertreiben.“ „Was?! Das geht?! Wie?!“ „Mit den ‘Fessles Stone ‘-Anhängern.“ „Ooookay“, machte Grell lange: „Warum sollte ein Wesen vor presenzfressenden Steine davon… Oh! Du Schuft!“ Ich fing wieder an zu lachen. Ich konnte den Groschen durch den Hörer klingeln hören. Grell war wie immer viel zu aufgeregt: „Du hast es dir doch schon vorher gedacht! Du benutzt mich nur, um dir hintenrum deine Theorie zu bescheinigen!“ „Kehehehe! Aber du hast dieselbe Idee!“ „Warum rufst du mich an, wenn du es weißt?!“ „Eh he he! 4 Augen sehen mehr als 2, 4 Ohren hören mehr als 2 und 2 Köpfe denken vielfältiger als einer. So schön dieser Umstand auch passt. Die Tatsache, dass wir es nicht bemerken ist ein nicht zu übersehendes Problem. In vielfältigem Sinne.“ „Gut. Ich bin mittlerweile Anhänger deiner Geister-Alp-Theorie. Die einzige sinnstiftende Erklärung, dass es den Anhänger fürchtet, wäre nämlich, dass das Wesen keinen Körper mehr hat und der Anhänger ihm so vollkommen schutzlos die Energie entzieht. Da ist ja kein Körper mehr um sie zu beschützen.“ „Ihihihihi! Mein Gedanke 1:1!“ „… Ich weiß. Aber warum merken wir es nicht? Wir sind Sensenmänner! Warum bemerken wir keinen Geist?!“ „Ke he he he. Ich weiß nicht.“ „Toll!“ „Aber danke für deine Bestätigung!“ „Toll!“ „Ehehehehe! Tue nicht so, als habe dir mein Anruf gar nichts gebracht.“ „Doch! Ein schlechtes Gewissen und das Gefühl benutzt worden zu sein. Firma dankt!“ „Bitte bitte“, kicherte ich zurück. Grell seufzte noch einmal: „Ich kann mich bei William ja noch nicht mal bedanken. Er würde nur sauer werden, dass ich Bescheid weiß...“ „Du weißt doch, dass man ihn auf seine Nettigkeit nicht ansprechen darf“, ich seufzte: „Denk dir deinen Teil dazu, dass er nett zu dir ist. Sehr nett. Wenn die Administrative dahinterkommt, hat das Disziplinarverfahren und die höchstwahrscheinliche Suspendierung nämlich er.“ „Aber… warum ist er nicht direkt nett zu mir? Er behandelt mich wie Scheiße! Rettet mir aber hintenrum den Hintern! Wohl schon zig Mal! Ich musste nämlich meistens nur Berichte schreiben!“ „Ich glaube er mag dich mehr, als ihm lieb ist und das macht ihm Angst.“ „Warum glaubst du das?!“ „Ich“, ich stockte kurz. Dann erschien ein trauriges Lächeln auf meinen Lippen: „Rede aus Erfahrung.“ Dann legte ich auf. Die Reaktion und das darauffolgende Gespräch… dafür war ich zu müde. Ich stand auf und schaute aus meinem neuen Fenster auf die leere Gasse. „Ich sage es dir immer wieder“, mit einem Seufzen verschränkte ich die Arme: „Sei nicht so dumm wie ich, William.“ Nachdem ich einige Zeit aus meinem Fenster geschaut hatte, war ich in mein Hinterzimmer verschwunden und habe mich um den Älteren meiner Gäste gekümmert. Er brauchte nur standartmäßig hygienische Versorgung und Einbalsamierung. Es gab wahrscheinlich keine Handgriffe, die bei mir automatisierter abliefen. Ich war gerade einigermaßen in meine Arbeit versunken, da hörte ich wie sich meine Türeöffnete: „Undertaker?“ Mein Kopf zuckte hoch: ‚Sky?‘ Ich konnte mir kaum vorstellen was sie hier wollte, aber ich war mir 100% sicher es war ihre Stimme. Diese Stimme konnte ich nicht verwechseln. Ich lauschte. Meine Türe quietschte und ich hörte zaghafte Schritte in meinen Laden. Mit einer Mischung aus Neugierde und Widerspenstigkeit legte ich meine Nadel zur Seite, mit der ich gerade den Unterkiefer an den Schädel gebunden hatte. Ich war neugierig was Skyler hier machte. Doch ich wusste, dass wieder diese unglaublich angespannte Atmosphäre herrschen würde, die mir meine Energie förmlich aussaugte. Wer dachte ich sei stressresistent irrte. Es gab nichts was ich mehr hasste oder schlechter vertrug. Die Anderen hatten nur lediglich kein Bild davon, wie ich war wenn ich gestresst war, weil ich es eigentlich nicht zuließ, dass mich etwas stresste. Doch in dieser Situation versagte diese Kompetenz komplett. „Undertaker? Bist du da?“ Ich seufzte. Dann entschied ich, dass ich sie auch nicht einfach nicht empfangen konnte. Ich kämmte mit den Fingern sorgsam meinen Pony über meine Augen. Ich konnte nicht riskieren, dass sie wieder einen Blick darauf erhaschen konnte. Ich wusste sehr wohl, dass sie sie Dienstag sofort interpretiert hatte. Dann ging ich die paar Schritte zu meinem Türbogen: „Du hier?“ Sky sah mich kurz abschätzend an: „Du warst eben sehr schnell weg...“ „Nun“, mein Kopf fiel zur Seite: „Ich habe zu arbeiten.“ „Ich“, sie atmete tief durch. Wenn es ihr so viel abverlangte, warum war sie hier?: „Brauche nur 5 Minuten deiner Zeit. Höchstens.“ „Skyler“, die Kälte in mir zog schmerzhaft an meinem Herzen. „Ja?“ „Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist.“ Sie schaute mich mit erschrockenen Augen an: „Wa-was?“ „Dass du hier bist“, ich seufzte innerlich. Diese Atmosphäre war wirklich schlimm: „Warum auch immer du es bist.“ „Aber“, ihre Lider flackerten. Sie schien mit größter Mühe zu verarbeiten zu versuchen was ich zu ihr gesagt hatte: „Wieso?“ Ich neigte meinen Kopf noch ein Stück weiter: „Ich sagte es schon. An der Themse.“ Eigentlich hatte ich die Fronten doch schon klargestellt. Was dachte dieses Mädchen? Was fühlte dieses Mädchen? Was machte sie hier? „Aber...“, sie stockte. Dann erschien ein bestimmterer Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie ging auf mich zu: „Nein. Nein, es ist gar keine schlechte Idee.“ Ich seufzte: „Skyler...“ Eigentlich gab es nichts Schöneres als Bestimmtheit in ihrem Gesicht. Doch durch mein Inneres wehten so viele Schneeflocken, dass ich nicht entzückt sein konnte. Auch wollte ich nicht, dass sie näherkam. Umso näher sie mir kam… … umso schwerer war es die Distanz zu wahren, die ich aufgebaut hatte. Die ich brauchte um sie los lassen zu können.  Und dafür war die Distanz, die herrschte, noch nicht einmal genug. Ich wusste nicht, ob es eine Distanz gab, die groß genug war, um sie wirklich loslassen zu können. „Nein. Hör mir zu“, sie blieb vor mir stehen. Mit diesem bestimmten Gesichtsausdruck zum niederknien: „5 Minuten.“ „Hätte es nicht bis morgen Zeit?“ „Nein.“ „Ich kümmere mich um dieses komische Wesen“, ich konnte mir keinen anderen Grund ersinnen, der sie hertrieb: „Ich habe schon mit Grell telefoniert.“ „Darum geht es nicht.“ „Dann hast du keinen Grund hier zu sein“, es war beschwerlich so distanziert zu bleiben. Denn es war schmerzlich. Ich wäre gerne herzlicher zu ihr. Weil sie das verdiente. Aber das war eine Richtung, die ich jetzt nicht einschlagen konnte. Ich konnte nicht so mit ihr umgehen, wie ich es gerne würde, herzlich und lauschig, und dann einfach auf Nimmerwiedersehen sagen. Wenn sie mir nicht mehr wohlgesonnen war, wollte sie diesen Umgang nicht. Wenn sie es noch war, wäre es einfach ein Unding so zu handeln. Außerdem würde ich nicht mehr auf Nimmerwiedersehen sagen können, wenn sich die Dinge wieder so gestalten wie vor dem Freitagabend. Doch ich musste, damit so ein Freitag, so ein tränenreiches Wochenende, so viele schlechte Träume nicht mehr folgen konnten. „Doch“, Skyler weckte mich aus den Gedanken, die ich in Bruchteilen von Sekunden gedacht haben musste und mein Innerstes furchtbar vereist hatten: „Einen guten sogar.“ Sie streckte mir ihre geschlossene Faust entgegen. Ich beschaute kurz ihre Hand. Sie hielt etwas darin, dass war offensichtlich: „Was hast du da?“ Sky wedelte kurz mit ihrer Faust: „Nimm.“ Sofort schüttelte ich meinen Kopf: „Nein.“ Ich konnte von ihr nichts annehmen. Ich brauchte Distanz. Ihre Unterlippe begann zu zittern, doch ihr Gesichtsausdruck blieb trotz feuchter Augen stark. Ich war bestürzt über ihre unterdrückte Traurigkeit. Und ich war von ihrer Willensstärke überwältigt! Diese junge Frau war so unsagbar stark! Doch… warum war sie traurig? Hatte Tränen in den Augen? Mehr und mehr in mir begann zu glauben, sie hatte alles gesagt und getan wie sie es meinte. Mehr und mehr in mir begann zu glauben Grell hatte recht. Und alles in mir wusste, dass dies das Fatalste wäre, was mir passieren könnte. Wenn sie mich nicht mehr sehen wollte, wäre es viel einfacher zu gehen. Doch es gegen den Willen von uns Beiden zu tun… Sky zerschlug diesen grausamen Gedankengang, indem sie entschlossen meine freie Hand griff. Ihre Wärme zuckte wie ein Blitz durch mein inneres Schneegestöber. Sie legte mir etwas in die Hand. Dann nahm sie ihre Hände zurück. Die Hände, die so warm waren, dass sie sofort durch die Eisschicht gebrochen waren, die sich auf meiner Seele gebildet hatte. Ich schaute in meine Hand. Dort lag der Pentagrammanhänger. Sie kam her, um mir ihren Anhänger wiederzugeben? Mein Verstand sagte mir, dass dies wohl ein klares Zeichen war, dass sie meine Anwesenheit und auch die Anwesenheit meiner Geschenke nicht wünschte. Doch diese ganze Menge, die ihr und Grell zu glauben angefangen hatte, konnte sich das einfach nicht erklären. Irgendetwas passte nicht. Doch ich erkannte nicht, was es war. „Warum gibst du mir das?“, fragte ich im ehrlichen Bestreben verstehen zu können. Sky wandte sich halb ab: „Weil ich sie nicht tragen kann.“ Unter meinem Pony zog ich rätselnd meine Augenbrauen zusammen: „Wie meinst du das?“ Sie schaute auf die andere Seite meines Ladens: „Du sagtest du gabst diese Ketten den Wesen, die dir wichtig sind.“ Auch die Tatsache, dass sie sich auf einmal abdrehte trug nicht zu meiner Erleuchtung bei: „Ja, das sagte ich.“ „Deswegen kann ich sie nicht tragen“, ihre Stimme und auch das Stück Gesicht was ich noch sah wirkten unglaublich verletzt. Eine Verletztheit, die ich mir nur in dem Kontext erklären konnte, dass mein Verhalten sie verletzte, da sie die Distanz, die ich aufbaute, nicht wollte. Fatal. Das wäre fatal. Doch wirklich verstehen tat ich noch nicht: „Ich weiß ich wiederhole mich, doch: Wie meinst du das?“ „Diese Kette“, sie schluckte und atmete durch. Wie sie sich die Hand auf den Bauch legte, war ich mir sicher nicht als einziger unter Spannung zu stehen. Auch die Verletztheit in ihrem Gesicht wurde größer und fachte die Menge in mir an. Die Menge, die angefangen hatte zu glauben, sie mochte mich trotz allem und hatte keine Angst vor mir. Ob sie mich mochte oder nicht. Ob sie Angst vor mir hatte oder nicht. Es bestimmte lediglich den Schwierigkeitsgrad meines ‚auf Nimmerwiedersehen‘. Nicht, dass es passierte. Und doch wusste ich, dass es etwas Vernichtendes hätte, wenn sie meine Abwesenheit nicht wünschte. Aber ich konnte das Risiko nicht eingehen, sie noch einmal zu verletzen. Oder vielleicht immer wieder. Wer sagte, dass es sich auf noch einmal beschränken würde? „Ist ein Zeichen dafür, dass dir Jemand wichtig ist“, fuhr sie fort: „Sie beschützt einen nicht nur vor den Trancys und Co., sie steht für deine Zugewandtheit Jemandem gegenüber“, sie wandte sich komplett ab und ging Richtung Tür: „Ich wollte sie dir nur wiedergeben. Denn ich möchte kein Symbol für etwas tragen, das nicht existiert...“ Ich konnte nicht antworten. Was sie gesagt hatte, schockte mich zutiefst. Denn es implizierte, dass sie mir nicht wichtig war. Natürlich war ich mir bewusst, dass mein Verhalten distanziert war. Dass es eine Haltung vermittelte, die nicht stimmte. Sie war mir wichtig. Endlos wichtig. Wichtig genug um mich selbst und alles was ich wollte für ihr Wohl hintenanzustellen. Und gerade das sorgte dafür, dass sie dachte sie sei mir überhaupt nicht wichtig. Und deswegen gab sie etwas weg, was sie noch effektiver beschützen konnte, als eigentlich gedacht. Vollkommen vor den Kopf gestoßen stand ich in meinem Türbogen und starrte auf das weggehende schöne Mädchen. Jeder ihrer leisen Schritte vibrierte schmerzhaft durch meine Seele. Als sie die Hand an die Klinke legte, übermannte mich etwas. Das unbändige Bedürfnis nicht wieder eine falsche Aussage im Raum stehen zu lassen. Mit einem schnellen Schritt stand ich hinter ihr, bevor sie die Türe geöffnet hatte. Ich stand näher bei ihr, als ich beabsichtigt hatte. Ich spürte ihre Körperwärme vor meiner Brust. Ich spürte die Eisschicht, die sich so schlimm anfühlte, aber existenziell wichtig war um die Distanz zu wahren schmelzen. Ich fühlte sie schmelzen. In weniger als Sekunden. Und ich fühlte das Verlangen nach ihrer Nähe. Es brannte. Ich legte ihr zügig die Kette um den Hals: „Natürlich kannst du sie tragen.“ Ich wollte nicht flüstern. Doch dieser Kampf in meiner Seele ließ mir nicht die Kraft um laut zu sprechen. Ihr die Kette wieder zu geben, war ein offenes Zugeständnis von Wichtigkeit. Es ging gegen die Distanz, die ich aufzubauen versuchte. Es fachte dieses Verlangen an. Den Wunsch nicht endgültig gehen zu müssen. Doch ich wollte, dass sie sicher war und dazu brauchte sie diese Kette mehr als vorher gedacht. So hatte sie etwas mit dem sie sich verteidigen konnte, wenn sie alleine war. Ich wollte sie von hinten umarmen. Ihr ins Ohr flüstern, was sie wirklich für mich war. Ich zog meine Hände zurück, die sich bei diesem Gedanken von selbst auf den Weggemacht hatten. Hastig drehte ich mich um und ging weiter in meinen Laden hinein. Distanz. Ich brauchte Distanz. „W-was?“, hielt mich Skylers verwirrte Stimme auf. Ich stoppte: „Ich sagte, dass du sie natürlich tragen kannst.“ Sky erwiderte nichts. „Und das sollst du auch“, setzte ich eindringlich hinterher. So sehr wollte ich, dass sie sicher war. „Wie, ich soll?“, Skyler klang vollkommen desillusioniert. Ich wusste, dass mein Verhalten nicht mehr eindeutig war. Ich wusste, dass ich es wahrscheinlich nie geschafft hatte es eindeutig zu machen: „Ich bitte dich darum.“ „Was?“ „Ich bitte dich sie zu tragen“, wiederholte ich. „Was?“ „Trage sie“, ich drehte meinen Kopf halb zu ihr und sah durch einen Spalt in meinem Pony ihre bezaubernde blaue Iris: „Bitte.“ Ich hatte alle Gefühle, die ich für sie hatte, in dieses Wort gelegt. Ein Bitte was mehr war, als eine Bitte diese Kette zu tragen. Ein Bitte was hieß: ‚Bitte sei in Sicherheit.‘ Ein Bitte was hieß: ‚Bitte sei nicht mehr traurig.‘ Ein Bitte was hieß: ‚Bitte fange wieder an zu lachen.‘ „Undertaker, ich...“ Ich hörte, dass sie auf mich zu lief. Doch ich streckte ihr meine Hand entgegen, bevor sie mich erreichte. Denn es war auch ein: ‚Bitte vergiss mich.‘ „Ich muss dich bitten nun zu gehen“, ich nahm meine Hand wieder hinunter und ging wieder Richtung meines Hinterzimmers: „Meine Gäste verlangen nach mir.“ Und als ich den Türbogen erreicht hatte, war ich mit dem erneut aufgeflauten Schneesturm alleine. Als ich die Nacht vor ihrem Fenster saß, erblickte ich dasselbe Bild. Ich seufzte und schaute in den sternenklaren Novemberhimmel. Ich musste endlich schnell dahinterkommen, was dieses Wesen war und das alles beenden. Es war schön, dass Grell nun meiner Theorie anhing. Doch kam ich dadurch nur bedingt weiter. Die Tatsache, dieses Wesen nicht fühlen zu können war ein so großes Contra-Argument, dass es all die vielen Pro-Argumente in den Schatten stellte. Ich wusste nicht was. Ich wusste nicht woher. Ich wusste nicht warum. Ich war nur damit beschäftigt Symptome zu bekämpfen. Bis zur Krankheit vorzudringen stellte sich, als beschwerlich heraus. Ich entschied mich in dem alten Archiv nachzusehen. Vielleicht hatten ja ein paar meinerverstorbenen Freunde ähnliche Situationen mit besseren Ideen gehabt. Als ich die Augen wieder auf Skyler richtete, rekapitulierte mein Kopf sofort die Konversation, die wir vor ein paar Stunden geführt hatten. Sie hatte mein Herz mit einer dicken Schicht Raureif und meinen Kopf mit vielen Gedanken und Fragen zurückgelassen. Ich sprang ein weiteres Mal durch ihr Fenster. Zögerlich kniete ich mich neben sie und streichelte ihre Wange. „Bitte“, hauchte ich müde und entkräftet wie ich mittlerweile einfach war und schloss meine Augen. Eine ganze Zeit lang ließ ich die Stille in ihrem Zimmer in meinen Kopf ziehen und zu einer unguten Art von Ruhe in meiner Körpermitte werden, bis ich zu Ende sprach: „Hasse mich.“ „Nein!!“ Aufgrund des plötzlichen Ausrufes und hochschnellen der jungen Frau riss ich die Augen auf und sprang auf ihren Schreibtisch. Sofort dachte ich, ich wäre besser sitzen geblieben. Dann hätte ich sie wenigstens fangen können. Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass sie aus dem Bett fällt!... Und sich auch noch böse den Kopf am Nachttisch anhaut. Ich verzog mein Gesicht zu einer schmerzverzehrten Grimasse, als der Kopf der Schönen ein hohles Geräusch auf dem Holz des Nachttisches machte und sie liegen blieb. Ich hoffte inständig sie habe sich nichts getan. Ihre Türe öffnete sich und Amy stand im Türrahmen. Als sie ihre Freundin am Boden sah lief sie zu ihr hin und erlöste mich so aus der Rolle nach dem Rechten sehen zu müssen. Sie beugte sich zu ihr herunter und legte ihr die Hand auf die Schulter: „Sky?“ Skys Kopf zuckte hoch. Es war gut zu wissen, dass sie nicht gleich durch den Nachtschrank wieder in das Reich der Träume zurück gewandert war, aus dem sie erst aufgeschreckt war: „Amy?“ Nach ein paar Sekunden rieb Sky sich die Nase: „Du schläfst nicht?“ Amber schüttelte den Kopf. Sie sah genauso geschafft aus wie Skyler. Auch wenn sie nicht so blass war wie sie: „Wie denn? Das Vieh lässt mich genauso wenig schlafen wie dich.“ Sky setzte sich auf und rieb sich durch die Augen: „Ich weiß nicht wie lang ich das alles noch durchhalte... Ich werde noch total verrückt...“ Amy legte den Kopf schief: „Wegen dem Vieh oder Undertaker?“ Jetzt wurde ich hellhörig. Mir war klar, dass es vollkommen pietätlos war, die Mädchen so zu belauschen, doch Skylers Antwort interessierte mich doch zu brennend. Skyler seufzte: „Sagen wir einfach, dass das Vieh das kleinere Problem ist...“ Mir klappte der Kiefer auf. Schön zu wissen, dass ich ein Problem war. Sogar noch das Größere! Auch wenn mich dies ehrlich nicht verwunderte. Nun pfiff ich endgültig auf Pietät und Manieren. „Das glaube ich“, auch die Phantomhive rieb sich ihre müden Augen: „Gestern warst du zumindest ziemlich barsch.“ Skyler ließ betrübt den Kopf hängen: „Es tut mir leid… Ich hatte einfach keinen Bock mehr...“ „Worauf?“ „Alles“, sie seufzte wieder: „Ich habe keinen Bock mehr auf alles, was gerade läuft.“ Ich zog skeptisch die Augen zusammen. Sie hatte keine Lust mehr auf das was läuft? Wenn das auf mein Verhalten gemünzt war, dann… ‚Oh nein…‘ „Gibst du auf?“, unterbrach die Phantomhive meinen Gedankengang. ‚Was soll sie aufgeben?‘ Doch anstatt einer Antwort musterte Sky ihre Freundin einige Zeit. „Ich…“, sprach sie schließlich: „Bin mir nicht sicher...“ Amber stupste gegen etwas an Skylers Hals: „Du trägst sie wieder.“ Auf den zweiten Blick erkannte ich den Pentagrammanhänger. Wieder seufzte Skyler recht ausgezehrt: „Verrückte Geschichte...“ „Es ist Undertaker.“ ‚Touché‘ „Selbst für ihn verrückt.“ ‚Auch Touché‘ Ambers Kopf fiel mit einem Schmunzeln zur Seite: „Mit dieser Aussage ist die Sache gerade richtig interessant geworden. Erzähl.“ „Er“, Skyler rieb sich heftig durch ihr feines Gesicht: „Wollte mich ganz klar nicht da haben. Meinte mein Auftauchen sei eine schlechte Idee. Doch als ich ihm die Kette gab meinte er A) ich könnte sie tragen und B) soll ich es auch und...“ Amys Kopf fiel zur anderen Seite, als Skyler einfach mitten in der Erklärung abbrach: „Den interessanten Teil verschweigst du mir?“ Doch Skyler schüttelte den Kopf: „Es ist auch der Teil von dem ich nicht weiß, was er mir sagen will.“ Meine Augen fielen nach unten. Ich würde ihr gerne so vieles sagen. „Vielleicht kann ich helfen.“ „Er… hat mich sogar gebeten, sie weiter zu tragen...“ „Ay ja“, zog die Adelstochter eine Augenbraue hoch: „Macht Sinn… nicht. Was ist bei dem Kerl eigentlich gerade kaputt?“ Ich beschränkte mein Seufzen nur mit Mühe auf meine Gedanken: ‚Mehr als sonst üblich auf jeden Fall…‘ Skyler schüttelte wieder den Kopf: „Frag mich was leichteres… Aber schön, dass wir zusammen total ratlos sind.“ „Lass mich mit ihm reden.“ ‚Oh bitte nicht…‘ Doch Skyler schüttelte wieder mit dem Kopf. Meine Erleichterung, einer jungspündisch-phantomhivischen Befragung zu entkommen, wich nur allzu schnell Verwirrung über den folgenden Satz: „Nein. Das muss ich irgendwie selber schaffen.“ ‚Was schaffen?‘, die Rolle des stummen Beobachters machte dann keinen Spaß, wenn man mehr Fragen als Antworten bekam und diese noch nicht mal stellen konnte! „Schaffst du das auch?“ ‚Ja, was denn?‘ „Ich weiß nicht, ob ich ihn noch überzeugen kann...“ Ich zog meine Augenbrauen enger zusammen: ‚Wovon?‘ „Das meine ich nicht“, Amy klang besorgt: „Undertaker ist verdammt stur. Und es kann verdammt lange brauchen ihn von einer Idee abzubringen. Wenn es denn überhaupt funktioniert“, die Phantomhive kannte mich und meinen Dickschädel definitiv gut, das musste ich ihr lassen: „Ich will wissen, ob du das aushältst. Sky, wie lange hältst du die Situation noch durch? Nachdem du Grell gesehen hast oder gestern am Fenster, du warst weiß wie ein Gespenst. Ich mache mir Sorgen um dich.“ Mein Kopf fiel nach hinten: ‚Warum? Warum magst du mich? Trotz allem?‘ Andersherum wäre alles so viel leichter… Ich hörte die schöne Brünette tief durchatmen: „Ich weiß es nicht, Amy.“ Ihre Stimme zitterte so sehr, dass ich sofort wieder zu ihr schaute. Tränen glänzten in ihren Augen in dem flachen Schein des abnehmenden Mondes: „Ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch versuchen kann. Ich weiß nicht, was ich noch versuchen soll oder was er eigentlich wirklich denkt. Ich weiß nur“, ihre Stimme verebbte komplett und die eben noch in ihren Augen glänzenden Tränen fielen zu Boden: „Dass ich will, dass es wieder wie vorher wird...“ ‚Oh nein…‘, ich vergrub mein Gesicht in den Händen: ‚Warum? Zum Himmel und zur Hölle, warum?‘, ich stützte meine Ellbogen auf meine Knie und legte mein Kinn in beide Hände. Ich spürte ganz deutlich wie in mir drin etwas zusammenklappte. So schmerzhaft der Gedanke, sie könnte sich vor mir fürchten auch war, er war der Gedanke gewesen, der mich befähigt hatte so viel Abstand zu nehmen. Abstand, der ihr schmerzte. Doch. Wie viele Schmerzen würde sie haben, wenn ich bei ihr blieb?: ‚Es geht dir besser ohne mich…‘ Amy nahm ihre beste Freundin fest in die Arme. Es war so schlimm zusehen, dass sie litt und so gut, dass sie nicht alleine war. Denn egal was ich tat, Skyler endete immer weinend. Ich hatte nicht mehr nur das Gefühl nichts besser machen zu können, ich hatte das Gefühl nie etwas richtig gemacht zu haben. „Lass dich nicht unterkriegen, Süße. Ich kann mir vorstellen wie schrecklich das alles ist. Ich hoffe Grell hat ihm mächtig eine reingehauen.“ Das hat er. Mehrmals. Zu wenig. „Was soll das denn bringen?“, murmelte Sky in Amys Schulter. „Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen doch bekanntlich das Denkvermögen“, und ich hatte trotzdem zu lange gebraucht. Wäre mir früher aufgefallen, dass sie sich wünschte es wäre wieder so wie vor diesem Freitag, ich wäre die Dinge anders angegangen. Ich hätte mich endgültig schon Sonntagnacht verabschiedet. Ich wäre ihr nicht mehr unter die Augen getreten. Hätte dem Butler gesagt, er solle sich selber darum kümmern nach demRechten zu sehen: „Außerdem gehört er für das was er veranstaltet einfach geschlagen. Vielleicht hat Grell ja so seine grauen Zellen wieder an den rechten Platz gebracht. Unterschätze Grell nicht. Er ist einer der Stärksten. Selbst stärker als Seb.“ Ich verdrehte die Augen. Der Butler fand sich auch mit so sehr am tollsten, dass alle in seiner Umgebung anfingen den Humbug zu glauben. „Seb?“ „Wir nennen Sebastian so, wenn er nicht in der Nähe ist. Er hasst Spitznamen.“ „Freak...“ „Dämon.“ „Ist das nicht irgendwie dasselbe?“, Skyler klang so ernsthaft erschöpft, dass ich mich noch nicht einmal an ihrem Misskredit gegenüber dem Butler erfreuen konnte: „Es wirkt allerdings nicht so, als hätte Grell irgendwas umsortiert. Ich kann Grell verstehen. Ich würde Undertaker auch nicht schlagen.“ „Damit hat Grell wirklich kein Problem.“ Ich nickte oft. Damit hatte Grell wirklich als allerletzter irgendein Problem. „Ja, bis man ihn von der Wand kratzten darf...“ ‚Oder aus deinem Rosenbusch sortieren…‘, ich unterdrückte im letzten Moment ein unschuldiges Hüsteln. „Grell und Undertaker sind Freunde. Da bolzt Undertaker nicht ohne Rücksicht auf Verluste zurück. Wenn es gute Gründe gab ihn zu schlagen gar nicht. Er schlägt also eigentlich nie zurück.“ Ich nickte wieder. Ich war halt ein Idiot. Ich habe nur jetzt mitbekommen was für ein riesen Idiot ich eigentlich war. Und wie zum Himmel schreiend inkompetent. „Es ist trotzdem alles wie es schon die ganze Woche ist. Abgebunden, verwirrend und total zum kotzen“, Sky brachte sich in den Sitzt und wischte ihr verweintes Gesicht trocken: „Alles was er sagt ist knapp und distanziert, doch er… was er tut nicht immer.“ „Inwiefern?“ Sky schaute auf den Verband um ihre Hand: „Das zum Beispiel. Oder, dass er mir die Kette nicht einfach wieder gab sondern umhing, als ich aus dem Laden gehen wollte.“ Amy zog eine Braue hoch: „Der Mann war echt noch nie ein Interaktions-Genie, doch was er gerade veranstaltet ist die totale Mopelkotze.“ „Zu wissen, dass er sich komischer als üblich benimmt bringt mich aber nicht weiter. Soweit bin ich selbst auch schon gekommen, stell dir vor. Ich... weiß einfach nicht wie viel Sinn, dass alles noch hat.“ Keinen. Es hatte keinen Sinn. Und irgendwann, an irgendeinem Tag wird sie feststellen, dass ihr Leben ohne mich leichter war. Besser. „Ich glaube du solltest es weiter probieren“, die Phantomhive stand auf und streckte sich. Ich unterdrückte den Impuls ihr einen Schlag auf den Hinterkopf zu geben. Warum musstesie Leute immer zu dem Falschen animieren? „Sei mir nicht böse, aber ich bin total kaputt und so auch echt keine Hilfe.“ ‚Nein!‘, dachte ich mir säuerlich: ‚Bist du wirklich nicht!‘ „Ich will einfach nur schlafen.“ Ich seufzte. Die Mädchen waren beide über den Zenit. Vielleicht wenn auch Skyler denn irgendwann ausgeschlafen hat und erfrischt zu denken anfängt… Vielleicht bemerkt sie dann den Rattenschwanz an meiner Bekanntschaft. Einen so langen, so blutigen Rattenschwanz, dass ich ihn ihr nicht zumuten konnte. Doch heute nickte Skyler kurz und stand auch auf: „Wäre ‘ne echt coole Abwechslung.“ „Also dann“, Amy war schon fast aus der Tür, da fuhr mir eine steife Brise über den Rücken in den Raum und sie wandte sich noch einmal um: „Warum steht dein Fenster offen?“ „Ich“, blinzelte Skyler irritiert dem Fenster entgegen: „Habe keine Ahnung...“ Ich tat einen langen Schritt aus dem Fenster auf das kleine Fensterbrett. Amy schaute Skyler an: „Du hast es nicht aufgemacht?“ Diese schüttelte emsig den Kopf: „Nicht, dass ich wüsste.“ Dann kam die Phantomhive auf das Fenster zu, stemmte sich auf den Schreibtisch und streckte mir ihre Nase ins Gesicht: „Nicht, dass das das Vieh war.“ Ich zog meinen Kopf zurück um sie nicht zu berühren. „Bitte?!“, rief Skyler erschrocken auf. Der sinnlose Schreck der jungen Brünette war leidlich. Doch was sollte ich tun? Aus dem Nichts auftauchen, einmal grinsend winken und sagen: ‚Guten Abend, die Damen. Keine Bange, das war nur ich‘? „Wollte es dich nicht anfassen?“, untersuchte Amy das Fensterschloss. „Schon, aber...“ Die Phantomhive drehte sich zu ihrer besten Freundin: „Aber?“ „Ich… Ich glaube, dass hat es nicht. Ich weiß nicht woher, aber ich bin mir fast sicher eine Berührung hätte sehr schwerwiegende Folgen.“ „Spidersense?“ ‚Was?‘ „Ich spüre das Vieh ja nicht. Ich habe nur… dieses Gefühl.“ „Das Schloss ist auf jeden Fall in Ordnung. Alles sehr mysteriös. Wir reden morgen mit Undertaker darüber, ja? Schaffst du das?“ Sky seufzte erst, dann nickte sie. „Machst du weiter?“, fragte Amy. Ich zog die Augen zusammen und verschränkte die Arme: ‚Herrgott! Lass es doch…‘ Sky schaute zur Seite. Eine Weile segelten wieder viele Gedankengänge durch ihre Augen. Dann schaute sie Amy wieder an und nickte. Ich unterdrückte ein Stöhnen. Warum rennt sie lachend in die Kreissäge? Das kann ja alles wirklich noch sehr spannend werden. Und bei weitem schwerer und bitterer als angenommen. Die Phantomhive lächelte allerdings gefällig: „Stark“, dann ging sie aus dem Raum: „Versuch‘ zu schlafen. Gute Nacht.“ „Nacht.“ Nachdem sie den Wecker wieder auf den Schreibtisch gestellt hatte, stand sie auf, schloss das Fenster vor meiner Nase und zog die Gardinen vor. Ich seufzte nachdem ich durch die Scheibe gehört hatte, dass Skys Schritte vom Fenster wegführten: „Warum kannst du mich nicht einfach hassen?“ Ich vertrieb mir ein paar Stunden auf dem Friedhof. Es war höchste Zeit gewesen den Efeu zu schneiden. Er hatte teilweise schon wieder die Schrift überwuchert und in den Mausoleen musste ich dringend öfter kehren. Wenigstens hatte mich das alles ein wenig abgelenkt und hier und da an etwas anderes denken lassen. Doch gerade wirkten auch diese schönen, alten Erinnerungen furchtbar schwer. So furchtbar lange her. Das schlimmste an Erinnerungen war, wenn man selbst merkte, wie sie immer blasser wurden. Als ich auf dem Hinterhof meines Ladens eingekehrt war, hatte ich mir eigentlich vorgenommen mich wenigstens für ein oder zwei Stunden in einen Sarg zu legen. Doch segelte mir etwas entgegen. Ich öffnete die Hände und fing den kleinen schwarzen Federball: „Hallo Merkenau.“ Merkenau krähte mich freudig an und wedelte mit den Flügeln. „Ja“, neigte ich meinen Kopf auf dem ein kleines Grinsen erschienen war: „Das war gut! Kehehehehe! Du hast große Fortschritte gemacht!“ Merkenau war wirklich im Fliegen mittlerweile recht gut. Ich glaubte nur Landen wird er noch ein wenig üben müssen. Er hüpfte von meinen Händen auf meinen Arm und von dort weiter auf meine Schulter. Dort krähte er einmal. „Frühstück?“, grinste ich: „Möchtest du mit rein?“ Merkenau krähte noch einmal. Mit einem seichten Kichern ging ich mit dem Raben auf meiner Schulter durch meine Hintertüre. In meinem Laden angekommen hatte ich Merkenau in sein Nestkörbchen gesetzt und ihm eine Handvoll Kekse hineingelegt. Er knusperte sie selig und legte dann irgendwann seinen Kopf in das Stroh und schloss erschöpft die Augen. Ich aß ebenfalls ein paar Kekse, dann hatte ich den Deckel eines Sarges aufgeklappt. Mit einem Bein schon darin, klingelte auf einmal das Telefon. Ich seufzte, hob meinen Fuß wieder aus der Kiste und hob den Hörer ab: „Ki hi hi. Undertakers Funeral Parlor, was kann ein bescheidener Bestatter für sie tun?“ „Ähm… Guten Tag“, surrte eine Frauenstimme durch mein Ohr: „Watson vom Karstein Hospital.“ Ich zog die Augen zusammen. Natürlich hatten das Karstein Hospital und ich eine einschlägige gemeinschaftlicheGeschichte, doch seit Stoker tot war, war es nur noch ein Krankenhaus, das mich wie jedes andere anrief um neue Gäste abzuholen. Ich wurde trotzdem immer wieder sehr hellhörig, wenn dieser Name fiel. „Fuhuhuhuhu! Wen soll ich abholen, Ms. Watson?“ „Niemanden.“ Eine meiner Augenbrauen sprang hoch: „Aha?“ So einen ähnlichen Gesprächsanfang hatte ich doch erst kürzlich. „Wir bräuchten ihre Hilfe.“ „Nihihi! Wobei?“ „Seit einiger Zeit telefonieren wir rum. Wir können einfach nicht nachvollziehen, wo 15 unserer verstorbenen Patienten gelandet sind. Sie sind die letzte Möglichkeit. Würden Sie nachschauen und uns die Versicherungsnummer der letzten 15 Klienten aus unserem Haus durchgeben, damit ich sie vergleichen kann?“ Die zweite Augenbraue folgte bei der Hälfte. Noch ein Krankenhaus, das ein paar Verstorbene verloren hatte. Zufall schloss ich aus: „Ehehehehehe! Aber natürlich!“ „Wirklich?“, die gute Frau am anderen Ende wirkte etwas überrascht: „Einfach so?“ „Ihihihihihi! In der Tat“, ich kramte mein Verzeichnis heraus. Die Frau konnte ja nicht ahnen, dass mir dieses Gespräch mehr bringen würde, als ihr: „Warum denn nicht? Ki hi hi.“ „Meine Kollegen meinten…“, sie brach ab: „Ach! Es ist egal. Danke für Ihre Unterstützung. Würden Sie?“ „Nihihihi! Nun…“, es war dasselbe Spiel. Nur, dass ich mir nicht so einen Knoten in die Zunge lesen musste wie bei dem gebeutelten Jüngling, der vor ihr anrief und dessen Namen ich wieder vergessen hatte. Diese Frau gab sich schneller und gefasster zufrieden: „Nein, die passen leider nicht. Danke für ihre Hilfe, Mr… ähm…“ „Kihihihi! Undertaker.“ „Mr… Undertaker?“ „In der Tat. Fu hu hu!“ „Nun“, jetzt wirkte die Frau doch ein wenig aus der Reserve gelockt, doch behielt einen guten Teil ihrer Contenance: „Ich möchte ihre Zeit nicht weiter verschwenden. Danke und…“ „Ah, ah, ah“, kicherte ich ins Telefon: „Einen Moment.“ Kurze Stille: „Ähm… Ja?“ „Gi hi hi. In welchen Zeitraum verschwanden diese Verblichenen?“ „Öhm“, die Frau sammelte sich kurz: „In den letzten 3 Monaten. Wieso?“ „Pures Interesse“, grinste ich. „Also“, die Frau schien zu überlegen: „Ich… möchte dann Ihre Zeit nicht weiter totschlagen. Danke und einen schönen Tag.“ „Ebenfalls, ebenfalls“, kicherte ich ins Telefon. Dann legte die Frau auf. Ich legte ebenfalls den Hörer auf die Gabel: „Fu hu hu. 28 verschwundene Leichen in 3 Monaten“, ich grinste, stand auf und stoppte kurz an meinem reparierten Fenster: „Dusolltest dich beeilen, Earl.“ Ich hatte mich noch ein wenig in meinen Sarg gelegt, indem ich zwar tatsächlich ein paar Stunden geschlafen hatte, doch nicht das Gefühl hatte wirklich zur Ruhe gekommen zu sein. Aber immerhin fühlte ich mich ein Stückweit ausgeruht. Ich stand schließlich nach geraumer Zeit wieder auf und schaute in meinen Terminkalender. Für Morgen stand eine Beerdigung an. Sarg und Gast waren fertig, doch hatte ich das Grab noch nicht gegraben und die Kapelle noch nicht geschmückt. Ich seufzte, als ich auf meine Uhr schaute. Es war Zeit bei den Mädchen vorbeizuschauen. Ich wollte gerade aus der Türe verschwinden, da stoppte ich. Es roch um mich herum nach Formaldehyd. Einen Geruch den ich selbst kaum noch roch. Doch als ich diesen gerade kurz bemerkte fiel mir ein, dass Grell mich darin förmlich gebadet hatte und mein Hemd damit vollgesogen sein musste. Auch Amy hatte dies Gestern wohl bemerkt und angekreidet. Ich entschied mich den jungen Damen nicht auch noch mit so einem prägnanten Geruch auf die Nerven zu gehen. So drehte ich mich um, ging durch die Türe hinter meinen Tresen und zog die Vorhänge vor meinen paar Brettern und der Garderobenstange zur Seite, die mir als Schrank dienten und kramte ein bisschen darin herum. Ich fand einen schwarzen Pulli mit V-Ausschnitt und ¾ Ärmeln, der nicht sonderlich schick, aber einfach und schlicht genug war um als anziehbar eingestuft zu werden. Mein Hemd flog einfach durch die halb geöffnete Badezimmertüre in den Wäschekorb. Dann verließ ich meinen Laden. Als ich vor dem Wohnzimmerfenster der beiden Schülerinnen landete, sah ich darin wieder nur Amy. Sie trug ein recht kurzes Kleid, welches recht kalt wirkte, auch wenn sie eine Strumpfhose und Stiefel darunter trug. Mit einem Kopfschütteln landete mein Pony in meinem Gesicht, dann klopfte ich an die Glasscheibe und winkte der sich zu mir drehenden Amber zu. Sie winkte zurück und ich öffnete das Fenster: „Ni hi hi. Guten Tag, Amber. Wohin des Weges?“ Amber legte den Kopf schief: „Hi Onkelchen! Was meinst du?“ Ich zeigte einmal an ihr herunter: „Fu hu! Schick, aber ein wenig kühl, oder nicht?“ Sie druckste mit nach links und rechts fallendem Kopf: „Ich bin nicht viel draußen, ich werde gleich abgeholt.“ „Und von wem?“ „Kontrollierst du gerade mit wem ich mich treffe?“ „Nein“, lachte ich: „Aber ich bin neugierig wer dir die Erkältung wert ist, ich kann es nicht verneinen.“ Amber wurde ein bisschen rot im Gesicht: „Lee…“ Ich lachte laut auf. Amy schaute mich säuerlich an: „Was ist so lustig?!“ „Ich habe nur auf diesen Tag gewartet“, lachte ich weiter: „Ihr schleicht ja schon länger umeinander herum!“ Amy zog verständnislos eine Augenbraue hoch: „Stimmt. Du hast in solchen Dingen ja auch total den Durchblick.“ „Sicherlich nicht“, grinste ich breit: „Ich bin in solchen Dingen total inkompetent!“ „Oh ja“, seufzte Amy: „Und wie du das bist.“ „Ja und ich bin mir dessen sehr wohl bewusst“, mein Grinsen wurde noch weiter und mich amüsierte dieses Gespräch und diese vorhersehbare Wendung zwischen der Adelstochter und dem jungen Asiaten ungemein: „Aber ihr beide macht das schon sehr offensichtlich, keine Bange.“ Die Phantomhive warf mir einen säuerlichen Blick zu. „Dein Vater wird nicht begeistert sein“, fuhr ich eine Spur ernster fort. Amy seufzte wieder: „Das ist er von 95% der Dinge die ich tue nicht.“ „Jetzt stelle dir vor er wüsste auch noch von den anderen 5%“, gigglte ich. Amy verschränkte kurz lachend die Arme: „Du bist ein Grab, du hast es selbst gesagt! Jetzt jag‘ mich nicht ins Bockshorn!“ „Ich? Niemals!“, ich hob die Hand vor meinen Mund: „Fu hu hu hu hu! Wenn ich mir in etwas sicher sein kann, dann dass ihr das auch wunderbar ohne meine Hilfe schafft!“ Die Phantomhive seufzte wiederholt, dann lachte sie auf: „Arschloch!“ Ich schüttelte lachend den Kopf: „Gibt es etwas Neues bezüglich eures unangenehmen Besuchers?“ Amy schüttelte den Kopf: „Nicht nochmal aufgetaucht. Sind du und Grell weiter gekommen?“ Ich schüttelte ebenfalls den Kopf: „Wir stehen noch vor einem nicht ganz so kleinen Problem. Ich wollte heute Abend mit ihm ins alte Archiv. Er weiß von seinem Glück nur noch nichts.“ Amy kicherte kurz: „Du Schlingel“, dann verschränkte sie die Arme: „Und du denkst im Archiv könnte etwas sein, was dir weiterhilft?“ „Ehehe. Ich weiß nicht. Dort unten ist so einiges. Einen Blick wäre es wert.“ Ich hörte das Schließen einer Türe und wenige Sekunden später stand Skyler im Türrahmen. Ich sah sie nicht, aber ich erkannte sie an ihren kleinen Schritten. Es dauerte ein paar weitere Sekunden bis sie sprach: „Hey Undertaker“ „Guten Tag, Skyler“, wandte ich mich kurz zu der schönen Brünetten. Dann wieder zu Amy. Jede Sekunde in Skylers Nähe war riskant, ich fühlte es: „Nihihihi, nun denn. Es wartet noch Arbeit auf mich“, ich hüpfte auf meine Füße: „Danach gehe ich mit Grell ins Archiv und versuche mehr über euren rätselhaften Besucher herauszufinden. Ich wünsche einen angenehmen Abend, die Damen!“ Mit diesen Worten wartete ich nicht auf eine Verabschiedung der jungen Frauen, sondern fiel einfach aus dem Fenster. Ich verschwand Richtung meines Ladens und verspürte ein komisches Gefühl in meiner Brust. Ich bedauerte mit Sky keine wirklichen Gespräche mehr führen zu können. Ich hatte mich so unendlich gerne mit ihr unterhalten… Ich verstaute kurz meine Schaufel und den Schmuck für die Kapelle in meinen Wagen und fuhr zurück zum Friedhof auf dem ich schon den heutigen Morgen verbracht hatte. Dort angekommen ging ich durch bis zu der vorgesehenen Ruhestätte, ritzte die Umrisse des Loches in die Erde und begann danach damit es auszuheben. Viele fänden das Ausheben eines 2,10 m x 1,20 m großen und dazu 1,80 m tiefen Loches per Hand sicherlich sehr beschwerlich und unnötig anstrengend, wie aufwendig. Doch ich tat diese Arbeit gerne. Vor allem, da sie noch ein Stück mehr ablenkte. Es war nicht so, dass ich diese Arbeit wirklich ermüdend oder erschöpfend fand, doch lenkte körperliche Arbeit den Kopf am besten ab. So buddelte ich vor mich hin und dachte für ein paar Momente an nichts Böses oder Unangenehmes. Schaufel rein, Erde raus. Schaufel rein, Erde raus. Schaufel rein, Erde raus. Ein Trott, der mich angenehm in einen kleinen Rhythmus band. Schaufel rein, Erde raus. Schaufel rein, Erde raus. Schaufel rein, Erde raus. So ging es eine ganze Weile. Schaufel rein, Erde raus. Schaufel rein…: „Undertaker?“ Ich hielt abrupt inne, als ich gerade eine weitere Schüppe voll Erde über meine Schulter werfen wollte. Ich drehte mich um, legte den Kopf in den Nacken und schaute mit zusammengekniffenen Augen durch einen kleinen Spalt in meinem Pony. Nur undeutlich sah ich die sehr zierlichen Umrisse eines Mädchens in Schwarz. Doch ich erkannte den zimtbraunen Schopf überdeutlich: „Skyler?“ Sie winkte zaudernd: „Hi. Ähm… Wie geht es dir?“ Ich wackelte mit meinem Kopf und zog meine Mundwinkel nach oben, obwohl mir ihre Anwesenheit missfiel: „Kehehe! Unkraut vergeht nicht.“ Sie missfiel mir auf die Art und Weise, dass sie mir viel zu lieb war. Ein paar Augenblicke machte Skyler nichts. Dann ging sie in die Knie. So viel näher sah ich ihr Gesicht nun relativ scharf durch den kleinen Spalt in meinen Haaren, obwohl ich immer noch den Kopf in meinen Nacken legen musste. „Das ist keine adäquate Antwort auf die Frage wie es dir geht, meinst du nicht auch?“, fragte sie schließlich. Ich wusste erst nicht recht zu antworten. Eigentlich fühlte und war ich nur vollkommen ertappt. Ich bewunderte und verfluchte zugleich, wie schlau dieses hübsche junge Ding war. Hübsch und klug, garniert mit einem vielseitigen Charakter war eine seltene Kombination. Selten und faszinierend. Ich konnte nicht verantworten, dass ich etwas daran und darin brechen könnte. Skyler über meine verschneite Gefühlslage aufzuklären war natürlich vollkommen ausgeschlossen. Ich steckte meine Schaufel in die Erde: „Ihihihi, wieso meinst du das?“ „Weil man gar nicht heraushören kann wie es dir geht“, traf sie genau ins Schwarze. „Nun“, ich legte meinen Kopf zur Seite und grinste breit. Wollte so kaschieren, dass der einzige Sinn dieser Aussage natürlich war, dass man nicht erahnen konnte wie es mir ging: „Kihihihi! Es geht auch nicht um die Frage wie es mir geht, sondern um die Frage wie es euch geht. Ich werde schließlich nicht von irgendwelchen komischen Wesen bedrängt, die mich sogar in meinen Träumen verfolgen.“ Skyler schaute mich blinzelnd an. Dann zog sie ihre Augenbrauen zusammen. Ihre skeptischen Augen verrieten mir, dass ich auf den besten Weg war horrend aufzufliegen: „Trotzdem möchte ich wissen wie es dir geht.“ Oder schon aufgeflogen war. „Nehehe. Warum denn das?“ „Weil es mich interessiert.“ „Nihihi. Muss es nicht.“ Sie fuhr sich durch die Haare, kopfschüttelnd und sichtlich angestrengt: „Was soll das? Sag es doch einfach.“ Jetzt, wo sie die ersten Anzeichen von Erschöpfung aufgrund meines Drumherum-Redens zeigte, entschied ich mich eine alt bewehrte Taktik anzuwenden: Menschen müde und schwindelig zu reden. Etwas, indem ich mehr als nur reichlich Übung hatte. Und als Skyler sich durch die Haare fuhr, sah ich etwas, was mir nur allzu gelegen kam. Ich zeigte mit meinem Zeigefinger auf ihre Stirn: „Ehehe! Du hast da was.“ Ich erkannte nicht ganz was es war, aber sie hatte sich definitiv etwas Schwarzes und Braunes an die schöne Stirn geschmiert. Skyler blinzelte erneut. Man sah ihr an, dass sie im ersten Moment versuchte meine plötzliche Aussage zu entschlüsseln. Viele blieben daran hängen „Lenk‘ nicht ab!“, Skyler nicht. Sie wirkte recht säuerlich, als ihr auffiel, was ich gerade tat. Ich musste es auch nicht zwingend unauffällig tun, auch wenn ich das mehr als einmal mit Bravour geschafft hatte. Es ging darum länger durchzuhalten. Ich hoffte zwar, Skyler würde nicht direkt Lunte riechen, doch wusste ich eigentlich, dass sie zu pfiffig dafür war: „Kehehehe! Da ist wirklich etwas!“ „Das ist mir vollkommen egal!“ Ich zog meine Augen ein Stück zusammen. Mein Sichtfeld wurde ein wenig schärfer und mich beschlich eine Ahnung was das ominöse Etwas sein könnte: „Sieht aus wie Farbe. Tihihi!“ „Rede nicht an mir vorbei!“ „Nehehehe! Du hast es sogar in den Haaren!“ „Undertaker!“ Ich grinste ihr entgegen, bereit zum nächsten kontextlosen Kommentar: „Nihi! So heißeich.“ „Was soll das?“, hauchte sie entkräftet. Ihr Gesichtsausdruck war leidlich. Er gefiel mir überhaupt nicht. Doch ich bekam sie langsam in die Nische gedrängt, wo ich sie haben wollte: In die, wo sie nicht mehr nachfragte. Niemand, nicht einmal Vincent, hatte sich so kontinuierlich nach meinem Wohlergehen erkundigt. Auch vor Freitag hatte Skyler bei fast jedem einzelnen Treffen nach der Begrüßung gefragt wie es mir ginge. Nicht aus Höflichkeit. Ich hatte ihr ihr Interesse jedes Mal deutlich angehört. Doch ich wollte ihr nicht erzählen wie es mir ging. Nicht warum es mir so ging. Ich wollte nicht, dass es mir so ging. Ich wartete sehnsüchtig auf den Tag, an dem ich plötzlich merkte, dass diese Empfindungen alle in den tiefen Schlamm gewandert waren. In die teerschwarze Brühe auf dem Grunde meiner Seele. Die pechschwarze Brühe, die eigentlich alles war, was ich war. Verbittert. Rachsüchtig. Grausam. Frustriert. Einsam. „Nun, ich versuche dich darauf aufmerksam zu machen, dass du dir irgendetwas in die Haare geschmiert hast“, ich streckte meine Hand aus Gewohnheit aus und fuhr ihr durch den Pony. Dabei brachte ich mein Gesicht nah zu ihrem, um endlich sehen zu können, was in ihrem Gesicht war: „Ehehe. Farbe, wenn ich raten müsste.“ Ich fuhr ihr noch einmal durch den Pony. Dann fühlte ich etwas Klebriges an meiner Hand. Ich hob meine Finger zwischen unsere Gesichter damit wir es Beide sehen konnten. „Tatsächlich!“, kicherte ich kurz: „Kihi! Es ist Farbe! Fuhu! Wie auch immer die dahin kommt.“ Ich kam ad hoc auf keine Erklärung, warum sie Farbe in den Haaren hatte. Etwas in mir tippte auf eine unglückliche Kombination ihrer künstlerischen Veranlagung mit ihrer riesen Portion Pech. Ich konnte mein Kichern nicht zurückhalten, als ich ihr ein paar weitere Male durch den Pony fuhr, um die halb getrocknete und noch halb nasse Farbe mit den Fingern aus ihren Haaren zu kämmen: „Fuhuhu! Dein Pony ist voll damit! Was hast du gemacht?“ „Ein Bild zerstört“, zog sie die Augen zu Schlitzen und die Nase kraus. Es musste wohl ein bisschen ziehen. „Ehrlich?“, kicherte ich weiter: „Nihihi! Wie das denn?“ „Mit einem Farbspachtel…“, antwortet sie recht resigniert mit durch das Ziepen immer noch zerknautschtem Gesicht. Es hatte etwas furchtbar Süßes, was mich lauter Lachen ließ: „Pahahahaha! Wieso bearbeitest du deine Bilder auch mit einem Farbspachtel?“ „Hab zwei Striche versaut...“, seufzte sie. Mein Kopf fiel zur Seite: „Fu fu fu. Kann ich mir nicht vorstellen.“ Sie konnte sicher genauso gut malen, wie sie zeichnen konnte. Die Staffelei und etliche Leinwände in ihrem Zimmer ließen zumindest den Schluss zu, sie hatte das ein oder andere an Spaß und Übung darin. „Du hast ja keine Ahnung...“ Ich richtete meinen Kopf wieder auf und zog ihren Pony nach oben, um zu schauen, ob die Farbe nun verschwunden war. „Nihihi! Du hast die Farbe wirklich überall“, sah ich, dass dies nicht der Fall war und ließ die Hand wieder ein Stück sinken. Ich wechselte auf meinen Daumen und versuchte die Farbe wegzurubbeln: „Sogar an der Stirn!“ In dem Moment zog eine ungeahnte Wärme in meine Hand. Ich mochte das Gefühl ihrer herrlich linden Haut. Doch wirkte ihre Haut auf mich im Moment eher hitzig. Ich erinnerte mich an Sonntag. An die Themse und dem scharfen Novemberwind. So zog ich die Hand aus ihrem Pony, legte sie auf ihre Schläfe und fuhr mit dem Daumen bedächtig über ihre Stirn: „Sage mir.“ Mich beschlich sofort die Sorge, dass sie aufgrund dieser Umstände krank geworden war und fiebern könnte: „Bist du wohlauf?“, dann sollte sie definitiv nicht bei kaltem Wetter über einen zugigen Friedhof laufen: „Du bist sehr warm.“ Sky schaute mich mit großen Augen an. Ihr Gesicht wirkte erschrocken und mehr als unangenehm berührt. „I-i-ich“, machte sie hektisch: „Bin doch immer wärmer, als du! Nicht ich bin sehr warm, sondern deine Hände sind sehr kalt!“ Ihre plötzliche Aufregung ließ mich innehalten. Den Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich woher sie kam. Doch schnell wurde es mir klar. Was mir bis eben nicht klar gewesen war, war meine Hand an ihrer Stirn, die vorher minutenlang an ihrem Pony zu Gange gewesen war. „Stimmt“, schaffte ich es mein Grinsen aufrecht zu erhalten, als ich meine Hand von ihrer Schläfe nahm. Sicher war auch ihr bewusst gewesen, dass ich eine Grenze überschritten hatte, die ich selber hatte aufgebaut: „Verzeih mir, ich vergaß.“ Ich hatte meine Distanz vergessen. Ich war ihr wieder einen Schritt nähergekommen, ohne es auch nur zu bemerken. „Sag, Skyler“, ich nahm mein Gesicht zurück. Gegen meinen eigenen inneren Widerstand stellte ich die Distanz wieder her. Damit es nicht so gezwungen aussah, wie es sich anfühlte, lehnte ich mich auf meine Schaufel und überkreuzte legere meine Beine: „Was möchtest du hier? Kehehehe! Du bist doch sicher nicht hergekommen um mir beim Graben zu zuschauen.“ Sie schaute mir ein paar Sekunden in die Augen. Ihr Gesichtsausdruck war gebeutelt und sah traurig aus. Ich weiß nicht, ob ich sagen konnte, ich könnte mir es jetzt erlauben. Ich wusste nicht ob‚erlauben‘ das rechte Wort war. Doch seitdem ich Skylers und Ambers gestrige Konversation so manierlos belauscht hatte glaubte ich sie wolle nicht, dass ich mich distanzierte. Ich wollte es auch nicht. Der fixe Gedanke es einfach nicht zu tun huschte durch meinen Kopf. Es einfach nicht zu tun, wie ich alles einfach nicht tat, was ich nicht tun wollte. Doch ihr trauriger Gesichtsausdruck verscheuchte diesen Gedanken so schnell wie er gekommen war. ‚Sagen wir einfach, dass das Vieh das kleinere Problem ist...‘ ‚Sky, wie lange hältst du die Situation noch durch? Nachdem du Grell gesehen hast oder gestern am Fenster, du warst weiß wie ein Gespenst. Ich mache mir Sorgen um dich.‘ Ich machte mir wie Amy Sorgen um sie. Freitag. Sonntag. Gestern Nacht. Sie vertrug mich nicht. Ich tat ihr nicht gut. Hatte ich sonst nicht das geringste Problem nur und ausschließlich an mich zu denken… Mein Bedürfnis nach ihrer Nähe auf ihre Kosten frönen konnte ich nicht. Ich konnte es nicht. „N-Nein“, weckte mich ihre zögerliche Stimme schließlich aus meinen Gedanken: „Ich war nur verwundert, dass hier jemand buddelt… Ich meine… Man hebt Gräber doch nicht mehr per Hand aus, oder?“ Ich kicherte kurz auf, wollte so normal klingen wie irgend möglich. Und um für meine Verhältnisse so normal wie möglich zu sein musste ich lachen und kichern, amüsiert und heiter wirken. Mir war nicht nach Kichern und Lachen. Ich war nicht amüsiert und heiter. Mir machten diese ganzen Situationen, diese ganzen Zustände nicht im Geringsten Spaß. Doch abgesehen von der Tatsache, dass alle diese Wahrheiten Skyler unendlich belasten und sicherlich wieder ein schlechtes Gewissen anhängen würden, wollte ich nicht, dass sie sie kannte. Ich wollte nicht, dass irgendjemand wusste, dass es mir überhaupt so gehen konnte. Ich wollte nicht, dass diese Gefühle existieren. Sie gehörten in die Brühe. Und in mein Gesicht gehörte ein Lächeln. Weil es immer so war. Weil nicht meine Death Scythe und nicht meine Erfahrung, nicht mein Training und nicht meine Routine meine stärkste Waffe war. Meine stärkste Waffe war die Tatsache, dass man mich nicht einschätzen konnte. Es war die Verwirrtheit und Verstörtheit. Die Perplexität und der Moment, den mein Gegenüber zum Sammeln brauchte. Der mir Zeit gab einen Schritt voraus zu bleiben. Es war der Unglaube und die Empörung. Mein nichtmehr zu wertender Gesichtsausdruck. Das Missbrauchen von etwas, dass Menschen hoch und heilig waren: Fröhlichkeit. Spaß. Dahinter konnte niemand schauen. In die Brühe, die in ihrer Kiste vor sich hin schwelte. „Kihihi. Nein“, sprach ich schließlich auf: „Aber ich habe meinen Spaß daran.“ „Okaaay“, machte Skyler langgezogen und ein verunglücktes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht: „Jedem das Seine.“ „Was treibt dich also eigentlich hierher?“, hielt ich das Thema bei ihr. Sie war auch bei weitem interessanter und wichtiger, als ich. „Ich… Ich wollte ein bisschen Zeichnen...“ Diese Aussage klingelte in meinen Ohren. Sie gab mir einen Anlass die Situation zu beenden, die sich einfach nicht gut anfühlte. Sicher für beide nicht. Ich ließ meinen Kopf zur Seite fallen: „Ehehe. Dann tue dies.“ „Aber… Naja, ich hab dich jetzt getroffen und ich kann dich ja nicht einfach...“ „Nah, tihihi!“, unterbrach ich sie und ihren Hang zur Höflichkeit: „Mache dir keine Gedanken um mich. Ich sagte dir schon letztes Mal, dass du auf mich keine Rücksicht nehmen musst.“ „Aber...“ „Ich bin hier eh noch beschäftigt“, unterbrach ich sie ein zweites Mal: „Fu fu fu. 20 Zentimeter fehlen mir noch. Also tue doch einfach so, als würde ich hier gar nicht herumstreunen.“ „Aber...“ „Skyler“, ich zog meine Schaufel aus dem Boden, um sie als stummes Argument zu benutzen. Diese Situation sollte enden: „Ehehe. Gehe ruhig Zeichnen.“ Der Ausdruck ins Skys Augen kippte noch mehr. „Ok...“, sie stand auf und drehte sich ab: „Dann bis morgen...“ ‚Wehre dich nicht dagegen‘, ich schaute ihr eine Weile hinterher, obwohl sie schnell zu einem verschwommenen Fleck geworden war: ‚Sei sauer auf mich‘, ich seufzte und stieß meine Schaufel in die Erde: ‚Hasse mich.‘ Eine halbe Stunde später war ich mit dem Grab fertig. Ich stellte noch den Grabstein auf und bereitete dann die Kapelle vor. Ich blieb kurz auf meiner Leiter sitzen und beschaute den schwarz geschmückten Altar. Doch meine Gedanken hingen weniger an der bevorstehenden Beerdigung, als mehr an Skylers Ausdruck in den Augen, als sie aufgab mit mir zu sprechen. Ich seufzte. Ich konnte nur hoffen, dass der Gedanke der Unmöglichkeit mit mir ein anständiges Gespräch zu führen, ihr selbst half mehr Abstand zu gewinnen. Und den Plan niederzulegen dagegen anzugehen. Wie ich mich gegenüber ihren angestrebten Bemühungen fühlte war zwiegespalten. Einerseits machte es alles für mich nur noch viel schwerer. Machte es meinen Egoismus leichter, mir in die Gedanken zu schlüpfen. Andererseits… bedeutete es mir nicht gerade wenig, dass sie augenscheinlich in meiner Nähe bleiben wollte. Ich sprang von meiner Leiter, bevor ich weiter darüber nachdenken konnte. Alles wieder in meinem Auto verstaut fuhr ich Heim. Dort sortierte ich Bruchpilot Merkenau aus einem meiner Regale, wo er in einer misslichen Lage und sicherlich anders als geplant gelandet war. Ich setzte ihn abermals auf den Parkplatz hinterm Haus und kehrte dann die Porzellanscherben einer durch den Raben verunglückten Vase von 1860 zusammen. Danach griff ich meinen Telefonhörer und telefonierte mit Grell. Er hatte gerade Feierabend – nach etlichen Überstunden - und klang nicht begeistert, ließ sich aber überreden mich am Eingang des Archives zutreffen. Wir beschlossen William außen vor zu lassen, um die Angelegenheit unbürokratischer und vor allem schneller hinter uns zu bringen. Wachhund William war schließlich nicht gerade dafür bekannt die Dinge einfacher zu gestalten. Als ich den großen Schritt in die Bibliothek der Sensenmänner machte, war es geschäftig wie eh und je. Ich ging ein Stück mit dem Strom, so selbstverständlich, dass es schon dreist war und bog schließlich in die Treppe Richtung Keller. Vor der alten Türe stand Grell mit einer Tasse in der Hand. „Kaffee am Abend?“, grinste ich. „Bürodienst, 13 Stunden… William“, ächzte Grell und trank einen tiefen Schluck: „Ich hab vergessen, ob ich Männlein oder Weiblein bin…“ „Einer Tatsache, der du dir ja generell so unumstößlich sicher bist“, kicherte ich fies. „DU KANNST MICH MAL!“, Grell war wieder wach und warf mir seine halb volle Tasse an den Kopf. Ich erlag einen kleinen Lachanfall, dann zog ich meinen Schlüssel aus der Hosentasche: „Hängt bei euch immer noch der Haussegen schief?“ Grell winkte ab: „Der Haussegen ist mit Pauken und Trompeten untergegangen“, er stemmte eine Hand in die Hüfte und fuhr sich durch die Haare: „Glaube mir, du willst keine Details…“ „Stimmt“, schloss ich die Türe auf. „Aber der Kerl ist so zum Kotzen!“, ich hatte mir generell keine Hoffnungen gemacht von Details verschont zu bleiben: „Setzt mich an einen Schreibtisch! 13-Stunden-lang! Mit nur einer Stunde Pause! ‚Tu dies‘, ‚Mach das‘, ‚Konzentrier dich‘. Ja, wie denn?! Mir schwirrt der Kopf! Und der Kerl erzählt mir nur was von wegen ‚mangelnder Arbeitsmoral‘! Der kann froh sein, dass es mir nicht an Selbstbeherrschung mangelt!“, ich hob den Zeigefinger, doch Grell ließ mich nicht zu Wort kommen: „Verkneif es dir! Einfach mal die Fresse halten!“, ich nahm meinen Zeigefinger wieder hinunter und legte dann meine Hand amüsiert an mein Kinn. Grell drehte derweilen seinen Zeigefinger mit in die Hüfte gestemmter Hand durch die Luft:„Ich habe geschuftet wie ein Tier und der erzählt mir was von wegen, ich würde mir keine Mühe geben. Nach 8 Stunden wollte ich Feierabend machen und er erklärt mir, ich könne erst gehen, wenn ich fertig bin! Warum tu‘ ich mir den eigentlich an?! Der hat nur schlechte Laune, ist nur am Meckern, hat den Humor eines überfahrenden Wiesels und genauso viel Pepp!“ „Grell“, ich verschränkte kichernd die Arme: „Nihihihihi! Wenn ich dich in einen Raum bitten würde, meine Death Scythe in der Hand, und sowohl Sebastian als auch William dort an eine Wand gekettet hätte. Wenn ich dich fragen würde, wer von den Beiden leben und wer sterben soll, wen würdest du wählen?“ Grell schaute mich mit großen Augen an. Er schien verstört, doch gleichzeitig über das was ich sagte nachzudenken. „Erstmal“, sagte er schließlich: „Müsstest du die Beiden kriegen.“ Mein Grinsen wurde weiter: „Denkst du, das wäre das Problem?“ „Ganz von schlechten Eltern sind die Beiden jetzt nicht.“ „Fu hu hu hu! Soll ich es ausprobieren? Kehehehe! Ich habe kein Problem damit aus theoretisch praktisch zu machen, liebster Grell.“ „Himmel Herrgott, nein!“, Grell wedelte mit den Händen: „Die hängen sicher nicht unbeschadet an der Wand!“ Ich grinste noch weiter: „Wahrscheinlich nicht.“ Grell winkte mit einer Hand ab: „Lass es. Lass es. Theorie. Theorie ist gut“, er verschränkte die Arme und seufzte: „…William…“ „Warum?“ „Weil“, Grell schaute mich an und dann zu Boden. „Du musst es mir nicht sagen“, ich drehte mich ab: „Ki hi hi hi. Es reicht, wenn es dir selbst bewusst geworden ist.“ „Du hast eine sehr komische Art zu helfen“, klang diese Aussage nur halb wie eine Beschwerde. Ich legte meine Hand an die Klinke: „War sie nicht hilfreich?“ „Doch“, seufzte Grell müde. „Na, siehst du“, öffnete ich die Türe. Grell betrat das stockfinstere Archiv nach mir: „Wie kannst du anderen helfen, wenn du selber gerade Hals über Kopf in Problemen hängst?“ Ich kicherte und schnipste. Die Kerzen gingen an: „Dasselbe könnte ich dich fragen, oder nicht? Es ist erfrischend über etwas anderes nachzudenken.“ „Gibt es von deiner Front etwas Neues?“ Ich drehte mich zu Grell: „Hast du gerade tatsächlich den Kopf dafür? Nach 13 Stunden Bürodienst unter Williams strengen Augen?“ „Du hast mir auch geholfen. Wie viel hast du die vergangene Woche geschlafen, Undertaker?“ „Ein paar Stunden, aber ich schlafe generell nicht viel. Ke he he he!“ „Naja, ein bisschen schon“, zog Grell eine Augenbraue hoch. „Sollten wir uns nicht auf das Wesentliche konzentrieren?“, ich deutete auf die mit Papier vollgestopften Regale, nicht im Mindesten dazu geneigt Grell weitere Auskunft über meineSituation zugeben: „Ansonsten wird das hier mehr als eine 13 Stunden Schicht. Ahehehehehehe!“ Grell schaute sich um: „Touché, mon cher… Doch wo sollen wir anfangen?“ Ich verschränkte die Arme: „Eine sehr gute Frage.“ „Du hast dir darüber keine Gedanken gemacht?!“ „Nein“, grinste ich ihn an: „Ich habe schließlich keine Ahnung wonach wir suchen!“ Grell versteckte das Gesicht in seinen Händen: „Ich werde sterben…“ „Ich würde vorschlagen wir schauen bei G!“ Grell schaute aus seinen Händen auf: „Bei G?“ „Ja“, ich ging zu den Regalen: „Tihihihihi! Bei G, wie ‚Geister‘!“ Ich hörte wie Grell hinter mir seine Hand vor die Stirn schlug. Nach sechs Stunden buddelte sich Grell aus einem Berg Papier: „Undertaker, bitte. Wir finden nichts!“, er schaute mir verzweifelnd ins Gesicht: „Ich kann nicht mehr lesen. Bitte. Lass uns aufhören, oder bringe mich einfach direkt um!“ Ich blätterte in dem Notizblock von Minagawa Akitsune - einen der anderen 10 Ersten - eine Seite weiter: „Warum so todessehnsüchtig?“ „19 Stunden…“, Grell fiel auf den Rücken. Einige Blätter stoben auf: „Papier! Ich will ins Bett! ...Und Urlaub…“ Ich schaute von meinem Bericht auf: „Hast du Urlaub?“ „Bist du zurechnungsfähig?“ „Eh he he! Dann musst du ja morgen früh raus.“ Grell setzte sich wieder auf: „Blitzmerker!“ Ich klappte den Bericht zu und schob ihn zurück: „Dann lassen wir es gut sein.“ Ich stand auf, streckte Grell meine Hand hin und zog ihn auf die Beine. „Wo gehst du jetzt hin?“ fragte er, als ich die Türe wieder abgeschlossen hatte. Ich schaute ihn an. „Das ist so tragisch“, dann quietschte er und wackelte mit der Hüfte: „Und irgendwie so romantisch!“, dann wurde er wieder ernster und seufzte: „Doch Shakespeare sollte auf dem Papier bleiben, findest du nicht?“ Ich schaute ihn an und öffnete ein Portal in die Menschenwelt, welches mich auf eine kleine Fensterbank und nicht in meinen Laden führte: „Sorge dich lieber um dich selbst.“ Grell verschränkte die Arme: „Undertaker, du bist Migräne in Person.“ Es war schon spät, als ich mit aufgezogener Brille vor Skylers Fenster angekommen war. Die Uhr ihres digitalen Weckers zeigte 01:27 Uhr. Es war dieselbe Szenerie wie die Nächte davor. Sie drehte und warf sich hin und her. Zuckte verzweifelt geschüttelt von ihren Alpträumen. Und wieder kam ich gegen meinen inneren Drang nicht an. Ich öffnete ihr Fenster mit einem Tippen gegen das Schloss und sprang lautlos hinein. Mit einem seichten Seufzen setzte ich mich neben sie: „Armes Ding…“ Ich streichelte zaghaft ihre Wange. „Nein!!“ Als Skyler mit einem Keuchen die Augen aufriss zog ich hastig meine Hand zurück. Mit einem Satz war ich über den Schreibtisch und aus dem Fenster. Ich schaute auf Skyler, die in ihrem Bett lag und an die Decke starrte. Eine Brise wehte über meinen Rücken durch das offene Fenster vor mir. Plötzlich sprang Sky in den Sitz und schaute auf das Fenster: „Was?!“ Ich beugte mich ein Stück in den Fensterrahmen um ihr Gesicht besser sehen zu können. In diesem Moment hüpfte sie aus dem Bett: „Warum ist das scheiß Ding schon wieder auf?!“ Die Brünette schmetterte das Fenster zu. In ihrer recht frustriert klingenden Rage hörte sie das gläserne ‚Plong‘ wohl nicht, was meine Nase, wie Stirn auf der Glasscheibe machte, die ich frontal ins Gesicht bekam, da ich ein wenig überrascht über Skylers lauten Ausbruch meinen Kopf noch nicht zurückgezogen hatte. Ich machte eine unfreiwillige Rückwärtsrolle und rasselte über die kleine Steinmauer der Fensterbank. Im letzten Moment hielt ich mich mit einer Hand daran fest und stürzte so nicht wieder komplett ab. „Hey, jey, jey…“, ich rieb meine Nase, als ich mir die stumme Frage verkniff womit ich das verdient hätte… Der Aufprall des Fensters noch in den Ohren klingelnd, hörte ich Sky in ihrem Zimmer. Sie war auch wirklich nicht zu überhören: „Ich hab keinen Bock mehr!“, es krachte einmal laut und ich war nicht unglücklich nicht zu wissen wieso: „Au! FUCK!“ Es klang auf jeden Fall schmerzhaft… „Das gibt‘s doch nicht! Scheiße, man!“ Verübeln konnte man der jungen Frau ihre angeschlagene schlechte Laune wirklich nicht. „Was ist denn hier los?“, es verwunderte mich nicht, dass Amy in ihrem Zimmer auftauchte: „Was tust du da? Wir haben halb 2 Nachts und du reißt die Bude ab. Geht‘s noch? Ich hatte endlich mal geschlafen.“ Es verwunderte mich auch nicht, dass sie es nicht mit bester Laune tat. „Sorry, Amy. Ich hab die Beherrschung verloren“, seufzte Sky angestrengt. „Ja, das hab ich bemerkt“, hörte ich wieder die Adelstochter: „Was hast du gemacht?“ „Ich hab mein Fenster zu gemacht...“ „Warum steht es dann offen?“ „...Weil es nicht zu gegangen ist...“ Schließlich war ja auch meine Nase im Weg gewesen. „Und warum hüpfst du hier rum wie Pinocchio nach einem Besuch im Sägewerk?“ „Ich hab vor den Stuhl getreten...“ „Barfuß?“ „...Ja...“ Ich fuhr mir müde durch den Pony. Es schmerzte mir, dass alles - die Umstände, ich und dieses komische Wesen - ihr im Moment so übel mitspielten. Dass sie so frustriert war, dass sie die Fassung verlor und sich weh tat. „Tat das nicht weh?“ „...Ja...“ Unter normalen Umständen hätte ich mich wahrscheinlich durch ein lautes Lachen sofort verraten. Doch nach Lachen war mir immer noch nicht zumute. Ich hing nur mit einer Hand an der kleinen Fensterbank und hoffte, dass es der schönen jungen Skyler bald wieder besser gehen würde. Seelisch wie körperlich. Ich blieb immer wieder kurz an dem Gefühl hängen, dass ihre Stirn viel zu warm gewesen war. „Hach, Sky“, Amy klang verständnisvoll seicht, wie müde: „Traum oder Bestatter?“ Diese Frage weckte mich aus meinen Gedanken. Ich zog mich wieder auf die Fensterbank. Skyler schaute betreten zu Boden: „Traum Auslöser, Bestatter Grund...“ Ich konnte mir ein Seufzen im letzten Moment abringen. Amy setzte sich auf Skylers Bett: „Ich bleib dabei. Schlag ihn. Feste.“ ‚Schon passiert…‘, ich rümpfte meine Nase. „Er geht mir aus dem Weg...“ „Er ist ein Trottel“, betonte Amber das Offensichtliche. Doch sie hatte vollkommen Recht. Sie wuschelte Sky liebevoll durch die Haare: „Schlaf noch etwas.“ „Ich habe keine Lust mehr zu schlafen...“ Auch das konnte man ihr nicht verübeln. „Aber du musst es tun.“ Und auch das war vollkommen richtig. Skyler erkannte dies mit einem kleinen Nicken: „Ich weiß...“ Die Mädchen wünschten sich eine gute Nacht, Skyler schloss ihr Fenster dieses Mal ohne mich damit zu schlagen und krabbelte zurück in ihr Bett. Ich blieb bis die leuchtend roten Lettern 05:09 Uhr zeigten und die ersten Sonnenstrahlen gemächlich durch den zugezogenen Nachthimmel sickerten. Dann verschwand ich in meinen Laden. Ich machte mich daran einen weiteren Sarg zu bauen. Wie auch beim Gräber ausheben bediente ich mich auch hier lediglich meiner Hände und ein bisschen Werkzeug, aber keiner Maschinen. Was man mit eigenen Händen schafft ist persönlich. Umso weniger maschineller Einsatz, umso persönlicher wurde es. Ich verbrachte so meinen Morgen, war allerdings nicht wirklich von meinen Gedanken abgelenkt. Sie schwelten nur unterschwelliger in meinem Kopf. Nach ein paar Stunden war es Zeit meinen Gast seine allerletzte Reise antreten zu lassen. Ich schob ihn in meinen Wagen und fuhr zum River Thames Cemetery. Auch diese Beerdigung ging sehr spurlos an mir vorbei. Ich hatte das Gefühl mehr mechanisch, als mit Leidenschaft zu arbeiten. Dabei war Leidenschaft bei der Arbeit so wichtig. Nach knappen 2 ½ Stunden verabschiedete sich die Trauergemeinschaft zum Leichenschmaus. Ich schüttete das Grab zu und war um 13 Uhr wieder in meinen Laden eingekehrt. Merkenau traf ich auf dem Parkplatz nicht. Sicherlich war der kleine Vogel dabei ein bisschen die Welt zu erkunden, jetzt wo er einigermaßen fliegen konnte. Ich stellte ihm eine Schale mit ein paar klein gebrochenen Keksen auf einen der auf meinem Hinterhofstehenden Grabsteine. Dann setzte ich mich mit einem Messbecher Tee an meinen Tresen. Ich beschwor meinen Terminkalender, der allerdings keine dringenden Arbeiten mehr für mich im Petto hatte. Ein Gast mehr war nun unter der Erde und für den anderen hatte ich noch keinen Beerdigungstermin mit den Behörden ausgemacht. Ich spielte kurz mit den Gedanken es jetzt zu tun, doch legte ich ihn wieder ad acta. Nach lähmender Bürokratie stand mir nie der Sinn, doch im Moment noch weniger als sonst. Ich warf einen halbherzigen Blick auf mein Handy, welches immer mal wieder in meiner Hosentasche kurz vibrierte und vibriert hatte. Es war das Übliche. Recht belangloses in und her Geschriebenes wie schon Mittwoch und gestern. Doch war es schön zu sehen, dass das Leben bei den Anderen wohl normal und relativ problemlos seinen Gang nahm. Ich steckte es zurück, legte meine Füße auf den Tresen und schloss die Augen. Ich lauschte ein wenig der Ruhe in meinem Laden. Hörte ganz in der Ferne das Rauschen der Autos auf der ein paar Gassen entfernten Hauptstraße. Ich konzentrierte mich auf das distanzierte Rauschen und versuchte es im Vordergrund meiner Gedanken zu halten. Und nach ein paar Minuten driftete all das bittere tatsächlich immer und immer ein Stück mehr in den Hinterkopf. Ich rutschte in eine meditative Art von Stille. Langsam breitete sich ein warmes müdes Gefühl in meinem Körper aus und vertrieb das Gefühl aus Händen und Füßen… … dann vibrierte es in meiner Hosentasche und zog mich abrupt zurück in die wache Welt. Mein Kopf zuckte hoch und ich seufzte genervt. Warum sollte ich auch etwas mehr als 5 Minuten wirklich meine Ruhe finden? Mit der Intension das Ding in den Tiefen einer meiner Schubladen verschwinden zu lassen, zog ich mein Handy aus der Tasche. Doch auf dem Display leuchtete gar nicht der Chat der Aristokraten, sondern ein grünes Symbol mit einem weißen Hörer und daneben der Name >Grell<. Ich zog eine Augenbraue hoch und öffnete den Chat entgegen meiner eigentlichen Absicht, schon ein wenig neugierig: – Grell [13.11.15; 13:19] Ich hasse dich! – Meine Augenbraue wanderte höher, doch ich konnte ein leises Lachen nicht aufhalten: – Undertaker [13.11.15; 13:19] Hehe! So müde? – – Grell [13.11.15; 13:19] Das ist voll nicht lustig! – – Undertaker [13.11.15; 13:20] Das ist eine Frage der Perspektive. – – Grell [13.11.15; 13:20] Schieb‘ dir deine Perspektive dahin wo nie die Sonne scheint! – Das darauffolgende Lachen war etwas lauter. Auch, weil ich mir den Grund für Grells schlechte Laune nur allzu gut vorstellen konnte. Oder eher die Gründe: – Undertaker [13.11.15; 13:21] Was hat William dir wieder angetan? – – Grell [13.11.15; 13:21] Ist egal!!!! – Verwunderung erschien in meinem Gesicht. – Grell [13.11.15; 13:21] Wenn du immer noch das Bedürfnis hast ihn an die Wand zu ketten, bitte tu es! UND TRITT BITTE VON MIR NOCHMAL NACH!!! – Ich blinzelte: – Undertaker [13.11.15; 13:22] Ich wusste immer du bist die Königin des plötzlichen Sinneswandels, aber woher kommt dieser so unvorhergesehen? – Ich kannte Grell gut genug, um zu wissen, dass seine Nachricht er hasse mich eigentlich die Bitte nach einem offenen Ohr war. – Grell [13.11.15; 13:22] Ich war ihm nicht ‚produktiv‘ genug… – – Undertaker [13.11.15; 13:22] Das heißt? – – Grell [13.11.15; 13:22] Ich darf nicht in den Außendienst… Für 3 Wochen!!! – Ich seufzte tief. Der strenge Sensenmann und ich schienen uns zumindest in einer Sache sehr sehr ähnlich zu sein: Totale Inkompetenz in Sachen Liebe. Nur bewies William darin um ein Vielfaches mehr Ausdauer. Hatte ich nach ein paar Tagen schon vollkommen keine Lust mehr auf gesteigertes Gefühlschaos, schaffte er es nun seit ziemlich genau 220 Jahren sich in diesem Feld zu benehmen wie ein Elefant im Porzellanladen… der nie laufen gelernt hatte… Diesen Hang zur Selbstfolter verstand ich nicht, vor allem da Grell alles andere tat, als William für sich als vollkommen ungeeignet zu sehen und dies auch noch jedem erzählte, der es hören wollte oder auch nicht. So unlogisch es auch klang, sich auf jemanden einzulassen ist eine emotionale und kognitive Leistung. Die Meisten meistern das recht intuitiv. Doch gab es Wesen, die diese Intuition nicht oder anders hatten. Für diese Wesen war es eine Überwindung und Schwerstarbeit sondergleichen schon lockere und platonische Beziehungen aufzubauen… Ich schüttelte nochmal den Kopf und schaute zurück auf mein Handy. Ich war 2 Minuten in meinen Gedanken versackt. Geschrieben hatte Grell nichts, aber ich sah oben in der grünen Zeile er sei ‚Online‘, was laut Fred wohl so etwas wie ‚immer noch da‘ bedeutete. Grell wartete also wohl auf eine Antwort meinerseits: – Undertaker [13.11.15; 13:24] Und warum? – – Grell [13.11.15; 13:24] Ich war auf meiner Runde in London unterwegs –, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen und bestätigte mir, dass Grell gewartet hatte: – Grell [13.11.15; 13:24] 2 Seelen geholt, alles super, alles gut, greift mich dieses ARSCHLOCH von hinten an! – Mein Kopf zuckte hoch: – Undertaker [13.11.15; 13:25] Wer hat dich angegriffen? – – Grell [13.11.15; 13:25] Claude! Mit seinem beschissenen Schwert! Hat mir den halben Arm aufgerissen! Ich seh‘ aus wie eine Mumie. Othello war zwar nicht in seinem Labor, aber ein anderer Wissenschaftler hat gesagt es braucht zum Heilen mindestens 2 Wochen! – Meine Augenbraue wanderte wieder nach oben. Grells Verletzung braucht zum Verheilen ca. 2 Wochen und er bekommt von William 3 Wochen Schreibtischdienst? – Undertaker [13.11.15; 13:25] Ich glaube unter diesen Umständen nicht, dass der Schreibtischdienst eine Strafe ist. – – Grell [13.11.15; 13:25] Was soll es denn sonst sein?!­– Ich schüttelte lachend den Kopf. Kurz bewegte ich die Finger meiner rechten Hand, um ein paar Verspannungen aufgrund der ungewohnten tippenden Bewegungen loszuwerden: – Undertaker [13.11.15; 13:26] Wie lang braucht deine Wunde um zu heilen? – – Grell [13.11.15; 13:26] 2 Wochen! Wenn ich Glück habe! – – Undertaker [13.11.15; 13:26] Und wie lange hast du Schreibtischdienst? – – Grell [13.11.15; 13:26] 3 Wochen! – – Undertaker [13.11.15; 13:26] Jetzt vergleiche und denke scharf nach. – – Grell [13.11.15; 13:26] Was gibt es da zu vergleichen?! – Ich lachte wieder auf. Wenn Grell einmal auf 180 war, brauchte er immer ein bisschen zum Nachdenken: – Undertaker [13.11.15; 13:27] Tu‘ es einfach und schneid dich nicht, hehe! – – Grell [13.11.15; 13:27] … – – Grell [13.11.15; 13:27] … Oh mein Gott! – – Undertaker [13.11.15; 13:27] Höre ich da einen Groschen fallen? – – Grell [13.11.15; 13:27] AAAHHHH! William ist so ein süßer Schnuffel! ~♥– – Undertaker [13.11.15; 13:28] Wenn man weiß wie man ihn lesen muss, hehehe. – – Grell [13.11.15; 13:28] Oh, das nächste Mal wenn wir uns sehen gib ich dir einen dicken Bussy! Aber jetzt muss ich zu meinem Willi-Liebling! – – Undertaker [13.11.15; 13:29] Moment. Sage mir noch was Claude von dir wollte. – Doch der rote Reaper war schon aus dem Chat verschwunden und lief jetzt wahrscheinlich lärmend, wie Herzchen versprühend durch die Gänge des Grim Reaper Dispatchs. Als ich den Tee ausgetrunken hatte, hatte ich wider jeder Lust einen Bestattungstermin mit den Behörden ausgemacht. Wenigstens war das Gespräch für mich einigermaßen amüsant gewesen, der gute Herr am anderen Ende schien allerdings recht erleichtert, als er auflegen konnte. Ich hatte den Termin 1 ½ Wochen nach hinten geschoben, schließlich wollte ich den Earl die Gelegenheit geben seinen Weg zu mir zu finden. Ich hatte meinen Gast trotzdem schon einmal einbalsamiert. Er würde weder jünger noch frischer werden, mit jedem Tag den der Earl brauchen wird. Das Gesicht, so hatte ich es auch den Beamten am anderen Ende der Leitung erklärt, war selbstredend ein Totalschaden bei dem auch der beste Thanatopraktiker an seine Grenzen stieß. Eine Totenmaske, die nicht existierte, konnte auch nicht wiederhergestellt werden. Ich fragte mich allerdings durch wen und warum sein Gesicht nun so nichtexistent war. Ich entschied mich auch das Gehirn zu sezieren. Vielleicht war es erst zu entnehmen gedacht gewesen, war aber aufgrund einer krankhaften Veränderung im Nachhinein ausgeschieden. Doch ich fand nichts. Waren die Innereien meines Gastes allesamt in einen von Drogen und Alkohol recht schlechten Zustand gewesen, war sein Gehirn davon noch weitestgehend verschont geblieben. Doch fand ich eine recht tiefe Kuhle mittig zwischen den Gehirnhälften, welche definitiv nicht natürlich oder durch die Drogen entstanden war. Da musste jemand Hand angelegt haben. Eine Hand, die verstand was sie tat. Doch warum vermochte ich spontan nicht zu sagen. Ich legte das Gehirn ein und stellte es in mein Regal. Nach einem Blick auf meine Uhr fiel mir auf, dass ich es tatsächlich fast 4 Stunden geschafft hatte mich zu beschäftigen und abzulenken. Vielleicht bestand für meinen Geisteszustand doch noch irgend so etwas wie Hoffnung. Doch hieß dies auch ich war für meine tägliche Stippvisite spät dran. Allerdings hatte ich auch nicht viel Neues zu vermelden. Die letzte durchgearbeitete Nacht hatte Grell und mich nicht zu Ergebnissen geführt und wir waren genau so schlau – oder eher rat- und ahnungslos – wie vorher. Trotzdem endete ich vor dem Fenster der Mädchen. Getroffen hatte ich in der Stube aber nur eine einsame Amber: „Tihihi! Madam Phantomhive?“ Amy drehte sich von ihrem Buch zu dem geöffneten Fenster: „Moin Undertaker.“ „Wie geht es euch, Amy?“, lächelte ich ihr durch meinen Pony entgegen. Sie legte das Buch zu Seite, stand auf und kam an das Fenster: „Müde. Beide. Müde und an der Grenze zum totalen Wahnsinn.“ Ich verzog eine Schnute: „Naaah, wie unschön.“ „Unschön ist ein sehr dezentes Wort“, Amy seufzte: „Total Scheiße beschreibt es besser… Bitte sag mir du hast was.“ Ich schüttelte den Kopf: „So gern ich dir anders antworten würde, dem ist nicht so.“ „Habt ihr noch nicht mal einen Ansatzpunkt gefunden?“ Ich schüttelte wieder den Kopf: „Nein, wir sind nicht weitergekommen.“ Sie fuhr sich durch die Haare: „Ich werde noch verrückt… Und Sky auch…“ Nach letzter Nacht glaubte ich ihr dies ohne zu zögern: „Ihr seid zwei starke, junge Frauen, Amber. Haltet euch aneinander fest und gegenseitig über Wasser. Ich bringe das in Ordnung, versprochen.“ Amy schaute mich eine Weile an: „So wie du dich gerade verhältst?“ Ich zog unter meinem Pony die Augenbrauen zusammen: „Wie meinen?“ Doch die Phantomhive schüttelte den schwarzen Schopf: „Egal. Ich weiß, dass du herausfinden wirst was los ist. Sky und ich fahren übers Wochenende eh zu mir. Vielleicht hält Sebastians Präsenz das Wesen von uns fern. Dad hat ihm befohlen dafür die Kette abzulegen.“ „Kein dummer Gedanke“, pflichtete ich bei. Das Wesen war zwar das erste Mal aufgetaucht während die gesamte Bagage an übernatürlichen und nicht-menschlichem in ihrem Wohnzimmer gesessen hatte, doch waren unsere Präsenzen durch die Ketten wohl versteckt gewesen. Sie abzuziehen könnte das Wesen eventuell wirklich fernhalten: „Ist es noch einmal aufgetaucht?“ Amy schüttelte den Kopf. Meiner zuckte hoch, als ich die Türe aufgehen hörte. Ich fühlte mich müde und hatte einfach keine Lust auf die angespannte Atmosphäre, die zwischen mir und der jungen Brünetten herrschte, die gerade durch die Wohnungstür gekommen war. „Nun denn“, grinste ich: „Wir sehen uns dann morgen im Manor.“ „Bye“, machte Amy kopfschüttelnd. Als ich über die Dächer verschwand ließ mich das Gefühl nicht los, dieses Kopfschütteln wollte mir etwas sagen. Mich ließ das Gefühl nicht los, als habe es etwas mit der kurzen Anmerkung meines Verhaltens zu tun. Ich blieb auf einem 4-stöckigen Haus stehen und drehte mich in Richtung Weston Ladys. Ich war mir sicher Amy wusste in Bezug auf Skyler mehr als ich und ich war mir sicher sie wollte mir auf diese Weise etwas zu verstehen geben. Doch mit einem Seufzen stellte ich fest, dass ich zu unzulänglich war um sie zu verstehen. Resigniert drehte ich mich ab und ging nach Hause. In meinem Laden angekommen ließ mich dieses Gefühl nicht zu Ruhe kommen. Es hatte alle Ablenkung zunichte gemacht. Alles was ich nicht fühlen wollte, war nun so präsent wie vorher, erweitert um den Gedanken etwas Wichtiges aus Amys Betragen und Worten nicht erfassen zu können. Es war klar, dass sie mit dem Kommentar über mein ‚Verhalten‘ auf mein Verhalten gegenüber Skyler anspielte und das nachdem ich sagte ich würde alles in Ordnung bringen. Wollte sie mir damit sagen, dass ich für Skyler gar nichts in Ordnung brachte? Nun, wenn sie in meiner Nähe bleiben wollte, was ein aus allem was ich sah und hörte doch recht logischer Gedankengang geworden ist, war mein Verhalten im ersten Moment für sie sicherlich nicht erbaulich. Doch ich musste auf lange Sicht denken. Auf lange Sicht für sie. Und die sah nun einmal so aus, dass sie irgendwann aufhören würde sich darüber zu grämen und weiter machen wird. Weiterleben wird und ihren Weg gehen wird. Und das ohne von irgendwelchen brutalen Offenbarungen verstört und aus der Bahn geworfen zu werden. Irgendwann wird sie nicht mehr über mich nachdenken. Dafür musste ich nur endgültig verschwinden. Ich verschränkte meine Arme um mir selbst zu verbieten, diesen Gedanken deprimierend zu finden. Deprimierend deswegen, da mir ein Wort fehlte um dieses endlos kalte Gefühl von Trauer und Widerwillen zu beschreiben. Doch für sie… Ein Kratzen und lautes Miauen an meiner Ladentür unterbrach meine Gedanken. Ich stand auf und ging zu meiner Tür, mich selbst fragend, was eine Katz hier machte. „Bist du verrückt?“, hörte ich eine Stimme durch meine Türe, die ich wohl erkannte und doch meinen Ohren nicht ganz glauben konnte, wie wollte: „Du kannst doch hier nicht so ein Theater...“ Ich öffnete die Tür… … und stand vor einer sofort verstummenden Skyler. Sie hob langsam ihren Kopf, ein kleines verfilztes Kätzchen auf dem Arm. „Skyler?“, fragte ich immer noch ein wenig zweifelnd, ob meine schlechten Augen durch ein paar Spalten in meinem Pony wirklich richtig sahen. „Hi“, entgegnete sie langgezogen und zog ein überfordertes Lächeln auf: „Alles klar bei dir?“ Ich wusste nicht warum sie hier war. Schon wieder! Ich wusste nicht, warum sie immer wieder zu mir kam, obwohl es sie so anzustrengen schien. Ich wusste nicht, warum sie immer wieder danach fragte wie es mir ging. Ich verstand nicht, woher dieses von schlechtem Schlaf gebeutelte und Albträumen geplagte junge Ding die Kraft und die Beharrlichkeit nahm, sich immer wieder willentlich in meine direkte Nähe zu begeben. Dass wir uns einmal täglich sehen könnten, sei es drum. Das war ein Abkommen, sogar recht unpersönlich, da es nicht Skyler sondern Alex mit mir geschlossen hatte. Doch Mittwoch war sie schon hierhergekommen. Gestern auf dem Friedhof muss sie mich gesehen und erkannt haben, bevor sie mich ansprach. Heute stand sie wieder hier. Mit jedem Schritt, den ich wegging, lief sie mir 2 hinterher. Ich wusste nicht wessen Betragen für wen am Ende zermürbender war. Ich wusste nur, dass es enden musste. „Wen hast du da?“, ignorierte ich einfach die Frage nach meinem Wohlbefinden, immer noch nicht geneigt irgendjemandem darauf zu antworten und weckte mich selbst aus meinen fruchtlos fragenden Gedanken. „Äh“, Sky schaute die kleine Katze an, die zu schnurren begann, als Skyler anfing sie zu streicheln. Ein wahrhaft süßes Bild, was die beiden abgaben: „Einen kleinen Streuner wie es scheint“, sie setzte die Kitty ab, welche durch ihre Beine strich: „Ich habe ihr am Mittwoch etwas zu essen gegeben und heute lief sie mir den ganzen Weg hinterher...“ „Mir scheint sie mag dich“, ich war mir fast sicher, die kleine Katze war ihr aus demselben Grund zugetan wie Merkenau. Sky schaute mich an und legte mit einem etwas besser geratenen Lächeln den Kopf schief: „Meinst du?“ Doch ihr Gesicht wirkte immer noch angestrengt. Es sah durch die tiefen Schatten unter ihren Augen und der fahlen Farbe unbeschreiblich müde und ungesund aus. Ich hatte nicht das Gefühl, sie war in der Lage sich mit mir herum zu plagen: „Skyler, was tust du hier?“ Ihr Lächeln brach ein. Sie schien sich einen Moment sammeln zu müssen: „Also...“ „Ich habe Amy schon alles gesagt was ich weiß“, unterbrach ich den Moment, den sie dafür nutzen wollte in dem Bestreben, dasselbe Spiel mit ihr zu treiben wie gestern: Sie müde zu reden und so zum Gehen zu bewegen. „Darum geht es nicht“, antwortete sie mir fester als erwartet. Ich seufzte in der Ahnung, dass es mir ein zweites Mal nicht recht gelingen wird: „Worum dann? Warum kommst du immer wieder hierher?“ Sie ließ ihre Augen zu Boden fallen. Einige Momente schwieg sie und schien nachzudenken. Dann schaute sie mich wieder an: „Ich… wollte mit dir reden.“ „Skyler...“, wollte ich ansetzen ihr ein weiteres Mal zu sagen, dass es nichts mehr zu besprechen gab. Nichts. Es würde kommen wie es kommen musste. Weil es für sie so kommen musste. „Warum nennst du mich Skyler?“, sie schüttelte verständnislos ein wenig mit dem Kopf: „Skyler nennt mich Amy nur, wenn sie sauer auf mich ist.“ „Es ist dein Name, oder liege ich falsch?“ „N-Nein.“ „Warum soll ich ihn dann nicht benutzen?“ „Weil...“, sie drückte mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck die Henkel ihrer Stofftasche und ich fühlte mich ein weiteres Mal schlecht sie dazu bringen zu müssen sich so zu fühlen. Doch wie sollte ich sie sonst dazu bringen mir endlich fernzubleiben? „Du hast vorher auch immer meinen Spitznamen benutzt. Seit meinem ersten Besuch“, fuhr sie trotz allem weiter fort. „Seit deinem ersten Besuch ist einiges passiert“, warf ich ein. Ich war mir sehr wohl bewusst, dass was passiert war, gerade passierte und weiter passieren wird für uns beide schmerzlich war. Ich schloss kurz die Augen, als ich mir ein weiteres Mal bewusst machte, dass es genauso unvermeidlich war. „Und genau deswegen bin ich hier.“ Ich schüttelte den Kopf. Meinen Egoismus im Zaum zu halten war schwer genug. Diesen ganzen schlechten Gefühlen Herr zu bleiben auch. Und Skyler machte es so viel schwieriger: „Gehe heim.“ Ich wusste, von dem ersten Moment an wo ernsthaft im Raume stand, sie könnte mich nicht fürchten und bei mir bleiben wollen, wie anstrengend, kräftezehrend und fatal dies sein würde. Dass ich mir nun sicher war, es ist so, zeigte mir, dass ich keine Vorstellung hatte wie viel von all dem genau. Ich war unendlich müde. Ich war unfassbar gestresst und angestrengt. Und ich hielt die Distanz, die keiner von uns wollte und doch so nötig war, kaum aus. „Wa...“, ihre Stimme zitterte und vibrierte unangenehm durch meine Ohren: „Warum?“ „Weil alles so gekommen ist, wie es nun mal gekommen ist. Niemand kann daran etwas ändern“, ich öffnete meine Augen wieder und schaute in ihre weit aufgerissenen blauen Augen. Ich sah wie schlecht sie meine Worte vertrug, es schmerzte mir, doch ich musste sie irgendwie dazu bewegen zu gehen. Ihre Anwesenheit, unter all den Konditionen, sie tat mir weh.  So griff ich meine Klinke und klang so final wie es mir möglich war: „Kümmere dich um die Dinge, die wirklich wichtig sind. Um deine Schule, Amy. Versuche irgendwie ein wenig zuschlafen oder wenigstens zu rasten. Ich kümmere mich um das Etwas“, ich sah sie an. In diese aufgerissenen traurigen Augen. Ihr Gesicht… Dieser Ausdruck… Ihre Anwesenheit… Den Wunsch, einfach alles an Distanz aufzugeben, sie in den Arm zunehmen und einen anderen Ausdruck auf dieses wunderschöne Gesicht zu zaubern, unterdrücken zu müssen. Das war Folter. „Mache es gut“, kam es schließlich niedergedrückt von all dem aus meinem Mund und ich schloss meine Türe. Was danach passierte war mir nur 2 oder 3 Mal in meinem langen Leben und immer in einem gänzlich anderen Kontext widerfahren. In dieser Konstellation war es schieres Neuland und irritierte mich so sehr, dass ich im ersten Moment nichts dagegenstellen konnte. Ihr Fuß in meiner Tür stoppte mich sie ganz zu schließen. Keine Sekunde später drückte sie sie wieder auf und zwängte sich durch den Spalt in meinen Laden. Ich sah ihr recht geistlos hinterher, wie sie in meinen Laden hüpfte und schließlich stehen blieb. Meine Türe – die ich vor überfahrener Verwunderung losgelassen hatte – war ins Schloss gefallen und ich schaute auf Skylers Rücken, das Geschehene nur recht langsam verarbeitend. Ich verstand salopp gesagt die Welt nicht mehr und dieses Mädchen brachte mich viel zu oft in genau diese Situation. „Skyler“, fragte ich schließlich, meiner Verwirrung noch nicht ganz Herr: „Was tust du?“ Sky drehte sich um und hob eine Hand: „Ich akzeptiere das nicht.“ Unter meinem Pony blinzelte ich das junge Ding an, von meinen Worten verlassen. Ich knapste noch damit, dass sie einen Fuß in der Tür in meinen Laden geschlüpft war und ihre Aussage trug nicht zu meiner geistigen Erleuchtung bei: „Was akzeptierst du nicht?“ „Dass alles so vor die Hunde geht.“ Ich wurde aus ihr nicht schlauer: „Was ‚alles‘?“ „Wir!“, sie zögerte kurz: „Also! Ich meine… du… ich… wir“, eine andere, für mich nicht recht zu deutende, Art von Verzweiflung erschien in ihrem Gesicht: „Das, was wir hatten!“, sie schlug ihre Hände vor ihr Gesicht. Sie sammelte sich allerdings bevor ich es tat, nahm ihre Hände hinunter und schaute mich eindringlich an: „Es... tut mir leid, dass ich weggerannt bin… Es tut mir leid, dass ich dir Unrecht getan habe und dass… denn ich“, mit angestrengter Stimme kniff sie ihre Augen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten: „Ich hab vor einer Woche deine ganze Hilfe, all die netten Dinge die du zu mir gesagt und für mich getan hast, all die Situationen nach denen ich ohne dich gar nicht mehr da wäre, mit Füßen getreten, als ich beschlossen habe dich auszufragen und dann wie ein Hase weggerannt bin. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich nicht weglaufen. Dann würde ich dableiben und dir sagen, was ich wirklich denke...“ Ich seufzte immer noch. Es ging nicht um eine Schuldfrage. Es ging um die Frage, was für sie besser wäre. Eine Antwort, die mir klarer zu sein schien, als ihr: „Du kannst die Zeitnicht zurückdrehen. Das kann niemand.“ „Es geht nicht darum was niemand kann!“, Skyler schaute mich wieder an, einen bestimmten Ausdruck in den Augen, der mich abermals innehalten ließ: „Undertaker! Ich habe dich kennen gelernt wie du jetzt bist und nicht wie du vor 100 Jahren warst! Alles andere ist nebensächlich.“ „Ich habe mich nicht sonderlich verändert“, schüttelte ich leicht den Kopf. „Blödsinn!“, Skylers Tonfall war von Verständnislosigkeit geprägt: „Niemand bleibt 100 Jahre derselbe!“ „Sehr wohl“, ich schaute sie eindringlich an. Ich nahm ihr nicht Übel so zu denken. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es war so alt zu sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es war immer älter zu werden: „Jemand, für den sich 100 Jahre nicht mehr wie 100 Jahre anfühlen.“ Eine Zeitlang sprach das hübsche Ding nicht. Sie schaute mich an, mit großen Augen in denen Gedanken in alle Richtungen huschten. Man sah, wie ihr Kopf arbeitete. Ich hoffte sie war jetzt an den Punkt angekommen von selbst zu gehen. „Dann warst du damals schon kein schlechtes Wesen“, kam es gänzlich anders. Ich wusste nicht recht wie, doch seufzte ich ein weiteres Mal nur in Gedanken: „Du weißt was ich getan habe. Doch auch das nur zu einem Teil.“ „Ja, ich weiß es“, brach die Diskussion nicht ab: „Und ich will mehr wissen. Ich will es wissen, weil deine Vergangenheit ein Teil von dir ist. Weil ich neugierig auf dich bin und auf alles was den Charakter geformt hat, den ich kennen lernen durfte. Ein Charakter, der großartig ist. Du hast gute Seiten. Ich sehe sie. Undertaker, du bist großartig.“ ‚Ich bin großartig?‘, etwas in mir hatte bei diesem Satz nicht nur inne, sondern angehalten. Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, wie sie dazu in der Lage war mich als großartig zu beschreiben. Hatte dieses naive junge Ding vergessen mit wem sie sprach? Mit was sie sprach? Was ich ihr erzählt hatte? Hatte sie eine Horde ‚Zombies‘ und 1873 Tote einfach vergessen? Oder war ich ihr tatsächlich einfach wichtiger als all das? Ich ging ein paar Schritte durch meinen Laden. Ich konnte es mir kaum vorstellen. Vor ihr blieb ich stehen und schaute zu ihr herunter: „Wie kannst du all das sagen? Wie willst du verkraften was ich noch alles getan habe, wenn wir beide schon wissen wozu die erste Erzählung geführt hat?“ „Ich laufe nicht mehr weg“, sie schaute mir durch meine Haare direkt in die Augen: „Nie wieder. Ich laufe sicher nie wieder vor dir weg. Denn die einzige Richtung, die sich richtig anfühlt, ist zu dir hin.“ Etwas in mir stand sofort Kopf. Zu mir hin? Noch nie wollte jemand zu mir hin. Ich stellte fest, dass ich mit dieser Aussage fast nichts anfangen konnte. Zu mir hin zu wollen schwankte irgendwo zwischen dem Verlust aller geistigen Ressourcen und der absoluten Todessehnsucht! Hatte sie denn nicht verstanden, dass ich ein offensichtlicher Verrückter und dazu noch ein vollkommen reueloser Massenmörder war? Mein Mund zog sich zu einem Lächeln. Ganz intuitiv. Ich begann zu lachen, da ich nicht wusste wie ich sonst auf diese Aussage und die ganzen Fragen, die daraufhin durch meinen Kopf gerasselt waren, reagieren sollte. Auch glaubte ich musste ich ihr noch einmal erklären was und wer vor ihr stand: „Eh he he! Zu mir hin, ja? Wie naiv. Possierlich, doch unbeschreiblich naiv. Ke he he. Es gibt gute Gründe warum die Menschen vor mir Reißaus nehmen, Skyler. Die Instinkte der Menschen sind flach geworden. Schwach, dünn und ungenau. Doch auch sie erkennen noch, wenn der Tod vor ihnen steht. Ich bin ein Sensenmann. Ein Wesen, dessen einzige Existenzberechtigung darin liegt die Seelen von Menschen aus ihren Körpern zu reißen und ihr Leben zu beenden. Doch wer entscheidet wer sterben soll? Niemand hat das Recht dazu. Niemand hat das Recht sich über das Leben zu erheben und mit dem ausgestreckten Finger Todesurteile zu verteilen. Einzig ein in Leder gebundener Stapel Papier, vollgekritzelt mit Namen und Daten, zum Bersten voll mit Fotos und Orten, Fakten und Angaben, entscheidet wer sterben soll, wann und wie. Doch es gibt Wesen, die nahmen sich dieses Recht einfach heraus. Übergingen das in Leder gebundene Papier. Nahmen sich einfach dreist das Recht, das niemandem zusteht und verfügen nach Belieben über Leben und Tod. Wesen wie mich.“ Sky schaute mich mit großen Augen an. Ich wischte ihr eine verirrte Strähne mit meinem Fingernagel aus dem Gesicht. Ihr Gesicht wirkte zwar etwas überfordert, doch fehlte darin die Angst, die ich dieses Mal ganz bewusst erzeugen wollte, damit sie endlich ging und verstand weg bleiben zu müssen. Doch ich sah sie nicht: „Du bist eine vorzügliche Rednerin. So passioniert, wenn du etwas meinst. So wunderbar wortgewandt, wenn du für einen Moment vergisst über deine Worte nachzudenken. Doch wer vor dir steht kann auch deine kleine Goldzunge nicht gut reden. Und ich brauche so etwas auch nicht.“ Mit langsamen Schritten ging ich an ihr vorbei: „Ich brauche niemanden, der das Gute an mir sucht. Keinen blauäugigen Weltverbesserer. Ich brauche niemanden, der mich oder was ich tue und sage, oder getan und gesagt habe, so hinbiegt, dass es eine tiefe versteckte gute Bedeutung hat. Ich bin solcher überdrüssig. Im Endeffekt fallen sie eh nur von ihrem Glauben ab und gehen. Und die Zeit, die sie bleiben ist meist von unglaublich minderwertiger Qualität, da diese Persönlichkeiten oft unbeschreiblich nervig sind und in ihrem Gebrabbel alles andere als erheiternd, sondern eher sehr sehr einschläfernd.“ Nach 2 Schritten stoppte ich und schaute an meine Decke. Ich wollte sie ermüden, doch griff mich spontan eine bleischwere Ermattung: „Jemand, der das ganze Schlechte sieht und mich trotzdem voll akzeptiert. Das wäre allerdings eine nette Abwechslung.“ Und als ich dies gesagt hatte, mehr unwillentlich und zu mir selbst, fragte ich mich, ob ich das Wesen, was genau das tat, nicht gerade sehr willentlich zu vergraulen versuchte. Und etwas in mir wurde traurig. Traurig, weil sie für ihr Heil gehen musste und ich wusste, dass meins lange angeschlagen bleiben wird. Dass das Wesen, welches mich so sah, nicht bei mir bleiben konnte. Und etwas in mir wurde wütend. Wütend über den abermals verdorbenen Streich, den das verdammte Schicksal mir spielte. Ich ballte eine Hand zur Faust und unterdrückte das heiße Brodeln. „Du hast doch einige Freunde.“ Die helle Stimme und die unerwartete Aussage lenkten mich von dem Gefühl der Wut ab. Recht schnell sogar, dass nur ein Seufzen davon überblieb. „Ke he he. Dem ist wohl so“, ich drehte den Kopf halb zu ihr: „Doch keiner von ihnen akzeptiert, was damals geschehen ist. Die Reaper beispielsweise halten es mir vor. Immer wieder. Bei jeder Gelegenheit. Die Menschen lassen es außen vor. Was wohl auch wirklich das Beste ist, was ich erwarten kann. Ich erwarte auch nicht mehr. Es ist gut so.“ Skys Gesicht wirkte nicht mehr überfahren oder überfordert. Sie hatte die Augenbrauen ein bisschen zusammengezogen und schaute mich traurig an: „Sie mögen dich trotzdem und du tust das alles ja auch nicht mehr.“ „Gewiss“, stimmte ich ihrer Aussage zu, auch wenn ich sie nur halb bejahen konnte. Dieses junge Ding schien nicht in der Lage sich die Abgründe meiner Seele ausmalen zu können. Nicht in den düstersten Bildern, die sie zeichnen könnte: „Aber das ändert alles nichts daran, dass es Dinge und Seiten in mir gibt, die mich damals dazu verleitet haben mich zu entscheiden, wie ich mich nun mal entschieden habe. Ich stand nicht unter Zwang. Nie. Es waren meine Entscheidungen und sie kamen aus einem tiefschwarzen Teil von mir, den es heute immer noch in genauso großen Ausmaßen gibt wie damals. Ich habe nur jetzt etwas… Wesen… die mir wichtiger sind, als die Befriedigung meiner eklatant anders und dunkel gearteten Neugierde und Rachegelüste. Sodass ich diesen Teil von mir, der ein großer Teil von mir ist, in ein viel zu kleines Kästchen irgendwo in meiner Seele zwänge und mich drauf setzen muss um es drin zu halten“, ich setzte ein Grinsen auf, um in einen schlechten Witz abzudriften. Um sie zu verwirren, aber auch um durch ein, wenn auch künstliches, Lachen meinen eigenen Geist ein wenig zu erleichtern: „Fu fu fu! Doch ich habe halt kein Größeres!“, ich drehte mein Gesicht nach vorne, während ich eine wegwerfende Handbewegung machte: „Eh he he he. Sei‘s drum.“ Um das und um mich, meine Geschichte, meine ganze Person, sowie alles drum herum. Nach etlichen tausend Jahren ist man sich selbst nicht mehr viel wert. Noch bevor ich weitere Gedanken fassen konnte, verließen sie mich komplett. Ein weiteres Mal komplett überrascht verstand ich nicht zu deuten was geschah. Auf keinen Fall im ersten Moment, doch auch nicht im zweiten oder dritten. Die zwei Arme, die so geschwächt wirkten und mich doch so fest drückten, drehten meine generell schon ziemlich schiefe - und in den letzten Tagen noch schiefere - Welt vollends auf den Kopf. „Gut und Böse sind immer nur eine Frage der Perspektive und Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters“, sprach Skylers helle Stimme hinter mir. Sie wirkte ganz warm und weich. So unendlich ehrlich und aufrichtig. Was sie sagte klingelte in meinen Ohren: „Auch auf charakterlicher Ebene. Aus meinem Blickwinkel ist deiner nicht zu so großen Teilen soschwarz. Ich finde deinen Charakter schön. Ich mag dich, Undertaker. Sehr. Mit allem, was gut und schlecht ist. Mit allem, was du getan hast. Mit jeder Entscheidung, die du gefällt hast, egal wie sie aussah. Ich mag dich… und ich vermisse dich…“ Ich kniff die Augen zusammen. Das Klingeln in meinen Ohren fuhr schmerzvoll durch mein Herz. Ich griff ihre Handgelenke, bog ihre Arme von mir, nur in dem Bestreben mich selbst von diesem matervollen Gefühl zu erlösen. Nichts was sie sagte, änderte etwas. Nichts was ich fühlte, änderte etwas. In Sekundenschnelle sagte ich mir hunderte Male selbst, dass nichts verhindern konnte, dass sich unsere Wege trennen würden. Zu sehr erinnerte ich mich an ihr verweintes Gesicht an der abendlichen Themse: „Sage so etwas nicht. Tue so etwas nicht. Gehe heim, Skyler“, ich ließ ihre Hände los, meine eigenen fühlten sich furchtbar verkrampft an: „Gehe heim und komme nicht mehr hier hin zurück.“ Kurz herrschte Stille. Stille, die ich nutzte um durchzuatmen und meine Contenance wieder zu finden. „Es tut mir leid“, hauchte es schließlich hinter meinem Rücken. Dann wurde das Hauchen von einem trocknen Husten abgelöst, der mir gar nicht gefiel: „Ahe! Ahe! Es tut mir so Leid. So unendlich Leid. Ich habe schon… Ahe! Befürchtet, dass ich nichts mehr retten kann… Ich wollte es trotzdem probieren, weil du mir so wichtig bist. Doch ich… Ich habe Schmerzen.“ Ich drehte mich um. Skys Sprache verendete in einem Wimmern und immer heftigeren Husten. Ich sah wie sie ihren Beutel griff und auf meinen Tresen stellte, doch ihre Beine schienen sie nicht ordentlich zu tragen. „Sky?“, fragte ich schließlich in Erinnerung an ihre heiße Stirn und hatte eine mehr als ungute Vermutung: „Ist alles in Ordnung?“ „Ahe! Deine kalte Schulter tut so weh… Ahe! Ahe! Doch ich weiß“, Skyler ignorierte meine Frage und fasste sich an die Stirn. Sie wirkte plötzlich recht geistesabwesend. Etwas, was unüblich für sie war und mit der begleitenden Geste für mehr Sorgen meinerseits sorgte: „Ahe! Dass ich das verdient habe...“, sie wankte weiter und öffnete meine Ladentüre. Ein langer Hustenanfall ließ ihren Körper zusammenfahren und meine Türe quietschte unheilvoll, als sie das ganze Gewicht der jungen Dame tragen musste. „Was ist mit dir?“, ich ging auf sie zu. Was ich sah gefiel mir ganz und gar nicht und ich bezweifelte, dass ihre Beine ihr hold blieben: „Ist dir nicht wohl?“ Sie war zu warm gewesen. Es war nun überdeutlich, dass Skyler krank war.  Ich war auf eine ihrer Lügen reingefallen! „Es tut mir leid. Ahe! Ahe!“, röchelte sie eher, als das sie sprach. „Sky?“, stand ich mittlerweile genau hinter ihr und wollte ihr die Hand auf die Schulter legen. „Ich habe... Ahe! Ahe!“, der Husten klang schmerzhaft. Was sie sagt, in all dieser Pein, noch mehr: „Alles kaputt gemacht... Ahe! Und bin dir dann auch noch auf die Nerven gegangen...Ahe! Ahe! Ahe!“, dann rutschte sie von der Klinke und fiel einfach um. „Sky!“, griff ich ihren schlappen Körper und bewahrte sie so vor einen Aufprall auf dem harten Holzboden. Ich rüttelte ihre Schulter: „Sky? Hörst du mich?“ Doch von der schönen Brünetten kam keine Antwort. Ich rüttelte ihre Schulter ein weiteres Mal: „Skyler?“ Doch sie blieb stumm. Mit einem tiefen Seufzen legte ich meine Hand auf ihre Stirn. Das junge Ding glühte förmlich. Ich legte die Hand über meine Augen: „Wie konnte ich nur so…“, ich schüttelte den Gedanken weg. Er half mir auch nicht weiter. Krankheit, Stress und Schlafmangel hatten ihren Tribut schon gefordert. Und ich war an dem schlechten Zustand des schönen Dings in meinen Armen erheblich Schuld. Ich schob meine zweite Hand unter ihre Knie, hob sie auf, öffnete mit den Fuß die beiden Deckel eines Sarges und legte das viel zu leichte Ding hinein. Dann zog ich mein Handy aus der Tasche. So geschwächt wie Skyler wirkte dachte ich nicht, dass sie innerhalb der nächsten Stunde aufwachte und so die Sperrstunde einhielt. Ich schrieb Amy über das kleine Programm, mit dem ich schon Grell geschrieben hatte. Es ging schon recht schnell und war praktisch, doch ein Fan dieser neumodischen kleinen Dinger war ich immer noch nicht. Amy schrieb mir sie richtete ihrer Lehrerin aus Skyler übernachtete auswärts und dass Sky wahrscheinlich zusammengeklappt war, weil sie die Woche nur spärlich etwas gegessen hatte. Ich setzte meine Brille auf, suchte kopfschüttelnd eine Nummer aus dem elektronischen Telefonbuch und klemmte das kleine Gerät zwischen Ohr und Schulter, während ich durch meine kleinen Privaträume streunte und nach dem Bündel 5 bunter Wolldecken suchte, die Heather vor ein paar Jahren in einem Ausverkauf gefunden und eine Familienpackung für jeden besorgt hatte. Ich gestand mir auch ein, dass es praktisch war beim Telefonieren herum laufen zu können. Wie abgehoben wurde hörte ich, als ich durch mein ewiges Provisorium an Kleiderschrank wühlte: „Hallo? Undertaker, bist du das?“ Ich zog meinen Kopf aus dem Schrank und nahm das Handy wieder in die Hand: „Guten Abend, Alex. Ehehe! Ja, in der Tat, ich bin es.“ „Ich werde mich daran gewöhnen müssen, deinen Namen über einer Handynummer zu sehen. Doch ich muss sagen, dass Fredericks Erzählungen eures gemeinsamen Vormittages sehr unterhaltsam waren.“ „Nihihihi! Es war auch definitiv denkwürdig“, wanderte ich ins Wohnzimmer und schaute durch meinen Bücherschrank. Eigentlich kein Platz, an dem man Wolldecken suchte, doch Gottes Wege waren in diesem Haus selbst für mich teilweise recht unergründlich. „Ich hörte, Claude hat dein Haus eingewebt?“ „In wahrscheinlich hilfloser Wut, ja“, der Earl und ich kicherten kurz synchron fies. Dann wurde ich ernster: „Doch es gibt einen weniger amüsanten Grund warum ich dich anrufe.“ „Deine Tonlage gefällt mir jedenfalls nicht. Was ist los?“ Ich schaute mich um. Ich konnte mich partout nicht mehr erinnern wo ich dieses bunte Bündel hin gepackt hatte: „Nun, die junge Skyler meinte mich besuchen kommen zu müssen“, ich konnte ein Seufzen nicht unterdrücken: „Genauso geplagt von schlechten Schlaf wie dein liebes Töchterlein, aber leider auch noch krank aufgrund von ein paar Schwimmstunden in der herbstlichen Themse“, ich schaute unter mein Sofa. Nichts, außer einem Rudel Staubmäusen… einem großen Rudel…: „Sie liegt jetzt in einem meiner Särge.“ „Himmel Herrgott, bitte WAS?!“, Alexander klang, als ob er gerade einen Herzinfarkt hatte. „Und schläft“, setzte ich hinzu, was für mich wohl offensichtlicher war als für andere. „Das ist“, Alex atmete kurz durch: „Gar nicht gut, aber besser als es erst klang. Undertaker, mein armes Herz… Doch, was nun?“ Ich richtete mich wieder auf und seufzte abermals: „Ich werde sie vorerst bei mir behalten“, was sollte ich auch sonst tun? Sie fiebernd und entkräftet durch London laufen lassen? Nein. Nein, mit Sicherheit nicht: „Doch richtete mir Amy aus, sie habe seit Tagen nicht recht gegessen, was ihrem Zustand definitiv nicht zuträglich ist.“ „Nun verstehe ich warum du anrufst“, der Earl klang auf die typisch phantomhivische Art verschmitzt: „Das wird teuer.“ Ein kleines Lächeln erschien auf meinem Gesicht aufgrund dieser wohl erwarteten Antwort: „Wie wäre es mit einer kostenlosen Auskunft?“ „2 kostenlose Auskünfte.“ „Ehehehe! Wie bescheiden wir wieder sind.“ „Ich muss die Bitte schließlich an Sebastian weiter reichen. Sehe es als Kosten des Dienstweges.“ „Da Sebastian dein verschriebener und treuster Angestellter ist, gestaltet sich der Dienstweg doch eher klein, oder nicht?“ „Ich bleibe dabei. 2.“ „Fuhuhuhu! Ich kann auch losziehen und Dosensuppe kaufen!“ „Ein Unterfangen welches spätestens bei dem Punkt, an dem du sie warm zu machen versuchst, mit Pauken und Trompeten vor die Hunde gehen wird.“ „Nun gut. Ehehehe! 2.“ „Sebastian ist gleich bei dir. Passe mir gut auf das Mädchen auf. Amy wäre untröstlich.“ „Natürlich, mein Earl.“ „Wir sehen uns.“ „Kihihihi! Bis dann.“ Der Earl legte auf und ich steckte das kleine Ding in die Hosentasche. Dann kramte ich weiter durch meine Stube, nur um nichts zu finden. Schließlich stöberte ich durch alle Schränke meiner Teeküche. Ganz oben, auf einem Hängeregal, fand ich schließlich das zusammengebundene Packet bunter Wolldecken, das ich irgendwann mal dort zwischen gelagert haben musste, in dem sicheren Wissen sie nie zu benutzen. Doch seit ich die junge Skyler kannte, kam nur allzu oft alles anders. Ich band es auseinander und versuchte den Staub aus dem Stoff zu schütteln mit dem Ergebnis, dass die oberste Wolldecke ohne Umwege in den Wäschekorb wanderte. Ich schob die Brille in die Haare und ging mit den restlichen vieren in meine Stube, befreite Skyler dort von ihrem Poncho, legte eine Decke um ihre Schultern und die anderen über sie. Kaum war ich damit fertig ging meine Türe auf: „Guten Tag.“ Ich schaute mit einem plakativen Grinsen den Butler entgegen, der mit einem riesigen Topf in den Händen in meinen Laden geschritten kam: „Guten Tag, Butler. Ehehehehe.“ „Gemüsesuppe“, nickte der Butler mir kurz zu, verschwand ohne Umschweife in der versteckten Türe, kam wenig später wieder heraus und verneigte sich in seiner üblichen Manier: „Sie sollte kräftig genug sein, um die junge Lady Rosewell wieder auf die Beine zu bringen.“ Dem starken, doch sehr angenehmen Geruch der durch die halb geöffnete Türe zu mir herüber wanderte glaubte ich diese Aussage sofort: „Vielen Dank, Sebastian.“ Der Butler schaute kurz auf das Mädchen in dem Sarg: „Wie schwach, zerbrechlich und unzureichend Menschen doch für ihre eigene Welt sind, ist erstaunlich. Es gibt so vieles was ihnen gefährlich werden kann. Bakterien, Viren, Gifte. Wir bemerken sie nicht einmal, doch sie“, die Augen des Butlers wanderten zu mir und sein kaltes Lächeln erschien auf der glatten menschlichen Maske. Ich verschränkte die Arme: „Dieses Mädchen ist stark, vielleicht nicht im körperlichen Sinne, doch sie ist auf eine Weise willensstark, wie etwas wie du es nicht begreifen kannst.“ „Oh“, der Butler legte eine Hand an sein Kinn: „Das wage ich noch zu bezweifeln.“ Ein großes Grinsen erschien auf meinem Gesicht: „Kihihihihi! Möchtest du die Diskussion von neulich weiterführen, Butler?“, ich ging an ihm vorbei und öffnete meine Türe: „Du hast getan, was du tun solltest, jetzt geh.“ Sebastian schüttelte gespielt angegriffen den Kopf und hob eine Hand: „Wie undankbar du sein kannst.“ „Fu hu hu! Ich bin Alexander sehr dankbar dich geschickt zu haben und ich habe ihm mehr als gute Entlohnung dafür versprochen. Doch ich habe nicht zugesagt, dass ich ertrage wie du länger als nötig meine Luft verpestest.“ Der Butler ging an mir vorbei und schaute mich ein letztes Mal aus dem Türrahmen aus an: „Dabei war die Warnung meinerseits sogar nett gemeint.“ „Auf Wiedersehen“, grinste ich ihm entgegen. „Auf Wiedersehen“, gab er zurück und ich schloss meine Türe. Natürlich verstand ich genau worauf der Butler anspielte. Und der Butler verstand genau, dass ich diesen Gedanken nicht denken wollte. Ich ging in meine Teeküche. Dort stand der große Topf, aus dem eine Kelle lugte, auf meiner Herdplattem die auf 1 stand und ein Zettel mit »Gelegentlich umrühren. Nicht vergessen!« hing in der geschwungenen Handschrift des Butlers daran. Es dauerte 1 ½ Stunden bis ich aus meinem Verkaufsraum ein langes trockenes Husten hörte. Ich war in meinem kleinen Lesezimmer geblieben, um die bitternötige Rast der jungenBrünetten nicht zu stören, konnte mich in mein Buch allerdings nicht vertiefen. Ich machte mir Sorgen um Skylers Gesundheit. Auch machte ich mir Sorgen um die Zeitm die sie in meinem Laden verbringen musste, bevor sie wieder nach Hause konnte. Doch als erstes wollte ich genau wissen, wie es um die Gesundheit der jungen Dame wirklich bestellt war. Ich goss 2 Tee auf und füllte einen Messbecher mit Krahnwasser, das sie bitterlich zu brauchen schien. Dann stellte ich eine Schüssel mit Suppe dazu - die ich nicht vergessen hatte umzurühren – und nahm das alte Quecksilberthermometer dazu, welches ich aus den tiefen meiner Schubladen hervorgeklaubt hatte. Das Tablett in der einen und mit der anderen das Thermometer schüttelndm ging ich in meinen Verkaufsraum und sah, wenn auch durch meine schlechten Augen recht verwaschen, dass Skyler in dem Sarg saß. Sie schaute mich fragend und etwas verwirrt an, als ich neben ihr hielt, nahm den Becher Wasser den ich ihr reichte aber stumm dankend entgegen und kippte ihn komplett hinunter. Erschöpft atmete sie durch. Ich nahm ihr den Becher aus der Hand und reichte ihr das Thermometer. Sagen tat ich nichts. Ich war besorgt und nicht gerade erquickt, dass sie sich krank hier hinschleppte und vor mir zusammenbrach. Auch wusste ich immer noch nicht mit der Mühe umzugehen, die sie sich zu geben schien, um weiter in meiner Nähe bleiben zu können. Selbst meine Freunde waren nach einer Zeit dankbar für eine Pause von mir, doch sie? „Ich soll…?“, unterbrach sie meine Gedanken und schaute auf das alte Fieberthermometer. „Fieber messen, ja“, stellte ich das Offensichtliche für sie fest. „Warum?“ „Weil es dir offensichtlich alles andere als gut geht“, betonte ich das Offensichtliche ein zweites Mal. Skyler blinzelte mich an. Ich nickte mit dem Kopf auf ihre Hand. Mit einem seichten Seufzen schob sie das Thermometer in den Mund. Nach einer Zeit, die ich wortlos neben ihr stand und sie mich ebenso wortlos nicht anschaute, nahm ich ihr das Fieberthermometer wieder aus dem Mund. Es war eine komische Art von Stille. Eine ganz unangenehme Art von Stille. Was allerdings viel unangenehmer war, war was das Thermometer mir anzeigte: „Warum tust du so etwas?“ Ich verstand dieses Mädchen einfach nicht! „Wa-“, sie schluckte trocken: „Was?“ „Ich habe nach dem Was zu fragen“, bedeutungsschwer wedelte ich mit dem Thermometer. Kann sie es sich nicht denken?: Was bringt dich dazu mit 40,3 °C Fieber hierher zu kommen, anstatt das Bett zu hüten?“ Skylers Mund klappte auf: „40 Komma… oh.“ „Also?“, zog ich eine Augenbraue hoch. Meine auf viele Arten und Weisen komische und merkwürdige Gesellschaft kann ihr doch nicht so viel wichtiger sein als ihre Gesundheit! Skylers Augen fielen nach unten: „Ich… Es… tut mir leid… Ich wusste, dass ich Fieber hatte, aber da war es noch nicht so hoch...“ „Wie hoch?“, zog ich die Augen zusammen. „Nicht so hoch.“ „Skyler“, setzte ich hinterher, um ihr deutlich zu machen, dass sie nicht um den heißen Brei herumreden konnte. Die Schülerin seufzte: „...39...“ „Wann war das?“ „...Mittwoch...“ Nun seufzte ich: „Und da warst du auch schon hier...“, ich hob ihren Kopf an und schaute in ihre Augen. Ich wollte verstehen, was sie dachte, warum sie machte was sie tat. Doch was ich in ihren Augen sah konnte ich genauso wenig deuten, wie Amys Hinweise früher am Tag: „Ich wusste doch, ich habe mich gestern nicht getäuscht. Skyler, du gehörst ins Bett. Wahrscheinlich seit Tagen. Seit Montag, tippe ich, da dein Fieber sicherlich von einigen unfreiwilligen Tauchgängen sonntags herrührt, habe ich recht?“ Sie nickte stumm und beschämt. „Wieso hast du dich nicht ausgeruht? Was machst du hier? Schlechter Schlaf, Krankheit, es muss dir doch schlecht gehen“, warum kam sie immer wieder hierher? Trotz alldem? „Ich...“, sie krallte ihre schlanken Finger in die Decke: „Wollte das wieder hinkriegen. Zwischen uns und… ich hatte das Gefühl ich hatte keine Zeit mehr. Außerdem meinten du und Ronald mal ihr könnt alle mit Schwächlingen nichts anfangen, deswegen… ich wollte nicht schwach sein… ich wollte, dass du mir glaubst, dass ich alles vertragen kann. Dass ich stark genug bin mit dir mitzuhalten… Doch Jemand, der wegen jedem Bazillus und Schnupfen umfällt, ist nicht stark… also… wollte ich… habe ich einfach weiter gemacht… Ich… Ich will auf keinen Fall, dass du wirklich gehst und da war mir das Fieber… einfach egal...“ Während sie erzählte, erschien ein leidlicher Ausdruck auf meinem Gesicht. Ich merkte und fühlte ihn. Ich fühlte mich drüber hinaus ein wenig niedergeschlagen. Nie habe ich so über sie gedacht, doch in meinen Bemühungen ihr ferner zu bleiben, hatte ich ihr wohl Dinge vermittelt, die sie zu dieser Annahme gebracht hatten. Ich stellte fest, dass ich furchtbar schlecht darin war, für jemanden gut zu sein. Dass selbst Dinge, die ich in guter Absicht tat, oft das genaue Gegenteil hervorrufen. Mir war schon seit Mittwochnacht klar sie wollte nicht, dass ich mich entferne und ich wusste seitdem, dass ich es tuen werde würde ihr erstmals schmerzen. Doch dass sie sich so puschte, ihren eigenen Zustand so sehr missachtete und sich selbst so derartig unter Druck setzte nur um es zu verhindern hatte ich nicht gedacht. Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Ich hatte noch nie erlebt, dass Jemand so bestrebt war, dass ich blieb. Ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte. Doch Sky schaute mich mit ihren umwerfenden blauen, unsagbar traurigen Augen an und ich merkte wie sie mich anflehten nicht weiter weg zu gehen. Ich merkte wie sie mich immer und immer wieder baten zu bleiben. Und ich merkte wie ich ihnen keine Bitte abschlagen konnte. Nicht, wenn sie so schauten. „Ich weiß, dass du stark bist“, ging ich in die Knie und nahm das zierliche junge Ding in den Arm: „Das musst du nicht beweisen. Das ist doch...“, ich seufzte und ließ die Schultern hängen, geplagt von Schuldgefühlen. Geplagt davon sie dazu gebracht zu haben sich soweit auszureizen: „Wieder meine Schuld.“ „Nein!“, ihre recht laute Aussage hatte mehr Energie, als ich ihr haben zu können zugesprochen hätte. Deswegen ließ sie mich innerlich innehalten und Skyler sich ein Stück aus meinen Armen buddeln. Eindringlich schaute sie mich an: „Du hast mich nicht dazu gezwungen keine Ruhe zu halten.“ „Aber ich habe dir das Gefühl gegeben, du kannst sie dir nicht leisten“, was wahrscheinlich noch das kleinere Übel von alldem war, was ich gemacht hatte. „Undertaker, nein! Das ist nicht deine Schuld, es ist meine und...“, Sky seufzte: „Es ist auch nur eine Erkältung mit ein bisschen Fieber.“ „Ein bisschen? Damit gehen Andere ins Krankenhaus. 2° mehr und du kannst gleich bleiben wo du bist, wenn du verstehst was ich meine.“ „Es ist nur eine Erkältung…“, versuchte die schöne Brünette es weiter herunter zu reden, was sie definitiv vergessen konnte: „Die sich wunderbar auswächst tut man nichts dagegen, läuft herum, macht Hausarbeit, Schule und Sport.“ „Es tut mir leid...“ Ich drückte sie wieder an mich, geplagt von meinem Gewissen, welches sich doch nur so selten, doch gerade überdeutlich meldete, als sie sich entschuldigte. Sie, die sich für wirklich gar nichts entschuldigen musste. Sie, die doch die letzten Tage nur abbekommen hatte: „Nein, mir muss es leidtun. Und das tut es.“ „Es ist alles ok, ok? Ich… möchte, dass zwischen uns wieder alles gut wird. Das ist das einzige was mich interessiert, Undertaker.“ Ich versteckte Nase und Mund in ihren weichen Haaren. Ein paar Sekunden genoss ich den Geruch ihres Lavendelshampoos. „Warum?“, fragte ich schließlich das, was ich am allerwenigsten verstand: „Warum magst du mich? Wie kannst du?“ Warum mag dieses junge Ding mit ihrer so reinen Seele jemanden wie mich? Ich spürte wie ihre erschöpften Finger meinen Pulli griffen: „Ich mag dich, weil ich dich toll finde. Du warst immer so lieb zu mir und jetzt… Hab ich dich lieb.“ Mir rissen die Augen auf. Kurz eingefroren wusste ich weder etwas zu tun, noch zu antworten. Mein Kopf war fast leer. Das mir jemand sagte er habe mich lieb, war sehr sehr lange her. Und diese Jemanden waren keine Menschen gewesen. Sondern dasselbe wie ich, vergleichbar alt. Aus ihrem Mund setzte mich dieses Statement fast Schachmatt. Gleichzeitig bedeutete es mir so viel.  Ich zog sie näher zu mir. Das erste Mal seit Tagen ging ich nicht einen Schritt von ihr weg,sondern holte sie näher ran. Und Skyler hatte recht mit der Aussage gehabt, dass es sich richtig anfühlte. Doch verstehen tat ich immer noch nicht: „Du hast dich doch schon so oft über mich beschwert.“ „Ich weiß nicht warum“, antwortete Sky und ihr Atem kitzelte seicht meine Halsbeuge, wenn sie sprach. Ein knisterndes Gefühl, welches meiner Verwirrung nicht zugutekam, doch mir gefiel, was mich ebenfalls ein wenig verwirrte: „Denn eigentlich stört mich das alles gar nicht. Von dir erschreckt zu werden, deine plötzlichen Themenwechsel und deine komischen Angewohnheiten. Sie sind in dem Augenblick vielleicht seltsam, vielleicht auch mal sehr seltsam, doch im Endeffekt stört es mich nicht mehr sobald du lachst.“ „Warum?“ „Weil ich dein Lachen mag, Undertaker“, Skys Stimme klang weich und warm. Sickerte mir wie lauer Honig in die Ohren und rann langsam dahin, wo der Schneesturm noch tobte, von Verwirrung nur noch mehr angefacht: „Ich mag deinen Frohsinn und auch deine total übertriebene Heiterkeit“, und ich merkte wie der warme Honig das Eis schmelzen ließ: „Ich mag dein Grinsen und dein Kichern. Wenn du vor Lachen um oder irgendwo runterfällst“, und ich merkte wie ihr kitzelnder Atem an meinem Hals den Schnee fort wedelte: „Ich mag dein Honigkuchenpferd-Grinsen, wenn du was angestellt hast und ich mag dein weiches Lächeln, wenn du mal nicht albern bist“, ich merkte wie nah diese junge Dame meiner Seele wirklich war: „Ich mag die Momente, in denen du ruhiger bist und was erzählst“, mir wurde klar, dass ich nie weit genug weg war, um dieser Nähe etwas entgegenzusetzen. „Ich mag viel an dir. Ich glaube... ich beschwere mich nur, weil du deswegen auch immer wieder zu lachen anfängst...“, ein Zittern in ihrer Stimme ließ mich abermals unangenehm berührt aufhorchen. Dieses Zittern kannte ich. Es bedeutete nichts Gutes. Es bedeutete alles was ich verhindern wollte und doch selbst ein weiteres Mal hervorgerufen hatte. Ich war so wütend auf mich. Und ich merkte wie diese hilflose Wut meine Wangen hinunterlief. „Und ich habe trotz allem so riesen Mist gebaut. Ich habe nicht nachgedacht, Undertaker. Du hast alles Recht dazu, aber bitte. Bitte sei nicht mehr sauer auf mich...“ „Ich bin nicht sauer auf dich. Ich war es nie.“ Ich spürte Skylers Kopf hochzucken. In dem Moment schaute ich zu ihr hinunter und sah die 2 großen Tränen, die das Zittern ihrer Stimme schon angekündigt hatte. Noch ein paar weitere nasse Punkte landeten auf ihren Gesicht. Ich brauchte ein paar Sekunden, um sie als meine Tränen zu erkennen. Dann wischte ich ihr behutsam beide Paar Tränen weg: „Ich wollte genau das verhindern. Ich wollte es nicht mehr sehen. Ich wollte nicht mehr sehen, wie du weinst. Wollte nicht mehr, dass dir irgendetwas schmerzt. Ich will das Beste für dich, denn nur das ist gut genug für dich. Doch“, ich schloss geschlagen meine Augen: „Das bin definitiv nicht ich.“ Eine sehr warme Hand legte sich auf meine Wange und eine unerwartete Frage ließ mich die Augen wieder öffnen: „Wie geht es dir, Undertaker?“ Ich ließ ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen, welches mir allerdings maßlosverunglückte. „Nicht sonderlich gut“, antwortete ich ihr endlich auf ihre Frage, die sie mir jeden Tag und immer wieder gestellt hatte. Sie wechselte die Hände und strich mir über meine zweite Wange. Ich konnte nicht in Worte fassen wie gut sich dies anfühlte: „Warum?“ „Weil ich dich vermisse.“ „Ich bin hier.“ „Aber das ist nicht gut für dich“, ich schloss wieder die Augen. Der Teil, der wollte, dass sie absolut sicher war, war immer noch überzeugt, dass ich selbst eine Bedrohung darstellte, die sie nicht kalkulieren konnte: „Höre auf so nett zu mir zu sein“, drückte der neu auf geflaute Schneesturm in mir meine Stimme ein weiteres Mal in ihrer Gegenwart nieder. Noch nie habe ich zugelassen, dass so etwas jemand hörte: „Ich will dich nicht noch mehr verletzen. Aber ich werde es tun. Immer und immer wieder. Das ist unvermeidlich. Deswegen muss ich dafür sorgen, dass du mir fernbleibst. Egal wie wenig ich es will. Dein Wohlbefinden ist wichtiger.“ Skylers Hand verschwand… nur damit sie mir die Arme um den Hals legen konnte: „Das ist Blödsinn, Undertaker.“ Dieser Satz ließ mein Herz komisch absacken. Ich nahm mein Gesicht ein Stück hoch, um in ihres schauen zu können. Sie lächelte mich warm und ehrlich an: „Ich möchte auch nicht, dass du weinst. Und du siehst immer mal wieder aus, als würdest du gerne weinen, tust es aber nicht. Ich möchte nicht, dass du immer wieder so traurig schaust. Du hast so tolle Augen. Ich will nicht, dass dieser blöde traurige Schatten immer wieder dadurch schleicht und sie so furchtbar matt macht.“ Ich war verblüfft und sprachlos, wie gut mich dieses junge Ding durchschaut hatte. Gerade mal 18 Jahre jung hatte sie Details bemerkt und gedeutet, sich dadurch Dinge erschlossen, nach denen sich der Dämon die Finger lecken würde! „Denn dann sehe ich genau, dass dich auch etwas schmerzt und das möchte ich auch nicht. Auch ich hätte dich gerne nur lachend und gut drauf. Doch das Andere scheint zu uns zu gehören. Ich bin empfindlich und nah am Wasser gebaut. Und du. Du leidest immer öfter stumm und kaum ersichtlich vor dich hin und redest nie darüber“, Skyler schüttelte bedeutungsschwer ihren zimtbraunen Schopf: „Du hast mir nicht weh getan. Nie. Ich habe mich nur erschreckt. Alles was folgte resultierte aus einem Ärger von mir gegen mich. Weil ich etwas getan habe, was so krass war und wahrscheinlich war es auch der ultimative Verrat an dich. Denn damit wirkte es so, als würde ich dich nicht mögen, oder Angst vor dir haben und das ist beides Quatsch. Das stimmt nicht. Es war gruselig, ja, was du erzähltest war grausam, ja, aber deswegen mag ich dich nicht weniger. Wenn du denkst du seist nicht das Beste für mich, irrst du. Denn gerade du bist es. Glaube mir, noch nie hat mir jemand so gut getan wie du. Nicht einmal Amy. Denn abgesehen von diesem einen verflixten Freitagabend, habe ich durch dich viel öfter gelacht, viel mehr gelächelt und viel weniger geweint. Ich hatte Bauchweh vor Lachen und nicht mehr vor Kummer. Du machtest alles so viel besser.“ Lange schaute ich sie an. Ihre Worte klingelten in meinen Ohren. Mein Kopf rekapitulierte sie so oft. Ihre Augen schauten so aufrichtig in meine und ich hatte diesem Ausdruck darin nichts entgegenzusetzen. Ich konnte meine Maskerade nicht mehr weiterspielen. Ich konnte nicht mehr weiter machen, wie ich es den Rest der Woche angefangen hatte. Sie wollte es nicht. Ich wollte es nicht. Und ich begriff, dass der Teil in mir der wusste, dass der beidseitige Unwille fatal war, genauso lange wusste, dass ich auf verlorenem Posten gespielt hatte. Ein Spiel, was Skyler nie hatte spielen wollen und dessen Regeln für ihre Rolle nur schmerzlich und unfair gewesen waren. Trotzdem hatte sie nicht aufgegeben, sich nicht über die Regeln beschwert und mich Zug um Zug gekontert. Skyler hatte gewonnen. Ich hatte nie eine Chance und ihr trotzdem so übel mitgespielt. Und gerade, weil ich ihr so übel mitgespielt hatte, stellte was nach dem Eingeständnis meiner totalen Niederlage geschah meine kopfstehende Welt wieder richtig, um sie gleich im Anschluss dreimal wieder auf den Kopf zu drehen. Ich spürte ein paar fieberheißer Lippen auf meiner Wange. Zögerlich und zaghaft, nur ein Hauch einer Berührung und trotzdem vollkommen nicht zu glauben: „Danke für alles, Undertaker.“ Ich konnte nichts sagen und nichts tun. Abermals. Dieses Mal allerdings in dem Ausmaß eines totalen Gedankenvakuums. Mit großen Augen schaute ich in Skylers Gesicht. So langsam, wie die Gedanken in meinen vollkommen perplexen Verstand zurückkehrten, blinzelte ich und legte eine Hand auf die Stelle, wo mich die Lippen der schönen Brünetten berührt hatten. Der Schneesturm war verschwunden. Als die Lippen der schönen Skyler meine Wange verlassen hatten, war es als hatten sie den heißen kleinen Splitter mit hinausgezogen. Ich konnte nicht anders, als mich zu freuen. Ich konnte nicht anders, als mir einzugestehen wie sehr es mir gefallen hatte und dass mir diese Initiative ihrerseits mehr bedeutete, als ich mir hätte vorstellen können. Ich konnte nicht anders, als mich von einem warmen Gefühl einfangen zu lassen, welches in einem leichten, gewohnten Grinsen auf meinem Gesicht erschien. Und ich konnte nicht anders, als mir immer wieder bewusst zu machen wie unglaublich diese hübsche junge Dame war: „Eh he he he! Skyler Rosewell? Du bist der helle Wahnsinn.“ Skylers kleines Lächeln wurde so weit wie ich es bis jetzt nur selten sehen durfte, was mich noch einen Ton fröhlicher stimmte: „Dann bist du der blanke Wahnsinn!“ Ich nahm Skyler in den Arm, als sie gleichzeitig mich in den Arm nahm. Und der Stress verschwand. Die Bitterkeit. Nicht in der Brühe, sondern im Nichts. Von der Brühe wandte ich mich ab. Schmiss in mir drin den Deckel ihrer Kiste zu, in die ich schon viel zu lange ohne es recht zu merken gestarrt hatte und setzt mich darauf. Was dort schwelte interessierte nicht. Nicht jetzt. „Fu fu fu. Wie recht du hast“, lachte ich leicht und gewohnt und fühlte mich durch dieses eine Lachen noch ein Stück befreiter. Weil ich gerne lachte. Weil ich auf viele verschiedene Arten gerne lachte, doch leicht musste es sein. Und weil ich feststellte, dass Skyler mich immer genauso zum Lachen brachte, wie ich es gerade brauchte. „Undertaker?“, Skyler lockerte ihre Arme und schaute mir ins Gesicht. „Hm?“, legte ich meinen so gewohnt und einfach grinsenden Kopf schief, auch wenn ich mir nicht absprechen konnte von den letzten Tagen einfach erschöpft zu sein. „Ist… also… Ist jetzt alles wieder wie vorher? Keine kalte Schulter mehr? Darf ich wieder einfach so vorbeikommen?“ Ich lachte auf: „Ehehehehehe! Du bist doch so oder so einfach vorbeigekommen, oder?“ „Ähm… War das… sehr schlimm?“ „Fu fu fu. Nur, wenn sich für dich nicht richtig anfühlt was du erreicht und getan hast.“ „Also getan… Eigentlich schon. Aber… was habe ich denn erreicht?“ Ich seufzte, als ich erkannte, dass Skyler mich zwang meine Niederlage laut auszusprechen, ohne es willentlich oder in böser Absicht zu tun: „Wenn du dir wirklich sicher bist. Wenn du es wirklich willst. Dann kannst du mich jederzeit besuchen kommen.“ Eigentlich war ich ein ganz schlechter Verlierer. Nur etwas Großem in mir war die Niederlage nur allzu lieb, auch wenn ich gleichzeitig wusste wie egoistisch das war. Doch Skylers aufgehelltes, fast strahlendes, Gesicht fühlte sich wieder mehr nach einem Sieg an: „Echt?! Und, und… Keine kalte Schulter mehr?“ Ich schüttelte grinsend den Kopf. „Ehrlich?!“ „In der Tat.“ „Du hast mir verziehen!?“ „Es gab nie etwas zu verzeihen.“ „Du bist nicht mehr sauer auf mich?!“ „Nein, Sky, war ich nie.“ „Nicht gekränkt?!“ „Nein.“ „Nicht beleidigt?!“ „Nein.“ „Nicht…!“ Ich griff sie an den Schultern und unterbrach ihren Schwall Ungläubigkeit: „Ich hege und hegte dir gegenüber nie irgendwie geartete negative Gefühle, so glaube mir doch.“ Plötzlich fing sie an zu quietschen. Sky schlug die Hände vor den Mund und wirktefurchtbar aufgeregt. Dann fiel sie mir mit Schwung um den Hals. Ich schloss die Augen und umarmte sie einfach zurück. Hinten in meinem Kopf war eine Spur schlechtes Gewissen. Etwas, was noch nicht ganz wusste wie ich es hinbekam Freitag vor einer Woche nicht in Dauerschleife zu wiederholen. Doch am Meisten fühlte ich mich einfach wohl. „Darf ich direkt etwas bleiben?“, nuschelte Skyler in meinen Pulli. „Du musst“, grinste ich. Sky blinzelte mich an: „Wie?“ „Nun“, ich wischte ihr eine verwirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und legte meine Hand auf ihre viel zu heiße Stirn: „Du hast hohes Fieber. So lasse ich dich sicherlich nicht durch die Weltgeschichte wandern. Außerdem ist die Sonne schon untergegangen.“ „Bitte?!“, rief die Schülerin erschrocken. „Ruhig. Schone dich endlich. Ich habe Amy ge... simst?“, ich wedelte mit einer Hand: „Na, diese komischen kleinen Texte in diesem komischen kleinen grünen Programm.“ Skyler kicherte kurz, was mich freute, aber auch eine Braue hoch wandern ließ: „Du hast ihr eine WhatsApp-Nachricht geschrieben.“ „Heißt das so?“, ich legte meinen Arm wieder um ihre zierlichen Schultern. Da kicherte Skyler schon wieder: „Ja, tut es.“ „So lang?“, ich lachte kurz auf, mehr von ihrem Kichern angetan, als wegen allem anderen: „Fu fu! Kein schmissiger Netzjargon, den ich nicht entziffern kann?“ Die junge Brünette schaute mich sehr amüsiert an: „Ähm... Kihi! Also, nicht das ich wüsste. Höchstens, dass man das 'Nachricht' weglässt.“ „Wie auch immer“, giggelte ich vor mich hin, weil nicht das Thema, sondern Skylers lang nicht gesehenes Pläsier mich wirklich interessiert hatte: „Deine Lehrerin weiß jedenfalls, dass du auswärts übernachtest. Mache dir darum keine Sorgen, meine Schöne.“ „Deine... Schöne?“ Mit einem Lachen legte ich ihr die Hand auf die Wange: „Du bist schön. Eine Augenweide!“, dann tippte ich ihr auf die kleine Nasenspitze: „Und wage es ja nicht mir zu widersprechen.“ „Du…“, Skyler lächelte mich verhalten an, was wirklich süß aussah: „Siehst auch gut aus.“ „Ni hi hi. Danke für die Blumen. Ich war bei der Wahl einer Ausweichgarderobe auf mich allein gestellt und habe nicht damit gerechnet, dass etwas halbwegs Ansehnliches dabei herumkommt“, ich klappte eine Hälfte des Sargdeckels hinunter und setzte mich. Dann gab ich Sky die Suppenschüssel: „Doch ich habe ständig vergessen meine Kleider bei euch abzuholen. Ich erlöse euch morgen davon, versprochen.“ Als ich das ausgesprochen hatte erschien ihn Skylers Gesicht eine große Portion schlechten Gewissens: „Ich… muss dir etwas beichten...“ „Hm?“, ich verstand den plötzlichen Wandel ihrer Mimik nicht: „Was denn?“ „Ich… habe deine Kleider gewaschen...“ „Wie liebreizend!“, nun verstand ich ihre Mimik allerdings noch weniger: „Aber warum nennst du so etwas Beichte?“ „Ich habe… alles gewaschen...“ „Ja?“ „Auch… deine“, sie schluckte und schaute nach unten: „Hose...“ Ich verstand schlagartig: „Oh oh.“ „Ich hab irgendwie… nicht mehr dran gedacht, dass es… Leder ist.“ Und überdeutlich: „Doppel Oh oh.“ „Und… und… und...“ Ich nahm sie an den Schultern: „Ist sie noch zu retten?“ „Nein...“, fiepste sie und schaute mir ganz kläglich von unten ins Gesicht. Ein gar possierlicher Gesichtsausdruck, über den ich nicht anders als lachen konnte: „Ehehehehe! Dann ist dem so. Sie hat mir lange treu gedient.“ „Es tut mir leid...“ „Sky, es ist nur eine Hose. Außerdem war sie alt und wäre wahrscheinlich eh bald über den Jordan gegangen. Du hast es lediglich ein wenig vorgeschoben“, ich strich ein weiteres Mal über ihre Wange: „Nun iss etwas. Es wird dir gut tun.“ Skyler beschaute die Schüssel: „Hast du wirklich...?“ Mit einem lauten Lachen bewahrte ich sie davor die pure Absurdität auszusprechen, die ihr auf der Zunge lag: „Pahahahahahaha! Bitte denke nicht ich habe gekocht! Ich kann nicht kochen!“ Sie blinzelte mich irritiert ein paar Mal an: „Echt jetzt?“ Ich nahm mir meinen Messbecher Tee: „So wahr ich hier sitze.“ „Du kannst nicht kochen?“, fragte die junge Skyler wieder nach, mehr als nur ungläubig, was mehr als nur erquicklich klang. „Nicht im Entferntesten“, nahm ich einen Schluck Tee und wurde meines Grinsens nicht mehr Herr. „Aber“, sie blinzelte wieder: „Du wohnst doch alleine hier, oder?“ „Wer sollte denn mit mir hier wohnen?“, die Frage verstand ich nicht. Ich verstand im Zusammenhang mit ihr einiges nicht, doch gerade empfand ich das verwunderlicherweise nur als halb so schlimm wie üblich. „Also... ich... ähm“, bekam Sky keinen geraden Satz zustande um sich zu erklären. Ich kicherte. „Vielleicht findest du eine Hand voll Spinnen“, hob ich ebenfalls eine Hand und versuchte ihr und der Antwort, die ich schon gerne hätte, auf die Sprünge zu helfen: „Oder die ein oder andere Maus, die schon etwas länger hier heimisch sind, mehr aber nicht. Warum ist dies für dich interessant?“ Skylers Gesicht wurde satt rot und ich gab die Hoffnung auf, am heutigen Tage ein gewisses Maß an ‚Grundverwirrung‘ überwinden zu können: „Öhm höm nöm... äh... Wenn du alleine wohnst und nicht kochen kannst, was isst du dann den ganzen Tag?!“ „Kekse“, das wusste sie doch. „Nur Kekse?!“, zumindest hatte ich das bis zu diesem Ausbruch angenommen. Ich lachte schrill auf, als ich wusste, dass was folgt ihr noch weniger gefallen würde: „Und Marmite!“ „Pfui!“, wie erwartet angewidert schüttelte Skyler den Kopf: „Willst du mir sagen, dass du dich überwiegend von Keksen und Marmite ernährst?!“ „Nun, ke he he ja, so sieht es wohl aus.“ „Das kann nicht gesund sein!“ „Vergiss nicht, dass ich kein Mensch bin.“ „Trotzdem!“ „Es geht mir gut, fu fu fu!“ Als sie wieder den Mund öffnete, entschied ich mich mit einem Finger auf ihren Lippen die Diskussion zu unterbrechen, die ewig dauern konnte, wenn wir wollten: „Doch da ich mir bewusst bin, dass du weder meine Kekse noch Marmite sonderlich erquicklich findest, wu hu hu hu, habe ich den Lieferservice angerufen.“ „Lie...“, Sky zog meinen Finger herunter und war so verwirrt, dass sie vom eigentlichen Thema abließ: „Lieferservice?“ „Ni hi hi hi! Den Earl.“ „Alexander?!“ „Jup“, ich überschlug die Beine und nippte an meinem Tee: „Amy schrieb dein Appetit war die vergangene Woche rar gesät bis vollkommen verdorrt. Da dir schon schwarz vor den Augen wurde, dachte ich etwas zu essen wäre eine nicht ganz so schlechte Idee. Doch da ich selbst nichts als komischen Glibber und toxischer Brühe zusammengerührt kriege, rief ich den Earl an. Der übergab meine Bitte an den Butler. Der ist im Kochen doch um einiges kompetenter als ich. Hat mich einige Rabatte gekostet, aber deine Gesundheit ist es mir wert.“ Sky schnappte meine Hand: „Undertaker?“ „Hm?“, schaute ich von unseren Händen in ihr schönes Gesicht. Eine Träne flitzte aus ihrem rechten Auge, doch auf ihrem Mund stand ein so strahlendes, ehrliches Lächeln, dass ich es nie vergessen würde: „Danke für alles.“ „Nicht. Es ist selbstverständlich“, nachdem ich den Messbecher beiseite gestellt hatte, wischte ich die Träne weg, damit sie ihr wunderbares Lächeln nicht mehr verdarb. Einen atemberaubenden Gesichtsausdruck, wie ich ihn noch nie gesehen hatte: „Du bist erkältet. Hast Fieber. Kaum gegessen und nur sehr schlecht geschlafen. Iss. Danach schlafe ein wenig. Vielleicht funktioniert es hier besser. Erhole dich etwas“, ich strich nochmal über ihre Wange. Ich hatte das Gefühl ihrer Haut so vermisst: „Erweise mir die Ehre und sei mein Gast.“ Widererwartend, dass dies möglich war, hellte Skys Gesicht noch mehr auf und sie drückte meine Hand fester: „Ich würde nirgendwo lieber sein.“ Kapitel 14: ------------ Sky Der Totengräber saß auf dem Sargdeckel, bis ich meine Suppe zu Ende gelöffelt hatte. Wir redeten über alles und nichts, und Undertaker lachte wieder so viel und so laut, wie man es von ihm gewohnt war. Ich fühlte mich in dem verschrobenen Bestattungsunternehmen wieder so wohl wie vorher und dadurch fühlte ich mich sogar körperlich um einiges weniger schlecht. Sobald die Schüssel in meinen Händen leer war, schaute mich Undertaker mit einem weiten Grinsen im Gesicht an und nahm mir das Geschirr aus der Hand: „Du solltest dich nun ein bisschen ausruhen, meine schöne Puppe.“ „Aber…“, ich würde mich gerne weiter mit ihm unterhalten, hatte ich diese Art von Unterhaltungen doch so bitterlich vermisst und so furchtbar gebangt sie nicht wieder führen zu können. Doch mit dem langen Zeigefinger an meiner Nase unterbrach der Bestatter mich: „Nichts aber. Es gibt keinen Grund gezwungen wach zu bleiben. Morgen ist Samstag. Wochenende. Ruhe dich aus, nichts läuft dir weg.“ „Wirklich?“, fragte ich kleinlaut. War eigentlich alles wieder gut, so ganz erholt hatte ich mich von der letzten Woche noch nicht und etwas in mir befürchtete immer noch Undertaker könnte seine Meinung wieder ändern. „Natürlich nicht!“, an meiner Nase drückte der Totengräber mich in die Polster des Sarges. Ein mildes Lächeln umspielte seine Lippen und ergänzten seine, im halbdunklen wieder nur durch den großen Kerzenständer erhellten Laden, glänzenden Augen einfach nur perfekt: „Hier kommt nichts hinein. Hier drin kann dich nichts jagen. Du bist hier sicher, vertraue mir“, seine lange Hand strich sanft über meine fieberheiße Wange: „Gute Nacht und schlafe gut.“ Ich schaute in sein mild lächelndes Gesicht und fühlte mich so wohl wie schon lange nicht mehr. Die Polster des Sarges hießen mich so gemütlich Willkommen, dass mir umgehend meine Augen zufielen und ich machtlos meinem Fieber und meinem Schlafmangel erlag. Ich schlief besser als man in einem Sarg schlafen sollte – eigentlich hatte ich noch nie wirklich besser geschlafen – doch wurde ich irgendwann von einem scharfen Hustenanfall wachgerüttelt. Ich setzte mich auf um besser abhusten zu können, doch brauchte ich trotzdem einige Minuten bis der Anfall abgeklungen war. Mir war furchtbar heiß, doch ich zitterte. Mein Mund war ganz trocken und mein Hals gereizt. Ich brauchte dringend etwas zu trinken, ich spürte den nächsten Hustenanfall schon in den Startlöchern. Ich räusperte mich und schaute mich um. Der Laden lag dunkel und still vor mir. Nächtlich und ohne Licht war er um einiges weniger heimelig. Eigentlich war der Laden des morbiden Bestatters bei Nacht nur noch exorbitant gruselig. Die ganzen Särge waren dunkle Schatten, die das Schwarz fleckig und stellenweise nur noch schwärzer machten. Ich wusste nur zu gut wie viele Augen mich aus den Gläsern in den Regalen heraus anstarrten. Ihre toten Blicke bohrten sich in meinen Rücken. Als ich mich umschaute fiel mein Blick auf einen bleichen Totenschädel in einem Regal, dessen Elfenbeinweiß im Dunkeln fast zu leuchten schien und die hohlen Augenhöhlen wie endloses schwarzes Nichts wirken ließ. Er starrte mich an, unverhohlen und augenlos. Ich schauderte. Doch um wegzuschauen brauchte ich Minuten. Die Tatsache, dass ich in einem Sarg lag, kam mir auf einmal nicht mehr halb so gemütlich vor wie vorher. Mein Blick wanderte weiter durch den Laden. Wo war Undertaker? Ich hörte nichts. Durch den Laden ging nicht einmal die Idee eines Geräusches. Hier herrschte – sehr wörtlich genommene – Totenstille. Es war offenkundig mitten in der Nacht, vielleicht lag der Bestatter in einem der Särge und schlief ebenfalls. Ich wusste, dass er seine Särge zum Schlafen schloss. Mein Blick fiel unwillkürlich auf einen kleinen, einfachen Beistelltisch aus dunklem Holz der neben dem Türbogen stand. Dort drauf stand immer ein kleiner, filigraner runder Spiegel, rechts und links davon zwei einfache goldene Kerzenständer. Doch bekam ich einen mittelschweren Herzanfall, als ich auf den Tisch schaute. Vor dem Spiegel lag ein Totenschädel. Ich könnte schwören, der hatte da bevor ich eingeschlafen war noch nicht gelegen! Auch kam er mir gefährlich bekannt vor. Ganz langsam wanderten meine Augen zu dem Schädel im Regal… der nicht mehr im Regal lag. Ein erschrockenes glucksendes Geräusch entfloh meiner Kehle und etliche Glassplitter fuhren durch meine Wirbelsäule, als ich auf die leere Stelle im Regal starrte. Hier kommt doch nichts rein, hatte Undertaker gesagt! Ich bin hier sicher, hatte er gesagt! Vertrau mir, hatte er gesagt! Das hier augenscheinlich schon was drin war, hatte er nicht gesagt! ‚Du kannst mich maaaal~‘ Ich schaute zurück zu dem kleinen Tisch auf dem nur noch der kleine Spiegel und die zwei Kerzenständer mit ihren angebrochenen Kerzen standen. Mir war gar nicht mehr wohl. Fieber hin oder her, nun war mir kalt! Richtig kalt! ‚Wo ist das Ding?‘, oh, ich mochte nicht mehr! Ich spürte, dass mich meine Gesichtsfarbe verlassen hatte. Genau wie Gottes Segen. Ich war mir im Übrigen sehr sicher, dass ich Gottes Segen jetzt sehr gut gebrauchen könnte. Doch der kam hier wahrscheinlich wirklich nicht rein! Etwas Helles erschien in meinem Augenwinkel. Langsam, wie betend, drehte ich meinen Kopf wieder nach vorne. Dann war ich mit einem spitzen Aufschrei und einem großen Satz aus dem Sarg gesprungen. Denn auf dem zugeklappten Deckelteil des Sarges, in dem ich geschlafen hatte, auf dem auch der Bestatter gesessen hatte, lag urplötzlich dieser grässliche Schädel. Er hatte den Kiefer nun soweit aufgesperrt, dass er fast aus den Gelenk rutschte. In meinem Schreck stolperte ich rücklings Richtung Ladentheke und starrte diesen Schädel an. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, damit er nicht verschwinden und mich fressen konnte. „Oh mein Gott“, japste ich vollkommen atemlos: „Oh mein Gott, was ist das? Das Ding will mich fressen. Ich schmecke ganz labberig, überhaupt nicht knackig! Oh Himmel, ich bin doch viel zu jung zum AAAAHHHH!“ Während ich vor mich hin japste und nach hinten tapste, griff mich aus dem Nichts etwas von hinten an beiden Schultern. Mein schriller Schrei zerriss die Totenstille im Laden. In dem Wissen, mein Leben sei vorbei, setzte mein Denken komplett aus. Ich trat nach hinten aus und traf etwas, von dem ich aber nicht wusste was es war. „Au!“ Mein Ellbogen fuhr ebenfalls nach hinten und bohrte sich in etwas Hartes. „Hirks!“ Ich zog die Faust des nachhinten gesausten Arms nach oben und traf wieder auf einen beachtlichen Wiederstand. „Hmpf!“ Mit meinem letzten bisschen Geistesgegenwart griff ich das Metalltablett auf dem die leere Schüssel und die Messbecher standen. Sie rasselten laut auf den Ladentresen, als ich es an mich riss und damit das, was mich attackiert hatte, so fest wie mir irgend möglich niederschlug. Ein blechernes Scheppern ging durch das dunkle Bestattungsunternehmen. „Jau! Au! Au! Au!“ Stille im Laden. Das beachtlich zerbeulte Tablett wie eine Waffe erhoben stand ich vor dem Tresen und starrte schwer atmend in die Dunkelheit. Mein Herz wummerte und meine Venen brannten vor Schreck und Adrenalin. Dann klang ein lautes Schnipsen durch die Düsternis. Alle Kerzen in dem Verkaufsraum flackerten auf und vertrieben die albtraumhaften Schatten aus Undertakers kleinem Laden. Ich ließ das Tablett ein Stück sinken. Erst jetzt fiel mir auf, dass überall Kerzen standen. Der Bestatter hatte unzählige davon! Auf Tischen, auf dem Boden, in Regalen, begleitet von dem großen 25-Arm-Leuchter neben dem Tresen. Ein Ächzen ließ mich mein Tablett wieder heben und meinen Kopf zum Tresen fahren. Eine lange bleiche Hand mit langen schwarzen Fingernägeln erschien über der Tischplatte und hielt sich daran fest. Kurz darauf hievte Undertaker seinen Oberkörper auf den Tresen und grinste mich mit, von seinem Pony doch recht wirr verhangenen Augen, an: „Geht es dir nun besser, meine Liebe?“ Ich blinzelte den Bestatter verwirrt und immer noch recht außer Atem an: „… Was?“ „Nihihihi! Na, ob es dir nun besser geht?“ „Wie…“, ich schüttelte irritiert den Kopf und ließ das Tablett sinken: „Wie meinst du das?“ „Nun“, der Bestatter stand auf, ging um den Tresen herum und rieb sich den Hinterkopf: „Ich stelle immer wieder fest, du bist kräftiger, als du aussiehst. Ih hi hi!“ „Ich bin…“, es schepperte ein weiteres Mal, als ich das Tablett losließ um die Hände vor meinen Mund zu schlagen. Noch während ich den Satz verarbeiten wollte, hatte ich verstanden was ich gerade getan hatte: „Oh mein Gott!“ Ich wedelte hilflos mit den Händen: „Es tut mir leid! Es tut mir so unendlich leid!“ Ich hatte Undertaker verprügelt! Mit einem Metalltablett! Der Totengräber lachte und schnappte beide meiner Hände mit einer Hand: „Lass Gott aus dem Spiel. Fuhuhuhuhu! Der hat hier nichts zu suchen.“ Gestresst schaute ich in Undertakers verhangenes Gesicht: „Der ist zu 100% auch nicht hier…“ „Kehehe! Das hoffe ich!“, der Bestatter legte den Kopf schief. Seine Haare rutschten dadurch von einem Auge: „Das wäre auch Hausfriedensbruch! Nehehehe! Doch das beiseite. Ich habe dich schreien hören. Was war?“ „I-i-ich“, ich drehte mich um und eroberte eine Hand zurück: „Da!“, um auf den Totenschädel auf dem Sarg zu zeigen… der weg war! Ich ließ die Schultern hängen, als ich versuchte zu verarbeiten was gerade passierte. Da ich es um biegen und brechen nicht schaffte, flog mein Gesicht hilfesuchend zu Undertaker: „Da war eben noch ein Totenschädel! Der war überall! Einfach so! Kaum habe ich weggeschaut da…“ „Der hier?“ „WAAAAAAH!“, mit einem Satz war ich über die Tischplatte hinter dem Tresen verschwunden, nachdem mir Undertaker diese verdammte Totenfratze vollkommen unvermittelt mitten ins Gesicht gehalten hatte! Ich lugte mit einem bösen Funkeln über die Tischplatte: „Du Idiot!“ „Fuhuhuhuhu“, Undertaker wankte kurz in einem kleinen Lachanfall hin und her: „Gihihihihi! Schlechte Angewohnheit, es tut mir leid!“ „Tut es überhaupt nicht!“ „Doch, tatsächlich!“, er wischte sich ein paar Lachtränen aus den Augen: „Aber es kommt immer einfach so über mich! Kehehehe! Und deine Reaktionen sind so goldig!“ „Oh, du kannst mich mal!“ Er legte den Kopf schief und stemmte die freie Hand in die Hüfte: „Ja, was denn?“ „Äh…“, ich stockte: „Also… also… Äh“, dann sprang ich zurück in den Stand: „Mir den Buckel runter rutschen!“ „Oh“, er kam einen Schritt auf mich zu und legte mir mit einem weiten Lächeln die Hand auf die Wange: „Das meinst du nicht so.“ „Äh… äh… Also…“, in meinem Gehirn herrschte Ebbe. Undertaker hatte sich mal wieder um meine Wut herumgemogelt. Er schaute auf den Totenschädel und dann wieder zu mir: „Hat dich der kleine Kerl so erschreckt?“ Ich nickte: „Ja…“ „Hmmm“, der Totengräber stemmte wieder die freie Hand in die Hüfte und beschaute den Schädel, den er vor sein Gesicht hielt: „Den hatte ich ganz vergessen…“, er grinste mich entschuldigend an: „Vergib mir, meine Schöne. Ich habe an den kleinen Schalk hier gar nicht mehr gedacht.“ Was ich vergessen hatte waren mein Schreck und meinen Ärger. Ich musste anfangen zu kichern. Undertaker ließ den Schädel ein Stück sinken und schaute mich ein wenig irritiert an: „Worüber lachst du?“ „Hi hi. Sein oder Nichtsein“, ich kicherte weiter. Undertaker hätte mit dem nachdenklichen Blick auf diesen erhobenen Schädel auf eine Bühne gehört: „Du siehst aus wie Hamlet!“ „Ihihihihi! Oh, danke für die Blumen, meine Teuerste“, der Bestatter verbeugte sich einmal kurz ebenso bühnenreif und grinste mich an: „Aber auch du, liebe Sky, begehst den verbreiteten Fehler Hamlets Monolog aus der 1. Szene des 3. Aufzug mit der Friedhofszene aus dem 5. Akt zu verwechseln. Beim Monolog gab es keinen Schädel. Leider. Ehehehe!“ „Du…“, ich blinzelte: „Du bist ein Shakespeare-Fan?“ Undertaker wandte sich breit grinsend wieder dem Schädel zu und hob eine Hand: „Ach armer Yorick! - Ich kannte ihn, Horatio; ein Bursch von unendlichem Humor, voll von den herrlichsten Einfällen. Er hat mich tausendmal auf dem Rücken getragen, und jetzt, wie schaudert meiner Einbildungskraft davor! Mir wird ganz übel“, er fuhr mit dem Finger über die Mundpartie des Totenschädels: „Hier hingen diese Lippen, die ich geküsst habe, ich weiß nicht wie oft“, er hob wieder fragend seine Hand: „Wo sind nun deine Schwänke? Deine Sprünge? Deine Lieder, deine Blitze von Lustigkeit, wobei die ganze Tafel in Lachen ausbrach? Ist jetzt keiner da, der sich über dein eigenes Grinsen aufhielte? Alles weggeschrumpft? Nun begib dich in die Kammer der gnädigen Frau und sage ihr, wenn sie auch einen Finger dick auflegt:“, er hob den Zeigefinger der erhobenen Hand: „So'n Gesicht muss sie endlich bekommen; mach sie damit lachen! - Sei so gut, Horatio, sage mir dies eine!“ Mir stand der Mund offen: „Das zitierst du?! Einfach so?!“ „Aber ja!“, der Bestatter machte eine weite Geste mit dem Schädel, der in seiner Hand seinen Grusel doch sehr schmählich eingebüßt hatte und zu Requisite verkommen war: „Eine Abhandlung über einen Witzbold anhand seines verwitterten Totenschädels, begleitet von einem singenden Totengräber! Vorzüglich! Meine Lieblingsszene mit großem Abstand! Ich habe Shakespeare verschlungen!“ Ich blinzelte wieder. Diese Abhandlung war so unglaublich bedenklich, wie sie für den Bestatter passend war: „Das glaube ich dir sofort… Und… Ich hoffe du meinst du hast seine Werke verschlungen und auch das hoffentlich nur im übertragenen Sinne…“ Undertaker legte grinsend die Hand an seine Brust: „Aber natürlich“, dann fiel sein Kopf zur Seite: „Wobei ich auch seine Seele geholt habe. Kihihihihi! Es war definitiv ein sehr interessanter Record!“ Ich zog die Augenbrauen hoch: „Okaaaaaay… Andere fragen nach einem Autogramm, aber warum nicht auch so.“ „Autogramm! Awuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“, Undertaker verstrickte sich in einem längeren Lachanfall. Als er sich einigermaßen gefangen hatte, stupste er mir auf die Nase: „Nihihihihi! Literatur ist etwas Feines. Lesen ist großartig!“ Ich schaute kurz auf Undertakers Finger und dann in sein Gesicht: „Liest du viel?“ „Wenn ich sonst nichts zu tun habe“, der Bestatter grinste breiter: „Also ja.“ „Und Shakespeare ist dein Lieblingsautor?“ Undertaker drehte seine freie Hand: „Er war ein großartiger Dramatiker, aber nein.“ „Wer dann?“ Der Totengräber legte wieder die Hand auf seine Brust: „’Ist Besuch wohl‘, murrt’ ich:‘ Was da pocht so knöchern zu mir her – das allein – nichts weiter mehr.‘ “ Ich schüttelte lächelnd den Kopf: „Ehrlich? Poe?“ „‘Der Rabe‘ ist fantastisch!“ Ich lachte auf: „Das passt so gut zu dir.“ „Deswegen ist es wohl auch so. Kehehehe!“ Ich seufzte und lehnte mich gegen den Tresen. Jetzt wo der Schreck verschwunden war kam der Schwindel wieder. Und die Müdigkeit. Ich rieb mir durch die Augen. Eine Hand in meinem Gesicht ließ mich aufschauen: „Du bist noch so warm. Verzeih‘ mir, dass ich zuließ, dass dich dieses Ding so erschreckt. Mir selbst fällt seine Gegenwart einfach nicht mehr auf.“ Ich schüttelte meinen Kopf, was Undertaker dazu brachte seine Hand herunter zu nehmen: „Ist ok… Was ist das überhaupt?“ Undertaker schaute auf den Schädel und dann mit einem entschuldigenden Lächeln wieder auf mich: „Ich weiß es nicht.“ „…Bitte?“ „Ehehehe! Ich habe keine Ahnung! Ich fand ihn irgendwann, irgendwo. Selbst das habe ich vergessen. Es ist ein Schädel, ganz offensichtlich, doch nicht ganz normal, ebenso offensichtlich. Deswegen entschloss ich mich ihn zu behalten.“ „Geht dir das Ding nicht auf die Nerven?“ „Nein“, Undertaker schnaubte amüsiert: „Kihihi. Es bewegt sich, wenn überhaupt, nur nachts und traute sich nie an mich heran.“ Meine Augen fielen zu Boden: „An mich schon…“ „Und genau deswegen“, ein trockenes Knacken ließ mich wieder aufschauen. In Undertakers Fingern lag Spannung, auch wenn sie seinem grinsenden Gesicht fernblieb und Risse zogen sich durch den morschen Knochen. Dann sprang er mit einem knarzenden Geräusch in viele zu Boden fallende Teile: „Muss er gehen“, giggelnd zwinkerte Undertaker mir zu: „Au revoir. Ne he he!“ Ich legte eine Hand vor dem Mund: „Du musst wegen mir doch nicht deine Sachen kaputt machen…“ „Wer weiß, was es angestellt hätte“, er wischte sich beiläufig Knochenmehl an der schwarzen Jeans ab, was daran elfenbeinfarbene Striemen hinterließ. Dann drehte er sich zu mir: „Selbst wenn es dich nur erschrecken wollte, du brauchst deine Ruhe. Alles, was dies stört, muss weg.“ Mit einem schlechten Gewissen und herabgefallenen Blick schlang ich meine Arme um meine Brust. Ich traute mich nicht zu sagen, dass sein Laden an sich furchtbar gruselig war, sobald kein Licht mehr schien. Er gab sich doch so viel Mühe. Also lächelte ich ihn an: „Danke sehr.“ Undertaker legte den Kopf schief: „Ist noch etwas?“ „Nein“, machte ich, doch Undertaker wirkte nicht recht überzeugt: „Wirklich?“ Ich nickte. Er legte seinen Kopf auf die andere Seite: „Du weißt welche Strafe auf lügen steht. Auch wenn ich es habe ein wenig schleifen lassen, zugegeben.“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Du hast heute einiges davon nachgeholt.“ „Ah ah ah“, er wedelte mit dem Zeigefinger: „Ich kam in dem Bestreben dir zu helfen und du hast mich dafür getreten, geschlagen und es mir mit einem Tablett gedankt! Auf den Kopf! Mehrfach!“ „Weil du mich erschreckt hast!“ „Ich wollte verhindern, dass du gegen den Tresen läufst.“ Ich stockte: „… Wäre ich…?“ „Ja“, verschränkte Undertaker die Arme. „Oh…“ „Und wenn ich mich bemerkbar gemacht hätte, hättest du dich vor meiner Stimme erschreckt. Meine Möglichkeiten waren arg eingeschränkt, findest du nicht?“ „Äh… äh… äh…“, ich hasste es, wenn er Recht hatte! Undertaker schüttelte giggelnd den Kopf: „Ki hi. Lege dich wieder schlafen. Ich glaube, ich habe sonst nichts mehr was nachts umher wandert.“ Ich hustete einmal trocken: „Hättest du noch ein Glas Wasser für mich?“ Mit einem Lächeln verschwand der Totengräber in der Türe und kam keine Minute später mit einem Becher Wasser wieder. Ich kippte es hinunter und atmete erleichtert aus: „Besser…“ „Dann“, Undertaker nahm unvermittelt meine Hand und führte mich zurück an den Sarg. Beide Hände auf einmal an meiner Taille legte er mich nonchalant hinein: „Gute Nacht.“ „Gute Nacht“, lächelte ich müde und kuschelte mich in die Armee von Wolldecken. Undertaker richtete sich auf und pustete einmal auf seine Handfläche. In diesem Moment gingen mit einem leisen Flackern alle Kerzen wieder aus. Dann hörte ich wie seine Schritte verschwanden. Skeptisch lugte ich nur mit den Augen über den Rand des Sarges. Sicher fast eine halbe Stunde beschaute ich den Laden und achtete darauf ob sich irgendetwas bewegte. Doch jede der vielen Bewegungen, die ich meinte im Augenwinkel gesehen zu haben, stellten sich als Hirngespinst oder meine eigenen Haare heraus. Mir war schwindelig, warm und ich war müde. Doch es war so gruselig, mit all den Schatten und komischen Silhouetten... Ich fühlte mich wieder alleine hier im Dunkeln - umgeben von all den makaberen Dingen, die Undertaker so sammelte und mittlerweile selber vergessen zu haben schien, woher das ein oder andere kam oder was es konnte – überhaupt nicht wohl. Irgendwann zog ich meinen Kopf zurück in den Sarg, doch Schlaf fand ich aufgrund der ganzen eingebildeten tanzenden Schatten nicht. Die Decke bis zur Nase gezogen sah ich trotz der Düsternis aufgrund meiner blühenden Paranoia jedes Staubkorn und stufte es als potenziell tödlich ein. Zumindest dachte ich, es seien Staubkörner… oder hoffte es. Mein Herz schlug konstant einen Takt zu schnell und ich hatte ein ungutes Gefühl in Magen und Wirbelsäule. Zwar wusste ich, dass Straßenlaternen in der Gasse standen, doch kein Licht fiel durch die Fenster des kleinen Ladens. Es schien, als haben selbst die Lichtstrahlen Angst vor ihm. Ich setzte mich auf und ließ meinen Blick wieder durch den Laden wandern. In den Regalen standen ein paar Statuen und einige mir ganz unbegreifliche Dinge, die schon erleuchtet keinen schönen Anblick abgaben, doch ihre Schemen war einfach nur grausig. Ich zog meine Lippen in meinen Mund, als mir klar wurde ich würde einfach keine Ruhe finden. Nicht solange mich mein merklich schlagendes Herz so nervös machte. Ich entschloss mich mir noch etwas Wasser zu besorgen. In der kleinen Teeküche konnte ich bestimmt Licht anmachen und abwarten bis ich mich wieder beruhigt hatte. Sicherlich wirkt der Laden nicht mehr so gruselig, wenn ich aus meinem Alarmzustand herausfand. Ich kletterte aus den Sarg und musste mich kurz an dem Rahmen festhalten. Mein Kopf schwirrte zwar nur unterschwellig, aber unangenehm. Das Intermezzo mit dem Schädel war wohl doch zu aufregend gewesen. Seufzend warf ich mir eine der Wolldecken über die Schultern und wickelte mich darin ein. Ich war so müde. Als ich mich hingelegt hatte dachte ich, ich würde schlafen und nie wieder aufwachen. Doch ich war nicht mal im Schlafen gut. Ich schlief nur selten gut. Recht tapsig ging ich auf die Türe hinter dem Tresen zu. Ich war mir sicher es war in Ordnung hindurchzugehen, schnell in der Küche zu verschwinden und mir etwas zu trinken zu holen, doch mit der Hand an der Türklinke zögerte ich. Es war etwas anderes in seine Privaträume zu gehen, anstatt in dem Verkaufsraum zu sein. Der Verkaufsraum stand prinzipiell jedem offen, doch eine ruhig Rückzugsmöglichkeit –Raum für sich selbst – war vielen Leuten wichtig. Ich drehte meinen Kopf ab, als ich meine Idee verwerfen wollte. Allerdings stierte ich just in diesem Moment einem Glas in einem Regal entgegen aus dem zwei Augen zurück schauten. In einer Bewegung war ich durch die Tür und schloss sie hinter mir. Ich lehnte mich auf der anderen Seite mit einem Seufzen dagegen. Auch ein Lieblingsgruselkabinett war immer noch ein Gruselkabinett. Nach ein paar Sekunden ging ich einen Schritt in den kleinen Zwischenraum, indem es wärmer war als im Verkaufsraum. Ich musste mich kurz orientieren. Schließlich hatte ich die hinteren Räume nur einmal kurz gesehen. Ich schaute nach rechts und stockte erneut. Der Raum war erleuchtet. Sanfter orangener Schein flackerte sachte über Wände und den Boden. Es knisterte hin und wieder friedlich und die Atmosphäre war auf einmal eine ganz andere. Heimischer. Zögerlich, aber wie eine Motte vom Licht angezogen, tat ich einen Schritt in den kleinen Raum. Das milde Leuchten ließ die Couch und den kleinen Queen-Anne-Style-Couchtisch in der Raummitte lange gemächlich tanzende Schatten auf den Boden und den schwarzen Teppich werfen, die schon fast träge und müde wirkten. Was allerdings auf jeden Fall müde wirkte war die Gestalt, die auf dem schwarzen viktorianischen Sofa lag und mich erst dazu bewogen hatte die kleine Kammer überhaupt zu betreten. Seitlich auf den anscheinend herausnehmbaren dicken Samtpolstern liegend, eines der schwarz-braun floral bestickten Akzentkissen und die gerollte, ebenfalls dick gepolsterte und mit braunen Leder bezogene Armlehne als Kopfkissen benutzend, war Undertaker Gesicht halb in seiner Armbeuge verschwunden. Die andere Hand hing hinunter und mein Blick fiel auf das Buch, welches fast aus seinen langen Fingern rutschte und halb auf den Boden zwischen den restlichen Zierkissen und Undertakers Schuhen lag. Ich sah mit einiger Verwunderung, dass es sich tatsächlich um ein gealtertes Magazin handelte. Darauf stand groß »Weird Tales« und das Cover sah, mit dem blauen Hintergrund auf dem ein paar unbekleidete, aber mit Goldschmuck und Rosen behangene Männer und Frauen zu sehen waren, doch eher komisch aus. Ich ging so leise es mir möglich war einen Schritt näher an das mit braunem Leder und schwarz-braunen floral gemusterten Samt bezogene Sofa mit der geschwungenen durch elegante Schnitzereien verzierten Rückenlehne heran, auf dem der Totengräber über seinem Lesestoff eingeschlafen zu sein schien. Sein Pony war von seinen geschlossenen Auge gerutscht und ich konnte erkennen wie sich ganz leicht, aber gleichmäßig und friedlich seine Brust hob. Ich nahm mir kurz die Zeit mich in dem kleinen Raum umzusehen, der wirkte wie ein Lese- oder Studierzimmer, welches man aus einem viktorianischen Herrenhaus geklaut hatte: Rechts von mir war der leise säuselnde Kamin, der recht groß für den kleinen Raum war und fast die komplette kurze Wand einnahm. Er war gehauen aus grauem Stein, ich tippte auf Marmor, da er durchzogen war von weißen Äderchen und Flöckchen. Verziert war er mit schlicht gehaltenen Pilaster, Sockel und Sims, aber mit reich detaillierten Konsolen. Er wirkte massiv wie dezent und das lauschige Feuer vertrieb meinen Grusel. Die gegenüberliegende kurze Wand und die Hälfte der rechts angrenzenden langen Wand war gesäumt von fast deckenhohen Bücherregalen, die fast aus allen Nähten platzten. Einige beherbergten nur, mal ältere, mal neuere Bücher und waren noch recht ordentlich. Doch in anderen stapelte sich wirr kreuz und quer Papier, mal in Ledermappen, mal als zusammengebundenes Packet, mal als ein Berg von Rollen und mal als loses Durcheinander. Doch was meinen Blick an diesem Raumende wirklich fing war ein Möbelstück, welches man heutzutage fast gar nicht mehr sah. Ich kannte es lediglich aus der immer noch recht viktorianisch angehauchten Bibliothek des Weston College, wo eine Handvoll davon ausgestellt waren, allerdings nicht benutzt werden durften: Ein alter englischer Sekretär mit Hocker. Dieses massive Möbelstück sah nicht aus, wie ein Nachbau. Der Stehrücken war aus einem gestanzten Muster geformt. Eine Falltür könnte die Innen- und Schreibfläche abdecken, doch stand sie offen und erlaubte den Blick auf einen darauf liegenden Stapel dicker Bücher, zwei einzelne aufgeschlagene, einige halb beschriebene Papierbögen und einem Tintenfässchen, in dem eine Feder steckte. Eine einzelne Schublade mit stilvollen Metallgriffen, sowie niedrigere offene Regale - ebenfalls vollgelegt mit Büchern und Papier - bestärkten mich in dem Glauben, es handelte sich um ein viktorianisches Original. Die antiken Möbel wirkten nicht gepflegt, eher teilweise nicht oft benutzt und die Arbeitsfläche des Sekretärs hatte Kratzer und Katschen. Doch ich war mir sicher, in dem kleinen Raum stand an Interieur ein kleines Vermögen. Ich schaute wieder zu Undertaker auf dessen bleiches und glattes Gesicht ebenfalls der Schein des Kaminfeuers hin und her tanzte. Ich beschaute ein paar Minuten wie friedlich der Totengräber in seinem Schlummer wirkte und beschloss dann ihn darin nicht stören zu wollen. Mit einem Schritt rückwärts wollte ich so leise aus dem Zimmer verschwinden wie ich gekommen war, doch stolperte ich über eins der auf dem Boden liegenden Zierkissen und stieß mit den Waden gegen den dunklen Holztisch. Ich verzog das Gesicht, als die alte Tischuhr darauf klapperte und ein hölzernes Knarzen durch den Raum ging, welches mir sicher viel lauter vorkam, als es war. Undertakers Kopf zuckte hoch und er stemmte sich sofort auf die Arme. Mit verschlafenen, wirr halb verhangenen, halb entblößten Augen plinkerte er mich an. Das orangene Dämmerlicht des Karminfeuers brach sich in seinem Chartreusegrün, welche in der schummrigen Kammer selbst zu glänzen begonnen hatte und verschlug mir den Atem. Diese Augen gehörten unter normalen Umständen schon verboten, doch wenn sich der Schein von Feuer im Halbdunkeln darin brach war dies ein Lichtspiel, welches ich mit keinen mir bekannten Wort wirklich beschreiben konnte. Magisch beschrieb es wohl am besten, doch erfasste auch dies dieses Funkeln, Glitzern und Leuchten nicht ganz. Das Blitzen von Orange und Grün, seine tiefschwarzen Pupillen, die jedes Licht, welches von seiner Iris abstrahlte, verschlang, nahmen meine Gedanken gefangen. „Sky?“, weckte mich Undertakers etwas verwunderte Stimme. Er setzte sich ganz auf und legte das alte Magazin neben sich auf das dicke Polster: „Was möchtest du hier?“ Ich blinzelte angestrengt. Mein noch von seinen Augen überforderter Verstand wusste nicht, ob er nur etwas verblüfft war mich zu sehen oder ob er mir durch die Blume suggerieren wollte, dass es ihm nicht gefiel, dass ich so ungelenk in seine Privatsphäre gestolpert war. „I-i-ich…“, begann ich furchtbar ungeschickt: „Ich wollte mir nur etwas zu trinken holen…“ Undertaker machte zwei weitere schnelle Lidschläge und deutete dann mit seiner rechten Hand zur Tür: „Die Küche ist allerdings da lang.“ „I-i-ich weiß, doch…“, was sollte ich ihm denn sagen? Dass sein Laden mir Angst einjagte und ich von den vielen dunklen Schatten geflohen war, die mich gruselten, obwohl er sich so viel Mühe gab, dass ich gut schlafen konnte? Dass ich dann sein schlafendes Gesicht gesehen hatte, welches ich mochte seitdem ich es Halloween das erste Mal sah, weil es so unendlich friedlich aussah, und einfach näher an ihn herangeschlichen bin? Ich konnte ihm nicht sagen, dass all seine Bemühungen an einer irrationalen Furcht meinerseits scheiterten. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich ihn frech und ungeniert im Schlaf bemustert hatte. „Was machst du dann hier?“, fragte der Bestatter ein weiteres Mal mit schlafschwerer Stimme nach, als ich nicht weiterkam. „I-ich…“, mir war immer noch keine gute Ausrede eingefallen. Undertaker legte den Kopf schief: „Es war schon etwas nicht in Ordnung bevor du dich wieder schlafen legtest, richtig?“ „A-also…“, ich druckste hin und her: „‘Nicht in Ordnung‘ ist so ein harter Ausdruck…“ Er brachte wieder seinen Kopf ins Lot und beschaute mich abschätzend, wenn auch noch ein wenig verschlafen: „Aber genau passend. Nun sprich. Warum schläfst du nicht? Es kann nicht daran liegen, dass du nicht müde seiest.“ Ich hob eine Hand und begann auf dem Fingernagel meines Mittelfingers herumzukauen. Ich wusste nicht, wie ich erklären sollte hier zu sein… Ein verstehendes sanftes Lächeln legte sich auf Undertakers Lippen, welches mir sagte, dass er die Antwort schon lange kannte: „Mein Laden gruselt dich, richtig?“ Ich schaute ihn kurz an. Dann fielen meine Augen zu Boden. Nach ein paar Sekunden der Überwindung nickte ich langsam, immer noch verzweifelt auf meinem Nagel kauend. Es war bis ins Letzte undankbar, dass ich mich in seinem Laden fürchtete, doch dieser Totenschädel und diese Schatten hatten meinem angeschlagenen Gemüt den Rest gegeben. Ich wollte nicht mehr allein in dem dunklen Raum mit seinem sonderbaren Sammelsurium sein. Nicht allein zwischen den dunklen Silhouetten der ganzen Särge und den vielen huschenden Schatten, die ich mir des Weiteren sicher nur einbildete. Doch diese Gewissheit machte es leider nicht erträglicher. Ich merkte ein paar Tränen der Schuld und Schande in meinen Augen. Kaum mit ihm vertragen trat ich seine Bemühungen mit Füßen… Eine Hand griff meine und zog sie behutsam aus meinem Gesicht. Dann ließ mich ein kleiner unerwarteter Ruck nach vorne kippen. Im Straucheln drehte mich etwas und ich landete auf dem dicken Polster des Sofas und in zwei starken Armen. Irritiert schaute ich mich um. Links und rechts von mir sah ich ein Bein in einer schwarzen Jeans. Sofort schoss mir mit großen Augen die Schamesröte ins Gesicht, als ich erkannte, dass ich zwischen Undertakers Beinen gelandet war! Ich schaute augenblicklich über meine Schulter in das vernarbte Gesicht des unmenschlichen Totengräbers. Ich wollte ihn fragen, was das sollte - was ich hier sollte! - doch mein offenstehender Mund bekam keinen Ton heraus. Er beschaute kurz mein Gesicht, dann nahm er eine Hand und wischte mir sachte die Tränen aus den Augen: „Na, na. Warum die feuchten Augen?“ Meine Verwirrung aufgrund meines unvorhergesehenen Positionswechsels verflog und ich schlug die Augen nieder: „Ich… Ich wollte nicht undankbar sein. Du hast sogar deine Sachen kaputt gemacht, damit ich in Ruhe schlafen kann und ich bekomme es nicht hin, weil mein Kopf mir Streiche spielt…“ Ein Finger an meinem Kinn hoben meine Augen wieder in Undertakers warm lächelndes Gesicht: „Es gibt nichts Verständlicheres, als sich in meinem Laden zu gruseln, meine Schöne.“ „Aber… du hast dir so viel Mühe gegeben…“ Undertaker schloss kurz die Augen, während er den Kopf schüttelte: „Was nützen denn Bemühungen, die nicht fruchten?“, er schaute mir direkt in die Augen und strich mir aufmunternd über die Wange. Die Kälter seiner Finger zog angenehm durch mein Fieber: „Wenn du keine Ruhe findest, sage es. Das hat nichts mit Undankbarkeit zu tun. Du bist krank und müde. Sage mir was ich tun kann, damit du schlafen kannst.“ „Ich…“, mein Kopf ratterte verzweifelt: „Ich möchte einfach nicht im Dunkeln dort allein sein…“ „Wenn es sonst nichts ist“, grinste Undertaker und ich merkte, wie er seinen Arm bewegte. Doch dass er das Magazin von dem Polster auf den Tisch warf, erkannte ich nur durch das leise Aufkommen des Papiers. Ich sah, wie er ein Bein wieder auf die Polster legte und gegen die Rücklehne winkelte. Dann merkte ich Druck unter meinen Waden. Fast erschrocken sah ich wie er seinen zweiten Fuß unter meine Beine geschoben hatte. Mit einem weiteren kleinen Ruck landeten sie mit seinem auf dem breiten Sofa. Mein Oberkörper drehte sich ein Stück und kam in eine liegende Position. Meine Augenlider flackerten verwirrt, mir stieg die Schamesröte in Scharen ins Gesicht und ich merkte, dass sich langsam hob und senkte worauf ich lag. Ich drehte mich auf die Seite, suchte Platz um mich aufzustützen und schaute Undertaker ins Gesicht, während gefühlt immer mehr Blut in meine Wangen schoss: „Wa-wa-was wird das?!“ Undertaker lächelte mich, einen Arm hinter seinem Kopf verschränkt, wieder auf seiner Armlehne und dem kleinen Kissen liegend an: „Du sagtest doch, du willst nicht alleine sein, oder nicht?“ „Ja, aber…“, ich kam wieder nicht weiter. Ich dachte, vielleicht machte er mir eine Kerze an oder eine Lampe, aber das?! Undertaker legte lächelnd eine Hand in meinen Nacken. Ich schaute in seine glänzenden grünen Augen und hatte das Gefühl mein Herz und die Zeit blieb gleichzeitig stehen. Ich vergaß zu atmen. „Nicht gut?“, fragte er nach nur einer gefühlten Ewigkeit. „Nei-Nein“, stammelte ich unbeholfen: „So meinte ich das nicht. Ich…“ „Dann ist doch alles fein“, er drückte mit sanftem Druck meinen Kopf auf seine Brust: „Du solltest endlich etwas schlafen, so wirst du nie gesund.“ „Ich…“, mir fehlten die Worte zum Widersprechen. So wie ich lag hörte ich das Klopfen seines Herzens. Es war ganz langsam, doch ruhig und gleichmäßig. Kräftig. Ein beruhigend einschläferndes Geräusch. Ich merkte wie schwer meine Lider waren. „Ok“, gab ich mich der Situation, dem Wohlgefühl und meiner Müdigkeit geschlagen. „Gute Nacht, meine schöne Puppe.“ Ich konnte Undertaker nicht mehr antworten. Begleitet von seinem Gute-Nacht-Gruß dämmerte ich augenblicklich davon. Es weckte mich ein frecher Sonnenstrahl. Ich rümpfte widerwillig die Nase und hörte mich selbst kurz unbegeistert murren. Ich war müde und wollte noch nicht wach sein. Mein Kopf fühlte sich heiß und schwer an und doch lag ich unglaublich gemütlich. Es war warm. Kuschelig. Mehr als nur schlaftrunken kuschelte ich mich mehr in die Wolldecke, die um mich gewickelt war und an das worauf ich lag. Meine Unterlage bewegte sich daraufhin, ich rutschte ein kleines Stück zur Seite und etwas zog sich enger um meinen Rücken und zusätzlich um meine Beine. Leichter Druck erschien auf meiner Stirn. Verwunderung kroch in meine schlafschweren Gedanken. Langsam öffnete ich die Augen. Mit einem unwillkürlichen Keuchen realisierte ich wo ich war. Ich musste meinen Kopf ein Stück zurücknehmen, um Undertaker in sein schlafendes Gesicht schauen zu können. Dabei wurde ich mir bewusst, dass mein Bewegungsspielraum extrem eingeschränkt war. Meine Augen wanderte die Couch hinab und wieder hinauf. Da ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht zusehen und da ich eben noch Gewicht auf meiner Stirn gespürt hab, war ich mir sicher er hatte seine Stirn an meine gelegt, bis ich mich bewegt hatte. Sein Pony hing wirr und nur halb in seinem Gesicht mit den friedlich geschlossenen Augen. Sein Kopf lag auf einem seiner Ellbogen. Den anderen Arm hatte er um meinen Rücken gezogen. Der Bestatter musste sich auf meine Bewegungen hin wohl auf die Seite gedreht haben, denn ich war in einem Spalt zwischen ihm und der Couchlehne gerutscht, spürte so jedes Heben und Senken seiner Brust überdeutlich. Einer seiner Füße war um eine meiner Waden gezogen. Der Kamin knisterte nicht mehr. Meine Augen huschten kurz über Undertakers Schulter. Friedlich lag der Raum vor mir, spärlich erleuchtet von ein paar Strahlen warmer Herbstsonne, die sich durch die halb zugezogenen schwarzen Gardienen neben den vollgestopften Bücherregalen schlichen und einen goldenen Herbsttag ankündigten. Durch das geschlossene Fenster hörte ich kurz einen Vogel zwitschern, daraufhin ein beleidigtes Krähen und dann ein flatterndes Davonfliegen. Mein Blick fand das Ziffernblatt der alten Steeple Clock im gotischen Stil. Eines der kleinen Türmchen links des spitz zulaufenden Mahagonigehäuses war abgebrochen. Es hatte außerdem einige angekratzte und eingedrückte Stellen, sowie abgeplatzten Lack an der ein oder anderen Ecke. Das Mattglas hatte florale klare Aussparungen, die allerdings durch etliche Kratzer ein wenig an Form eingebüßt hatten. Dahinter schwang selig das Messingpendel und tickte leise vor sich hin. Die Zeiger über dem Zinkzifferblatt mit römischen Ziffern zeigten mir 08:57 Uhr an, auch wenn ich kurz überlegen musste, welcher Zeiger der Kleine war, da einem ein Stück abgebrochen war. Es lag ein wenig traurig wirkend unter dem Ziffernblatt der schönen und sicherlich ebenfalls antiken Uhr. Neben der Uhr lag etwas Rundes auf dem Tisch, doch ich konnte nicht ausmachen was es war. ‚Noch ganz früh‘, dachte ich mir und meine Augen wanderten kurz durch das kleine Zimmer mit seinem ganz eigenen Charme: ‚Ich muss noch nicht aufstehen. Ich…‘, obwohl etwas in mir peinlich berührt war, konnte ich nicht sagen, dass mir meine Position nicht gefiel. Ich fühlte mich wohl: ‚… Möchte noch ein bisschen liegen bleiben…‘ Meine Augen wanderten zurück in das Gesicht des Totengräbers. Nur schauten mir auf einmal zwei strahlend grüne Augen über einem verschlafenen Lächeln entgegen: „Guten Morgen.“ Unwillkürlich zuckte ich zusammen, war ich mir fast sicher gewesen der Bestatter schlief noch. Er zog ein bisschen die Augen zusammen, allerdings sein Lächeln weiter: „Ist alles in Ordnung?“ „Na-natürlich“, ich blinzelte, selbst noch nicht ganz in der wachen Welt angekommen: „Ich… dachte nur du schläfst noch.“ „Hmmm…“, surrte der Totengräber dämmrig mit seiner schlafrauen Bassstimme: „Nein, nicht mehr.“ Seine leise, ein wenig kratzende tiefe Stimme war ein ganz eigenes Geräusch. Ich mochte sie. Sie wirkte entspannt, mit seinen schläfrigen Augen und dem verschlafenen Lächeln unbeschreiblich friedvoll. Dieser Ausdruck, dieser Ton, zündete einen warmen Funken in meinem Bauch an und vertrieb ein wenig mehr das kränkliche Gefühl. „Ich… sehe es“, ich konnte nicht anders als meinen Mund zu einem Lächeln zu ziehen, als ich es nicht schaffte meinen Blick aus dem verträumt schläfrig lächelnden Gesicht des morbiden Bestatters zu nehmen, der gerade eher harmonisch wirkte, als wie üblich endlos gruselig: „Guten Morgen.“ Das schlaftunkende Lächeln des Inkognito-Shinigamis wurde noch weiter: „Hast du gut geschlafen?“ Ich nickte: „Ja.“ Undertaker zog den Arm unter seinem Kopf hervor. Mit für jeden anderen sicherlich sehr umständlich verdrehtem Handgelenk schubste er ein paar Strähnen aus meinem Gesicht: „Das höre ich gerne. Wie geht es dir?“ „Besser.“ „Aber noch nicht gut.“ Ich schüttelte den Kopf: „Das wird noch ein oder zwei Tage brauchen.“ „Sicherlich“, Undertakers Hand löste sich von meinem Rücken, erschien auf meinem Hinterkopf und drückte meine ohne Ankündigung vor seine Stirn. Ich blinzelte perplex, musste meine Augen allerdings fast vorm zufallen bewahren, als die Kälte seiner Haut anfing durch mein Fieber zu kriechen. Sofort büßte ich meine Körperspannung ein. „Vielleicht auch drei oder vier“, schwebte die samtschwarze Stimme zu mir herüber: „So warm wie du bist.“ „Es ist nur eine Erkältung…“ „Ich hoffe, du hast Recht.“ Ich hob meine Augen an und fand seinen Blick: „Was sollte es denn sonst sein?“ „Mittlerweile? Eine Nasennebenhöhlenentzündung oder eine Bronchitis, vielleicht auch eine blühende Lungenentzündung oder Herzmuskelentzündung, Meningitis…“ „Mach mal ‘nen Punkt“, unterbrach ich ihn: „Wenn man dich hört, bin ich ja so gut wie tot.“ „Das kann schneller gehen, als manch einer denkt.“ Ich blinzelte: „Undertaker… Mach einen Punkt.“ Der Bestatter lachte schlafrau: „Kehehe! Ist ja gut.“ Ich seufzte. Dann schmunzelte ich: „Du rechnest wirklich immer mit dem Schlimmsten, oder?“ „Dann kann man nur noch positiv überrascht werden.“ Ich lachte auf: „Das stimmt wohl.“ Plötzlich hörte man von Draußen ein Flattern, dann ein erschrockenes Krächzen gefolgt von einem dumpfen Geräusch. Mein Kopf zuckte hoch und ich schielte zum Fenster: „Was war das?“ „Merkenau.“ Ich schaute Undertaker wieder an: „Merkenau?“ Dieser streckte kurz den Arm, der mich nicht hielt, und klemmte ihn mit einem schläfrigen Gesichtsausdruck wieder unter seinen Kopf: „Hmhm. Ich habe ihn rausgesetzt. Er hat gelernt zu fliegen“, es schielte einmal an die Decke: „Es fehlt ihm allerdings teilweise noch an, ehehehe, Raffinesse.“ „Merkenau…fliegt?“, in meinem Kopf machte es Klick und ich setzte mich ein Stück auf: „Und er ist draußen?! Was ist, wenn er wegfliegt und nicht wiederkommt?!“ „Dann ist dem so“, Undertaker schaute mich an, als sei das keine große Sache. Ich würde den kleinen Vogel furchtbar vermissen: „Aber…!“ „Soll ich ihn einsperren?“, setzte mich der Totengräber sofort schachmatt: „In einen kleinen Käfig, wenn er die Welt haben kann? Wenn es ihm hier gefällt, kommt er von selbst zurück. Alles andere wäre grausam, oder nicht?“ Ich schlug die Augen nieder: „Natürlich… Ich…“, ich hatte nicht nachgedacht. Ich stellte fest, dass es für Menschen nur allzu alltäglich geworden war, andere Lebewesen einzusperren und ihre Lebenswelt auf ein Minimum zu reduzieren: „… Würde ihn nur vermissen und habe…“ Eine Hand an meiner Wage ließ mich aufschauen. Undertaker lächelte milde und schüttelte dann kurz den Kopf: „Ich weiß, dass du es nicht böse meintest. Hin und wieder braucht man jemanden, der Dinge anders sieht, um alte Muster zu überdenken.“ „Ich bin sicher, du bist sehr oft dieser Jemand.“ „Na“, er schaute kurz an die Decke: „Ich glaube, ich bräuchte hin und wieder selbst dringend so einen Jemand.“ „Warum?“, ich hatte dieses Gefühl nicht. Von Undertakers Weltsicht war ich ein ums andere Mal total fasziniert! Auf viele verschiedene Weisen. „Naja, ich lebe schon das ein ums andere Jahr. Da schleift sich einiges ein und sicherlich nicht nur Gutes.“ Ich schenkte dem Bestatter ein ehrliches Lächeln: „Ich habe nichts zu meckern.“ Der Totengräber lachte auf: „Gehehehe! Dafür meckerst du aber ziemlich oft mit mir!“ Ich knuffte ihn vor die Schulter: „Mach nicht alles kaputt was ich sage!“ Undertaker lachte noch einmal. Dann legte er wieder eine Hand auf meinen oberen Rücken und zog mich zurück in die Polster und in seinen Arm: „Etwas was sich eingeschleift hat ist zum Beispiel ein ausgeprägter Egoismus. Lässt du mich egoistisch sein?“ Ich lugte in sein Gesicht: „Inwiefern?“ Der Bestatter schloss seine Augen mit den langen silbernen Wimpern: „Ich finde es gemütlich so. Ich will noch nicht aufstehen. Was im Rückkehrschlussbedeutet, dass du es auch nicht tust.“ „Ich glaube“, ich kuschelte mich noch ein Stück mehr in seinen Arm und merkte wie er sein Kinn auf meinem Kopf ablegte. Wonnig schloss ich meine Augen: „Damit kann ich leben.“ Auf das Lachen des Totengräbers folgte ein langes wohliges Schweigen. Ich schlief nicht, aber döste vor mich hin, das Ticken der Tischuhr im Ohr, das Klopfen von Undertakers Herz unter meinen Fingern. Mit Nichts wollte ich in diesem Moment tauschen. Wenn mich mein Dämmern kurz in die wache Welt entließ und ich in das Gesicht des Bestatters lugte, lächelte er mich mit seinen unglaublichen Augen an, die er öffnete, sobald er merkte, dass ich den Kopf bewegte. Mit einem Lächeln meinerseits im Gegenzug driftete ich immer recht schnell wieder weg. Meine Erkältung und der Schlafmangel zerrten doch an mir. Doch die Gegenwart des morbiden Totengräbers hatte etwas derart Friedvolles, dass sie sich in hohem Maße heilsam anfühlte. Irgendwann schaute ich aus meinem Dämmerzustand über Undertakers Schulter ein zweites Mal auf die Uhr. Sie zeigte 11:23 Uhr an. „Wir haben bald halb Zwölf…“, murmelte ich müde. „Och nein“, säuselte Undertaker noch dämmriger, als ich mich fühlte: „Tue so etwas nicht. Das klingt nach aufstehen…“ „Faule Socke“, schmunzelte ich. Der Totengräber lachte schlafschwer: „Kehehe. Du hast noch gar keine Vorstellung, wie faul.“ „Ich muss irgendwann auch wieder nach Hause.“ „Ich weiß“, Undertaker öffnete seine Augen und grinste mich an: „Vielleicht morgen.“ Ich zog meine Augen zusammen: „Wie?“ „Vielleicht lasse ich dich morgen wieder nach Hause gehen“, sagte er mit einem triezenden Grinsen, was verriet dass er nur herumalberte: „Wenn ich gütig bin, was ich nicht bin.“ „Du kannst mich doch nicht hier einsperren!“ „Wer hält mich davon ab?“ „Na ich!“ Urplötzlich hatte ich Undertakers zweite Hand am Kinn. Sein Arm zog sich fester um meinen Rücken und er mein Bein zwischen seine. „Dann mach“, grinste er, als sich unsere Nasenspitzen trafen. Ich blinzelte irritiert, dann versuchte ich mich irgendwie heraus zu winden: „Das ist doch ein schlechter Scherz!“ Ich hatte keine Chance. Natürlich hatte ich keine Chance! „Nein“, grinste der Bestatter belustigt: „Du sagtest doch, du hältst mich davon ab. Zeig!“ Meine Arme waren zwischen seinen und meinen Torso eingeklemmt und nutzlos. Ich versuchte mit meinen Beinen zu wedeln und selbst das funktionierte nur mit einem. „Undertaker!“, ich versuchte weiter vergeblich mit allem zu wedeln, was ich hatte: „Du hast deinen Spaß gehabt!“ Er verzog eine Schnute: „Nur ich?“ Sofort erschien ein sattes Rot in meinem Gesicht: „Also… Äh… Also… Äh…“ „Hm?“, legte er den Kopf schief, seine Hand immer noch an meinem Kinn. Was sollte ich denn sagen? Ich wusste nicht wie ich verpacken sollte, dass es mir gefallen hatte so mit ihm auf der Couch zu liegen: „Also… ich… eigentlich... Nein“, ich atmete tief durch: „Nicht nur du…“ Sein Lächeln wuchs von einem Ohr zum Anderen: „Musik in meinen Ohren.“ Ich lachte einmal beschämt: „Danke, Undertaker.“ Der Bestatter nahm die Hand von meinem Kinn und setzte sich auf: „Nicht dafür. Kehehehe! Schließlich kam ich wieder nicht drum herum dich zu ärgern.“ Ich stemmte mich auf die Arme: „Das bist halt du. Mit sowas muss man bei dir halt rechnen. Eigentlich wusste ich, dass du nur Quatsch machst.“ „Gut“, er lächelte mir entgegen: „Ich würde dich nie zu irgendetwas zwingen, es sei denn es ist ganz eindeutig zu deinem Besten.“ „Wow“, machte ich schmunzelnd: „Das ist allerdings doch ein bisschen beängstigend.“ „Warum?“, Undertaker legte den Kopf schief: „Du bist mir wichtig. Dann ist so etwas doch normal, oder? Wahrscheinlich die einzige normale Eigenschaft, die ich habe. Ehehehehe!“ Mein Schmunzeln wurde ein kleines Lächeln: „Stimmt.“ Ich war zutiefst gerührt, doch wusste ich nicht wie ich es ausdrücken sollte. Es fühlte sich so gut an, wenn er sagte ich sei ihm wichtig. Dass er sich um mich sorgte. Jedes Gefühl von Verlassenheit verließ mich in seiner Gegenwart. Undertaker schwang seine Beine von der Couch und weckte mich damit aus meinen Gedanken. „Was machst du?“, fragte ich verwirrt. Er stand auf: „Du wolltest doch heim.“ Nun… war ich ein wenig traurig es angesprochen zu haben. Ich meinte damit doch nicht genau jetzt. Doch abwinken konnte ich es auch nicht mehr. Ich sollte aufhören Steine so voreilig ins Rollen zu bringen… Undertaker schlüpfte mit den Zehen in einen seiner Lackschuhe. Dann nahm er den Fuß nach oben um ihn mit seinem langen Zeigefinger über seine Hacke zuziehen. Während er das tat sah ich seine Schuhsohle. Sie war total abgelaufen! Etwas in mir schwur dieses Muster zu kennen. Vollkommen intuitiv griff ich ihn am Knöchel, als er seinen Fuß hinunternehmen wollte und zog seine Sohle zu meinem Gesicht. Undertaker strauchelte aufgrund des unvorhergesehenen Rucks und rettete mit einem kleinen Scheppern seiner Unterarme auf dem Couchtisch seine Balance. Ich musterte die abgelaufene Sohle seiner Schuhe: ‚Das ist doch…!‘ Obwohl ich den Gedanken nicht ganz zu Ende denken konnte, war mir klar, dass es das Muster auf meinem Schulblock war! Ich wusste erst nicht, was ich sagen sollte. Undertaker war in meinem Zimmer gewesen! „Dürfte ich erfahren, was du da tust?“, ich schaute zu Undertakers Stimme auf, von meiner Entdeckung geschockt, und sah durch die Lücke, die seine Beine und seine Arme freigeben auf sein kopfüberhängendes Gesicht. Der Bestatter grinste in seiner komischen Position: „Nicht, dass es mich stören würde. Ich kenne die Rollenverteilung lediglich anders herum. Kehehehe!“ „Rollen…“, ich stockte verwirrt, meine Entdeckung fast wieder vergessen: „…Verteilung…?“ Undertaker lachte dreckig, wie verschmitzt: „Nihihihi! So wie du es machst, könnte das ein oder andere schwierig werden, aber ich bin ja immer offen für Neues. Fuhuhuhu!“ Meine Augen wurden weit, als bei mir fast schmerzlich der Groschen fiel. Mir schoss das Blut ins Gesicht, als mir klar wurde in was für eine Position ich Undertaker gebracht hatte! Er stand vorne über auf seinen Unterarmen auf den für seine Körperlänge viel zu niedrigen Tisch gebeugt und auf einem Bein. Aufgrund der Tatsache, dass ich seinen zweiten Fuß in den Händen und hochhielt standen sie ein Stück auseinander. Nach ein paar unendlich geschockten Sekunden ging mir auf WORAUF ich schauen würde, würde ich nicht unter seinem Körper hinweg in sein Gesicht lugen, sondern geradeaus schauen und auf WAS er seine Aussage bezog! Ich bekam einen Herzanfall, den auch sein amüsiertes Kichern nicht verhindern konnte. Mit einem kleinen Aufschrei ließ ich seinen Fuß los und flüchtete hinterrücks ins Polster der Couch: „Du Schwein!“ Undertaker kam mit einer bemerkenswert eleganten Halbdrehung und dem Gesicht in meine Richtung wieder auf die Füße. Er legte die Hand auf seine Brust: „Ich? Die Initiative, meine Liebe, hast du ergriffen. Doch ich glaube mit deinem Gesundheitszustand ist heute nicht die Zeit für so etwas. Kehehehe!“ „Da-da-das“, ich fand meine Sprache kaum wieder. Mein Gesicht brannte! Ich hatte das Gefühl ich finge Feuer: „Ist nicht dein Ernst!“ „Ist es auch nicht“, er stemmte grinsend eine Hand in die Hüfte: „Ich würde trotzdem gerne erfahren, was du da getan hast.“ Ich lachte gestresst auf. Undertaker hatte mich wieder einmal geneckt. Hatte ich nicht noch großkotzig gesagt, bei ihm muss man mit sowas halt rechnen? Retourkutschen… … ich hasse sie. „Ich…“, ich holte tief Luft, mir bewusst werdend, dass ich etwas gefunden hatte um ihm den Wind mal ordentlich wieder aus den Segeln zu nehmen: „Du warst in meinem Zimmer!“ Undertaker machte sofort große Augen. Er blinzelte mich 3-mal an. „Bitte?“, kam es schließlich doch sehr ertappt aus seinem Mund. ‚Die Rache ist mein!‘, triumphierte etwas in mir. Etwas anderes war jedoch bei der Situation von vor ein paar Momenten sehr elendig gestorben und etwas Drittes wollte sehr genau wissen, was sein Schuhabdruck auf meinen Schreibtisch zu bedeuten hatte! „Dein Schuhabdruck war auf einem meiner Schulblöcke auf meinen Schreibtisch!“ Undertaker klappte tatsächlich ein Stück der Mund auf. Er blinzelte wieder ein paar Mal. Dann lachte er. „Schlaues Mädchen“, grinste er plötzlich gefällig: „Ich hätte es wissen müssen. Irgendwie kommst du hinter alles, scheint es.“ Ich schüttelte den Kopf: „Denke nicht du kommst drum herum, indem du mir Honig ums Maul schmierst.“ „Natürlich nicht“, er verbeugte sich halb: „Du hast mich erwischt“, er stellte sich wieder hin: „Ich wollte nicht, dass eurer komischer Besuch dich im Schlafbesuchen kommt.“ „Das…“, ich stockte wieder: „Heißt?“ „Ich war jede Nacht bei dir“, antwortete er mir gerade heraus. Mir klappte der Kiefer auf: „Bitte was?! Das erzählst du?! Einfach so?!“ Er nickte: „Du wolltest es doch wissen.“ „Du“, ich bekam meine Gedanken nicht mehr sortiert: „Warst jede Nacht…“ Er kniete sich vor mich hin, nahm mein Gesicht in beide Hände und sah mir genau in die Augen: „Was soll ich denn tun, wenn dir etwas Ernsthaftes passiert? Ich machte mir Sorgen.“ Der weiche Ausdruck in seinem Grün vertrieb meinen Ärger: „Aber…“ Es gab eine Menge Aber’s. Doch ich bekam keines mehr hinaus. Eher freute sich etwas in mir, dass er sich trotz unseres Streits - oder was auch immer das gewesen war - so viele Sorgen um mich machte und die ganze Zeit auf mich aufgepasst hatte. Er hatte mich nie alleine gelassen. Viele Menschen, die mir wichtig gewesen waren und denen ich hätte wichtig sein sollen, hatten mich einfach alleine gelassen. Meine Eltern, diverse Pflegeeltern… Doch nicht Undertaker. Ich hatte ihn unfair behandelt damit weggelaufen zu sein. Was ich an diesem Freitag getan hatte, hatte die darauffolgende Woche für uns beide in einen wackeligen und auszehrenden Drahtseilakt verwandelt. Er hatte sogar geweint. Auch er hatte in den letzten Tagen scheinbar wohl etwas eingesteckt. Und trotz all dem hatte er mich nie allein gelassen. Auch wenn seine Methoden fragwürdig waren, er hatte mich nie wirklich verlassen. Und diese Erkenntnis wurde mir sofort unendlich wichtig. „Verzeihe mir“, sprach er mit einem schuldbewussten Lächeln: „Ich weiß, dass dies ein massiver Eingriff in deine Privatsphäre war. Wenn du sauer auf mich bist, ist dies verständlich.“ Doch wie war man sauer auf jemanden, der sich die Nächte um die Ohren schlug, damit man nicht von einem komischen Zombie-Vieh gefressen wird, dass keiner wirklich einschätzen konnte? Ich wusste nur, dass ich nicht recht sauer war. Eher war ich gerührt und überrascht. „Undertaker“, ich legte meine Hände auf seine in meinem Gesicht: „Ich… bin nicht sauer, doch… mach sowas nicht mehr einfach so, ok? Sprich vorher mit mir.“ Er nickte: „Dein Wunsch sei mir Befehl.“ Dann verließen seine Hände mein Gesicht und er zog sich den zweiten Schuh an. „Du bist ein erstaunliches junges Ding“, meinte er dabei recht zusammenhanglos. „Wie?“, fragte ich verwirrt. „Nun“, er lächelte mich an: „Andere hätten ganz anders reagiert.“ Ich legte den Kopf schief: „Nun... Ich bin aber nicht irgendjemand anderes.“ „Ich weiß“, spielerisch tippte er mir gegen die Nasenspitze: „Mir gefällt, wie du bist.“ Ich konnte mir ein Lächeln einfach nicht verkneifen. Undertaker lächelte zurück, doch dann seufzte er durch die Nase: „Wir sollten los. Du solltest dich dringend weiter ausruhen. Selbst dein Lächeln sieht immer noch recht müde aus.“ Ich war müde. Ich fühlte mich nicht mehr so erbarmungslos erschlagen, wie die Tage zuvor und ich war mir sicher meinen Schlafmangel zu einem Teil aufgeholt zu haben, aber ich war noch nicht auskuriert. „Aber“, ich schaute zu Boden: „Bei mir da… kann ich doch kaum schlafen…“ Es war halb die Wahrheit… und halb der Versuch meinen so voreilig angestupsten Stein wieder ein Stück zurück zu rollen. „Deswegen“, Undertaker zwinkerte mir zu, was mein Herz einen Schlag überspringen ließ: „Habe ich mir etwas ausgedacht.“ „Hast du?“, brachte ich irgendwie heraus. Undertaker setzte sich neben mich auf die Couch und griff das runde Etwas neben der Uhr. „Nimm dies“, sagte er mit einem milden Lächeln und hielt mir das Runde hin. Jetzt erkannte ich was es war… und konnte fast nicht mehr aufhören zu blinzeln. „Ist das…“, ich war mir sicher es zu erkennen, auch wenn es alles andere als traditionell designt war. Ein kreisrunder Rahmen, groß wie Undertakers lange Hand, umwickelt mit einem dünnen, schwarzen Wildlederband. An einer Stelle war das Band braun, dünner und hielt einen viel kleineren, gleich umwickelten Ring im Inneren des Größeren. In dem kleinen Ring spannte sich ein sternförmiges Netz aus silbernen glänzenden Fäden, in dessen Mitte ein recht großer, schwarzer und von Rillen durchzogener Stein eingeflochten war. Zwischen dem großen und den kleinen Ring spannten dieselben Silberfäden ein ineinander verwobenes V-Muster. So wirkte das Geflecht und die runden Rahmen wie ein Sichelmondmotiv und war sicher alles andere als leicht zu fädeln gewesen. Von dem großen Ring hingen 3 Lederbänder hinab. An deren Ende hing jeweils eine große schwarze Feder, darüber kleinere schwarze Federn, über denen wiederum pro Band 3 schwarze Perlen aufgefädelt waren, auf denen man ebenfalls feine Rillen erkannte. Nur die große Feder an dem mittleren Band schien im strahlensten Weiß, das ich je gesehen hatte: „Ein Traumfänger?“ Undertaker nickte: „In der Tat. Ich bin mir nicht sicher, was dieses Wesen ist, aber ich habe eine Theorie, auch wenn sie unbestätigt ist. Sollte ich richtig liegen, wird das kleine Ding hier dich sehr zuverlässig schützen können. Das macht dich allerdings zu einer Art Versuchskaninchen, auch wenn dies nie der Vater des Gedankens war“, er hielt mir den schön gearbeiteten Traumfänger in Sichelmondoptik näher hin: „Ich möchte, dass du sicher bist. Deswegen trage bitte die Kette und nehme dieses bescheidene kleine Geschenk an.“ Zögerlich nahm ich den Traumfänger an mich. Ich beschaute ihn mit großen Augen. Die silbernen Fäden glänzten seidig in den paar Sonnenstrahlen. Der Stein passte toll dazu: „Was ist das für ein Stein?“ Ich mochte Edelsteine, war allerdings nicht sonderlich bewandert. Und der nachtschwarze Stein war schön! „Schwarz Turmalin“, antwortete Undertaker grinsend: „Er gilt als einer der stärksten Schutz- und Heilsteine gegen negative Einflüsse und schützt vor allem gegen negative Fremdenergie. Außerdem wird er in Kombination mit dem Sternzeichen Skorpion und dem Monat Oktober als äußert effektiv eingestuft und nun rate mal welches schöne Skorpion-Mädchen im Oktober Geburtstag hat.“ „Ich“, lächelte ich kleinlaut. „Exakt“, Undertaker tippte mir wieder auf die Nasenspitze, was mich kichern ließ. Ich möchte es, wenn er das tat: „Ich war so förmlich gezwungen ihn zu benutzen. Ich hoffe, er funktioniert.“ „Gezwungen…?“, ich schaute von dem Fänger zu Undertaker: „Hast du den wieder selbstgemacht?“ „Solche Dinge müssen gut zugeschnitten sein, ansonsten funktionieren sie kaum“, er rollte die Augen an die Decke und zeigte mit einem Zeigefinger über seine Schulter: „Oder es geht nach hinten los.“ „Undertaker“, ich legte den Fänger auf mein Herz und lächelte in sein Gesicht: „Danke.“ „Nicht dafür“, grinste der Bestatter. Dann stand er auf und hielt mir die Hand hin: „Sollen wir?“ Ich nahm sie mit einem Nicken und er zog mich auf die Füße. Ich verließ die Privaträume des Bestatters. An dem Sarg wo ich anfänglich geschlafen hatte, legte ich die ganzen Wolldecken zusammen. Ihre Farben irritierten mich schon ein bisschen: Eine rot, eine grün, eine blau, eine beige. Obwohl Amy mal anmerkte, er möge pink, wirkten diese nicht wie die Farben, die sich der Bestatter aussuchen würde. Ich glaubte trotz allem bevorzugte er schwarz, grau, silber, oder weiß. Am meisten Schwarz. Wahrscheinlich, weil schwarz seinem Job so eng verbunden war und er aus Prinzip alles zu mögen schien, was mit seinem Job zu tun hatte. Nach ein paar Minuten kam auch Undertaker mit einem Holztablett auf der ein Glas, eine Urne , eine dampfenden Schüssel und zwei ebenfalls dampfende Messbecher Tee standen in den Laden. „Hier“, reichte er mir die Schüssel und stellte einen Messbecher vor mir ab: „Du solltest etwas Frühstücken.“ „Suppe zum Frühstück?“, lächelte ich. Undertaker setzte sich auf seinen Stuhl, nahm das Glas, welches ich als ein Glas Marmite erkannte, schraubte es auf, nahm einen Kekse aus der Urne, holte damit einen großen Klecks der dunkelbraunen Abscheulichkeit aus dem Glas und grinste: „Kihihihi. Ich glaube, die Alternativen gefallen dir nicht.“ Mir klappte der Mund auf: „Du wirst doch nicht et…!“ Mit seinem weiten Grinsen biss er das Ende mit Marmite ab. Mein Magen drehte sich dreimal um sich selbst: „…Doch… Du wirst…“ „Das ist lecker“, mampfte er zufrieden und recht unmanierlich. Er wirkte dabei trotzdem furchtbar knuffig. Er wiederholte diese unheilige Prozedur und hielt mir das angeknabberten mit Marmite beschmierten Keksende hin: „Probieren?“ „Äh-äh“, machte ich verstört: „Nicht einmal, wenn mein Leben davon abhinge…“ „Dann iss die Suppe“, grinste er weiter: „Nihihihihi! Oder ich füttere dich zwang. Die ganze Urnenfüllung voll.“ Sofort schob ich mir einen Löffel Suppe in den Mund. „Braves Mädchen“, schob er den Keks in den Mund, den er tatsächlich geschafft hatte in etwas noch Furchtbareres zu verwandelt, als er eh schon war. Er griff sich den nächsten Kecks und dippte ihn wieder in die zähflüssige Höllenpampe. Ich versuchte mich auf den Geschmack der Suppe zu konzentrieren, um mir nicht vorzustellen wie das schmecken musste: „Ich bin kein Hund. Bei dir kommen mir allerdings leichte Zweifel…“ Undertaker lachte amüsiert. Ich versuchte ihn beim Essen nicht anzuschauen. Was er da – ich wusste nicht ganz, ob das Wort noch passte – ‚frühstückte‘ war für einen Menschen mit normalem Geschmacksempfinden der purre Graus. Undertaker hingegen wirkte recht selig und knusperte einen Keks nach dem anderen. Nach einer Weile gefräßigen Schweigens war meine Schüssel, sowie die Teebecher leer und ich schaute zu Undertaker. Dieser kaute zwar noch mit fröhlich wackelnden Kopf hatte allerdings das mittlerweile halb leere Marmiteglas zugeschraubt. Er stellte es auf den Tresen: „Sollen wir?“ Ich nickte, stand auf, ging zu der Garderobe und wickelte mich in meinen Poncho. Undertaker langte in eine Schublade und wollte ein Handy in seine Hosentasche stecken. „Zeig mal!“, unterbrach ich ihn und ging wieder zum Tresen. Undertaker legte den Kopf schief und hielt mir das Handy hin. Ich beschaute es. Ein Galaxy S4 in schwarz. Es war in Ordnung, hatte jedoch hier und da leichte Gebrauchsspuren. „Second-hand?“, fragte ich und schaute wieder in Undertakers Gesicht. Er nickte: „Von Lee. Er braucht es wohl nicht mehr und gab es mir.“ „Cool“, lächelte ich: „Und ist es so schlimm?“ Undertaker rollte wieder die Augen an die Decke: „Eigentlich nicht. Doch das ständige Vibrieren nervt mich und einige Dinge verstehe ich nicht.“ „Zum Beispiel?“ Der Bestatter schaute mir wieder ins Gesicht und steckte sein Handy ein: „Beispielweise habe ich keine Idee was ein ‚Smiley‘ sein soll.“ Sofort erinnerte ich mich, dass diese Frage seinerseits von der ‚Fantom-Talk‘-Truppe einfach ignoriert worden war. Ich musste kichern. Undertaker verschränkte die Arme: „Ki hi. Wenigstens belustigt es dich.“ „Ich wollte dich nicht auslachen, es tut mir leid“, ich wedelte mit den Händen: „Lass mich es wieder gut machen.“ „Ich habe damit kein Problem. Ich mag lachende Wesen. Warum sie es tun ist zweitrangig, wenn ich dafür sorgen kann umso besser. Ehehehehe! Du musst nichts wieder gut machen.“ „Ich möchte es aber“, ich ging ganz an den Tresen heran: „Hast du ein Blatt Papier und einen Stift?“ Undertaker zuckte mit den Schultern, griff wieder in eine Schublade und gab mir einen recht entstellten Notizblock und einen alten Füller. Ich malte ein ‚;-)‘ auf die erste leere Seite und drehte sie zu ihm: „Das ist ein Smiley.“ Undetrakers Augenbraue wandert in die Höhe: „Und was will mir das sagen?“ „Das ich dir zuzwinkre.“ Die zweite Braue folgte der ersten auf dem Fuße: „Wie das denn?“ „Ein Smiley ist eine ziemlich abstrakte Art von Bildsprache“, ich drehte den Block um 90° und skizzierte kopfüber um den Smiley einen Kopf, einen Körper und eine wilde Frisur: „Erkennst du es jetzt?“ „Oh!“, Undertaker fing an zu lachen: „Kehehehe! Ein Gesicht!“ Ich nickte: „Bestanden.“ Undertaker lehnte sich auf die Ellbogen und streckte mir seine Nase ins Gesicht. „Und mit welcher Note?“, rollte sein kalter Atem über meine Wangen. Er roch nach Früchtetee mit Minze, hatte allerdings eine leichte Note von Marmite und Hundekeksen. Doch war sie kaum merklich schwach und von dem prägnanten Teegeruch doch deutlich übertüncht. Gänsehaut rieselte über meinen Körper und ich starrte einen Moment in seine leuchtend grün-gelben Augen. Nach ein paar Sekunden blinzelte ich meinen Verstand frei und schaute nach unten, als ich sehr genau einen roten Schimmer über mein Gesicht huschen spürte. „Nun“, ich zog den Block zu mir: „Das müssen wir noch herausfinden.“ „Inwiefern?“ Wieder kopfüber malte ich ein ‚:-)‘ auf das Papier: „Was meint der?“ „Kihihi. Oh, ein kleiner Test“, Undertaker legte sein Gesicht auf einer Hand ab: „Ein bisschen unfair. Kihihihi. Schließlich hatte ich keine Zeit zum Üben. Oder etwas, was ich hätte üben können! Fuuhuhuhu“, trotz seiner Beschwerde, die sich nicht im mindesten wie eine Beschwerde angehört hatte, drehte er den Block um 90° und nach nicht mal einer Sekunde wieder zurück: „Ein Lächeln.“ „Richtig“, nickte ich und malte ein ‚:-D‘: „Und das?“ Er drehte den Block wieder, wieder zurück und kicherte: „Nihi! Ein Lachen.“ „Wieder richtig“, ich malte ein ‚:-(‘: „Und der?“ Wieder ein Drehen um 90° des Bestatters, der gut amüsiert wirkte: „Kihi. Der ist traurig“, er drehte den Block zurück: „Den werde ich nie benutzen! Tihihi!“ „Wahrscheinlich wirklich nicht“, schmunzelte ich und hatte ebenfalls meine Freude an dem kleinen Spielchen. Ich malte ein ‚;-(‘: „Der?“ Undertaker drehte den Block und wog seinen Kopf kurz hin und her: „Nun ja, ein trauriges Zwinkern ergibt wohl keinen Sinn… Ah!“, er zeigte mit dem Zeigefinger auf mich: „Er weint!“ „Genau!“, grinste ich: „Du bist gut!“ „Oh, danke für die Blumen“, legte er sein heiteres Gesicht schief: „Aber es ist nicht so schwer, wenn man das Schema verstanden hat“, er zeigte auf die Doppelpunkte: „Augen“, auf den Bindestrich: „Nase“, und auf den dritten Teil des Smileys: „Mund. Man malt ein sehr minimalistisches Gesicht!“, er streckte mir wieder die Nase ins Gesicht: „Habe ich bestanden?“ „Äh…“, als ich leicht nickte berührte ich mit meiner seine Nasenspitze. Etwas in mir zuckte daraufhin zusammen und ich schaffte es nicht aufzuschauen: „Ja.“ Seine Hand zwang mich allerdings dazu. „Und wie gut?“, funkelten mir seine kristallklaren Augen entgegen. „Nu-nun…“, meine Gedanken flüchteten sich zurück in das kleine Spiel und schafften es dadurch nicht wie üblich durch seine Augen abzudriften: „Den Kindergarten hast du mit einem Sternchen abgeschlossen. Bei einigen kannst du das Schema vergessen.“ „Tatsächlich?“, funkelten seine Augen mir weiter entgegen und ich musste mit Mühe meine Gedanken zusammenhalten. Mein Gesicht wurde wärmer: „Ähm… Ja.“ Der Totengräber nahm die Hand von meinem Kinn und schob mir den Block hin: „Zeig!“ „Interessiert dich das wirklich?“, fragte ich verwirrt. Das passte nicht zu seiner üblichen Handy-Aversion. „Natürlich“, Undertaker hob eine Hand: „Das ist wie eine neue Sprache lernen! Auch wenn man sie nicht sprechen kann.“ Ich kam um ein Lächeln nicht herum: „Du willst wirklich alles lernen was es zu lernen gibt, oder?“ Er drehte seinen Zeigefinger um meine Nase: „Komme du mal in die Bredouille so gut wie alles mindestens einmal gemacht zu haben und du wirst verstehen“, er hob lachend eine Hand: „Selbst gestorben bin ich schon! Mir gehen die Tätigkeiten aus!“ „Das“, ich stockte: „Ist nichts, was man so heiter erwähnen sollte, oder?“ Er öffnete die Hand fragend: „Es ist halt so. Ein Fakt. Eine Tatsache. Weiter nichts.“ „Okay“, ich fand diese Aussage nicht wirklich besser. „Nun mach schon“, grinste der Bestatter uns zurück zum Thema: „Tihihi! Ich bin neugierig.“ „Ok, ok“, ich nahm den Stift wieder auf und zeichnete ein ‚XD‘: „Was denkst du bedeutet der?“ Undertaker zog die Augenbrauen zusammen: „Nun, in erster Linie sind es zwei Buchstaben, die zusammen überhaupt keinen Sinn ergeben“, er drehte den Block: „Und er hat keine Nase.“ „Der Strich für die Nase wird mittlerweile eigentlich fast immer weggelassen.“ „Interessant“, sein Finger wanderte einmal zum ‚:-D‘ und dann zurück zum ‚XD‘: „Der Mund ist derselbe. Lachen beide?“ „Lass‘ ich gelten“, nickte ich gönnerhaft: „Das ist der Smiley für einen Lachanfall oder etwas extrem Amüsantes. Das ‚X‘ steht für die Lachfalten um die Augen herum.“ „Oh ho! Das ist gut zu wissen! Eine wirklich kreative Idee“, der Totengräber giggelte belustigt: „Gihihi! Und wirklich sehr abstrakt.“ „Es geht noch besser!“ „Zeig!“ ‚T,T‘ ← Hier war ich mir sicher, musste selbst der pfiffige Bestatter anfangen wirklich zu grübeln. Denn die Methode das Papier um 90° zudrehen funktionierte nicht mehr und es gab keinen Mund. Undertaker schaute ein paar Sekunden, drehte dann den Block und musterte ihn weiter. Es musste für ihn wohl immer noch keinen Sinn machen, denn er nahm mir den Füller aus der Hand. Er zeichnete ein fahriges Strichmännchen um den Smiley und ich musste anfangen zu kichern, da das Gesicht des Smileys so um 90° verdreht war. Der Bestatter schaute mich kurz an, nochmal auf das Strichmännchen, kritzelte dann den Körper weg, drehte den Block wieder richtig herum und zeichnete das Strichmännchen nochmal. Dann tippte er ein paar Mal mit dem Füller auf das Blatt. Mit einem triumphierenden kleinen Lächeln war ich mir meines Sieges fast sicher… dann malte er einen kleinen traurigen Mund unter das Komma: „Gihihi! Der weint in Strömen!“ Mir klappte der Mund auf. Undertaker schaute mich grinsend an: „Richtig?“ Ich nickte langsam, von jeglichem Triumph verlassen: „Ja, das… stimmt im Detail.“ Undertaker lachte laut und gab mir den Stift wieder: „Mehr!“ Und anstatt loszufahren kritzelte ich eine halbe Stunde 3 Blockseiten mit Smileys voll, die hier und da durch Überlegungen und ausprobieren des unmenschlichen Bestattern zu sehr außergewöhnlichen Strichmännchen wurden. Undertaker war definitiv ein sehr flexibler Denker. Obwohl man merkte, dass er keinen kannte, erschloss er sich die Smileys ausnahmslos alle selbst. Irgendwann legte ich den Stift hin: „Mir fallen keine mehr ein. Tut mir leid.“ „Ach papperlapapp!“, Undertaker grinste breit und verschränkte die Fingerkuppen: „Das waren viele! Außerdem war es ein sehr unterhaltsames kleines Spielchen, ich habe dir zu danken!“, ich grinste zahnvoll: „Habe ich denn bestanden, Frau Lehrerin?“ „Lehrerin?“ „Na“, er breitete die Hände aus: „Ich sagte doch, es ist wie eine neue Sprache lernen! Und du warst eine gar exzellente Lehrerin.“ „Ich war… öhm“, ich lachte: „Danke!“ „Gihihi, wie gesagt das Danken liegt bei mir. Habe ich bestanden?“ „A+“, lachte ich: „Volle Punktzahl. Ich befinde dich hiermit für Chattauglich!“ „Nihihihihi! Welche eine Ehre!“ Ein langes doppelstimmiges Lachen erfüllte den kleinen Laden. Als es abgeflaut war musste ich ausladend gähnen. Ich hatte noch nicht viel gemacht, doch mir war schon wieder nach ins Bett gehen… Nach letzter Nacht wurde mir allerdings auch eine Couch vollkommen ausreichen. Ich schüttelte den Gedanken weg. Was Undertaker dazu bewogen hat mich zu sich auf die Couch zu ziehen wusste ich nicht. Doch ich hatte so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. Undertaker ging um den Tresen herum und hielt mir seine Hand hin: „Wir sollten. Dieser kleine Exkurs hat doch mehr Zeit in Anspruch genommen. Verzeih mir und meiner unsäglichen Neugierde.“ „Oh, nein, nein“, ich nahm seine Hand in beide Hände: „Es war lustig! Ich war… froh dir etwas Neues zeigen zu können.“ Doch meine Augen fielen herab. Seit Ronald es mir in der Bibliothek der Sensenmänner erzählt hatte, waberte dieser Fakt in meinem Unterbewusstsein. Dass Undertaker es betont hatte, hatte ihn hervorgeholt: Er war schon mal gestorben. Es war eine unfassbar lange Zeit her, doch der mehr als heitere Bestatter hatte sich irgendwann tatsächlich das Leben genommen. Dieses Wissen löste etwas in mir aus - eine Art Bedauern. Denn man nahm sich nicht das Leben, wenn man glücklich war. Also muss der Totengräber irgendwann sehr, sehr traurig gewesen sein… Eine Hand hob mein Gesicht an: „Was beschäftigt dich, meine Schöne?“ „Ich…“, ich seufzte: „Mir läuft es ein bisschen hinterher, wie… wie man zum Sensenmann wird.“ „Warum?“ „Es… ist doch traurig… Ich meine… glückliche Menschen töten sich nicht selbst“, ich schaute zu Boden: „Das tun nur sehr traurige, deswegen denke ich…“ „Dass alle Sensenmänner, die du nun kennst, irgendwann mal so traurig und verzweifelt sein mussten, dass nichts mehr Sinn machte und sie sich entschieden zu gehen?“ Ich nickte. „Sky“, Undertakers Hand hob mein Kinn wieder an und ich schaute in seine sanften Augen: „Wir erinnern uns nicht. Wir haben keine Ahnung, wie unser Leben als Mensch gewesen ist. Ein Leben, das - wie du sicher richtig denkst - wahrscheinlich recht traurig war. Die Erinnerungen sind fort. Wir haben ein neues Leben. Wir machen jetzt neue Erinnerungen. Wirken wir auf dich traurig? Oder verzweifelt?“ „Manchmal…“, erinnerte ich mich an den Schatten, der immer mal wieder Undertakers Augen befiel. Der wirkte furchtbar traurig. „Wirken wir in diesem Sinne traurig?“ „Nein…“ „Also“, er lächelte weiter: „Was interessiert der Schnee von gestern? Vor allem wenn man sich nicht einmal erinnert?“, er zog mich an sich heran, schlang den Arm um meine Taille und verschränkte seine langen Finger mit meinen, während er meine Augen nie aus seinem Blick ließ: „Hilfst du mir neue Erinnerungen zu machen?“ Ich war erst perplex. Von der plötzlichen Umarmung. Von dieser außergewöhnlichen Bitte. Doch dann nickte ich: „Auf jeden Fall.“ „Dann“, Undertaker lachte auf: „Ihihihihi! Bin ich ja in besten Händen.“ Irritiert zuckte mein Kopf ein Stück weg: „Wie?“ Undertaker lachte lauter: „Gihihihihi! Wenn ein Mensch wie du sich meiner annimmt. Was soll dann noch schief gehen?“ „Was“, in meinem Kopf blinkte mehr als ein überfordertes Fragezeichen: „Für ein Mensch bin ich denn?“ Undertaker legte den Kopf schief: „Ein fürsorglicher, kreativer natürlich! Wie schusselig und wechselhaft, was macht alles nur noch viel besser macht!“ Mir klappte der Mund auf. Dann schoss mir die Zornesröte ins Gesicht: „Was soll das denn bitte besser machen?!“ Ständig tat ich mir weh, landete auf der Nase oder starb ganz langsam an Scham und Schande! Was machte das denn bitte besser?! Der Bestatter grinste breit: „Es ist erheiternd!“ Natürlich. Es ging ihm mal wieder nur um sein Amüsement. Das war so typisch. „Er-“, mein Auge zuckte, als mir dies klar wurde: „Erheiternd?!“ „Aber ja! Im hohen Maße sogar!“ Ich schloss die Augen, verschränkte die Arme, drehte mich weg und so aus seinem Arm: „Arschloch!“ „Hm?“, kam es neben mir von dem Totengräber: „Warum?“ Die Tatsache, dass sein Tonfall glauben ließ er verstand es wirklich nicht, machte die Sache nicht gerade besser: „Du benutzt mich als Witzfigur!“ „Tue ich nicht!“ Ich drehte mich zu ihm: „Hast du dir eigentlich selbst zugehört? Ich bin nicht dein Clown!“ „Was ich mit keiner Silbe gesagt habe.“ „Du sagtest es sei ‚erheiternd‘. Mir passieren ständig dumme Dinge! Ewig tu‘ ich mir weh und darf mich schämen und du findest das lustig!“, ich drehte mich wieder mit verschränkten Armen weg: „Du bist wirklich ein Arsch, Undertaker!“ „Ich finde es doch nicht lustig, dass du dir weh tust. Eher das“, ich schaute mit zusammen gezogenen Augen zu Undertaker, der seinen Satz kurz unterbrach. Er schien mit einem nachdenklich in der Luft kreisenden Zeigefinger nach der richtigen Umschreibung zu suchen. Ich war ja gespannt welche Juwelen diese Suche zu Tage fördern sollte. Breit grinsend öffnete er die Hände: „Drum herum!“ Ich blinzelte perplex. Wenn er tatsächlich nach den richtigen Worten gesucht hatte… Das waren sie nicht. Ich zog eine Augenbraue hoch: „Warum habe ich mich noch mal entschuldigt dich mit einem Tablett verprügelt zu haben?“ „Weiß ich nicht.“ „Du…“, ich streckte die Hände in die Luft: „Arg!“ „Ist alles in Ordnung?“ „Nein!“ „Was hast du denn?“ „Dich, du Pfosten!“, ich drehte mich mit erhobenen Händen zu ihm: „Wenn sich jemand alle Nase lang auf die Nase legt, ist das nichts was man als ‚erheiternd‘ titulieren sollte, auch wenn es lustig aussieht!“ „Achso“, Undertaker legte eine Hand an sein Kinn: „Aber es sieht wirklich lustig aus.“ Ich schüttelte wie vom Donner gerührt den Kopf: „Du bist… ein… ich finde kein Wort dafür!“ „Umschreibe es“, grinste der Bestatter unschuldig: „Vielleicht kann ich helfen.“ „Eine Steigerung von Arschloch!“ „Kann man Nomen steigern?“ „Darum geht es nicht!“ „Worum dann?“ „Um dich!“, ich schüttelte ihn an den Schultern: „Und der Tatsache, dass du dich benimmst wie ein Elefant im Porzellanladen! Auf einem Fahrrad! Den man eben erst die Stützräder weggenommen und die Bremse abgeschraubt hat!“ Ehrlich. Ein normaler Elefant im Porzellanladen benahm sich um Längen eleganter! „Oh“, Undertaker kratzte sich nachdenklich am Kinn: „Du bist sauer auf mich.“ Ich schlug die Hand vor die Augen: „Bei dir fällt der Groschen pfennigweise, oder?“ „Das ist nichts Neues. Ehehehe!“, nach dem kurzen Lachen blinzelte mich Undertaker an: „Aber womit genau habe ich dich verärgert?“ Wut schlug in Verzweiflung um. Mit hängenden Schultern drehte ich die Augen an die Decke: „Manchmal bist du echt schwer von Kapee…“ Ich schaute Undertaker wieder an und stockte. Er hatte die Arme verschränkt und trug einen recht nachdenklichen Gesichtsausdruck, die schlanken Augenbrauen ein wenig zusammengezogen. In seinem Gesicht stand, dass er wirklich verstehen wollte, aber es nicht tat. „Ich wollte dir suggerieren, dass deine Unbeholfenheit etwas Niedliches hat“, er streckte eine Hand erklärend nach vorne und ich verschluckte bei dem Wort ‚niedlich‘ meine Zunge: „So wie deine ganze Art, die einfach unnachahmlich ist. Ich rede nicht darüber mich über Situationen zu belustigen, die irgendwie geartet schmerzhaft enden. Deine natürliche Schusseligkeit hat etwas Faszinierendes. Gerade dadurch, dass du auch die unschönen Situationen meistern kannst. Du bist erheiternd, Sky. Und das ist bei weitem keine Beleidigung. Du bringst mich zum Lachen. Mit deiner wechselbaren Mimik und deiner ganzen einzigartigen Art. Es ist doch gut jemand zum Lachen zu bringen, oder? Lachen wurzelt auf Freude und Freude ist gut, oder nicht? Das heißt doch Wesen, die einem zum Lachen bringen können, sind unglaublich viel wert“, Undertaker lächelte sein unverschämt süßes Lächeln: „Zumindest bist du mir deswegen unglaublich viel wert.“ Mir klappte der Kiefer auf. Innerhalb kürzester Zeit hatte er aus allem, was er gesagt und mich wütend gemacht hatte, ein Kompliment gemacht. Abgesehen davon, dass es unmöglich war seinem Lächeln und Grinsen lange böse zu sein. Ich hasste es, wenn er das tat. Gleichzeitig war ich doch sehr geschmeichelt und peinlich berührt. Ich drehte trotzdem mit verschränkten Armen meinen rot werdenden Kopf ganz weg, bestrebt den Bestatter noch mit etwas Wut zu strafen: „Das hättest du besser rüberbringen können!“ Doch ich konnte ein Lächeln von meinen Lippen nicht fernhalten. Er hatte gesagt, ich sei niedlich: ‚Gihi!‘ Zwei Arme zogen sich von hinten um meine Taille und etwas Spitzes erschien auf meiner Schulter, was definitiv das Kinn des Bestatters war: „Verzeihe mir.“ Ich drehte meinen Kopf von der Schulter weg auf der sein Kinn lag, damit er meinen Gesichtsausdruck nicht sah: „Das war echt unmöglich.“ Doch mein Lächeln wurde weiter. Er hatte gesagt, ich sei faszinierend: ‚Nyaaaa!‘ „Es tut mir leid. Eigentlich wollte ich dir sagen, du bist ein herrlicher Mensch.“ „Das musst du echt noch ein bisschen üben“, rekte ich meine Nase höher in die Luft. Doch mein Lächeln schwang fast in ein hörbares Kichern um. Er hatte gesagt, ich sei einzigartig: ‚Awwww!‘ „Es war wirklich nett gemeint.“ Irgendwie war Undertakers unbeholfene Art ja furchtbar süß. Ich war schon lang nicht mehr wütend. Eher musste ich mein geschmeicheltes Schmunzeln unterdrücken: „Das solltest du das nächste Mal dazu erwähnen.“ Er hatte gesagt, ich sei ihm unglaublich viel wert: ‚AAHHH~!‘ „Ich wollte dir eigentlich ein Kompliment damit machen.“ Ich wirbelte herum und streckte ihm protestierend meine Nase ins Gesicht: „Es klang anfangs nicht halbwegs nach einem Kompliment!“ Daraufhin schnappte mich Undertaker vollkommen unvermittelt wieder an der Taille und zog mich näher zu sich. Er streckte sein Gesicht gleichzeitig ein Stück nach vorne. Als sich unsere Nasenspitzen berührten huschte seine Nase über meine. Von links nach rechts. Von rechts nach links. Überrascht fror ich ein. Ich schaute von ganz nah in seine schmalen fluoreszierend grünen Augen und verlor den Bezug zu der Welt um mich herum. Meine Wut verflog endgültig. Sie verschwand im tiefen Grün. Von meiner Nasenspitze breitete sich ein surrendes Kribbeln bis in meine Finger und meine Bauchgegend aus, von der aus wiederum ein warmes Gefühl in meinen Kragen und von dort aus in mein Gesicht kroch. „Es war nicht meine Absicht dich zu beleidigen“, surrte seine tiefe Stimme durch meine Ohren in alle meine Nerven. Eine Zeit lang starrte ich nur in seine unglaublichen Augen. Ich vergaß zu blinzeln und brauchte eine Zeit lang, um zu der eigentlichen Situation zurück zu finden. Schließlich gewann ich meine Contenance zurück. „Okay, ich verzeihe dir“, machte ich gönnerhaft. „Zu liebenswürdig“, lächelte er mir entgegen und ich musste mir Mühe geben nicht wie eine Kerze in der Sonne davonzufließen. Ich wollte etwas erwidern, doch schüttelte mich vorher ein fieser Husten. Undertaker nahm mich an den Schultern: „Wir sollten wirklich los. Schließlich wolltest du doch Heim.“ Von ‚wollen‘ konnte keine Rede mehr sein. Wenn es nichts nachts, alleine und in einem Sarg war, könnte ich auch noch eine Nacht bleiben… Oder zwei… Oder drei… Doch konnte ich Undertakers Gastfreundschaft auch nicht direkt so überstrapazieren. Also nickte ich: „Gut.“ Ich folgte Undertaker in das Hinterzimmer, um von dort zu dem Parkplatz seines alten Leichenwagens zu kommen. Kaum war ich durch den Türbogen getreten traf mich der Schlag. „Oh“, machte der Totengräber: „Ehehehe! Es scheint, als habe ich gestern etwas Arbeit liegen lassen. Schaue besser nicht allzu genau hin.“ Ich glaubte genau, weil er das sagte, tat ich es. Mir wurde übel. Und ganz anders. Ich sah den Raum das erste Mal durch das Tageslicht, was durch ein Fenster fiel, erleuchtet. Auch hier standen neben den Kühlzellen mehrere Regale an den Wänden. In den Regalen standen etliche Gläser gefüllt mit komischen Flüssigkeiten und/oder Organen. Es lagen auch unzählige gruselige Instrumente darin herum. Meine Augen wanderten über die Tische. Böser Fehler. Denn natürlich lagen dort zwei Leichen, nur halb verdeckt unter hellblauen Lacken. Mein Magen drehte sich um. Denn viel schlimmer als ihre bloße Anwesenheit war, WIE sie dort lagen! Das Gesicht einer Leiche war nicht mehr als ein blutiger und schmieriger Krater. Zumindest der sichtbare Teil, der nicht durch ein Stück zurückgeklappter Kopfhaut samt Haaren verdeckt war. Die Schädeldecke lag noch neben etlichen Instrumenten und einem Messbecher mit einem frisch eingelegten Gehirn auf der Ablage des Seziertisches. Einer jungen Dame daneben hingen Venen und Arterien aus beiden Seiten des Halses. Sie waren fixiert und in ihnen steckten Kanülen, von denen eine zu einer komischen Apparatur mit großem Glaszylinder führte. Er war noch halb gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit und faste sicherlich an die 6 Liter. Die Andere führte zu einem anderen ähnlich großen Glasbehälter auf den Boden, halb gefüllt mit etwas Rotem. Mir schwante was es war. Ansonsten sah die Frau eigentlich gar nicht so übel aus. Neben ihrem wirklich hübsch, stimmig und akkurat geschminkten Gesicht stand ein großer, dreistöckiger Schminkkoffer von Zoeva, der sündhaft teuer war. Das wusste ich genau, da ich mit so einem Mal geliebäugelt hatte. Es verwunderte mich irgendwie wie hübsch sie geschminkt war. Von gekonnter Hand. Und diese Hand war Undertakers gewesen. Der bizarre Totengräber hatte sehr wohl einen ausgezeichneten Sinn für Ästhetik. „Mein Gott!“, entfuhr es mir trotz allem: „Was machst du hier?!“ „Arbeiten“, konterte Undertaker giggelnd: „Nihihihi! Ich sagte nicht umsonst, du sollst nicht zu genau hinschauen.“ „Aber… Was hat die Frau da am… am Hals?!“ „Ich war dabei sie einzubalsamieren. Tehehehe! Willst du wirklich Details?“ „Und… und der Mann…?“ „Das gehört zu Aristokraten-Geschäften. Tehehehe!“, er grinste: „Lasse dort lieber deine zarten Finger heraus. Ich brauche mir auf jeden Fall nicht die Mühe geben, seine Totenmaske zu restaurieren. Schließlich kann ich nichts restaurieren, was nicht da ist. Kehehehe!“ „Gehört das alles wirklich zu den Aufgaben eines Bestatters?“, fragte ich sichtlich bleich um die Nase. „Nicht zwingend, hehehehe!“, zog er mich an einer Hand weiter: „Aber ich bin auch qualifizierter Thanatopraktiker und erledige so auch Aufgaben, die über die normale hygienische Totenversorgung hinausgehen.“ „Thanatopraktiker? Hygienische Totenversorgung?“, fragte ich, als wir am Auto angekommen waren: „Ich habe von alldem keine Ahnung, das musst du mir erklären.“ Undertaker setzte mich an der Hand ins Auto. Dann setzte er sich neben mich, setzte die Brille auf die Nase UND schnallte sich an. Ich merkte eine kleine Freude über meinen Erziehungserfolg, trotz der unangenehmen Konfrontation mit Undertakers Arbeit. Ich schnallte mich ebenfalls an und er fuhr vom Hof. „Hygienische Totenversorgung ist die Standardaufgabe eines Bestatters“, erklärte der Totengräber und lenkte auf die Straße: „Also das, was man sich so unter meiner Arbeit vorstellt: Waschen, frisieren, schminken, anziehen und ein bisschen mehr, aber das ist wirklich ziemlich unappetitlich und du möchtest auch gar nicht mehr darüber wissen, glaube mir. Tehehehe! Thanatopraxie ist eine Zusatzqualifikation. Damit ist gemeint Leichen wiederherzustellen, die durch, zum Beispiel Unfälle, Krankheit, Verfärbungen, zu schnelle Verwesung, Suizid, oder ein paar übergroßen Höllenhunden und ähnlichem, ein bisschen… durch den Wolf gedreht wurden, hehehehe! Sie zu konservieren fällt auch darunter. Tihihi!“ „Konservieren?“, fragte ich, als wir gemütlich über die Straße rollten. Das war ja alles schon interessant. Verstörend anzusehen und ich riss mich wirklich nicht darum dieses Erlebnis zu wiederholen, aber interessant zu hören. Es wunderte mich des Weiteren gar nicht, dass Undertaker diese komische Zusatzqualifikation hatte. Wenn es um seinen Job ging hatte er wahrscheinlich alles, was man haben konnte und wahrscheinlich noch viel viel mehr. „‚Modern Embalming‘“, grinste er: „Der Fachausdruck. Im Volksmund sagen die meisten nur ‚einbalsamieren‘. Durch eine Pumpe wird das Blut herausgedrückt und durch Formalin ersetzt. Eine Mischung aus Alkohol, Formaldehyd und Lanolin. Dadurch wird Autolyse und Fäulnis bis zu 8 Wochen aufgehalten. Nehehehe! Doch interessiert dich das wirklich? Nihihihi! Die Meisten brechen bei der Hälfte.“ Appetitlich war das Thema wirklich nicht. Aber irgendwie spannend. Die Lebenswelt des Bestatters interessierte mich, auch wenn ich sie nicht visuelle vor Augen haben musste. „Was ist Autolyse?“, fragte ich also nach und ignorierte seine Frage einfach. Undertaker lachte angetan: „Hehehe. Die Selbstauflösung abgestorbener Körperzellen durch Enzyme. Der erste Verwesungsprozess nach dem Tod, bevor es zu der bakteriell bedingten Fäulnis kommt. Fu fu! Dir ist wirklich noch nicht schlecht?“ „Nein!“, rief ich: „Das ist voll interessant.“ Undertaker lachte lauter und schloss dabei die Augen: „Pahahahaha! Das höre ich sehr sehr selten!“ „Schau auf die Straße!“ „Tue ich!“ Wir fuhren lachend zurück zum Wohnheim, während ich den Bestatter weiter über seine Arbeit ausfragte. Er erzählte davon mit einer ungeahnten Begeisterung. Wahrscheinlich mit viel zu viel davon. Doch wenigstens lenkte mich das Gespräch von meinem warmen kranken Körpergefühl ab. „Du sag mal?“, fragte ich nach einer Zeit grinsend an einer roten Ampel: „Kriegst du eigentlich Geschäftskundenrabatt bei Zoeva?“ Undertaker schaute mich irritiert an: „Zoeva?“ „Na, die Make-up Marke, die du benutzt!“ „Die Make-up… Ah! Du hast den Schminkkoffer gesehen, ehehehehe! “ Ich neigte den Kopf: „Ich bin ein Mädchen, natürlich habe ich den Schminkkoffer gesehen.“ Undertaker kicherte schrill: „Ich glaube so etwas hat Grell auch schon mal gesagt. Hihi! Aber ja, ich bekomme Geschäftskundenrabatt.“ „Oh, wie cool! Wie viel?“ Der Bestatter schaute mich immer noch rätselnd an: „Äh…Ehehe! 25%. Aber warum fragst du?“ Ich schlug die Hände zusammen: „Diese Dinger sind so cool! Ich wollte schon immer einen haben! Leider sind sie nur genauso cool, wie sie teuer sind und waren für mich deswegen immer unerschwinglich...“ Der Bestatter lachte, doch bevor er mir antworten konnte hupte es hinter uns mehrmals gereizt. Wie schauten uns um. Die Ampel war grün geworden und die Fahrer hinter uns reichlich ungeduldig. Undertaker drehte den Kopf zur Straße, legte den Gang ein und fuhr weiter: „Tehehehe! Und nun denkst du, dass du dir über mich einen erschummeln kannst.“ „Natürlich!“, antwortete ich, hob die Hände und schob sie abwechselnd verschwörerisch nach vorne: „Und das hier ist ein Zeichen, dass einer mir gehören soll. Du kannst dich dem Schicksal nicht erwehren, Undertaker! Du MUSST mir helfen!“ „Ah ah ah!“, lachte der Bestatter: „Wenn ich mich dem Schicksal nicht erwehren könnte, wärst du mittlerweile mein Geschäftskunde und könntest mich nicht um meinen Geschäftskundenrabatt anbetteln, vergessen? Kehehehe!“ Ich zog eine Schnute: „Du bist so was von gemein… Wie lange willst du mir meine Dummheit noch vorhalten?“ „Weiß ich noch nicht, tehehehehe! Sicherlich noch eine Zeit lang. Vielleicht auch immer mal wieder. Nehehehe!“ Ich seufzte und lies den Kopf hängen. Dann hatte ich eine Idee. Sie war tot sicher. In diesem Fall ein bisschen zu wortwörtlich. Aber ich war mir sicher, dass ich im Umgang mit dem morbiden Bestatter genau solche Dinge brauchte. Undertaker sollte nicht denken, dass er der einzige war der Spiele spielen konnte! Mit einem verschwörerischen Grinsen schaute ich den Bestatter an: „Wie heißt das Lieblingslied eines Hirntoten?“ Seine Augen wanderten langsam zu mir. Dann zog er sie zu Schlitzen: „Du kleines Schlitzohr.“ Ich kicherte. Der Totengräber hat prompt verstanden worum es ging. Seine Augen wanderten wieder auf die Straße: „Was du hier gerade tust, ist höchst verwerflich.“ Mein Grinsen wurde weiter: „Aber du willst die Antwort wissen, ich weiß es.“ Ich wusste, dass schon der Auftakt des Witzes bei ihm genau ins Schwarze traf. Es war ein Witz, das reichte eigentlich schon, doch man konnte ihm schon anhören wie rabenschwarz er war und er hatte etwas mit dem Tod zu tun. Der Bestatter konnte gar nicht widerstehen! Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass Undertaker eine unausgesprochene Pointe nicht ertragen konnte. „In der Tat“, grinste der Bestatter. „Du kannst dir den Preis denken“, lachte ich gehässig. „Hey! Warte mal. Nicht ich bezahle dich, sondern du bezahlst mich, meine Schöne.“ „Gut“, verschränkte ich Arme und Beine und schaute aus der Windschutzscheibe: „Dann erzähle ich ihn dir eben nicht.“ „Was?!“, hörte ich ihn entgeistert rufen: „Das kannst du nicht machen!“ „Klar.“ „Nein!“ „Aber hallo.“ Undertaker fuhr auf den Parkplatz vor dem Schultor und stellte den Motor ab. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er sich mit einem Arm auf dem Lenkrad zu mir drehte: „Du kannst mir nicht einen halben Witz erzählen und den Rest für dich behalten! Das ist grausam!“ Ich hatte recht behalten. Undertaker konnte keine halb erzählten Witze vertragen. Ich drehte den Kopf zu ihm: „Ich habe nie gesagt, dass ich nett bin.“ Der Bestatter zog eine Augenbraue hoch: „Du bist auf jeden Fall berechnend und unerhört hinterhältig.“ Ich zeigte nur grinsend meine Zähne. Undertaker schnaufte durch die Nase: „Nun gut.“ Triumphierend legte ich meinen Kopf schief: „Aha? Ich höre.“ Undertaker zog wieder seine Augen unter der dicken Brille zusammen: „Du bist ein durchtriebenes, kleines Miststück.“ „Nooot!“, machte ich und schnallte mich ab: „Falsche Antwort.“ „Was?! Ich habe doch schon eingewilligt!“ Ich öffnete die Tür: „Hast du nie gesagt.“ Er haspelte kurz: „Ätähe! Du kannst mich nicht so hier sitzen lassen! Das bringst du nicht fertig!“ „Und wie“, ich streckte ein Bein aus dem Auto. „Das ist unfair!“ Ich streckte mein zweites Bein heraus: „Mir ständig zu deiner Belustigung meine Fehler vorzuhalten ist auch unfair. Oder mein Pech zu deiner Erheiterung zu benutzen. Beschwere ich mich?“ „Ja! Jedes Mal!“ Ich stockte: ‚Mist… stimmt...‘ Gott sei Dank sah Undertaker mein Gesicht nicht. Ich war trotz dieses Schnitzers immer noch in der überlegenden Position! Das musste ich ausnutzen: „Gut, hast recht. Aber du hast trotzdem nie zugestimmt!“, ich seufzte gespielt und wollte aufstehen: „Ich sag dann mal bis die TAH!“ Eine Hand griff mich am Kragen und zog mich zurück, als ich halb aufgestanden war. Ich verlor meine Balance und rasselte hinten über. Ich blinzelte meine Augen auf und die Welt hörte auf sich zu drehen. Von unten blinzelte ich den Bestatter entgegen. … Von unten?! Ich schaute mich um und mein Herz blieb stehen. Ich war mit meinem Kopf auf dem Schoß des Bestatters gelandet! Mein Herzschlag wurde sofort zur 0 Linie, als ich ihm wieder ins Gesicht schaute. Entgeistert, überfordert und rot wie eine Clownsnase. „Denk ja nicht, dass du mir so davon kommst“, schaute mich Undertaker immer noch mit beleidigt zusammengezogenen Augen an. Irgendwie war dieser Ausdruck… furchtbar… furchtbar niedlich! So richtig süß! Ich hatte übrigens schon wieder vergessen, dass ich eigentlich meinen Kopf aus seinem Schoß nehmen wollte. Undertaker drehte den Zeigefinger auf meiner hochroten Nasenspitze: „Ich werde dir nie vergessen, dass du für einen Schminkkoffer soweit gehst mich zu quälen.“ Ich grinste ihn entgegen: „Ich bin halt ein Mädchen.“ „Nicht einmal Grell traut sich so etwas.“ „Ich bin nicht Grell“, grinste ich ihn an: „Sprich es laut aus und ich erzähle dir die Pointe.“ Undertaker schnaubte durch die Nase: „Gut, ich besorge dir einen.“ „Versprochen?“ „Ja.“ „Wirklich?“, ich kicherte und konnte nicht anders, als ihn noch ein bisschen zu quälen. Als Rache für so viele Situationen, in denen er mich halb zu Tode erschreckt hatte! Undertaker verstand dies allerdings sofort und zog eine Augenbraue hoch: „Macht es Spaß?“ „Joa“, grinste ich weiter: „Ist nicht schlecht. Wie ist es auf der anderen Seite des Witzes? Neuen Lieblingsplatz gefunden?“ Undertaker verzog eine Schnute. Ich kicherte. Das sah so niedlich aus! So unendlich niedlich! So dermaßen knuffig, ich glaubte es kaum! „Nein“, antwortete er: „Definitiv nicht. Ich habe getan was du wolltest. Also!“ „Gut.“ grinste ich weiter: „Aber das ist ein Frage-Antwort-Witz. Du musst erst eine Lösung vorschlagen. So verlangt es die Tradition!“ Ein breites Grinsen erschien wieder auf Undertakers Gesicht: „Du erzählst mir jetzt die Pointe! So verlangt es dein Schminkkoffer!“ Mir klappte der Mund auf. Dann zog ich eine Schnute: „Traditionen sind nicht so deins, hm?“ „Auf einen Witz zu warten ist nicht so meins“, machte er mit erhobener Augenbraue und in einem genervten Tonfall, wie ich ihn von ihm noch nie vorher gehört hatte. Dieser Tonfall ließ mich kichern: „Tihi. Merkt man.“ Undertaker schnappte sich meine Nasse und wackelt daran: „Jetzt erzähl!“ „Ok, ok“, lachte ich, zog seine langen Finger von meiner Nase und schaute ihn wieder an: „My Heart will go on!“ Stille. Undertaker schaute mich nur an. Ein mulmiges Gefühl erschien in meinem Magen. Wenn der Witz jetzt nicht gut war, durfte ich sicherlich wieder zum Staubwischen antreten… Oder schlimmerem… Was ich mir nicht ausmalen wollte. „Ni-nicht gut?“, stammelte ich angesichts der Strafen, die ich schon auf mich zukommen sah. Undertaker klimperte stumm mit den Augenlidern. „Hallo?“ Plötzlich brach ein so derart lautes Lachen aus ihm heraus, dass ich Angst um die Autofenster hatte. Der Schoß des Bestatters hüpfte auf und ab und damit auch mein Kopf. Erst jetzt realisierte ich wieder worauf ich lag. Ich wollte gerade aufstehen, da beugte sich der Bestatter nach vorne und legte, schreiend und weinend vor Lachen, seine Stirn auf meine. Ich fror ein. Ich hatte das Gefühl mein Herz und die Welt hatten Schneckentempo angenommen. Der Moment zog sich endlos und war trotzdem viel zu schnell vorbei. „My Heart will go on!“, quietschte er lachend: „Nihhihihihihihihihi! Tahahahahaha! Wie rabenschwarz! Ich fasse es nicht! Uhuhuhuhuhuhuhuhu, den kannte ich noch nicht! Herrlich! Wehehehehehe! Einfach herrlich, ahahahaha!“ Er nahm schwer atmend seinen Kopf hoch und wischte sich die Tränen aus den Augen: „Awuhuhuhu! Dafür hättest du alles verlangen können. Tehehehe! Wirklich alles!“ „Ein Schminkkoffer reicht. Ich gebe dir das Geld wieder.“ „Fuhuhuhuhuhuhuhu! Wird gemacht, meine Schöne. Tehehehe! Für den Witz bekommst du ihn auch geschenkt!“ „Nicht nötig“, setzte ich mich auf: „Der Rabatt ist schon schick genug.“ „Ah ah ah“, machte Undertaker immer noch giggelnd: „Puhuhuhu! Ehre, wem Ehre gebührt! Du hast ihn dir verdient!“ „Du hast mich eben noch als Miststück bezeichnet!“, kicherte ich, was meinem Protest doch sehr viel Wind aus den Segeln nahm. Doch ich konnte einfach nicht anders. Undertakers Erheiterung steckte mich zu sehr an: „Und du bezeichnest mich als wechselhaft?“ „Gihihihihihihihi! Ich sagte nie ich sei es nicht!“, lachte Undertaker weiter. „Ja, ne! Ist klar! Du Hohlfrucht!“, schwirrte unser gemeinsames Gelächter fröhlich über den kleinen Parkplatz. Als wir in die Stube des kleinen Internatsapartments ankamen war dort einiges los. „Hab‘ ich“, machte ich zögerlich und blinzelte durch den Raum: „Die Einladung zur Party verpasst?“ Ich schaute irritiert Amy an aufgrund von Freds, Lees, Ronalds, Grells, Williams und auch Sebastians Anwesenheit. Die Reaper und die 2 jungen Männer schauten mich mit unbegeisterten Gesichtsausdrücken an. Der Butler stand ein Stück abseits, abgedreht und telefonierte mit einem Handy. Amy hob die Hände, Augen zur Decke gedreht: „Ich hab sie auch nicht bekommen…“ Ich schaute in die Runde: „Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, aber… was macht ihr alle hier?“ „Wir haben das Apartment durchsucht“, stemmte Fred die Hände in die Hüfte. „Und den ganzen Rest der Schule“, seufzte Ronald. Ich zog eine Augenbraue hoch: „Warum?“ „Der Earl Phantomhive bat uns“, William schob seine Brille hoch: „Aufgrund der Umstände, die ihr beiden zu erleiden habt.“ „Oh“, machte ich erkennend: „Der Zombie.“ „Da Undertaker dem Earl glaubhaft versichern konnte“, ein strafender Blick Williams zu dem Bestatter ließ diesen kichern: „Es ist nichts was seinem sonderbaren Humor entsprang, bat er uns nach Hinweisen zu suchen.“ „Und?“, blinzelte ich. „Nichts“, hob Ronald die Hände: „Diese Schule ist so ordinär, dass es langweilig ist.“ „Wir haben den ganzen Vormittag dafür in den Sand gesetzt“, Grell fuhr sich durch den Pony: „Für nichts und wieder nichts.“ „Der Meister“, Sebastian steckte sein Handy weg und kam in den Kreis: „Ist zur Zeit nicht erreichbar. Doch ich denke es wäre in seinem Interesse die jungen Damen anderweitig unterzubringen, solange die Sache nicht geklärt ist.“ „Und wie willst du das den Lehrern schmackhaft machen?“, fragte Amy. Der Butler grinste: „Indem die Lehrer durch einen netten Verweis auf den monatlichen Beitrag des Meisters daran erinnert, dass der Kunde König ist.“ Amy seufzte: „Geld regiert die Welt.“ Lee grinste: „Schulen wie Weston sind halt sehr darauf bedacht den einflussreichen Eltern ihrer Schützlinge zu gefallen.“ „Das gilt für Amy“, seufzte ich: „Nicht für mich.“ Fred schmunzelte: „Glaube mir, Sebastian und mein Vater sind sehr überzeugend.“ Ich legte den Kopf schief: „Wo du recht hast.“ Das war wohl ein Fakt, der einfach nicht anzuzweifeln war. Was der Earl Phantomhive wollte, bekam er wohl auch. „Ah!“, kreischte Grell plötzlich und wirbelte zu Undertaker: „Da fällt mir noch was ein!“ „Und was?“, kam es gleichzeitig von Amy, Fred, Lee und mir, auf der gemeinsamen Suche nach dem Kontext. Es gab keinen. Ein kleiner Windstoß ging durch den Raum. Undertaker strauchelte einen Schritt nach hinten, als Grell ihm auf einmal um den Hals hing: „Ich hab‘ dir was versprochen!“ Undertakers Augen wanderten zu Grells Gesicht: „Nihihihi! Aha?“ Grell drückte Undertaker aus dem Nichts einen langen Kuss auf die Wange: „Das!“ Mit klappte der Kiefer auf. „Den hast du dir verdient, Liebelein!“ Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich stand vor den beiden Männern und fühlte mich wie vom Blitz getroffen. „Du bist einfach der Beste“, kuschelte sich Grell immer enger an Undertaker: „Der Hammer!“ Mit wurde heiß und kalt. Und das lag nicht an meinem Fieber. „Eigentlich hast du dir mehr als einen verdient!“, Grell drückte ihm noch einen Kuss auf die Wange. Fassungslos blinzelte ich der Szenerie entgegen. „Und den auch!“, Grell drückte noch einen Kuss auf Undertakers bleiche Wange: „ Ach Quatsch! Nicht ein oder zwei! Ganz viele!“ Wie ein Maschinengewehr verteilte Grell Küsschen auf Undertakers Wange. Kurz verschwand meine Überraschung in einer eisigen Ruhe. Keine Sekunde später ging mir die Hutschnur. „Hast du sie noch alle?!“, ich packte Undertaker am Schlafittchen und zog ihn ohne Vorwarnung an mich heran. Dadurch strauchelte der Bestatter und fiel mir in die Arme. Ich schnappte seinen Kopf und drehte mich halb weg: „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?!“ „Bist du von allen guten Geistern verlassen?!“, Grell blitzte mich böse an: „Ich wollte mich nur gebührlich bedanken! Kein Grund mich anzuschreien!“ „Dann sag einfach danke!“, zischte ich zurück. Die restlichen Personen im Raum blinzelten perplex. Selbst William und Sebastian. Grell drückte seine Nase auf meine: „Was soll das, du Ziege?!“ Ich drückte seinen Kopf nach hinten: „Du kannst doch nicht einfach anfangen fremde Männer abzuknutschen!“ Grell drückte meinen Kopf zurück: „Und warum genau hast du zu entscheiden, wen ich zu küssen hab?!“ Ich drückte wieder seinen Kopf zurück: „Das verrät der Anstand, du Crétin!“ Grell zog mit einem empörten Luft einziehen den Kopf zurück: „Für wen hälst du dich?! Den Knigge der Neuzeit, oder was?!“ „Ich habe wenigstens Manieren im Gegensatz zu dir!“ „Natürlich! Jemanden in deiner Oberweite zu versenken ist auch so viel manierlicher!“ Ich blinzelte: „…Was?“ Ronald, der wie ich jetzt bemerkte schon seit einiger Zeit kicherte, fing lauthals an zu lachen und drehte sich mit einer weiten amüsierten Geste weg. „Ignoriert mich“, hörte ich ein Kichern von unten: „Kehehehe! Mir geht es hier gut!“ Ich schaute nach unten. Undertaker winkte mir breit grinsend… Mit seinem Kopf von mir selbst gegen meine Brust gedrückt… Oder eher… In meine Brust! „AH!“, ließ ich ihn mit einem spitzen Schrei los. Mit einem erschrockenen Laut rasselte er zu Boden. „Wieso?“, jaulte der Totengräber auf den Dielen: „Ich habe doch gar nichts getan!“ Ronald hing lachend über der Couchlehne und schien recht fertig mit der Welt zu sein. Amy, Fred und Lee hatten angefangen zu kichern. William und Sebastian rollten simultan die Augen an die Decke. „Aber er hat Recht“, schmunzelte Lee amüsiert: „Es kommt nicht oft vor, aber er ist vollkommen unschuldig.“ Fred hatte seine Augen kichernd hinter einer Hand versteckt: „Was die Sache noch viel besser macht.“ „Oh mein Gott“, ich schlug eine Hand vor den Mund: „Undertaker, es tut mir leid!“ „Und wann entschuldigst du dich bei mir?!“, pikierte sich Grell. „Gar nicht!“, knurrte ich ihn an und steckte ihm die Nase ins Gesicht: „Ich war noch viel zu nett zu dir, du Knallerbse!“ Grell quetschte wieder meine Nase ein: „Du Elster!“ „Idiot!“ „Zimtzicke!“ „Vollpfosten!“ „Ziege!“ „Du…“, meine Konter verschwand in einem trockenen Husten und ich drehte meinen Kopf ab. Angestrengt kniff ich die Augen zusammen. Mein Fieber und der heiße Ärger zogen schmerzhaft durch meinen Kopf. „Meine Damen, nicht doch“, hörte ich ein altbekanntes Giggeln. Ich konnte nicht hinschauen. Mein Husten ebbte nicht ab. Ich hatte mich so dermaßen über Grell geärgert und es so wohl übertrieben. „Es gibt keinen Grund zu streiten“, Hände erschienen auf meinen Schultern. Mit einem raschelnden Atmen zwang ich meinen Hustenreiz herunter und schaute über meine Schulter in das Gesicht des Bestatters. Er grinste nicht. Eher schaute er mir reichlich besorgt mit zusammengezogenen Augenbrauen entgegen: „Du solltest dich ausruhen und nicht so furchtbar aufregen, denkst du nicht?“ „Aber…“, ich drehte mich zu dem Totengräber: „Er hat dich abgeknutscht!“ „Das macht er doch ständig!“, lachte Undertaker und hob eine Hand: „Wo ist das Problem?“ „Stört dich das nicht?“, schaute ich ihn mit zusammengezogenen Augen entgegen. Etwas in mir hoffte er sagte einfach ja. Etwas in mir wollte es störte ihn so massiv wie mich. Ich hatte es einfach nicht ausgehalten zu sehen, wie Grell Undertaker küsste. Auch wenn es nur auf die Wange war. Weil Undertaker gut aussah! Weil der Bestatter einen so unglaublichen Charakter hatte! Das war Grell sicherlich auch aufgefallen. Und dass Grell am anderen Ufer fischte, war nun mehr als nur offensichtlich. Von mir aus soll er sich an der seufzenden Spaßbremse und dem dämonischen Mädchen für alles gütig tun, aber ich wollte, dass er Undertaker in Ruhe ließ! „Nein“, machte Undertaker und klimperte mit den Augen. Diese Antwort traf mich wie ein Hammerschlag. Und seine Mimik ebenfalls. Weil ich diesen Gesichtsausdruck kannte: Undertaker verstand (mal wieder) das Problem nicht. „Siehst du!“, funkelte mich Grell mit verschränkten Armen an. „Ruhe auf den billigen Plätzen!“, fauchte ich zurück, durch meine innere Abgeschlagenheit reichlich aufgekratzt. „Stört es dich?“, fragte Undertaker mit rätselnder Mine. „Ja!“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Es störte mich massiv! Undertaker war nicht Grells Teddybär! „Warum?“, legte der Totengräber den Kopf schief: „Du hast mir gestern doch auch einen Kuss gegeben.“ Ich hielt wie vom Donner gerührt inne. „I-ich… äh… Ich… Ich…“, doch weiter kam ich nicht. Es war auch nicht so, dass ich mehr zu sagen gehabt hätte. Ich konnte weder Undertaker einfach so erklären, warum es mich störte, noch konnte ich irgendwie auf seine Feststellung reagieren. Natürlich wusste ich warum es mich störte. Ich war verliebt, ganz davon abgesehen wie sehr ich auf verlorenem Posten kämpfte. Doch ich wollte nicht, dass jemand in meiner Gegenwart einfach den Bestatter abknutschte, als gäbe es keinen Morgen mehr! Doch mit einem schrillen Quietschen schlang Grell die Arme um Undertaker und mich und entließ mich so aus der Pflicht Rede und Antwort zu stehen: „AH! Hat sie?! Oh mein Gott, wie süß!!~♥“ Undertakers und meine Nase stupsten gegeneinander. Der Bestatter lächelte mich kurz an, dann drehte er seine strahlenden Augen nach oben: „Sind wir heute wieder emotionsflexibel?“ Mit einem leisen ‚Rumps‘ rutschte Ronald von der Couchlehne und landete auf dem Boden. Sebastian und William seufzten tief. „Das ist total knuffig!“, quietschte Grell weiter. Undertaker schaute mich schmunzelnd an: „Ja, sind wir.“ Ich lachte debil auf: „Ehehehe… Ja, voll…“ „Sutcliff!“, eine Astschere traf hart Grells Kopf: „Benimm dich!“ „Aua!“, Grell ließ uns los: „Willi!“ Ich strauchelte, als der rote Reaper mich losließ, doch Undertaker schnappte mich an der Taille und bewahrte mich so vorm fallen. „Nenne mich nicht Willi!“ „Womit habe ich diese Behandlung eigentlich immer verdient?!“ „Mit deinem Benehmen“, schien Fred eher auf Williams Seite zu sein. „Was aber unglaublich unterhaltsam ist“, lächelte Lee, der wohl eher zu Team Grell gehörte. Die beiden Jungen schauten sich mit verschränkten Armen an. Fred genervt. Lee breit grinsend. Ronald starb derweilen auf unserem Dielenboden. Undertaker ließ meine Taille los, als auch er anfing mit zu kichern und seine hängende Hand vor den Mund hob. Sebastian legte mit erhobener Augenbraue eine Hand ans Kinn. Mir entfleuchte eine Mischung aus Seufzen und Schmunzeln, als die Runde sich in einem konfusen hin und her verstrickte, was wohl mal ein Gespräch werden wollte. Dann musste ich wieder husten. Eine Hand erschien auf meiner Schulter: „Geht’s, Süße?“ Ich schaute Amy an und nickte: „Irgendwie.“ Amy schüttelte mit einem milden Lächeln den Kopf: „Was machst du denn auch für Sachen? Was ich dir geraten habe, war nie als Kamikazeaktion gemeint.“ „Du sagtest doch selbst, wenn es zu lange so läuft vertue ich wahrscheinlich meine Chance.“ „Er hätte aber anders reagiert hätte er gewusst, dass du krank bist.“ „… Denkst du?“ Amy nickte: „Er hat sich doch prompt um dich gekümmert, oder nicht? Das hätte er so oder so getan.“ Ich schaute lächelnd schräg zu Boden: „Weißt du… Ich bin eigentlich nur froh, dass alles wieder so ist wie vorher. Egal, wie es dazu kam.“ „Und weiter?“ Ich zuckte die Schultern und schaute auf den Bestatter, der wie gewohnt wie ein Verrückter lachte. Ich schaute zurück zu Amy mit einem Blick, der ihr zu verstehen gab, dass ich hier nicht frei reden wollte. Amy nickte. Dann schaute sie auf die Szene im Wohnzimmer. „Weißt du woran mich das erinnert?“, fragte sie mit einem verträumten Tonfall. „An ein Irrenhaus?“, klang meine Stimme in Kontrast dazu reichlich trocken. „Nein“, schmunzelte Amy. Dann neigte sie den Kopf: „Oder ja, ein bisschen. Aber ich will eher darauf hinaus, dass ich gestern Abend mit Lee ‚Die Schöne und das Biest‘ geschaut habe und mich dieser Taubenschlag, Schrägstrich, Hühnerstall irgendwie furchtbar an die vielen schrägen Gestallten erinnert.“ „Mit Lee, ja?“, grinste ich. „Was man mit seinem Freund halt so tut“, schlug mich die Phantomhive nach dem ersten Satz. Ich seufzte: „Check Mate.“ Dann schaute auch ich über das Bild der wirren Diskussion, dessen Thema ich schon gar nicht mehr verfolgen konnte: „Erinnert es dich wirklich daran? Ich fand ‚Alice im Wunderland‘ schon sehr passend.“ „Klar“, lachte Amy: „Aber schau mal.“ Sie zeigte auf Ronald: „Der Jungspund: Tassilo.“ Ich beschaute den jungen Reaper, der im Schneidersitz auf dem Boden saß und versuchte den Lachtränen und eigenem Gelächter endlich Herr zu werden. Dann zeigte Amy auf William: „Die Spaßbremse: Von Unruh.“ Ich zog amüsiert eine Augenbraue hoch, als ich den Reaper beschaute, der immer noch mit seiner Death Scythe auf Grell einschlug, in dem Bestreben für manierliche Besserung zu sorgen. „Ja, doch. Die Uhr passt“, nickte ich in der Erkenntnis, dass William sicherlich nie zu spät kam: „Aber das Läuten würde ihn nerven.“ „Das ist das tolle daran“, grinste Amy und wir kicherten synchron im Tuschel-Modus. Dann zeigte Amy auf Grell: „Madam Kommode, selbstredend.“ „Faust aufs Auge“, nickte ich mit verschränkten Armen. Die Phantomhive deutete auf ihren Bruder: „Mister ‚Ich bin ja so erwachsen‘: Madame, oder in dem Fall, Monsieur Pottine.“ Mein Kopf zuckte zu Amy: „Wäre er dann nicht Ronalds Vater?“ „Er wird es überleben“, grinste die Adelstochter und zeigte auf Sebastian: „Witherspoon.“ „Sebastian, die Brieftaube“, ich schmunzelte: „Der wird dir danken.“ „Tut er eh schon“, winkte Amy ab. Dann zeigte sie mit kreisenden Zeigefinger auf Undertaker: „Lumiére. 1:1.“ Ich schaute auf den Bestatter und musste fast laut loslachen, als ich ihn mir als kleinen Kerzenständer vorstellen musste: „Hihihi! Wo du Recht hast. Es gibt ja leider niemanden, der in einen Sarg verwandelt wurde.“ „Nein, Lumiére ist seiner. 100%“ „Diese Vorstellung“, lachte ich in meine Hand. Amy lachte mit: „Ich find den Gedanken daran bei allen gut!“ „Schon“, ich wischte mir die Kichertränen aus den Augen: „Aber Undertaker als Lumiére schlägt so schnell nichts“, dann schaute ich zu Amy: „Und du selbst?“ Amy legte eine Hand auf die Brust: „Schön, anmutig, belesen, schlau“, sie grinste mich an: „Belle natürlich!“ „Wow. Warst du schon immer so eingebildet?“ „Klar!“ Ich schüttelte den Kopf: „Der Wahnsinn“, ich schaute zu Lee, der auf Freds Schulter lehnte: „Ich habe eine Ahnung, wer das Biest ist.“ „Steht ihm, oder?“, Amy grinste breiter und klatschte in die Hände: „Ich habe Bilder im Kopf! Ganze Filme!“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „Mit ‘ner Trilogie kämst du nicht aus, oder?“ „Natürlich nicht!“ Ich blinzelte: „Würdest du den Fluch überhaupt brechen wollen?“ „Ja, im Leben nicht!“, lachte Amy vollkommen selbstverständlich: „Überlege mal was für Potenzial das hätte! Das wäre der Stoff aus dem Legenden sind“, sie stemmte die Hände in die Hüften: „Ich habe unzählige Szenen vor Augen. Allesamt zum Schreien! Das wäre der Burner!“, sie lächelte mich unschuldig an: „Und das recht wortwörtlich, weil du in 50% davon von Undertaker angezündet wirst.“ „Angezündet?“, ich zog die Augenbrauen zusammen: „Zu was willst du mich machen? Dem Hocker?“ „Du bist doch kein Hund!“, machte Amber: „Zu Babette, natürlich!“ Mich traf der Schlag: „Warte!... War Babette nicht…“ Amy grinste so breit, ich hatte Angst ihr fielen die Zähne aus: „Die Romanze von Lumiére? Genau!“ „Was?!“ „Passt doch!“ „Nein!“ „Aber klar!“ „Spinnst du?!“, ich wedelte mit den Händen: „Davon sind wir meilenweit, nein Kilometer, nein, hektarweit entfernt!“ Ich seufzte kurz: ‚Und… das wird sich wohl nie ändern…‘ „Aber als Sinnbild…“ „Nein!“ „Ach, komm schon!“ „Amber!“ „Skyler!“ „Noah!“, ich drehte mich ab und schüttelte den Kopf. Kurz folgten meine Augen Ronald, der sich ein Glas Wasser aus unserem Wasserhahn nahm, um seinem Glucksen Herr zu werden. Dann schaute ich wieder zu ihr: „Du bist sowas von un…“ Ich brach ab. Ein ekliger Gestank schlug mir aus dem Nichts entgegen. Meine weiten Augen klebten an dem Anblick hinter Amys Rücken. „Amy“, ich nahm sie an der Hand: „Geh‘ da weg.“ Amys Augen wurden riesig: „… Riechst du das?“ „Ja“, nickte ich, die Augen an dem abstoßenden Anblick förmlich festgenagelt. Ich zog an ihrer Hand: „Komm da weg.“ Doch die Phantomhive wirbelte herum: „Scheiße!“ Vor ihr stand der Zombie mit ausgestreckter Hand: „Gib mir…“ Dass Zombie-Vieh tapste nach vorne. „Amy!“, schrie ich aus voller Kehle und zog an ihren Arm. Die Phantomhive strauchelte nach hinten, gegen mich und zwang mich ein paar Schritte mit ihr zu gehen. „Geh weg!“, schrie die Adelstochter voller Panik. Das Stimmengewirr, was beständig durch den Hintergrund unserer Konversation gerauscht war, verstummte. „Wer?“, fragte Lee irritiert. „Das Vieh!“, antwortete ich panisch. „Wo?“, der Butler zückte fünf Silbermesser. „Direkt vor ihr!“, kreischte ich. Der Asiate machte einen Satz über den Kaffeetisch in unsere Richtung. Williams Death Scythe schwirrte los. Ronald und Grell zückten ihre. Ronald sprang auf die Couchlehne und wollte ein Satz darüber machen. Grells Death Scythe heulte, als er mit langen Schritten durch den Raum hechtete. Undertaker und Fred stürzten nach vorne. Natürlich war der Bestatter viel schneller als der Earl in spe. Doch keiner und nichts erreichte uns rechtzeitig. „Gib mir Leben!“, griff das Vieh Amy am Arm. „AH!“, nach Amys lautem Angstschrei raste ein ohrenbetäubendes Sirren, gefolgt von einem heftigen Windstoß und eine leuchtende Welle weißem Lichts durch den Raum. Die Fenster stoben. Lee, der zu Amy wollte, wurde aus dem Sprung nach hinten gerissen und landete klirrend in dem Glascouchtisch, der in tausend Teile sprang. Fred flog auf den Rücken. Ronald wurde von der wegfliegenden Couch geweht. Grell zog die Arme über den Kopf und machte sich klein, um wenigstens halbwegs stehen zu bleiben. William wehte die Brille von der Nase, als er nach hinten strauchelte. Sebastian warf die Messer, doch ich konnte nicht erkennen ob er traf. Denn ich wurde brachial von meinen Füßen hintenüber gerissen. Zwei Arme fingen mich. Ich sah noch kurz Undertakers ernsten Gesichtsausdruck, bis er mich in seine Arme zog, mein Gesicht in seiner Brust vergrub und sich über mich beugte. Der Windstoß drückte mich gegen ihn und hätte mich allein umgeschubst. Doch der Bestatter stand wie ein Fels in der Brandung. Das gleißende Licht verschlang in Sekunden den ganzen Raum und alle, die darin waren. Die Realität sprang wie Glas und verging in einem schwarzen Nichts. Als ich meine Augen wieder öffnete, war um mich herum alles dunkel. Benommen blieb ich einige Minuten liegen. Meine Ohren sausten und mir war schwindelig. Doch nach einiger Zeit fiel mir auf, dass etwas fehlte: Ich fühlte mich nicht mehr fiebrig. Träge hob ich meine Hand an meine Stirn. Ich fühlte nichts. Ich hatte das komische Gefühl, dass meine Hand nicht recht fühlen konnte. Doch sie fühlte sich nicht taub an. Dieses Empfinden war sehr seltsam. Ich vermisste die kranke Zerschlagenheit nicht, die mich jetzt schon seit einer knappen Woche quälte. Allerdings fühlte sich mein Körper stumpf an. Stumpf und steif. Schließlich setzte ich mich auf und stierte in die Dunkelheit. Meine Augen hatten sich daran gewöhnt, trotz allem sah ich nur wage Umrisse, so düster war es. Ich meine Regale zu erkennen, in denen verschiedene Dinge standen. Ichkonnte nicht erkennen welche, doch die Schemen wirkten riesig. Ich wollte meine Beine bewegen um aufzustehen. Da stockte ich. Irritiert zuckte ich mit meinen Beinen. Sie fühlten sich an, als seien sie zusammengebunden. Fest. Keinen Millimeter konnte ich sie auseinander bewegen. Auch meine Füße konnte ich nicht bewegen. Ich konzentrierte mich drauf… …Doch ich hatte das Gefühl sie seien gar nicht da. Ich zuckte immer panischer mit meinen Beinen. Mein Herz sackte ab und schlug wie verrückt. War ich gefesselt?! Schnürten mir zu eng gezogene Fesseln das Gefühl in meinen Füßen ab? Hatte mich irgendwer gefesselt und in einen dunklen Raum gesperrt? Ich konnte meine Knie knicken und strecken, doch ich schaffte es einfach nicht meine Beine auseinander zu ziehen! Ich tastete sie ab. Da stockte ich erneut. Warum sollte jemand meine Beine fesseln, aber meine Arme nicht? Die Arme fesselte man doch eigentlich zu erst. Ich schüttelte den Gedanken weg und tastete weiter. „Was zur…?“ Ich fühlt keinen Spalt zwischen meinen Beinen. Was ich ertastete fühlte sich an wie eine solide Einheit. Ich schaute mich um. Das Ohrensausen war abgeklungen. Nun war es einfach nur noch gespenstig still. Dafür schlug mir mein Herz noch lauter bis zum Hals. „Hallo?!“, rief ich. Wo waren die Anderen? Wir waren doch alle zusammen gewesen! Undertaker hatte mich sogar im Arm gehabt! Wo war ich?! „Ist hier jemand?!“ Stille. Paniktränen stiegen in meine Augen. Ich hatte Angst. Furchtbare Angst. Da ich nicht wusste wo ich war. Ob ich alleine war. Warum sich mein Körper so komisch anfühlte und ich mich nur eingeschränkt bewegen konnte. Ich verstand das alles nicht! „Undertaker?!“ Keine Antwort. Wäre der Bestatter hier gewesen, hätte er mir 100% geantwortet! Egal was war! Tränen rollten aus meinen Augen. Doch wie sie über meine Wangen rollten spürte ich nicht. „Amy?!“ Stille. Ich wedelte weiter mit den Beinen und versuchte was mich zusammenschnürte abzuschütteln. Vergebens. Ich zerrte und zog mit meinen Knien. Keine Chance. Tastete wie von Sinnen meine Beine ab. Ich suchte Riemen oder Seile, irgendetwas was mich fesselte, damit ich es runter streifen konnte. Doch meine Finger fanden nichts. „Grell?!“ Tränen rollten weiter aus meinen Augen. Panisch und voller Angst verfiel ich in eine hastige Schnappatmung. „Ronald?!“ Wo waren alle hin?! „William?!“ Wie viel Zeit war vergangen?! „Fred?! Lee?!“ Was war überhaupt passiert?! „Sebastian?!“ Doch meine Rufe blieben unerhört. Nun war ich mir sicher: Ich war allein. Unkontrolliert fing ich an zu zittern. Was sollte ich denn jetzt tun?! Die Hände vor mein Gesicht geschlagen zwang ich mich durchzuatmen. Ich krabbelte auf meine Knie und hüpfte irgendwie nach vorne. Es muss irgendwo eine Türe gegeben! Ich musste sie finden! Während ich nach vorne robbte, versuchte ich verzweifelnd mein Herzrasen und die Schnappatmung in den Griff zu kriegen. Dann rutschten meine Hände ab. Der Boden war zu Ende! Mit einem spitzen Schrei rasselte ich in die Tiefe. In eine sehr tiefe Tiefe. Mehre Sekunden dauerte es, bis es blechern schepperte und mein Fall sehr unsanft gestoppt wurde. Benommen schüttelte ich meinen Kopf und setzte mich wieder auf. Dann blinzelte ich wieder verwirrt. Ich hatte mir nicht weh getan. Ich hatte mir gar nichts getan! Nicht, dass es mir missfallen würde, doch es war unlogisch. So tief wie ich gefallen war, hätte ich mir Knochen brechen müssen! Ich war mir sicher! Doch ich hatte noch nicht einmal an den Stellen Schmerzen, mit denen ich aufgekommen war. Ich verstand die Welt nicht mehr, was meine Panik anfeuerte und mich nach Luft hecheln ließ. „Hilfe!“, schrie ich durch meinen Tränenschleier. Auf den Knien tastete ich mich über den Boden. Jeder Hüpfer wummerte blechern, als würde man etwas Hartes gegen Metall schlagen. Irgendwann fanden meine Hände eine Wand und irgendwie schaffte ich es mich daran hoch zu ziehen und auf meine gefühlt nicht vorhandenen Füße zu stellen: „Ist hier denn niemand?! Hilfe! Bitte! Hilfe!“ Etwas quietschte. Ich schaute an die Decke. Das Geräusch kam von oben! War das ein Scharnier? Licht sickerte in den Raum. Um mich herum war alles silbern. Blech! Ich schaute aus einer runden Öffnung in den Raum, indem ich aufgewacht war. Es standen Regale an den Wänden. Regale mit Haushalts- und Putzutensilien. Ich sah Handbesen, Kehrbleche und Besenstiele. Ich blinzelte vollkommen überfordert. War das eine Besenkammer? Hockte ich in einem Eimer? Doch… Wie?! Ich war nicht groß, doch wie sollte ein Mädchen von 1,72 Metern in einen Blecheimer passen?! Und warum waren die Regale und alles darin so groß?! „Sky?“ Die bekannte Stimme hatte etwas Erlösendes. „Amy!“, schrie ich schrill: „Ich bin hier!“ Das Gesicht der Phantomhive erschien in der runden Öffnung, aus der ich in die holzverkleidete Kammer schaute. Meine Erleichterung verflog. Amy war groß! Quatsch! Ein Riese! „Hey Süße“, lächelte die Phantomhive und stellte einen dreiarmigen Kerzenständer, der die kleine Kammer mit dem durch die Türe sickernden Licht erleuchtete, auf einem Regalbrett ab. Dann fischte sie mich aus meiner Falle. Da erkannte ich erschrocken, dass ich kniend in ihre Hände passte! Amy kicherte: „Gut siehst du aus. Richtig knuffig.“ „Wa… Knu…“, ich schaute Amy an und war total verwirrt. Ihre langen blau-schwarzen Haare waren in eine elegante Flechtfrisur hochgesteckt und sie trug ein aufwendiges lichtblaues Abendkleid, mit etlichen Verzierungen und mehrfach gerafften langen Rock. „Was… Knuffig? Warum? Wie… Wie siehst du eigentlich aus? Was trägst du da? Warum bist du so riesig?!“ „Ich bin nicht riesig, Sky. Du bist klein“, Amy wog den Kopf: „Ich denke… 30 cm Grifflänge… und mit Wedel ca. 60 cm.“ „60cm!?“, entfuhr es mir schrill: „Griff?! Wedel?! Amy, was redest du da?!“ Die Phantomhive schaute sich um. Dann schob sie mich auf eine ihrer Hände. Da ich doch nicht klein genug war auf eine Hand Amys zu passen, baumelten meine Beine ihre Handkante herunter. Sie griff ein teilweise angelaufenes Metalltablet: „Hier.“ Obwohl es nicht im besten Zustand war, sah ich in dem Tablet mein Spiegelbild. Auch wenn ich es erst nicht recht als meins erkannte. Mit offenen Mund starrte ich ihm entgegen. Ich erkannt meine Haare. Hinter meinen Pony saß ein schwarzes Haarband und mein Halbzopf hielt kein Gummi, sondern eine plüschige schwarze Schleife was mir fremd war, doch es waren meine Haare. Ich erkannte mein Medaillon und meinen Pentagrammanhänger um meinen Hals. Auch erkannte ich meine Augen. Das Gesicht was mir entgegen schaute war definitiv meines. Und doch sah es komplett anders aus. Mein ganzer Körper sah komplett anders aus! Ich fuhr mit meiner Hand über mein Gesicht, welches mir haselnussbraun und hölzern entgegen schien. Dann schaute ich auf meine Hände. „…Holz…“ Sie waren aus Holz! Ich hatte meine üblichen fliederfarben lackierten Fingernägel und um meine Handgelenke zogen sich zwei breite weiße Armbänder, doch meine Hände… meine Arme waren aus Holz: „Was zur Hölle?!“ Ich schaute auf meine Beine, die überhaupt keine Beine mehr waren! Anstatt meiner Füße starrte ich auf endlos viele braune und weiße Bosten, die durch zwei goldene metallische Ringe, dort wo meine Waden hätten sein sollen, mit einem massiven Holzstab verbunden waren. Ich konnte ihn dort knicken, wo eigentlich meine Knie hingehörten. Ich schaute wieder in das Tablett. Um meinen Körper zog sich ein schwarzes Kleid mit weißen Saum, kurzen Puffärmelchen und quadratischen Ausschnitt, die in kleinen Rüschen abgenäht waren. Darüber zog sich eine enge Schürze mit runden Rock, die unter meiner Brust endete. Von ihr zogen sich zwei dünne Träger mit Rüschen über meine Schultern. An meiner Taille wurde die Schürze von einigen großen Holzknöpfen geschlossen. Ich drehte meinen Kopf zu Amy: „Ich bin ein Staubwedel!“ Der Groschen in meinem Kopf rang plötzlich ohrenbetäubend laut. „Ich…“, ich schaute von Amy auf das Tablett und zurück: „Ich bin Babette!“ Amys lächelte verunglückt: „So… sieht es aus.“ Ich blinzelte sie an. „Wie…“, meine Gedanken überschlugen sich: „Warum?!“ „Das wissen wir nicht“, tönte es durch ein Flattern. Groß wie eine Taube landete Sebastian auf Amys Schulter. Anstatt Füße hatte er ein vogelähnliches Paar Krallen und aus seinen Armen wie hinteren Jackettschoss schauten große, graue Federn. Doch ansonsten wirkte der Butler wie immer. „Witherspoon…“, hauchte ich. Sebastian nickte: „So scheint es.“ „Das ist alles ziemlich verrückt“, stellte Amy das Tablett wieder in den Schrank und half mir mit der nun freien Hand auf die Füße… Borsten… was auch immer. Ich stand recht wackelig und ruderte mit dem Armen, sodass ich mich halb umgefallen an Amys Brust abstützte. „Verrückt ist leicht untertrieben!“, versuchte ich auf den komischen Borsten meine Balance zu finden: „Ich habe keine Beine mehr! Geschweige denn Füße!“ Ich schaute als ich stand noch einmal in das auf dem Regalbrett aufgestellte Tablet, in der naiven Hoffnung es zeige mir nun etwas anderes. Was es nicht tat. Eher erkannte ich etwas noch Schlimmeres: „Was ist denn das?!“ „Was?“, fragte Amy verwirrt. „Dieser Fummel!“, ich drehte den Rücken zum Tablet und schaute über die Schulter. Hecktisch zog ich an dem Rocksaum herum: „Der ist viel zu kurz!“ „Machst du dir gerade tatsächlich sorgen um dein Outfit?“, fragte die Phantomhive trocken wie verständnislos. „Sagt diejenige im schicken Ballkleid!“ Amy fing an zu lachen: „Haben wir nicht wichtigere Probleme?“ Ich zupfte weiter an dem Rocksaum herum: „Es gibt Kleidungsstücke, die eine gewisse Länge haben sollten! Und der Rock einer Hausmädchenuniform gehört definitiv dazu!“ Amy lachte weiter: „Hast du Angst jemand kommt auf falsche Gedanken oder guckt dir was weg? Es ist ja schon fraglich, ob du im Moment etwas zum Weggucken hast.“ „Wir werden es nicht herausfinden, klar?!“, keifte ich. Jetzt fing sogar Sebastian zu Schmunzeln an. Auch Amy grinste noch breiter: „So kurz ist er auch nicht.“ „Warum trage ich so ein Ding überhaupt?!“ „Weil Babette das Hausmädchen ist und dementsprechend auch eine Hausmädchenuniform trägt“, erläuterte Sebastian den Fakt, den ich mir selbst habe erschließen können und nicht wirklich vor Augen geführt haben wollte. Der Dämon schaute zu Amy: „Allerdings sind sie traditionellerweise tatsächlich etwas länger.“ Amy kicherte: „Ich finde, das steht dir gut.“ „Das steht mir gut?!“, ich legte eine Hand über die Augen: „Ich sehe aus wie ein Flittchen…“ „Nihihihihihihi! So schlimm ist es auch wieder nicht!“ Ich fror ein. „Amy“, ich schaute durch zwei Finger: „Sag‘ bitte nicht das war…“ „Der Kerzenständer“, nickte sie breit grinsend. Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Der was?“ Amy deutete mit dem Daumen auf das Regalbrett: „Der Kerzenständer.“ Langsam drehte ich meinen Kopf zu dem auf dem Regalbrett neben dem Tablett stehenden dreiarmigen Kerzenständer… … der mir breit grinsend zu winkte. Meine Hand fiel herunter und mir klappte der Kiefer auf. Was ich sah war ebenfalls eine komische Mischung aus altbekannten Zügen in neuer Facette. Ein scharf geschnittenes Gesicht geformt aus Wachs. Darin eingekerbt eine lange Narbe. Auf dem Kopf stand eine große Kerze, die gemächlich vor sich hin loderte und mindestens genauso schief und scheel wie sein ganzer Charakter war. Seine langen Haare hingen als tropfender Wachsstrom über seine Schulter und versauten seinen großen achteckigen Standfuß und den Boden um ihn herum mit kleinen eierschalenweißen Tröpfchen. Sein Oberkörper steckte in einem royal wirkenden langen, offenen, schwarzen Mantel mit Stehkragen, breitem Revers und silbernen Säumen. Die Ärmel waren nur ¾ lang und einmal umgeschlagen. Unter dem Mantel trug er ein nicht ganz zugeknöpftes weinrotes Hemd mit schwarz-silberner Weste und seinen Pentagrammanhänger. So gab sein Assemble den Blick auf die goldenen metallischen Unterarme und die Schlüsselbeinpartie frei. Dort waren die Narben zusammengenietete Risse im Metall. Seine Beine waren nur noch der metallische Schaft eines Kerzenständers. Trotz der schimmernden goldenen Farbe wirkte der metallische Körper eher ramponiert. Abgesehen von den geflickten Rissen, waren noch einige Platten aus silbernen und bronzenen Metall an seinem goldenen Körper fest genietet. Um seine Hüfte war ein ebenfalls weinrotes Tuch gebunden, um das seine goldenen Anhänger hingen. Seine langen schwarzen Fingernägel wirkten auf den wächsernen Händen wie Dochte. Auf dem Mittelfinger jeder Hand flackerte eine orangene Flamme. Ich blinzelte der Gestalt entgegen, die mir so fremdartig vertraut war: „…Undertaker?“ „Nihihihi!“, Undertaker verbeugte sich überkorrekt: „Nun, ich glaube im Moment ist mein Name Lumiére.“ Ich fasste nicht was ich sah. Natürlich war es komisch den Bestatter in Form eins dreiarmigen Kerzenständers wiederzusehen. Doch viel komischer war, dass ihn diese Form noch nicht mal verschandelte. Im Gegenteil! Der schwarze Mantel stand ihm gut. Hatte ich den Totengräber auch vorher nie rot tragen sehen, es kleidete ihn. Seine Optik hatte etwas kaum beschreibliches, doch ich fand ihn immer noch überaus ansehnlich. Gut gebaut in golden. Es hätte ihn schlimmer treffen können. Doch ich war mir fast sicher, dieser Mann würde auch dann noch gut aussehen, wenn er den bellenden Hocker erwischt hätte! Schöne Menschen entstellte wohl wirklich nichts. Dasselbe galt wohl auch für geistig entartete Todesgötter. Und Undertaker war in so gut wie jeder Lebenslage schon fast unverschämt attraktiv. Sein übliches albernes Grinsen war ansteckend. Sein Lächeln verursachte ein warmes Gefühl in der Brust. Schlafend wirkte er richtig friedlich und verschlafen fand ich ihn furchtbar niedlich! Sein ertapptes und entschuldigendes Grinsen war unerhört süß. Sein Gesichtsausdruck wenn er grübelte machte sofort auf seine Gedanken neugierig und wenn er etwas dümmlich durch die Gegend blinzelte, fand ich es meist unglaublich komisch! Wenn er traurig schaute hatte er eine ganz eigene Ausstrahlung. Melancholisch und alt. Wobei alt hier nicht ansatzweise negativ zu werten ist. Schließlich war der Bestatter wohl auf ewig in seinen goldenen 30ern hängen geblieben, wirkte dadurch reif, aber nicht gealtert. Eher strahlt er eine gewisse Weisheit aus. Selbst sein gruseliger Gesichtsausdruck, dieser dunkle böse Schimmer, hatte etwas was an Reiß grenzte. Seine Präsenz explodierte förmlich. Das war einschüchternd und furchterregend, aber irgendwo auch sehr faszinierend. Undertaker sah einfach gut aus! Er war groß, recht drahtig und sein Gesicht war bis auf der asymmetrischen Narbe, komplett symmetrisch. Das wirkte einfach! Allerdings schluckte sein üblicher dreilagiger Aufzug mit Hut und Pony fiel davon. Ein Großteil seiner Mimik ging verloren. Sein Mund machte meist das Gleiche, man brauchte seine Augen und seine Augenbrauen um herauszufinden, was für eine Art von Grinsen er gerade aufgelegt hatte. Der weite zweite Mantel schluckte viel seiner athletischen Figur. Der Zylinder war so alt und abgetragen, dass er seine Optik sogar ein bisschen verramschte. Wenn er zuhause war, seinen zweiten Mantel samt Hut an die Garderobe gehängt hatte und seinen Pony nach hinten gewischt hatte mochte ich ihn am liebsten. Der untere Mantel war im Vergleich zu dem ersten extrem figurbetont, eher eine Robe, und sah man seine Augen kam jede Hilfe eh viel zu spät. Und da auch dieses Hemd verboten gut saß, konnte ich nicht wegschauen. Oder meinen Mund zumachen. Oder realisieren, dass ich ihn mit offenstehendem Kiefer anstarrte. „Fuhuhuhu!“, die Stimme des Bestatters weckte mich aus meinem ungenierten Mustern. Ich klappte meinen Kiefer zu, als mir peinlich erschrocken auffiel, dass ich ihn mehr als einen Augenblick mit offenen Mund begafft hatte. Doch der Totengräber wirkte davon vollkommen unbegeistert: „Ich, zumindest, sehe das Problem nicht. Weder an deinem modischen Zustand noch an der Tatsache keine Beine zu haben!“ Ich schaute den Kerzenständer weiter an mit meinem und seinem Aussehen noch gänzlich überfordert. Undertaker allerdings hüpfte kichernden und scheppernd von rechts nach links und zurück, wackelte dabei tänzelnd mit den Armen: „Kehehehe! Man gewöhnt sich daran! Ich finde es ja äußerst spannend! Probiere es! Nihihihihihi!“ „Undertaker“, seufzte ich mit hängenden Armen: „Du bist wahrscheinlich wirklich der Einzige, der so einer Situation etwas Gutes abgewinnen kann…“ „Ich bin von Natur aus neugierig“, grinste der Bestatter und bog sich lachend zur Seite: „Kehehehe! So etwas hatte selbst ich noch nicht!“ „Ganz toll…“, machte ich. Der Bestatter neigte sich zur anderen Seite: „Nihihi! Du hast die Anderen noch nicht gesehen!“ „Brauch ich auch nicht“, seufzte ich. Dann strauchelte ich ging in die Knie und hielt mich wieder an Amys Finger fest: „Ich will meine Beine zurück!“ „Wir sind alle eifrig auf der Suche nach einem Weg“, legte Sebastian die Hand auf die Brust. „Wie sind wir überhaupt hier hingekommen?“, ließ ich die Schultern hängen: „Warum sehen wir so aus?“ „Da hat unsere kleine Leuchte die beste Theorie“, deutete der Butler mit einer Verbeugung in Undertakers Richtung. Ich schaute den Bestatter wieder an. Dieser hatte die Arme verschränkt, musste allerdings seine brennenden Hände etwas abwinkeln. Mit einem breiten Grinsen schaute er mich an: „Ni hi hi. Ein Alp.“ „Ein“, ich blinzelte: „Ein Alp?“ „In der Tat“, grinste der Kerzenständer weiter. Amy schnappte ihn an der Säule und setzte mich auf ihren Unterarm daneben. Undertaker in der Hand, mich auf dem Unterarm und den Butler auf der Schulter ging Amy aus der Kammer und gab sicherlich ein drolliges Bild ab. Trotz meiner fragwürdigen Position in diesem Bild, traf mich die Vorstellung wie ein Geistesblitz. Wenn ich doch nur eine Leinwand hätte… Amy betrat einen Flur der so prunkvoll ausgekleidet und dekoriert war, dass die Villa Phantomhive dagegen wirkte wie eine bessere Stadtwohnung. Während Undertaker erzählte schweifte mein Blick über den roten Teppich, die hellen Steinfliesen, verzierte Kerzenleuchten und die unzähligen teuren Gemälde: „Ich denke, diese ganze Szenerie ist gar nicht echt.“ Ich schaute zu dem Bestatter: „Inwiefern nicht echt?“ „Wir schlafen und all das hier ist nur ein Traum. Entsprungen der blühenden Fantasie unserer jungen Lady Phantomhive“, giggelte der Bestatter. „Ja ja“, stöhnte Amy: „Nun bin ich es wieder schuld.“ „Warte!“, mein Kopf wirbelte herum: „DU stehst im Moment total auf die Schöne und das Biest und DAS ist genau die Rollenverteilung, die DU dir ausgedacht hattest!“ „Ich gebe ja zu“, die Adelstochter wog den Kopf: „Es gibt Parallelen…“ „Amy!“ „Ist ja gut“, sie seufzte: „Es ist alles genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte.“ „Alles?!“ „Ja, alles.“ Ich schaute auf meinen Rock und wieder in Amys Gesicht. „Auch das“, nickte sie. Ich zog meine Augen zu Schlitzen: „Das vergebe ich dir nie.“ Amy seufzte erneut. Der Kerzenständer neben mir fing an zu lachen. Ich schaute ihn an und wedelte mit den Händen: „Ok! Oder eben nicht! Also: Das hier ist Amys verquere Traumwelt, aber wo sind dann wir? Also, die wirklichen wir. Und wie können wir alle dasselbe träumen?“ „Ein Alp… Huch!“, Undertaker hob einen brennenden Zeigefinger. Er war wohl unabsichtlich dem Mittelfinger zu nah gekommen und der Bestatter schaute ihn erst doch recht scheel an. Dann pustete er ihn aus, hob ihn erneut und grinste als sei nichts gewesen: „Ist ein Geist, welcher die Möglichkeit hat das Vorstellungsvermögen von Menschen zu kontrollieren“, er legte den Kopf schief: „Und es zu verspeisen.“ „Was?“, machte ich verwirrt: „Ein Alp ist ein Geist? Sind Alps nicht eigentlich fiese, kleine Fabelwesen?“ „Was ihr Menschen als Fabelwesen bezeichnet, sind meistens Geister. Oder Engel in Verkleidung. Oder Dämonen, die Langeweile haben. Oder Sensenmänner auf Abwegen, ehehehe!“, Undertaker hob eine Hand: „Es gibt unzählige Arten zu sterben. Und jede Art hat einen Effekt auf die verstorbene Seele, sollten die Reaper schlampen und ein Geist dabei herauskommen. Menschen, die beispielsweise unverrichteter Dinge sterben, bleiben meist optisch dieselben. Abgesehen davon, dass sie auftauchen und verschwinden können, wie sie lustig sind. Kehehehe! Oft werden sie zu Poltergeistern, da die Menschen, mit denen ihr unvollrichtetes Geschäft zusammenhing, vorher starben, sie es so nicht zu Ende bringen konnten und verrückt werden. Menschen, die sehenden Auges den Tod starben, vor des sie sich am meisten fürchteten, werden oft ein Alp. Sie sind angefüllt von Angst, von negativer Energie, sodass sie verzweifelt versuchen es wieder auszugleichen. So fressen sie die guten Träume ihrer Opfer, werden dadurch auch stärker. Die Kraft der Gedanken ist nicht zu unterschätzen. Was für ihre Opfer übrig bleibt sind die Alpträume, in denen das Alp meist die Hauptrolle spielt. So gesehen ist ein Alb ein Gedankenparasit. “ „Ok“, machte ich: „Glaube ich… Aber wie kommen wir hier wieder raus?“ „Das ist die große Frage“, sagte Sebastian. „Vielleicht haben die Anderen eine Idee“, grübelte Amy: „Lasst uns so oder so zu ihnen gehen.“ „Wie haben sie es aufgefasst?“, schaute ich Amy an: „Also ihr… Make over?“ Undertaker fing neben mir so dreckig an zu lachen, dass ich eine Antwort Amys eigentlich gar nicht mehr brauchte. „Einstimmig“, sagte die Phantomhive zögernd. „Dagegen“, ergänzte der Bestatter giggelnd. „Es sind leider nicht alle so offen wie Undertaker“, seufzte Amy. „Lasst mich raten“, machte ich und hob eine Hand: „Du und Undertaker finden das alles furchtbar lustig, während jeder der Anderen seine ganz persönlichen Art von Anfall bekommt?“ „Jap“, machten die beiden Scherzkekse wie aus einem Munde und grinsten dabei so breit sie konnten. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Ich wollte meine Beine zurück und meinen Tastsinn wieder zu bekommen fände ich auch ganz fein. Doch schien die Lösung für unseren ‚Zustand‘ noch nicht einmal in den Kinderschuhen zu stecken. Amy bog in eine Tür ein. Mir klappte der Kiefer auf. Wir kamen in eine Bibliothek. Eine riesige Bibliothek! Für einen Moment vergaß ich die Tatsache, dass mich Amys eigentümliche Fantasie in einen Staubwedel verwandelt hatte und beschaute mit großen Augen die vielen Bücher. Neben mir hörte ich ein Lachen. Ein gefälliges Lachen. Ich drehte meinen Kopf mit zusammengezogenen Augen zu dem Bestatter: „Was lachst du?“ Er stützte seinen Ellbogen auf den anderen Arm und seine Wange in die Hand: „Ke he he, zumindest die Bibliothek scheint dir zu gefallen.“ Doch ich schaffte es nicht ihm zu antworten. Kaum hatte er sein Gesicht in seine Hand gestützt, musste ich anfangen furchtbar zu lachen. Undertaker zog ein wenig verwirrt eine Augenbraue hoch: „Nihi! Was ist so lustig?“ Ich musste noch mehr lachen, da der Totengräber nicht zu verstehen schien, was er gerade eigentlich tat! Ich zeigte ihn sein Gesicht. „Dein Gesicht ist aus Wachs!“, japste ich durch mein Lachen recht atemlos. „Ja“, machte Undertaker langezogen und hob die Hand fragend, auf der eben noch sein Gesicht gestützt war: „Und?“ „Und dein Mittelfinger brennt!“ Bei Undertaker fiel der Groschen. Nur fiel die rechte Seite seines Gesichts schneller. Die war schon halb seine Schulter hinunter! Ich atmete ein paar Mal tief durch, doch Herr wurde ich meinem Lachen nur bedingt: „Wie das aussieht!“ „Deswegen sehe ich so komisch!“ Es sah so dösig aus. Eigentlich sehr morbide, schließlich floss dem Bestatter gerade das rechte Auge davon, aber auch wirklich dösig. „Du siehst etwas?“, unterbrach eine bekannte Stimme die Situation, durch ein lautes Poltern. Ich wischte mir mit meinen stumpfen Holzhänden durch mein Gesicht und drehte mich um. Dann fiel mir der Kiefer hinunter. „Ja ja“, machte Grell: „Schau nur. DAS hat die feine kleine Lady Phantomhive mir angetan!“ „Ich habe mich doch schon entschuldigt!“ Doch Grells säuerlicher Gesichtsausdurch unter seiner roten Brille ließ sich durch nichts erweichen, was Amy hätte tun können. Er hatte genauso das Holz-Los gezogen wie ich, das verriet schon sein Gesicht unter der roten Mähne. Doch war sein Holz viel rötlicher als meines. Sein Oberkörper war ein kleiner, geschwungener, schön mit Gold verzierter Schrank mit 2 Türen aus dessen Seite 2 Arme in Rüschenärmeln wuchsen. Dieser stand auf einem größeren rechteckigen Schrank mit 3 Schubladen. Um seinen Hals zog sich eine edle weiße Schleife. Der rote Reaper verschränkte seine Arme vor seinen Türen: „Ich bin ein beschissener Schrank!“ „Gihihi! Was ist daran so schlimm?“ „Ich habe noch nicht mal Beine!“ „Meine Rede“, stimmte ich Grell mit verschränkten Armen und einem Nicken zu. „Und meine Silhouette ist versaut!“ „Oh man…“, Amy drehte die Augen an die Decke: „Noch jemand, der sich über Nebensächlichkeiten pikiert…“ „Hast du dir mal angeschaut wie ich aussehe!“, Grell drehte sich und wackelte provokativ mit seinem Unter…schrank: „Quadratisch, praktisch, gut!“ „Na, ih hi hi! So dramatisch ist es auch nicht.“ Grell fuhr herum: „Bist du eigentlich…!“, dann zog er recht perplex eine Augenbraue hoch: „Was zum Henker tust du da?“ Ich drehte mich um. Undertaker hatte sich die Hände gelöscht und war damit beschäftigt seine rechte Gesichtshälfte wieder neben die linke zu schieben. Über den Erfolg dieser Unternehmung konnte man allerdings streiten. Ich kicherte in meine Hand als ich sah, wie der Bestatter sich das Wachs ins Gesicht drückte damit es ihm nicht endgültig davon lief. Mit ‚Formschönheit‘ hatte was dabei herauskam allerdings nicht mehr viel zu tun. Oder einem Gesicht. „Nun“, der Bestatter lachte und hob mit einem Schulterzucken die Hände, in denen er noch Wachs von seinem Gesicht hielt. Es tropfte gemächlich zu Boden: „Ich versuche mein Gesicht zu retten!“ Grell schüttelte den Kopf: „Erfolglos.“ Undertaker grinste mit dem Mundwinker, den er noch übrig hatte: „So scheint es, kehehe!“ Amy wischte sich mit der verbliebenen Hand durch ihr Gesicht: „Ich organisiere gleich ein Messer. Grell? Wo sind die Anderen?“ „Messer?!“, entgeistert schaute ich zu Amy. Warum wollte die Phantomhive denn mit einem Messer auf Undertaker los gehen?! Sie hob eine Augenbraue: „Soll ich ihm sein Gesicht mit den Fingernägeln zurecht schnitzen?“ „Ehehehe…“, lachte ich debil. Im Nachhinein war es so offensichtlich, dass mein Ausbruch mal wieder nur noch peinlich war: „Klar, natürlich. Hast recht…“ Amy schüttelte mit einem Schmunzeln den Kopf und wandte sich zu Grell: „Und?“ Dieser stemmte seine Hand in die Kurve des oberen Schrankes, der entfernt an eine Taille erinnerte: „Da wo sie vorher waren. Die sind gerade nicht so gut zu Fuß.“ Ich schaute Amy an: „Hat irgendwer noch Füße?“ „Nun, Sebastian, Lee und ich“, Amy setzte sich in Bewegung und Grell watschelte ihr beschwerlich hinterher. Erst die linken zwei Füße, dann die rechten. Das sah zwar noch ein wenig ungeübt aus, war aber an sich keine schlechte Taktik. Ich schaute auf meinen Wedel. Mit einigen Mühen, schaffte ich es ihn in der Mitte ein bisschen abzuteilen. Vielleicht konnte ich mir so etwas ermogeln was Füßen ein bisschen ähnlich war und halbwegs laufen… In einer Ecke der großen Bibliothek flackerte ein prunkvoller Kamin. Riesig, wie alles in diesem… Haus? Nein. Ich war mir sicher, dass hier war ein Schloss. Wäre ich nicht ein kleiner Staubwedel und würde mehr tragen, hätte dieser Traum definitiv Potenzial. Vor dem Kamin stand ein dick gepolsterter Sessel und ein großer, verzierter Holztisch. Auf dem Sessel saß eine komisch geartete Gestalt. Ich erkannte den Mann und machte große Augen: „Lee!“ Der Asiate drehte sein Gesicht vom Tisch weg und stand auf. „Wen haben wir denn hier?“, fragte er und kam mit einer weiten Armgestehe auf uns zu. Er beugte sich zu mir hinunter: „Wenn das nicht die entzückende Babette ist!“ Ich schaute in Lees schmale Augen, die mich mit katzenartigen Pupillen in der haselnussbraunen Iris zurück anschauten. Er grinste mich sicherlich eigentlich freundlich an, doch die scharfen Zähne in seinem Mund nahmen dem doch ein großes Stück Sympathie. Aus seinen dunkelbraunen Strubbelhaaren schauten zwei große Hörner heraus. Er trug einen reinweißen Gehrock, ein weißes sehr prunkvolles Rüschenhemd, schwarze Halbschuhe und eine elegante schwarze Hose. Um seinen Hals hingen neben seinem Pentagrammanhänger noch einige Goldketten und an seinen Fingern blitzten neben einigen großen Ringen spitze schwarze Klauen anstatt Fingernägel. Ich staunte nicht schlecht aufgrund der Veränderungen an dem jungen Asiaten. Das komischste an seinem Aussehen war allerdings eine dicke Blutspur, die wenn auch sehr gemächlich aus einer klaffenden Wunde an seinem rechten Hals in seine strahlendweiße Oberkörperbekleidung sickerte und so unendlich makaber, wie besorgniserregend wirkte. Ich schaute ein weiteres Mal zu Amy: „War das Biest nicht eigentlich hundeähnlich?“ Die Phantomhive grinste ein wenig ertappt: „In meinem Kopf habe ich das vielleicht ein bisschen… ummodelliert.“ „Ich sehe es“, etwas verstört schaute ich auf die rote Spur: „Aber was soll die Wunde?“ „Die“, Amy sah ein wenig besorgt aus: „Kommt nicht von mir.“ „Wie?“, verwirrt schaute ich sie mit klimpernden Augen an. „Hier scheint wirklich alles auf meinem Mist gewachsen. Außer das.“ Ich schaute zu Lee: „Die sieht übel aus.“ Lee befühlte seinen Hals: „Das sagen alle. Sie brennt auch ganz furchtbar. Doch ich denke, es handelt sich um einen Effekt. Blut in weißen Klamotte sieht doch extra dramatisch aus.“ „Gihi“, kam es von neben mir: „Das ist allerdings ein Traum. Und in einem Traum hat man keine Schmerzen.“ Lee zuckte die Schulter: „Für die Größe müsste es auch mehr bluten.“ „Das ist wohl wahr“, kippte Undertaker seinen Kopf zur Seite. „Aber das ist doch Amys Traum“, schaute ich dem Totengräber in sein verpfuschtes Gesicht: „Warum gibt es dann Dinge, die gar nicht aus Amys Kopf kommen?“ „Sofern wir richtig liegen“, klang es durch ein mehrstimmiges Klacken und Klickern. Ich drehte meinem Kopf zu dem Tisch. Darauf standen eine Uhr, eine Teekanne und eine Teetasse mit eher sparsamen Gesichtsausdrücken. Das diese Gegenstände einen Gesichtsausdruck hatten war ebenfalls der Ca­sus knack­sus. William, Frederic und Ronald schienen mit ihrem Zustand wirklich nicht glücklich. Williams Körper war nicht mehr, als das Gehäuse einer schön gearbeiteten antiken Tischuhr. Auf Brusthöhe prangte ein großes, rundes Ziffernblatt mit römischen Ziffern und schön verschnörkelten Zeigern. Der braunrote Lack war verziert mit goldenem Muster und jeder Rand abgesetzt mit verschnörkelten Gold. Unter dem Ziffernblatt schwang hinter einem Glas ein rundes Bronzependel. Über dem Ziffernblatt schaute Williams Kopf, seine Schultern und Arme heraus. Er trug ein braunes Jackett mit langen hinterem Schoss, der über einen großen Teil des hinteren Gehäuses fiel, ein schlichtes weißes Hemd und eine Ascot-Krawatte. Seine Haut war so rostrot lackiert wie die Uhr und auf seiner Nasenspitze saßen 2 weitere Zeiger. Über besagte Zeiger hinweg schob William seine Brille hoch: „Hat hier ein Alp die Finger mit im Spiel. Das erweitert die Zahl an Optionen um einiges.“ Frederic schaute William zerknirscht an. Sein Aufzug war insofern auffällig, da er im Kontrast zu allen anderen reichlich fantasielos war. Auf dem Deckel einer bauchigen elfenbeinfarbenen Kanne mit naviblauen Muster, saß sein Oberkörper mit elfenbeinweißer Haut, bekannten königsblauen Augen und schwarzblauem Schopf. Dieser Oberkörper steckte in einem weißen, dünnen Hemd und einem elfenbeinweißen Gehrock mit naviblauen Revers und einem Paar Taschen. Neben ihm verschwand Ronalds Oberkörper in einer kleinen Tasse, die dasselbe Muster trug wie Frederics Kanne. Die beiden hatten auch dieselbe Hautfarbe. Ronald trug ein pfefferminzteebraunes Hemd, bei dem die ersten Knöpfe offenstanden und seinen Pentagrammanhänger sehen ließen, mit elfenbeinweißer Anzugweste und schwarzen Ärmelschnallen. Er hatte die Arme auf dem Tassenrand und sein Porzelankinn auf seinen Armen abgelegt: „Und es spielt uns jetzt schon ganz gut übel mit.“ Ich schaute durch die Reihen der in Haushaltsgegenstände verwandelten Aristokraten und Reapern. Abgesehen von der verbliebenen Hälfte von Undertakers Gesicht, waren die Gesichtsausdrücke eher frustriert oder recht säuerlich. Man merkte, dass die Moral der Gruppe einen Knick abbekommen hatte. Und auch meine Moral fühlte sich reichlich geknickt an. Ich war generell nicht wirklich nützlich, abgesehen von der Tatsache, dass ich irgendwie Dämonen über die Steinamulette hin spüren konnte. Doch was uns hier übel mitspielte war kein Dämon. So war ich mit meinen nicht existierenden Beinen nicht mehr als vollkommen nutzlos. Und das fühlte sich so schlimm an… Doch Undertakers nach wie vor strahlend grünes Auge flog durch die Reihen: „Nihihi! Scheint, als mache nicht nur ich ein langes Gesicht.“ „Kannst du mal die Klappe halten, du alter Irrer?“, knurrte Grell: „Nicht jeder ist so bescheuert wie du und findet das hier lustig.“ „Und was nützt es uns die Köpfe in den Sand zu stecken?“, quittierte Undertaker mit seinem halben Grinsen, welches ihm nicht ansatzweise irgendetwas an Selbstvertrauen zu nehmen schien: „Es gibt immer einen Ausweg, kehehehehe! Nur die wenigstens sind mit einem kleinen, sympathisch leuchtenden, grünen Schildern ausgeschildert. Man muss ihn schon selbst finden.“ Ronald rieb sich denkend die Stirn: „Aber… kreieren Alps nicht Alpträume?“ „Ja“, grinste Undertaker: „Denk weiter Ronald. Kehehehe!“ Ronald schaute ihn blinzelnd an: „Ähm… aber… das hier ist kein Alptraum. Amy hat Spaß daran.“ „Sicher?“, Undertaker legte seine gelöschte Hand an seine zerlaufende Wange: „Wie starteten wir in diesen Traum?“ „Ich habe mich zu Tode erschreckt!“, polterte Grell wütend: „Meine schöne Figur! Ich habe gedacht ich bekomme einen Herzinfarkt!“ „Ich habe mich auch erschreckt“, gestand Fred: „Damit habe ich nicht gerechnet.“ Sebastian neigte den Kopf: „Ich würde lügen, würde ich leugnen überrascht gewesen zu sein.“ William drehte den Stundenzeiger von seinen Augen: „Ich bin nicht erfreut. Nicht im Mindesten.“ Lee rieb sich den Hals: „Ich weiß nicht, was mir mehr Sorgen macht: Mein Aussehen oder dieser Krater.“ Amy legte ihm die freie Hand auf die Schulter: „Ich war nur verwundert. Ich habe mich aber auch nicht viel verändert.“ „Es muss ja nicht jeder schlecht dran sein“, zwinkerte Lee. Eigentlich war dieses Verhalten für ihn normal. Es war immer sehr deutlich gewesen, dass Lee eine sehr kokette Art hatte. Es wirkte für mich wahrscheinlich nicht ganz normal, da ich wusste was alles hinter diesem Zwinkern steckte. Der Asiate und die Adelstochter tauschten ein recht verhaltenes Lächeln. Ein Lächeln, was versteckte, was wirklich zwischen den Beiden lief. An die große Glocke hängen wollten sie dies wohl noch nicht. Doch auch der Kerzenständer neben mir hatte einen wissenden Ausdruck in seinem halben Gesicht. Der Rest schaute eher abschätzend, aber mitnichten ideenlos. Vor allem Frederic musterte seine Schwester und seinen besten Freunden reichlich skeptisch. Doch im Endeffekt waren die Umstände, in denen wir uns hier befanden, viel zu wichtig um sich nun Gedanken über die Beziehungen einzelner Personen zu machen. „Ich hab erst meinen Augen nicht getraut“, seufzte Ronald: „Wer denkt schon, dass er als Tasse aufwachen könnte?“ Der Kopf des blonden Reapers drehte sich zu Amys Arm: „Und ihr?“ „Öhm…“, machte ich kurz, doch Undertaker sprach schneller: „Ich war definitiv überrascht! Nehehehe! Das ist neu für mich. Spannend, definitiv.“ Ich schaute auf den Boden: „Ich… hatte nur Angst… Wo ich aufgewacht bin, war es komplett dunkel. Ich habe alles nur gefühlt und erst nichts gesehen… und ich war dort ganz allein.“ Ein Finger erschien unter meinem Kinn und hob meinen Kopf an. „Du bist nie wirklich allein, glaube mir“, schien mir Undertakers grünes Auge entgegen. Selbst in seinem ramponierten Gesicht faszinierte mich dieses Grün aufs Neue. Ich hatte seinen Augen einfach nichts entgegen zu setzten. Auch Undertakers halbes Lächeln wirkte trotz seines Gesichtsdilemmas unendlich warm und weich. „Wie…“, meine Frage brach ab. Ich erinnerte mich an den Schuhabdruck auf meinem Schreibtisch. An das, was ich Undertaker übelnehmen müsste, doch es nicht tun konnte. Mein Mund zog sich zu einem kleinen Lächeln: „Ich weiß.“ Undertaker giggelte kurz. Dann stellte Amy ihn auf den Tisch: „Ich besorge mal ein Messer. Vielleicht kriegen wir das gerettet was mal dein Gesicht war.“ Undertaker zuckte wieder mit der Schulter: „Selbst wenn nicht, was ist dabei? Ehehehe!“ „Wir müssen dich ansehen“, feixte Grell: „Meine armen Augen halten das nicht aus.“ Amy setzte mich neben Undertaker. Dann verschwand sie von dem Tisch. Seufzend blieb ich sitzen. Ich konnte mir den Borsten eh nicht laufen. „Warum so resigniert?“, hörte ich wieder die Stimme des Totengräbers. Ich schaute auf die Tischplatte: „Ich… kann nicht laufen. Die Borsten sind zu weich und knicken immer weg…“ Eine wächserne Hand erschien vor meinem Gesicht: „Lass mich dir helfen, meine Schöne.“ Zögerlich schaute ich dem Totengräber in sein halbes Gesicht: „Warum…?“ Er lächelte: „Weil man nicht alles alleine schaffen muss, oder nicht?“ Ich nahm seine Hand und er zog mich auf die Borsten. Natürlich strauchelte ich und kippte. Doch weit bevor ich aufkam, schnappten mich zwei Arme und hielten mich aufrecht. Als ich über eine Schulter schaute lächelte Undertaker mich an: „Siehst du? Du stehst. Ke he he.“ Ich lächelte zurück und wischte mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr: „Stimmt.“ Einige Zeit lang übte ich mit Unterstützung des Totengräbers laufen. Er hielt von hinten meine Hände während ich auf meinen zwei geteilten Wedel hin und her eierte. Meine Technik, auf die mich Grell gebracht hatte, funktionierte besser, als ich selber dachte, was mich ein wenig überraschte. Nach ca. 10 Minuten konnte ich eigenständig stehen. Nach einer gefühlten halben Stunde schaffte ich es - wenn auch recht wackelig – alleine ein gutes Stück nach voran zu tapsen. Ich drehte mich zu dem Bestatter um. Auf seinem halben Gesicht stand ein stolzes Lächeln und er klatschte ein paar Mal in seine wächsernen Hände: „Ke he he! Bravo, meine Schöne.“ Ich konnte nicht verhindern breit zu grinsen zu beginnen. Ein Seufzen von Lee brachte mich dazu meinen Blick von Undertakers chartreusegrünem Auge zu nehmen. Der Asiate saß wieder in dem Sessel. Trotz orangenen Kaminfeuerscheins wirkte sein Gesicht ein wenig blass. Fred hüpfte ein Stück zur Tischkante: „Alles ok?“ Lee nickte: „Schon. Ich fühle mich nur ein bisschen schlapp.“ „Deine Wunde vielleicht?“, mutmaßte Grell: „Die blutet immer noch.“ Ich beschaute die Wunde genauer. Es war nicht viel, eher ein kleines Rinnsal, doch es züngelte beständig in seine weiße Garderobe. Lee zuckte mit den Schultern: „Es ist gerade eh eher fraglich, was wahr ist und was nicht. Genau wie fraglich ist, was von Amy kommt und was von unserem Freund.“ Ich drehte mich ein Stück und schaute in Undertakers Gesicht: „Können wir das irgendwie unterscheiden?“ Undertaker schüttelte den Kopf: „Ich weiß es nicht. Mich hat noch nie ein Alp erwischt.“ „Warum dann jetzt?“, fragte ich und schlug eine Hand vor meinen Mund. In dem Moment wo ich es aussprach fiel mir auf, wie frech diese Frage eigentlich war: „Es tut mir leid! Ich…“ Doch Undertaker lachte einmal auf: „Kehehe! Du musst dich nicht schämen zu fragen! Ich war abgelenkt.“ „Wovon?“, blinzelte ich. Undertaker lächelte mich ein Stück weiter an: „Ich wollte nicht, dass du dich verletzt. Deswegen kam ich nicht rechtzeitig weg. Ich hatte die Wahl davon zu springen oder dich aufzufangen. Sie fiel mir nicht schwer.“ Mir fiel mit großen Augen der Kiefer hinunter. Ich konnte nicht darauf antworten. Ich war vollkommen perplex! Diese Antwort traf mich wie ein Schlag! Undertaker war in diesen Traum gezogen worden, weil er mich aufgefangen hatte. Ich hatte so dicht bei Amy gestanden, es war mir unmöglich gewesen dem auszuweichen was passieren würde und Undertaker hatte mich gefangen, bevor es der harte Boden getan hätte. Dafür war er allerdings zur Gefahrenquelle hin und nicht von ihr weg gehechtet. Doch mein Gesicht zog sich ganz von allein in ein Lächeln: „Das ist süß von dir, aber“, ich schaute auf die Tischplatte. Vermisste fast das warme Gefühl in meinem Gesicht, welches mich jetzt sicher ergriffen hätte: „Sowas musst du nicht wegen mir in Kauf nehmen…“ „Oh doch“, surrte seine Stimme in mein Ohr: „Ich bereue nichts! Kehehehe!“ Mein Kopf flog zu ihm: „Was?“ Er grinste mir mit seinem zahnvollen, wenn im Moment auch nur halben Grinsen entgegen: „Ich bereue nichts! Ich bin recht sicher, deinem Körper ist in der wachen Welt nichts passiert und dieser Traum ist doch sehr interessant! Was soll ich also bereuen?“ Ich schmunzelte kurz mit geschlossenen Augen: „Herrje. Diese Antwort war so typisch.“ „Was soll ich denn sonst antworten? Nihihihi!“ Ich lachte ihn an: „Nichts anderes. Das bist du und das ist gut so.“ Der Bestatter grinste immer noch: „Ein Kompliment aus so einem schönen Mund ist mir unbeschreiblich viel wert.“ Ich schaute peinlich berührt und doch geschmeichelt zur Seite: „Charmeur.“ „Njaaaa“, machte Grell: „Der Ansatz war nicht übel.“ Ich schaute Grell mit einem Kopfschütteln an. Doch irgendwie fand ich seinen Kommentar ganz lustig: „Du bist mit nichts zufrieden, oder?“ Grell zwinkerte einmal: „Ich hege an Männer hohe Ansprüche.“ „Du Diva“, lachte ich. „Auf den Punkt“, lachte Grell zurück. „Wie ich sehe habt ihr euren Humor doch nicht ganz verloren“, drehte ich mich zu Amys wieder aufgetauchter Stimme. Sie hatte ein Buttermesser in der Hand und Sebastian stand immer noch auf ihrer Schulter. „Darf ich?“, fragte sie mit einem wissenden Lachen und zog Undertaker näher an die Tischkante. Die Frage gefiel mir nicht, durch Amys Tonfall hatte sie einen komischen Nachgeschmack, den ich sehr gut mit dem erklären konnte, was Amy in Bezug auf Undertaker von mir wusste. Ich wollte nicht, dass sie dieses Wissen durchscheinen ließ… Doch ich wollte mich nicht damit blamieren, mich irgendwie zur Wehr zu setzen und mich am Ende noch irgendwie zu verraten. Ich wusste nicht… was ich tun würde, würde ich einen Korb von dem Bestatter bekommen. Ich wusste nur…, dass der Schaden an meiner Seele immens sein würde. Ich schaute zur Seite, wissend, dass ich mir den Schmerz, der darauf folgen würde, doch nur vage vorstellen konnte. Denn ich hatte die letzte Woche nur einen Vorgeschmack darauf bekommen. Und der war schon unbeschreiblich grausam gewesen. Außerdem war es wirklich nötig, dass jemand das eigentlich sehr ansehnliche Gesicht des Bestatters wieder in Form brachte und ich wusste, dass Amy dafür die beste Wahl war. Sie setzte mich also auf die Tischkante und mein Wedel hing hinunter. Über die Schulter beschaute ich, wie Amy behutsam anfing in Undertakers Gesicht mit dem Messer herum zu werkeln. „Sebastian hatte übrigens einen guten Einwand“, sagte sie währenddessen: „Wiederholst du es bitte?“ „Natürlich, junge Lady“, verbeugte sich der Butler kurz: „Ich denke dies ist noch kein Alptraum, da das Alp nicht nur an den Träumen der jungen Lady zerrt.“ Ich verstand nur halb, doch Undertaker lachte, was Amy dazu brachte kurz ihr schnitzen zu unterbrechen um nicht mehr kaputt als heil zu machen:„Nehehehehe! Du denkst, da 9 Leute in dem Traum gefangen sind, bleibt er solange recht stabil, bis die positive Energie von allen aufgebraucht ist.“ Sebastian nickte: „Ich halte es allerdings für sehr wahrscheinlich, dass der Traum langsam kippt. Je weniger positive Energie beigesteuert wird, desto grausamer entwickelt sich der Traum. Wir sind gerade erst hier erwacht, folglich noch nicht lange am Schlafen. Noch hat das Alp wohl nicht viel gefressen.“ „Dies klingt logisch“, sprach William in einem trocknen Ton, der jegliche Anerkennung vermissen ließ. In meinem Kopf klingelte ein Gedanke: „Könnte…“ Doch ich brach ab. Von allen hier hatte ich die wenigste Ahnung. Ich hatte überhaupt keine Ahnung! Alles, was ich beisteuerten könnte, wäre sicher nur vollkommen wirres Gerede, was keinem weiterhelfen konnte. Ich zog meinen Finger um die Tischkante und schaute auf meinen Wedel. „Könnte?“, schaute Lee mich von seinem Sessel aus an. Ich schüttelte den Kopf: „Vergesst es. Ein fixer Gedanken, doch sicher unqualifiziert. Ich habe von allem hier ja gar keine Ahnung…“ „Kihihihi!“, lachte es hinter mir: „Wir haben alle keine Ahnung! Es sind alles durch und durch nur Mutmaßungen, auch wenn sie logisch klingen.“ Ich schaute über meine Schulter: „Wie… meinst du das?“ Undertaker lachte noch einmal und drückte Amys Hand nach unten. Er drehte sich zu mir. Sein Gesicht war noch nicht fertig, doch Amy hatte zumindest die Gesichtskonturen zurecht, den Mund auf- und das Auge angeschnitten. „Niemand von uns wurde schon einmal in ein Objekt verwandelt. Keiner von uns war schon Mal in einen Traum gefangen. Niemand von uns ist sich überhaupt sicher, ob der kleine Trickster ein Alp ist. Genau genommen ist keiner hier sicher, ob es wirklich ein Traum ist. Niemand hier, schöne Sky, hat eine Ahnung von dem was hier vor sich geht“, der Bestatter hüpfte die 2 Hüpfer, die uns trennten, auf mich zu: „Dein Kommentar kann unter diesen Umständen gar nicht unqualifiziert sein“, er ging in die ‚Knie‘ und schaute mir direkt ins Gesicht: „Gihihihi! Und ich bin furchtbar neugierig darauf es zu hören! Nun mach schon!“ Erst klimperte ich ihn nur vollkommen überfahren mit den Augen entgegen. Dann schaute ich zur Seite: „Ich… dachte…, wenn das Alp unsere Träume, also unsere positive Energie, frisst, verlässt sie uns doch und naja… Lee fühlt sich schlapp…“ „Das.“ Ich kniff die Augen zusammen. Sicher unterbreitete mir Undertaker jetzt wie sinnlos das war. Wahrscheinlich drückte er mir einen Spruch à la ‚Es gibt keine dummen Fragen – Ok, das war eine dumme Frage‘. Eine Hand griff fest und doch behutsam mein Kinn und drehte mich zu Undertakers Gesicht: „Ist ein fantastischer Gedanke.“ „Es tut mir…!“, ich schaute den Totengräber verwirrt an: „Was?“ „Das ist logisch“, Undertaker grinste soweit, wie es ihm möglich war. Er schaute mich mit einem warmen Schimmer in seinem strahlend grünen Auge an, der mein Herz dazu brachte im Schlag zu stoppen: „Gut geschlussfolgert. Es könnte wirklich sehr gut sein, dass alles was an Lee nicht Amys Vorstellungen entspricht die Handschrift des Alps trägt“, er wuschelt mir durch die Haare: „Schlaues Mädchen.“ Ich konnte mir ein geschmeicheltes Kichern nicht verkneifen. Amy schüttelte schmunzelnd den Kopf und zog den Bestatter wieder zu sich, um weiter zu werkeln. „Dann“, Williams Stimme ließ mich zu ihm schauen. Er hatte die Arme über dem Ziffernblatt verschränkt: „Wäre die Wunde an seinem Hals das erste Zeichen eines Alptraums.“ Frederic schaute Lee ernst an: „Die ist auch wirklich alptraumhaft.“ Lee allerdings lächelte ihr wenn auch etwas müde entgegen: „Mir geht es gut.“ „Noch“, machte der Phantomhive trocken. „Da frisst ein Vieh meinen Traum“, Lee hob die Hände: „Daran werde ich schon nicht sterben.“ „Um genau zu sein.“ „Will“, versuchte Grell den strengen Sensenmann noch aufzuhalten: „Überlege bitte gut was du…“ „Kannst du das sehr wohl.“ „…sagst…“, erfolglos. „Hm“, giggelte Undertaker: „Aber ich bin taktlos, ki hi.“ Amy ließ das Messer sinken und schaute William kreidebleich an. Undertaker drehte sich zur Runde. Amy hatte ganze Arbeit geleistet und Undertakers Gesicht wieder genauso symmetrisch zurechtgeschnitten, wie es zu sein hatte. Doch wirklich freuen konnte ich mich darüber gerade nicht. Auch Lee nahm was geschah, seinem Gesichtsausdruck nach, wohl nicht mehr auf die leichte Schulter. Zumindest legte sein aufgeklappter Kiefer diese Vermutung nahe: „Ich kann… Wie?!“ „Es ist immer noch Energie, die das Alp frisst. Energie, die erst dem Geist und irgendwann auch dem Körper fehlen wird, da unser Körper und unsere Seele immer versuchen Ungleichgewichte auszugleichen“, William schob seine Brille hoch: „Das hier ist kein lustiger Traum, in dem einer von uns ‚Wünsch dir was‘ spielt. Das hier ist bitterer Ernst. Für wirklich jeden hier extrem gefährlich.“ Ich schaute zu Undertaker. Er grinste, doch erreichte sein albernes Grinsen sein Auge nicht mehr. Darin stand, dass ihm was gesprochen wurde nicht gefiel. „Jeden hier?“, fragte ich trotzdem ein wenig ungläubig. Schließlich waren die meisten hier keine Menschen und Undertaker war wohl eh mit nichts wirklich vergleichbar. Undertakers Augen wanderten zu mir: „Jedem hier.“ Etwas in mir zögerte immer noch: „Auch dir?“ Undertaker nicke für seine Verhältnisse recht knapp: „Auch ich bin wahrscheinlich am Schlafen und ich werde schlafen bis wir einen Weg hinausfinden. Ich denke, dass dieses Alp an mir, kehehehe, eine Weile knabbern muss, doch wenn es geschickt ist und mich lang genug halten kann bin ich irgendwann genauso aufgebraucht wie jeder andere hier. Im Moment sind wir wahrscheinlich nicht mehr, als ein großes All-you-can-eat-Buffet.“ „Das meinte es mit ‚Gib mir Leben‘“, hauchte Amy fast tonlos: „Es frisst unsere Lebenskraft…“ „Aber… wir sind zu neunt“, ich schaute in die Runde: „Bis das Alp uns alle durch hat wird es eine Menge Zeit brauchen, oder? Außerdem sind Sensenmänner und Dämonen doch viel stärker als wir Menschen und haben so auch viel mehr Energie. Ihr müsst ihm doch eine Menge Zeit kosten.“ „Sicher“, William nickte: „Doch wie es scheint tut sich unser Gegenüber erst an den Menschen gütig.“ „Somit rennt euch vieren“, Grell sah überhaupt nicht glücklich aus, als er uns vier Menschen musterte: „Die Zeit doch ein wenig davon. Wir können euch im Moment nicht davor bewahren auf Energiebasis verspeist zu werden.“ „Es muss einen Weg geben“, Undertakers Tonfall wirkte eine Spur ernster. Ronald nickte: „Ich glaube es mangelt nicht an unserer Motivation, die Menschen hier lebend rauszubringen. Doch wir haben keine Ahnung wie wir hierherkamen, mit was wir es genau zu tun haben und warum es Amy und Sky das Leben überhaupt schwer macht. Des Weiteren bekommen wir gerade eher schlecht als recht unsere eigenen Körper unter Kontrolle. Um eine Lösung zu finden, müssen wir das Problem einkreisen. Hypothesen bringen uns nicht weiter.“ Ein grübelndes Schweigen folgte. In meinem Kopf klickte es ein weiteres Mal. Doch wieder hatte ich Angst es könnte ein dummes Kommentar dabei herum kommen. Ich schaute zu Undertaker. Was mir eingefallen war brannte mir unter den Fingernägeln, doch was ist wenn es nicht gut war? Hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis mich mitzuteilen und der Angst dummes Zeug zu reden, schaute ich wieder auf die Tischplatte. Eine Hand auf meiner Schulter zeigte mir allerdings, dass Undertaker meinen Blick schon bemerkt haben musste: „Sprich es aus, mein kluges Mädchen.“ Ich schaute Undertaker wieder an: „Ich… weiß nicht.“ „Dein letzter Einfall war auch gut“, lächelte mir der Totengräber entgegen. „Gut…“, ich räusperte mich ein bisschen gequält: „Wir gehen davon aus, dass das hier ein Alptraum von dem Alp ist. So, wie Amy und ich sie vorher hatten. Nur halt… zu neunt, oder?“ „Ja“, Undertakers Gesichtsausdruck hatte etwas Gefälliges. Er schien sich auf das, was kommen würde, zu freuen. Das war etwas… was ich kaum kannte. Eher war ich es gewohnt, dass man mir sagte ich solle meinen Mund halten und nicht, dass mich jemand bestärkte auszusprechen was ich dachte. Ich wusste nicht recht damit umzugehen. Also konnte ich nur versuchen nicht meine Zunge zu verschlucken: „Ähm… also… ähm… Das Alp ist doch immer Teil des Alptraums. Wenn das hier also ein Alptraum von einem Alp ist…“ Ich schaffte es einfach nicht zu Ende zu sprechen. Ich hatte viel zu viel Angst, ich könnte Mist erzählen. Undertaker jedoch zeigte plötzlich riesig breit grinsend seine Zähne, als ich immer leiser wurde und schließlich abbrach: „Ni hi hi hi! Ist es hier irgendwo.“ „Dann können wir es suchen!“, plötzlich wurde ich geschnappt. Ich schaute Grell von seiner Hand aus entgegen. Er ballte eine Faust und sah wild entschlossen aus: „Und dem kleinen Mistvieh seinen Hintern bis zur Stirnaufreißen! Dem ramme ich meine polierten Standfüße dahin, wo er sie definitiv NICHT haben will!“, dann lächelte mich der rote Reaper an: „Sky, du bist ein Goldstück! Das ist endlich mal ein Ansatz aktiv etwas zu unternehmen! Ich könnte dich in Grund und Boden knutschen!“ Mit schockgeweiteten Augen sah ich wie Grell seine Lippen spitzte. „Nein!“, ich hielt mit beiden Händen seinen Mund auf, bevor er mein Gesicht erreichte: „Keine Küsse!“ Grell sah ein bisschen frustriert aus, während er eine Hand in die ‚Hüfte‘ stemmte: „Du hast was gegen Küsse, hm?“ „Ich“, ich drehte mich ab und griff mit einer Hand meinen Oberarm: „Denke nur das ist etwas, was man nicht einfach so verteilt…“ Grell setzte mich wieder auf den Tisch: „Wenn du es so siehst, dann gebe ich dir halt keine Küsschen.“ Ich schaute Grell an: „Einfach so?“ Es wunderte mich, dass der so willensstarke Grell einfach so nachgab. „Klar“, Grell stemmte die Hände in seine Seiten und legte den Kopf schief: „Ich will doch nicht, dass du dich schlecht fühlst.“ „Willst du… nicht?“, murmelte ich und schaute Grell lange an. Er wollte nicht, dass es mir schlecht ging? Im Umkehrschluss hieß dies doch, dass er wollte es ginge mir gut. Oder? Doch warum? Was hatte Grell davon? Leute, die mir näher gestanden hatten als Grell – Leute, die mich hätten lieben sollen - war es vollkommen egal gewesen, ob oder wann ich mich schlecht gefühlt hatte. Ich wusste auf diesen Kommentar keine Antwort. Ich war verwirrt und kannte noch nicht einmal das Gefühl, welches mich nun gepackt hatte. „Natürlich nicht“, Grell blinzelte mich kurz irritiert an: „Was für eine Frage.“ „Keiner hier möchte das“, ich drehte meinen Kopf zu der tiefen Stimme neben mir. Undertaker lächelte mir warm entgegen: „Schließlich bist du jetzt ein Teil unserer illustren kleinen Runde. Eh he he!“ Ein kleines Lächeln flog auf mein Gesicht. Fühlte sich mein Körper auch so stumpf an, in meiner Brust erschien ein herrlich warmes Gefühl. Ich drehte meinen Kopf wieder zu Grell: „Danke!“ Grell schüttelte den Kopf immer noch ein bisschen irritiert, schloss aber gefällig die Augen: „Nicht dafür, Herzchen. Wirklich nicht. Wenn du allerdings noch ‘nen pfiffigen Gedanken hast, nur raus damit.“ Ich legte überlegend den Kopf schief: „Nun ja… Das Alp erschien in den Träumen immer an einen wichtigen Ort. Zum Beispiel bei Amy in dem Wald bei dem Manor. Gibt es hier einen wichtigen Ort?“ Undertaker hob lachend die Hände: „Ich habe keine Ahnung! Kehehehe! Ich kenne diese Geschichte kaum!“ „Echt nicht?“, fragte ich verwundert: „Auch nicht das Original ‚Die Schöne und das Tier‘ von 1740?“ Der Bestatter hatte einen Fabel für alte Geschichten, das war allseits bekannt. Vielleicht rührte das daher, da er einige wohl schon kurz nach ihrer Entstehung gehört haben könnte. Er hatte schließlich auch einen Hang zur Nostalgie. Undertaker schaute an die Decke: „Die kenne ich. Aber ich habe mich nie gesteigert dafür interessiert und es deswegen nicht gerade präsent“, er breitete grinsend die Hände aus: „Romanzen sind nicht mein Steckenpferd, nehehe!“ „Das ist aber eine schöne Geschichte“, legte ich den Kopf schief. Auf einmal streckte Undertaker mir seine wächserne Nase ins Gesicht: „Dann kannst du mich ja irgendwann erleuchten, meine Schöne. Nihihihi!“ Ich blinzelte kurz verwirrt aufgrund seiner plötzlichen Nähe. Dann lächelte ich wieder und drehte ein wenig peinlich berührt mein Gesicht ein bisschen weg: „Mach ich. Aber dafür müssen wir erst nach Hause kommen.“ „Der Westflügel!“, alle Köpfe wirbelten zu Amys aufgeregter Stimme. „Westflügel?“, fragte Frederic ein wenig überfahren von Amys Aufregung. „Klar!“, Amy schaute Lee an: „Das Zimmer mit der Rose, erinnerst du dich? Das wichtigste Zimmer in der ganzen Geschichte!“ Lee, der ebenfalls erst etwas überfahren wirkte, schien die Erleuchtung zu kommen: „Stimmt. Das Biest versucht jeden fern zu halten, damit der Rose nichts passiert, die den Fluch bindet.“ „Genau“, Amy schnappte Lee am Ärmel und Undertaker an der Säule. Dann zog sie den Asiaten hoch und recht ruppig mit einem erschrockenen Laut seinerseits hinter sich her: „Undertaker! Zünd‘ die Hände an, wir haben zu tun! Komm beweg dich, Lee!“ „Warte!“, rief ich Amy hinterher, die aber schon mit den beiden Männer im Schlepptau und dem Butler immer noch auf ihrer Schulter im Flur verschwunden war: „Was ist mit uns?!“ „Wartet! Ihr wartet mal!“, Grell stemmte wieder eine Hand in seiner Seite und kreiste den anderen Zeigefinger in der Luft: „Ich bin ein verdammter Schrank wegen einer verkorksten Rose?“ „Das ist gerade vollkommen nebensächlich, Sutcliff“, grummelte William anfänglich genervt. „Nebensächlich?!“, pikiert wandte sich Grell zu dem Tisch: „Ich bin QUADRATISCH! Meine wohlgeformten Kurven sind IM EIMER! Das ist alles andere als nebensächlich! Ich bin ein scheiß Schrank, verdammt!“ „Und ich bin eine Teekanne“, zog Fred eine Augenbraue hoch: „Tauschen?“ „Sollten wir nicht eher Amy hinterher?“, ich stand auf: „Amys Idee ist nicht schlecht.“ „Genau“, Ronald verschränkte die Arme: „Du wolltest doch für dein kantiges Unterteil grausame Rache nehmen.“ „Kantig!?“, in Grell Augen erschien ein ganz komischer Schimmer, der in mir sofort ein schlechtes Gefühl verursachte. Ungefähr so schaute ein Bulle, vor dessen Nase man mit einem roten Tuch wedelte: „Kantiges Unterteil?! Mein schöner Hintern! Niemand tut Grell Sutcliffs wohlgeformtem Hinterteil ungestraft so etwas an!“ Er setzte mich aus dem nichts - ich war zu überrascht um mich zu wehren - auf seine Schulter. Dann schnappte er - wenn auch unter massiven Protest – William und setzte ihn auf die Andere. Er öffnete eine Schranktür und verstaute darin kurzerhand Ronald und Frederic. „Auf zum Westflügel!“, klang Grells Ausruf eher wie ein Kampfschrei, als er einen Zeigefinger nach vorne streckte und dann im Schrankgalopp aus der Bibliothek fegte. Ich hielt mich an seiner Schleife fest um nicht herunter geweht zu werden. Ich war so erschrocken aufgrund der Geschwindigkeit, ich konnte noch nicht einmal schreien. Probleme mit dem Laufen schien der rote Reaper wundersamer Weise keine mehr zu haben. „Sutcliff!“, eschauffierte sich William, der von der Schulter gerutscht war und in Grells langen Haaren hing: „Stopp!“ „Sei mal ein bisschen vorsichtig!“, hört man aus dem Schrankinneren: „Wir sind aus Porzellan, verdammt!“ „Seid ihr Männer oder Milchbrötchen?!“, kam es von Grell sehr abgedroschen als Antwort: „Das Mistvieh schnappen wir uns und dann mach ich Guacamole aus dem Bastard!“ „Wir sind ein Porzellanservice!“ Ich sah vor uns eine Treppe. Spätestens da, so dachte ich, muss der Lauf des Rennschrankes einen Dämpfer bekommen. Oder wir würden einfach sterben. Ich hoffte auf ersteres. Ich nahm mir kurz darauf vor nicht mehr zu hoffen, als Grell immer noch mit dem Tempo eines gut trainierten Rennpferdes die Treppe hoch preschte. Wie genau er das bewerkstelligte sah ich nicht. Ich wusste auch nicht, ob dies physikalisch überhaupt möglich gewesen wäre. Ich wusste nur, dass Grell unter 4 Minuten ein ganzes Stück Flur und eine lange Treppe gut gemacht hatte und nun polternd und unter einigem Geschrei aus seiner Körpermitte durch die erste Etage jagte. „Woher weißt du überhaupt wo du hin musst?!“, rief ich irgendwann durch den Fahrtwind, der mich dazu zwang mich mit aller Kraft an der Schleife festzuhalten. Ich konnte die Augen nicht schließen und mir rutschte das Herz in die Hose, als an einer Seite der Flur und an der anderen das Geländer, das uns von dem Abgrund trennte an mir vorbei sausten. Ich hoffte nur, dass es in der wachen Welt nicht mit uns vorbei war, sollten wir hier über den Jordan gehen. Es war sicherlich nicht gut neben einem eine Etage tiefen Abgrund auf einem wild gewordenen Kleiderschrank vorbei zu jagen. „Weiß ich gar nicht!“, rief Grell: „Ich gehe davon aus ihr sagt was, wenn ich falsch bin!“ „WAS?!“, kam es von William und mir. Der in eine Uhr gepferchte Aufsichtsbeamte war mit den Haarsträhnen, an denen er sich festhielt, über Grells Schulter geweht und flog nun hinter dem Rotling her. Er war sichtlich überhaupt nicht begeistert. „Wie sollen wir denn was sagen!“, rief Ronald von hinter der Schranktür: „Hier drin ist es stockfinster und eine Wildwasserfahrt ist ein Scheißdreck gegen das, was wir gerade zu überleben versuchen!“ „WAH!“, polterte es kurz hinter der Tür. „Fred, alles ok?“, hörten wir Ronald rufen. „Ich glaub ich hab ‘nen Sprung!“ „Wo bist du?!“ „Ein Regalbrett weiter unten!“ „Anhalten, Sutcliff!“, kommandierte William von hinten: „Auf der Stelle!“ „Wir sind noch nicht da!“ „Aber wir wissen auch nicht, wo wir hin müssen!“, rief ich. „Westflügel sind im Westen, oder?“, Grell fegte weiter über die Galerie: „Und wir gehen nach Westen!“ „Das nennst du gehen?!“, ich strauchelte und rutschte von Grells Schulter. Ich krallte mich fester in die Schleife, um nicht den Abgang meines jungen Lebens zu machen. Schließlich war rechts neben mir nur ein Holzgeländer zwischen mir und dem Erdgeschoss: „Atmest du überhaupt?!“ „Das ist ein Traum! Ich muss nicht atmen!“ „Stoooooop!“, riefen zwei Stimmen in Grell: „Bitte!“ „Ihr Memen!“ Vor uns ging eine Türe auf. „Zum Himmel und zur Hölle“, erschrocken sah ich wie Amy und Fred herauskamen und meine Stimme bestieg Oktaven, von denen ich nicht wusste, dass ich sie schaffen konnte: „Grell, Stopp!“ Aufgrund von Grells ohrenbetäubendem Getöse drehten die beiden sich um. Amy schrie und hob die Hände. „Bremsen!“, sprang Lee mit ausgebreiteten Armen vor Amy. Auch wenn ich nicht ganz wusste, was Lee gegen einen Massivholzschrank mit Rekordtempo ausrichten wollte. Es quietschte als Grell in die Eisen ging. Durch den hölzernen Körper des Reapers ging ein starker Ruck und die Trägheit tat ihr übriges. So kam Grell zwar zum Stehen bevor er frontal in Lee und Amy krachte, für alle anderen nahm dieser Ritt allerdings kein so einfaches Ende. Grells Haare flogen nach vorne. Mit ihnen William, der endgültig den Halt verlor. Er flog und klatschte Lee mitten ins Gesicht. Erschrocken strauchelte der Asiate mit wedelnden Armen nach hinten. Mein Gewicht zog durch den Schwung die Schlaufe komplett aus dem Knoten und ich sauste ebenfalls nach vorne. Mir entfuhr ein spitzes Kreischen und ich kniff die Augen zusammen, als ich mich auf einen doch sehr tiefen Fall gefasst machte. Ich hörte Grells Schranktüren aufklappen und Frederic und Ronald im Chor schreien. Kurz nachdem ich nach vorne gefallen war blieb ich an den Händen hängen. Ich blinzelte meine Augen auf und schaute Undertaker in sein grinsendes Gesicht: „Ke he he! Was ein Auftritt! Geht es dir gut?“ Der Bestatter hatte mich an den Handgelenken gefangen und sogar daran gedacht vorher seine Hände auszupusten, wie mir die kleinen Rauchringel über seinen nicht brennenden Mittelfingern verrieten. „J…“, ich schluckte. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals: „Ja.“ „Kehehehe! Gut.“ Dann sprühte ich einen Ruck an meinen Borsten. Ich schaute über meine Schultern nach unten. Ronald hatte sich an meinem Wedel festgehalten, um nicht abzustürzen. „Alles in Ordnung?“, rief ich zu ihm hinunter. „Ja, alles…“, Ronald schaute zu mir hoch. Dann klimperte er mit großen Augen, bevor er ein schäbiges Grinsen aufzog: „Ulala! Ich kann mich nicht beklagen. Die Aussicht ist nicht schlecht!“ Mit riesigen Augen erinnerte ich mich meines schändlich kurzen Rockes und mir wurde klar auf welche ‚Aussicht‘ sich Ronald bezog. Immer noch an Undertakers Händen hängend begann ich wie wild mit meinem Wedel zu wedeln: „Lass das! Du Perversling!“ „Hör‘ auf damit! Ich stürz noch ab!“ An meinen Händen ruckte es. Undertaker zog mich hoch, schlang eine Hand um meine Taille und pflückte Ronald an seinem Ohr aus meinen Borsten. Als würden wir beide nichts wiegen, hielt er uns fest. Der Bestatter schaute mich an: „Was ist los?“ „Ronald hat mir unter den Rock geschaut!“, es war mir so hochgradig peinlich und da ich nicht wusste wohin mit meiner Scharm, stieg sie mir als Tränen in die Augen. Langsam, sehr langsam, drehte Undertaker seinen Kopf zu dem jungen Reaper: „Aha?“ „A-also“, Ronald wedelte mit den Händen, den Weltuntergang im Gesicht stehen: „Das war ein Unfall! Und es gab auch gar nichts zu sehen! Wirklich!“ „Gar… Gar nichts zu sehen?!“, die Schamestränen liefen über meine Wagen, als ich die Augen zukniff und in verzweifelter Wut und peitschender Peinlichkeit meine Hände über mein Gesicht schlug. Die Tatsache, dass man unter meinen Rock wohl nichts mehr wegschauen konnte, fühlte sich auch nicht wirklich besser an. „Es kam so über miiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiich!“ Ich öffnete die Augen und ließ die Hände sinken. Ronalds Ausruf war nicht nur sehr lang, sondern wurde auch immer leiser. Als ich zu ihm schauen wollte war Undertakers zweite Hand geöffnet und leer. Es schepperte laut auf den Boden: „Aua!“ Ich schaute runter und auf dem Boden lag nur der Oberkörper eines Ronalds in den Überresten einer gesplitterten Tasse: „Was sollte das denn?!“ „Gihihihihi! Es kam so über mich!“, lachte der Bestatter mehr als schäbig. „Ronald!“, ich schlug eine Hand vor meinen Mund und schaute wieder zu dem Bestatter: „Er ist kaputt gegangen!“ Dieser legte nur grinsend den Kopf schief, sich sichtlich keiner Schuld bewusst: „Niemand bringt ungestraft schöne Mädchen zum Weinen.“ Mit verwirrt blinzelnden Augen ließ ich die Hand sinkend: „Du hast das gemacht wegen… mir?“ Undertaker legte seinen Kopf auf die andere Seite. Er hob seine nun freie Hand und wischte mir sanft die Tränen von den Wangen und aus den Augen: „Ni hi hi. Aber natürlich! Das war gemein und unfair. Er hat es verdient.“ Ich spürte seine Hände in meinem Gesicht nicht. Das fühlte sich komisch an und ich bedauerte es zutiefst. Ich mochte Undertakers Berührungen. „Aber“, ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Als ich runter schaute sah ich wie Ronald herum robbte und seine Scherben einsammelte. Sie fielen beim Weiterrobben immer wieder aus seinen Armen. Eine wahre Sisyphos-Arbeit. Ich schaute Undertaker wieder an: „Das ist doch viel zu viel des Guten…“ „Der fängt sich wieder“, grinste Undertaker, der nichts zu bereuen schien. „Was zur Hölle“, die Stimme lenkte mich von Undertaker ab, der gerade Ronald in sieben Jahre Glück verwandelt hatte und ich schaute zu Lee. Dieser pflückte William von seinem Gesicht: „Verzapft ihr da?“ Grell hob die Hände: „Wir wollten das Alp finden.“ William richtete in Lees Hand seine nun doch einmal wirklich schief sitzende Brille: „Korrektur. Mr. Sutcliff wollte und hat unseren Tod dabei billigend in Kauf genommen.“ „Ich habe einen Sprung in der Kanne…“ Ich drehte mich zu Amys anderer Hand. Darin hielt sie ihren Bruder, den sie wohl noch fangen konnte, als er ihr entgegen geflogen kam. Er beschaute einen dicken Riss in seiner bauchigen Kanne. „Tauschen?“, hörte man von unten. „Das bist du selbst Schuld“, hatte auch Frederic kein Mitleid mit dem zerlegten Ronald. „Herrje“, seufzte Lee und schmunzelte, sich die Nase reibend. Er setzte William auf Amys Arm und schob Ronald inklusive seiner Porzellanscherben in seine Hand. „Lasst uns zurück in die Bibliothek und euch Helden reparieren“, sagte der Asiate halb lachend: „Wir haben auch etwas herausgefunden, was interessieren könnte.“ „Was?!“, Grell stemmte die Arme in die Seiten: „Wieder runter?! Wisst ihr wie anstrengend es war hier hoch zu kommen?!“ Ich seufzte gestresst. Mit der Welt war ich fertig. Endgültig. „Niemand hat dich gezwungen, wie ein Irrer hier hoch zu jagen“, ging Amy mit uns und Lee einfach an Grell vorbei. Es dauerte ein bisschen, aber wir endeten alle wieder vor dem Kamin in der Bibliothek. Lee hatte nach etlichen Suchen etwas Ton gefunden, mit dem er Rons Tasse und Amy Frederics Sprung wieder zusammen kittete. Grell wirkte tatsächlich ziemlich außer Atem, als er als letzter in die Bibliothek kam, kam deswegen aber nicht an einer 35-minutigen Standpauke von William vorbei. Amy und Lee versuchten gar nicht dagegen anzugehen und das Thema darauf zu lenken, dass sie etwas gefunden hatten, was uns wirklich weiterhelfen könnte, sondern kümmerten sich in dieser Zeit einfach um die mehr oder weniger geschundenen Mitglieder der Gruppe. Das Geplapper der angesäuerten Tischuhr ging als weißes Rauschen an mir vorbei. Es hatte nur den Vorteil, dass ich schätzen konnte, dass wir ungefähr schon 3 Stunden in der Traumwelt verbracht hatten. Vorausgesetzt die Zeitrechnung war hier die Gleiche. Irgendwie wurde mir frisch. Ich schob es auf die Müdigkeit, da es ja nicht möglich war, dass mir kalt wurde. Ich rollte mich auf den Tisch zusammen und schaute in die orangenen Flammen, die gemächlich in dem großen Karmin zügelten. Sie erinnerten mich an den Karmin in Undertakers Zimmer und meine Gedanken flatterten zurück zu gestern Abend, wo mich der Totengräbereinfach zu sich auf die Couch gezogen hatte. Unwillkürlich fing ich an zu lächeln, als ich mich erinnerte wie gemütlich es gewesen war und wie friedlich der Bestatter schaute, wenn er schlief. Meine Augen wanderten über den Tisch und blieben an dem Totengräber hängen, dessen Standfuß über die Tischplatte bummelte und unter einem heiteren Pfeifen seinerseits vor und zurück schwang. Es war wirklich nicht verwunderlich, dass Undertaker dieses Abenteuer nicht als Problem sah, wie so ziemlich alle anderen. Er freute sich wahrscheinlich etwas Neues zu erleben. Doch wenn über das Problem hinter dieser doch sehr verrückten Situation gesprochen wurde, war Undertakers Blick eine ganze Spur ernster. Obwohl ihn das hier alles außerordentlich zu amüsieren schien, auf die leichte Schulter nahm er es nicht. „Deine Hände zittern“, merkte Frederic irgendwann und entlockte mir einen Seitenblick: „Und deine Finger wirkten steif.“ „Ich habe das Gefühl, ich hab‘ kalte Hände“, entgegnete Amy. „Das Alp?“, schaute Lee zu Amy. Sie zuckte mit den Schultern: „Ich weiß nicht.“ „So, genug zu dem Thema“, zerriss Williams Stimme das kleine Gespräch. Er hatte sich zu uns gedreht und war augenscheinlich mit seiner Ansprache fertig: „Lady Phantomhive, was habt ihr…“ William brach ab. Sehr unfreiwillig. Denn seine neue Physiologie entschied sich zuzuschlagen. Mit großen Augen hüpfte William ein paar Zentimeter über den Tisch, als sein Uhrwerk laut zu gongen begann. Kurz war es danach still im Raum. Dann brach ein schrilles und vollkommen haltloses Lachen durch den Raum. „Buhahahahahahahaha! Ich fass es nicht!“, Undertaker hielt sich den Bauch: „Fufufufu! Er klingelt wirklich! Puhhahahaha! Dieses Gesicht! Kehehehe!“ Schnell hörte man auch Amy, Lee, Ronald und Frederic mitlachen. Auch ich kam nicht um ein Schmunzeln herum. William hatte überhaupt keine Routine darin irgendwie überrascht zu werden. Er hatte sich vollkommen versteift. Ronald hörte nach einem Killerblick Williams sofort auf zu lachen. Abgesehen von Undertaker beruhigten sich auch die anderen recht schnell wieder. „Hach, William“, Lee rieb sich eine Lachträne aus dem Gesicht: „Eine wohltuende Abwechslung, wirklich.“ William richtete angelegentlich seine Brille und Haare: „Eine Ehre, wenn ich helfen konnte. Doch nun zurück…“ „Ehre?! Huhuhuhuhuhuhu! Belügst du gerade uns oder dich selbst? Puhuhuhuhuhu!“ William blinzelte ein paar Mal: „Ich wusste nicht, was es besser machen sollte, sich jetzt lange daran aufzuhalten. Zurück zu den wichtigen Dingen: Was habt ihr herausgefunden?“ Amy schaute von Frederic auf: „Wir haben den Zombie gesehen.“ Ich stützte mich sofort hellhörig auf und krabbelte auf ‚die Knie‘ um alle sehen zu können. „Was?!“, kam es von Grell entsetzt: „Gesehen?! Mehr nicht?!“ „War zu schnell weg“, Lee stellte Ronald ab, der seine gekittete Tasse sehr geknickt beschaute. Der Asiate ließ sich in den Sessel fallen: „Hat sich die Rose geschnappt und ist aus dem Fenster raus.“ „Ein wahrlich bemerkenswerter Kadaver“, lachte Undertaker: „Diese Form der Verwesung. Dieses Odeur! Eine Wasserleiche, ohne Zweifel.“ Frederic verschränkte die Arme: „Damit ist fast sicher: Das hier ist ein Traum und unser Gegenspieler ist ein Alp.“ Amy legte den Rest Ton weg und hockte sich neben Lee. Auch Undertaker drehte sein Gesicht in die Runde, schwang seinen Standfuß auf den Tisch und stand auf. „Damit ist auch fast sicher“, Undertakers Augen huschten mit im halbdüstern leuchtende Pupillen über die Anwesenden: „Dass wir hier gefangen sind, bis wir die Spielregeln des Alps herausgefunden haben.“ Ich wollte fragen, wie genau er das meinte, doch ein leises Ächzen ließ mich meinen Kopf zu Lee drehen. Er rieb sich den Hals. Die Hand, die er danach beschaute, war komplett rot: „Es blutet immer noch…“ „Wir sollten sie abbinden“, zog Amy besorgt die Augenbrauen zusammen: „Auch wenn das hier ein Traum ist, ich will nicht herausfinden, ob du hier verbluten kannst.“ Lee schaute Amy müde an: „Womit denn?“ Amy schaute auf ihren Reifrock. Dann nahm sie den Saum und zog kräftigt daran. Es ratschte laut und Amy hatte ein langes Stück Stoff in der Hand. Grell schlug die Hände in sein Gesicht: „Das schöne Kleid!“ William drehte sich zu ihm um: „Was aus der 15-minütigen Passage über ‚Nebensächlichkeiten‘ soll ich wiederholen, Mr. Sutcliff?“ Grell wedelte mit den Händen: „Himmel Herrgott, gar nichts!“ William drehte sich wieder ab. Amy band derweilen das Stoffstück um Lees Hals. „Mach es nicht zu fest“, hüpfte Frederic zur Tischkante: „Oder du findest heraus ob er ersticken kann.“ „Ich weiß“, fauchte Amy: „Bevormunde mich nicht immer!“ Frederic verschränkte die Arme: „Jetzt zick nicht so rum. Ich will auch, dass dein kleiner Liebling hier heil wieder herauskommt.“ Amys Gesicht fuhr mit großen Augen herum zu ihrem Bruder: „Mein… was?“ Frederics Kopf fiel zur Seite: „Ich bin nicht blind.“ Amys Augen flitzten durch die Runde: „So offensichtlich?“ Zustimmendes Kopfnicken und Schulterzucken von Ronald, Grell und Undertaker. Ronald und Grell sahen recht zwiegespalten drein. Was Undertaker darüber dachte, versteckte sich wie üblich hinter seinem Grinsen. Selbst Williams und Sebastians Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass sie sehr wohl verstanden hatten was vor sich ging, nur sahen sie dabei auch noch sehr düster unangetan aus. Amy und Lee waren wahrscheinlich in der ersten Minute bei wirklich allen aufgeflogen. „Dad springt im Dreieck“, setzte Frederic nach. „Vielleicht auch im Viereck…“, Amy schlug entmutigt die Augen nieder. Mitfühlend legte Lee ihr eine Hand auf den schwarzblauen Schopf. Die Phantomhive schaute hoch und tauschte einen Blick mit dem Asiaten. Lee lächelte sie sanft an, aufbauend, während Amy recht niedergeschlagen dreinschaute. Es dauerte ein paar Sekunden, dann nahm Lee Amys Hand und die Adelstochter schaute ihren Bruder an: „Verrätst du mich?“ Fred schnaubte. Einige Momente musterte er mit ernsten Gesichtsausdruck seinen besten Freund, der die Hand seiner kleinen Schwester hielt. Ich stellte mich auf meine Borsten und fand nach 2-maligen mit-den-Armen-Rudern meine Balance. Ich hörte es drei Mal auf dem teuren Holztisch klacken und sah aus dem Augenwinkel, dass Undertaker nun neben mir stand. Frederic schloss kurz die Augen: „Nein, aber es ist keinen gute Idee Dad im Dunkeln zu lassen.“ Amys Gesicht streifte ein kleines Lächeln: „Ich weiß. Danke, Brüderchen.“ „Ach“, Frederic winkte ab. Dann schaute er Lee ärgerlich an: „Und nun zu dir: Du bist mein ältester und engster Freund. Wie kannst du es wagen hinter meinem Rücken etwas mit meiner kleinen Schwester anzufangen?“ Lee sah schuldbewusst aus, aber nicht im mindesten bedauernd oder reumütig. Ganz im Gegenteil. Er grinste. „Es ist schwer sich gegen etwas zu wehren was beide wollen, Fred“, entgegnete ihm der Asiate recht lässig, was dem Erben der Phantomhive sichtlich sauer aufstieß. Unwillkürlich schaute ich zu Undertaker. Ich schaute zu Undertaker, weil ich ihn auch so haben wollte, wie Amy und Lee nun einander hatten. Das Verrückte, was in diesem Moment passierte war, dass auch Undertaker sein Gesicht zu mir drehte. Dieser Blick, den wir beide tauschten, fühlte sich komisch an. Beschreiben konnte ich das Gefühl nicht. Doch es fühlte sich an, als hörte die Uhr kurz auf zu ticken. Für den flüchtigen Moment dieses Blickes, lief alles ganz langsam ab. Auch Undertakers Blick an sich ließ mich stocken. Er sah nicht verstimmt aus, grinste oder lächelte aber auch nicht. Er schaute mich einfach nur an. Mir war, als wollten mir seine chartreusegrünen Augen irgendwas sagen. Doch sie sprachen eine Sprache, die ich nicht verstand. Ich wusste allerdings, dass der Bestatter im Leben nicht so fühlen wird wie ich. Ich war ganz und gar niemand, den Undertaker auf diese Art mögen würde. Jemand, den Undertaker so mögen würde, musste etwas ganz Besonderes sein und nicht nur jemand mit besonders viel Pech, worüber er sich amüsieren konnte. Schließlich wirkte es, als könnte sich der Bestatter über die gesamte Weltbevölkerung amüsieren. Und die gesamte Bevölkerung anderer Welten. Sofort fühlte ich mich wie eine unter knapp 8 Milliarden und mehr. Klein, unsichtbar und vollkommen unbedeutend. Also drehte ich mein Gesicht schnell wieder zu Amy, Fred und Lee. Frederics Ärger schien durch eine Welle Unglauben angefacht worden zu sein: „Das ist alles, was du zu deiner Verteidigung zu sagen hast?“ „Du verwechselst da ein paar Sachen, Fred“, der Asiate schickte dem Phantomhive einen gestandenen Blick entgegen. Ein Blick, der klar machte, dass Frederic den jungen Asiaten nicht ins Straucheln bringen würde: „Ich muss mich nicht dafür verteidigen glücklich sein zu wollen.“ Es war schwer zu sagen, was der Erbe der Phantomhives in dem Moment genau dachte. Sein Gesicht wirkte immer noch nicht begeistert, doch in seinen blauen Augen arbeitete etwas. „Und Amy muss es auch nicht. Egal vor wem“, setzte Lee hinterher. Amy warf Lee einen Blick zu und ich sah, wie sie seine Hand fester hielt. Ich legte eine Hand auf die Brust. Persönlich sah ich keinen Grund warum Amy nicht mit Lee gehen konnte. Zumindest auf den ersten Blick. Auf den Zweiten war Lee natürlich ein Drogenbaron mit fast monopolartiger Vorherrschaft in ganz London und Umgebung und dementsprechend auch eine sehr mächtige und gefährliche Person. Jemand, der kein Problem damit hatte sich die Hände richtig schmutzig zu machen und dem sicherlich auch alle Mittel recht waren, die ihm die Situation bot. Ich konnte nichts Negatives über Lee sagen. Zu mir war er stets nett gewesen, doch ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass er keine Samthandschuhe anzog, gab man ihm einen Grund verstimmt zu sein. Aber Lee wirkte nicht wie ein charakterlicher Krimineller. Eher war es schwer zu glauben, dass dieser fröhliche junge Mann ein gefährlicher Krimineller war. All diese Fakten beiseite, passten er und Amy einfach gut zusammen. Ich hatte prinzipiell ein gutes Gefühl und glaubte die beiden könnten eine wirklich gute Zeit zusammen haben. Auch glaubte ich nicht, dass Lee Amy jemals etwas tun würde. Doch das dachte ich, ein Mädchen aus dem Pflegeheim, welches keine Ahnung hatte was der Begriff ‚Behütet werden‘ wirklich bedeutete. Frederic, der definitiv eine sehr genau Vorstellung von diesem Begriff hatte, stemmte die Hände in die Seite: „Willst du das meinem Vater sagen?“ „Ja.“ „Dann lässt er Sebastian dich auseinandernehmen.“ „Soll er.“ Ich schaute als er erwähnt wurde zu Sebastian, der seit wir wieder in die Bibliothek gekommen waren mit uns auf dem Tisch stand. Er hatte die Arme verschränkt, verfolgte das Geschehen sehr aufmerksam, wenn er auch betont teilnahmslos aussah. Für die Gefühle der hier Anwesenden interessierte er sich sicherlich wirklich nicht, aber er war sich genauso sicherlich bewusst, dass Alexander es tun würde. Als sein Name fiel, blitzte etwas in den Augen des Butlers auf und ich war mir sicher es war kein Widerwille. Er schien sofort bereit zuzuschnappen, sollte sein Meister es so wollen. Dieser Blick machte mich nervös. Ich bekam Angst um Lee. Gleichzeitig fragte ich mich wie viel es Amy und Lee wirklich brachte, dass Frederic sie nicht an Alexander verraten wollte. Sie hatten kein so emotionales Band zu dem Dämon, dass ihm irgendwie den Mund zu band. Wer wollte den Butler also dann daran hindern, seinem Meister die Beziehung seiner Tochter auf dem Silbertablet zu servieren? Ich schaute intuitiv hilfesuchend zu Undertaker. Weil ich immer bei ihm Hilfe suchte, wenn es mir irgendwie nicht gut ging und ich selbst nichts dagegen tun konnte. Und bei dem Gedanken, was der Butler alles mit Lee anstellen konnte, ging es mir überhaupt nicht gut! Ich zwang mich mit meinen Gedanken nicht ins Detail zu gehen. Ich sah fast erleichtert wie Undertaker mit verschränkten Armen, einem streitlustigen Grinsen und gar eiskalten Augen den Butler anschaute. Der Dämon schaute zurück und man konnte es zwischen den Blicken der beiden unmenschlichen Männern fast blitzen sehen. Diese Spannung beruhigte mich tatsächlich. Undertakers Blick transportierte nämlich eine ganz eindeutige Nachrichten zu dem Butler, die mir sehr gefiel: Mit Sicherheit nicht. Ich war mir sicher Undertaker mochte Lee. Und das würde auch ein Aufstand Alexanders nicht ändern. Also war ich mir auch sehr sicher, dass Lee zumindest körperlich nichts passieren würde. Eher hatte Alexander mit einem Aufstand von Undertaker zu rechnen. Da der Earl seine Vertrauten lange und gut genug kannte, wusste er dies sicherlich genauso gut wie ich und hatte keine Lust sich das anzutun, sollte er noch alle Tassen im Schrank haben. „Mutig“, Frederic verzog seinen Mund und ich wandte meinen Blick von den Männern ab: „Und dumm.“ „Fred“, Lee schüttelte den Kopf: „Schieb nicht deinen Vater vor. Gerade ist das Problem, dass es dir nicht passt.“ Frederics Blick wurde eine Spur härter. Dann wandte er die Augen ab: „Ich fühle mich… von dir verraten.“ „Was zwischen Amy und mir läuft, hat nichts mit dir und mir zu tun.“ „Natürlich hat es das“, verschränkte Amys Bruder die Arme. Lee schüttelte den Kopf: „Amy ist kein Ding was euch gehört, noch nehme ich sie irgendjemandem weg. Sie bleibt deine Schwester, egal was passiert.“ Nun wedelte Amy mit den Händen und stand auf. „Hört auf zu streiten, es reicht“, sie seufzte und schaute Lee recht gepeinigt an: „Wenn mein Vater etwas nicht will, dann… kann ich machen was ich will, es wird nicht passieren. Es tut mir leid, Lee. Es geht nie darum was… ich gerne hätte…“ Ich sah aus dem Augenwinkel wie Undertaker die Arme wechselte. Meine Augen huschten in die Winkel und ich erhaschte einen Blick auf Undertakers Mine. Er grinste noch, doch kleiner und seine Augen waren etwas zusammengezogen. Gefallen schien dem Bestatter was vor sich ging überhaupt nicht. Ich fragte mich, ob ihm wie allen anderen diese Beziehung nicht gefiel oder ob ihm die schlechte Resonanz dieser Beziehung gegenüber nicht gefiel. Ich wandte meinen Blick wieder ab. Ein beklemmendes Gefühl zog in meine Brust. Ich wusste ganz deutlich, dass mir nicht gefiel, wie Amy und Lee sich dafür verteidigen mussten sich ineinander verliebt zu haben und dies leben wollten. Niemand sollte so hineingeredet bekommen. Von Niemandem. Lee kreuzte Arme und Beine. Der Asiate schaute Amy kurz eindringlich an. Dann schaute er weg, versuchte es zu überspielen, doch der Ausdruck in seinen Augen war eindeutig gewesen: Amy hatte Lee mit ihrer Aussage hart getroffen. „Deine Entscheidung“, machte der Asiate viel zu trocken und das Gefühl in meiner Brust wurde aufgrund seiner Tonlage drückender: „Wie gesagt, du bist kein Ding was mir gehört.“ Amy schüttelte niedergeschlagen den Kopf: „Frederic ist dein bester Freund. Wenn ihr schon deswegen so zankt, wie soll es denn dann bitte losgehen, wenn mein Vater davon erfährt?“ Doch Lee schaute die Adelstochter nicht wieder an und selbst das weiche Kaminfeuer konnte nicht verhindern, dass die Atmosphäre immer mehr abkühlte: „Ich wiederhole: Deine Entscheidung. Was nützt eine Beziehung, hinter der nur einer steht?“ Das traf wiederum Amy sehr hart und sehr offensichtlich. Das Kaminfeuer knackte laut in dem Moment, als in ihren Augen etwas auseinandersprang. Sie biss sich auf die zitternde Unterlippe, krallte ihre Finger in ihren Reifrock und hatte Tränen in den Augen stehen. Ich tauschte einen Blick mit Undertaker. Keiner von uns beiden musste etwas sagen. An diesem Blick sah ich ganz deutlich, dass er dasselbe Problem hatte wie ich. Wir dachten das Gleiche. Seine grünen Augen stimmten mir stumm zu. Ich sah im Vorbeischauen kurz in Frederics Gesicht, als ich mich wieder zu Amy wand. Bei dem traurigen Anblick seiner Schwester hatte sein Gesicht einiges an Härte wieder eingebüßt und Mitleid sickerte durch seinen geübt seriösen Ausdruck. Amy blieb noch ein paar Sekunden stehen und schaut ihr Biest an. Als sie die erste Träne nicht mehr halten konnte, drehte sie sich ab und hob ihren Rock an. „Sorry…“, flüsterte sie und lief schnell vom Tisch. Doch sie kam nicht weit. Sofort hielt etwas ihre Hand fest und sie drehte sich um. Lee saß in dem Sessel, das Gesicht auf eine Hand gestützt, die andere um Ambers Handgelenk: „Bitte sage mir nicht, ich habe mit meiner Einschätzung Recht.“ „We…“, Amy schluchzte einmal: „Welcher?“ „Das nur ich hinter uns stehe.“ Amys Unterlippe zitterte. Dicke Tränen tropften von ihrem Kinn und sie kniff die Augen zusammen: „Ich… ich…“ Ich schaute hoch zu Amy. Kurz musterte ich meine am Boden zerstörte beste Freundin und kam nicht drumherum sofort mit ihr zu leiden. Sie tat mir so leid. Und ich war auf ihre Familie so wütend. Ich begann an ihrem Kleid hoch zu klettern. Weder war ich eine erfahrene Bergsteigerin, noch war dies ohne Beine sonderlich einfach. Ich kam so nicht recht voran, egal wie sehr ich mich mühte. Etwas schnappte mich und setzt mich auf Amys Schulter. Als ich umwand sah ich Grell, der seine helfenden Hand zurückzog und mir zunickte. Ich schaute zu Lee. Auch er nickte, mit einem hoffenden und ich würde fast sagen einem flehenden Ausdruck in den Augen. Lee schien, was hier auf Spannung stand, wirklich wichtig. Ich nickte beiden zurück, rutschte auf dem Po bis zum Ellbogen Amys an Lees Hand hängenden Arm hinunter und zupfte an Ambers gerafften Ärmel: „Amy?“ Amy blinzelte mir ziemlich verwundert entgegen: „Sky? Was… machst du?“ „Nun“, ich schickte ihr ein Lächeln entgegen: „Du denkst nicht wirklich, dass ich dich jetzt allein lasse, oder?“ Amy wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann rang sie sich zu einem Lächeln durch: „Nein, aber… du kannst mir leider auch nicht helfen.“ Ich legte den Kopf schief: „Erkläre mir erst einmal wo das Problem liegt, ok?“ „Mein Dad“, resigniert schüttelte Amy den Kopf: „Ach! Du verstehst das nicht, Süße. Sei einfach froh, dass du keine Daddy-Probleme hast…“ „Naja“, ich verschränkte die Arme: „Von ‚Daddy-Problemen‘ kann ich dir ein ziemlich langes Lied singen. Das hat nur keine sonderlich schöne Melody.“ Amy blinzelte mir entgegen. „Tut mir leid“, seufzte sie schließlich und lies wieder den Kopf hängen: „Ich sollte mich echt nicht beschweren. Dein Vater ist ein Problem. Ich bin dagegen nur eine verzogene Göre, die von Daddy ihren Willen nicht bekommt...“ „Stimmt doch gar nicht“, ich würde sie so gerne in den Arm nehmen und trösten, aber es fehlte es mir einfach an Größe. Doch so konnte ich ihr wenigstens von unten in ihr hängendes Gesicht schauen: „Deine Probleme sind nicht weniger schlimm, nur weil sie anders sind. Also, was genau ist mit deinem Dad?“ Amy atmete tief durch: „Er wird mir nie erlauben mit Lee zusammen zu sein…“ „Weil?“, fragte ich langezogen. Die Sache muss wirklich ernst sein, wenn sich Amy die Details so aus der Nase ziehen ließ. „Weil er einer der Aristokraten ist“, Amber schaute zur Seite: „Und mein Vater viel besser weiß als ich, was Lee alles auf dem Kerbholz hat. Ich weiß, dass es einiges ist, doch ich habe im Gegensatz zu meinem Vater keine Details.“ „Aber“, ich legte grübelnd eine Hand an mein Kinn: „Dein Vater vertraut Lee doch.“ „Aber da hört die Freundschaft auf“, sie nickte Richtung Schloss: „Das mit Fred ist doch das beste Beispiel. Das Theater hoch 300 und du hast die Show, die mein Vater abziehen wird.“ „Dein Vater muss doch einsehen, dass du nun erwachsen bist.“ „Mein Vater muss gar nichts. Und er wird es auch nicht.“ Ich kratze mich am Kopf: „Alexander übertreibt es wohl ein bisschen mit der väterlichen Fürsorge, hm?“ „Ein bisschen?“, Amy fing sarkastisch an zu lachen: „Ich glaube am liebsten würde er mich einsperren, damit mir auch ja nichts passiert. Ich weiß was Lee macht. Doch ich weiß genauso gut, dass er mir nie etwas tun würde. Auch, wenn es irgendwann wieder vorbei sein sollte. Erweitert um die Tatsache, dass er sich ziemlich klar darüber ist, dass unser Butler ein verdammter Dämon ist und man sich deswegen drei Mal überlegt, was man tut auch wenn man wütend, verletzt oder traurig auf oder über jemanden ist. Was auch gleichzeitig das nächste Problem ist…“ „Ja?“, neigte ich wieder mit einer langgezogenen Frage den Kopf. „Wenn ich auf Stur schalte und mein Ding einfach mache…“, Amy schaute Lee mit tränennassen Gesicht an: „Bringe ich dich damit in Gefahr…“ Etwas blitzte durch Lees Augen, er nahm sein Gesicht aus der Hand und ließ Amys Handgelenk los. „Du denkst wirklich dein Dad würde Sebastian auf Lee hetzen?“ Amy schaute zu Sebastian und nickte mit dann mit verzweifelt verzerrtem Gesicht zu: „Mein Vater bekommt was er will, wann er es will und wie er es will. Glaube mir. Was ich wollte war in meinem eigenen Leben immer zweitrangig. Mein Vater ‚weiß es einfach besser‘. Ganz toll, hm?“ „Fabulös“, seufzte ich mit einen Seitenblick auf den Butler, dem seine Meinung zu seiner Position in diesem Gebilde nicht anzusehen ist: „Aber wenn du das alles weißt, warum hast du es dann überhaupt angefangen?“ „Weil… ich ihn haben wollte“, Amy schaute zu Boden: „Und mir irgendwann alles egal war. Mir waren die Konsequenzen egal. Ich wollte… nur einmal selbst entscheiden und tun was ich wirklich wollte und er… hat sich nicht wirklich gewehrt, wenn du verstehst.“ Einen Moment schaute ich Amy in ihr niedergeschlagenes Gesicht. Dann kletterte ich ihren Arm hoch. Auf ihrer Schulter angekommen legte ich ihr die Arme soweit um den Hals wie ich es schaffte. Amy legte eine Hand auf meinen Rücken… … und fing ein weiteres Mal zu weinen an. „Es ist schwer sich gegen etwas zu wehren was beide wollen, hm?“, zitierte ich den jungen Chinesen. Diese Worte hatten sich in meinen Gedanken eingebrannt in dem Moment, wo ich sie gehört hatte. Ich wusste nicht recht wieso. „Bis fast unmöglich“, schluchzte Amy: „Doch ändern tut das auch nichts.“ Ich legte meinen Kopf an ihre Wange. „Beruhige dich“, flüsterte ich irgendwann: „Irgendwie wird alles gut.“ „Ach!“, Amy rieb sich durch die Augen: „Wie denn?“ Eine Hand mit langen Krallen anstatt Nägeln erschien auf ihrer Schulter: „Indem jemand dem feinen Earl Phantomhive mal richtig die Meinung geigt. Aber das mache ich nicht allein.“ Amys Kopf flog hoch. Auch ich schaute auf. Lee war aufgestanden und hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt. Von seiner Schulter winkte uns ein Kerzenständer mit siegreichem Grinsen entgegen. Ich sah Undertaker an und schüttelte schmunzelnd den Kopf, ihm anerkennend, dass er sich wohl nicht ganz aus der Situation rausgehalten hatte. Undertakers Gesicht allerdings verriet, dass Amy und Lee einen sehr guten Verbündeten gefunden hatten. „Lee?“, blinzelte Amy recht überfordert: „Was… machst du?“ Lee legte beide Hände auf Amys Wangen und wischte ihre Tränen weg: „Das Richtige.“ „Aber“, Amys Augen fielen nach unten: „Mein Vater, er…“ „Muss einsehen, dass du kein kleines Mädchen mehr bist“, beendete Undertaker ihren Satz. Amy schaute den Totengräber auf Lees Schulter an: „Aber wie soll ich ihm das klar machen?“ „Ich habe schon zu Lee gesagt“, Undertaker legte seinen grinsenden Kopf schief: „Wenn es euch beiden ernst ist und ihr euch aller Konsequenzen bewusst seid, so werde ich euch helfen.“ Amy blinzelte mit beiden Augen: „Echt? Aber… warum? Du bist einer von Dads loyalsten Gefährten.“ „Und deswegen ist es meine Pflicht ihn zu wecken, sollte er sich verrennen.“ Lee schaute nach oben: „Ich musste einen Eid leisten, damit er uns hilft. Aber das war es mir wert.“ Amber und auch ich zogen die Augenbrauen zusammen. Es kann wirklich alles bedeuten, wenn man Undertaker einen ‚Eid leisten‘ musste. Wirklich alles. Die Adelstochter und ich schauten uns kurz an. Dann schauten wir zurück zu Lee. „Einen Eid?“, sprach Amy unsere stumme Frage aus. „Jup“, Lee grinste einmal: „Ich musste schwören, dass ich ein Profi bin. Dass ich mir darüber bewusst bin, dass ich dich, auch sollte es mal mit uns zu Ende gehen, immer wiedersehen werde, da ich immer ein Aristokrat sein werde. Und dann muss ich mich dir und deiner Familie gegenüber ordentlich verhalten. Auch darf, was auch immer zwischen uns läuft, nie zwischen mir, dem Wachhund und den anderen Aristokraten stehen. Ansonsten darf ich mir probeweise die Radieschen ein paar Tage von unten ansehen.“ „Das“, mein Kopf fiel zur Seite: „Ist mehr, als man beim Hören denken könnte.“ Undertaker nickte: „In der Tat. Doch genau darüber müssen sich beide im Klaren sein. Dies ist keine Beziehung, die gänzlich aufhören kann. Die Beiden kennen sich ihr ganzes Leben. Und das Leben der Phantomhives und der Fengs sind so miteinander verworren, dass sie sich nie ganz los werden werden“, Undertaker schaute Amy eindringlich an: „Ist dir das bewusst, Amber?“ Amy nickte: „Ja, ist es.“ „Willst du es trotzdem?“ „Undertaker“, Amy schaute einmal zu Lee, dann wieder zu dem Bestatter und fing tatsächlich an zu schmunzeln: „Die Gefühle sind schon da.“ Der Bestatter neigte den Kopf „Also?“ Amy grinste: „Natürlich will ich das trotzdem!“ Der Totengräber hob lachend die Hände: „Ni hi hi! Was will ich auf so eine Antwort noch sagen? Dann werde ich euch helfen.“ Amy legte ihre Hand auf Undertakers Rücken und kuschelte ihn mit ihrer Wange: „Du bist der Beste, Onkelchen!“ „Kehehehehehe!“, lachte der Bestatter amüsiert: „Alles, damit du nicht so bitter weinen musst!“ Amy zog ihren Kopf wieder zurück und schaute Lee an. Der Asiate seufzte: „Ich war viel zu schnell eingeschnappt. Doch es klang so, als sei dir das alles gar nicht wichtig genug. Es tut mir leid.“ Amy schüttelte den Kopf: „Du warst zurecht eingeschnappt. Ich wollte schließlich sofort vor meinem Vater kapitulieren.“ „Aber das machst du nicht“, Lee grinste breit: „Meine kleine Rebellin.“ Dann fielen sich die beiden Turteltauben um den Hals. Da ich auf Amys und Undertaker auf Lees Schulter saß, saßen wir auf einmal sofort voreinander. „Oh mein Gott!~♥“, hörte ich Grell aus dem Hintergrund quieken: „Ist das süß!“ Der Bestatter grinste mich an: „Ki hi. Amber gut, alles gut.“ „So sieht es aus“, lachte ich glücklich darüber, dass meine beste Freundin nicht mehr so traurig war: „Sage noch einmal du seist kein Held.“ „Gihihi“, Undertaker lehnte sich lachend ein Stück nach hinten. Ich kannte diesen Habitus. Hätte er Beine, hätte er sie nun überschlagen: „Held ist doch ein bisschen hochgegriffen, oder?“ Ich legte den Kopf schief: „Nicht jeder Held muss Drachen töten, Undertaker. Abgesehen davon, dass du das sicher auch schon getan hast.“ „Pahahahaha! Den ein oder anderen!“ Ich lachte mit: „Siehst du, Siegfried!“ Als Undertaker und ich wieder auf dem Tisch standen, sah Frederic ziemlich nachdenklich aus, musterte seine Schwester und seinen besten Freund, schien sich aber nicht dazu durchringen zu können zu sagen, was er fühlte. So beschied er zu schweigen. „Vielleicht“, erhob William die Stimme. Er hatte sicherlich überhaupt keine Lust auf weitere emotionale Ausschreitungen: „Sollten wir uns wieder um das Wesentliche kümmern. Unsere Körper sind gerade vollkommen unbeaufsichtigt.“ „Ki hi hi. Das“, Undertaker legte eine Hand an sein Gesicht: „Ist wohl wahr.“ „Mit uns kann also gerade alles passieren“, schlussfolgerte Ronald: „Und keiner weiß wo wir sind und in was für einem Schlamassel wir stecken.“ „Was gut und schlecht zugleich ist“, hob Grell erklärend eine Hand. „Weder unsere Feinde, noch unsere Freunde können uns finden“, erkannte Ronald nickend. „Wir können nur hoffen, dass der Earl uns vermisst, bevor uns jemand findet, der uns nicht finden sollte“, William wirkte ernster als sonst, was wirklich nichts Gutes verheißen konnte: „Doch der Earl wägt seine Tochter sicherlich in Sicherheit, da sie mit dem Butler und uns zusammen ist und wird nicht sofort losziehen um sie zu suchen. Erweitert darum, dass wir nie eine Zeit veranschlagt haben, zu der wir zurück sind. Wir wollten die Schule durchsuchen und uns um das kümmern, was wir finden. Dem Unterfangen kann man einige Zeit zusprechen, denn auch Undertaker zu treffen war nie geplant. Auch wissen wir nicht, ob eine Minute hier auch eine Minute in der wirklichen Welt ist.“ Das stimmte wohl. Niemand konnte ahnen, dass das Etwas gleich alle übernatürlichen Begleiter außer Gefecht setzte. Gleichzeitig. Inklusive der menschlichen und Amy selbst. Noch wussten wir nicht, auf wie viele Art und Weisen diese Welt verzerrt war. Wir lagen also alle zusammen ausgeknockt im Wohnheim und wurden nicht vermisst. Lee setzte sich tief seufzend wieder auf den Sessel: „Wir haben also keine Zeit zu verschwenden…“ „Geht es?“, fragte Amber mit besorgt zusammen gezogenen Augenbrauen. Doch Lee winkte ab: „Ja, es geht. Ich bin nur müde.“ Amy sah nicht beruhigt aus. Auch ich war unruhig. Wir konnten nur spekulieren, dass es an ausgesaugten Träumen lag, dass mit Lee etwas nicht stimmte. Der Stofffetzen, der Lee als sehr provisorische Bandage diente, war mittlerweile komplett durchgeblutet, was nur zusätzlich dramatisch aussah. „Wirklich nicht“, betonte William: „Wir müssen das Alp finden. Die Lady Phantomhive ist zwar der Wirt dieses Traums, aber das Alp hält uns hier gefangen. Da wir Lady Phantomhive nichts tun wollen, müssen wir das Alp ausschalten. Wenn es ausgeschaltet ist, muss auch der Traum enden.“ „Dann suchen wir es!“, nach dem vorherigen Höllenritt, gefiel mir Grells Feuereifer ein bisschen weniger als vorher: „Was stehen wir hier noch herum?!“ „Wir sind nicht so gut zu Fuß“, zog Fred eine Augenbraue hoch. Grell öffnete eine Schranktüre. „Knick es“, machte Ronald trocken mit einem Kopfschütteln: „Im Leben kein zweites Mal.“ „Ihr Hasen“ verschränkte Grell die Arme und schaute zur Seite: „Wie langweilig ihr seid.“ Ronald zeigte auf seine lädierte Tasse: „Siehst du das?!“ „Das, mein Freund“, Grell zeigte auf das gekittete Porzellan: „Kommt davon, dass du meintest Sky unter den Rock gucken zu müssen. Vor Undertakers Nase.“ Ich verstand nicht ganz, was Undertakers Anwesenheit damit zu tun hatte. Man schaute einfach niemandem unter den Rock! „Egal!“, keifte Ron schließlich: „Wie sollen wir das Alp finden?“ „Nun“, Amy legte den Kopf schief: „Sebastian kann fliegen.“ Alle schauten den Butler an, der ja nun eine halbe Taube war. Dieser neigte den Kopf: „In der Tat.“ „Sebastian sucht draußen“, dirigierte Frederic: „Der Rest teilt sich auf und durchsucht den Palast.“ „Ist ja nur ein riesen Ding“, stemmte Grell eine Hand in die Seite. „Wir müssen irgendwie anfangen“, erkannte Fred ganz richtig: „Wir haben drei in Lebensgröße: Amy, Lee und Grell. Der Rest teil sich auf diese Drei auf.“ „Ich“, Amy schnappte sich schnell Undertaker und mich: „Nehme Sky und Undertaker mit.“ Ich tauschte mit dem geschrumpften Bestatter einen lachenden Blick und ein Schulterzucken. „Ich geh mit Lee“, sagte Fred. „Ich auch“, hob Ronald die Hand. „Dann bleibt für Grell nur…“, Lee schaute zu William und fing an zu lachen. William schaute erst zu Lee. Dann schaute er zu Grell, der ihm einen Luftkuss zuwarf und winkte. Seufzend rollte die Tischuhr ihre Augen an die Decke. Lee stand auf und nahm das Porzellan-Duo auf die Hände. Widerwillig hüpfte William auf Grells Unterschrank. „Nicht auf die Schulter“, grummelte er, als Grell ihn auf die Hand nehmen wollte. „West“, sagte Amy. „Süd“, nickte Lee. „Nord“, meldete sich Grell. Der Butler schwang sich in die Luft und wir anderen trennten uns nach der Bibliothekstür. Im Gegensatz zu unserem ersten Besuch war der Westflügel nicht mehr ausgeleuchtet. Die Dochte der Kerzen waren kalt und die Wandleuchten wirkten, als hätten sie Jahre nicht mehr gebrannt. Undertaker hatte alle 10 Finger angezündet. Trotzdem sahen wir alle nur einen Schritt weit. Ich rieb mir fröstelnd die Oberarme. Mir war wirklich als sei mir physisch kühl, doch ich schob es darauf, dass es angenehmeres gab als in stockfinsteren Fluren nach einem Zombie zu suchen. Offen gesagt hatte ich mächtig Bammel. Undertaker hingegen wirkte wie ein Kind auf dem Spielplatz. Er grinste breit, schauten seine Augen auch aufmerksam durch die Gegend. „Gruselig hier“, fröstelte auch Amy: „Ich warte nur auf den Jump-Scare.“ „Bitte male den Teufel nicht an die Wand“, seufzte ich. Wenn jetzt etwas irgendwo hervorspringen würde, würde ich mich so dermaßen erschrecken, dass ich sicherlich auch in der wachen Welt einen Herzinfarkt bekommen würde: „Warum sind die Lampen überhaupt auf einmal aus?“ „Ich denke“, Undertaker giggelte: „Ni hi hi! Diese Welt ist sehr nah an Amys Emotionen gebaut. Es geht dir noch nicht gut, Amber. Richtig?“ Amy seufzte: „Nein. Ich mache mir Sorgen wegen Dad.“ „Und denkst sicherlich, wenn er alles erfährt ist zappenduster, richtig?“ „Jup…“ „Und darum sind die Lampen aus. Ke he he he!“ Das war definitiv naheliegend genug, um es gelten zu lassen. Besser wurde dadurch allerdings nichts. „Sollten wir die Lampen nicht anzünden? Wir haben doch Feuer dabei.“ „Wie lange willst du unterwegs sein?“, schmetterte Amy meinen Vorschlag ab, was ich wirklich sehr bedauerte. Mir schlug das Herz bis zum Hals, ich hatte ein angespanntes Gefühl in der Brust und ein konstantes ängstliches Surren in der Wirbelsäule. Ich rieb mir weiter fröstelnd die Oberarme, aber eigentlich umarmte ich mich nur selbst, um mich irgendwie zu halten. Ich hatte einfach richtig Schiss. Und das Gefühl von hilfloser Haltlosigkeit machte es noch viel schlimmer. „Alles in Ordnung?“, weckte mich eine tiefe Stimme. Ich schaute zu Undertaker der den Kopf zu mir gedreht hatte. Ich nickte: „Geht schon. Ist nur echt gruselig.“ „Ich würde dich liebend gern knuddeln, aber“, Undertaker hob die Hände: „Du möchtest sicher nicht als Streichholz enden. Ehehehe!“ Ich verschluckte sofort meine Zunge und blinzelte den Bestatter an, während was er sagte viel zu schwerfällig durch meine Gehirnwindungen kroch. Wieder vermisste ich fast das heiße Gefühl in meinem Gesicht. Doch auch wenn dies fehlte, sackte mein Herz ein Stück ab. Undertaker ‚würde mich liebend gern knuddeln‘? Etwas in mir freute sich wie ein Kind auf dem Jahrmarkt. Etwas anderes war extrem verwirrt und wieder etwas anderes war bei dieser Aussage einfach tot umgefallen. „Ähm“, ich drehte mein Gesicht ab: „Hast recht…“ Ich wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte. Ja, bitte? Puste deine Hände aus und knuffel mich, weil ich ein kleiner Angsthase bin? Ich war ja so schon nur unnützer Ballast. Ob mit oder ohne Beine. Damit würde ich dem ganzen ja wirklich die Krone aufsetzten. Dann würden wir nämlich einfach gar nichts mehr sehen! Doch so wartete ich nur weiter darauf von der nächsten Ecke aus angesprungen zu werden und einen Herzklabaster zu bekommen. Amy war auch nicht sonderlich wohl, schritt sie doch eher langsam und bedächtig und nicht wie üblich energisch und zackig durch den dunklen Flur. An jeder Ecke stoppte sie. Zumindest wir Mädchen schauten dreimal in alle Richtungen bevor Amy weiterging. Undertaker würde ich zutrauen, dass er gleich anfing munter zu pfeifen, wohingegen schon allein Amys und mein knisternder Alarmzustand der Stoff war aus dem Herzrhythmusstörungen waren. Nach einigen Minuten sah ich aus dem Augenwinkel einen Schatten. Mein Kopf fuhr herum und meine Augen suchten hektisch nach etwas, was sich bewegte. Paranoid - wie ich gerade war - suchten meine Augen immer weiter, obwohl mir mein Verstand schon sagte, dass dort wohl nichts gewesen war. Mein Herz schlug noch einen Schritt schneller und mein Verstand war bis zum Bersten angespannt. Ich hatte das Gefühl so krampfhaft konzentriert zu sein, dass ich ein Flackern im Sichtfeld hatte. „Hatschie!“ „WAAAH!“ „AAAHH!“, Amy tat einen Sprung zur Seite. Dann sahen wir uns schwer atmend an. „Sorry“, japste die Phantomhive: „Ich hatte ein Kitzeln in der Nase.“ Ich legte meine Hand auf mein rasendes Herz damit es nicht aus meiner Brust sprang. „Is‘ ok“, keuchte ich: „Alles gut.“ Undertaker beschaute uns… … Und fing lauthals an zu lachen. „Puhuhuhuhuhu! Gahahahahahaha! Ihr seht aus, als hättet ihr einen Geistgesehen! Kehehehe!“ „Idiot“, kam es von Amy und mir wie aus einem Munde. Undertaker lachte lauter. Amy tapste weiter. Wir suchten und suchten. Im Westflügel waren einige Schlafzimmer, Badezimmer, Abstellkammern und das Zimmer, in dem die Rose gestanden hatte. Nur war der kleine runde Tisch leer und das Buntglasfenster dahinter war geborsten. Wind pfiff durch den Raum und wehte mir meine Haare durch das Gesicht. Amy erzählte, Lee habe das Fenster eingetreten, als der Zombie nonchalant samt Rose dadurch verschwunden war, aber nur den Rasen des Rosengartens gesehen. Wir verließen den Raum und schlichen noch durch etliche Zimmer. Und entgegen aller Erwartungen passierte einfach nichts. Irgendwann landeten wir wieder vor der Bibliothek. Lee stand schon dort, Grell kam ein paar Sekunden nach uns an. „Und?“, fragte der Asiate mit einem versteckt müdem Gesicht. Amy schüttelte den Kopf: „Nichts.“ Auch Grell verneinte. „Vielleicht hat der Butler mehr Glück“, verschränkte Ronald in Lees Hand die Arme: „Langsam bekomme ich eine Tassenphobie.“ Fred schüttelte den Kopf: „Jammern hilft nicht. Aber du hast recht. Lasst uns auf Sebastian warten.“ Amy öffnete mit einer Hand die Türe zur Bibliothek. Kaum hatte wir einen Blick hinein geworfen waren alle wie überfahren. „Haltet ihn!“, ließ Grell den totalen Tumult losbrechen und preschte selbst als erster in den Raum. Amy und Lee hechteten hinterher. Der Asiate warf Frederic und Ronald einfach auf einen Sessel. Amy setzte Undertaker neben mir auf die Schulter. Ich krallte mich in ihr Kleid, als ich drohte durch Amy hin und her hüpfen abzustürzen. Es war wirklich einfach nicht cool so klein zu sein… „Ich hab‘ ihn!... Mist!“ „Nein, ich hab‘ ihn! Wah!“ „Komm her du… Wo ist er hin?!“ „Hinter dir!“ „Wo?“ „Hinter dir!!“ „Hinter dir!!“ „Ah! Jetzt hab‘ ich di… Scheiße!“ Undertaker löschte sich die Hände. Auch der Bestatter kam in die Verlegenheit sich festhalten zu müssen. Doch wenig später kam er auch in die Verlegenheit mich festhalten zu müssen. Denn durch die wilde Jagd rutschte ich mit einem spitzen Schrei von Amys Schulter. Undertaker griff gerade rechtzeitig mein Handgelenk. „Gihihihihi! Alles ok?“, fragte er lachend. Ihm schien das alles mal wieder eine Menge Spaß zu machen. „Geht so…“, schwang ich hin und her und hin und her. So langsam wurde ich seekrank. Doch ich resignierte gegenüber der Situation und fing gar nicht erst an zu zetern. Bringen tat es eh nichts. Ich hing hier und nichts würde das in den nächsten Minuten meines Lebens ändern. „Ich krieg dich!“, flog Grell mit ausgebreiteten Armen und Kampfgebrüll an uns vorbei. Er krachte laut scheppernd auf den Boden… … Und das Alp - welches einfach in der Bibliothek gestanden hatte und danach Amy, Lee und Grell immer wieder ausgewichen war - huschte ihm einfach davon. William allerdings - der erst sehr angesträngt an dem Griff von Grells immer wieder auf- und zuklappender Türe gehangen hatte, um nicht quer durch den Raum zu fliegen - ließ besagten Griff los und hielt sich am Arm des Alps fest. „Jaaaa! ~♥“, quietschte Grell und stützte sich auf die Arme: „Schnapp ihn dir, Willi!“ Niemand in dem Raum – inklusive William – schien zu wissen wie er das anstellen sollte. Doch der Aufsichtsbeamte hielt sich beharrlich an dem Arm des Viehs fest, obwohl es ihn heftig abzuschütteln versuchte. „Jetzt!“, rief Lee, der sich wohl einen Vorteil daraus zu erhoffen schien, dass das Alp mit William beschäftigt war. Amy und Lee sprangen nach vorne. Das Alp sprang nach hinten. Ich sah noch wie es durch die Wand verschwand. William tat dies allerdings nicht. Er knallte mit einem schmerzhaft scheppernden metallischen Geräusch und ausgebreiteten Armen in die Tapete. Dann schlug die Schwerkraft zu. Erst ging Lee zu Boden. Amy landete auf ihn. Undertaker und ich kullerten in einigen sehr unfreiwilligen Purzelbäumen über den Boden. Undertaker stoppte die Wand und mich stoppte Undertaker. Nach ein paar irritierten Sekunden setzten sich alle auf, sammelten sich kurz und klimperten die Stelle an, wo das Alp trotz aller Bemühungen einfach verschwunden war. William rutschte derweilen langsam die Wand hinunter. „Echt jetzt?!“, Grell trommelte mit den Fäusten auf den Boden: „Dieses Scheißvieh! Ich will ihm endlich seinen verrotteten Hals umdrehen, ihn den Kopf abreißen und dahin schieben, wo nie die Sonne scheint!“ Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Was hier gerade vor sich ging war kein Alptraum. Das war die erste Probestunde des neuen Londoner Amateur-Komödiantenstadl. William erreichte den Boden und blieb liegen. Kurz dachte ich er sei K.O, doch seine auf dem Boden tippenden Finger verrieten mir, dass er wohl schlicht und einfach keine Lust mehr hatte und deswegen liegen blieb. Zu allem Überfluss fing William auch noch wieder an zu gongen, doch gerade hatten wir unseren Sinn für Humor verloren. Außer einem wie verrückt lachenden Kerzenständer hinter mir, natürlich, für den das Gongen der Situation noch die komödiantische Krone aufsetzte… Als Sebastian 5 Minuten später wieder in den Raum geflattert kam, erblickte er einige sehr geknickte Gesichter. „Ich tippe“, der Butler beschaute die Runde: „Der Erfolg der Unternehmung hielt sich in Grenzen.“ Lee hing recht schief auf seinem Sessel: „Sieht es so aus?“ „Ja, in der Tat“, nickte der Butler. „Hast auch recht“, der Drogenbaron fuhr sich durch die Haare: „Das Alp haben wir zwar gefunden, doch gefangen haben wir es nicht.“ Williams Gesichtsausdrück war so düsterer, als eine Neumondnacht. Durch sein Meeting mit der Wand hat das Uhrenglas auf seiner Brust einen großen Riss. Damit war er der vierte, der recht ramponiert aussah und man sah dem sonst so adretten Aufsichtsbeamten an wie sehr ihm das gefiel. „Das sind keine guten Nachrichten“, der Butler legte eine Hand an sein Kinn: „Wie kam es dazu?“ „Es kann durch Wände gehen“, seufzte Ronald. „Wir übrigens nicht“, grummelte William. „Keheheh“, lachte Undertaker in schäbigen Pläsier: „Du musst es wissen!“ Williams hochgezogenen Augenbraue verkündete seinen unterdrückten Drang zu töten. „Voll unfair“, verschränkte Grell die Arme und lenkte das Gespräch wieder auf das Wesentliche: „Wie soll man so etwas fangen?“ „Gute Frage, nächste Frage“, Freds Kopf fiel zur Seite. Lee gähnte ausgedehnt und schloss die Augen. Mittlerweile hatte er darunter dunkle Schatten. Amy saß auf seiner Armlehnte und kraulte ihm durch die Haare: „Du solltest nicht einschlafen. Ich habe kein gutes Gefühl dabei.“ Lee lehnte seinen Kopf auf Amys Schulter: „Dein Gekraule macht es mir nicht leichter wach zu bleiben…“ Ich lächelte leicht. Die Beiden waren wirklich süß, wie sie zusammengekuschelt auf dem kleinen Sessel saßen. Wieder wanderte mein Blick unwillkürlich zu Undertaker. Er saß an der Tischkante, hielt sich mit seinen gelöschten Händen daran fest und schwang seinen Standfuß gelassen vor und zurück. Wenn man ihn so sah dachte man gar nicht, dass wir in Problemen steckten. Meine Gedanken wanderten wieder zurück auf das Sofa in Undertakers Lesezimmer. Es war schöner gewesen mit ihm zu kuscheln, als mir selbst lieb war und nun wo ich Amy und Lee schmusen sah… würde ich gern dasselbe tun. Als der Totengräber meinen Blick bemerkte, warf er mir einen fragenden zu. Hastig drehte ich mein Gesicht wieder weg. Ich fühlte mich ertappt, als könne er durch meine Augen sehen was ich dachte. Ich wusste, zu einem Teil konnte er das. Doch ich wusste auch, der andere Teil hatte eine verdammt lange Leitung. Ich wusste nur leider nie welcher Teil von Undertaker zuschlug. Wenn ich mein nicht vorhandenes Glück bedachte, würde er meine Gedanken sofort entlarven, was in einem Pfuhl von Scham und Schande enden würde, den ich jetzt wirklich nicht gebrauchen konnte. Seit ein paar Minuten war ich beachtlich müde geworden. Es fühlte sich an, als hätte ich den ganzen Tag Sport gemacht. Ich schob das auf den Höllenritt auf Grells und der Alpjagd auf Amys Schulter. Was hier passierte war schließlich vollkommen verrückt und kaum zu beschreiben. Doch etwas in meinem Kopf sagte mir, dass ich ja eigentlich gerade schlief. Konnte man sich erschöpft fühlen während man schlief? Sah man Lee an, war die Antwort ein klares Ja. Der junge Asiate sah mittlerweile sogar sehr kränklich aus. Ein müder nur halb geöffneter Blick, Augenringe und blass um die Nase. Die Blutspur war von seinem Kragen, über seine Schulter bis zu seiner Elle und Brust gewandert. Sie wirkte auch nicht trocken. Sein Halswunde schien unablässig zu bluten. Die ganze Zeit. Konnte man in einem Traum verbluten? Schließlich schlief doch auch Lee und das hier war alles nur Fantasie. Ich hoffte inständig wir fanden es nicht noch heraus. Doch als ich über den Traum und Schlafen nachdachte kam mir ein Gedanke. Ich faltete meine Arme um meinen angezogenen Wedelstab und tippte die Daumen aneinander. Wenn man im Traum einschlief, so munkelte man, dann… Ich brach den Gedanken ab. Was war, wenn er nicht gut war? „Ge he he. Was denkst du?“ Ich schaute Undertaker an. Woher wusste der Typ eigentlich immer, wenn ein Gedanken in mir feststeckte? „Ähm…“, meine Daumen tippten schneller einander: „Also… egal.“ Undertaker lachte schrill, schwang seinen Standfuß auf den Tisch und stand gewandt auf. Mit leisem Klacken hüpfte er zu mir. Ich fand es erstaunlich, dass er so schnell gelernt hatte ohne Beine anständig vom Fleck zu kommen. Und ich war furchtbar neidisch darauf. Neben mir angekommen schaute Undertaker auf mich herab: „Weil ich die Gedanken durch deine hübschen Augen flitzen sehe. Kehehehe! Du weißt doch wie neugierig mich unausgesprochene Gedanken machen!“ Ich war von dem unerwarteten Kompliment des Totengräbers wie üblich vollkommen überfahren. „Hübsche…?“, dachte er wirklich ich habe hübsche Augen? Ich mochte meine Augen überhaupt nicht. Ich hatte sie definitiv vom falschen Elternteil geerbt… „Au… WÄH?!“, begann ich irritiert zu murmeln, doch ich kam nicht dazu mich weiter mit diesen bitteren Gedankengang und meiner Verwunderung zu beschäftigen. Denn ich wurde sehr unerwartete und vor allem sehr unüblich unterbrochen. Die schiefe Kerze auf Undertaker Kopf brannte die ganze Zeit. Als er den Kopf herunter beugte schwappte ein dicker Blobb Wachs über und… … punktgenau auf meinem Kopf. Ich kniff die Augen zusammen. Es lief mir durch die Haare… über mein Gesicht… auf meine Schultern… ins Kleid… den Rücken hinunter... „Du lieber Himmel…“, fiepste ich und hob mit verzogener Mine die Hände: „Es ist überall…“ „Hups“, ich öffnete ein Auge und sah den Bestatter doch reichlich schief Grinsen: „Das war so… ähähä! Wirklich nicht geplant“, er schaute durch die Gruppe: „Hätte jemand ein… öhm… Taschentuch?“ Wachstropfend schaute ich ihn zerknirscht an: „Hups, ja? Der ganze Segen klebt in meinen Haaren…“ Gnade mir Gott, wenn das trocknete… Es polterte. Ich drehte meinen triefenden Kopf zu Grell, der näher an den Tisch gekommen war und in einer Schublade kroste. „Undertaker, du bist ein Genie“, der rote Reaper fand tatsächlich ein Stofftaschentuch, schnappte mich – selbstredend ohne zu fragen - mit einer Hand und begann an mir herum zu rubbeln. Begeistert war ich davon nur bedingt, aber einen Tod musste ich wohl sterben. „Bete, dass ich das abbekomme“, seufzte der Rotschopf: „Ansonsten trägt Sky bald ‘ne schicke 3 mm Frisur.“ Ich schaute den femininen Mann mit schreckgeweiteten Augen an: „Bitte?! Du willst mir doch nicht die Haare abrasieren?!“ „Nein“, rubbelte Grell fester: „Deswegen versuche ich zu retten was es zu retten gibt.“ Einfach war es nicht. Grell setzte mich irgendwann wieder auf den Tisch. Da das Wachs fest wurde, hatte Undertaker sich wieder die Finger angezündet und versuchte das Wachs damit flüssig zu schmelzen, doch Grell brach den Versuch ab nachdem sie einmal kurz zu zündeln begangen. Es dauerte ich weiß nicht wie lange und doch schaffte Grell es nicht das Wachs aus meinen Haaren zu bekommen. Mit den Fingern kämmte ich mir durch meine versauten Haare, gab aber schnell auf. Sie waren einfach ruiniert. „Tu‘ das nie wieder“, funkelte ich den Bestatter böse an, eine Frisur wie ein explodiertes Eichhörnchen auf meinem Kopf sitzend. Dieser hob lachend die brennenden Hände: „Es war keine Absicht. Kehehehehe!“ „Ich höre deine Gewissensbisse. Sie sind überwältigend, wirklich“, hob ich eine Augenbraue und verschränkte die Arme. „Na“, der Bestatter schnappte meine Hand. Er zog mich zu sich heran und legte die zweite auf meinen Rücken: „Schau nicht so böse, meine Schöne. Ich würde dir doch nie wissentlich etwas antun.“ ‚Awwwwww‘, der weiche Ausdruck in seinen unglaublichen Augen verschlug mir den Atem. Er war ganz eigen. War die Färbung seiner Augen an sich eher kalt, war dieser Ausdruck darin so herrlich warm. Dieser Kontrast war einfach umwerfend! Beschreiben konnte ich ihn kaum. Dann stoppten meine Gedanken, als meine Nase ein beißender Geruch erreichte. Davon vollkommen übermannt klimperte ich Undertaker zwei Mal langsam an. Dieser klimperte zwei Mal genauso langsam zurück, wohl dasselbe riechend, wie ich. Es roch… Sein sanftes Lächeln kippte in sein schuldbewusstes schiefes Grinsen. Seine Augen wanderten langsam seinen Arm entlang. Meine folgten seinen bis zu seiner Hand, die meine hielt… und brannte. Dann wanderten meine Augen den Arm wieder hinunter zu dem anderen Arm, der hinter meinem Rücken verschwand und dessen Hand auf selbigen lag… und ebenfalls brannte. … ….. ……. „HIIIIIIIIILFEEEEE!!“, ich flitzte in Panik von einem Ende des Tisches zum anderen und wieder zurück: „Iiiiich breeeenneeeee!“ Amber sprang von der Armlehne auf. Geistesgegenwertig griff sie ihren Bruder, der nichts tun konnte außer einmal erschrocken auszurufen. Sie zog dem Deckel ab - in dem ihr Bruder ab der Hüfte verschwand - und kippte mir den Kanneninhalt über den Kopf. Es zischte, als die Flammen von dem Tee erstickt wurden. Ich setzte mich von dem Tee vollkommen überrascht auf meinen Hosenboden und mein nasser Pony klebte über meinen Augen. Einige stummen Sekunden vergingen, die Atmosphäre von überfahrendem Unglauben geprägt. „Hast du…“, setzte meine etwas verzögerte Erkenntnis der grotesken Szenerie die Krone auf. Ich hob eine Strähne von meinen Augen und schaute Amy an: „… Mich gerade mit deinem Bruder gelöscht?“ „So“, Amy schaute zu ihrem Bruder: „Sieht es aus, ja.“ „Bitte…“, Frederic hing kopfüber in Amys Hand, einen Ausdruck in den Augen, als sei etwas in ihm gestorben - ich tippte auf seine Würde - und ließ kraftlos die Arme baumeln: „Betont es nicht so.“ Neben mir fing jemand an schrill zu lachen. In diesem Moment hört ich wie meine Hutschnur riss. Und zwar laut. „DU!“, sprang ich auf meine Borsten und versuchte meinen wachsharten Pony nach hinten zu schieben. Ich bohrte dem Bestatter immer wieder mit dem Zeigefinger in die Brust, der mich erst mit Wachs übergoss, dann anzündete und nun meinte darüber lachen zu können: „Was fällt dir eigentlich ein, hm?! Willst du mich umbringen?! Erst kippst du mir Wachs über den Kopf und dann zündest du mich an! Weißt du wie ein Docht funktioniert?! Genau so! Ich hab‘ gefackelt wie eine Kerze! Du solltest dich in Grund und Boden schämen, anstatt mich auszulachen! Das war ein astreines Attentat, du… du irrer… du… ARG!“ Doch anstatt sich zu schämen, verstrickte sich Undertaker in einen immer schrilleren Lachanfall. Er wedelte seine Hände aus, hielt sich dann mit einer Hand den Bauch, die andere legte er über den Mund und die Lachtränen flossen ihm in Strömen über die wächsernen Wangen: „Gihihihihihihi! Pahahahahaha! Ahuhuhuhuhuhu! Wie du gerannt bist! Dieses Gesicht! Nehehehe! Herrlich! Fuhuhuhuhuhu! Göttlich! Kehehehe! Und Frederic! Puhuhuhuhuhu! Dieser Blick! Bahahaha!“ Mir klappte der Kiefer auf. Schön, dass er daran dachte sich die Hände auszumachen, wenn er sich selbst anfasste! Ich war wütend. Zum Bersten wütend. Keine Schmerzen hin oder her: Undertaker hatte mich zweimal hintereinander in Teufelsküche gebracht und hatte kein Recht sich nun über mein Gesicht zu amüsieren! Ich ballte meine vor Zorn zitternden Hände zu Fäusten und zog meine angespannten Schultern ein Stück hoch. Wuttränen stiegen mir in die Augen. Ich wusste nicht wohin mit meinem schäumenden Ärger. Alles in mir fühlte sich glühend heiß an. Ich fühlte mich aufgekratzt und gleichzeitig hundeelend. Und ich hatte keine Ahnung wohin damit! Undertaker breitete seine Arme aus. Er lachte nicht mehr wie ein Hutmacher verrückt war, doch giggelte noch sehr belustigt und mit einem riesigen Grinsen im Gesicht vor sich her. Ich zog meine Lippen ein Stück in den Mund und begann darauf herum zu kauen. Meine Fäuste zogen sich fester zusammen. Als er die Arme um meine Schultern falten wollte, kullerten die Tränen aus meinen Augen und meine Hände schnellten nach vorne. „Du Idiot!“, bevor er mich umarmen konnte, schubste ich ihn nach hinten. Undertaker blinzelte mir mit großen Augen und verwundertem Ausdruck entgegen. „Was fällt dir eigentlich ein?!“, schrie ich ihn an: „Wer denkst du bist du?! Unterstehe dich mich anzufassen!“ Mit diesen Worten schaute ich ihm mit zusammengezogenen Fäusten und angespannten Schultern in seine Augen. Sein Grinsen hing schief, er schaute recht verwirrt und hatte wohl nicht damit gerechnet von mir recht grob auf Abstand gehalten zu werden. Doch ich war nicht nur wütend. Ich war verletzt. Vielleicht nicht äußerlich, aber innerlich blutete ich. Denn ich hatte überhaupt nichts zu lachen gehabt. Ich hatte mich furchtbar erschreckt und ein paar Sekunden wirklich gedacht, mein letztes Stündlein hätte geschlagen! Er hatte es wieder getan! Mir war etwas Blödes passiert - wäre das hier kein Träum hätte ich mich sogar furchtbar verletzt - und er lachte, als habe er selten etwas so Witziges gesehen! Wuttränen tropften von meiner Wange. Alle waren dabei gewesen: Grell, William, Ronald, Frederic, Lee, Amber, der Butler. Und vor allen hatte mich Undertaker zum totalen Gespött gemacht. Es war nicht das Schlimme, was mir eigentlich passiert war. Das war keine Absicht und ein Unfall gewesen. Doch danach von dem Unfallverursacher auch noch vollkommen ungeniert ausgelacht zu werden, hatte einfach richtig weh getan. Ich war nicht Undertakers Clown, über den er sich unter Missachtung aller Umstände stets und ständig lustig machen konnte. Und als ich mich darüber ärgerte, fiel mir etwas siedend heiß auf: Die Tatsache, dass ich Undertaker nicht mehr zu bieten hatte, außer mich stets und ständig auslachen zu können. Zorneshitze schwappte um in ängstlich kaltes Gefühl. Ich bereute meinen Ärger. Ich bereute ihn so grob behandelt zu haben. Ich faltete meine eigenen Arme um mich und ließ den Kopf nach unten fallen. Unsicher tapste ich auf meinen Borsten nach hinten. Ich fühlte mich so furchtbar alleine. Obwohl hier so viele Leute waren. Und obwohl ich mich nicht alleine fühlen möchte, wäre ich es gerne gewesen. Mir standen die Tränen hoch in den Augen. Doch man konnte nicht in einer so riesigen Gruppe einfach anfangen zu heulen. Alle starrten mich an, ich fühlte es. Und in mir wollte alles nur noch weg. Ich wusste auch nicht wohin ich mit meinen Gefühlen, den vielen schlechten, sollte. Hier gab es keinen Platz für sie. Zwischen all diesen vielen starken und mächtigen Menschen und Geschöpfen war einfach kein Platz dafür. Ich drehte mich um und hüpfte vom Tisch. So schnell, wie ich nie gedacht habe, dass meine Borsten mich tragen konnten, lief ich aus dem Raum. Im Flur bog ich in die nächste Tür, die ich finden konnte. Ein dicker Teppich lag auf den Boden, indem sich meine Bosten verfingen und mich stürzen ließen. Ich hatte mich gerade erst mit Undertaker vertragen… und ihn jetzt weggeschubst… Was ist, wenn Undertaker jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben wollte?! Ich habe ihn angebrüllt und geschubst für den einzigen Vorzug, den ich ihm zu bieten hatte. Und niemand gibt sich mit jemandem ab, der ihm nichts mehr zu bieten hat. Gebeutelt von diesem Gedankengang blieb ich einfach liegen, schluchzte vor mich her und rollte ich mich auf dem Boden ein. Ich war wachsverschmiert, verkohlt, nass, beschämt, bloßgestellt und geängstigt meine Reaktion könnte wieder einen Streit - oder was auch immer das zwischen uns die letzte Woche gewesen war – provoziert haben. „Süße?“ Die Stimme ließ mich aufschauen. Die Adelstochter kam zu mir und ging neben mir auf die Knie: „Herrje… wie du aussiehst. Deine Haare, dein Kleid…“ Ich setzte mich auf und schaute auf meine Hände. Eine war komplett rußgeschwärzt. Das Armband an dieser Hand war angesengt. Ich bemerkte einen bodentiefen Spiegel, der neben dem Teppich stand. Mein Spiegelbild ließ meine geschwärzte Hand vor den Mund wandern: „Oh mein…“ Mein Kleid war total versengt. Am Rücken und der Taille hatte es sogar große Brandlöcher. Das war nicht das größte Problem. Was mir fast körperlich weh tat, war das meine Haare hinten bis zum Nacken abgebrannt waren: „Meine…“ Ich versteckte mein Gesicht geschlagen in den Händen. Ich war nicht nur eine dumme Pute. Jetzt war ich nicht nur ein hässliches, sondern auch ein abgebranntes Entlein! Nicht, dass ich vorher irgendetwas Modellhaftes gehabt hatte, doch nun war meine Optik vollends dahin. Wie soll ich denn Undertaker oder irgendjemand anderen mit dieser Optik und nach diesem Theater vor die Augen treten? Jemals wieder?! Ein Finger streichelte mich: „Hey, Kopf hoch.“ „Hast du mich mal angeschaut?“, schluchzte ich: „Und dann noch dieses Theater! Gekoppelt mit diesem Aussehen kann ich mich nur bis auf die Knochen blamiert haben!“ „Du hast gebrannt, Sky.“ „Und mich dann auch noch aufgeführt!“ „Jeder wäre sauer gewesen, wenn er einfach angezündet und dann auch noch ausgelacht worden wäre.“ Ich schaute Amy an: „Aber das ist es doch…“ „Was?“ Meine Augen fielen aus ihrem Gesicht: „Was hab ich ihm denn zu bieten außer eine Lachnummer zu sein…?“ „Nehehe! Intellekt und eine Menge Schneid. Viel Geduld und Herzensgüte. Die Tatsache, dass du mich nicht nur auf meine offensichtliche Verrücktheit zu reduzieren scheinst und deine Zeit freiwillig mit mir verbringst. Und du kannst backen. Wie eine junge Göttin, kehe!“ Sprachlos und vollkommen überfordert schaute ich in Undertakers Gesicht. Er war wie aus dem Nichts neben mir aufgetaucht, hatte sich neben mich gekniet und zog seinen Mund zu einem kleinen Lächeln. In dieses warme Lächeln, welches ich so gern mochte. „Eine Lachnummer“, er legte seine – gelöschte – Hand auf meine Wange und wischte mir die Tränen weg: „Das bist du nicht. Wirklich nicht. Ich wollte nie du könntest dies denken. Du bist für mich so viel mehr als das. Du hast so viele Vorzüge.“ Ich schaute kurz auf seine Hand und dann wieder in sein Gesicht. Er tröstete mich. Aber wieso? Und warum wirkte er gar nicht sauer auf mich? „Es…“, setzte er an, doch es platze unkontrolliert aus mir heraus: „Es tut mir leid!“ Undertaker blinzelte kurz, doch sehr verwirrt. Dann wanderte eine seiner Augenbrauen nach oben: „Warum entschuldigst du dich?“ „Ich“, meine Augen fielen nach unten: „Hab dich angeschrien… und weggeschubst…“ „Ich habe dich angezündet!“, Undertakers lange Hand hob mein Kinn an. Er schüttelte kurz mit geschlossenen Augen den Kopf und schaute mir dann eindringlich in meine. Seine unendlich schwarzen Pupillen… seine im Dunkeln kühl schimmernde Iris… stahlten mir die Gedanken aus meinem Kopf und den Herzschlag aus meiner Brust. Seine Hand fuhr durch meine harten, angesengten Haare und seine Finger zupften geschickt ein paar Strähnen auseinander: „Deine schönen Haare so furchtbar versengt“, seine Hand wanderte wieder auf meine Wange und streichelte sie: „Und dich ausgelacht, anstatt mich zu entschuldigen und wiedergutzumachen was ich angerichtet habe.“ Er legte den Kopf ein Stück schiefer und sah mir ein paar Sekunden in die Augen. Ich war mir nicht sicher, doch ich meinte ich hatte aufgehört zu atmen. Ich schaute einfach nur in seine Augen, vollkommen neben mir stehend. „Verzeih mir.“ Ich schaute ihn weiter an. Blinzeln wollte ich, doch ich schaffte es nicht. Ich verstand nicht, warum er nicht sauer war, nachdem ich ihn so grob behandelt hatte und aus meinen verwundert geweiteten Augen stahlen sich zwei kleine Tränen, denen ich mir zu spät bewusst wurde, um sie aufzuhalten. Ein sanfter Ruck ließ mich nach vorne kippen. Undertaker faltete seine Arme um meinen Rücken. „Du musst dich nicht bei mir entschuldigen“, flüsterte ich so leise, dass kaum etwas von meiner Stimme zu hören war. Mein Bauch fühlte sich hart an, mein ganzer Körper ganz fies versteift. Es zog in fast jedem Muskel und ich wusste es würde schmerzen, wäre ich wirklich wach. „Natürlich!“, Undertaker nahm mich an den Schultern und drückte mich ein Stück weg, um mich anschauen zu können. Er wischte mir behutsam die Tränen aus dem Gesicht: „Wegen mir standest du lichterloh in Flammen! Und deine Haare! Es ist wirklich schändlich.“ „Aber“, meine Augen fielen nach unten: „Das war ein Unfall… Und ich war fies…“ „Du warst zurecht zornig“, der Bestatter nahm mein Gesicht in beide Hände und zwang mich so ihn anzusehen. Er zog ein beruhigendes Lächeln auf: „Ich hatte mich nicht im Griff. Ich war fies, nicht du.“ „Aber“, in so ein schlechtes Licht hatte ich Undertaker nun auch nicht stellen wollen. Er dachte doch öfter schon viel zu schlecht von sich… „Du hast nichts falsch gemacht“, er fuhr mir mit seinem Zeigefinger über den Kieferknochen und hob mein Gesicht am Kinn an. „Aber ich habe total überreagiert…“, meine eigenen Unzulänglichkeit tat mir weh. Noch nicht mal seine Launen konnte man an mir auslassen. Immer, wenn ich meinen Vater… Ich war einfach zu nichts gut. Ständig provozierte ich Situationen und hielt dann die Ernte davon nicht aus. Seit ich klein war ging es so. Ich wäre gerne mehr. Ich wischte mir recht grob und wütend die eigenen Tränen vom Gesicht. „Nein, nein“, Undertaker schnappte meine Hand. In derselben Bewegung stupste er mit dem Zeigefinger vor meine Nase: „Das war dein gutes Recht.“ „Denkst du?“, biss ich mir auf die Unterlippe und schaute ihm von unten in sein Gesicht. „Natürlich!“, Undertaker lachte kurz auf: „Gi hi! Niemand wird gerne angezündet, denke ich. Von daher.“ Meine Augenbrauen wanderten nach oben: „Du denkst?“ Undertaker giggelte weiter: „Nun, kihihihihi, da es mir selbst vollkommen egal ist, kann ich es nur denken!“ Mir klappte der Kiefer auf: „Bitte was?!“ Der Bestatter winkte ab: „Lassen wir das, hehe! Nun ist wichtig dich Schöne wiederherzurichten. Doch“, Undertaker sah wirklich so aus, als habe er ein schlechtes Gewissen: „Erlöse mich vorher und verzeihe mir. Ich war in der Tat ein Idiot.“ Ich blinzelte ihn an. Dann schnaubte ich. „Natürlich… verzeihe ich dir.“ „Fabulös“, lachte Undertaker und fing wieder an zu grinsen: „Dann machen wir dich wieder salonfähig! Ein so schönes Ding wie du sollte wirklich nicht so aussehen.“ „Lass mich das machen“, Amy nahm Undertaker und stellte ihn Richtung Tür wieder auf dem Boden: „Das ist Frauensache.“ „Ich denke du hast Recht, Amber“, er hüpfte aus der Türe: „Bevor mir noch unterstellt wird, ich würde schöne Frauen beim Umziehen bespitzeln, kehe!“ „Umziehen?“, schaute ich blinzelnd aus der Tür, aus der Undertaker schon verschwunden war. Amy legte ein Kleid auf den Teppich, dasselbe Model wie das was ich trug, nur weniger verbrannt: „Grell hat das in seinem Schrank gefunden.“ „Grell schleppt ‘ne Menge Zeug mit sich rum…“ „Hat Fred und Ronald wohl das Porzellan gerettet“, Amy legte eine Schere und einen Kamm daneben: „Ich werde dir wohl oder übel auch die Haare schneiden müssen.“ Ich schaute nochmal in den Spiegel und fuhr mir durch mein nur noch nackenlanges Hinterhaupthaar: „Ich hab sie so lange gezüchtet…“ „Es ist ja nur ein Traum.“ „Ja“, seufzte ich mit hängenden Schultern: „Ein Alptraum…“ Amber schaffte es das nun harte Wachs aus meinen Haare zu entfernen, indem sie es vorher mit den Finger klein brach und dann heraus kämmte. Das war langsam und wäre sicherlich eigentlich auch schmerzhaft, aber es funktionierte. Dann schnitt sie mir die Haare. Mit jeder fallenden Strähne fühlte ich mich ein bisschen mehr entmutigt. Schließlich endete ich in einem frischen Kleid vor dem Spiegel. Die Schere hatte meine Brantfrisur einen klassischen Bobschnitt verwandelt. Ich band das schwarze Band wie ein Haarreif hinein und beschaute mein kurzhaariges Spiegelbild nicht wirklich wohlwollend. „Das steht dir nicht schlecht“, sagte Amy und ihr Spiegelbild erschein hinter meinem im Spiegel. Sie lächelte: „Du solltest mal über eine Typveränderung nachdenken.“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein, ich… mag mich mit langen Haaren lieber.“ Amy zuckte mit den Schultern: „Schade.“ Ich wandte mich zu ihr: „Soll ich dir die Haare schneiden, wenn wir wieder wach sind?“ „Bloß nicht“, lachte Amy: „Ist ja gut, ich weiß was du meinst.“ Sie hielt mir die Hand hin und ich hüpfte auf ihre Schulter. Wir kamen zurück in die Bibliothek. Die Anderen schienen weiter überlegt zu haben und unterhielten sich noch. Amy stellte mich auf den Tisch. „Ulala!“, hörte ich von hinten und wandte mich zu Grell: „Was sehen meine müden Augen? Schick, Mädchen!“ „Ähm“, ich fuhr mir durch meine unsäglich kurzen Haare, von meinen Worten verlassen. „Grell hat Recht“, sagte Ronald aus seiner gekitteten Tasse: „Das hat Stil! Du solltest darüber nachdenken, die Haare so zu behalten.“ „Ich…ähm…“, ich atmete tief durch: „Ich mag meine langen Haare.“ Ronald zuckte mit den Schultern, wollte wohl noch etwas sagen, doch William kam ihm zuvor: „Wir haben wichtigere Probleme als Lady Rosewells Frisur.“ „Natürlich“, machte ich kleinlaut: „Ich wollte nicht ablenken.“ „Naja“, machte Grell: „Du hast dir das ja nicht gerade ausgesucht.“ „Lee?“ Amys besorgte Stimme durchbrach die Konversation und brachte alle dazu sich zu ihr zu drehen. Lee hing mit verschränkten Armen und Beinen und hängenden Kopf auf seinem Sessel. Amy rüttelte an seiner Schulter: „Lee?!“ Keine Reaktion. Mein konnte Amys Herz an ihrem Gesicht absacken sehen. Die Atmosphäre kühlte schlagartig aus. Kaum gesehen was vor sich ging erschien auf ihren Gesichtern ein offensichtlich besorgter Ausdruck. Undertaker sah so skeptisch aus, dass er die Augen ein Stück zusammengezogen und sein Grinsen verloren hatte. Ein Ausdruck, der mein schlechtes Gefühl noch viel schlechter machte. Amber beugte sich weiter hinunter und schüttelte den Asiaten fester: „Lee! Was hast du?!“ Lees Kopf zuckte hoch. In dem Moment, in dem er Amy mit müden und recht überraschten Blinzeln ansah, konnte man die Spannung aus der Situation förmlich entweichen hören. Tatsächlich hörte man, wie Ronald wieder anfing zu atmen und Frederic erleichtert leise durch die Zähne pfiff. „Was war los?“, Amy wirkte immer noch recht aufgeregt. Lee legte beruhigend seine Hand auf eine von Amy, die immer noch auf seiner Schulter lag: „Ich war nur eingeschlafen, alles gut.“ „Schade…“, seufzte ich ohne zu überlegen. Sofort starrten mich alle an. „Schade?!“, keifte Amy mich vollkommen entsetzt an: „Spinnst du?!“ „Nein, nein!“, ich wedelte verzweifelt mit meinen Händen. Ich hatte meinen Gedankengang nie geteilt. So ohne meinen gedachten Kontext war meine Aussage einfach unter aller Sau: „I-ich… hatte einen Gedanken! Vorher! I-ich… bin froh, dass es Lee gut geht!“ Zumindest ging es ihm einigermaßen gut. In dem Sinne, dass er noch lebte. Fit sah der Asiate wirklich nicht mehr aus. „Aha?“, verschränkte Amy die Arme. In mir zog sich etwas ganz fest zusammen. Ein fieser Knoten in meiner Brust schnürte mir die Lunge zu. Deswegen zog ich meine Schultern in Stück hoch und hob verzweifelt meine Hand an meinen Mund. Ich wollte nicht, dass Amy sauer auf mich war. Amy war mir so wichtig und sie hatte einen so intensiven wütenden Blick, dass ich mich schon verprügelt fühlte, wenn sie mich böse anschaute. Ich hatte sie wirklich nicht wütend machen wollen. Es war wirklich nicht so gemeint gewesen… Eine Hand erschien auf meiner Schulter. Aufgescheucht fuhr mein Kopf herum. Ich sah in Undertakers wächsernes Gesicht. Dann sah ich auf die Hand auf meiner Schulter. Es war seine Hand. Als ich wieder in Undertakers Gesicht schaute, lächelte er mich warm an. Seine Augen wanderten zu meinem Oberarm. Als ich seinem Blick folgte, merkte ich schließlich, dass ich meine Arme um meinen Oberkörper geschlungen hatte und mich an meinen Oberarmen festklammerte. Sachte nahm Undertaker meine in seine Hände und zog sie von meinem Körper. „Sprich“, sagte er, meine Hände in seinen: „Erkläre dich.“ Ich schaute wieder in sein lächelndes Gesicht. Dann biss ich mir unruhig auf die Unterlippe und ließ meine Augen aus seinem Gesicht fallen: „So einfach geht das nicht… Das klang zu falsch…“ Ich spürte Amys Blick in meinem Rücken. Ich fühlte die Blicke aller. Unruhig schaute ich mich um. Ich sah hochgezogenen Augenbrauen, ungeduldig wartende Gesichter, verschränkte Arme und skeptische Ausdrücke. Mein Herz machte einen Satz. Mein Atem begann zu rasen. Alle schauten mich an. Und als mir endgültig klar war, was nun alle von mir denken mussten… als ich lesen konnte was in ihren Gesichtern stand… rettete mich auch Undertakers weicher Blick nicht mehr. Der Knoten zog sich fester und schnürte mir nicht mehr nur die Lunge, sondern auch den Magen ein. Ich spürte den Schmerz nicht, aber die endlose Spannung des Krampfes, der in meinen Oberkörper fuhr. Ich wollte mein Hände zu mir nehmen und sie um meinen Körper schlingen. Ich fühlte mich haltlos, beobachtet und konnte mit den erwartenden Gesichtsausdrücken nicht umgehen. Der Knoten streute mit einem ersticktem Laut bis in meinen Hals. Sie sollten wegschauen… Ich konnte nicht mehr atmen. Sie sollten aufhören mich anzustarren. Doch Undertaker hielt meine Hände fest. Und in meinem schockstarren Krampf zog ich meine Finger so fest um seine wie ich konnte. Nach ein paar Sekunden befreite er die Finger einer Hand und legte sie auf meine Wange. Behutsam drehte er mein Gesicht zu seinem. „Doch ist es“, sagte er ruhig mit einem eindringlichen Blick: „Ganz einfach. Spreche einfach. Schaue mich an, nicht die andren.“ „Aber…“, würgte ich heraus. Undertaker unterbrach mich allerdings sofort mit einem langsamen Kopfschütteln: „Kein aber. Du bist niemand, der Anderen Böses wünscht. Erkläre dich und sprich. Es geht um den Gedanken, den ich eben schon durch dein hübsches Blau hab huschen sehen, hm?“ Ich nickte langsam. „Dann“, Undertaker kicherte nicht. Er wirkte auch nicht belustigt. Sein Lächeln war warm, in seiner Stimme lag Anteilnahme und seine Hände gaben mir ein großes Gefühl von Sicherheit: „Sprich.“ Der Ausdruck auf seinen glatten Zügen ließ mein von Ambers hitzigen Blick angefachtes Herz einen Takt langsamer schlagen. Seine Augen suggerierten mir sofort, dass alles wieder gut werden würde. Dass ich nicht allein war. Und ich glaubte ihm sofort. Der Knoten verschwand nicht gänzlich. Doch er lockerte sich bei seinem Anblick enorm. Die Anderen schauten immer noch, ich spürte ihre Blicke. Aber ich hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl ich stand dem allein gegenüber. Ich schaute nur Undertaker an. Er war bei mir. Das Gefühl war gut, beinahe überwältigend und mir fast vollkommen fremd. „Ich“, begann ich, wenn auch sehr kleinlaut mit meinem neu aufgeflammten Quäntchen Mut. Meine Finger hielten seine Hand noch fester. Er war mein Strohhalm und ich konnte nicht anders, als mich mit aller Kraft daran fest zu klammern: „Habe mich an den alten Aberglauben erinnert, dass man aufwacht, wenn man im Traum einschläft…“ Das erklärte meine Aussage nicht ganz. Eigentlich so gar nicht. Doch Undertaker nickte langsam, als sei was ich meinte vollkommen offensichtlich: „Und da Lee hier auch wieder aufgewacht ist, findest du es schade, dass die Lösung nicht so simpel ist.“ Ich nickte. Niemals hätte ich gewollt, Lee passiere irgendetwas. „Puh“, hörte ich Lee von hinten. Sein Tonfall war allerdings recht amüsiert: „Und ich habe schon überlegt was ich dir getan habe.“ Grell seufzte: „Ich dacht‘ auch schon…“ Ich schaffte es über meine Schulter zu schauen. Dabei verließ allerdings Undertakers Hand meine Wange, was ich sofort bedauerte. Die Blicke der Anderen waren nicht mehr erwartungsvoll und auch nicht mehr so strafend, doch man sah ihnen den bitteren Nachgeschmack noch an. Lee, der sicherlich versuchte hatte mit seinem Tonfall die Situation wieder zu entspannen, hatte es nicht ganz geschafft. Der Knoten machte Anstalten sich wieder zusammen zu ziehen. Was dachten jetzt nur alle von mir? Sicherlich, dass ich eine richtig dumme Pute sei. Undertaker ließ meine Hand los. Erschrocken darüber sackte mein Herz ein großes Stück ab und ich schaute von meinen Gedanken verlassen auf meine nun leere Hand. Und fühlte mich plötzlich auch ein ganzes Stück leerer. Und verlassener… Doch lange hatte ich keine Gelegenheit mich mit diesem Gefühl zu beschäftigen. Denn zwei Arme, die sich wie aus dem Nichts von hinten um meinen Hals falteten irritierten mich zu tiefst. Auch fühlte ich auf einmal etwas Spitzes auf meinem Kopf. Verdutztes Blinzeln war alles was ich in diesem Moment zu Stande brachte. Meine Gedanken waren aus mir undefinierbaren Gründen vollkommen durcheinander. Ich ließ meine Augen nach unten fallen, da der Überraschungsmoment mich noch nicht losgelassen hatte und ich es so nicht schaffte meinen Kopf zu bewegen. Ich sah zwei wächserne Hände an goldenen Armen, die auf meinen Schultern lagen und deren Finger locker ineinander gefaltet waren. „Dumm war der Gedankengang nicht“, tönte die mehr als nur bekannte samtschwarze Stimme des Bestatters von direkt über mir und das was auf meinem Kopf drückte bewegte sich. Ich war mir nun sicher, es war sein Kinn. Undertaker hatte wieder seinen Kopf auf meinem abgelegt. „Aber doch recht blauäugig“, surrte Williams Stimme zu mir herüber: „Schließlich haben wir es hier mit einem Geist zu tun.“ Ich schaffte es immer noch nicht meinem Kopf zu bewegen. Ich fühlte mich anders, nicht mehr so alleine und auch nicht mehr so leer und verlassen, doch ich wusste nicht ganz in Worte zu fassen wie es mir stattdessen ging. Komisch war das treffendste Wort, was ich dafür in meinem Repertoire hatte. Mein Herz hüpfte in meiner Brust hin und her, ich war mir nicht recht sicher, ob mir warm oder kalt war und etwas in meiner Bauchgegend wurde unglaublich nervös. Doch der Knoten, der war verschwunden. „Woher soll sie denn die Relationen haben?“, bewegte sich wieder Undertakers spitzes Kinn auf meinem Kopf. Ich blinzelte wieder. Verteidigte der Totengräber mich gerade? „Ein guter Einwand“, gab ihm William recht. Nun wanderten meine Augen zu William. Der Aufsichtsbeamte hatte ein großes Talent, um das ich ihn zur Hölle und wieder zurück beneidete: Er nahm Leuten den Wind aus dem Segeln, indem er einfach zugab etwas Falsches gesagt oder getan zu haben. Vollkommen nüchtern und sachlich konnte er anerkennen, dass ein Um- oder Andersdenken oder eine Erweiterung und Fortführung sinnvoll war. So bot er kaum bis keine Angriffsfläche für irgendwas oder irgendwen. Dies wurde noch erweitert um die Tatsache, dass William einfach eine Menge wusste, sehr strategisch und ganz offensichtlich sehr selbstsicher war. Ich war mir sicher, William wäre zwar ein sehr strenger, aber auch ein sehr guter Lehrer. Er verschenkte nichts, doch gute Leistungen sah er als gute Leistungen, er war unvoreingenommen und respektvoll. Wenn man damit zurechtkam, dass Honorar für den Fleiß etwas unterkühlt und eher hintenherum ausgedrückt wurde, konnte man von dem strengen Mann sicherlich eine ganze Menge lernen. Und als ich so darüber nachdachte, fiel mir etwas ganz anderes auf: Undertaker und William. Der verrückte Scherzkeks und der strenge Paragraphenreiter. Der Eine vollkommen plemplem, der Andere vollkommen humorbefreit. Offensichtlich waren die Beiden wie Tag und Nacht. Auf den ersten Blick hatten sie überhaupt nichts gemeinsam, abgesehen von ihrer Augenfarbe. Doch wenn man genauer hinsah, waren sich beide nicht ganz unähnlich. Sie waren beide Koryphäen in ihrem Job und mehr als gründlich. Beide hatten eine Menge Geduld. Beide waren zum größten Teil unvoreingenommen. Beide waren sehr selbstbewusste Männer, die wussten was und wie viel sie konnten. Denn beide Männer waren unfassbar schnell, taktisch und stark. Doch sie kannten beide auch ihre Grenzen. Beide konnten Fehler eingestehen und anerkennen, dass jemand anderes Recht hatte, ohne sich selbst zu diskreditieren. Und beide konnten Personen und Situationen unglaublich schnell erfassen, durchschauen und händeln. All dies taten und äußerten sie nur komplett unterschiedlich. Ich erinnerte mich, wie sehr ich mich gewundert hatte, als Amy mir erzählte die beiden würden sich eigentlich ganz gut verstehen. Auch ich war der Illusion des totalen Gegenteils zuerst erlegen. Doch nun begriff ich plötzlich warum die beiden sicherlich sehr gut mit einander arbeiten und auskommen konnten: Sie konnten sich auf den Andren verlassen, weil er so vieles hatte was sie selbst hatten. Doch ich war mir auch einer anderen Sache spontan sicher. Ihre Kombination aus Gemeinsamkeiten und Gegensätzen führte dazu, dass sie nach einiger Zeit vom Anderen genervt waren. Auch führte sie sicherlich zu sehr außergewöhnlichen Diskussionen. Allerdings glaubte ich, die beiden wussten das. Sie hatten es so akzeptiert und es einfach hingenommen. Gingen, wenn ihnen der Andere zu sehr auf den Keks ging. Dagegen sprach ja auch nichts. Eher im Gegenteil. „Außerdem kommen Aberglauben, Folklore und Volksweisheiten ja nicht von ungefähr“, ich merkte wie Undertaker seinen Kopf auf meinem hin und her wog und dies weckte mich aus meiner kleinen Abhandlung: „Es ist nur immer fraglich wie viel Feuer unter dem Rauch ist.“ William nickte leicht: „Ein Ansatz oder eine Idee wäre jedenfalls besser, als das Nichts was wir haben.“ Ronald hob eine Hand: „Was für Humbug gibt es denn noch über Träume?“ Der jüngste der Reaper wirkte von der Idee nicht begeistert. Er schien aber selber keine besseren Ideen zu haben. „Wenn man von jemandem träumt, kann derjenige nicht einschlafen“, Amy legte die Hand an ihr Kinn: „Aber das kann hier nicht so ganz stimmen…“ „Die Seele geht nachts auf Reisen“, legte Frederic den Kopf schief. Amy schaute ihren Bruder mit einem halb amüsierten Ausdruck an: „Hat das Charlie nicht mal nach einer Reise nach Hawaii erzählt?“ Fred hob die Hände: „Das Beste, was mir einfiel. Wir suchen nicht nur europäischen Aberglauben, oder?“ „Wahrscheinlich nicht“, Lees Kopf fiel zur Seite. „Träume“, Undertakers Hände verschwanden und unter einigem Geklimper hüpfte er ein Stück weg, damit er alle sehen konnte: „Faszinieren seit Ewigkeiten. Sie faszinieren Menschen, Engel, Dämonen und auch Sensenmänner gleichermaßen. Sie alle träumen, sollten sie ans Schlafen kommen. Volksweisheiten, Aberglaube, Sinnbilder, fadenscheinige Lebensweisheiten, Volksmund“, Undertaker machte eine ausschweifende Armgestehe unterstrichen durch sein typisches Lachen: „Ke he he he! Die Auswahl ist riesig!“ „Doch wenn man konkret drüber nachdenkt kommt man doch nur auf wenig“, verschränkte Grell ein bisschen zerknautscht die Arme. Undertaker hob einen Finger: „Na na. Wer wirft denn so schnell die Flinte ins Korn?“ Grell bleckte verstimmt die Zähne: „Komm erst mal selbst mit etwas um die Ecke.“ „Fein“, verschränkt Undertaker die Fingerspitzen: „Das Hervorschießen von Pilzen im Traum steht für böse Überraschungen.“ „Gott“, stöhnte Grell: „Aus dem wievielten Jahrhundert hast du das denn?“ Undertaker öffnete nur lachend die Hände: „Hab‘ ich vergessen. Nihihihihi!“ „Wenigstens hatte er etwas“, schaute William tadelnd zu seinem Kollegen in Rot. Grell seufzte und ließ die Arme hängen: „Wenn einem im Traum die Zähne ausfallen passiert was Schlimmes. Zufrieden?“ „Besser als nichts“, schob William seine Brille hoch. „Du hast doch selbst noch nichts zum Besten gegeben!“ William sah Grell kurz an. „Wer vom Fallen träumt stirbt bald“, gab er trocken zurück. „Immer mit einem Gedanke bei der Arbeit“, schmunzelt Lee. „Du hast auch noch nichts gesagt“, tadelt ihn daraufhin Amy. „Wer im Traum stirbt, stirbt in dem Moment auch in Wirklichkeit“, grinste der Asiate der Adelstochter zu. Diese seufzte nur: „Ich hoffe für dich, das nicht.“ „Noch geht es mir gut“, gab der Drogenbaron betont leicht lächelnd zurück. „Noch“, seufzte die Phantomhive daraufhin leiser. „Leute, ehrlich jetzt?“, Ronald wedelte mit den Händen. Er schien offensichtlich genug zu haben: „Schlagen wir uns jetzt tatsächlich mit volkstümlicher Traumdeutung herum?“ „Ja“, grinste Undertaker: „Das ist ein ziemlich interessantes Thema. Kehehehe!“ „Das ist Humbug“, der blonde Sensenmann nahm seine Brille ab und rieb sich durch die Augen. Dann zog er sie wieder auf: „Nichts weiter als verzweifelte Versuche sich die Welt zu erklären!“ Undertaker lachte kurz auf: „Pahahahaha! Natürlich sind sie das! In der Regel haben Menschen keine Ahnung von Geistern und Dämonen, von Engeln und Sensenmänner. Selbstverständlich versuchen sie sich die Phänomene zu erklären, die sie nicht verstehen und nicht selten ist ein Geistlein, oder ein Dämon, oder ein frecher kleiner Engel dran auch Schuld. Auch Sensenmänner haben schon oft für reichlich Verwirrung gesorgt. Wuhuhuhuhu!“ „Und wie oft warst du da mitten drin?“, fragte William mit verschränkten Armen und einem Seitenblick, der seine Theorie sehr deutlich durchscheinen ließ. Undertaker lachte lauter auf: „Fuhuhuhuhuhu! Na, immer öfter!“ William schüttelte den Kopf. Sein Gedankengang wurde wohl bestätigt. Denn dieses ‚immer öfter‘ vermittelte ein sehr genaues Gefühl von ‚in 95% der Fälle‘. „Wie auch immer“, Ronald schüttelte den Kopf: „Es gibt etlichen mehr oder weniger möchtegern-esoterischen volkstümlichen Schwachsinn. Traumdeutung ist Wahnsinn. Es gibt sogar eine Erklärung dafür, wenn man im Traum in Scheiße tritt!“ Mein Kopf fuhr zu Ronald: „Ehrlich jetzt?“ Der guckte recht gestresst zurück: „Ja!“ „Ich will es…“ „Soll Glück bringen, gihi!“, kicherte es von meiner Seite. Ich drehte meine Augen an die Decke. Dann schaute ich zu Undertaker: „…nicht wissen.“ Doch der hob nur giggelnd die Hände: „Tihihi! Zu spät.“ Mit einem ausführlichen Augenrollen drehte ich mein Gesicht wieder ab. „Ronald hat nicht ganz unrecht“, seufzte Grell und wirkte ein bisschen geschlagen: „Das Feld ist riesig und mehr als ein Symbol hat zwei oder mehr Bedeutungen. Spinnen zum Beispiel. Und wenn wir mit Knöpfen anfangen sind wir ewig dran.“ Jetzt drehte ich mich zu Grell: „Knöpfe?“ „Angenäht oder abgefallen. Zugeknöpft oder offen. Gerade am Annähen und je nach Kleidungsstück - alles eine andere Bedeutung.“ Ich zog die Augenbrauen hoch: „Wow.“ So viel zu Sensenmänner und Allgemeinwissen. „Gut, lassen wir das“, Frederic sah nicht wirklich traurig darüber aus: „Ein Versuch war es wert, aber es gibt wohl wirklich einfach zu viel.“ Ich seufzte. Dann hustete ich trocken. Vollkommen aus dem Nichts unterlag ich einem fürchterlichen Hustenanfall. Noch nicht mal durch ein Kratzen im Hals hatte er sich angekündigt. Er schüttelte mich durch, schickte mir Frost durch die Glieder. Kühle kippte in Kälte. Ich versuchte durchzuatmen, doch schaffte ich es nicht recht. Mehr als schnappendes Lufthohlen zwischen den bellenden Hustenschüben war kaum möglich. Ich hielt mir meinen verspannten Bauch, der mich in eine verkrampfte vorgebeugte Position zog. Zwei Hände erschienen auf meiner Schulter. „Was hast du?“, drang Undertakers Stimme durch den knallenden Husten, der in meinem Kopf schepperte und mich fast taub machte. „I-ich“, japste ich angestrengt und durch meinen Husten abgehackt: „Weiß… Ahe! Ahe! Weiß nicht… Ahe!“ „Willst du was trinken?“ Ich konnte Amy durch meinen Husten nicht antworten. Mein Sichtfeld flackerte im Takt der Hustenschübe und schwarze Ränder krochen von seinem Rand zur Mitte. „Da dies nicht ihr richtiger Körper ist, wird das nicht viel bringen“, entgegnete ihr dafür Undertaker. „Was sollen wir dann machen?“, fragte die Phantomhive aufgeregt: „Ist das jetzt Alptraum Phase 2, oder wie?“ „Ich hoffe nicht“, das fehlende Amüsement in Undertakers Stimme machte mir Angst: „Es ging ihr heute zwar ein bisschen besser, aber sie hat nicht genug Kraft übrig um ein Alp lange auszuhalten.“ „Und wir wissen das und können nichts tun?!“ Die Tatsache, dass ich Undertaker darauf nichts sagen hörte, steigerte meinen Schreck in Panik. Er war nicht der Typ, der einfach nichts sagte. Er sagte zumindest, er wolle bezahlt werden oder wisse nichts. Das er nichts sagte, sagte mir, dass er wohl nonverbal geantwortet hatte. Denn auch Amy schwieg. Und das hieß, dass ich die Antwort nicht habe hören sollen. Doch lange darüber Sorgen machen konnte ich mir nicht. Denn keine Minute später hatten die schwarzen Ränder die Mitte erreicht. Ich spürte ein Zucken durch meine Finger gehen. Mein Hals fühlte sich rau an, in meiner Brust lag ein komisches Ziehen. Mir war furchtbar kalt. Ich versuchte die Augen zu öffnen, schaffte aber nur einen kurzen Augenschlag. Es war dunkel, ich hörte es tropfen. Es war kalt, roch moderig und alt. Ich zitterte. Fror ganz schrecklich. Gleichzeitig war mir brennend heiß. Ich schaffte noch einen Augenschlag. Im Dunkeln sah ich zwischen dem Öffnen und Schließen meiner Lider eine Kette von der Decke hängen. Dann wurde es wieder schwarz und still. „Sky?“ „Mmhh...“ murrend und verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und wog leicht den Kopf. „Sky?“, ich kannte diese Stimme. Eine Männerstimme. Dunkel und sanft. „Süße?“, diese kannte ich auch. Weiblich, jung. „Was…“, ich war ganz heiser. Ich räusperte mich kurz: „Was ist… Wer… Wo?“ Meine Augenlider waren so schwer, ich konnte sie nicht sofort öffnen. Ich fror immer noch, aber nicht mehr so stark wie… eben? Eine Hand erschien in meinem Gesicht: „Äuglein auf, meine Schöne.“ Es klickte in meinem Kopf. Durch diese Erkenntnis schaffte ich es meine Augen aufzuschlagen. „Undertaker?“, schaute ich in das wächserne Gesicht des Totengräbers. Kurz fragte ich mich was mit ihm passiert sei. Dann erinnerte ich mich daran, in was für einem Schlamassel wir steckten. Ich schaute mich um. Rund um mich herum war die pompöse Bibliothek. ‚Komisch…‘ Spähte an mir herunter. ‚Jap‘, dachte ich bei mir: ‚Ein Wedel…‘ Wäre ja zu schön gewesen um wahr zu sein. Doch wo war ich eben gewesen? Ein Traum im Traum? Als ich mich abermals umschaute merkte ich, dass ich nicht ganz auf dem Tisch lag. Ich lag in Undertakers Armen. Ich schaute wieder in sein Gesicht. Er lächelte mir seicht entgegen. Ein Gesichtsausdruck, der in mir sofort das Gefühl erweckte, dass eigentlich egal war, was passiert war. Geschehen würde mir nichts. Solange Undertaker irgendwie geartet an meiner Seite war, war ich sicher. Er hielt mich und ich hatte das Gefühl am sichersten Ort der Welt zu sein, auch wenn es eine Welt war, die drohte sich in einen blanken Alptraum zu verwandeln. „Was“, ich fragte trotzdem: „Ist passiert?“ Undertaker zuckte einmal kurz mit den Schultern: „Du hast gehustet und bist dann zusammengebrochen.“ „Echt?“, ich hatte noch nicht das Gefühl wirklich wach zu sein. Denken tat ich nur recht behäbig und ich fühlte mich noch schwerer von Begriff als sonst. Langsam wanderten meine Augen durch meine Umgebung. Alle sahen noch genauso komisch aus wie vorher. Und alle sahen auf vielerlei Weisen nicht begeistert aus. „Jup“ machte Grell: „Nicht, dass wir sowas noch brauchen würden. Mach uns ja nicht schlapp.“ „Hatschie!“, alle Köpfe wirbelten zu Amy. Ich setzte mich sofort auf. Amber hielt sich die Hand vor dem Mund: „Hatschie! Hatschie!“ „Alles ok?“, verschränkte Frederic die Arme. Amy nickte: „Klar. Ich hab‘ nur genießt, weil ich ein Kitzeln in der Nase hatte.“ Lee seufzte und legte die Hand über die Augen: „Paranoia ist, wenn man bei einem Nießen denkt derjenige fällt gleich tot um.“ William richtete seine Brille: „Hier kann alles passieren. Die Möglichkeiten sind so gut wie unbegrenzt. Vorsicht ist mehr als nur angebracht.“ Amy hob die Hände: „Cool bleiben, Leute. Ich habe nur genießt.“ William hob eine Augenbraue: „Und Lady Rosewell hat nur gehustet. Ihr Menschen seid gefährdeter als wir Shinigami und der Dämon. Vergesse dies nicht.“ „Touché“, seufzte Amy und rollte die Augen an die Decke. Dann schaute sie wieder in die Gruppe: „Aber es geht mir gut. Es ist nur ein bisschen frisch hier drin.“ Ich musste Amy zustimmen. Auch ich fror. Lee zog skeptisch die Augenbrauen zusammen: „Findest du?“ Amy blinzelte ihren Freund verwirrt an: „Ja, und?“ „Ich finde es nicht kalt hier drin. Ich fühle eigentlich überhaupt keine Temperatur“, der Asiate deutete auf seine Wunde: „Und ich hätte jeden Grund zu frieren, wenn ihr versteht“, Lee wandte sich zu Fred: „Du?“ Frederic schaute von Lee zu Amy und zurück: „Ich finde es auch kalt.“ Lee zog die Augenbrauen mehr zusammen. Er schaute zu mir: „Frierst du, Sky?“ „Öhm“, wie auf Kommando musste ich zweimal husten: „Ja, schon. Ziemlich.“ Lee schaute durch die Runde. Ronald, Grell, William und Sebastian schüttelten den Kopf auf Lees stumme Frage. „Ich verstehe“, hörte ich Undertakers Stimme. Plötzlich landete etwas auf meinen Schultern. Ich erkannte Undertakers Mantel. „Ke he he. Dies hier ist ein Traum. Temperaturen sollte keiner spüren können.“ Ich schaute zu dem Bestatter. Er hatte sich wieder hingestellt und sah ernst aus, was an ihm immer furchtbar gruselig wirkte. Er schaute Lee an: „Oder Schmerzen.“ „Sie macht mich halb wahnsinnig“, der Asiate bedeckte seine Wunde mit seiner Hand und schaute Undertaker an: „Frierst du?“ Undertaker grinste komisch: „Nein.“ Amy schüttelte den Kopf. Gepeinigt schaute sie zu ihrem Patenonkel: „Was passiert hier?“ „Diese Welt existiert durch Brücken zwischen unseren Verständen“, Undertaker verschränkte die Arme: „Es ist keine andere Dimension, in die wir ohne unsere Körper gesperrt wurden. Lee hat Schmerzen. Skyler, Amber und Frederic frieren. Ich denke, dass wir noch mitbekommen, was mit unseren Körpern passiert. Wenn auch dumpfer, vielleicht verzögert, vielleicht verzehrt. Vielleicht sind das alles Indikatoren auf die Umstände, in denen sich unsere Körper befinden.“ Mein Herz sackte ab. Wenn es stimmte und ein paar von uns fühlten sich anders, als die anderen… „Aber“, stotterte ich: „Wir sind doch alle im Wohnheim…“ Nur Undertakers Augen wanderten zu mir: „Sicher?“ Ich merkte, wie ich meine Gesichtsfarbe verlor. Holz hin oder her. Wo war ich? „Wir müssen hier raus“, hauchte Amy. Wo war Amy? Lees Gesicht sah hart aus: „Doch wie?“ Waren wir noch zusammen? Frederic atmete tief durch: „Ich habe keine Idee.“ Wer hat uns dort hingebracht? „Das Alp hat sich diese Rose geschnappt“, Undertakers Augen wanderten durch die Anwesenden: „Was für eine Bedeutung hat sie?“ „Der Prinz“, Amy seufzte: „War in der Geschichte sehr eingebildet. Er hat eine als Bettlerin verkleidete Zauberin kein Obdach gewährt, weil sie alt und hässlich war. Daraufhin verwandelte sie den Prinz in ein Biest und seine Angestellten in Alltagsgegenstände. Diese Rose hält den Fluch und zeigt an der Anzahl der Blüten wie viel Zeit das Biest noch hat um die wahre, selbstlose Liebe zu finden und sich zu bessern.“ „Die Geschichte ist“, Grell schüttelte den Kopf: „Wirklich traurig.“ Amy zuckte mit den Schultern: „Jup… Doch es gibt ein Happy End. Durch einen Kuss wird der Fluch gebrochen und alle verwandeln sich zurück. Die Schöne heiratet ihr Biest und wenn sie nicht gestorben sind, lieben sie sich noch heute.“ „Hm“, Undertaker wackelte mit der Nase: „Erlösung durch einen Kuss wahrer Liebe. He he! Wie kitschig!“ „Romantisch!“, schrie Grell Undertaker an. Der Bestatter schenkte dem roten Reaper nur ein belustigtes Lachen. „Magst du solche Geschichten nicht?“, ich wusste nicht warum ich es fragte. Vor allem, da der Bestatter schon deutlich gemacht hatte, was er wohl davon hielt. „Nicht mein Fall“, grinste mich der Totengräber mit geneigten Kopf an: „Das trieft mir zu sehr. Nehehehe!“ „Oh“, machte ich und schaute zur Seite: „Nun, dass… ist wohl dein gutes Recht.“ „Magst du solche Geschichten?“ Ich blinzelte kurz. Dann nickte ich: „Irgendwie… schon. Ich meine, klar, es ist kitschig, aber in gewissen Maße finde ich Kitsch ok. Und das drum herum macht die Geschichte ganz sympathisch.“ „Drum herum?“, der Kopf des Bestatters fiel zu anderen Seite. „Also“, ich kratzte mich am Kopf: „Es geht ja nicht nur um die Romanze, obwohl sie natürlich das Kernstück ist. Die Angestellten halten zu dem Biest, obwohl es an ihrer Misere Schuld ist. Belle steht hinter ihrem Vater, der ein bisschen verrückt ist. Es geht im weitesten Sinne auch um… Zusammenhalt und Loyalität. Ich meine… Alle sind irgendwie total verrückt, aber es ist irgendwie auch alles ganz… harmonisch.“ Das Grinsen des unmenschlichen Totengräbers wurde ein Stück weiter: „Und das magst du? Zusammenhalt? Loyalität? Harmonie?“ Ich schlug die Augen nieder: „Ich glaube…“ „Du glaubst?“ Recht betreten schaute ich zu Boden. Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Wörter wirklich definieren konnte. Zusammenhalt. Loyalität. Harmonie. 3 bedeutungsschwere Wörter. Die meisten Menschen hatten ihre Definition von Zusammenhalt wohl aus ihrer Familie. Doch meine Familie hatte nie sonderlich gut zusammengehalten. Mein Vater hatte meine Mutter und mich immer nach seinen Launen behandelt. Mit einem traurigen Lachen konnte ich sagen, dass er sehr wohl gute Zeiten hatte. Wenn er gut drauf gewesen war, war er ein recht normaler Vater gewesen. Er konnte auch lachen, animieren und erklären. Diese Welt war nicht Schwarz und Weiß. Sie war ein Mischmasch. Grau. Mein Dad war zwar nie der Typ Vater gewesen, der mit einem auf den Spielplatz ging, doch er hatte mir zum Beispiel etliche Kartenspiele beigebracht. Mau Mau und schwarzer Peter, als ich ein bisschen älter war Skat, Rommé und Canasta. Und vor allem hatte er mir gezeigt wie man darin schummelte. Beim Kartenspiel war er sogar unglaublich geduldig gewesen. Es war nur logisch, dass eine 6-Jährige keine Canasta-Meisterin sein würde und nur weil sie im Groben die Regeln verstand, konnte sich eine Grundschülerin keine ausgefeilten Strategien ausdenken. Doch beim Kartenspiel hatte es nie Streit gegeben. Er hatte sich nie darüber beschwert, dass ich halt nur das einfachste zu Stande bekam. In allen anderen Belangen hatte mein Vater allerdings einen extrem kurzen Geduldsfaden gehabt und ich war schon immer eine Meisterin darin gewesen meinem Vater die Laune so richtig zu vermiesen. Ich war eine Belastung gewesen, die meinen Eltern nichts zurückgeben konnte. Ich war da gewesen, kostete sie Geld, das sie kaum hatten, Nerven, die sie woanders besser hätten gebrauchen können und Zeit, die an anderen Enden fehlte. Somit war meine bloße Existenz ein Anlass zur schlechten Laune. Und wenn ich dann noch irgendetwas Dummes tat - was ich heute wie damals ständig tat - und mein Vater daraufhin wirklich schlechte Laune hatte, dann… Na, man erntet ja bekanntlich was man sät. Und ein nutzloser Tollpatsch, wie ich, säte halt nichts Gutes. Folglich schmeckte auch die Ernte sehr sehr bitter. Ich schüttelte den Kopf und den Gedanken ab. Von Loyalität hatte ich zumindest eine Idee. Dank Amy. Sie stand hinter mir. Sogar vor mir… Ich würde auch gerne vor ihr stehen… Doch ich war zu schwach, zu unbedeutend und zu nutzlos. Ich konnte wie ein Sack Schläge abfangen, doch das half nicht lange… War ich also so loyal zu ihr wie sie zu mir? Konnte jemand, der so unzulänglich und schwach wie ich war, überhaupt loyal sein? Und Harmonie? Das Gefühl mit sich und der Welt im Einklang zu sein? Frieden? Mein Leben war nie friedlich. Irgendwo zwickte es immer. Irgendein Gedanke ärgerte mich immer. Und aufhören zu denken konnte ich nicht. Stille war für mich nie still. Auf Dauer war Stille sogar grausam, weil nichts die Gedanken in Bahnen lenkte und sie machten was sie wollten. Und all diese drei Dinge. Zusammenhalt. Loyalität. Harmonie. Sie scheiterten immer an mir. Ich pfiff scharf durch die Zähne und versuchte so den unangenehmen Druck und das heiße Ziehen aus meiner Brust und meinem Herzen und den Knoten aus meinen Magen entweichen zu lassen. Der Erfolg war marginal. „Bist du in Ordnung, meine Schöne?“ Mein Kopf zuckte hoch. Ich schaute in Undertakers Gesicht, welches direkt vor meinem war. Er hatte sich hingehockt um mit mir auf Augenhöhe zu sein. „Ähm“, zwang ich meine Gedanken aus ihren unguten Runden und das Gefühl der totalen Nutzlosigkeit zurück in den Hintergrund, wo es mich stets und ständig begleitete: „Warum sollte ich nicht in Ordnung sein?“ „Nun“, Undertakers Kopf kippte wieder zur Seite: „Du hattest den Habitus mir einfach nicht zu antworten erfolgreich abgelegt. Deswegen frage ich mich, warum du ihn wieder an den Tag legst.“ „Äh“, was sollte ich ihm bloß sagen? Ich wollte nicht, dass Undertaker merkte wie unzulänglich ich war. Ich wollte, dass er dachte ich könnte wenigstens ein paar Dinge: „Tut mir leid. I-ich… Meine Gedanken sind mir ein wenig abgedriftet.“ „Du verstehst ein Mädchen einfach nicht“, grätschte Grell in das Gespräch und verschränkte die Arme. Undertaker drehte den Kopf zu ihm: „Hä? Was hat A denn mit B zu tun?“ „Du bist wirklich ein Volltrottel.“ Grell und Undertaker debattierten kurz hin und her, doch bekam ich das kaum mit. Ich war einfach froh, dass Grell sich immer einmischen musste und er eine Art an sich hatte sofort die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und im Moment wollte ich wirklich keine Aufmerksamkeit. Diese Gedanken… Erinnerungen… Erkenntnisse… lagen mir unfassbar schwer im Magen und ließen sich nur mit viel Mühe unterdrücken. Grell gab mir tatsächlich ein bisschen Raum sie niederzuringen, was viel beschwerlicher war, war ich dabei im Fokus von irgendjemanden. „Naja, wie auch immer“, grinste Undertaker nach ein paar verbalen Abtauschen mit Grell: „Was passiert, wenn der Rose was passiert?“ „Der Fluch kann nicht mehr gebrochen werden“, antwortet Lee. „Die ganze Geschichte“, Undertaker hob eine Hand: „Dreht sich also darum, diesen Fluch mithilfe wahrer Liebe zu brechen?“ Amber nickte: „Ja, genau darum.“ „Gottchen“, Undertaker schmunzelte kurz: „Gihihi! Das ist unglaublich kitschig! Puhuhu!“ „Romantisch!“ „Geschenkt!“, Frederic machte eine wegwerfende Gestehe und unterbrach die Grundsatzdiskussion, die sich zwischen Grell und Undertaker anbahnte, bevor sie entstand. Man merkte wie gut auch der Erbe der Phantomhive seine Gefährten schon kannte: „Darum geht es jetzt nicht.“ „Ich weiß“, Undertaker grinste: „Doch ich glaube nun, ich weiß was die Spielregeln sind.“ „Lee ist vielleicht verletzt“, Amy stützte sich auf den Tisch und brachte ihr Gesicht zu Undertaker. Sie hatte Tränen in den Augen und wirkte aufgebracht: „Sky, Fred und ich vielleicht nicht mehr im Wohnheim und wir haben keine Ahnung was vor sich geht. Hör auf so scheiße zu grinsen und rede, Undertaker.“ „Die Geschichte nachspielen“, legte der Bestatter seinen Kopf schief: „Und ich tippe, die Rose muss dabei in eurer Nähe sein.“ Amy ging vom Tisch weg und setzte sich auf den Sessel. Sie war bleich um die Nase. „An dem Kuss wird es nicht scheitern“, Lee legte ihr die Hand auf die Schulter und grinste einmal. Doch Amy schüttelte den Kopf. Dann schaute Lee wieder in die Runde: „Doch die Rose hat das Alp und wir haben keine Ahnung wo es ist.“ „Der Aufenthaltsort der Rose ist allerdings bekannt“, sagte der Butler aus dem Nichts. „Was?“, Ronald verschränkte die Arme: „Spinnst du? Wir haben keine Ahnung wo sie ist!“ „Ihr“, lächelte der Butler kalt. „Sebastian“, Frederic schaute den Dämon kalt an: „Rede.“ Der Butler nickte: „Natürlich. Im Zentrum des Irrgartens.“ „Das sagts du uns erst jetzt?!“, polterte Grell. „Er sollte ein Alp finden“, Frederic drehte sich von dem Dämon ab, nicht ansatzweise verwundert über das was passiert war: „Um die Rose ging es nicht.“ Grell schüttelte den roten Schopf: „Du kannst uns doch nicht solche Information vorbehalten, Bassy!“ „Mit Verlaub, meine Aufgabe war eine andere“, der Butler legte eine Hand auf die Brust: „Des Weiteren wurde ich bis zu diesem Zeitpunkt weder gefragt, noch fand ich Raum meine Entdeckungen zum Besten zu geben und als ich ihn fand, tat ich es ungefragt. Oder irre ich mich, Mr. Sutcliff?“ Grell schaute den Butler verdutzt an. Mit dieser Antwort hatte er wohl nicht gerechnet, doch was sollte er dagegen schon sagen? Ganz Unrecht hatte der Dämon nicht. Auch wenn man merkte, dass ihn diese Umstände sehr gelegen kamen. Grell beschränkte sich auf Schweigen und Starren, was zumindest laut Williams Gesichtsausdruck, die beste aller Alternativen zu sein schien. Die Tischuhr sah schon reichlich genervt aus, sichtlich nicht davon begeistert, dass der Dämon recht bekommen sollte und mit so einer Frechheit auch noch ungeschoren davonkam. Doch abgesehen von Williams Gesichtsausdruck, Frederics kalter Berechnung und Undertakers schallenden Lachanfall - der Williams verdüsterter Mine natürlich auf dem Fuß folgte - sahen alle doch eher drein wie Grell: Ziemlich verdutzt. „Wenigstens haben wir nun etwas mit dem wir arbeiten können, was eine Verbesserung unsere Situation um knapp 100 Prozent darstellt“, hatte Frederic sich gefangen und belächelte nun Williams stummen Frust. „Aber dann ist ja eigentlich alles fein!“, rief Ronald auf einmal. Alle drehten sich zu ihm und warfen ihm den ‚Bist-du-jetzt-eigentlich-komplett-bescheuert-?‘-Blick zu, den sonst in einer konstanten Regelmäßigkeit Undertaker kassierte. „Was?“, machte Lee nur, der nun auch keine Lust mehr zu haben schien sich ausschweifende Phrasen auszudenken und damit die Situation einigermaßen locker zu halten. Der König des East Ends wirkte einfach so, als habe er das alles hier mittlerweile furchtbar satt: „Irre oder so?“ „Wir haben ‘nen Plan, oder?“, Ronald hoppelte in seiner geflickten Tasse über den Tisch: „Ab in den Irrgarten, ein plakativ romantischer Kuss von euch beiden Turteltäubchen vor der verfluchten Rose und pling! Sind wir wieder da, wo wir hingehören!“ Ich hustete. „Das klingt etwas zu einfach, um wahr zu sein. Findest du nicht auch?“, räusperte ich mich. Ronald hob die Arme: „Manchmal sind die simplen Einfälle die Besten.“ „Und immer öfters wird man bei den simplen Einfällen von etwas gefressen“, William schob seine Brille hoch: „Einem Alp, beispielsweise.“ „Noah“, Ronald ließ den Kopf zu dem Kerzenständer kippen: „Undertaker, du als Verfechter des einfachen Weges, sag was!“ „Ki hi hi! William hat recht.“ „Wie ich mir da… Was?!“ „Na“, giggelnd hob der Bestatter eine Hand: „All die Mühen, um uns dann den Ausgang so zu präsentieren und sein 9-Gänge-Menü einfach entkommen zu lassen? Kehehehehe! Die Falle stinkt zum Himmel!“ „Und was sollen wir dann tun?“, verschränkte Ronald die Arme. Der Totengräber breitete lachend die Arme aus: „Wir gehen zum Irrgarten, ihihihihihihihi!“ „Aber das habe ich doch auch gerade vorgeschlagen!“ „Und es wie einen Spaziergang klingen lassen“, verschränkte William die Arme vor seinem Ziffernblatt: „Der an sich in unserer Verfassung schon eine Unternehmung darstellt. Es ist eine Falle, es werden Probleme auf uns warten und nur weil uns die Alternativen fehlen heißt dies nicht, dass frühzeitige Euphorie und Vereinfachen in irgendeiner Form angebracht ist.“ Ronald hing sprachlos der Kiefer aus den Angeln. „Und gebügelt“, grinste Frederic doch ein bisschen fies vor sich her. „Jetzt wo das geklärt ist“, Grell ballte eine Hand zur Faust: „Können wir endlich einen Alp in den Hintern treten gehen? Ich hab den Vieh noch ein paar Takte zu erzählen.“ Amy stand mit neu hervorgekommenen Kampfgeist und unternehmender Mine auf: „Lasst uns keine Zeit verschwenden.“ Und ihr wiederaufgeflammter Kampfgeist tat was er immer tat: Er steckte alle an. Undertaker und ich auf Amys, Frederic und Sebastian auf Lees und William (sehr unfreiwillig) und Ronald auf Grells Schultern machten wir uns auf in den Irrgarten des Schlosses. „Wow“, machte Amy und drehte sich zu dem Gebäude nachdem wir es verlassen hatten: „Das ist ja wirklich ein riesen Ding.“ Auch ich beschaute das große Schloss. Seine Fassade war weiß, doch alt und es wirkte, als habe es sich noch nicht entschieden, ob es eine Ruine, oder ein Prunkbau war. Kletter- und Rankpflanzen nahmen einen großen Teil der Fassade ein und der helle Anstrich war fleckig durch verblasste Stellen und dem Dreck etlicher Jahre. Doch das Gebäude an sich stand, wie ein Monument, welches an vergangene Zeiten erinnern wollte. Mit großen Augen bestaunte ich das royale Gebäude und seinen stummen Kampf mit der Zeit. „Ja, ja“, giggelte es auf Amys anderer Schulter: „Ein Schloss, dem Wandel der Zeit noch nicht ganz unterlegen und seinen Glanz noch nicht vollkommen verloren. So sehen sie immer aus, bevor sie endgültig vergessen werden und sich in eine bröckelige Ruine verwandeln. Kihihihihihi!“ „Nochmal wow“, machte Amy: „Wie man der Situation ihren Zauber nimmt, Part 1.“ Ich kicherte und wie nicht anders zu erwarten war tat Undertaker dies auch. Die Gruppe ging weiter. Der Garten war düster, lag nächtlich vor uns, und ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich seine schönen Pflanzen bewundern sollte oder mich gruselte. Die, die diesen Garten gepflegt hatten, hatten ihn schon lang verlassen. Die ehemals zugeschnittenen Pflanzen, Blumen, Bäume und Büsche hatten die ihnen gegebene Form verloren und drifteten in wahrloses Wuchern ab. Nur noch wenig von dem Zuschnitt war zu erkennen. Blumentöpfe und Gartenmöbel waren der Natur anheimgefallen, verschmutzt und überwuchert. Unkraut und natürlich gesäte Pflanzen wuchsen zwischen den wohl überlegt gesetzten Zierpflanzen. Doch wie die Natur das Schloss und den Garten Stück für Stück zurück gewann hatte etwas Magisches. Es verlieh diesem Ort eine gewisse Mystik, untermalt von einem atemberaubenden glasklaren Sternenhimmel. Doch die hellen Sterne warfen dunkle Schatten zwischen den Pflanzen und das Fehlen von Fackeln, Laternen und Lichtquellen an sich ließ diese Schatten unbehelligt wandern und walten. Die mystische Düsternis hatte zugleich etwas Bedrohliches. Vor allem in Anbetracht dessen was uns im Irrgarten alles erwarten konnte. Das Alp hatte alle Möglichkeiten uns sehr böse mitzuspielen und es war mehr als offensichtlich und logisch, dass es genau das tun würde. Zweifel stiegen in mir auf. Ich war keine Hilfe, viele von uns sehr eingeschränkt. Unsere Karten standen nicht zum Besten. Mein Blick suchte Undertakers. Wie immer, wenn ich mutlos wurde und nicht weiter wusste, suchte ich nach dem rettenden lächeln des Totengräber, welches mir immer wieder das Gefühl gab alles würde in Ordnung kommen. Und ich sah es. Undertaker schickte mir ein zahnvolles Lächeln entgegen, abenteuerlustig und selbstsicher, wie nur er es in so einer Situation sein konnte. In einen Kerzenständer verwandelt und seinen Beinen beraubt wirkte der Totengräber nicht ansatzweise verunsichert. Eher hatte er eine provokativ unternehmende Ausstrahlung, die definitiv jedes fiese Alp dieser Welt herausforderte. Ich lächelte zurück, sicher nicht halb so selbstbewusst, doch genauso ehrlich, da sich meine Zweifel ein Stück weit verzogen. Ich war keine Hilfe, doch mit Undertaker musste man es erst einmal aufnehmen können. Mein Lächeln brach ein und mein Blick fiel zu Boden. Gleichzeitig mit diesem Gedankengang fühlte ich mich wie ein unnützer Parasit, der Undertaker brauchte um nicht nach zwei Schritten zu sterben und sich immer auf ihn verlassen muss. Tat er doch immer so viel für mich, gab es kaum etwas was ich für ihn tun konnte. Wie lange würde er so etwas mitmachen? Amy hielt inne, was mich meinen Gedankengang abbrechen und aufschauen ließ. Ihre königsblauen Augen wanderten durch den Garten und ließen merken, dass es ihr in Bezug auf ihre Umgebung wohl ähnlich erging wie mir. Sie zuckte kurz, als Lee mit einem aufmunternden Lächeln ihre Hand nahm. Hand in Hand, ihre Vertrauten und Familie auf den Schultern betraten Amy und Lee – die Adelstochter und der Drogenbaron – den finsteren Rosenirrgarten. Einige Zeit wanderten wir durch das dunkelgrüne Labyrinth. Lee, Grell, Frederic, William und Ronald verstrickten sich zwar irgendwann in Diskussionen wo lang wir gehen sollten und an welchen Strauch wir nun schon 5x vorbeigekommen seien, doch bemerkte ich dies nur am Rande. Ich war in einen zehrenden Alarmzustand gerutscht, erschöpft, fror und fing immer wieder zu husten an. Auch Amy und Frederic zitterten zunehmend und die jüngste der Phantomhive Geschwister nießte immer öfter. Lee wirkte vollkommen erschöpft, sein gesamter Ärmel war mittlerweile durchtränkt und dunkelrot. Ich erinnerte mich an die Theorien der 4 Sensenmänner und wünschte mir sie lagen falsch. Doch meine innere Stimme wusste ganz genau wie selten sie irrten. Wenn sie recht behielten wurde die Energie von uns Menschen gerade von einem Alp vernascht was uns massiv schwächte und mit unseren Köpern war irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung. Ich hatte Angst um uns und vor all dem was mit uns passieren könnte. Oder gerade passierte. Plötzlich raschelte es. Alle Köpfe fuhren herum und sofort waren alle Zankereien verstummt. Augen huschten durch den schlanken Gang des Irrgartens. Amy drehte sich zu Lee, der sich umgewandt und dadurch ihre Hand losgelassen hatte: „Woher…!“ Doch bevor die Phantomhive ihren Satz zu Ende sprechen konnte wurde sie mit einem spitzen Schrei ihrerseits nach hinten gerissen. „Amy!“, versuchte Lee noch nach ihrer Hand zu greifen, doch etwas zog sie samt Undertaker und mir zu schnell in die Rosenhecke. Das Rascheln der Blätter um mich herum war ein ohrenbetäubender Lärm. Ich blieb mit meinem Kleid an einem Ast hängen und wurde von Amys Schulter gerupft. „Amy!“, rief auch ich, streckte die Hand aus, konnte meine beste Freundin allerdings nicht mehr erreichen. Sie verschwand hinter den Blättern und ich hatte nur einen Gedanken: Ich betete zu allen Göttern, die ich kannte, zum Karma und zum Schicksal und zu allem zu dem man beten konnte, dass Undertaker es geschafft hatte bei Amy zu bleiben. Ich hing derweilen baumelnd an einem Ästchen. Schöne Sch-sch-schande… Meine Situation wäre ja schon fast zum Lachen – Undertaker würde so oder so lachen – wenn nicht vielleicht im selben Moment meine beste Freundin von einem Alp gefressen wurde! Ich wedelte mit meinem Wedel und versuchte mit meinen Händen den Ast zu erreichen und mich los zu machen. Es funktionierte nicht, aber durch mein Herumgewackel brach das Ästchen ab und ich plumpste mit einem Aufschrei und Nase voran aus der Rosenhecke. Ich blieb auf meinem Gesicht liegen. „Das kann doch alles nicht wahr sein…“, nuschelte ich ins Gras. „Na, na, wer sieht denn so geschlagen aus?“ Mein Kopf zuckte hoch. Undertaker grinste mir entgegen: „Bist du in Ordnung, mein kleines Blumenkind?“ „Blumen…kind?“, ich war verwirrt. In der Nähe des Bestatter war dies allerdings mein Normalzustand und das auf jede erdenkliche Weise. Undertaker beugte sich zu mir herunter und zupfte mir etwas aus den Haaren. In seiner Hand hielt er zwei tief rote Rosenblätter. „Steht dir“, lächelte der unmenschliche Totengräber: „Das Rot ergänzt deine Haarfarbe wunderbar. Und auch deine neue Frisur kleidet dich ganz wunderbar.“ Ich blinzelte Undertaker irritiert an. Der weiche Ausdruck in seinen Augen und das warme Lächeln entrückte mich der Situation. Doch meine Verwirrung machte schnell einen wichtigeren Gedanken Platz. „Wo ist Amy?!“, fragte ich entsetzt darüber, dass mich ein Kommentar des inkognito Shinigamis so hemmungslos von der Tatsache abgelenkt hatte, dass meine beste Freundin vielleicht in Gefahr war. Andererseits wirkte der Totengräber nicht so, als gäbe es Grund zur Besorgnis. Steckte Amy wirklich in Problemen wäre er wohl kaum so ruhig. Undertaker zeigte mit seinem Daumen nach rechts und wirkte eher amüsiert als besorgt, was mir endgültig verriet, dass es wohl auch wirklich keinen Grund sich zu sorgen gab: „Sich ärgern. Kihi.“ Ich folgte seinen Daumen und sah eine Amy, die fluchend und niesend, aber lebendig an der Rosenhecke auf und ab ging. Ich schaute zurück zu Undertaker: „Was… war das dann eben?“ „Das Alp“, Undertaker nahm die Hand hoch und blies sachte die zwei Rosenblätter in den Wind. Tänzelnd wehte die Briese sie davon. Ich wandte meinen Blick zu Undertaker nachdem die beiden verspielten Rosenblätter im Nachthimmel verschwunden waren: „Und wo ist es?“ „Getürmt“, grinste der Bestatter. Ich seufzte: „Und warum?“ Dass der Mann nicht einfach alles erzählen konnte. Ich hatte das Gefühl er war schon ein kleiner (Melo)Dramatiker. Undertaker allerdings giggelte nur: „Ki hi hi hi! Wenn man ein bisschen Ahnung von dem hat was Geister überhaupt nicht mögen, braucht man weder Beine noch Größe noch eine Death Scythe.“ „Undertaker“, ich schüttelte den Kopf: „Mir steht gerade wirklich nicht der Sinn nach Frage-und-Antwort-Spielen. Außerdem belustige ich dich doch oft genug, dass ich mittlerweile bei dir eine Rabattkarte beantragen könnte, oder? Könntest du also bitte einfach zusammenhängend erzählen was passiert ist?“ Das Lachen, das den Totengräber jetzt entfuhr, war höchst gefällig: „Kehehehehe! Die junge Dame hat auch noch einen Sinn für das Geschäftliche!“, er beugte sich wieder zu mir und hielt mir seine Hand hin: „Es ist höchst erfreulich, dass du dir deinem Wert bewusst zu werden scheinst.“ Ich bekam meine Augen nicht von diesem riesigen Grinsen los. Seine Augen waren ein Stück zusammengezogen und so in die freundlichsten Falten gelegt, die ich je gesehen hatte. Undertaker reckte seine Hand noch mehr nach vorne, als ich sie nicht griff, sondern wie versteinert in sein Gesicht schaute. Diese Bewegung ließ meine Augen zu seiner Hand wandern. Kaum sah ich sie, blinzelte ich: „Was ist das?“ „Das“, Undertaker zeigte grinsend seine Zähne: „Ist das, was passiert ist.“ Irritiert beschaute ich die Handfläche des Bestatters. In das elfenbeinfarbene Wachs waren ein Kreis eingeritzt, indem ein kleinerer Stand. Durch den kleinen Kreis zogen sich 4 überkreuzende Linien deren Enden mehr als ungewöhnlich gestaltet waren. Eins erinnerte an das buddhistisches Sonnenkreuz mit kleinen Kreisen an den 4 Enden, eins an ein umgedrehtes Dreieck mit zu lang gezogenen Linien, das dritte an ein W mit Kreisen an den oberen Zacken, das vierte zeigte ein M, das fünfte Ende war eine geschwungene Linie mit 2 kleineren darunter, das Sechste ein Oval mit einem Strich innen drin, das siebte ein Dreieck unter dem ein Strich stand und das achte zwei Striche mit heruntergezogenen Enden. Zwischen den Kreisen standen Symbole, die an eine Schrift erinnerte, doch ich erkannte nicht was für eine. „Was ist das?“, fragte ich den Totengräber ahnungslos, da mich dieses Symbol wirklich an nichts erinnerte. „Das 28 der 44 Siegel König Solomons“, grinste mir Undertaker entgegen: „Ke he he. Das Dritte Pentakel des Saturns, um genau zu sein. Es schützt gegen die Verschwörungen Anderer und gegen böse Geister.“ „Und“, machte ich blinzelnd: „Was hat das gemacht?“ „Fuhuhu! Dem Alp die Lust genommen, sich Amber und mir auf weniger als zwei Meter zu nähern.“ „Das hat wirklich funktioniert?“, wie Undertaker es formuliert hatte klang es eher nach esoterischen Humbug. „Warum sollten wir sonst so unbehelligt hier herumstehen, wenn das Alp Amber schon am Schlafittchen hatte?“ Punkt für den in einen Kerzenständer verwandelten Bestatter. „Glaubst du nicht an Magie, junge Sky?“, grinste er mir weiter entgegen. „Also“, ich druckste kurz: „Eher… nicht?“ Der Totengräber begann zu lachen. „Was ist jetzt wieder so komisch“, zog ich meine Augenbrauen etwas beleidigt zusammen. Ich hatte mich schon zu größten Teilen daran gewöhnt von ihm hemmungslos ausgelacht zu werden – anders wäre seine Gegenwart wohl auch sehr unerträglich – doch ich wollte wenigstens verstehen warum. Der Bestatter stützte sein Gesicht auf einen Arm und diesen auf seinen zweiten: „Nun, pu hu hu, es ist erstaunlich, dass du es immer wieder schaffst eine Antwort wie eine Frage klingen zu lassen. Ich komme dann nie drum herum mich zu fragen, ob du dir deiner Antwort überhaupt sicher warst.“ Ich schaute zur Seite: „Ich… frage mich das selbst öfter…“ „Warum forderst du dir dann keine Zeit zum Nachdenken ein?“ „Weil…“, ich seufzte tief: „Ich weiß es nicht…“ „Nun ich gebe dir auf jeden Fall etwas zum Nachdenken“, ich schaute dem Totengräber in sein lächelndes Gesicht: „Du bist des Öfteren umgeben von Sensenmänner und einem Dämon, selbst ein verfluchtest Kind, wurdest von einem Alp in einen Traum gesteckt und glaubst nicht an Magie?“ Zweiter Punkt für den lachenden Kerzenhalter. „Du“, mein Kopf fiel nach unten, als ich mir doch ziemlich doof vorkam: „Hast damit wohl recht… Dass klingt ziemlich unlogisch…“ Zumindest unlogischer, als meine unlogischen derzeitigen Lebensumstände an sich, die der Bestatter doch sehr gekonnt auf den Punkt gebracht hatte. Eine Hand erschien vor meinem Gesicht: „Na na. Schaue nicht so bestürzt, dazu gibt es keinen Grund. Du bist in unserer Runde schließlich noch neu, aber du solltest dich daran gewöhnen, dass die ein oder andere Fantasterei wahrer ist, als du bis jetzt zu denken pflegtest.“ Meine Augen wanderten die Hand des Totengräbers hinauf und blieben in seinem Gesicht hängen. Sein Lächeln rettete ein weiteres Mal meine Welt. „Wahrscheinlich…“, ich schaffte ein dünnes Lächeln und rieb mir meinen Nacken, wo die feine bizarre Narbe war: „Hast du Recht.“ „Gihihihi“, giggelte er: „Ganz sicher habe ich das.“ Ich seufzte: „Wir sollen die anderen finden, oder?“ Undertaker nickte: „Das wäre sicher angebracht, nihihihi! Schließlich gehören zu einem romantischen Kuss immer zwei. Hehehehe!“ Man merkte an seiner Art zu reden, wie albern er das alles fand. Und wenn er etwas albern fand, musste es in seinen Augen ein gesteigertes Maß an Blödheit erreicht haben. Ich schaute von rechts nach links, von links nach rechts. Der Gang, in dem wir standen wirkte lang und gerade. Zumindest verschluckte die Nacht beide Enden. Beim herumschauen trafen sich der Blick von Amy und mir. Ein erstaunt erleichtertes Lächeln erschien auf ihren Zügen und sie tat ein paar schnelle Schritte, bevor sie vor uns auf die Knie fiel. Ungefragt schnappte sie mich und kuschelte mich mit ihrer Wange: „Oh Süße, ich habe mir Sorgen gemacht, als du nicht da warst!“ „Ich…ähm… landete in einer verzwickten Situation…“ Amy entferne ihre Hände von ihrem Gesicht, sodass ich ihr in selbiges schauen konnte: „Alles ist hier ziemlich verzwickt. Wir müssen die anderen finden.“ „Und wie? Man kann nur raten wo sie sind oder wo wir sind.“ „Nihihi, meine Damen, nicht so negativ!“ „Ich bin nicht negativ“, machte Amy, was mir nur einen angefressenen Gesichtsausdruck entlockte. Ich war höchstens realistisch! Und realistisch gesehen hatten wir einfach keine guten Karten! „Vielleicht sollten wir dahin schauen, wo Menschen nie hinschauen. Kehe!“ „Und wohin schauen Menschen nie?“, zog die Phantomhive eine Augenbraue hoch. Breit grinsend deutete Undertaker in den Himmel. Amy und ich schauten gleichzeitig nach oben. Ein Schatten kreiste über unseren Köpfen, nur im nachtschwarz sichtbar, weil er das Licht der vielen Sterne verdeckte. „Sebastian!“, rief Amy. In dem Moment setzte der Schatten zum Sturzflug an. Neben uns auf einer Hacke landete in der Tat der Butler: „Soll ich die junge Lady zu den anderen führen?“ „Gott, Sebastian“, Amy wirkte ungemein erleichtert: „Ja, bitte.“ „Fliegen können ist praktisch, kihihihi!“ „Jetzt komm schon“, machte Amy und nahm Undertaker und mich wieder auf ihre Schultern: „Ich will endlich hier weg.“ Sebastian segelte über unsere Köpfe. Da er von oben das Labyrinth überblicken konnte führte er uns zielsicher durch die Gänge und Abzweigungen. Zuversichtlich folgte die Adelstochter dem in eine Taube verwandelten Butler und rannte ihm hinter her durch den Irrgarten. „Sicher hüpft uns gleich irgendwas entgegen“, seufzte ich in den ‚Fahrtwind‘, den Amys Lauf mir um die Ohren wehen ließ. „Kehehehe! Selbst wenn“, grinste Undertaker und winkte mit der Hand, auf der dieses komische Zeichen war: „Man muss nur wissen wie man es handhaben muss.“ „Deine Zuversicht will ich haben…“ „Oh bitte! Kehehehe! Ich habe genug davon, ich mache dir einen Sonderpreis!“ Verständnislos schüttelte ich den Kopf: „Du bist ein… AH!“ Bevor ich dazu kam dem Totengräber zu sagen was ich den von diesem Angebot hielt, sackte ich ein ganzes Stück nach unten. Um genau zu sein sackte Amy ein ganzes Stück nach unten. „Mein Fuß!“, rief die Adelstochter aufgeregt, als ich noch gar nicht sehen konnte was überhaupt passierte: „Etwas hat meinen Fuß!“ Doch Amy kam auch nicht dazu mehr zu erzählen. „Butler! Hol die Anderen!“ Ich sah wie Amys Hände versuchten sich in der Wiese festzukrallen. Sie verruchte nach vorne zu kommen, hinterließ tiefe Spuren ihrer Finger in dem erdigen Boden. Sie wehrte sich gehen was auch immer passierte mit Lebenskräften, was ihren Körper beben ließ und mir das Gefühl gab mitten in einem Erdbeben zu stecken. Ich krallte mich in ihrem Ärmel fest, um nicht von ihrer Schulter geschüttelt zu werden. Als ich schaffte über meine eigene Schulter zu schauen, sah ich das die Adelstochter bis zu den Oberschenkeln im Rasen steckte. Es war kein Loch, in das sie gefallen war. Sie war Knie abwärts einfach in der Wiese verschwunden und sank mit jedem Ruck ein Stückchen mehr. Ein weiterer großer Ruck kam und Amy schrie auf: „Ich werde runtergezogen!“ Das Alp! Ganz sicher! Ich wollte mir nicht vorstellen was passierte, wenn Amy ganz nach unten gezogen wurde. Aber was sollte ich tun?! Ich war ein verdammter Staubwedel! Knappe 60 cm groß! Doch ich konnte ihr nicht einfach ihren Schicksal überlassen! Ich sprang ich von ihrer Schulter. Griff eine ihrer Handgelenke und stemmte mich mit aller Kraft nach hinten. „Sky!“, Amy schaute mich an, Tränen in den Augen: „Verschwinde! Du wirst nur mitgezogen!“ „Selbst wenn!“, presste ich meine Stimme durch meine Zähne, während ich mit allen Kräften die ich hatte versuchte gegen den Abwärtssog zu zehren: „Ich lasse dich sicher nicht allein!“ „Süße! Das bringt doch nichts!“ Doch ich zog weiter: „Entweder wir kommen zusammen hier raus, oder gehen zusammen vor die Hunde!“ Plötzlich schüttelte Amy ihre Hand: „Das ist Schwachsinn!“ Die Bewegung ließ mich hin und her schleudern: „Lass das!“ Ich konnte tun was ich wollte. Amy schüttelte ihre Hand noch einmal mit Schwung… … und ich verlor den Halt und flog durch die Luft. Unsanft landete ich in der Wiese und rollte nach der Landung noch weiter. Der Aufprall hatte mein Sichtfeld in ein buntes Flimmern verwandelt und das Rascheln des Grasses war ohrenbetäubend. Es waren nur Sekunden, doch die Zeit bis ich ausgerollt war fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ich blieb halb benommen bauchlinks liegen. „Hör auf dich zu wehren!“, hörte ich eine Männerstimme. „Bist du verrückt?!“, protestierte die Phantomhive. „Ja vollkommen, aber das ist jetzt nicht wichtig! Vertrau mir, Amy!“ Ich stemmte mich auf und sah meine bis zu Brust verschwundene Freundin, deren Finger bis zum zweiten Glied in die Erde gekrallt waren. „Amy!“, sofort sprang ich auf die Borsten und renn-wackelte so schnell ich konnte zu ihr: „Amy!“ Ich fiel auf die Knie, als mich nur noch Zentimeter von ihr trennten, weil dies die Distanz schneller verkürzte als weiter zu laufen. Hastig versuchten meine Finger irgendwas zu greifen. Doch ich bekam nur eine Haarsträhne zu fassen, die Amy aus der Frisur gerutscht war, bis sie ihre Finger aus dem Erdboden zog und mit einem schmatzenden Geräusch im Boden verschwand. Ihre lange Haarsträhne zog mich ein Stück mit - eine sehr unangenehme Achterbahnfahrt - die noch unangenehmer endete, als ich hart auf der Wiese aufschlug und nun endgültig nur noch bunte Sterne sah, die sich schnell in schwarzes Nichts verwandelten. Ich zitterte und schwitzte gleichzeitig. Mein Kopf dröhnte. Ich hörte es tropfen. Atmen fiel mir schwer. Ich hustete, hatte aber selbst danach das Gefühl keine Luft zu bekommen. Meine Lider flackerten auf. Ich sah die Kette. Musste husten. Ich wollte meine Augen öffnen, bekam aber wieder nur ein halbherziges Flattern zustande. Ich sah nackte Steinwände. Ein Gitter anstatt einer Wand zu meiner rechten. Ein Hustenanfall folgte und meine Atemnot schmetterte mich zurück ins Schwarz. Meine Gedanken krochen zäh wie Kaugummi wieder in meinem Kopf. Ich war verwirrt und konnte keinen meiner Gedanken fassen, auch wenn sie durch meinem Kopf schwappten, als steckten sie in dicken nur noch halbflüssigen Teer. Mein Körper war dumpf, doch ich hatte mich mittlerweile an dieses Gefühl gewöhnt. Nur kalt… kalt war mir immer noch. Langsam bewegte ich meine Finger. An einer Hand funktionierte es nicht recht. Meine Finger fühlten sich an wie gefesselt. Es dauerte ein bisschen, doch nach dem vierten Wimpernschlag schaffte ich es die Augen zu öffnen. Ich hob die Hand, die sich gefesselt anfühlt, zu meinem Gesicht und sah schwarz-blaue Haarsträhnen, die sich um meine Finger gewickelt hatten. ‚Amy!‘ Der Gedanke an meine beste Freundin in Problemen verscheuchte sofort den Dussel aus meinem Kopf. Mein Herz ging von 0 auf 100. Ich setzte mich auf und tastete die Wiese ab: „Amy?!“ Doch da war nichts. Nichts verbreitete auch nur die Idee, dass die jüngste der Phantomhives hier gewesen war. „Amy…“, ich ließ den Kopf hängen. Sie war weg. Und ich hatte ihr nicht im Ansatz helfen können. Eine Träne tropfte ins Gras, als ich verzweifelt meine hölzernen Finger hinein krallte: „Es tut mir leid…“ Amy half mir immer. Und ich? Ich habe sie wahrscheinlich noch abgelenkt, weil sie damit beschäftigt war mich abzuschütteln! „…Es tut mir so leid…“ Mir entfloh ein tiefes Schluchzen. Wo war sie jetzt? Stand sie jetzt alleine dem Alp gegenüber? ‚Allein?‘ Der Gedanke traf ich wie ein Schlag. Nicht nur Amy und ich waren hier gewesen… Wie vom Blitz getroffen schaute ich mich um: „Undertaker?!“ Vor mir… nichts. Ich setzte mich auf meinen Hosenboden und drehte mich nach hinten: „Undertaker?!“ Auch hier nichts. Das bedeutete… dass Undertaker es geschafft hatte bei Amy zu sein! Oder?! Ich schlug meine Hände vor mein Gesicht: „Mein Gott… Pass bitte bitte auf sie auf…“ Doch ich fühlte mich ein Stück erleichtert. Ich war überhaupt keine Hilfe, aber Undertaker würde auf sie aufpassen. Ich war mir fast sicher, dass sie sicher war. Doch auch wenn ich wusste, dass sie einen sehr guten Verbündeten an der Seite hatte, waren meine Sorgen nicht ganz vom Tisch. Auch Undertaker maß vielleicht 70 cm. Er hatte wahrscheinlich eine Menge an physischen Attributen eingebüßt, die ihm sonst einen Vorteil verschafften. Doch er war immer noch kreativ und wusste mit Geistern umzugehen. Er war trotz allem 100x nützlicher als ich. Nachdem sich mein vor Sorge pochendes Herz aufgrund dieser Erkenntnis ein Stück beruhigt hatte, fiel mir ein weiterer Umkehrschluss ein. Ich war allein! Ich ließ die Hände sinken und schaute mich um. Es war dunkel. Die Büsche um mich herum waren nicht mehr als schwarze, unheilvolle Schatten. Und ich hatte keine Ahnung wo ich war. Mein Herz fing wieder zu rasen an. „Ist hier jemand?“, mein eigenes Rufen ließ mich zusammen zucken, weil es auf einmal so laut klang. Ich legte die Hand mit Amys Haaren auf meine Brust und zog meinen Wedel an meinem Körper. Ich hörte nichts. Nicht mal das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren. Die Todesstille gepaart mit dem schier endlosen Düstern ließ meinen Atem schneller gehen. Mein hechelnder Atmen vertrieb zwar die Stille, machte mein Empfinden allerdings überhaupt nicht besser. Ich wusste nicht wo Undertaker und Amy waren! Ich zog meinen Körper zu einen kleinen Packet zusammen. Ich wusste nicht wo ich bin! Ich kniff Augen und Lippen zusammen. Oder die andern 6! Ich krallte alle Finger um die Haarsträhne, um das letzte was mir von meinen Freunden geblieben war. Ich wusste nicht, wie ich irgendjemanden finden sollte… Ich konnte ja noch nicht mal richtig laufen! In meinem Kopf überschlugen sich die Probleme, die Angst, die Sorge, minutenlang und so sehr, dass ich nicht auch nur ansatzweise auf eine Lösung kam. Das Einzige, was ich hatte, war… …Panik. Sie packte mich mit klammen Fingern und schnürte mich ein. Ich versackte soweit darin, dass meine Umgebung für mich nicht mehr existierte. Plötzlich - vollkommen aus dem Nichts – wurde ich hochgehoben. Der Schreck fuhr mir wie Glasscherben durch meinen dauerfröstelnden Körper. Ich fror ein, bevor mich sekundenspäter die brennende Angst packte. „Nein!“, kreischte ich, als ich um mich schlug und tritt: „Lass mich in Ruhe!“ Doch auf meine Gegenwehr wurde mit einem Klammergriff geantwortet. Alles zog sich in mir zusammen, mein Atem ging wie ein Maschinengewehr: „Lass mich!“ Ich spürte wie sich meine Nägel in etwas Weiches bohrten, als ich wild um mich kratzte. „Au!“ Ich wurde losgelassen. Und fiel tief: „AAAHHH!!“ Kurz vor dem Boden wurde ich aufgefangen: „Sky!“ Ich hielt inne und riss die Augen auf. „Beruhige dich.“ Ich kannte diese Stimme! Ich hörte etwas entfernt das Gongen einer Uhr. „Du tust dir noch was.“ Verwundert wandte ich meine Nase vom Rasen nach oben. Ich sah in ein junges Männergesicht, garniert mit schmalen Augen und zwei großen Hörnern: „Lee?“ Der Asiate legte sein Gesicht in ein Lächeln: „Du bist ja vollkommen aus dem Häuschen.“ Lee setzte mich auf seine Hände und hob mich hoch. Auf seinen Schultern sah ich Fred und Sebastian, über seiner Schulter sah ich Grell, William und Ronald ankommen. In meinem Kopf machte es klick. Um mich ging es gar nicht! „Amy!“, ich griff Lee an der Seite seines Reverse die noch weiß war: „Amy ist weg!“ Lee schaute sich um. Der sonst so positiv wirkende Mann sah müde und geschafft aus. Wenn ich es richtig interpretierte sogar ein Stück entmutigt. „Das habe ich mir fast gedacht“, seufzte er und schaute mich wieder an: „Bist du ok?“ „Um mich geht es nicht!“ „Um dich geht es genau so sehr, wie um jeden anderen hier. Wie sitzen alle im selben Boot.“ Ich schaute dem Partner meiner besten Freundin ins Gesicht und spürte meine Mundwinkel einbrechen: „Ich konnte nichts machen, Lee…“ Doch Lee schüttelte den Kopf und tätschelte zweimal meinen: „Es ist nicht deine Schuld“, er hob meine Hand an, um die immer noch Amys Haare gewickelt waren: „Du hast sicher alles versucht. Danke dafür.“ „Wofür denn?!“, mein Rufen wurde von meinem schlechten Gewissen erstickt, als ich Amys Haare sah: „Sie ist weg…“ „Aber sie wusste, dass jemand da ist, der um sie kämpft und das ist viel wert. Du warst da“, Lee seufzte schwer: „Ich nicht.“ Ich ließ die Schultern sinken: „Du hast es dir nicht ausgesucht…“ „Du auch nicht“, lächelte er dünn und schaute sich dann um: „Aber es gibt wohl jemanden, der sich ausgesucht hat wo er sein will.“ „Hm?“, machte ich verwirrt: „Was meinst du?“ Die schmalen Augen des Asiaten huschten noch einmal hin und her, dann wandte er sie wieder mir zu: „Undertaker fehlt. Er ist bei ihr, oder?“ „Ich…“, ich seufzte schwer: „Weiß nicht… Ich denke. Bevor sie verschwand habe ich ihn noch was rufen hören.“ „Was denn?“ „‘Hör auf dich zu wehren‘…“ „Was soll der Mist denn?“, verschränkte Grell, der mittlerweile neben Lee stand, die Arme. „Nun“, der Butler stützt sein Kinn auf einen Flügel, den er auf den anderen stützt: „Die junge Lady hatte keine Chance. Lady Rosewell und Undertaker konnten ihr wohl auch nicht recht helfen. Vielleicht hoffte Undertaker, die junge Lady so in eine bessere Position zu bringen.“ „Wie das denn?“, zog Ronald eine Augenbraue hoch. „Das Alp schien gelernt zu haben“, wandte der Butler den Kopf ein Stück zu dem jüngsten Reaper: „Die junge Lady steckte in der Wiese, das Alp unter ihr, es war Undertaker weder möglich das Alp zu erreichen, noch war es möglich sie vor dem versinken zu hindern. Jede Position, in der das Alp sich nicht unter der jungen Lady und dem Erdboden verstecken konnte, wäre eine bessere.“ Lee nickte: „Wir wären so oder so zu spät gewesen.“ Sebastian nickte: „In euren derzeitigen Zuständen, in der Tat.“ Der Asiate legte eine Hand an seinen immer noch blutenden Hals, sagte aber nichts weiter. Sein Blick verriet, wie sehr es ihm zusetzte, dass Amy verschwunden war. „Doch“, Ronald schüttelte den Kopf: „Wo ist sie jetzt?“ Ich schaute den jungen Reaper an: „Ich habe keine Ahnung…“ Alles debattieren brachte nichts. Herumstehen auch nichts. Ich war auf Lees Schulter gewandert, da Sebastian über unseren Köpfen herflog und uns den Weg in das Herz des Irrgartens wies. Wir hielten die Augen auf, suchten die Umgebung mit unseren Blicken nach Hinweisen ab, die uns vielleicht verrieten wo Amy und Undertaker hin verschwunden waren. War der Gedanke, Undertaker habe es vielleicht geschafft bei Amy zubleiben, erst erleichternd gewesen, hatte er sich nun in meinem Kopf in etwas nur noch Besorgniserregenderes verwandelt. Denn ich hatte angefangen mir Sorgen um beide zu machen. Was ist, wenn Undertaker irgendwo anders gelandet war? Und sicherlich gab es noch Alternativen, die ich mir gar nicht vorstellen konnte. Furchtbare Alternativen! Ich hoffte so sehr, es ging beiden gut. Ich hoffte so sehr, wir fanden sie wieder. Doch wir sahen nur dunkle Büsche und düsteres Gras. Also folgten wir Sebastian weiter, auf dem Weg zu der Rose, den einzigen Anhaltspunkt den wir hatten. Die Gesichter wirkten zunehmend entmutigt. Selbst, wenn wir die Rose fanden, der ursprüngliche Plan ging nicht mehr auf. Dafür brauchten wir Amy. „Dieses Scheißvieh…“, fluchte Grell irgendwann: „Dem hau ich meine Schranktüren so lange um die Ohren, bis es nicht mehr weiß was es eigentlich ist!“ „Also bis es so schlau ist wie wir?“, schaute Ronald Grell an. „Wir wissen was es ist!“ „Wir denken, wir wissen was es ist, Sutcliff.“ Grell seufzte lange: „Ist es so unnachvollziehbar, dass ich sauer bin?“ „Das hat niemand gesagt“, William schob seine Brille hoch: „Doch meckern bringt uns nicht weiter.“ Grell seufzte: „Du hast ja recht. Jemand einen guten Ratschlag?“ „Erstmal die Rose holen“, schnaubte Fred: „Und dann Amy suchen.“ „Und Undertaker!“, rutschte es aus mir raus, so plötzlich, dass ich mir selbst die Hand auf den Mund schlug. Lee allerdings kicherte: „Klar, den auch.“ Ich schaute zu Lee. Sein Kichern machte mir Sorgen. Also nicht das Kichern an sich, sondern die Art wie er kicherte. Es klang müde, fast schwach. Lee war bleich. Die schwarzen Schatten unter seinen Augen, waren fast bedrohlicher als seine Monster-Features, oder sein halb vollgeblutetes Hemd. „Geht es?“, fragte ich. Lees Augen mit den Katzenpupillen wanderten zu mir: „Es geht. Nicht gut, aber es geht.“ „Uns rennt die Zeit davon“, warf William von der Seite ein. „Warum denkst du das?“, machte Ron mit verschränkten Armen: „Schlägst du gleich 12?“ Fred wog den Kopf zu Ronald: „Mach so weiter und für dich schlägt es gleich 13.“ William beschaute den Jungspund tadelnd: „Außerdem geht es mir nicht um die Uhrzeit, sondern um Mr. Fengs Verfassung.“ Ronald hob die Hände: „Ist ja gut, ist ja gut. Wir haben keine Zeit, keinen Plan und zwei Leute weniger. Das sind also unsere Begleitumstände, ja?“ „Wir haben ‘nen Plan“, seufzte Fred: „Wir wissen nur nicht, ob er richtig ist.“ „Und wir brauchen Amy dafür“, Lee wischt sich durch die Augen. „Undertaker ist bei ihr“, wandte sich Fred nun zu seinem besten Freund. „Ich hoffe, du hast Recht…“ „Wir sollten aufhören so schwarz zu sehen!“, versuchte ich zuversichtlich in die Runde zu lächeln. Lee und Grell stoppten und alle schauten mich an. Mein Lächeln brach ein Stück ein: „Oder nicht?“ „Das ist eigentlich Undertakers Text“, schmunzelte Lee erschöpft. „Ja… und… der ist nicht da, also dachte ich…“ Fred fing an zu lachen: „Sie hat Recht. Irgendwie geht es hier raus.“ Verunglückt lächelte ich zu Fred. Der zwinkerte mir einmal zu und schaute dann in die Runde: „Wenn wir den Kopf in den Sand stecken, kommen wir erst recht nicht weiter. Holen wir uns die Rose und wenn uns die Optionen ausgehen, verprügeln wir halt das Alp damit.“ Lee lachte einmal auf: „Das ist doch mal ein Plan, mit dem man was anstellen kann!“ Die Gruppe setzt sich unter ein bisschen Gelächter wieder in Bewegung. „Glaubt mir, meine Lieben!“, grinste Grell: „Für das Biest hab ich noch zwei Schranktüren, ein halbes Dutzend Schubladen und 4 Standfüße, die ich dem vor Orte knallen und in Orte schieben werde, wo er sie definitiv nie habenwollte!“ Fred winkte ab: „Oh bitte! Keine Details!“ Es ging wieder ein Lachen durch die Gruppe, welches auch mich ein bisschen ansteckte. Sorge hin oder her: Diese Menschen und Wesen, diese Charaktere, schafften es einen mitzureißen. Wir folgten weiter dem Butler durch die Gänge. „Wie weit noch, Sebastian?“, rief Fred irgendwann zu ihm hoch. Wir waren schon einige Zeit unterwegs. Zu lange, ich dachte nicht, dass das Labyrinth so ein Ausmaß hatte. Sebastian machte einen kleinen Sturzflug um mit uns auf Augenhöhe zu sein: „Einige Abzweigungen noch, junger Lord.“ Lee schaute sich um: „Wir sind also fast da? Vollkommen unbehelligt?“ Das war definitiv komisch. Wäre die Rose wichtig, würde das Alp doch versuchen uns aufzuhalten. „Das stinkt“, sprach Ronald meine Gedanken aus: „Entweder es kommt noch was oder die Rose ist vielleicht gar nicht wichtig?“ „Das denke ich nicht“, warf William ein: „Wir wissen zwar nicht, wie unser ‚Gastgeber‘ seine Spielregeln, wie Undertaker es so frei beschrieb, gestaltet, aber der Grundstein von allem hier ist Amys Traum. Also muss auch er ihn als Grundlage nehmen und sich Punkte daraus suchen, an die er sein Verhalten knüpft.“ Ich machte große Augen, als mir ein anderer Gedanke kam: „Leute!“ Lee blieb stehen und schaute zu mir: „Bitte?“ „Wir sind in Amys Traum, richtig? Wenn ihr was passiert wäre… Hätte er sich dann nicht aufgelöst?“ William nickte leicht: „Ein guter Einwand, Lady Rosewell. Amy ist der Ankerpunkt von allem. Was auch immer uns hier hält, kann ihr nichts tun, ohne die Umgebung aufzulösen.“ „Wenn es ein Alp ist“, warf Grell ein: „Wo wir uns immer noch nicht 100% sicher sein können, dass es eins ist.“ „In der Tat“, nickte William. „Ich habe nichts gegen einen kleinen Hoffnungsschimmer“, sagte Lee. „Es wäre aber auch fatal, sich darauf zu verlassen.“ „Natürlich William“, Lees müder Gesichtsausdruck tat fast weh: „Aber ich will mir nicht vorstellen, dass ihr schon Gott-weiß-was zugestoßen sein könnte.“ Grell seufzte tief: „Ich fühle mit dir, aber kommt. Weiter.“ Ein Nicken ging durch die Runde. Sebastian stieg wieder auf und die Gruppe setzte den Weg fort. Nach zwei weiteren Abzweigungen öffnete sich der Gang. Ein sanftes Schimmern ging durch das Dunkel und das erste Mal in diesen verdammten Irrgarten war der Gang, der uns erwartete, nicht vollkommen stockfinster. Ein Hoffnungsschimmer, wie er im Buche stand. Ich hörte Lee einmal fast erleichtert ausatmen: „Die Rose!“ Dann zog er seinen Schritt an. Wir verließen den dunklen Gang in einen kleinen von Hecken umrahmten Platz. Im Gegensatz zum Rest des Irrgartens war er dreckig, weiß gepflastert und in der Mitte stand eine pompöse Statue. Sie sah aus wie ein nackter muskulöser Mann, der sich selbst mit Hammer und Meißel aus einen Marmorblock schlug. Ich erkannte die Skulptur. Es war der ‚Selfmade Man‘ von Bobbie Carlyle. Amy mochte diese Skulptur, weil sie für einen Mann stand, der sich selbst, seinen Charakter und seine Zukunft aus den Stein meißelte, in dem er gefangen schien. Auf dem Sockel der Statue stand eine sanft pastellrosé glimmende Glasglocke. Auch Grell zog seinen Gang an und wir endeten vor der feinen Glasarbeit. In der Glasglocke schwebte eine Rose. Sie schien weder an Boden noch Seiten fest gemacht zu sein und obwohl einige Blüten auf dem Boden lagen wirkte sie wie frisch vom Busch geschnitten. Lee streckte die Hände aus, um die Rose aufzunehmen, doch Grell griff sein Handgelenk und hielt ihn auf: „Warte.“ „Wieso?“, fragte der Asiate irritiert. „Das ist zu einfach“, Grells Augen wanderten über den schwach erleuchteten kleinen Platz: „Wieso hält uns nichts auf?“ „Stimmt“, auch Fred schaut sich um: „Es hat mich ja schon gewundert, das wir problemlos hier her gekommen sind.“ Sebastian landete auf der Schulter des ‚Selfmade Man‘: „Ich muss zustimmen. Das wirkt arg befremdlich.“ „Wollen wir also hier stehen bleiben?“, fragte Lee, nun nicht mehr müde, sondern anfänglich gereizt: „Und nichts tun?“ Fred schüttelte den Kopf: „Du hast recht. Nimm sie.“ Lee atmete einmal kurz durch. Dann griff er die Glasglocke. Als er seine Finger um das Glas schloss, kniff ich die Augen zusammen. Ich rechnete damit, dass die Welt unterging. Bange Sekunden vergingen. Dann wich die Bange Verwunderung. Ich öffnete ein Auge. Lee hielt die Glasglocke… … Und nichts passierte. Ich öffnete das zweite Auge und tuschte einige verwirrte Blicke mit Ron und Fred. „Hm“, schnaubte Grell schließlich durch die geplättete Stille: „Ziemlich antiklimatisch. Das Ding hat wohl noch nie ‘nen anständigen Horrorfilm gesehen.“ „Ist das jetzt gut?“, Ronald wirkte ziemlich planlos: „Oder schlecht?“ Lee ließ Hände und Schultern ein Stück sinken: „Das Vieh macht mich auf jeden Fall wahnsinnig…“ Ich hustetet ein paar Mal und schüttelte mich. Ich wusste, was Lee meinte. Das Bangen und Sorgen, gepaart mit diesem ewigen frieren… es zermürbte mich nach und nach. Lee fror zwar nicht, aber er hatte Schmerzen. Und die Anderen waren wohl soweit in Ordnung, aber die Gedanken hin und her zu wälzen – fruchtlos! - musste irgendwann ermüdend werden. „Es zermürbt uns“, schob William seine Brille hoch. Ich schaute den strengen Reaper an: „Vielleicht gibt es keinen Ausweg…“ Der Aufsichtsbeamte wandte seine fluoreszierenden Augen zu mir: „Einen gibt es auf jeden Fall.“ „Sag es nicht“, seufzte Lee. „Das Lady Phantomhive etwas zustößt.“ „William!“, Lee schaut ihn erbost an: „Halt doch einfach mal deine Klappe! Wir wissen es, hörst du? Aber das kann doch nicht unsere einzige Option sein!“ „Nun-“, William wurde unterbrochen. William wurde unterbrochen, weil das Schicksal, oder was-auch-immer, sich entschied lang genug gewartet zu haben. „LAUFT!“, schrie eine fast hysterische Mädchenstimme hinter uns. Unsere Köpfe wirbelten herum. Ich hatte bei Leibe nicht mehr mit dieser Stimme gerechnet! „Amy!“, rief Frederic in dem Moment, als wir die junge Phantomhive im Eingang des kleinen Platzes sahen. Ihr Kleid war zerrissen und dreckig, ging ihr nur noch bis zu den Knien. Sie hatte Schlammschlieren im Gesicht und ihre Haare hingen ihr wirr über Gesicht und Schultern. Doch was mir noch viel eher auffiel war der kleine goldene Gegenstand auf ihrer Schulter. Bevor jedoch irgendjemand die Chance hatte, was sie sahen auch nur ansatzweise zu verarbeiten, stieg mir ein fauliger Gestank in die Nase. Ich hörte Sebastian aufflattern. „RENNT!“ Mein Kopf flog herum. Lees gleichzeitig mit mir. Vor uns stand nicht mehr der ‚Selfmade Man‘. Auf dem Block, aus dem die Skulptur sich selbst schlagen sollte, hockte dieses widerlich vermoderte Vieh. Und die Zeit verging in Slow Motion. Es griff seinen heraushängenden Dünndarm und holte damit aus wie mit einer Peitsche. Seine Bewegung zog sich schier endlos. Lee ließ die Rose los. Grausam zersprang das Glas auf dem gepflasterten Boden mit einem lang gezogenen schrillen Laut, als Lee von dem Vieh weg zur Seite hechten wollte. Er war nicht schnell genug. Das ekelhafte Ding schlug mit seinen zweckentfremdeten Eingeweiden zu. Ich konnte nicht reagieren. Ich hörte ein matschendes Klatschen, als sein Darm mein Ohr traf und sich dann quer durch mein Gesicht zog. Ich verlor den Halt und purzelte von Lees Schulter. Im Fall sah ich, wie sich das Gekröse um Lees Hals schlang. Und als ich auf den Boden neben der Rose aufschlug kam die Zeit mit aller Kraft zurück. Was erst viel zu langsam passierte, raste auf einmal furchtbar schnell. Das Vieh sprang von dem Podest. Zog Lee an seinem Hals mit sich, dem ein gequält erstickter Laut entfuhr. Nun fiel auch Fred von seiner Schulter. Der Asiate packte den verrotteten Darm, um ein bisschen Druck von seinem Hals zu nehmen, konnte aber nicht anders als hinter dem Vieh her zu taumeln. So vermodert wie das Biest war, dürfte es gar nicht mehr so stabil sein, dem war ich mir sicher! Amy kam angerannt, packte sich ebenfalls das Stück Fleisch und zog daran. Sebastian kam im Sturzflug auf das Vieh zu und malträtierte sein Gesicht mit seinen Krallen. Doch als Antwort darauf riss der Darm nicht etwa, oder das Biest kümmerte sich um Sebastian. Nein. Das Vieh sprang weiter nach hinten und zog nun beide hinter sich her. In dem Moment sprang Undertaker von Amys Schulter ab. Mit einer Hand krallte er sich in das verrottete Gesicht des Viehs, die andere rammte er einfach in sein Auge. Das Biest schrie auf, mit einem Kreischen, ich war mir fast sicher meine Trommelfelle platzten. Seine Augenhöhle fing grünes Feuer. Der Gestank von verbrennendem vergammeltem Fleisch erfüllte den kleinen Platz und drehte meinen Magen auf links, dann wieder auf rechts und wieder auf links. Das Biest hörte auf herum zu springen, zerkratzte sich selbst das Gesicht in dem Bestreben Undertaker los zu werden. Es hatte Erfolg, irgendwann fiel auch Undertaker aus seinem Gesicht zu Boden. Doch jemand anderes entschied, dass unser vermoderter Antagonist noch lange nicht gewonnen hatte. Nicht dieses Mal. „Du vergammeltes DRECKSVIEH!“, Grell preschte an Lee und Amy vorbei. Ronald sprang von Grells Schulter ab und hielt sich an dem Darm des Biestes fest, der immer noch wie eine Fleischschlinge um Lees Hals hängt. Auch William sprang ab, brach sich beide Zeiger aus dem Gesicht und warf sie auf die Monstrosität. Sie trafen sie in der Schulter. Ich sah einen braunen Filmstreifen herausplatzen. William landete auf den Boden und ließ den Filmstreifen durch seinen Finger fahren. Das Alp - oder was auch immer es nun war - wollte wegspringen. Doch geistesgegenwertig drehten Amy und Lee den Spieß um. Hände und Hals immer noch am Darm des Vieh zogen sie es zu sich hin, genau in dem Moment wo es wegspringen wollte. Es kam aus der Balance und strauchelte nach vorne. Dort stand schon Grell vor seiner Nase, in dem Wissen, dass sein großer Moment nun gekommen sei. „Friss das, du PENNER!“, schrie der flamboyante Reaper und ließ einer seiner Schranktüren mit gar tödlicher Präzession aufkrachen. Das Vieh bekam sie mit vollem Schwung gegen die Brust. Ich sah aus dem Augenwinkel wie Ronald sich einen große Scherbe aus der gekitteten Tasse brach und damit auf den Darm des Viehs einhackte. Das Biest machte einen Abflug nach hinten, kam aber nicht so weit wie der Schwung reicht, da immer noch zwei Menschen an seinen Eingeweiden hingen. Doch Amy und Lee waren nicht stark genug alles zu kompensieren. Mit einem grausigen Röcheln strauchelte Lee ein ganzes Stück mit, seinem Gesichtsausdruck nach nun komplett zu geschnürt. Das Pärchen zerrte an dem viel zu stabilen Stück Moderfleisch um Lee frei zu machen, konnten aber keine wirklichen Erfolge verzeichnen. Lee ging in die Knie. „Amy!“ Die Phantomhive wandte den Kopf nach hinten. Sie schaute auf Frederic, der in den Überresten seiner Kanne lag. „Hier!“, er warf ihr eine große Scherbe entgegen. Amy fing sie, begann mit Ronald auf die moderige Schlinge einzustechen. Grell setzte dem Vieh hinter her, welches so in die Heckenwand gekracht war, das nur noch seine Beine herausschauten. Der rote Reaper zog eine seiner Schubladen heraus und begann damit auf das im Busch liegenden Ungeheuer einzuschlagen: „DU! ABSURDES! EKELHAFTES! ABARTIGES! ERBÄRMLICHES! ZUM KOTZENDES! STÜCK GAMMELFLEISCH!“ Würde Lee nicht gerade ersticken, wäre die Situation so absurd, ich müsste lachen. Undertaker – selbstredend – hatte schon damit angefangen. Ein schnackendes Geräusch riss durch das matschende Geräusch, welches Grells Schläge auf dem Kopf der Abnormalität machten. Ich sah Lee nach hinten kippen, sah erst auf den zweiten Blick, dass Ronald und Amber es geschafft hatten, dem Darm des Viehs durchzuhacken. Der Asiate riss die Fleischschlinge von seinem Hals, hechelte und hustete. „Er ist frei, Grell!“, Amy warf sich neben Lee auf die Knie und nahm ihn in ihre Arme: „Gib’s dem Bastard!“ „Aye, Aye!“, ließ sich das Grell nicht zweimal sagen und zog eine zweite Schublade heraus. Doch das Alp nahm sich ebenfalls einen Vorteil dafür nicht mehr an Lee zu hängen und sprang aus dem Busch. Seine Hand schleifte über den Boden. Genau auf mich zu! Doch in dem Moment machte es Klick. Es wollte nicht mich… … Es wollte die Rose neben mir. Hastig griff ich sie mir. Daraufhin griff das Vieh mich. Mit einem Aufschrei und die Rose in der Hand wurde ich in die Luft gerissen. Das Monster wollte Richtung Ausgang hechten, hatte aber die Rechnung ohne den Butler gemacht. Dieser kam wieder angeflogen und rammte seine Krallen in das verkohlte Gesicht der Monstrosität. Es strauchelte nach hinten, wollte wieder wegspringen. Doch Undertaker war schon an seinem Bein. Er krallte seine Hand, noch verschmiert mit dem Auge des Viehs, nun in sein Bein: „Exorcizamus te, omnis immundus spiritus!“ Das Bein explodierte fast. Allerdings wurde auch Sebastian plötzlich von einem Lichtblitz nach hinten geschleudert. Mit seinem verbliebenen Bein setzte das Biest wieder zum Sprung an, bekam allerdings postwendend einen rote Schublade ins Gesicht geworfen. Es kippte. Ich krallte meine Hand in seine. Mein Herz rannte ohne ich einen Marathon. ‚Ich will hier weg!‘ Das Vieh war vollkommen aus der Balance gekommen und kippte gen Hecke. Was ist, wenn es dadurch flieht? Was ist, wenn es mich mitnimmt? Ich war nicht wichtig für den Traum oder den Ausgang unserer Situation. Was ist, wenn es mich einfach frisst?! Ich hatte solche Angst. ‚Ich. Will. Hier. WEG!‘ Ein violetter Blitz ging durch seine Hand. Ich kniff die Augen zusammen, klammerte mich um die Rose fester. Als ich die Augen wieder öffnete war ich ein ganzes Stück von dem Vieh entfernt… … Mitten in der Luft. Die Schwerkraft ergriff mich gleichzeitig mit der Erkenntnis und ich war sicher gleich wie ein Stein auf den Boden zu knallen. Doch ich landete ganz sanft. Verwundert von dem fehlenden Aufprall machte ich die Augen auf. „Undertaker!“ Der in eine Kerze verwandelte Bestatter grinste breit: „Zu Diensten! Kehe!“ Amüsiert nickte er mit dem Kopf nach vorne: „Schau hin! Nihi! Das kann nur gut werden!“ Kaum wandte ich meinen Kopf wieder zur Szenerie, wirkte der Alptraum wie eine Comedyshow. Das Alp kippte - die Schublade im Gesicht, ein Standbein weggesprengt – endgültig in die Hecke. Grell hechtete hinterher. Mit einer Eleganz - die für einen kantigen Schrank unmöglich sein sollte – segelte er durch die Luft und fuhr den Ellbogen aus. Mit dem ganzen Gewicht seines Massivholzschrankes bohrte er ihn in den Solar Plexus des Ungeheuers. „Nihihihi“, lachte es schrill über mir: „Was für ein Bild! Muhahaha!“ Es war wirklich grotesk lustig mit anzusehen. Ich wusste nicht, ob ich bis ins Mark geängstigt, vollkommen verwirrt oder albern belustigt war. Undertaker schaute mich an und nicke dann Richtung Lee und Amy: „Werf‘ unseren Turteltäubchen doch mal das Rösschen zu. Nihihihi!“ „Oh…“, erst jetzt fiel mir ein, dass ich immer noch die magische Rose umklammerte: „Klar!“ Undertaker stellte mich auf meine Borsten. „Amy!“ Als die Adelstochter zu mir schaute, warf ich ihr die Rose zu. Wie in Zeitlupe segelte sie durch die Luft. Lee und Amy richteten sich auf bereit die Blume aufzufangen. Das Alp bäumte sich auf, wollte nach ihr greifen. Doch Grell schlug ihm einfach seine Faust ins Gesicht: „Vergiss es, Arschloch!“ Der in einen Schrank verwandelte Sensenmann rammte zwei Schrankfüße durch den Torso des Viehs und nagelte ihn so an dem Boden fest. Amy griff die Rose. Erleichterung ergriff mich. Ich war mir sicher es war gleich vorbei. Doch dann… In dem Moment als sie ihre Finger um die schimmernde Rose schloss… Genau als sie die Blume fasste von der wir uns alle Erlösung versprachen. Genau dann… … Ging alles schief. Lee zog schlagartig seinen Hand zurück, die er gehoben hatte, um die Blume zu fangen, sollte sie an Amy vorbeifliegen. Mit einem dunklen gurgelnden Laut spuckte er Amy einen Mundvoll Blut auf ihr Kleid. „Lee!“, das Grauen in Amys Stimme hallte durch den ganzen Irrgarten. Der Asiate drückte seine Hände auf seine Brust. „Lee!“, Amy schüttelte den jungen Mann in ihren Armen: „Lee, was hast du?!“ Der König des East Ends hob seinen Hände. Sie waren blutverschmiert. Zusätzlich zu dieser unheiligen Menge an Blut, die eh schon in seinem Hemd hingen, sickerte ein großer roter Kranz aus seiner Brust heraus. Lee öffnete den Mund. Doch er bekam keinen Ton heraus. „Was passiert da?!“, hoppelte Ronald auf Amy und Lee zu. „Ich weiß es nicht“, rief Amy hysterisch: „Er blutet! Überall!“ „Das kann nicht…“, Ron brach ab und hielt inne. Eine ungute Stille ging von ihm aus. „Ronald?“, Fred schob sich auf seinen Armen zu der wie angewurzelt stehengebliebenen Tasse: „Was ist?“ Ronald schaute auf. Er drückte beide Hände vor den Bauch und starrte entgeistert auf Fred. „Ron?“, frug der Erbe der Phantomhives zögerlich, fast selbst erstarrt von diesem Blick. Ronald nahm die Hände nach vorne und zeigt die Handflächen Fred. Doch wir sahen alle, das sie voller Blut waren. Auf seiner elfenbeinfarbenen Weste zeichnete sich eine Blutlache ab. Dann brach er einfach in seiner Tasse zusammen. „Ron!“, Fred wandte sich zu der Uhr: „William! Ronald ist…“ Es gefiel mir überhaupt nicht, dass der Earl in spe so plötzlich abbrach. Ich presste die Hand vor den Mund, als mein Blick langsam zu William wanderte. Der Aufsichtsbeamte schaute an sich herunter. In dem Glas vor seinem Pendel prangte ein riesiges Loch, von dem etliche Risse abgingen. Aus jedem tropfte Blut zu Boden. William schaute auf: „Unsere…“ Seinen Stimme klang atemlos. Es war schauderhaft, die sonst so monotone Stimme so zu hören. Auf einmal krachte etwas neben William auf den Boden, ließ mich zusammenzucken und aufschreien. Sebastian lag dort, das Gesicht wutverzerrt, das Gefieder blutverschmiert. Von hinten hörte ich ein Keuchen. Ich fuhr herum und sah wie Grell sich um seinen Körpermitte krampfte. Dann kippte der rote Reaper einfach seitlich um. Als er auf den Boden aufschlug, ging eine Schranktür auf. Die Blutwelle draus ergoss sich bis zu meinen Borsten! Ich war wie gelähmt. Was passierte?! An allein Seiten brachen unsere Leute zusammen! Es war grauenhaft! Aber was war es überhaupt?! Es war alles nur ein Traum! Sind wir jetzt beim Alptraum angekommen? ‚Es ist alles nur ein Traum! Es ist alles nur ein Traum!‘ Doch was als nächstes passierte… …Ich hätte nie gedacht es könnte irgendwann passieren. Zwei Hände griffen meine Schultern. An mir hing plötzlich eine Menge mehr Gewicht. Ich drehte meinen Kopf und sah Undertaker. Er hielt sich an meinen Schultern fest. ‚Was…?‘ Sein Kopf hing. ‚Er ist doch nicht…!‘ Er stand krumm. ‚Bitte bitte nicht!‘ Ich drehte mich zu ihm. Dadurch verlor Undertaker den Halt und ging in die Knie. Als er runtersackte faltete ich instinktiv die Arme um ihm. Er hing darin schlapp. Sein Körper hatte kaum noch Spannung. Sein Kopf lag auf meiner Schulter. „Undertaker?“, ich konnte nur flüstern. Lähmende Angst hielt meine Stimme klein: „Was… h-hast du?“ ‚Bitte‘, ich fing innerlich an zu beten: ‚Bitte, nicht das!‘ Träge hob er die Arme und griff wieder meine Schultern. Ungut schwerfällig stemmte er sich hoch. Dann warf er den Kopf nach oben. Ich erstarrte. Ich fror zwar die ganze Zeit, aber nun hatte ich das Gefühl mein Innerstes wurde Schockgefrostet. Die Wachshaare hingen in seinem Gesicht. Nur ein ganz kleiner Spalt ließ ein Stück seiner umwerfenden Iris sehen. Was ich sehr genau sah war sein Mund… … Und das ganze Blut was in dicken Strömen aus seinen Mundwinkeln rann. „Nein“, hauchte ich: „Nein! Nein! Nein!“ Ich legte ihm eine Hand auf die Wange, als mir die Hilflosigkeit und die Panik als Tränen in die Augen schossen. Mein schockgefrorenes Herz fing an zu rasen und ich hatte keinen Ahnung was ich tun sollte! „Undertaker, halt durch!“, ich wischte ihm verzweifelnd die Haare aus dem Gesicht, während mir die Tränen ins Sturzbächen herunterliefen: „Bitte, bitte halt durch!“ Sein Mund zeigte Anzeichen eines Lächelns. Eines warmen, aufmunternden Lächelns. Er hob eine Hand auf meinen Wange und wischte mir auf einer Seite die Tränen weg. „Wir“, er sprach so leise. Erstickt! Es war so grausam: „Müssen aufwachen.“ Ich drehte meinen Kopf zu Amy. „Küss ihn!“, schrie ich sie an. „Wa…“, Amy war selber am Weinen und vollkommen neben der Spur: „W-Was?!“ „Küss Lee!“, ich biss mir einmal verzweifelnd auf die Unterlippe, bis ich die Kraft fand weiter zu rufen: „Wir müssen aufwachen! Sie bluten, irgendwas stimmt nicht! Wir müssen aufwachen! Küss ihn!“ Amys Augen flogen über ihre zusammengebrochenen Verbündeten. Über Lee. Über Ronald. Über William. Über Sebastian. Über Grell. Über Undertaker. Schließlich guckte sie zurück zu mir. Ich sah an Amy vorbei William endgültig in sich zusammenbrechen. „Amy“, meine Tränen drückten wieder meinen Stimme herunter. Dabei wäre sie jetzt so wichtig gewesen! Ich konnte kaum noch ihr Gesicht sehen, als ich in Amys Augen schaute: „Bitte… Jetzt…“ Nachdem ihr ein lautes Schluchzen entfahren war, drückte sie Lee einen Kuss auf den Mund. Die Rose in ihrer Hand leuchtete. Das Alp schrie. Gleichfarbiges Licht brach aus seinen verfaulten Gebeinen und löste es von innen auf. Undertaker kippte. Vollkommen überrascht versuchte ich ihn zu halten: „Undertaker!“ Ich klammerte meinen Arme um ihn, damit er nicht auf den Boden aufschlug. Ich wollte für ihn verhindern, was er für mich schon so oft verhindert hatte. Rosa Schein flutetet den ganzen Platz. Ich merkte, wie das Gewicht aus meinen Armen verschwand: „Undertaker!“ Dann verschwand auch ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)