Fremde Welten: Das Buch von Incanta (#3 1/4) von Purple_Moon (Mutterliebe hat viele Gesichter) ================================================================================ Kapitel 5: Ausverkauf --------------------- Basalts Buch lag auf meinem Schoß auf der Bank unter dem Baum der Ewigkeit. Vielleicht konnte man es doch ganz gut verkaufen, denn es wirkte wirklich sehr authentisch und die Formeln waren korrekt aufgeschrieben. Wie alle Zauberbücher barg das Werk eine gewisse Gefahr, sollte es in die falschen Hände fallen. Doch derartige Skrupel konnte ich mir nicht leisten. Das Problem war leider, dass ich es schnell verkaufen musste, wenn ich den verringerten Preis für Vesuvias Kleid zahlen wollte. Daher konnte ich bezüglich des Käufers nicht wählerisch sein und musste wahrscheinlich weniger nehmen, als es sonst einbringen könnte. Aber gut, das war ohnehin klar. Ich nutzte in solchen Fällen immer einen Hehler, der ja auch noch seinen Profit machen wollte. Nur rochen es diese Leute, wenn die Zeit drängte. Meine Tochter war schon vor einigen Stunden abgereist, angeblich, weil sie den Schuldrachen bis zum Abendessen zurückbringen sollte. Ich vermutete eher, dass sie es vorzog, nicht mit uns zu essen, um sich Peinlichkeiten zu ersparen. Sie hatte mich mit besorgtem Gesicht gebeten, nicht wirklich an geheimen Zauberturnieren teilzunehmen, was ich ja irgendwie rührend fand. Dabei hätten die Turniere sicherlich etwas Spaß gebracht. Ich wusste aber gar nicht, ob sie überhaupt noch wie gewohnt stattfanden, es war lange her. Im Baum über mir flog ein Vogel auf, und rote Blütenblätter schneiten auf mich herab, landeten teilweise im Buch. Ich pustete sie weg, damit sie nicht drin blieben und verrieten, woher das Buch stammte. Gut, das war unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Ich gab mir einen Ruck und stand auf. Das Abendessen musste bald fertig sein. Appetit hatte ich zwar keinen, aber ich wollte nicht auch noch meine Familie beunruhigen. Ich wählte den Hintereingang von Basalts Werkstatt, um mit ihm den Verkauf des Buches zu besprechen. Das passte mir gar nicht, denn vorgestern noch hatte ich ihm versichert, dass wir es behalten konnten. Ich musste ihm wohl die Wahrheit über meine Situation sagen. Mein Sohn war gerade damit beschäftigt, meine Hausschuhe zu flicken. Überrascht trat ich näher und sah ihm dabei zu. „Hallo, Paps. Ist das Buch in Ordnung?“ fragte Basalt, wobei er kurz aufblickte und den Faden fest zog. „Ja, ich stelle fest, dass du meine Notizen nicht von der Vorlage übernommen hast, das ist gut so. Allerdings sollten wir etwas wegen Seite 34 unternehmen... der Spruch dort ist sehr gefährlich; wenn man ihn laut liest, aktiviert er sich schon. Kann man ihn teilweise unkenntlich machen? Oder einen Warnhinweis einfügen?“ Ich klappte das Buch auf jener Seite auf und zeigte ihm die Stelle. Basalt warf einen Blick darauf. „Sicher... aber dann hast du dich entschieden, es doch zu verkaufen, nehme ich an. Warum sonst wäre das nötig.“ „Nun ja... tatsächlich könnten wir das Geld gut gebrauchen...“ druckste ich herum. Basalt seufzte, doch er lächelte ein wenig dabei. Er legte den unfertigen Schuh erst einmal zur Seite. „Paps. Ich bin im Bilde. Vielleicht nicht über alles, aber ausreichend.“ „Wie bitte?“ entgeistert schloss ich in einer langsamen, unbewussten Bewegung das Buch und drückte es an mich. „Hey, mir ist aufgefallen, dass du ewig keine neuen Klamotten für dich gekauft hast, außer die alten fielen auseinander. Dabei legst du so viel Wert auf einen guten Eindruck für den Zirkel und hast dir früher regelmäßig was Neues angeschafft. Du kaufst Pflanzen, die wenig kosten und eine sichere Ernte bringen, statt seltene und teure, die aber auch mehr Geld bringen könnten, wenn man sie denn durchbringt. Du vermeidest also finanzielle Risiken. Und dann kommt immer mal diese Frau zu Besuch... natürlich ist es mir nicht aufgefallen, während ich noch in der Lehre war, aber seit ich wieder hier wohne, war sie vier oder fünf Mal da. Ich hab also dem Fahrer der Kutsche was zu Rauchen angeboten und er hat mir erzählt, in welchem Gewerbe die Frau tätig ist. Vorletztes Mal schon. Daraufhin hab ich mir mal unsere Bilanzen angesehen. Und wenn ich es dann noch nicht begriffen hätte, dann hätte ich es vorhin von Vesuvia erfahren.“ Ich biss mir auf die Lippe und senkte beschämt den Blick. Da hatte ich meinen Sohn wohl deutlich unterschätzt. Er verbrachte so viel Zeit in dieser Werkstatt, dass ich immer annahm, dass er von der restlichen Welt abgeschnitten lebte, das wurde mir jetzt klar. Und er hatte nie ein Wort über seine Erkenntnisse verloren. Wenn ich so darüber nachdachte, bezog er seine Bastelmaterialien hauptsächlich von Gebrauchtwarenmärkten oder schwatzte sie Leuten ab, die damit offensichtlich nichts mehr anfangen konnten. Er hatte das immer damit begründet, dass dann die Abnutzung authentischer aussah, aber früher hatte er sich auch mal etwas Teureres für seine Talismane gegönnt, etwa ein seltenes Stück Holz oder einen Edelstein. Mit solchen Zutaten wurden Talismane wirkungsvoller, aber auch teurer und damit nicht mehr so leicht verkäuflich. Ich hatte vermutet, dass er einfach das Interesse daran verloren hatte, diese Dinge herzustellen, dabei versuchte er, meinen Geldbeutel zu schonen. „Vesuvia hat sich einen Rucksack und eine Tasche von mir geliehen. Sie bat mich, dir zu sagen, dass du dir keine Sorgen machen sollst, sie will das Problem selbst lösen,“ informierte Basalt mich. „Naja, ich fragte, ob es mit Geld zu tun hat, und da erzählte sie es mir...“ Ich konnte mir nicht erklären, wo Vesuvia das Geld für ihr Kleid hernehmen wollte. „Sie hat aber nichts Illegales vor, oder?“ hakte ich nach. Basalt zuckte mit den Schultern. „Glaube nicht. Aber hör mal, wir können dieses Buch trotzdem verkaufen, auch wenn es mein erstes richtig gut gelungenes ist. Sentimentalität zahlt nicht unsere Schulden, nicht wahr? Und dann sehen wir ja, ob die Qualität wirklich jemanden täuschen kann.“ „Einverstanden,“ stimmte ich zu. „Kennst du irgendwen, der sowas kaufen würde?“ fragte er mich, und damit bekam ich wieder das Gefühl, einen Nutzen zu haben. „Ja, wir können es bei Rurik dem Ruchlosen versuchen.“ „Rurik der Ruchlose?“ Basalt grinste amüsiert. „Er handelt mit allem, was Gewinn abwerfen könnte, und kauft es besonders gerne von Leuten, die das Geld dringend brauchen und deshalb mit wenig zufrieden sind. Wenn dir das zu unbefriedigend ist, gibt es noch Jorik Silberstreif, einen zwielichtigen Händler für Dinge, die jemand sammeln könnte. Es ist ihm egal, wo die Sachen herkommen, und seinen Kunden auch.“ „Du kennst komische Leute,“ stellte Basalt fest. „Aber das kommt vielleicht davon, wenn man im Zirkel des Bösen ist.“ „Oh, ich habe auch Beziehungen durch die Sachen, die wir legal verkaufen. Händler kennen sich oft untereinander.“ Ehe wir das Thema vertiefen konnten, rief Rose uns zum Abendessen, was ich bedauerte, weil meine Schuhe noch nicht fertig waren. Appetit hatte ich noch immer keinen. Aber ich aß, damit sich niemand Sorgen machte. Es gab Spiegelei auf Brot. Auch Sana saß mit am Tisch in der Küche, da sie ja quasi schon zur Familie gehörte. Sie wachte darüber, dass mein Magen voll wurde. Eigentlich hätten wir den Esstisch im Wohnzimmer benutzt, aber bei vier Leuten reichte auch die Küche, und außerdem brieten stetig neue Eier in der Pfanne, solange nicht alle satt waren. „Vorhin erschien ein Kontaktformular von Sage,“ sagte meine Frau. „Die Sitzung bezüglich Sorcs neuer Arbeitsstelle findet erst in einigen Tagen statt, da Edeh gerne dabei sein will, aber in den nächsten Tagen zu tun hat.“ „Das hätte er ja auch mal eher sagen können,“ murmelte ich, aber mir war es ganz recht. Einige Tage ohne den Zirkel taten mir sicher gut und gaben mir Zeit für das Kleiderproblem, zumal die Frist für die geringere Zahlung ja in wenigen Tagen ablief. „Wie ist es heute gelaufen?“ erkundigte Rose sich. „War alles in Ordnung?“ „Offenbar schon,“ gab ich Auskunft. „Aber wir haben Sorc nicht persönlich gesehen, denn der Schlossheiler hatte sich schon um das Problem gekümmert... also es gab eins, aber es war nicht mehr aktuell.“ „Naja, das ist doch erfreulich, nicht wahr? Weniger Arbeit für dich.“ „Ja... die Leute vom Lotusschloss waren bei aller Höflichkeit recht feindselig, was ich aber verständlich finde. Später besuchten wir ein Dorf, das zu Crimsons Gebiet gehört, und dort war es ganz seltsam... die Leute behandelten uns wie Diebe, selbst als wir darüber sprachen, dass wir etwas kaufen wollten. Sie verschlossen Fenster und Türen vor uns. Dabei kannten sie uns doch gar nicht.“ „Vielleicht sind sie einfach Fremden gegenüber misstrauisch?“ mutmaßte Rose. Ich zuckte mit den Schultern. „Muss wohl so sein, wir haben ihnen jedenfalls meines Wissens keinen Grund gegeben, sich so zu benehmen.“ „Thaumator, Euer Eibrot wird ja ganz kalt,“ erinnerte Sana mich. Da hatte sie wohl recht, also aß ich schnell weiter, um meinen guten Willen zu zeigen. Ich mochte es, wenn der Eidotter beim Braten heile blieb und ich ihn dann auslaufen lassen konnte, aber heute hatte ich dafür keinen Blick. Nebenbei musste ich daran denken, dass wir lange keinen richtigen Braten mehr gegessen hatten, jedenfalls nicht zu Hause. Und hoffentlich fiel nicht bald irgendeine Zirkelveranstaltung in meinen Zuständigkeitsbereich als Gastgeber. Inzwischen fiel mir auf, dass ich ständig nur an Geld dachte. Aber ich legte nun einmal keinen Wert darauf, meine Schulden abarbeiten zu müssen. Das Mahl gestaltete sich einigermaßen schweigsam, bis Basalt fragte: „Hast du eigentlich dieses Ausbrennen, das du beherrschst, mal jemandem beigebracht, Paps?“ Ich stoppte meine Gabel auf dem Weg zum Mund. Flüssiger Eidotter tropfte auf den Teller. Alle schienen mich anzustarren. „Das... würde ich niemals tun,“ antwortete ich meinem Sohn schließlich. „Wieso fragst du?“ „Nun ja...“ Basalt warf kurz einen Blick auf Rose, die aber entgegen meiner Vermutung normal weiter aß. „Ich bin nur neugierig, ist das nicht eine Kunst, die man vorsichtig weitergeben sollte?“ „Natürlich ist sie das,“ bestätigte ich etwas unwirsch. „Ausbrenner lassen ihre Schüler deshalb einen Eid schwören – ähnlich wie Heiler. Der Schüler hat zu schwören, dass er diese Fähigkeit nie missbraucht, um eigene Ziele zu verfolgen und so weiter. Natürlich... halten sich nicht alle dran.“ Und Itrikaria hatte sich auch nicht damit aufgehalten, mir diesen Schwur abzuverlangen. Ich hatte davon erst durch Cosmea erfahren, aber auch sie hatte mich diesen Eid nicht schwören lassen, und ich hatte natürlich nicht darum gebeten. Den genauen Wortlaut kannte ich nur aus einem Buch, das sie mir für meine Studien geliehen hatte. Wie sich das bei meiner Mutter verhielt, wusste ich nicht. Normalerweise hatte Eidbruch für einen Magier Folgen. Aber es gab Wege, einen magischen Eid zu umgehen, und Itrikaria kannte sie vermutlich alle. „Du wolltest jetzt aber nicht darum bitten, dass ich es dir beibringe, oder?“ fragte ich vorsichtshalber meinen Sohn. Basalt hob abwehrend die Hände. „Nein bloß nicht. So abgebrüht bin ich nicht. Es... interessiert mich halt bloß. Ist das sowas wie eine geheime Fähigkeit oder gibt es ein Verzeichnis aller, äh, Ausbrenner?“ Er sprach das letzte Wort langsam aus, wie um zu testen, wie es sich auf der Zuge anfühlte. „Es gibt meines Wissens kein Verzeichnis, jedenfalls kein offizielles. Wer es kann, erzählt es nicht überall rum. Aber bei den meisten großen Orten, an denen Magier leben, gibt es so jemanden, oder zumindest kennt man dann jemanden, den man holen kann, sollten diese Kenntnisse gebraucht werden. Das kommt doch hin und wieder mal vor, meistens als Strafe... es gibt aber auch eine seltene Krankheit, die es nötig machen kann, sich ausbrennen zu lassen.“ Jetzt blickte auch Rose von ihrem Essen auf. „Wirklich? Wie schrecklich...“ Ich nickte, konnte sie aber nicht direkt ansehen, daher starrte ich auf meine Gabel und das Stück Eibrot an ihr. „Ja, es ist wie eine Allergie gegen Magie, die Kinder befällt, wenn ihre magischen Kräfte gerade erwachen. Ich kenne jemanden, der das hinter sich hat. Er erinnert sich kaum, was wohl ein Segen ist. Möglicherweise konnte er aber auch narkotisiert werden... hoffe ich jedenfalls.“ Oder er war eh schon bewusstlos gewesen. Ich stopfte das Stück Brot in den Mund, um nicht weiter antworten zu müssen, und kaute demonstrativ lange darauf herum, ehe ich mich zum Schlucken zwang. „Dann kann es auch nützlich sein, nicht wahr,“ stellte Rose in dem sanften Tonfall fest, den sie immer anschlug, wenn sie mich beruhigen wollte. Ich verzichtete darauf, ihr zu sagen, dass der silberne Zauber ursprünglich als Folterinstrument erfunden worden war, ehe jemand bemerkt hatte, was man damit anrichten konnte. Die Magie war ein zweischneidiges Schwert aus Nutzen und Missbrauch. Etwas Schönes, das zu Grausamem fähig war. Ich selbst beherrschte ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten, jemanden zu töten, und konnte mir aussuchen, wie schnell es gehen sollte. Kein schöner Gedanke. „Entschuldigt mich, ich habe genug gegessen,“ sagte ich und stand auf. Eigentlich war es in diesem Haus nicht üblich, den Tisch so zu verlassen, aber niemand beschwerte sich. Draußen zog bereits die Dunkelheit auf, was mir ganz gelegen kam, denn heute brauchte ich unbedingt etwas Magietraining. Schon während ich mich von meinem Haus entfernte, überkreuzte ich die Arme vor der Brust, so dass beide Hände auf Höhe der Schultern lagen. Kleine Flämmchen entstanden in der Luft und tanzten um mich herum. Ich ließ sie schneller werden, bis es so aussah, als wäre ich von einem Schutzfeld mit einem feurigen Leuchten umgeben. Doch sobald ich meine Hände nach vorne schnellen ließ, flogen die Flämmchen in diese Richtung, um einen möglichen Angreifer abzufangen. Da mich gerade niemand behelligte, konnte ich sie wieder zurückrufen und in Schutzschildform bringen. Im Anschluss warf ich sie nach oben, ließ sie vielleicht fünfzig Meter steigen und schloss dann die Fäuste. Die Flämmchen explodierten nach allen Seiten wie Feuerwerk und verpufften harmlos. Meine Nachbarn kannten das Schauspiel schon und erfreuten sich hin und wieder daran. Unfälle kamen eher selten vor, schließlich ging ich ja zum Üben immer von meinem Grundstück weg und hielt mich auch von anderen fern. Ich hatte einen bestimmten Platz, zwanzig Minuten Fußweg entfernt. Der Marsch tat mir gut, gab mir Zeit, meinen Geist zu klären. Feuermagie der Art, wie ich sie anwendete, erlaubte keine Unkonzentriertheit, außer ich wollte die Umgebung einäschern. Ich gelangte zu den Ruinen eines großen Hauses, einer Villa. Schloss war wohl zu viel gesagt, auch wenn Reisende das manchmal dachten. Die Überreste gaben nicht viel preis, denn selbst die Mauern waren kaum noch als solche zu erkennen, eher als zusammengeschmolzene Gesteinsmasse. An diesem Ort siedelten sich keine Tiere an, und wenn, blieben sie nicht lange. Das Echo eines brutalen Zaubers der Verwüstung hing auch nach Jahren noch in der Luft und würde wohl noch eine Weile bleiben. So etwas konnte sehr lange dauern, wenn sich niemand darum kümmerte. Da es hier also selten Störungen gab und auch niemand verletzt werden konnte, handelte es sich für mich um einen idealen Übungsplatz. Seltsamerweise konnte ich mich hier gut konzentrieren. Ich warf einen klassischen Feuerball in die Trümmerlandschaft. Das betrachtete ich als die leichteste Anfängerübung, aber es machte immer wieder Spaß. Die Leute erwarteten Feuerbälle von mir. Manchmal dachte ich, dass wir Feuermagier in den Augen von Nichtmagiern auf Feuerbälle werfende Akrobaten reduziert wurden. Ich vergrößerte meinen nächsten Feuerball und ließ ihn gegen eine niedrige Mauer fliegen, deren Steine permanent miteinander verschmolzen waren. So fuhr ich fort, bis mein Feuerball fünf Meter über mir entstand und eine Durchmesser von zwei Metern hatte. Ich ließ ihn nach oben schießen und in einem scharfen Bogen zurück zur Erde sausen, wo er mit einem brüllenden Geräusch von windgepeitschtem Feuer in die Ruinen krachte und alles innerhalb eines Kreises von etwa fünfzehn Metern Durchmesser gegrillt hätte. Die äußeren Randflämmchen züngelten kurz gegen meine Stiefel, die zum Glück aus widerstandsfähigem Leder bestanden. Doch selbst ungeschützt hätten diese kleinen Ausläufer nicht viel ausgemacht, vielleicht wäre mir ein bisschen warm geworden. Allerdings, das musste ich zugeben, versetzte es mir immer einen Adrenalinstoß, wenn ich Feuer gefährlich nahe kam. Ich wusste genau, wie grausam Feuer verletzen konnte. Aber ich fürchtete mich dennoch nicht vor ihm. Die Kunst bestand darin, das Risiko richtig einzuschätzen und sich nicht davor zu scheuen, sich auch mal die Finger zu verbrennen. Oder eben die Füße. Ich wiederholte den Zauber noch einmal, doch dieses Mal holte ich den großen Feuerball in Form von zahlreichen kleinen herunter. Dies beeindruckte für gewöhnlich sowohl Feinde als auch Freunde, allerdings musste ich aufpassen, nicht selber getroffen zu werden. Erwähnte ich den Adrenalinschub? Noch einmal! Ich ließ den neuen Feuerball direkt über mir herabstürzen und begegnete ihm mit einem Flammenstrahl, der aus meiner Hand zu kommen schien. Hier gab es ein besonders großes Potential, sich versehentlich selbst zu grillen. Ich drängte den Ball so weit zurück, dass er irgendwann explodierte und wiederum kleine Feuerkugeln auf mich herabregneten. Noch effektiver wäre das mit einem zweiten Feuerball geworden – wobei dann beide explodiert wären. An dieser Stelle kam es vor allem darauf an, nicht in Panik zu verfallen. Die Chance, sich zu verletzen, war viel größer, wenn man panisch herumlief. Als der beherrschende Magier dieses Zaubers blieb mir noch eine Option: Ich verschaffte mir wiederum die Herrschaft über die Feuerkügelchen und ließ sie um mich kreisen. Sie verschmolzen zu einem Feuerring, den ich an meinem ausgestreckten Arm nach oben wandern ließ, um ihn dann wie einen Kampfdiskus in die Ruinen zu werfen. Normalerweise hätte ich damit vielleicht eine Mauer sprengen können, aber diese hier waren schon so geschädigt, dass es sie wiederum stabil machte. Es gab allerdings einen recht befriedigenden Knall. Und damit ließ ich mich auf die Knie fallen, setzte mich auf meine Fersen und atmete erst einmal durch. Ich fühlte mich angenehm erschöpft nach dieser Übung. Auch die Stille fand ich angenehm. Die Nachtluft strich kühl an meinem Gesicht vorbei. Ohne mein Feuer befand ich mich fast völlig im Dunkeln, bis auf die Tatsache, dass über der Schattensphäre irgendetwas leuchtete und daher die Nacht nicht völlig in Schwärze versank. Nur in sehr dunklem Lila. Endlich hörten meine Gedanken auf, um meine finanzielle Situation zu kreisen. Morgen würde sich eine Lösung finden – zum Beispiel der Verkauf des Buches. Auch die Ausbrennung konnte ich nun als vergangen betrachten. Vermutlich würde ich noch oft daran denken, aber zumindest brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu dem Fall zu machen. So wie ich mir zu den meisten anderen meiner Opfer keine Gedanken mehr zu machen brauchte. Wäre es nur so gewesen. Ich ließ mich auf den Rücken fallen und starrte in die Nacht, wobei ich meine Gedanken kreisen ließ, wohin sie wollten. Nach vielleicht zehn Minuten befand ich, dass ich zu Hause besser aufgehoben war, und machte mich auf den Weg. Zu diesem Zweck erschuf ich mir wieder ein Licht, das den Weg beschien. Nun ja. Weg war zu viel gesagt. Aber so völlig im Dunkeln verlief ich mich sonst schonmal. Als ich zurückkehrte, war der Esstisch abgeräumt und niemand zu sehen. Da ich für gewöhnlich früh aufstand, beschloss ich, gleich schlafen zu gehen, solange ich noch diese wohltuende Erschöpfung verspürte. Vielleicht träumte ich ja dann harmlosere Sachen. Ich ging mich zunächst etwas frischmachen, damit ich nicht später noch einmal die Treppe hinunter musste, und ließ mein Hemd gleich im Wäschekorb im Bad zurück. Da würde Sana sich bestimmt freuen. Als ich das Schlafzimmer betrat, war ich extra leise, aber wie sich herausstellte, schlief Rose noch nicht. Sie saß bei Kerzenschein in einem Sessel vor dem Fenster, wo wir eine kleine Sitzgruppe stehen hatten, und erhob sich, als sie mich eintreten saß. Sie hielt eine Wolldecke fest, die sie um ihre Schultern geschlungen hatte. „Da bist du ja – wir konnten dein Feuerwerk zum Teil sehr gut beobachten. Geht es dir besser?“ Sie kannte mich wirklich gut. „Ich glaube schon,“ murmelte ich. „Basalt ist ein bisschen besorgt, er denkt, dass er irgendwas Falsches gesagt hat...“ sagte Rose. „Ich hab ihm versichert, dass du nur unter Druck stehst und das Thema dich generell etwas mitnimmt. Eigentlich weiß er das ja auch...“ Sie ließ die Decke los. Ich sah zu, wie sich das Material zu ihren Füßen anhäufte, und ließ den Blick dann an ihren Beinen hoch wandern. Rose hatte für ihr Alter eine großartige Figur, die sie sich auch hart erarbeitete. An beiden Waden trug sie, festgeschnallt in einer dünnen Lederscheide, einen flachen Dolch, der unter normalen Hosen oder in Stiefeln kaum auffiel. Sie ging niemals unbewaffnet ins Bett, selbst zu Hause nicht. Es war so eine Art Aberglauben. Diese beiden speziellen Klingen kannte ich persönlich sehr gut, und vielleicht gefiel es ihr, dass sie einst mein Blut getrunken hatten und ihr Anblick heute noch einen gewissen Schauder in mir auslöste. Alle anderen Waffen hingegen hatte sie abgelegt – genau wie sämtliche Kleidung. Nur in ihrem Nabel glänzte noch der silberne Ring, zu dem ich das Gegenstück trug. „Ich dachte, ich könnte dich noch etwas mehr... auf andere Gedanken bringen.“ lächelte sie, während meine Augen den Anblick in sich aufnahmen. In dem Dämmerlicht konnte ich den hellen Fleck auf ihrer Haut direkt über ihren Brüsten nicht sehen, doch ich wusste, dass er da war. Ich trat auf sie zu und legte die Hand dorthin. Sie legte ihre beiden auf meine. Es war wie ein Ritual, das wir oft begingen. Doch heute war die Erinnerung wieder besonders frisch... daran, wie sie diese Narbe bekommen hatte. Denn die gleiche hatte ich kürzlich Soach beschert. „Denk nicht daran,“ flüsterte Rose, die meine Gedanken erriet. „Ich muss dich nicht daran erinnern, dass du deine Strafe von mir bekommen hast, oder?“ „Gerade deswegen hätte ich es nicht noch einmal tun sollen...“ „Das war ein ganz anderer Zusammenhang. Mir scheint, ich muss deine Aufmerksamkeit mal wieder auf die wirklich wichtigen Dinge lenken...“ Sie strich mit einem Zeigefinger über mein Kinn und dann am Hals nach unten. „Zieh dich aus und komm mit zum Bett.“ Ich sah zu, wie sie sich schon einmal auf die Laken begab und dort räkelte. Sicherlich erwähnte ich bereits, dass ich meiner Frau für gewöhnlich nicht widersprach. Tags darauf schlug ich die Augen auf, als es noch dunkel draußen war, und fühlte mich trotz der wenigen Stunden Schlaf recht ausgeruht. Vielleicht hatte ich einmal richtig fest geschlafen, denn ich konnte mich auch an keine wirren Träume erinnern. Die Kerze auf dem Tisch brannte schon wieder, denn Rose war bereits wach und zog sich gerade an. Ich setzte mich auf und sah ihr dabei zu. Eine lehmbraune Arbeitshose trug sie bereits, doch am Oberkörper befestigte sie erst noch diverse Waffen, beispielsweise an jedem Oberarm ein kleines Messer und an den Unterarmen lederne Schienen, in denen sich je ein Stilett verbarg – eine Waffe im Format eines zierlichen Dolches, jedoch mit einer Spitze statt einer Schneide. Stilette eignen sich hervorragend, um jemandem das Herz zu durchbohren. Rose hatte den Beruf der Attentäterin erlernt, um mich zu erwischen. Allerdings war ich im Unterschied zu einigen anderen noch am Leben, und sie hielt ihre Fähigkeiten auch jetzt noch aktiv, obwohl sie natürlich keine Aufträge mehr annahm. In ihrer Jugend hatte sie sich zeitweise als Kopfgeldjägerin über Wasser gehalten. Sie zog zu meinem Bedauern einen Büstenhalter über und dann ein Hemd mit Ärmeln, die weit genug waren, um die Waffen zu erreichen, aber dennoch nicht bei der Arbeit behinderten. Über die Armschienen wunderte sich selten jemand, immerhin lebten wir in einer Welt, wo etwas Schutz nicht schadete. Ich und meine Nachbarn gehörten auch keinem Schloss oder Großgrundbesitzer an, sondern bildeten eine Gruppe von unabhängigen Gehöften, die sich gegenseitig unterstützten und Waren austauschten. Es hatte Vorteile, denn wir zahlten keine Steuern, aber es gab auch niemanden, der uns Hilfe schickte, wenn uns jemand überfiel, daher wussten wir uns zu verteidigen. Es half vielleicht auch, dass auf meinem Dach die Flagge des Zirkels des Bösen wehte. Rose band sich die Haare im Nacken zusammen und stemmte die Hände in die Hüften. „Genug gesehen?“ „Eigentlich nicht,“ grinste ich. „Ich geh schonmal in die Küche und mache Tee,“ entgegnete sie mit einem feinen Lächeln. Allerdings bewegte sie sich dann doch nicht vom Fleck, oder nur ganz wenig in Richtung Tür. Ich griff in meinen Nachtschrank und holte ein Töpfchen Salbe hervor, dann schlug ich die Bettdecke zurück und cremte meine Beine unterhalb der Knie ein, damit das vernarbte Gewebe nicht so spannte. Dabei war ich mir bewusst, dass meine Frau mich beobachtete und ich es heute Nacht nicht mehr für nötig gehalten hatte, etwas überzuziehen. Ausnahmsweise ging ich mal wie jeder andere zum Schrank und suchte mir Arbeitskleidung für den Tag heraus, um mich dann von Hand anzuziehen. Etwas öfter als nötig wechselte ich die Pose, um Rose auch genug zu sehen zu geben. Mein Körper war durchaus gut in Form, wenn auch wohl nicht das, was man ästhetisch finden mochte. Aber diesbezüglich gab es nur eine Meinung, die für mich zählte. Wenn ich es mir so recht überlegte, hätte ich die Kleider lieber wieder abgelegt und den Abend nochmal fortgesetzt, aber wir mussten wirklich an die Arbeit. Während meine Frau dann wie angekündigt in die Küche ging, nahm ich ein kurzes Bad. Kalt. Als ich schließlich ebenfalls in der Küche auftauchte, hatte Rose schon Brote mit Wurst belegt und reichte mir eins. „Schön, dass du es immer noch anregend findest, wenn ich Waffen anlege.“ Ich kommentierte das lediglich mit einem Lächeln. Wir nahmen uns Zeit für ein, zwei Tassen Tee und traten ins Freie, als draußen die Helligkeit des Tages aufzog. Basalt schlief offenbar noch, denn er arbeitete meistens lange in seiner Werkstatt, wenn ein Projekt ihn gerade sehr fesselte. Für diesen Zweck hatte er extra einen Lichtzauber gelernt, denn ich hatte mich mal beschwert, dass er unnötig Kerzen verbrauchte, wo er doch auch seine Tätigkeiten auf die hellen Stunden verlegen konnte. Möglicherweise hatte auch das ihm einen Hinweis auf unsere finanzielle Situation gegeben. Heute früh stand aber nichts Großes an, wir jäteten Unkraut, wässerten die Pflanzen, kontrollierten alles auf Schädlinge und den Zustand des Wachstums, entfernten welke Blätter und banden einige hochgewachsene Exemplare weiter oben an ihren Stützstangen fest. Ich fütterte die Ratten mit hartem Brot, Steinen und verkohltem Holz. Rose holte indessen neue Eier von Klepos' Grundstück und nahm eine mittlere Kanne Milch entgegen, als unser übernächster Nachbar mit seinem Karren vorbei kam. Er machte täglich seine Runde. Ich überlegte, ob heute auch er Gemüsefarmer vorbei kam, als ein Drache sich mit Gebrüll näherte. Es war kein lautes Geräusch und auch kein sehr großer Drache. Im Näherkommen erkannte ich die Art, die sie an der Akademie an Schüler verliehen. Kam Vesuvia schon wieder zu Besuch? Um diese Zeit musste sie aber noch Unterricht haben. Nein, es handelte sich um einen älteren Schüler, der mir nicht bekannt war. Er machte ein sehr ernstes, wichtiges Gesicht und schritt energisch auf mich zu, kaum dass er von seinem Drachen abgestiegen war. „Thaumator?“ „Ja, das bin ich.“ Ich stellte einen Eimer mit Unkraut zur Seite. „Ich komme im Auftrag Direktorin Silentias,“ sprach der Jüngling, wobei seine Augen kurz an mir hoch und runter wanderten. „Sie lässt Euch diese Nachricht überbringen und erbittet eine direkte Antwort.“ Er reichte mir eine kleine Pergamentrolle mit dem Siegel der Akademie. Bildete ich es mir ein oder rümpfte er missbilligend die Nase, weil er mit einem Bauern sprechen musste? Manche Magier standen einfach über den Dingen, und damit natürlich auch ihre Kinder. Ich öffnete die Botschaft und überflog kurz den Inhalt. Oh. Anscheinend hatte Vesuvia irgendetwas angestellt, was ein dringendes Gespräch mit einem Elternteil erforderte. „Ich mache mich gleich auf den Weg,“ gab ich dem Boten meine Antwort und ließ ihn stehen, um mich umziehen zu gehen. Vorher brachte ich aber noch das Unkraut auf den Komposthaufen. Eine Stunde später landete Burner in der Nähe der Magierakademie. Ich hätte ihn auch direkt vor der Tür landen lassen können, denn das wurde ständig gemacht, obwohl es verboten war, den gepflegten Rasen dort zu beschädigen. Da beschädigen bei Burner meistens über ein paar Prankenabdrücke hinaus ging, ging ich lieber ein Stückchen zu Fuß. Schulangelegenheiten waren grundsätzlich meine Sache. Möglicherweise empfand Rose diesen Ort als traurige Erinnerung, aber soweit ich wusste, hatte sie ebenso wenig hier gelernt wie ich, der ich quasi bei meiner Mutter in die Schule gegangen war. Aus diesem Grund war die Akademie für mich immer ein geheimnisvoller Ort, an dem ich mich fremd und fehl am Platze fühlte. Bei Gelegenheiten, zu denen ich andere Eltern traf, zeigten sich diese immer in formellen Magiergewändern, daher hatte auch ich ein solches gewählt, und zwar eine schwarze, halblange Robe mit roten Stickereien an den Säumen, die vorne nur bis zur Hüfte zu knöpfen ging und daher cool hinter mir her wehte, wenn ich flott ging, und passend dazu eine Hose in Schwarz und ebensolche Stiefel. Das entsprach weitestgehend meinem persönlichen Stil, obgleich ich oft Rottöne bevorzugte. Aber ich wollte ernst und sachlich wirken. Den Weg zum Büro der Direktorin kannte ich schon, denn ich war nicht zum ersten Mal hier, nachdem ich nun das dritte Kind an der Schule hatte. Ich klopfte an und wurde auch gleich herein gebeten, wobei ich zu meiner Überraschung Vesuvia bereits im Büro vorfand. Sie saß auf der Besucherseite am Schreibtisch und beschäftigte sich mit einem Buch und einem Stück Papier, auf das sie schrieb – möglicherweise eine Strafarbeit. Direktorin Silentia war höchstens halb so alt wie ich. Allerdings empfand ich sie stets als Bedrohung, ohne recht zu wissen, warum. Vielleicht hatte ich ein Trauma von mächtigen Frauen. Und sie war mächtig. Nicht nur, dass ihre Karte beim Duellierverein 3500 Angriffspunkte zeigte, sie hatte dazu auch noch einen sehr praktischen Effekt. Und sie strahlte das für ihr Position nötige Selbstbewusstsein aus. Ihre weiße Robe zeigte ein blaues Muster. Das silbrige Haar trug sie heute im Nacken zusammengebunden, was sie strenger aussehen ließ, und dazu hatte sie hellblaue Augen. Nicht nur Eismagier sahen so aus, auch Lichtmagier, zu denen sie gehörte. Warum ein Element, das immer als so heilig und gut galt, solche kalten Farben bevorzugte, verstand ich nicht. Silentia erhob sich von ihrem Platz, eine Schreibarbeit unterbrechend. „Thaumator. Ich bin erfreut, dass Ihr so schnell kommen konntet.“ Sie machte eine Geste zu dem freien Stuhl rechts neben Vesuvia. Ich nahm möglichst würdevoll Platz. „Danke sehr. Eure Nachricht enthielt leider keine genauen Angaben, nur, dass meine Tochter gegen die Schulregeln verstoßen hat.“ Ich warf Vesuvia einen Blick zu. „Das ist nur, weil du mir keinen neuen Schrank kaufen wolltest!“ sprudelte es aus ihr heraus. „Dabei ist mein Zimmer doch groß genug! Muss ja auch kein großer Schrank sein, nur so einer, wie ich schon habe! Da hätte dann auch alles locker reingepasst!“ Ich konnte ihr nicht ganz folgen, bis ich begriff, dass sie mir eine Vorlage geben wollte, mit der ich arbeiten konnte. Dennoch wusste ich nicht wirklich, worum es eigentlich ging. „Wir haben das besprochen, Vesuvia. Dein Platzproblem wäre nicht existent, wenn du nicht noch Kleider aufheben würdest, die dir längst nicht mehr passen!“ erwiderte ich auf gut Glück. „Seht Ihr?“ wandte sich meine Tochter an die Direktorin. „Ich war gezwungen, die Sachen zu verkaufen! Und zwar schnell, weil ich mich sonst wieder beruhigt hätte und nicht mehr wütend genug gewesen wäre, um es durchzuziehen! Das könnt Ihr als Frau doch sicher verstehen!“ Mir klappte vor Überraschung der Kiefer runter. „Du hast Kleider verkauft? In der Schule?“ „Na sicher, hier hab ich doch die nötige Kundschaft.“ Silentia räusperte sich, meine Aufmerksamkeit auf sich lenkend. „Eure Tochter hat in den Pausen andere Schüler dazu angestachelt, überall zu verbreiten, dass sie am Abend ihre Sachen anbieten wird. Dann hat sie in ihrem Zimmer einen regelrechten Basar aufgebaut und den jüngeren Mädchen die Kleider und auch Schuhe aufgeschwatzt.“ „Das war fachkundige Modeberatung!“ wandte Vesuvia ein. Die Direktorin warf ihr einen warnenden Blick zu. „Es ist nicht verboten, an der Schule etwas zu verkaufen, aber das bezieht sich eher auf Einzelteile, etwa ein gebrauchtes Schulbuch oder auch ein einzelnes Kleid. Aber ein größerer Verkauf ist vorher anzumelden! Außerdem haben wir zu diesem Zweck regelmäßig Schulveranstaltungen, bei denen das kein Problem gewesen wäre! Vesuvias Preise überstiegen bei mehreren Kleidern den Betrag von 50 Goldstücken, welchen die Schülerinnen maximal als Taschengeld besitzen dürfen. Die Mädchen haben sich Geld bei ihren Freundinnen geliehen oder gar Schuldscheine ausgestellt. Mal ganz davon zu schweigen, dass Vesuvia am Ende 540 Goldstücke durch den Verkauf in ihrem Besitz hatte!“ Ich kam mir vor, als hätte sich die Tür zu einer Schatzkammer geöffnet, um meine Sorgen zu vertreiben. Jedoch ließ mich die Formulierung wiederum hellhörig werden. „Ähm... hatte? Hat sie die Kleider zurückgenommen?“ „Nein, ich habe das Geld beschlagnahmt. Ihr könnt es nachher mitnehmen.“ Silentia griff in eine Schublade und ließ klimpernd einen ansehnlich gefüllten Lederbeutel neben sich auf den Tisch fallen. Mein Herz schlug einen Takt schneller bei dem Geräusch. „Ich für meinen Teil gehe ja stark davon aus, dass von dem Geld eine Party finanziert werden sollte,“ fuhr Silentia fort. „Ich war selber mal jung und kann das verstehen. Aber dafür genügt es auch, wenn einige von euch zusammenlegen und nicht so viele Rauschmittel zum Einsatz kommen, junge Dame!“ Vesuvia verschränkte die Arme und starrte trotzig schweigend auf die Tischplatte, schlauerweise die Vermutung nicht widerlegend. „Rauschmittel?“ Ich griff bereitwillig das Stichwort auf und bemühte mich um einen strengen Tonfall, während ich innerlich jubilierte. „Ich habe dir schon mehrmals gesagt, dass du nicht irgendwelche billigen Drogen bei zwielichtigen Händlern kaufen sollst! Wenn, dann frag mich! Ich kann euch was zusammenstellen, das euch nicht gleich umhaut!“ An der Schule war bekannt, womit ich mein Geld verdiente, daher brachte diese Bemerkung auch keinen Ärger ein. „Ja, ja,“ grummelte Vesuvia. „Wenigstens solltest du stolz sein, dass ich die Sachen nicht unter Wert verschleudert habe, schließlich betonst du immer, dass ich geschäftstüchtig handeln soll!“ Oh, da war ich sogar sehr stolz auf sie. Selbst wenn sie die Kleider billig angeboten hätte, wäre das auf jeden Fall besser gewesen, als wenn sie zu Hause in ihrem überquellenden Schrank unnötig Platz wegnahmen, dadurch verringerten sich ja meine Schulden nicht. Davon abgesehen musste sie auch lernen, dass man sich von nutzlosen Dingen trennen sollte, spätestens, wenn die Umstände es erforderten. „Nun ja, das muss ich dir wohl zugestehen,“ sagte ich, den strengen Vater mimend. „Jedoch ist diese Art von Geschäftstüchtigkeit nicht überall erwünscht, wie du ja nun mitbekommen hast.“ Vesuvia verlegte sich wieder aufs trotzige Schmollen. Aber ich glaubte zu erkennen, dass sie sich heimlich amüsierte und aufpassen musste, dass sie nicht loslachte. „Das war dann alles,“ verkündete Silentia. „Ich habe hier noch die Tasche mit den restlichen Kleidern, wenn Ihr die wohl auch mitnehmen könntet, Thaumator.“ Wir beide erhoben uns höflich und sie reichte mir eine Reisetasche, die ich als eine von Basalts erkannte. Das Geld steckte ich in eine der Seitentaschen, schnallte diese sorgfältig zu und nickte. „Selbstverständlich. Ist es wohl möglich, dass Vesuvia mich noch zu meinem Drachen begleitet?“ „Sicher. Ich hatte sie hier im Büro, weil wir Euch erwartet haben. Die nächste Unterrichtsstunde kannst du wieder mitmachen, Vesuvia.“ „Muss ich?“ hakte meine Tochter nach. „Ich habe dich nicht zur Belohnung hier warten lassen, meine Liebe!“ wies die Direktorin sie zurecht. „Fall mir in nächster Zeit lieber nicht unangenehm auf!“ Wir beide sagten nichts mehr dazu und verließen das Büro. Als wir uns etwas von der Tür entfernt hatten, seufzte Vesuvia genervt. „Jetzt haben wir Heilkunde. Hättest du nicht etwas später kommen können?“ „Heilkunde ist ein wichtiges Fach,“ erinnerte ich sie. „Ich habe mein weniges Wissen zu dem Thema hauptsächlich aus Büchern, sei also froh, dass du es hier lernst.“ „Aber es ist so... öde. Bestimmt könnte man das auch interessanter gestalten. Da sitz ich lieber noch ne Stunde im Büro rum. Sie hat mir ne Strafarbeit aufgebrummt, die ich schonmal beginnen musste, und ich soll zusehen, dass ich den Stoff des verpassten Unterrichts nachhole, aber was soll's.“ Das Thema war nicht wirklich das, was wir besprechen wollten, aber man musste damit rechnen, in diesen Wänden belauscht zu werden. Daher warteten wir, bis wir Burner außerhalb des Schulgeländes erreichten. Dort tätschelte ich zunächst den Drachen, der daraufhin unappetitlich grunzte, und wandte mich dann Vesuvia zu. Mit einem anerkennenden Blick, wie ich hoffte. „Wusstest du nicht, dass du etwas Verbotenes tust?“ erkundigte ich mich halb ernst. Sie zuckte mit den Schultern. „Doch, klar. Aber ich hatte keine Zeit, eine Verkaufsveranstaltung zu beantragen. Und vor dem Sommerball ist noch der allgemeine Jahresabschlussball, an dem auch die unteren Klassenstufen teilnehmen, da kann man aber ruhig ein gebrauchtes Kleid tragen. Ist einigen sogar lieber, schließlich kostet es weniger. Ich wollte ausnutzen, dass viele jetzt noch kein Kleid hatten. Oh, ja... hier ist die Adresse, wo du die Gewandmeisterin Efrinora findest. Am besten bringst du ihr das Geld jetzt gleich.“ „Ja, das ist mir auch am liebsten. Wer weiß, was sonst noch alles dazwischen kommt.“ Ich nahm den kleinen Zettel von ihr entgegen und stellte fest, dass es sich um eine Anschrift im nächsten Dorf handelte, wo die Schüler der Akademie gerne zu Fuß hingingen. „Wenn du einen Abnehmer findest... dann kannst du die restlichen Kleider noch verkaufen,“ sagte Vesuvia zögerlich und warf schluckend einen Blick auf die Tasche. „Weg ist weg... ohne diese Sachen ist schön viel Platz in meinem Schrank für Neues. Du kannst das restliche Geld für die nächste Rate nehmen oder so.“ „Das... weiß ich wirklich zu schätzen,“ murmelte ich. „Danke, Vesuvia. Ich finde das übrigens sehr geschäftstüchtig, was du an Geld eingenommen hast. Überhaupt war das eine geschickte Maßnahme. Hat ihren Zweck erfüllt.“ Sie schien etwas verlegen zu sein und errötete leicht. „Es hat Vorteile, dass du in diesem Zirkel bist,“ grinste sie. „Du nimmst Regeln nicht so genau. Aber gute Vorstellung da drinnen. Silentia denkt wahrscheinlich, dass du jetzt gerade mit mir schimpfst. Dabei scheint sie sonst immer zu glauben, dass du als Zirkelmitglied auf die Idee kommen könntest, dass deine Kinder an der Schule Sonderrechte haben. Aber da verwechselt sie dich mit anderen Leuten, die wirklich so sind.“ „Ach, solche Leute gibt es? Kann ich mir gar nicht vorstellen,“ intonierte ich. Wir lachten zusammen, und es tat mir unglaublich gut. Vielleicht ging es jetzt tatsächlich aufwärts. Ich umarmte Vesuvia zum Abschied und sah noch zu, wie sie wieder in das Gebäude ging, dann unternahm ich noch einen Spaziergang ins Dorf, ehe ich nach Hause zurückkehrte. Burner watschelte ein Stück weit neben mir her. Wer hätte gedacht, dass ein Termin bei der Direktorin der Akademie so entspannend werden konnte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)