Der Magier von Kodokuna_Senshi (In Dunkelheit gehüllt) ================================================================================ Kapitel 1 --------- Nein, das geht so nicht! Genervt zerknüllte ein junger Mann ein Blatt Papier. Ganz anders jedoch behandelte er sein Schreibutensil. Den Füllfederhalter schloss er vorsichtig und hielt in ein paar Sekunden länger in der Hand, als unbedingt nötig, bevor er ihn vorsichtig an seinen Platz legte. So werde ich niemals gut werden. Er atmete einmal tief durch. Diese Aufgabe war nun wirklich schwierig. Aber er stand ja auch nicht mehr am Anfang. Er erhob sich von seinem Schreibtisch und trat in den Flur. Dort griff er ein paar schwarze Stiefel und zog sie sich an. Kurz danach fiel die Tür hinter dem Schwarzhaarigen ins Schloss. Der Wind wehte ihm seinen Pony vor die Augen. Doch das störte ihn nicht. Er trug ohnehin eine Augenbinde. Schon lange war er blind - Und dennoch war er es nicht, nicht wirklich. Der junge Mann schlug den Weg Richtung Stadtpark ein. Er wohnte nicht weit von dort entfernt, von daher bot sich dieser gut für einen Spaziergang an, um sich einen klaren Kopf zu verschaffen. Einmal die große Runde außenherum. Dabei genoss er einfach die Stille und die Sonnenstrahlen. Er liebte es, wenn es kalt war und seine Haut durch die warmen Strahlen gewärmt wurde. Eine Weile lief er gedankenverloren den Weg entlang. Plötzlich blieb er stehen und blickte nach links. Er hörte fröhliches Kinderkreischen. Ach ja… Der Spielplatz… Mit einem leicht traurigen Gesichtsausdruck ging er auf den Spielplatz zu und stellte sich dort etwas Abseits hin. Wie geht es jetzt wohl Kouhei? Er seufzte. Eine Weile lauschte er den Kinderstimmen. Er hörte ihr Lachen. Hörte wie sie rumrannten. Sich gegenseitig fingen. Wie ein Kind zu weinen anfing, weil ein anderes seine Sandburg zertrampelt hatte. Ein Junge schrie vor Schmerz, weil er beim Rennen hingefallen ist. Kurz darauf verstummte er. Seine Mutter war zu ihm geeilt und sprach beruhigend auf ihn ein. He, du…?“ Damit wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Diese zarte Kinderstimme richtete sich an ihn. „Ja?“, antwortete er freundlich fragend.  Warum hast du da ein Band vor deinen Augen? Kannst du da überhaupt  durchsehen?“ Er dachte einen Moment nach. Seine Mundwinkel verzogen sich leicht nach oben. Das war eine wirklich ausgezeichnete Frage. So leicht ließ sie sich eigentlich gar nicht beantworten. Er konnte ein wenig durchsehen, doch nicht so gut wie ohne Augenbinde. Dennoch gehörte sie zu ihm. Er legte sie nur selten ab. Viele hielten ihn daher für blind. Meistens hielt er es für am einfachsten, sie in diesem Glauben zu lassen. So auch dieses Mal. „Als ich klein war, habe ich mich mal an meinen Augen verletzt. Seitdem bin ich blind. Ich kann also auch ohne das Band nichts sehen. Ich finde es aber schön, deshalb trage ich es.“ Das Mädchen sah ihn mit gemischten Gefühlen an. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es war ohne Augenlicht zu leben.  „Wie kannst du dann alleine draußen rumlaufen, wenn du gar nichts siehst?“ „Ich habe gelernt besser zu hören. Und mein Tastsinn ist auch geschärft.“ Er überlegte einen Moment. „Wenn du schlafen gehst, dann ist doch dein Zimmer dunkel, oder?“ „Nicht ganz. Dann würde ich ja nichts mehr sehen. Dann  hab ich Ang-“ Sie stoppte plötzlich und dachte kurz nach. Dann fragte sie mitfühlend: „Hast du auch Angst, weil du nichts siehst?“ Er lächelte sie freundlich an. „Nicht mehr. Ganz am Anfang schon. Es hat eine Weile gedauert, bis ich Verstanden habe, dass es nicht schlimm ist nichts zu sehen. Ich kann hören und ich kann fühlen.“ Einen Moment schwieg er. „Und das Essen schmeckt auch viel besser, wenn man es nicht vorher sieht. Man konzentriert sich dann ganz auf den Geschmack und nicht mehr darauf wie es aussieht.“ „Schmeckt dann auch Blumenkohl?“, fragte sie, das letzte Wort angewidert aussprechend. „Nein. Blumenkohl nicht.“ Er machte kein Geheimnis daraus, dass er diese Abneigung mit dem kleinen Mädchen teilte.  De facto musste er sogar zugeben, dass ihm Blumenkohl seither sogar noch schlechter schmeckte. So wie ihm gutes Essen nun besser schmeckte, mochte er das Essen, was er nicht mag, nun noch weniger. „Wirst du auch gezwungen ihn trotzdem zu essen?“  Noch bevor der junge Mann zu einer Antwort ansetzen konnte, ertönte eine weitere Stimme. „Mia, nun lass den jungen Mann doch mal in Ruhe und hör auf ihn mit Fragen zu löchern!“, rief diese. Das Mädchen seufzte. Zu gerne hätte sie noch viel mehr Fragen gestellt, doch sie wusste, dass es besser war, auf ihre Mutter zu hören. „Dein Band ist wirklich toll“, sagte Mia noch kurz als eine Art Verabschiedung und lief dann zu ihrer Mutter. Sie musste ihr jetzt unbedingt ganz dringend erzählen, dass sie gar nicht die einzige Person war, die Blumenkohl nicht mag. Außerdem wollte sie ab jetzt ganz ohne Licht schlafen. Der junge Mann blieb leise seufzend stehen. Er mochte Kinder und hat dem Mädchen gerne alle ihre Fragen beantwortet. Ihre Fragen und ihr Interesse waren ehrlich. Ihm gefiel das. Erwachsene waren für gewöhnlich nie so offen und direkt. Diese Mutter war das beste Beispiel. Sie ging einfach so davon aus, dass er sich gestört fühlen würde. Vermutlich auch davon, dass er sich unwohl fühlt, wenn man ihm solche Fragen stellt. Zumindest war nicht zu überhören, dass SIE sich unwohl fühlte. Kurz darauf setzte er sich wieder in Bewegung. Er lief zurück auf den Hauptweg und setzte seine Runde fort. Währenddessen dachte er über das Mädchen nach und dann über Kouhei. Kouhei… Ehe er sich versah, stand er vor dem Waisenheim der Stadt. Er blickte auf das Große, etwas heruntergekommene, Gebäude. In der Ferne schlug gerade die Turmuhr. Sie verriet ihm, dass die Besuchszeit im Heim vorbei war. Dennoch trat er an das Eisentor heran. Unmittelbar vor dem Tor blieb er stehen. Die Kinder waren nun vermutlich beim Abendessen. Eine Weile blieb er vor dem Tor stehen. Auf einmal bemerkte er Schritte. Eine Person bewegte sich genau auf ihn zu. Er bewegte seinen Kopf in Richtung der Person. „Was wollen Sie so spät hier? Sie wissen doch, dass die Besuchszeit vorüber ist“, erreichte ihn eine wohlklingende Frauenstimme.  „Ja…“, antwortete er etwas geistesabwesend. „Geht es  Kouhei gut?“ „Soweit ja. Das übliche halt.“ Der junge Mann nickte verstehend. „Haben Sie schon was  Neues vom Jugendamt gehört?“ Er schüttelte den Kopf. „Immer das gleiche. Student, ledig, zu jung“, gab er seufzend von sich. Auch die Frau seufzte. Sie wollte ihm so gerne helfen. Doch da waren ihr die Hände gebunden. „Nun denn“ , meinte der junge Mann, „bestellen Sie ihm schöne Grüße von mir.“ Damit wandte er sich ab und trat den Rückweg an. Er hing den Rückweg lang seinen Gedanken nach. Es war wirklich zum Haare raufen. Er musste in den ganzen Gesetzen irgendwie eine Lücke finden. Oder aber… Kaum, dass er wieder zu Hause war, setzte er sich erneut an den Schreibtisch. Er nahm seinen Schreibblock und schrieb einige Wörter in merkwürdigen Zeichen nieder. Er nutzte das Thebanische Alphabet. Das kann doch nicht so schwierig sein. Denk nach, Junge, denk nach! Mein Meister hat mir alle Grundlagen beigebracht. Alles wissen, was ich benötige, um das Problem zu lösen, trage ich in mir. Das kann doch nicht so schwierig sein! Plötzlich hörte er ein dumpfes miauen. Er horchte auf. Das miauen wiederholte sich. Draußen auf dem Fensterbrett saß eine schwarze Katze. Laice trat an das Fenster heran. Die Katze wirkte etwas hilflos und schien Hunger zu haben. Erfahrung hatte ihn gelernt, dass Katzen sehr ausdauernd miauen konnten, also öffnete er seufzend das Fenster und ließ die Katze hinein. Die Katze sprang ihm sofort entgegen und strich eine Weile bezirzend um seine Beine. Laice sah sie ruhig an. Ihm war bekannt, dass er eine starke Anziehungskraft auf Katzen ausübte. Dann jedoch veränderte sich die Katze plötzlich. Sie wurde größer, Fell und Schwanz verschwanden. Stattdessen war ihr Körper nun bekleidet. Ihr menschlicher Körper. Wie eine Katze sah sie nun gar nicht mehr aus. Laice stand nur still mit vor Schreck geöffnetem Mund da. Er hatte schon viel erlebt, aber das war neu für ihn. Dann schoss ihm ein Gedanke in den Kopf, doch bevor er diesen vertiefen konnte, spürte er einen pochenden Schmerz am Hals. Seine Hände verkrampften und er biss die Zähne zusammen. Es war die fremde Person. Sie hatte spitze Fangzähne, die sie in seinen Hals gerammt hatte. Ehe er es richtig realisiert hatte, war es auch schon wieder vorbei. Die Fremde trat nun ein paar Schritte zurück und sah Laice an während sie genüsslich mit der Zunge über ihre Zähne fuhr. Dieser wiederum Verstand langsam was geschehen ist. Er fasste sich an den noch immer etwas pochenden Hals. „Läuft draußen schon kein Mensch mehr rum, dass ihr Vampire jetzt in Häuser einfallen müsst?“, fragte er etwas düster.  „Wieso einfallen? Du hast mich reingelassen“, antwortete die Fremde mit einem Grinsen. „Außerdem  bedien ich mich nicht wahllos bei irgendwelchen Menschen. Ich hab da schon meine Präferenzen! Und ich trinke nicht ohne Gegenleistung. Schmeiß mich nicht mit dem Abschaum auf einen Haufen!“ „Ist ja gut…“  Laice seufzte. „Und was ist nun die Gegenleistung? Sag mir nicht, dass war das umgarnen als Katze…“ Er ging in seinem Kopf durch, wie viele Katzen das bei ihm schon Taten. Bald gab er es auf, es waren zu viele. Das entscheidende jedoch war, dass sich die Katzen bisher damit zufriedengegeben haben, wenn er ihnen anschließend etwas Katzenfutter gegeben hatte. Bei dem Gedanken, dass sein eigenes Blut so viel Wert sein sollte wie eine kleine Dose Katzenfutter, wurde ihm ein wenig schlecht. „Nein, nein. Nochmal: Ich gehöre NICHT zu dem Abschaum!  Ich hab ein paar Infos für dich. Ich weiß, dass du hinter einer Gruppe her bist – Magier. Sie haben dein Dorf ausgerottet und nun sind sie hier. In der kleinen Kapelle am Waldrand haben sie Unterschlupf gefunden.“ Für einen kurzen Moment verkrampfte Laice. Seine Stirn legte sich in Falten und seine Fäuste waren geballt. Dann entspannte er sich wieder. „Warum sollte ich dir glauben? Ich kenne nicht mal deinen Namen.“  „Kendra.“ Laice seufzte. Wirklich weiter war er nun auch nicht. Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Seit Jahren suchte er nach ihnen, doch bisher war es ihm nicht gelungen eine Spur zu finden. Er musste wohl einfach hingehen und nachsehen, es war zu riskant, die Chance ungenutzt verstreichen zu lassen. Kendra einfach stehen lassend griff er zu dem verzierten Holzstab, der in einer Fassung einen Edelstein hielt und nahm ihn aus seiner Wandhalterung. Dann lief er in den Flur, schlüpfte in seine Stiefel und legte sich einen bodenlangen Umhang an. Er öffnete die Tür, als er schon fast draußen war, drehte er sich nochmal um. „Kendra?“, rief er. Er wollte nicht unbedingt jemand fremdes alleine in seiner Wohnung lassen. Doch er erhielt keine Antwort. Also trat er nochmal ins Wohnzimmer. Niemand war zu sehen. Vermutlich ist sie wieder zum Fenster raus. Danach verließ er endgültig seine Wohnung. Kaum, dass er draußen war, zog er die Kapuze seines Umhanges tief in sein Gesicht und verschob dann seine Augenbinde so, dass sein rechtes Auge frei lag und nur von der Kapuze verdeckt wurde. So konnte er unter der Kapuze durchsehen. Anschließend spurtete er zur Kapelle. Ohne zu zögern öffnete er die Tür und trat ein. Er brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu merken, dass es sich nicht um die Leute von damals handelte. Ihnen fehlte das dunkle Tattoo am Hals. Zwei parallele Striche, dazwischen ein Kreuz, welches am oberen Ende der Striche begann und bis ungefähr zur Mitte der Striche reichte. Mannaz – die Rune der Menschheit. Des Weiteren handelte es sich nicht einmal um Menschen. Ihre spitzen Zähne wiesen sie einwandfrei als Vampire aus. Und sie schienen es auf ihn abgesehen zu haben. Sie kamen sofort Angriffsbereit auf ihn zu. Eine Falle… Na klasse… Aber warum? Er beschloss sich da später Gedanken drüber zu machen und zückte seinen Stab. Er hielt ihn gerade und streckte seinen Arm in die Richtung einer der Vampire. „Brenne!“ Nichts passierte. Er hielt ihn noch einen Moment so und wurde stetig unruhiger. Schließlich zog er seinen Arm ruckartig zu sich und streckte ihn ebenso ruckartig zu einer anderen Person. „Brenne!“, gab er erneut von sich. Wieder passierte nichts. Die Fremden begannen zu lachen und näherten sich ihm allmählich. Wieso funktioniert das nicht?! Er begann zu schwitzen. Mittlerweile war er eingekreist. Es war nicht möglich zu flüchten und die Magie wollte nicht funktionieren. In seiner Verzweiflung versuchte er den Stab wie eine Lanze einzusetzen. Er rammte ihn mit voller Wucht, demjenigen, der vor ihm stand, in die Brust. Dieser taumelte ein paar Schritte zurück, doch hatte sich dann bereits gefangen und stand wieder vor ihm. Vielleicht hätte ich mich damals doch zu dem Selbstverteidigungskurs mitschleifen lassen sollen… Und warum verdammt funktioniert meine Magie nicht?! Er unternahm noch einmal einen Versuch, eine der Personen, mit Hilfe seiner Magie in Brand zu stecken. Doch wieder passierte nichts. Verzweifelt und vor Angst sowie Anstrengung schwitzend, versuchte er weiter sein bestes, die Schläge und Tritte der Fremden mit seinem Stab abzuwehren. Doch schon bald ließ seine Kraft merklich nach und er wurde langsamer. Einer der anderen erwischte ihn mit einem Baseballschläger am Hinterkopf. Laice spürte noch kurz einen dumpfen Schmerz, doch ehe die Kopfschmerzen so richtig durchkamen, sackte er bewusstlos in sich zusammen. Kapitel 2 --------- Als er wieder zu sich kam, fand er sich mit Händen und seinen blanken Füßen an eine steinerne Wand festgekettet. Es war ziemlich dunkel. Zumindest nahm er es so war, konnte er, mit dem Tuch vor Augen, schließlich kaum mehr als verschiedene Graustufen erkennen, solange es nicht sehr hell war. An den Wänden seitlich von ihm, nahm er je einen flackernden Lichtschein war. Er vermutete, dass es Fackeln waren. Ruhig atmend saß er vor der Wand. Still versuchte er sich aus den Fesseln zu befreien. Doch er hatte keine Chance, sie waren aus Eisen. Und er hatte seinen Stab nicht bei sich. Selbst wenn… Warum hat es nicht funktioniert? Wenn der Zauber funktioniert hätte, wäre ich jetzt gar nicht hier! Während er seinen Gedanken nachhing, hörte er wie Schritte sich ihm näherten. Aufmerksam blickte er in die Richtung aus der sie kamen. Bald konnte er einen schemenhaften, sich bewegenden Schatten sehen. „Ah, du bist aufgewacht“, hörte er eine bekannte Stimme sagen. „Ja“, gab er finster zurück, „und mich interessiert wirklich brennend, was du bezweckst – Kendra.“  Sie lachte. Es hörte sich ein wenig bitter an. „Ich will Rache nehmen. An den Menschen“, sagte sie geradeheraus. „Sie haben einen Großteil meiner Rasse einfach ausgerottet. Anderen erging es auch nicht besser. Sukkubi, Incubi und auch Werwölfe wurden in ihrer Zahl stark dezimiert. Aber das werden die Menschen noch bitter bereuen! Wir haben uns zusammengeschlossen und werden sie unseren Zorn spüren lassen! Alle miteinander sollen sie von diesem Planeten verschwinden und das zeitliche segnen! Wo sie ja schon so gerne segnen…“ Sie schüttelte sich angewidert. „Und warum lebe ich dann noch? Ich bin schließlich auch ein Mensch“, erwiderte  Laice das Offensichtliche. „Ja“, stimmte sie zu, „aber du bist auch ein Magier. Und ihr Magier seit genauso betroffen wie wir. Anstatt dich als Menschen zu töten, könntest du uns als Magier behilflich sein.“  „Und wenn ich nicht mag? Du musst verstehen“, er lehnte sich nach vorne, bis er voll in seinen Ketten hang, „ich bevorzuge die Freiheit.“ „Dann“, antwortete sie mit einem hörbaren Grinsen, „dann haben wir keine Verwendung für dich und dir bleibt nur der Tod.“ Sie leckte sich die Lippen. „Aber das hätte auch was. Du hast sehr delikates Blut. Ich muss zugeben, ich  hab bisher noch nie so leckeres Blut getrunken und du kannst mir glauben, ich hab schon sehr viel unterschiedliches Blut probiert.“ „Ist das nicht ohnehin die Konsequenz?“, entgegnete er desinteressiert, „entweder ich arbeite für euch und sterbe dann oder ich sterbe sofort. Versuch nicht mich für dumm zu verkaufen.“  Sie lachte. „Du bist wirklich nicht auf den Kopf gefallen. Aber was soll man auch anderes von einem Magier erwarten? Aber, wenn du uns hilfst, erwecken wir dich als Vampir wieder. Dann bist du einer von uns.“ „Und absolut nichts wert. Nochmal, verkaufe mich nicht für dumm. Mir ist durchaus bekannt, dass aus Menschen gemachte Vampire rangniedrige Wesen sind, die von euch reinrassigen verachtet werden und lediglich als Sklaven erschaffen werden. Außerdem bevorzuge ich mein sterbliches Leben.“ „Jetzt lügst du aber! Was bitte soll so toll daran sein, nach ein paar Jahren einfach abzukratzen. Davon ab sind wir auch sterblich, wir haben nur eine höhere Lebensspanne, deswegen halten uns wohl viele Menschen für unsterblich. Wir altern zehnmal so langsam wie ihr, das ist alles. Und sonst lass dich halt von  nem Werwolf beißen. Die haben ja noch gruselig viel Menschliches an sich…“ „Richtig, ihr Vampire seht ja  NIEMALS wie Menschen aus“, gab er ironisch zurück. „Tss… Wir haben trotzdem weniger Ähnlichkeit. Und du solltest dir wirklich gut überlegen, was du tust. Ich weiß, dass du eine Adoption durchzubekommen versuchst…“, ihre Stimme enthielt einen warnenden Unterton. Laice biss die Zähne aufeinander. Woher wusste sie so viel über ihn? Unabhängig davon, konnte er nicht riskieren, dass Kouhei irgendwas passierte. „Schön…“, meinte er zögernd, „was willst du von mir?“ „Deine magischen Fähigkeiten. Wenn unser Plan aufgeht, können wir alle Menschen auf einmal ausradieren.“  „Wie sieht der Plan aus?“ „Das verrate ich dir, wenn es soweit ist. Noch fehlen uns Komponenten.“ Laice atmete innerlich auf. Offensichtlich war sie noch nicht in der Lage den Plan auszuführen. Was auch immer das für ein Plan war, er hatte immerhin noch Zeit sich seinen eigenen Plan zu überlegen. „Und wie soll ich helfen, wenn ich gar nicht weiß, worum es geht?“ „Bis dahin kannst du uns die Quyrtha vom Hals halten.“ „Die – wer?“  Kendra seufzte. „Die Typen hinter denen du eh her bist. Die nennen sich Quyrtha, wie kannst du das nicht wissen?“ „Ich schalte sie normalerweise aus, ohne vorher nach dem Namen ihrer Organisation zu fragen“, antwortete er gelassen. „Tss“, entgegnete sie Kopfschüttelnd. „Du willst die gesamte Menschheit nicht einfach auslöschen. Aber über die Organisation, die du auslöschen willst, weißt du im Prinzip gar nichts. Woher weißt du, dass sie alle den Tod Wert sind. Oder umgekehrt, was sagt dir, dass nicht alle Menschen den Tod verdient haben?“ „Die … -  Quyrtha haben ihr Tattoo. Wer das trägt ist selbst schuld“, antwortete er knapp. Sie seufzte. „Naja kann mir ja auch egal sein. Hauptsache, du machst den Job und kümmerst dich um die Quyrtha.“ Er zog nochmal an seinen Fesseln. „Damit wohl kaum. Außerdem hat meine Magie zuletzt nicht funktioniert.“ „Ach so, ja das. Das war das Gift, durch meinen Biss. Das sollte bald wieder gehen. Vielleicht tut es das schon“ , erklärte sie seelenruhig, „und du sollst sie ja auch nicht so vernichten. Wenn wir ihre Fährte aufgenommen haben, befrei ich dich von den Fesseln.“ „Wie nett“, sagte er kühl mit ironischem Unterton. „Ach, bitte, bitte. Kein Problem. Viel Spaß noch. Lass dir nicht zu langweilig werden.“ Damit entfernte sie sich aus seinem Sichtfeld. Laice seufzte. Er robbte ein wenig hin und her, bis er eine einigermaßen gemütliche Position gefunden hatte. Die Fesseln schnitten in seine Hand- und Fußgelenke. Und nun? Während er seien Gedanken nachhing näherten sich erneut Schritte. Die Person blieb kurz vor ihm stehen und Laice fühlte sich förmlich von oben bis unten betrachtet. „Oh“, ertönte nach einem Moment eine recht hohe, männliche Stimme. „Da hat Kendra aber einen guten Fang gemacht.“ „Hat sie das?“, gab  Laice desinteressiert zurück. „Aber ja! Ok, die Augenbinde  is jetz nich so meins, aber sonst… Mir gefällt, was ich seh…“ Laice ließ seufzend seinen Kopf nach vorne fallen. Erst sollte er Menschen töten und jetzt wurde er auch noch angemacht. Dann auch noch, von einem Gegenüber, dass er nicht sehen konnte, aber so klang, als ob er sich damit strafbar machen würde. „Tut mir leid, wenn ich deine Träume zerstöre, aber ich bin nicht zum Flirten hier“, sagte er trocken. „Jaja, schon klar. Den Gefallen dafür jemanden zu fangen würde Kendra mir eh nie erfüllen. Ich bin hier nur der Depp vom Dienst und soll dir Essen bringen“, erklärte der Fremde. Dann ließ er sich direkt vor Laice im Schneidersitz nieder. „Sag aaaah!““ „Bitte wa-“ Der Fremde schob ihm eine Gabel voll Spaghetti in den Mund. Irritiert verschluckte sich Laice zunächst und es gelang ihm nur mit Mühe das Essen runterzuschlucken. Der Fremde hielt im Anschließend ein Strohhalm an den Mund, das heißt er schob ihn ihm mehr oder weniger mit Gewalt in den Mund. „Hier trink was, das hilft.“ Vollkommen irritiert und überfordert mit der Situation machte Laice einfach, was ihm gesagt wurde und zog an dem Strohhalm. Er spürte das Kribbeln von Mineralwasser auf seiner Zunge. „Ich hoffe Mineralwasser ist richtig. Ich war mir nicht sicher, ob du welches mit Kohlensäure oder ohne willst. Ich wollte dich eigentlich fragen, aber Kendra hat gesagt, Gefangene bekommen keine Sonderwünsche erfüllt und ich soll dir einfach irgendwas geben… Ach ja, ich vergaß!“, er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, „ich Trottel hab mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Tjelvar. Aber alle nennen mich nur Tjalf. Wie heißt du eigentlich?“ Den Strohhalm wieder ausspuckend, antwortete er knapp: „Laice.“ „Laice… Das ist ein echt schöner Name.“ Tjalf stellte das Wasserglas wieder weg und wickelte eine weitere Gabel voll Nudeln auf. Er bewegte sie in Richtung von Laices Mund. „Aaaah.“ Diesmal besser vorbereitet, machte Laice einfach nur den Mund auf. Er empfand es zwar als merkwürdig von einem vermeintlichen Kind gefüttert zu werden, aber er hatte wirklich Kohldampf. Und die Nudeln schmeckten ausgezeichnet. So fütterte Tjalf ihn, bis der Teller leer war. Dann hielt er ihm nochmal den Strohhalm hin und Laice trank den Rest aus. „So, das war’s dann. Ich bin dann mal wieder weg.“  „Warte“, hielt Laice ihn auf. „Was gibt’s? Magste jetz doch flirten?“, kam eine hoffnungsvolle Antwort zurück. „Nein. Ich flirte nicht mit Kindern.“ Darauf vernahm er ein empörtes Zungenschnalzen. „Ich bitte dich! Ich bin doch kein Kind! Ich bin neunzehn!“ „Trotzdem nicht.“ Laice ließ sich nicht anmerken, dass ihn das Alter wirklich irritierte. Er hatte vermutet, dass kein Kind hier arbeiten würde, doch er dachte sein Gegenüber wäre ein Jugendlicher. Vielleicht vierzehn oder fünfzehn. „Was dann?“, fragte Tjalf genervt und merkbar weniger interessiert. „Warum arbeitest du hier? Du wirkst mir ein wenig zu fröhlich für einen Menschenmordenden Verein.“ „Ach, das ist kein Problem. Das Morden überlasse ich anderen. Ich bin, wie gesagt, nur der Trottel vom Dienst. Halte die Truppe bei Laune und erfülle Sonderaufgaben wie das Füttern so schöner Burschen wie dich.“ „Ja, ja, schon klar“, erwiderte  Laice ungeduldig, „„aber warum bist du ÜBERHAUPT dabei? Du wirkst nicht wie jemand, der ernsthaften Groll gegen jemand anderen hat und ihm Schaden möchte.“ Tjalf lachte. „Das is nich meine Aufgabe. Meine Ma wurde wohl kurz nach meiner Geburt von den Quyrtha umgebracht. Einen Großteil unserer Rasse muss es damals erwischt haben. Aber ich war natürlich noch zu klein, um mich da jetz noch dran zu erinnern. Mein Pa hat sich letztlich Kendra angeschlossen, als sie anfing diesen Verein hier zu Gründen. Er ist quasi Mitgründer. Und ich als braver Sohnemann bin natürlich mit“, erklärte er, „Frage beantwortet?“ „Ja“,  Laice nickte, „aber wieso tangiert dich das überhaupt nicht, obwohl du weißt, dass nicht nur ein Großteil deiner Rasse, sondern auch deine Mutter ermordet wurden?“ „Wie gesagt. Ich war damals ein Baby. Ich kann mich nich dran erinnern. Für mich is es nich… ähm – real. Es is einfach nur ne Erzählung. So wie wenn man nen Geschichtsbuch liest. Wegen der Dinge die da irgendwann mal vor weiß ich nich wie vielen Jahren vorgefallen sind, übt man doch auch keine Rache mehr aus. Juckt doch keinen mehr, was meinetwegen die Ägypter für ne Sklavenhaltung betrieben haben. Da fällt keiner ein und will die Ägypter fertigmachen. Keine Ahnung. Is halt doof gelaufen. Aber ich glaub nich, dass Rache das Problem löst.“ „Aber, wenn wir nichts tun, werden die Quyrtha uns weiter ausmerzen.“ „Schon klar. Sagen Pa und Kendra auch. Die Menschen müssen sterben, bevor wir es tun. Aber is das nich egoistisch?“, fragte er. „Nur meine Meinung“, setzte er hinzu, als Laice durch seinen Gesichtsausdruck zu verstehen gab, dass er diese Ansicht nicht unbedingt teilte. Damit verschwand er dann endgültig aus dem Raum und überließ Laice wieder seinen Gedanken. In seinem Kopf hallten wieder und wieder die letzten Worte Tjalfs. Ich glaube nicht, dass Rache das Problem löst. Wenn nicht Rache, was dann? Wir müssen uns doch schließlich zur Wehr setzen. Wir haben keine andere Wahl. Klar, ich stimme ihm zu, dass es falsch ist, alle Menschen zu ermorden. Schließlich haben nicht alle Menschen etwas mit den Quyrtha zu tun. Aber alle Quyrtha haben es nicht anders verdient. Sie waren es, die UNS angegriffen haben. Wir wehren uns nur. Es ist bloß zu unserem Schutze und dem unserer Nachfahren. Soll das wirklich verwerflich sein? Ihn plagten noch eine Weile Gewissensbisse, während er sich immer aufs Neue klarmachte, dass seine Denkweise die Richtige war und Tjalf ihm wohl zustimmen würde, wenn er mit eigenen Augen das Elend gesehen hätte. Schließlich schlief er, überzeugt, dass Tjalf dann sicher nicht so fröhlich und naiv wäre, vollkommen übermüdet ein. Nach einer Weile, er selbst war davon überzeugt, dass es sich nur um wenige Minuten handelte, wurde er aus dem Schlaf gerissen. Es war Tjalf, der sanft an seiner Schulter rüttelte. „Nu werd schon wach, du Schlafmütze. Wir ham fast Mittag. Kendra hat gesagt, du musst jetz frühstücken, sonst soll ich dir erst heut Abend was geben.““ „Ist ja gut. Ich bin ja wach“, antwortete er seufzend.  Tjalf hielt ihm ein Sandwich hin, dass er abbeißen konnte. „Sag mal…“, fing Laice, plötzlich eine Idee habend an, „Es ist nicht zufällig möglich, meine Handfesseln zu lösen, damit ich selbstständig essen kann?“ „Nein, sorry. Hat Kendra ausdrücklich verboten. Macht aber auch nix“, meinte er leichtfertig, „ich füttere dich gerne.“ Laice seufzte leise. So naiv der Andere war, so befehlstreu war er wohl auch. „Ach, komm schon!  Jetz tu nich so, als ob das was schlechtes wär. Is doch toll gefüttert zu werden!“ „Nicht wirklich“, entgegnete er trocken. Letztendes biss er aber doch von dem Brot ab. Auch das Wasser trank er. „Ich wollte dir eigentlich Kaffee machen, aber ich dachte, is vielleicht nich so gut, was Heißes mit nem Strohhalm zu trinken“, entschuldigte Tjalf sich. „Ich mag ohnehin keinen Kaffee“, gab er knapp zurück, fragte sich aber durchaus, warum der Andere sich darüber solche Gedanken machte, schließlich war er nur ein Gefangener. Außerdem klang es so, als ob Tjalf alles selbst zubereiten würde. Sowohl den Spaghetti am Abend zuvor, als auch dem Sandwich konnte man deutlich anmerken, dass da Arbeit und Liebe zum Detail drinsteckte. Das Sandwich war nicht einfach ein Toast mit etwas Belag vollgeklatscht und ein weiterer Toast obenauf. Er schmeckte frischen Salat, Gurke, Tomate, Käse und Hähnchenfleisch. Aber richtige Hähnchenfleischstücke und nicht nur einen Aufschnitt. Zumindest vermutete er, dass es Hähnchenfleisch war, es hatte einen etwas eigenartigen, aber interessanten Geschmack. Vermutlich hatte Tjalf die Stücke selbst gewürzt. Saftig wurde das ganze durch eine leichte Mayonnaise. Sie schmeckte besser, als alle Mayonnaisen, die er bisher gegessen hatte. „Das schmeckt interessant“, gab er schließlich zu.  „Danke. Hab ich selbst gemacht.“ „Das dachte ich mir bereits. Aber warum machst du dir die Mühe?“ „Ich koch gern. Und ich experimentier gern. Aber normal isst keiner was ich mach. Du bist der erste. Dann macht es gleich mehr Spaß.“ Nun war Laice irritiert. „Warum ist das keiner? Das ist wirklich lecker.“ „Ja, aber das  is vegan. Is in unseren Kreisen nich so beliebt wie bei euch Menschen. Für Wölfe gehört Fleisch quasi dazu. Mein Pa sagt, wir sind Fleischesser, wir brauchen das. Bla, bla… Halte ich für Bullshit. Sind ja keine reinen Wölfe, haben schließlich auch Menschen Gene in uns als Werwölfe“, erklärte er schulterzuckend. „Es gibt auch genug Menschen, die dem abgeneigt sind. Aber ich finde das gut. Und dein Essen zeigt eigentlich sehr deutlich, dass es durchaus lecker sein kann“, ließ er sich zu einem weiteren Lob hinreißen. „Hehe“, er grinste leicht errötend. „Nett von dir.“ Schritte ertönten und die Tür öffnete sich. Tjalf drehte sich um. „Hallo, Kendra“, begrüßte er die Person in der Tür. Sie hielt den Stab von Laice in ihrer Hand, sowie seinen Umhang und seine Stiefel. „Laice findet mein Essen lecker“, verkündete er fröhlich. „So? Tut er das?“, fragte sie skeptisch nach. „Ja, tu ich“, antwortete nun  Laice, seine Stimme jetzt deutlich kühler. „Oh. Hat da jemand nicht gut geschlafen?“, provozierte sie. Dann wendete sie sich an Tjalf: „Du kannst nun gehen.“ „Ich mag aber nicht.“ „Das war ein Befehl.“ „Ist ja gut“, erwiderte er eingeschnappt. Dann nahm er sein Tablett und verließ den Raum. Als die Tür ins Schloss fiel, wendete sich Kendra wieder an Laice. „Wir haben eine Spur auf die Quyrtha.“ „Diesmal wirklich oder ist das wieder nur ein Köder für was weiß ich nicht was.“ „Ich habe dich schon gefangen. Was sollte ich diesmal tun?“, entgegnete sie flippig, „Natürlich haben wir diesmal wirklich eine Spur. “ „Schön. Was soll ich nun tun?“, wechselte er in einen Geschäftsmodus. Vielleicht bot sich ihm hier nun endlich eine Gelegenheit. Eine Gelegenheit zur Flucht. „Dich um sie kümmern. Jetzt kannst du zeigen, dass du wirklich bereit bist, uns zu helfen. Wir haben sie in Kerun entdeckt.“ „Kerun? Das ist ein Stück von hier.“ „Das ist korrekt“, bestätigte sie, „darum wirst du jetzt losgehen. Ich weiß, dass du sie bevorzugt nachts jagst. Bis zur Nacht wirst du dort ankommen.“ „Ok. Wie du meinst“, antwortete er und bemühte sich mit aller Kraft um einen blanken Gesichtsausdruck und eine emotionslose Stimme. Das klang nach einem Freifahrtschein, der ihn hier endlich rausbrachte. Keine Kontrollen, nichts. Er schien einfach gehen zu können. Als sie die Fesseln öffnete, biss er sich auf die Lippen, um ein Grinsen zu unterdrücken. Sie schien es dennoch wahrzunehmen, denn sogleich sagte sie: „Komm ja nicht auf dumme Gedanken, vergiss nicht, ich weiß von Kouhei. Ich weiß, wo ich ihn finde. Und dich, dich muss ich nur wieder beißen und deine Magie ist nutzlos! Verstanden?“ Laice schluckte kaum merkbar. „Natürlich. Verstanden.“ Er nahm dann seine Sachen entgegen und kleidete sich ein. Anschließend ließ er sich von Kendra rausführen. Er hatte das Gefühl, dass es sich um eine Art unterirdische Höhle handelte. Sie liefen durch einen langen Gang. Die Wände schienen steinern und uneben. In gleichmäßigen Abständen sorgten Fackeln für ein wenig Licht. Fenster gab es keine. Zwischendurch konnte Laice gleichmäßige Vertiefungen in den Wänden erkennen. Er vermutete, dass sich dort Türen befanden. Am Ende des Ganges liefen sie eine Treppe hoch. Alle paar Stufen ging von der Treppe ein weiterer Gang ab. Die Treppe machte den Eindruck endlos lang zu sein. Minuten später waren sie oben angekommen. Sie durchquerten einen weiteren Gang. Dieser war wesentlich heller als der Gang unten. Hier gab es Fenster, die Wände waren glatt und vermutlich aus Beton. Ganz normale Wandlampen leuchteten den Gang aus. Auch hier gab es mehrere Türen. Wieder liefen sie den kompletten Gang entlang. Am Ende öffnete Kendra eine Tür. Laice kam Tageslicht entgegen. Die Freiheit. Sie war so nah und doch so fern. „Denke dran“, sprach ihm Kendra nochmal ins Gewissen, „ein Fehltritt von dir kann deinem kleinen Freund das Leben kosten. Mach nichts Unüberlegtes.“ „Ich hab es Verstanden“, presste Laice ungeduldig hervor. Damit trat er aus der Tür. Kurz danach fiel sie wieder ins Schloss. Kapitel 3 --------- Einen Moment dachte Laice darüber nach, den Befehl zu verweigern. Ich könnte zum Waisenheim gehen, schnappe mir da Kouhei und dann verstecken wir uns irgendwo. Doch ihm wurde schnell bewusst, dass dies keine gute Idee war. Er musste Kouhei offiziell adoptieren. Nur so konnte er ihm eine vernünftige Perspektive bieten. Dem Jungen war nicht geholfen, wenn er ihn ohne Papiere mit sich nahm und sie sich vor Kendra und den anderen, sowie den menschlichen Organisationen wie Polizei und Jugendamt verstecken mussten. So konnte er den kleinen nicht zur Schule schicken. Nicht mal zum Arzt konnte er mit ihm, sollte er mal krank werden. Also verwarf er die Idee schnell wieder und fügte sich seinem Schicksal. Die Quyrtha betreffend war es auch gar nicht so schlimm. Solange es sich nur darum handelte blieb ihm ja noch etwas Zeit sich etwas Besseres einfallen zu lassen. Auf jeden Fall musste er vor dem Ende daraus. Denn das Ende würde nicht nur seinen, sondern auch Kouheis Tod bedeuten. Damit war dem kleinen dann auch nicht geholfen. Zunächst machte er sich also auf den Weg nach Kerun. Kerun befand sich zwar in der Nähe von Rilthar, doch es war ziemlich abgeschottet. Es fuhr dort nur zweimal am Tag ein Bus. Und zwar unter der Woche. Heute war Samstag, da fuhr kein Bus. Er würde wohl einen Fußmarsch zurücklegen müssen. Immerhin konnte er durch den Wald etwas Weg abkürzen. Auf dem Weg durch Rilthar trug er seinen Umhang zusammengefaltet über den Arm. Zu seinem Stab sprach er ein paar fremd klingende Worte und er fing an zu schrumpfen. Auf Hosentaschenformat verkleinert, konnte er ihn nun problemlos einstecken. Laice wollte kein Aufsehen erwecken. Er wusste nicht, ob man ihn mal mit voller Montur morden gesehen hatte, aber er wollte es auch nicht herausfinden. Außerdem war es unabhängig davon eher ungewöhnlich, dass jemand einen Umhang trug und einen Stab bei sich hatte. Das war zwar gut als Tarnung, um nicht selbst erkannt zu werden, half aber nicht, wenn man einfach nur in Ruhe durch die Stadt wollte. Kaum, dass er aus der Stadt raus war, ließ sich bereits der Waldanfang erkennen. Er lief hinein und an der ersten Weggabelung blieb er vor einer Karte mit eingezeichneten Wanderwegen stehen. Sie hätten die ruhig etwas kontrastreicher gestalten können. Noch war der Wald nicht besonders dicht, doch auch hier schluckten die Bäume schon reichlich Licht. Laice musste einsehen, dass er so den Weg wohl nicht finden würde. Ein Blick in die Runde verriet ihm, dass gerade niemand anderes in der Nähe war. Er hob also seine Augenbinde ein wenig an, achtete aber darauf, dass nur sein linkes Auge freigelegt wurde. Am oberen Augenlid ließ sich eine Narbe erkennen. Jetzt versuchte er nochmal auf der Karte seinen Weg zu finden. Diesmal machte er ihn schnell aus, merkte sich, auf welche Zeichen er achten musste und zog dann seine Augenbinde wieder richtig, in der Hoffnung mit dieser nicht die Zeichen zu übersehen. An den Wegkreuzungen musste er eben einfach vorsichtig sein. So lief er langsam weiter. Er musste aufpassen, der unebene Boden und die Dunkelheit, waren für ihn das reinste Stolperparadies. Doch er hatte ja noch Zeit und hetzen war zum Glück unnötig. Am frühen Nachmittag kam er in Kerun an. Ihm blieb also noch Zeit. Er nutzte sie, um einmal durch Kerun zu laufen. Nach knapp einer Stunde hatte er alles von Kerun gesehen. Das Dorf bestand aus ein paar Wohnhäusern, die größtenteils aus Fachwerk waren. Im Dorfkern gab es einen kleinen Supermarkt, eine Wirtschaft mit Gasthaus und ein Café. Er beschloss sich erstmal in das Café zu setzen, um weitere Zeit totzuschlagen. „Was darf ich Ihnen bringen?“, fragte ihn kurz darauf ein  junger Kellner. „Eine Eisschokolade“, antwortete  Laice. „Sehr wohl.“ Der Kellner nickte leicht und verschwand dann. Ein paar Minuten später kehrte er mit der Eisschokolade zurück. „Bitte sehr.“ Er stellte sie vor Laice ab. „Vielen Dank.“ Der Kellner ließ Laice wieder alleine und dieser trank genüsslich ein paar Schlucke. Still saß er da und ließ die Zeit verstreichen. Zwischendurch kam der Kellner und fragte, ob alles in Ordnung war. Laice bestellte noch ein Stück Pflaumenkuchen und ein Glas Mineralwasser, da es ihm unangenehm war, alleine so lange sitzen zu bleiben, obwohl die Eisschokolade bereits leer war. Eine Weile später ließ er sich die Rechnung bringen. Er beglich sie und zahlte dem jungen Mann ein gutes Trinkgeld. Nun war es langsam an der Zeit seine Zielpersonen ausfindig zu machen. Bei seinem vorherigen Rundgang durch das Dorf ist ihm niemand aufgefallen. Er beschloss deshalb in der näheren Umgebung um das Dorf herum nachzusehen. Am Rande des Dorfes legte er seinen Umhang um und zog die Kapuze tief ins Gesicht. Auch seinen Stab ließ er wieder die ursprüngliche Größe annehmen. Nach einer Weile vernahm er aus dem Wald stimmen. Eine der Stimmen kam ihm bekannt vor. Er konnte sie zwar nicht zuordnen, doch er verband nichts Gutes mit ihr. Sein kompletter Körper wechselte in Alarmbereitschaft. Seinen Stab fest umklammernd näherte er sich zügigen Schrittes und möglichst lautlos den Stimmen. Im Laufen nahm er seine Augenbinde ab, um in dem dunklen Wald sehen zu können, wo er langlief. Er achtete aber darauf, dass seine Augen Großteils von der Kapuze verdeckt blieben und blinzelte unter ihr hindurch. Die Stimmen wurden immer lauter. „Wir müssen den Jungen unbedingt finden!“, sagte eine tiefe Männerstimme, die Stimme, die Laice bekannt vorkam. „Caleb, wie konntest du ihn entkommen lassen?!“ „Ich, ich weiß es nicht… Ich weiß nicht wie das passieren konnte… Er hat mich ausgetrickst…“ „Man, du bist so doof, du würdest ersticken, wenn atmen nicht automatisch ablaufen würde!“, mischte sich nun eine raue, weibliche Stimme dazu. „Ich… Es tut mir wirklich Leid…“ „Ja, ja… tss. - Warum haben wir den eigentlich genommen?“ „Weil wir jeden nehmen, der Interesse hat“, antwortete die tiefe Männerstimme gelangweilt. „Aber das ist doch doof! Was wollen wir mit so unfähigen Nichtsnutzen?!“ „Frag das nicht mich“, kam die Antwort mit einem seufzen. In der Zwischenzeit erreichte Laice die Personen. Er hielt sich versteckt hinter einem Baum. Seinen Stab richtete er, am Baum vorbei, zunächst auf eine der Personen, die nicht in das Gespräch involviert waren. Sie standen ein wenig abseits von den drei kommunizierenden Personen. Damit schienen sie innerhalb der Organisation weiter unten zu stehen, als die anderen. Die sprechenden Personen waren für ihn interessanter, um sie über ihre Vorgesetzten und die Aufenthaltsorte auszufragen. Also galt es nun erstmal das einfache Fußvolk auszulöschen, damit es in später nicht mehr stören konnte. „Brenne!“, flüsterte er energisch. Seinem Stab entwich eine Flamme. Sie wurde von einem Windzug gezielt zu dem Mann getragen auf den der Stab zeigte. Ehe er irgendwie reagieren konnte, war er schon zu Staub zerfallen. Die Gruppe in seiner Nähe sah sich panisch um. „Was war das?“ „Wo kam die Flamme her?“ „Was ist mit Juan geschehen?“ So riefen alle durcheinander. Eine Frau weinte bitterlich, sie schien die Freundin des Mannes zu sein. Keine Sorge, du leistet ihm bald Gesellschaft. Nun richtete Laice seinen Stab auf eben diese Frau. „Brenne!“ Wenige Sekunden nachdem er dies ausgesprochen hatte verfiel auch sie zu Staub. So eliminierte er einen nach dem anderen von der Gruppe. Damit jedoch zog er allmählich die Aufmerksamkeit der drei anderen Personen auf sich. Die Frau mit der rauen Stimme entdeckte Laice hinter dem Baum. Laice, der merkte, dass er entdeckt wurde, trat nun aus dem Schatten des Baumes heraus. Seine Augen waren nicht zu erkennen, doch sein Mund verriet, dass er vollkommen ernst und sich seiner Sache sicher war. Er wollte sie alle umbringen, daran gab es keinen Zweifel. Er richtete seinen Stab auf die Frau. Doch sie war schneller als er und zog an seinem Stab. Laice hielt ihn nun mit beiden Händen fest und konnte so verhindern, dass sie ihm den Stab wegzog. Die zwei Personen, die aus der anderen Gruppe noch übrig waren, starrten einen Moment mit Angstverzerrten Gesichtern, dann erkannten sie ihre Chance zur Flucht liefen um ihr Leben. Die Frau jedoch gab so schnell nicht nach. Sie zog immer wieder heftig an dem Stab. „Caleb, du Blödmann! Siehst du nicht, dass ich hier Hilfe brauche?!“, wandte sie sich nun an den jüngeren Mann. „Äh… ja, sorry…“ Der Jüngling trat nun zügig neben sie und zog ebenfalls an dem Stab. In der Rangelei, flog Laice die Kapuze vom Kopf und legte sein Gesicht frei. Die beiden schraken kurz zurück, als sie Laices Augen sahen. Oder das, was von ihnen übrig war. Das linke Auge existierte so gut wie gar nicht. Das Augenlid, sowie die Haut in Augennähe waren komplett vernarbt und nur ein kleines Stück des Auges lag frei. Das rechte Auge konnte Laice offen halten, doch auch hier war das Augenlid vernarbt. Während Laice zusah seine Kapuze wieder überzustreifen, sichtlich gepeinigt, dass seine Augen nun frei lagen, fing sich die Frau wieder und zog erneut an dem Stab. Laice ließ instinktiv die Kapuze wieder fallen und wollte seinen zweiten Arm zu Hilfe nehmen, doch die Frau hatte den Stab bereits. War ja klar… Ich hätte wirklich mehr in meine körperliche Ausbildung investieren sollen… Momentan ist irgendwie nicht meine Zeit… Das hat alles schonmal besser funktioniert… Nun sah sich Laice mit den beiden konfrontiert und auch der dritte trat nun zu den beiden anderen. Seinen Stab hatte die Frau hinter sich geworfen. Laice betrachtete die drei Gestalten näher. Die Frau wirkte sehr kampfbereit und bei dem Gerangel zuvor hatte er gemerkt, dass sie durchaus Kraft besaß. Mit ihr zu kämpfen war riskant. In einem eins gegen eins Kampf könnte er es vielleicht schaffen, aber sie würde es ihm sicher nicht leicht machen. Der Jüngling, Caleb war recht schmächtig. Außerdem wirkte er ein wenig unbeholfen und neben der Spur. Dennoch durfte man ihn nicht unterschätzen. Er hatte ganz schön kräftig am Stab gezogen. Blieb noch der Mann. Laice erschrak, als er ihn nun zum ersten Mal richtig ansah. Die Stimme, nun wurde ihm klar, warum er sie erkannte. Der Mann grinste ihn wissend an. Offensichtlich erkannte er auch ihn. Nun, seine Augen waren auch mehr als verräterisch. Laice zitterte am ganzen Körper. Er schluckte schwer. Niemals würde er die dunkelbraunen, fast schwarzen Augen vergessen. Das markante Gesicht mit dem stets ernsten Ausdruck und der grimmig in Falten gelegten Stirn. Es schienen über die Jahre ein paar Falten dazugekommen zu sein. Auch sein blondes Haar trug er nun länger und hatte es zu einem Zopf gebunden. Und dennoch war er unverkennbar. „Na…, Magier? So wie es aussieht kannst du ja wieder sehen“, er grinste hämisch. Laice biss sich auf die Unterlippe. Sein ganzer Körper war angespannt, die Hände zu Fäusten geballt. Vor seinem geistigen Auge war er wieder in seinem fünfzehnjährigem ich. Er rannte durch sein lichterloh in Flammen stehendes Heimatdorf. „Kisho? Kisho, wo bist du?“ Er blickte sich nach allen Seiten um, während er weiter rannte. Immer wieder entdeckte er dabei eine Leiche. Es waren alles Dorfbewohner. Manche kannte er besser, andere schlechter, aber am Ende waren sie alle ihm freundlich gesonnen. An ihrer Seite ist er aufgewachsen, sie sollte er mal beschützen. In ihm stieg Wut hoch. Er wollte die Verantwortlichen dafür büßen lassen. Das Dorf, die Bewohner. Er wollte Rache. Aber jetzt musste er erstmal seinen Bruder finden. Und dann seine Eltern. Zuerst musste er sie sicher wissen. Plötzlich erstarrte er. Da war Kisho. Er hatte ihn gefunden und er lebte noch. Aber bei ihm war ein Mann, den er bisher noch nicht gesehen hatte. Er blickte in fast schwarze Augen. Der Mann hatte einen Dolch in seiner Hand. Er war im Begriff den kleinen damit zu erstechen. Kisho wehrte sich mit allem, was er hatte, dagegen. Doch der zehnjährige war keine große Herausforderung für den muskulösen Mittdreißiger. Laice eilte ihm zur Hilfe. Aber er war körperlich nie besonders stark gewesen. In dem Gerangel erlangte der Mann sehr schnell die Überhand. Die beiden Jungen kämpften verbittert weiter. Mehr zufällig als wirklich geplant landete Laice einen schmerzvollen Treffer unter der Gürtellinie. Der Mann schrie vor Schmerz auf. „Na warte, jetzt ist Schluss mit lustig!“ Während die Jungen für einen Moment aufgrund der Freude über den kleinen Erfolg abgelenkt waren, nutzte der Fremde die Gelegenheit und zielte mit dem Dolch auf Kishos Herz. Im letzten Moment gelang es Laice seinen Bruder aus der Gefahrenzone zu schubsen. Dafür hatte er den Dolch nun in seinem Arm. Vor Schmerz biss er die Zähne zusammen. Dann blickte er zu Kisho. Er war nun ein wenig entfernt von dem Fremden. „Lauf!“, schrie Laice ihm zu. „Lauf so weit weg vom Dorf wie du kannst!“ „Aber…“, antwortete der Kleine weinerlich. „Kein Aber! Lauf! Ich finde dich später. Aber jetzt Lauf!“ Kisho nickte und stand zögerlich auf. Dann rannte er so schnell er konnte weg. Nicht einmal blickte er noch zurück. Der Mann lachte nur. „Glaubst du, das bringt euch irgendetwas?“ Er stieß Laice feste auf den Boden und trat ihm ins Kreuz. Laice flossen Tränen über das Gesicht. Ihm wurde bewusst wie machtlos er war, ohne seinen Stab war er nichts. Er schwor sich künftig niemals mehr ohne den Stab irgendwo hinzugehen. Doch nun musste er erstmal überhaupt aus der Situation wieder herauskommen. Er versuchte aufzustehen, doch der Mann trat ihn immer wieder zu Boden. Verbittert kämpfte Laice mit zunehmend schwindender Kraft immer weiter. Er durfte hier einfach nicht sterben. Er hatte Kisho versprochen, dass er ihn später finden würde. Außerdem wollte er in seinem Leben noch so viel tun. So viel noch hatte er vor sich. Der beste Magier wollte er werden. Er wollte das Dorf als künftiges Oberhaupt stolz machen. Sie alle wollte er beschützen. Er biss die Zähne zusammen, bei dem Gedanken daran, dass ihm jetzt gerade das beschützen überhaupt nicht gelang. „Laice?!“, vernahm er plötzlich die beängstigt klingende Stimme seiner Mutter. „Mama…“, kam es kläglich zurück. Er drehte seinen Kopf so, dass er sie sehen konnte. Neben ihr tauchte gerade sein Vater auf. Laice atmete innerlich auf. Die beiden hatten ihre Stäbe dabei. Und sie waren gute Magier. Nun würde alles gut werden. So dachte er zumindest. Doch tauchten nun auch weitere Feinde auf. Fünf Männer. Sie gingen alle auf seine Eltern los. Es war ein erbitterter Kampf. Seine Eltern sprachen mächtige Zaubersprüche aus. Die Männer dagegen waren körperlich sehr Kampferprobt. Sie waren kräftig, wendig und flink. Geschickt wichen sie den Zaubern aus, während sie versuchten näher an die beiden heranzukommen. Der Mann der bei Laice war, erkannte, dass die fünf anderen Schwierigkeiten hatten, mit den beiden Magiern fertig zu werden. Er griff in seine Tasche und holte eine kleine Glasflasche hervor. Mit einem breiten Grinsen warf er diese mit voller Wucht Laice in Gesicht. Sie zerbarst auf Höhe seiner Augenbrauen. Die Flüssigkeit verteilte sich vor allem über sein linkes Auge. Doch auch sein rechtes bekam etwas ab und ein kleiner Rest lief ihm über die linke Wange herunter. Einen Moment lang war Laice verdutzt und Verstand nicht, was das sollte, dann schrie er vor Schmerz. Am Aufschlagpunkt des Glases blutete er. Doch das war nicht das, was ihm die großen Schmerzen bereitete. Überall dort, wo die Flüssigkeit ihn berührte, löste sich seine Haut auf. Er weinte und schrie wie am Spieß. „Ah! Meine Augen! Ich, ich sehe nichts mehr…!“ Er hatte Angst. Das lenkte seine Eltern ab. Sie konzentrierten sich nun auf den Mann, der bei ihrem Sohn war. Beide richteten ihren Stab auf ihn und sprachen einen Zauber aus. Der Mann, der erkannte, dass er nun in akuter Gefahr war, ergriff die Flucht. Die fünf anderen dagegen nutzten die Chance, dass Laices Eltern abgelenkt waren und überwältigen diese nun. „Laice, renn weg!“, rief seine Mutter ihm zu, die merkte, dass es nun nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihr Mann und sie sich nicht mehr zur Wehr setzen konnten. Die fünf waren nun viel zu nah und hatten ihnen bereits ihre Stäbe abgenommen. Doch Laice bewegte sich nicht. Er war wie paralysiert vor Schmerz und vor Angst. Seine Eltern schrien noch einige Male auf ihn ein. „Lauf weg!“ „Laice, nun mach schon!“ Plötzlich schoss in seinen Kopf, wie er zuvor Kisho weggeschickt hatte und seine Eltern drangen zu ihm durch. Fast blind stolperte er, so schnell er konnte, weg. Dann blickte sein jetziges Ich dem blonden Mann wieder ins Gesicht. Er schluckte schwer. Sein größter Feind stand vor ihm und er war wehrlos — schon wieder. Instinktiv stolperte Laice ein paar Schritte rückwärts. Der blonde Mann lachte überlegen und trat sogleich ein paar Schritte auf Laice zu, um wieder den alten Abstand einzunehmen. Mit einem noch breiteren Grinsen trat er nach einem kurzen Stopp noch näher an Laice heran. Laice lief nun schneller zurück. Der blonde trat immer näher an ihn heran. Auch die Frau kam langsam näher. Der Jüngling schien sich noch unsicher zu sein, ob er dem Beispiel der beiden Anderen folgen möchte oder soll. Die beiden Anderen nahmen mittlerweile mehr Geschwindigkeit auf. Laice hatte sich mittlerweile umgedreht, vorwärts laufend, war er ein ganzes Stück schneller. Dennoch war er kein Athlet. Er war von Natur aus ein recht schneller Sprinter, doch war es nur eine Frage der Zeit, bis ihm die Puste ausging. Er versuchte in dieser Zeit so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Anderen zu bringen. Und er hatte Glück, die beiden Anderen konnten mit seiner Maximalgeschwindigkeit nicht mithalten. Er achtete darauf möglichst oft irgendwo abzubiegen, in der Hoffnung, dass sie ihm nicht folgen konnten. Bald zwang ihn seine fehlende Ausdauer sein Tempo drastisch zu reduzieren. Im Schatten eines Baumes blickte er den Weg zurück. Niemand war zu sehen. Einen Moment blieb Laice still stehen und horchte. Aber er konnte nur sein rasendes Herz, sowie seine schwere Atmung hören. Keine Schritte. Beruhigt lief er im Schatten der Bäume langsam weiter. Bald war er wieder am Anfang des Waldes in der Nähe von Kerun. Laice beschloss, dass es nun langsam an der Zeit war, endlich seine Augenbinde wieder umzulegen, bevor er in das Dorf ging. Seinen Umhang legte er dafür wieder ab. Dann lief er zu dem Gasthaus. Er wollte sich für die Nacht erstmal dort einquartieren und am nächsten Tag überlegen, was nun zu tun war. Das ist ja gründlich schief gelaufen… Die Hauptpersonen habe ich entkommen lassen — nein, vielmehr, sie haben MICH entkommen lassen. Zumindest hoffe ich das… Aber ich hoffe einfach mal, dass die nicht so blöd sind mich vor Zeugen anzugreifen… Dazu ist mein Stab jetzt auch weg… Ohne den kann ich keine Magie ausführen. Vorerst checkte er im Gasthaus ein. Man führte ihn auf sein Einzelzimmer. Er legte seinen Umhang weg und warf sich auf das Bett. Sich alleine wissend nahm er seine Augenbinde wieder ab. Er starrte blank an die Zimmerdecke. Momentan war wirklich nicht seine Zeit. Alles schien schief zu gehen. Seufzend schloss er die Augen. Er war deprimiert und erschöpft. Morgen wollte er sich darüber Gedanken machen, wie es weitergehen würde, doch nun brauchte er erstmal etwas Schlaf. Es dauerte nicht lange und er fiel in einen unruhigen Schlaf. Er träumte immer wieder von dem Mann. Wie er ihm als Kind gegenüberstand und wie er ihm nun wieder gegenüberstand. Außerdem von seinem kleinen Bruder. Schließlich ließ ihn das Bild seines Blutüberströmten Bruders aufschrecken. Halt, stop. So war das nicht. Kisho ist weggerannt! Aber was ist danach passiert?… Er fragte sich, ob der Traum ihm die Wahrheit erzählte, wie es mit Kisho weiterging. Inständig hoffte er, das dem nicht so war. Laice wusste, dass die Chance, dass sein Bruder noch lebte nicht besonders groß war. Er verstand manchmal selbst nicht, wie er es da lebend hinausgeschafft hatte. Dass sie beide ein solches Glück hatten war doch eher unwahrscheinlich. Und dennoch hoffte er noch immer. Von Tag zu Tag, den er seinen Bruder nicht sah wurde die Hoffnung geringer, doch noch war sie da. Und deshalb wollte er den Traum vergessen. Laice stand noch etwas vom Traum benommen auf, lief ins Bad und warf sich vorm Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht, als könne er den grausamen Traum damit einfach wegspülen. Mit aufgerissenen Augen und pochendem Herzen blickte er tief in den Spiegel. Er sah sich, sein jetziges Ich und rief sich damit in den Kopf, dass er gerade nur geträumt hatte. Langsam beruhigte er sich. Und was nun? Er seufzte. Ein Blick aus dem kleinen Badezimmerfenster verriet ihm, dass bereits die Morgendämmerung eingesetzt hat. Sich erneut hinzulegen erübrigte sich damit. Außerdem wollte er einen weiteren Traum vermeiden. Noch immer in den Spiegel blickend durchzog plötzlich ein leichtes Grinsen sein Gesicht. Sieh dich vor. Jetzt hört der Spaß auf, Blondschopf. Kendra ist zwar ein Problem was ich auch noch Lösen muss, aber erstmal kann ich sie mir zu Nutze machen. Etwas Anderes macht sie mit mir schließlich auch nicht. Sie hat bestimmt Leute unter sich, die kämpfen können. Und dann wünsche ich dir viel Spaß, Blondie! Mit sich selbst zufrieden und voller Tatendrang trat er nun den Rückweg an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)