Fremde Welten: Das Buch von Incanta (#3 1/4) von Purple_Moon (Mutterliebe hat viele Gesichter) ================================================================================ Prolog: Tag der Entscheidung ---------------------------- Der Bannkreis zeichnete sich perfekt auf dem Boden ab. Zwar konnte ich ihn hier nicht in die Steine ritzen, damit zeigte sich das Schlossherz nicht einverstanden, aber ich hatte ihn bereits vor ein paar Tagen mit einer speziellen Farbmischung aufgetragen, die für den Zweck wesentlich geeigneter war als einfache Kreide. Der Durchmesser betrug etwa zwei Meter. Ich umrundete ihn einmal, prüfte alles genau nach und trat dann über die Runenschrift, darauf bedacht, nichts zu beschädigen. Sobald ich mit beiden Füßen darin stand, merkte ich, wie die Bannwirkung meine Magie unterdrückte. Das Letzte, wozu ich sie benutzt hatte, war, alle meine Kleidungsstücke bis auf die Hose verschwinden zu lassen. Ich würde mich wohl erst daran gewöhnen müssen, mich normal umzuziehen. In der Mitte des Bannkreises stand ein steinerner Stuhl, mehr ein Thron. Vindictus und ich hatten das gute Stück in der Schatzkammer dafür auserkoren, uns heute und hier zu dienen, denn der Schlossherr hatte es abgelehnt, Ketten an der Decke und am Boden installieren zu lassen. Nun, das sollte mir recht sein. Ich sank auf die harte Sitzfläche und lehnte mich an. Die Kälte des Steines traf meinen Rücken und ließ mich fast zurückschrecken. Vermutlich gab es Gründe dafür, dass Herrscher sich üppig kleideten, und das war garantiert einer davon. Ein Kissen hätte wohl auch nicht geschadet, aber irgendwie passte es nicht zum Anlass. „Wie ich sehe, seid Ihr als Erster da...“ Vindictus erschien in meinem Blickfeld und stellte seine Heilertasche außerhalb des Bannkreises ab. „So konnte ich mir einreden, dass ich den Platz nur mal testen möchte,“ behauptete ich. „Bringen wir es hinter uns.“ Er nickte ernst. Wir beide hatten Fire eine spätere Zeit gesagt, damit alles bereit war, wenn er zu uns stieß. So würde es für ihn vielleicht etwas leichter werden. Vindictus holte mehrere Verbandsrollen aus seiner Tasche hervor und trat in den Kreis. Sachlich fing er an, erst meine Handgelenke und dann meine Knöchel sorgfältig zu verbinden, um sie vor Verletzungen zu schützen. Die Stricke lagen an der Seite in einer Kiste bereit. Vindictus fesselte meine Hände an die Armlehnen, die Füße an die protzigen, steinernen Stuhlbeine und schließlich wickelte er noch ein paar Meter um meine Schultern und die Rückenlehne, um zu verhindern, dass mein Oberkörper nach vorne kippte. Zu behaupten, dass ich ein wenig nervös war, wäre eine glatte Lüge gewesen. Mein Herz pochte in meinen Ohren und ich brauchte all meine Selbstbeherrschung, um einigermaßen ruhig zu atmen. Obwohl es hier unten kalt war, stand mir der Schweiß auf der Stirn. Nein, ich war nicht nervös, sondern panisch. Dem alten Heiler konnte ich nichts vormachen; wenn er die Zeichen nicht deutlich sah, dann spürte er es bei jeder Berührung mit seinen erfahrenen Sinnen. Aber er kommentierte meine Verfassung nicht. Er sagte gar nichts mehr. Wir hatten vorher alles ausreichend besprochen, insofern bedurfte es keiner Worte. Darüber hinaus hatte ich den Verdacht, dass er seiner Stimme nicht ganz traute. Ich meiner auch nicht. Ich zerrte und zog probeweise an meinen Fesseln, doch sie hielten problemlos. Zwar wollte ich keinen Widerstand leisten, bezweifelte aber, dass ich diesen Vorsatz einhalten konnte. Der Körper spannt sich unter Schmerzen immer an... lieber nicht dran denken. Vindictus trat gerade aus dem Kreis zurück, als die Tür sich öffnete und Fire eintrat. Ich konnte ihn nicht direkt sehen, denn der Thron stand mit der Rückseite zur Tür. Aber ich bemerkte eine Veränderung des Lichtscheins und hörte seine Schritte, und wer sonst sollte zu dieser Zeit hier herunter kommen? Dann trat der Junge auch schon vor mich hin. „Ihr... Ihr habt Euch bereits fesseln lassen?“ In seiner Stimme schwang Vorwurf mit. Ich hob gespielt unbesorgt eine Augenbraue und kratzte meinen letzten Galgenhumor zusammen. „Sicher, oder wolltest du mich vorher noch liebevoll umarmen und mir viel Glück wünschen?“ Er starrte unglücklich auf den Boden. „Nun also... ich meine... irgendwie schon.“ Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. „Lieb von dir. Aber betrachte dies einfach als deine Meisterprüfung. Reiß dich zusammen und konzentriere dich, mein Schüler. Ich habe dir alles gezeigt, was ich kann, also...“ An dieser Stelle brach ich lieber ab. Zwar wollte ich noch einige ermutigende Hinweise hinzufügen, allerdings kroch ein seltsamer Druck in meine Nase und befiel auch meine Augen, somit schloss ich letztere und presste meinen Hinterkopf gegen die Lehne des Throns. Fast erwartete ich Proteste von Fire, doch er schwieg, denn wir alle wussten, dass das hier jetzt geschehen musste. Das ungeschriebene Gesetz der Magier verpflichtete mich dazu, meinen Schüler zu beschützen, auch wenn es mich meine eigene Magie kostete. Welche Ironie, dass es auf einem Thron geschah, wäre ich doch fast der nächste böse Herrscher nach meiner Mutter geworden... Doch das wäre eine andere Geschichte. Dies ist die Geschichte darüber, wie ich meinem Schüler beibrachte, Magie auszubrennen, so dass er es an mir üben kann. Die Geschichte meiner eigenen Magieausbrennung beginnt... mit einer anderen Ausbrennung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)