Checkmate von ReverdeLune (Long live the King) ================================================================================ Prolog: Opening: Defeat ----------------------- N's Schloss, Einall Der Thronsaal war totenstill und White konnte nur ihren eigenen rasenden Herzschlag hören. Ihr Blick ruhte auf N, der vor einem kleinen Thron stand und sie aus dem Schatten seiner Kappe ebenfalls ansah. Sie konnte seine Augen im Schatten nicht erkennen, bezweifelte aber, dass sein Blick weniger bohrend war als ihr eigener. Und wie immer war es an ihr den ersten Schritt zu machen. „Wie ich sehe, gibt es keine andere Lösung“, sagte sie mit ehrlichem Bedauern in der Stimme. Vielleicht würde er doch noch einknicken, doch langsam bezweifelte sie das. „Ich hatte gehofft, wir könnten das hier friedlich klären.“ „Hast du nicht. Du wusstest, dass es früher oder später zu diesem Kampf kommen würde“, widersprach N, der das Kinn hob, sodass sie ihm in die Augen sehen konnte. In seinen graublauen Augen lag ein Feuer, das sie sonst nur als kleinen Funken gesehen hatte, wenn er von seinem Traum sprach. Sie erschauderte. Dies würde kein leichter Kampf werden. Auf seine Aussage hin erwiderte sie nichts mehr, es hatte sowieso keinen Sinn mit ihm zu reden. Wenn er einen Kampf wollte, sollte er einen bekommen. Entschlossen griff White nach dem dritten Pokeball, der sich an ihrem Gürtel befand. Das blau-gelbe Plastik lag geschmeidig in ihrer Hand und mit einem gekonnten Wurf, entließ sie ihr Pokemon daraus. Grypheldis materialisierte sich kreischend aus dem roten Licht, das aus dem offenen Ball geschossen kam und umkreiste einige Male Whites Kopf, um sich dann neben ihr in der Luft zu positionieren. White spürte plötzlich viel deutlicher das Gewicht des Hyperballs, in dem sich Zekrom befand. Der schwarze Drache befand sich im letzten Loch ihres Gürtels, neben dem Ball von Flamara. Sie fühlte, wie er hinaus wollte, um sich seinem Gegenstück Reshiram im Kampf entgegenzustellen. Doch dazu würde es vorerst noch nicht kommen. Auch N schickte ein Pokemon in den Kampf. Es war wie zu erwarten nicht Reshiram – White hatte damit gerechnet, dass auch er seinen Drachen als letzten Trumpf ausspielen wollte – sondern ein finster dreinblickendes Tengulist, dass die blättrigen Hände angriffslustig vor dem Gesicht verschränkt hatte. Sie hatte es immer bewundert, dass er seinen Prinzipien wenigstens teilweise treu blieb und so bei jedem Kampf mit einem komplett neuen Team gegen sie antrat, das aus Pokemon aus der Umgebung bestand. Umso mehr wunderte es sie, dass er nun ein so seltenes und weit entwickeltes Pokemon wie Tengulist in den Kampf schickte. Wieder kehrte Stille ein und White wagte es dieses Mal nicht, etwas zu sagen. Also gab sie Grypheldis ein stummes Zeichen zum Angriff, während sie N weiterhin in die Augen blickte. Sie wollte nicht, dass es so endete. Als sie sich das erste Mal begegnet waren, hatte sie ihn für einen merkwürdigen jungen Mann mit seltsamen Zielen gehalten, doch mit der Zeit waren sie zu Freunden geworden und sie hatte ihn besser kennengelernt. Bis er ihr eröffnete, dass er der König von Team Plasma war. Der Organisation, die sie so sehr bekämpfte und so sehr verabscheute. Grypheldis stürzte mit einem gellenden Kreischen auf Tengulist nieder. Dieses machte einen großen Satz nach hinten, um dem Angriff des Geiers auszuweichen. Dann ging es selbst zum Angriff über. Mit einem Schritt nach vorne und einem angriffslustigen Zischen schickte es seine Attacke los. White konnte nicht leugnen, dass N Gefühle in ihr geweckt hatte, die sie davor nicht kannte. Er strahlte etwas Geheimnisvolles aus und sie bewunderte seine Entschlossenheit, mit der er sprach. Wenn sein Plan nicht wäre, die Pokemon von den Trainern zu entbinden, hätte sie ihn wahrscheinlich sogar ermuntert seine Ziele weiter zu verfolgen. Eine Salve aus Blättern aus den Händen des Pflanzenpokemon schoss auf Grypheldis zu, die in eleganten Bögen auswich und mit einer Schnabel-Attacke konterte. Der spitze graue Schnabel des Geiers bohrte sich in die hölzerne rechte Schulter von Tengulist und ließ es aufheulen. White beobachtete wie das Pokemon defensiv zurücktaumelte, jedoch nicht nachgab. Doch in dem Moment, als die Worte Ns Lippen verließen, schien ihr Kopf wie leergefegt. Zuerst hatte sie ihm nicht glauben wollen, doch je länger er sie ansah, desto tiefer grub sich die Information über seine wahre Identität in ihr Herz und sie rückte von ihm ab. Zu ihrem Ärgernis war sie im Augenblick jedoch mit ihm in einer Gondel des Riesenrads von Rayono City gefangen gewesen. Krallen schabten über hölzerne Haut und scharfe Blätter gruben sich in braunes Gefieder. Der Geier schrie schmerzerfüllt, während von Tengulist ein gequältes Zischen kam. Beide Pokemon waren in den Nahkampf übergegangen und rangen in einem kreischenden und zischenden Knäuel aus Federn und weißem Fell zwischen ihren beiden Trainern. Von jenem Moment an, in dem sie mit N das Riesenrad verließ, waren sie erbitterte Feinde. „Wirbelwind!“, gab White ihr erstes Kommando. Ihr Blickkontakt mit ihrem Gegner brach endgültig und sie wandte sich ihrem Pokemon zu, das sich mit einem letzten Schrei von Tengulist löste. Der Geier beschwor einen rauen Wind herauf, der das Pflanzenpokemon gegen die Wand hinter N beförderte. „Sturzflug, jetzt!“ Und damit hatte der wahre Kampf begonnen. * Beide Pokemon fielen mit einem plumpen Geräusch zu Boden. White sah Serpiroyal mit Grauen an, dessen grüne Haut aufgerissen war und blutete. Auch Meistagriff hatte Wunden. Die Steine, die es mit in den Kampf genommen hatte, lagen irgendwo zerbröckelt auf dem Boden und um es lagen braune Fellbüschel verstreut. Ihre Hand zitterte, als sie ihren Starter zurückrief. Es stand nicht gut um das Pflanzenpokemon und White musste nach diesem Kampf schleunigst ein Pokemon-Center aufsuchen. Nun hatten sie und N beide nur noch ein einziges Pokemon. White hob den Blick, um Ns graublauen Augen zu begegnen. Er hatte noch nicht zum letzten Ball gegriffen, sondern sah sie einfach an. Ruhig, aber entschlossen. Eine Welle der Gefühle überschwemmte sie und ihre Hände begannen zu zittern. Wenn sie diesen Kampf verlieren würde, würde sie ihre Partner verlieren. Und nicht nur sie, sondern alle Trainer in Einall. Plötzlich wusste sie nicht mehr richtig mit der Bürde umzugehen, die ihr auferlegt wurde, als Zekrom sie als seine Heldin anerkannte. Und dann war da noch N. Wie er dort im goldenen Licht der noch intakten Deckenlampen stand, das gedämpft nach unten drang und den Blick fest auf sie gerichtet hatte. Er hatte sie noch nie so intensiv angesehen. Und selbst aus der Entfernung, die zwischen ihnen lag, spürte sie, wie sich sein Blick in ihre Haut brannte. Doch sie durfte sich jetzt nicht von albernen Gefühle beeinflussen lassen. Unsicher und mit zittrigen Fingern löste sie Zekroms Ball von ihrem Gürtel und fühlte über das graue Metall. Dann brach sie den Augenkontakt mit N wieder und entließ ihren Drachen. Mit einem ohrenbetäubenden Brüllen erschien Zekrom im Thronsaal. Seine schwarze Haut schien das Licht zu verschlucken und das einzige, was aus dem muskulösen Körper hervorstach, war das brennende rote Augen, das auf sie gerichtet war. White spürte ihre Verbindung zu dem Drachen nun deutlicher als je zuvor. Es schien, als hätte sie plötzlich einen zweiten Puls und sie fühlte die Kraft des Drachen in ihrem Inneren pulsieren. Zekrom aktivierte in einer kurzen Machtdemonstration seinen geladenen Schweif, der in einem elektrischen Blau aufleuchtete und die Spannung im Raum verstärkte. Kleinen Blitze tanzten um ihn und die Elektrizität prickelte auf Whites Haut. Ihr war nie etwas derart Majestätisches begegnet, wie der schwarze Drache. Obwohl er gerade erst erwacht war, strahlte er eine ungeheure Stärke aus und schien mehr als bereit, sich Reshiram im Kampf zu stellen. N machte nun auch seinen Zug. Er nahm den ersten Ball an seinem Gürtel ab und befreite Reshiram daraus. Der weiße Drache erschien wesentlich leiser, als an dem Tag, an dem er das erste Mal erweckt wurde. Und leiser als sein schwarzes Gegenstück. Keine Machtdemonstrationen, nur ein eisiger und doch brennender blauer Blick, der sich auf den schwarzen Drachen richtete. Das weiße federartige Fell stand in Flammen und Reshiram erwiderte den Blick seines Gegenstückes mit der gleichen Intensität. „Kreuzdonner“, Whites Stimme versagte fast. Sie hatte ein unfassbar schlechtes Gefühl bei der Sache. „Kreuzflamme“, hörte sie Ns feste Stimme und sah, wie beide Drachen sich auf ihren Angriff vorbereiteten. Zekrom war in blaue Blitze gehüllt, während White Reshiram hinter dem Kokon aus Flammen kaum mehr zu sehen war. Beide Drachen setzten sich in Bewegung. Und dann kollidierten sie. Der Boden erbebte und kleine Risse bildeten sich, als sie aufeinandertrafen. Teile der Decke fielen zu Boden, einige Säulen fielen in sich zusammen, wie ein Kartenhaus und die Explosion riss White von den Füßen. Sie wurde zurückgeschleudert und knallte in einem der Becken, in denen sich vor Zekroms Erwachen Wasser befand. Ihre Ohren klingelten angesichts des Knalls und sie driftete kurze Zeit in die Bewusstlosigkeit ab. Als White wieder zu sich kam, konnte sie immer noch Kampflärm und wütende Schreie hören, lange konnte sie also nicht weg gewesen sein. Mit schmerzenden Gliedern rappelte sie sich in eine sitzende Position auf und versuchte über den Rand des Beckens zu blicken. Rauch beschwerte die Luft und versperrte ihr die Sicht auf die beiden Drachen, doch dann hörte sie ein Brüllen und ein dumpfes Geräusch. Ein neues Beben und plötzlich erfüllte sie ein Gefühl der Leere. White kämpfte sich auf die Beine und hievte sich aus dem Becken. Sie rannte blind und hustend in die Rauchwolke und hielt sich den Kragen ihres Pullovers vor Mund und Nase. Langsam lichtete sich der Rauch. Zekrom lag reglos am Boden, die roten Augen geschlossen. Darüber kauerte Reshiram, das sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte, ein Auge geschlossen. Sein weißes Fell war an vielen Stellen scharlachrot vom Blut und aus einem tiefen Schnitt an seiner linken Seite tropfte noch immer welches zu Boden. Dennoch stand es noch. White konnte nur reglos auf die Szene starren, die sich ihr bot. Zekrom hatte verloren. Verloren. Das Wort hallte in ihren Gedanken nach. Sie hatte versagt. Ab morgen würde es keine Trainer mehr geben. Übelkeit stieg in ihr hoch, sie spürte die Tränen in ihren Augen aufsteigen. Nicht nur, dass sie ihre Pokemon in diesen lebensmüden Kampf geschickt hatte, nein, sie hatte ihn auch noch verloren. Und dabei hatte sie ihn nicht mal ganz mitbekommen. Ein Schluchzen entwich ihr und sie presste sich die Hand vor den Mund. Ich habe versagt… Sie konnte nicht nach Zekroms Ball greifen und den Drachen zurückrufen. Sie konnte sich allgemein nicht bewegen, nur zusammengekauert auf dem Steinboden hocken und den schwarzen Drachen anstarren. Durch seine schwarze Haut war es ihr nicht möglich zu erkennen, wie viele Wunden er hatte, doch sie war sich sicher, dass es genug waren. Es schien, als würde sie seinen Schmerz am eigenen Leib spüren. Und so saß sie dort, schluchzend und unfähig ihren Blick von Zekrom zu lösen. Als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, nahm sie Zekroms Ball und rief das Pokemon zurück. Dann stand sie auf, um nach N zu suchen. Er musste ebenfalls von der Druckwelle der Kollision weggeweht wurden sein und sie hoffte, er war noch am Leben, auch wenn es wahrscheinlich besser wäre, er wäre es nicht… Sie selbst war glücklicherweise mit ein paar blauen Flecken und Kratzern davongekommen. White fand ihn an der hinteren Wand des Thronsaals. Er saß gegen die Mauer gelehnt und hatte die Augen geschlossen. Sofort stürzte sie zu ihm und rüttelte an seiner Schulter. Es dauerte einige schreckliche Moment, bis er die Augen öffnete. In dem Moment, als sich ihre Blicke trafen, war White sich sicher. So sehr sie ihn hassen wollte, so sehr sie seine Prinzipien und Ziele auch verabscheute, sie konnte es nicht. Anfangs dachte sie, sie wären mit der Zeit einfach nur zu guten Freunden geworden, auch wenn der Kampf um die Pokemon immer zwischen ihnen stand, doch eine kleine Stimme hatte ihr gesagt, dass sie mehr für ihn empfand. Und das war ihr nun zum Verhängnis geworden. „N...“, brachte sie leise hervor und schlang ihre Arme um seinen Oberkörper. Dann flossen die Tränen wieder. Tränen, die ihr ihr verräterisches Herz bescherte und die sie so schwach machten. Er blieb reglos liegen, als sie ihn umarmte. „Wie geht es Reshiram?“, fragte er dann mit rauer Stimme. White löste sich von ihm. „Es steht noch. Ich...“, ihre Stimme brach. „Ich habe verloren.“ Ns Gesicht ließ keine Gefühlsregung sehen. Keine Freude über den Sieg, keinen Triumph, dass er den Kampf für sich entschieden hatte. Doch. White konnte Erleichterung erkennen. Dann streckte N seine Hand nach ihr aus und berührte leicht ihren Arm. Er sah aus, als würde er noch etwas sagen wollen, doch er schloss den Mund genauso schnell, wie er ihn geöffnet hatte. Sie wurden von der Tür unterbrochen, die so stark geöffnet wurde, dass die Türflügel gegen die Wände des Saals schlugen. Darauf folgten energische Schritte, die trotz der Dämpfung durch den Teppich noch immer unheimlich laut klangen. White wagte kaum den Blick auf den Neuankömmling zu richten. Ihr war klar, dass G-Cis mitbekommen hatte, dass der Kampf vorbei war. Er stolzierte, den Kopf hoch erhoben und mit zufriedener Miene auf sie und N zu. Ihr lief ein Schauder über den ganzen Körper. Was hatte er nun mit ihr vor? Sie war immerhin seine größte Feindin. „Wie ich sehe, hat das alles ganz gut funktioniert“, sagte G-Cis und seine Stimme triefte nur so vor Zufriedenheit und Spott. White wollte ihm sein höhnisches Grinsen am liebsten aus dem Gesicht schlagen. Sie biss die Zähne aufeinander und wandte sich wieder N zu, um zu sehen, ob es ihm wirklich gut ging. Denn wenn G-Cis ihr Schicksal entschied, wollte sie wenigstens nicht allein sein. „Mit dem Niedergang Zekroms ist der Kampf also entschieden. Die Pokemon werden befreit.“ White hatte sich von Anfang an nicht vorstellen können, dass jemand so machtgieriges wie G-Cis sich um das Wohl der Pokemon sorgte. Mit diesem Satz hatte er nun allzu deutlich gemacht, dass die Befreiung der Pokemon niemals sein eigentliches Ziel gewesen war. Doch dadurch würde er erreichen, dass die Bürger Einalls schwach würden. „Du willst Einall an dich reißen“, stellte sie nüchtern fest. „Und durch die sogenannte Befreiung der Pokemon kann sich die Bevölkerung nicht gegen dich auflehnen.“ Einen Moment schwieg der Weise, dann brach er in spottendes Lachen aus. „Du bist nicht so dumm, wie ich dachte, White. Das ist richtig. Dennoch ist mir sehr wohl am Schicksal der Pokemon gelegen und ich kann es einfach nicht mitansehen, wie sie noch eine Sekunde länger in der Knechtschaft unter den Menschen leben.“ Er spielte seine Rolle wieder tadellos. Vermutlich hatte er bemerkt, dass sie einen kleinen Ausrutscher von vorhin nicht übersehen hatte. Sie fixierte den älteren Harmonia wütend. „Wenn du glaubst, dass du damit durchkommst, hast du dich geschnitten.“ Er lachte wieder. „Und wer soll mich aufhalten? Du etwa? Wie es aussieht, kommt dein Drache nicht gegen Reshiram an. Und ich habe eine Menge Leute auf meiner Seite, die allesamt ein komplettes Pokemonteam besitzen.“ Er machte eine Pause und genoss seine Überlegenheit ihr gegenüber. „Doch ich mache dir ein Angebot, White.“ Kapitel 1: First Move: Hijack ----------------------------- Zehn Jahre später: 14:10 Uhr, Fr. 22.02. Stratos City, Einall Es klingelte zum Ende der Stunde und Aria packte schnell ihre Sachen zusammen, bevor sie einen kurzen Blick aus dem großen Fenster neben ihr warf, nur um festzustellen, dass Maria schon auf dem Hof stand. Also beeilte sie sich aus dem Klassenraum zu kommen und nahm die Treppe am Ostflügel, die nicht ganz so überfüllt war. Aria wollte Maria nicht schon wieder warten lassen, denn vielleicht überlegte Abiturientin es sich noch einmal anders und entschied sich, Aria nicht mehr für den Rest des Jahres nach Hause zu fahren. Denn freitags müsste Aria ziemlich lange auf die U-Bahn warten. Aria drückte sich an ein paar plaudernden Schülern vorbei und erreichte nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Hauptausgang. Wie sie feststellen musste, war Maria nirgendwo zu sehen. Ein Seufzer entwich ihr und sie verlangsamte ihr Tempo, bis sie nur noch über den Schulhof schlenderte. Es war wirklich zum Verzweifeln. Maria Adams, Abschlussklasse, nahm sie normalerweise freitags immer mit, da sie bei Aria in der Nähe wohnte und ein eigenes Auto zu ihrem 18. Geburtstag bekommen hatte. Doch leider war Maria auch ziemlich ungeduldig und hatte einen strammen Zeitplan, weshalb sie Aria immer zehn Minuten ließ, um zu ihr zu gelangen. Ansonsten fuhr sie einfach nach Hause. Aria hatte sie jetzt bestimmt schon zum vierten Mal verpasst. Mit ihrem Bruder nach Hause konnte sie auch nicht, da der freitags immer länger Schule hatte als sie und erst in zwei Stunden Zuhause sein würde. Also machte Aria sich auf den Weg zur U-Bahn-Station. Vielleicht hatte sie ja Glück und ihre U-Bahn war auf wundersame Weise noch nicht weg. Den Blick auf ihre schwarzen Dr. Martens gerichtete, die nass vom abtauenden Schnee glänzten, ging sie die 76. entlang. Diese Straße, auch als Trend Street bekannt, bot allerlei Einkaufsmöglichkeiten, sowie Stratos Citys weltberühmte Eisdiele und die international bekannte Stratos-Galerie. Und sie führte geradewegs ins Zentrum der Großstadt, in dem die Stratos Bank, Einalls größte Bank und zugleich riesiges Aktienunternehmen, lag. Genau davor war auch Arias U-Bahn-Station. Aria starrte auf ihr Handy und scrollte durch ihre Nachrichten, als sie plötzlich gegen etwas prallte und zu Boden gerissen wurde. Ihr Hinterkopf traf auf dem rauen Pflaster auf und sie musste sich, den schmerzenden Kopf reibend, erst einmal neu orientieren. Ihr gegenüber saß ein junger Mann mit braunen Haaren, dessen Augen- und Nasenpartie halb von einer schlichten schwarzen Maske verdeckt wurden. Bernsteinfarbene Augen funkelten ihr aus dem Schatten entgegen und betrachteten sie argwöhnisch, während der Mann seine Maske richtete, die ihm bei ihrem Zusammenstoß wohl halb vom Gesicht gerutscht war. Doch sie kannte dieses Gesicht irgendwoher. Gerade als Aria schon loswettern wollte, weshalb er denn nicht aufgepasst hätte, kam neben ihm eine junge Frau in einem schwarzen Cocktailkleid zum Stehen, die sie nur mit einem kurzen Blick bedachte und den jungen Mann dann weiter scheuchte. Sie selbst nickte nur hinter sich und stürmte dann selbst auf ihren acht Zentimetern davon. Aria blickte ihr verdutzt nach. Auch sie hatte eine Maske auf, weshalb sie nur schemenhaft ihr Gesicht erkennen konnte. Mittlerweile hatten schrille Alarmglocken begonnen zu klingeln und die Menschen auf dem Platz blieben stehen und wandten ihre Aufmerksamkeit der Bank zu. Auch Aria betrachtete geschockt den Eingang und blickte dann zurück zu den beiden, die nun in Richtung Trend Street davonrannten. Bevor sie sich jedoch weitere Gedanken über die beiden merkwürdigen Gestalten machen konnte, kamen weitere Personen auf sie zugerannt, zerrten sie hoch und zogen sie mit sich. Sie versuchte sich aus dem Griff einer blonden Frau zu befreien, deren Hand schien jedoch aus Stahl, sodass Aria sich darauf konzentriert bei dem Tempo, das ihre Entführer an den Tag legten, nicht auf die Nase zu fallen. Ein Blick nach hinten verriet ihr, dass noch jemand ihnen folgte, der mit einem lauten Krachen die Flügeltüren der Stratos Bank zugeknallt hatte, weshalb sie so auch nicht entkommen konnte. Ihre Entführer sprinteten um jede Ecke, die sich ihnen bot und schlugen Haken, bis Aria die Orientierung verlor und sich nur noch hilflos mitziehen ließ. Erst dann bemerkte sie ihre wahren Verfolger. Eine ganze Horde Team Plasma Rüpel rannte hinter ihnen her, gefolgt von schwarzen Geländewagen. Aria riss die Augen auf. Wurde sie hier gerade von echten Kriminellen entführt? Sie versuchte zu schreien und auf sich aufmerksam zu machen, auf dass die Leute von Team Plasma sie vielleicht retten würden, doch kaum, dass sie den Mund aufgemacht hatte, wurde sie grob einen Gullydeckel hinuntergestoßen und fiel kreischend den dunklen Schacht hinunter. Anstatt jedoch unten auf dem Steg aufzuschlagen, wurde sie aufgefangen. Dann wurde sie abgesetzt und ihre Beine zitterten, so sehr, dass sie kaum gerade stehen konnte. Sie wollte wegrennen, weg von diesen Leuten, doch eine Hand packte sie an ihrer Kapuze und zog sie zurück. Aria fand sich Auge in Auge mit der jungen Frau in dem Cocktailkleid wieder. Deren braune Augen schienen sie förmlich zu durchbohren und der Griff in ihrem Nacken verstärkte sich. „Wo denkst du, gehst du hin?“, zischte die Braunhaarige. Aria presste die Lippen zusammen. Der Ton war schneidend und eisig kalt und sie entschied sich, sich lieber einfach nicht mehr zu bewegen. Sie wusste nicht, wozu diese Leute alles imstande waren und wollte es auch nicht herausfinden. Hier unten einen Versuch zu starten, andere Leute auf sich aufmerksam zu machen, war sowieso unmöglich. Vielleicht ergab sich noch eine Möglichkeit in diesem Labyrinth zu fliehen. „Rose, wir müssen weiter, sie sind gleich hier unten“, meldete sich das Schlusslicht der Gruppe, ein junger Mann mit schwarzen Haaren und Brille. Er kletterte gerade die Leiter hinunter und stellte sich neben die Blondine, die Aria aus ihren grünen Augen missmutig musterte. Auch diese beiden hatten Masken auf, trotzdem erinnerten ihre Gesichter Aria an etwas. Die Brünette, Rose, ließ von Aria ab und stellte sich zu ihrem Team. Aria atmete erleichtert aus und rieb sich kurz über den Hals, wo ihr ihre Jacke fast die Luft abgeschnürt hatte. Noch immer fühlte sie sich, als wären ihre Beine plötzlich zu Wackelpudding geworden und sie atmete heftig ein und aus. So schnell hätte sie selbst niemals rennen können. Ihr Blick suchte den dunklen Tunnel ab, doch sie sah keine Möglichkeit zu entkommen; rechts von ihr floss das Abwasser wie ein dunkles Band in der Kanalrinne langsam vor sich hin, links war die mit Moos überzogene Wand und vor ihr an der Leiter standen die vermeintlichen Kriminellen. Die einzige Chance war, dass Aria sich einfach umdrehte und den Tunnel entlang lief, doch sie würden sie sicherlich binnen Sekunden eingeholt haben und wer wusste, was dann mit ihr geschehen würde. „W-warum habt ihr mich hierher gebracht?“, Aria bemerkte das leichte Zittern in ihrer Stimme und ihr war leicht flau im Magen geworden bei dem Gedanken, was diese Leute mit ihr anstellen könnten. Zwar hatte sie schon Verfolgungsjagden mit anderen Gangs als den Ravens erlebt, doch es war etwas ganz anderes von irgendwelchen Fremden ohne jegliche sichtbare Verbindung zu den Gangs aus Stratos City entführt zu werden. „Nun, du hast sein Gesicht gesehen, bevor wir abtauchen konnten“, begann Rose und warf einen wütenden Blick zu dem braunhaarigen Mann, der sie nun neugierig beobachtete. „Deshalb konnten wir dich unmöglich da einfach so stehen lassen. Du hättest uns an Team Plasma verraten.“ „Ich…“, Aria fand keine Worte auf diese Aussage. Ihr Blick flog zu demjenigen, mit dem sie zusammengestoßen war. Dieses Gesicht kam ihr sehr bekannt vor, doch sie konnte nicht sagen woher. Eine leise Ahnung, dass dies hier keine normalen Großstadtgangster waren, machte sich in ihr breit. Doch als er die Stimme erhob, wusste sie genau, wen sie vor sich hatte. Es war Jahre her, dass sie ihn das letzte Mal gesehen hatte und sie war gerade mal acht Jahre alt gewesen, doch er war ihr wie ins Gedächtnis gebrannt. Black Parker. Staatsfeind von Einall und seit fast zehn Jahren auf der Flucht vor seiner Hinrichtung. Ihr Vater hatte viel von ihm erzählt, als er noch lebte und auch von dem Kampf um das Schicksal der Pokemon, auch wenn Aria nicht viel davon verstanden hatte. „Was machen wir jetzt mit ihr, Rose? Willst du sie wirklich mitnehmen?“ Aria sah etwas Kleines, silbernes in Rose Hand aufblitzen und wich instinktiv zurück, wollte rennen, doch der eiserne Griff der jungen Frau packte sie erneut im Genick und ihr wurde etwas Spitzes in den Hals gerammt. Ihre Sicht verdunkelte sich binnen Sekunden und Aria spürte, wie ihre Beine unter ihr nachgaben. Mit einem leisen Stöhnen driftete sie in die Bewusstlosigkeit ab. Rose steckte die kleine Spritze wieder ein und holte ein dünnes Seil und ein schwarzes Tuch aus der kleinen Tasche an ihrem Oberschenkel. In schnellen Handgriffen hatte sie Arias Handgelenke gefesselt und ihr das Tuch wie eine Augenbinde umgebunden. Dann richtete sie sich wieder auf. „Ich schätze, wir müssen sie mitnehmen. Wir haben keinen Amnesie-Rauch mitgenommen.“ Kollektives Nicken, dann setzte sich die kleine Gruppe wieder in Bewegung, diesmal in schnellerem Tempo als vorhin, da Team Plasma ihnen dicht auf den Fersen war. Die bewusstlose Aria wurde abwechselnd von den beiden Männern der Gruppe getragen. * Ein leises Brummen weckte Aria und sie öffnete blinzelnd die blauen Augen. Ihre Augenlider waren schwer und sie konnte bloß verwaschenes Schwarz sehen, doch langsam kehrten die Erinnerungen an die vergangenen Stunden zurück, was sie erschrocken aufspringen ließ. Sie wäre fast schon wieder zu Boden gefallen, hätte sie nicht jemand festgehalten. Ihr Mund war trocken und sie fühlte sich nicht in der Lage, zu schreien, sodass nur ein leises, hilfloses Krächzen ihre Kehle verließ. Aria versuchte die Augenbinde von ihrem Kopf zu reißen, doch ihre Hände waren schmerzhaft auf ihren Rücken gefesselt. Also versuchte sie so viel Abstand wie möglich zwischen sich und denjenigen zu bringen, der sie trug. „Rose, ich glaube, unser Dornröschen ist aufgewacht“, erklang es von hinten und Aria drehte den Kopf, konnte jedoch nur die verschwommenen Konturen desjenigen erkennen, der hinter ihnen stand. Der Stimme nach war es nicht Black Parker. Sie erkannte lange Neonröhren durch den schwarzen Stoff auf ihren Augen. Das stetige Brummen und das Gefühl zu fallen, bestätigte sie in ihrer Annahme, dass sie sich in einem Fahrstuhl befanden. In aufkommender Panik versuchte sie sich aus dem Griff ihres Trägers zu befreien, auf dessen Rücken sie saß. Da er nicht damit gerechnet hatte, dass sie plötzlich so zappeln würde, lockerte sich sein Griff um ihre Beine und sie landete polternd auf dem zerkratzten Metallboden. Der Fahrstuhl war klein und auch ohne dass sie auf eigenen Beinen gestanden hätte, war wenig Platz zwischen den anderen gewesen, doch nun bestand für Aria keine Möglichkeit ihnen fernzubleiben. Die Augenbinde war ihr halb vom Gesicht gerutscht während ihres Sturzes, sodass sie nun von dem grellen Licht geblendet wurde. Sie presste sich gegen die Gitterwand, die wegen des Drucks leicht nach außen nachgab und versuchte keinen der Verbrecher aus den Augen zu lassen. Rose warf wieder einen argwöhnischen Blick zu Black, der sie augenscheinlich getragen hatte, wandte sich dann aber ab und drängelte sich an der Blonden vorbei zu Aria durch. Zuerst dachte sie, Rose wolle ihr schon wieder eine Spritze in den Hals jagen, weshalb sie sich instinktiv kleiner machte, doch die braunhaarige Frau blieb reglos vor ihr stehen und betrachtete sie mit abschätzendem Blick. „Ich werde sie mit zu Lauro nehmen. Black du kommst mit. Ihr beide“, sie fixierte die junge Frau mit den blonden Haaren und den Brillenträger, „arbeitet bitte den Bericht aus. Legt ihn mir einfach auf den Schreibtisch, wenn er fertig ist.“ Ein erleichtertes Aufatmen konnte sich Aria nicht verkneifen, aber sie hielt inne, als Rose den Namen Lauro erwähnte. Sie riss den Kopf hoch und begegnete ihrem braunen Blick. Diese schien Schock bemerkt zu haben. Aria musste erst einmal verarbeiten, was sie gerade gesagt hatte. Sie meinte doch nicht etwa Lauro Harris, den ehemaligen Champion der Einall-Region. Das konnte unmöglich stimmen! Was war das hier? Erst Black Parker und dann noch der Champ der Region? Was war das hier für eine Organisation, dass sie einen Staatsfeind wie Black aufnahm? Ein leises Räuspern riss sie aus ihrer Gedankenwelt und Aria blickte zu dem Black, der in der Fahrstuhltür stand und sie offenhielt. Die beiden anderen waren schon verschwunden. Nur Rose stand immer noch vor ihr und beobachtete sie stillschweigend. Aria rappelte sich auf und wäre sie nicht in solch einer verqueren Situation, hätte sie wahrscheinlich ein leises Schnauben von sich gegeben, doch so konnte sie einfach nur stumm geradeaus blicken und versuchen, zu verarbeiten, was hier vor sich ging. Es folgten ein weiterer, robusterer Fahrstuhl und eine breite Treppe, bis sie vor einer massiven Metalltür standen. Sie war in echten Stein eingelassen und von dem Moos, das auf den graubraunen Felsen wuchs, ging ein schummriges grünes Licht aus, das tiefe Schatten auf ihre Gesichter warf. Dieser Flur war nur durch die Moosbüschel erleuchtet und das Halbdunkel ließ Aria einen Schauder den Rücken hinunterlaufen. Vielleicht war es ja gar nicht Champion Lauro, den sie gleich treffen würde, sondern nur jemand, der genauso hieß, wie dieser. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand wie Lauro sich einer Verbrechergruppe anschloss. Rose holte eine silberne Plastikkarte aus ihrer Beintasche und zog sie durch einen Scanner an der linken Seite. Das Leuchtsymbol sprang auf Grün um und mit einem leisen Zischen und schwerfälligen Rumpeln öffnete sich die Tür. Rose betrat den Raum als erste, danach Aria und Black folgte dicht hinter ihr. Auch dieser Raum war verdunkelt und nur ein riesiger Monitor an der hinteren Wand warf sein blaues Licht an die Wände. Als sie den Raum durchquerte, fiel Aria ein Tisch mit Modellhäusern auf und als sie genauer hinsah, erkannte sie die Einall Region in minimaler Größe. Bevor sie sich das Modell jedoch näher ansehen konnte, wurde sie von Black weitergeschoben und kam schließlich unmittelbar vor dem Monitor zum Stehen. Ein Schaltpult war darunter angebracht und vor ihnen stand ein großer Drehsessel, mit der Lehne zu ihnen gewandt. Als derjenige ihre Anwesenheit bemerkte, drehte sich der Sessel und ein Mann mittleren Alters mit langen rotbraunen Haaren und einem rauen Gesicht kam zum Vorschein. Aria klappte der Mund auf. Sie stand zwar halb versteckt hinter Rose, konnte aber dennoch den Mann erkennen, der da in dem Ledersessel vor ihr saß. Es war tatsächlich Lauro! Fassungslos wollte sie einen Schritt zurück machen, wurde jedoch von Black daran gehindert, der sie am Arm festhielt, als sie an ihm vorbeitreten wollte. „Oh, ihr seid also schon zurück“, die raue Stimme Lauros hallte unangenehm in der großen Halle und Aria hatte Mühe sich nicht einfach loszureißen und wegzulaufen. Wieso war Lauro bei einer kriminellen Organisation und allem Anschein nach sogar noch ihr Anführer? Er lebte doch friedlich in Dausing! „Ja“, presste Rose hervor und ihre Stimme klang plötzlich seltsam belegt. „Die...die Mission ist gescheitert. Wir konnten den Dunkelstein nicht in unseren Besitz bringen.“ Sie senkte den Kopf und ihre Hände verkrampften sich leicht im schwarzen Stoff ihres Kleides. Aria lauschte angespannt Rose Worten. Dunkelstein? Was sollte sein und warum wollten sie es? Lauro nickte nur verstehend, bis sein Blick hinter seine Agentin schweifte und er Aria entdeckte. „Um Gottes Willen...“, er erhob sich aus seinem Sessel und kam in schnellen, schwerfälligen Schritten auf Aria zu, die vorsichtig zurückwich. „Wer ist das?“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Den ehemaligen Champion hier zu sehen, denjenigen, den sie nach ihrem Vater, aufgrund seiner gerechten und Menschen und Pokemon gegenüber liebenden Natur, am meisten respektiert hatte, machte sie sprachlos. „Wir haben sie mitgenommen. Sie hat uns bei unserer Flucht vor Team Plasma gesehen.“ „Ich...Mein Name ist Aria...“, Aria versuchte Worte zu finden, die ihre jetzige Situation beschreiben konnte. Nicht nur, dass sie von Kriminellen gekidnappt wurde, nein, der Champion war sogar noch ihr Anführer! „Verstehe...“, murmelte Lauro und fuhr sich durch die langen roten Haare. „Das ist ärgerlich.“ Aria blieb immer noch stumm, wand sich aber aus Blacks Griff und trat wieder einen Schritt vor. Ihre blauen Augen begegneten den Braunen des Champs unverwandt. „Und was soll jetzt mit mir geschehen, jetzt wo ich das alles hier gesehen habe?“, fragte sie, ohne den Blickkontakt abzubrechen. Die Enttäuschung darüber, dass sie sich so sehr in ihrem Vorbild getäuscht hatte, ließ ihre Angst verfliegen. Sie wusste, sie war wagemutig, in einem solchen Ton zu sprechen, doch diese ganze Situation machte sie wütend. „Immerhin befinde ich mich hier in eurem Quartier. Wer seid ihr überhaupt?“ Lauro sagte zuerst nichts, dann wandte er den Kopf zur Seite und lächelte leicht. „Ganz einfach. Black hier, wird dich nach Hause bringen und dann mit Amnesie-Rauch obliviieren. Du wirst keine Erinnerungen an diesen Tag mehr haben. Und da du dich sowieso an nichts mehr erinnern können wirst, bekommst du deine Antwort. Wir sind die Rebellen von Einall.“ Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder und verengte die Augen zu Schlitzen. „Das können Sie unmöglich ernst meinen.“ Die Offenbarung, die er ihr gerade geliefert hatte, ignorierte sie vorerst. „Doch. Oder sollen wir dich hierbehalten? Denn, wie du so schön gesagt hast, befindest du dich in einem unserer Quartiere. Außerdem wärst du ein gutes Druckmittel gegen Team Plasma.“ Hinter Lauro war ein leises Räuspern zu vernehmen und Aria blickte an ihm vorbei zu Rose, die die Szene mit ausdruckslosem Gesicht beobachtet hatte und allem Anschein nach drängte, Lauro etwas zu sagen. Aria war jedoch damit beschäftigt dem Gesuchten hinter sich wütend anzusehen. „Black, bring sie raus.“ * 16:34 Uhr, Fr. 22.02. Rebellenquartier, Einall Aria trottete hinter Black her, der von Lauro den Auftrag bekommen hatte, sie möglichst unauffällig nach Hause zu bringen. Sie war wütend. Wütend auf ihre Situation, auf die Rebellen, die sich so mir nichts dir nichts einfach entschieden hatten, es wäre besser, dass sie sie kidnappen, anstatt einfach an ihr vorbeizurennen und darauf, dass sie ganz offensichtlich in Begriff war, ihre Erinnerungen an diesen Tag einfach so zu verlieren. Wenigstens hatte Black ihr die Fesseln nach vorne gebunden, sodass sie sich nicht mehr die Schultern verrenkte. „Black Parker also“, stellte Aria fest und heftete ihren Blick auf seinen Rücken. Er hatte sich die Anzugjacke ausgezogen und sich eine schwarze Kapuzenjacke über das weiße Hemd gezogen. „Wie ist es so als Staatsfeind zu gelten?“ Er schwieg zunächst und Aria hätte zu gern sein Gesicht gesehen. „Ich denke, du kannst dir sicher vorstellen, dass es nicht das angenehmste Leben ist“, erwiderte er dann ruhig. Aria kochte innerlich. Wäre dieser Idiot nicht gewesen, wären sie jetzt nicht in dieser Situation. „Warum seid ihr nicht einfach weitergelaufen? Ich konnte euch doch eh nicht ganz erkennen.“ „Aber du hast mich erkannt.“ „Als Rose deinen Namen gesagt hat, ja. Vorher nicht“, log Aria. Da er sie nicht ansah, brauchte sie sich um ihre Mimik keine Sorgen zu machen. „Das stimmt nicht. Du hast mich schon bei unserem Zusammenstoß erkannt“, entgegnete Black genauso ruhig wie zuvor, doch sie meinte ein Schmunzeln aus seinen Worten zu hören. Aria zog die Brauen zusammen und biss sich auf die Lippe. Dass er sie so schnell durchschaut hatte, gab ihr doch zu denken. Eigentlich war sie eine gute Lügnerin. „Und die Rebellen existieren also wirklich“, stellte sie dann fest und wechselte damit das Thema. „Die meisten halten euch für einen Mythos.“ „Siehst du ja“, gab Black schlicht zurück. „Und es ist besser, wenn wir für die Öffentlichkeit auch bleiben, was wir sind.“ Aria schwieg. Er erzählte ihr anscheinend weniger als Lauro, auch wenn er wusste, dass sie es ohnehin wieder vergessen würde. Apropos vergessen. Sie musste sich schleunigst überlegen, wie sie aus dieser Misere wieder herauskam, ohne ihre Erinnerungen zu verlieren. Denn das ließ sie sich von diesen Kriminellen nicht bieten. Als sie im Fahrstuhl standen, herrschte angespannte Stille. Aria kaute unruhig auf ihrer Unterlippe herum und warf immer wieder verstohlene Blicke in den Spiegel neben sich. Black starrte stur geradeaus und sie musterte sein Profil. Er sah seiner Schwester wirklich sehr ähnlich, das hatte Aria schon feststellen müssen, als ihr Vater ihr von den beiden Geschwistern erzählte. Nur seine Augen waren so ganz anders als Whites. Bevor Black sie beim Starren erwischen konnte, blickte Aria zu Boden. Das Metall war mittlerweile zerkratzt und matt, außerdem waren ein paar Dellen hineingeschlagen. Sie fragte sich, was die Rebellen hier transportieren konnten, das so schwer war, dass der Boden nachgab. Auch die Wände, die durch kleinmaschige Gitter gebildet wurden, wirkten abgenutzt und löchrig. Sie hatte wohl Glück, dass das Gitter sie bei ihrer letzten Fahrt gehalten hatte. Was Aria viel mehr interessierte, war, wo sie sich befanden. Sie wüsste nicht, wo die Rebellen ein so technisch modernes Quartier errichtet haben könnten, da die meiste offene Fläche nah an den Städten war und Orte wie Wälder und das Wüstengebiet von wilden Pokemon nur so wimmelten, die den Menschen feindlich gesinnt waren. Aria kannte Pokemon nur aus ihrer Erinnerung. Sie wusste, dass ihr Vater einmal ein kleines hundeartiges Wesen mit nach Hause gebracht hatte, das Feuer spucken konnte. Sein gestreiftes Fell war flauschig und warm gewesen und sie hatte gern mit dem Pokemon gespielt. Doch Scott hatte es, als sie älter war, nicht mehr mitgebracht. Andere Pokemon, die sie kannte, waren die wilden Pokemon, die ihre Tante Rachel aus Sinnoh pflegte. Es waren meist helle, kalte Kreaturen und sie trauten sich nur selten an die Menschen heran. In Einall gab es keine Pokemon, die mit Menschen zusammenlebten. Jedenfalls nicht mehr nach Team Plasmas Aufschwung. Aria hatte das alles damals noch nicht verstanden, doch während sie die kleine Wölbung unter Blacks Hoodie betrachtete, wurde ihr auf einmal klar, dass es mehr als eine politische Debatte gewesen war. Team Plasma hatte Bindungen zerstört, die nur jemand nachvollziehen konnte, der selbst einmal ein Pokemon besessen hatte. Sie konnte nicht verstehen, wofür diese Leute hier kämpften, da sie nie eine Trainerin oder Besitzerin eines eigenen Pokemon war. „Wenn wir gleich aus dem Fahrstuhl steigen, folgst du mir und redest kein Wort, verstanden?“, ergriff Black plötzlich das Wort und Aria blickte wieder zur Tür. Er sagte zwar nichts, doch sie war sich sicher, dass er bemerkt hatte, wie sie ihn beobachtete. „Okay“, presste sie hervor und hielt den Blick geradeaus gerichtet. Da sie keine Ahnung hatte, wie lange sie wegen Rose Spritze bewusstlos war, hatte sie keinen Anhaltspunkt, wo das Quartier der Rebellen liegen könnte und wie sie Black entkommen konnte. Denn das hatte sie vor. Er würde sie nach Hause bringen, nach Stratos City, die sie wie ihre Westentasche kannte. Sie würde ihm irgendwie auf dem Weg nach New Castelia entwischen und sich zu Ellis nach Darebridge oder zu den Ravens in den Osten von Midtown flüchten. Aria würde die Rebellen ganz sicher nicht an ihrem Gedächtnis herumpfuschen lassen. Ihre Erinnerungen blieben dort wo sie sind und wenn sie nun wusste, wo das Quartier der Rebellen war, umso besser. Dann würde sie diese Kriminellen endlich zur Rechenschaft ziehen. Es gingen Gerüchte in Stratos City um. Eine Gruppe unbekannter Personen infiltrierte die Presse, beging Anschläge und besaß illegalerweise Pokemon. Sie waren anders als die Straßengangs der Metropole und weitaus gefährlicher, wie man sagte. Diese Gruppe wurde Rebellen genannt. Eine gesichtslose Organisation, die wie ein Phantom immer mal in den Medien erschien. Da Aria selbst Journalistin werden wollte, verfolgte sie täglich die Nachrichten. Team Plasma bemühte sich sehr, die Ereignisse, die unter dem Namen „Rebellen von Einall“ geschahen, unter den Teppich zu kehren oder mit anderen Dingen in Verbindung zu bringen, doch einige Vorkommnisse ließen sich einfach nicht anders als mit Rebellion erklären. Der Fahrstuhl hielt und die Türen öffneten sich lautlos. Black stieg als Erstes aus und bedachte Aria ihm zu folgen. Sie kam seiner stummen Aufforderung willentlich nach, ließ ihren Blick jedoch durch den Flur schweifen, auf dem sie sich nun befanden. Ein gelber Streifen verkündete, dass sie sich nun auf Ebene 0 befanden. Sie waren also unter der Erde gewesen? Black bog nach rechts und führte sie den Flur hinunter. Seine Hand, die die ganze Zeit leicht an ihrer Schulter lag, diente einerseits als Wegweiser, andererseits bemerkte sie auch die Drohung hinter der Geste. Sie würde ihm nicht entwischen. Mehrere graue Türen säumten den Flur und Aria versuchte die kleinen Schilder, die neben ihnen an den Wänden befestigt waren, näher zu entziffern, konnte jedoch nur wahllose Zahlen lesen, da Black sie zügig voranschob. Sie näherten sich einer breiteren und massiveren Tür und Aria hatte das Gefühl, dass dies der Ausgang sein musste. Black führte sie zu einem kleinen Tastenfeld, in das er einen Code eingab, den Aria angestrengt versuchte sich zu merken, dann legte er seinen Finger auf den silbernen Knopf darunter und die Zahlen leuchteten grün auf. Die Tür geriet in Bewegung, mit leisem Ruckeln öffneten sich die beiden Stahlflügel und verschwanden in den Wänden. Von draußen peitschte ein heftiger Wind hinein und Aria musste aufgrund der Wucht des Windstoßes ein paar mal blinzeln. Goldener Sand wehte in den Gang und brachte einen Schwung Hitze mit sich. Das Wüstenresort? Also hatte sie doch nicht falsch gelegen. Black zog sie mit sich hinaus in die unbarmherzige Hitze der Wüste. Ein Sandsturm wütete über dem Naturschutzgebiet und Aria kniff die Augen zusammen, um keinen Sand hinein zu bekommen. „Kannst du mir wenigstens die Kapuze aufsetzen und zuschnüren?“, fragte sie Black und ließ es extra vorwurfsvoll klingen, während sie ihre gefesselten Hände hob. Er selbst hatte sich eine schwarze Sonnenbrille und seine Kapuze aufgesetzt und sich ein schwarzes Tuch um Mund und Nase gebunden, sodass sie seine Reaktion nicht sehen konnte. Doch anstatt ihr die Kapuze aufzusetzen, band er auch ihr ein solches Tuch um das Gesicht und setzte ihr ebenfalls eine Sonnenbrille auf. Erst dann zog er die Kapuze über ihren Kopf. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht reden“, bemerkte er dann. Aria funkelte ihn hinter den getönten Brillengläsern argwöhnisch an. Er hatte leicht reden. Durch den Sandsturm konnte sie nicht erkennen, wohin sie gingen und das Laufen durch den losen Sand war anstrengend. Und ihr war so fürchterlich heiß. Der Braunhaarige lief einfach seelenruhig neben ihr her, ihm schien die Wüste nichts mehr auszumachen. Um sich herum konnte Aria auch über das Rauschen des Windes einige Pokemonrufe hören und knetete nervös ihre Hände, auf denen der Sand pikste. Was, wenn ein wildes Pokemon sie angriff? Würde Black sie beschützen? Es fühlte sich an wie Stunden, während Aria mit ihrem schweigsamen Begleiter durch den Sandsturm lief. Ihre Beine wurden träge und sie kam nur noch mehr schlecht als Recht voran, als sich der Boden unter ihr plötzlich festigte und sie bald darauf auf vom Sand knirschenden Steinen lief. Dann erkannte sie das blasse Grün des Durchgangshäuschens und stand wenige Sekunden später auch schon im Kühlen. Ihre Haut prickelte immer noch unangenehm vom Sand und ihr war unendlich heiß. Die Klimaanlage kam ihr nur gelegen. Black ließ sie einfach neben der Lüftung stehen, während er zu dem Mann hinter dem Schalter ging und ihm leise etwas zuflüsterte. Aria konnte nicht verstehen, was sie sagten, sah jedoch wie der Kontrolleur nickte, dann kam Black zurück. Sie wurde wieder am Arm gefasst, diesmal fester als vorher und nach draußen geführt. Vor dem Durchgangshäuschen war es immer noch heiß, doch es wehte nur noch ein lauer Wind vom Wüstenresort herüber, sodass Black ihr das Tuch abnahm. Die Sonnenbrille behielt sie jedoch auf. Und so ging ihr Marsch weiter. Wenn sie sich nun auf Route 4 befanden, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich in die dunklen Straßen von Stratos City flüchten konnte. * 16:27 Uhr, Fr. 22.02. Rebellenquartier, Einall Rose senkte den Kopf. Lauro hatte ihrem kurzen Bericht schweigend gelauscht und jetzt herrschte nur noch erdrückende Stille im Kontrollraum. Sie betrachtete eingehend ihre Schuhe und wartete auf eine Erwiderung ihres Chefs. Seitdem ihr altes Team aufgelöst wurde, war dies ihre erste wichtige Gruppenmission gewesen und sie hatte es vermasselt. „Wir müssen damit rechnen, dass sie den Dunkelstein wegbringen lassen“, begann Lauro nach einem müden Seufzer. „Wahrscheinlich zur ehemaligen Pokemonliga. Und deshalb müssen wir schnell handeln.“ Rose nickte, beschämt. „Wenn sie ihn erst einmal so nah bei sich haben, wird es unmöglich, ihn noch zu stehlen.“ „Andererseits bedarf diese Mission auch einer sehr guten Planung. Ich werde dein Team nicht vollständig davon entbinden, keine Sorge, Rose. Aber ich werde die Planung dieses Mal jemand anderem überlassen. Wir müssen den Dunkelstein bekommen, bevor sie ihn aus Stratos City fliegen“, fügte er hinzu. Rose konnte seine Gesichtszüge nur schemenhaft erkennen, da er mit dem Rücken zur einzigen Lichtquelle stand, jedoch meinte sie ein kurzes Aufglimmen in seinen Augen gesehen zu haben. Rose wusste, dass diese Mission sehr wichtig für ihre Organisation war. Wenn sie den Dunkelstein erst einmal hatten, konnten sie sich Gedanken darum machen, wer der neue Held Einalls werden und Team Plasma zu Fall bringen konnte. Und sie hatte es wegen mangelnder Vorsicht vermasselt. Sie musste zugeben, dass es schon gewaltig an ihrem Ego kratzte, diese eigens geplante Mission so sehr in den Sand gesetzt zu haben. Sie waren ja gerade mal in den hinteren Bereich der Bank gekommen, als sie erwischt wurden. „Bring die Baupläne der Stratos Bank bitte später hierher, sodass wir die Mission neu planen können. Und halte dein Team in Bereitschaft“, sagte Lauro, einen entschlossenen Unterton in seiner rauen Stimme und riss sie damit aus ihren trüben Gedanken. Sie war sich nicht sicher, ob er schon immer so geklungen hatte. Vielleicht machte ihm die Luft hier unten doch mehr zu schaffen, als sie dachte. Er war in letzter Zeit öfter hier im Wüstenquartier gewesen und hatte sein Haus in Dausing der Pflege seines Enkels überlassen. Es beunruhigte Rose ein wenig, dass er sein normales Leben so sehr vernachlässigte, da Team Plasma immer noch ein Auge auf ihn hatte. „Verstanden, Sir“, Rose salutierte leicht und wandte sich dann zum Gehen, als er sie noch einmal zurückrief. „Sag Black bitte, dass ich ihn gerne noch einmal sehen würde, wenn er wieder da ist.“ Mit einem knappen Nicken verließ sie den Kontrollraum und mit dem Zuschlagen der Tür, fiel auch die Anspannung von ihr ab. * 18:12 Uhr, Fr. 22.02. Durchgangshäuschen Route 4, Einall Der Marsch über Route 4 war nicht ganz so unangenehm und anstrengend wie die Wüste gewesen, doch Aria empfand es keinesfalls als angenehm mit ihrem leichten Sonnenbrand, den ihre Hände und ihr Gesicht davongetragen hatten, und einer Sonnenbrille in der winterlichen Vorstadt herumzulaufen. Es war zwar nicht kalt, da Route 4 direkt an die Wüste anschloss, doch für den Aufzug, in dem sie herumlief, keinesfalls angemessen. Black hatte seine Sonnenbrille ebenfalls aufgelassen, genauso wie seine Kapuze, sodass man ihn als Außenstehender kaum erkennen konnte. Sie konnte verstehen, warum. Auch wenn nur noch wenige den Flüchtlingen des Kampfes von vor zehn Jahren ihre Aufmerksamkeit schenkten oder sich gar an sie erinnerten, bedurfte es nur einer falschen Person und Black würde morgen seiner Hinrichtung entgegenblicken. Nicht, dass sie etwas dagegen hätte. Aria hatte genug in den Nachrichten über die Verbrechen gehört, die ihm nachgesagt wurden und konnte sich bei der Hälfte durchaus vorstellen, dass er sie begangen hatte. Dort standen sie nun, vor dem Durchgangshäuschen nach Stratos City und Aria fragte sich, weshalb Black zögerte. Sie wagte es nicht, ihn zu fragen, selbst wenn seine Anweisung nicht zu reden sie nicht davon abhielt. Doch ihr blieb keine Zeit weiter zu grübeln, da Black sich neben ihr bewegte und sie mit einem leichten Druck auf ihre Schultern nach vorne schob. Dann betraten sie den Durchgang. Dieses Mal blieb Black nicht stehen, um mit dem Mann hinter dem Tresen zu reden, sondern ging einfach stur durch die Menschen hindurch, die sich in dem kleinen Gebäude befanden. Dabei schob er Aria einfach vor sich her, sodass sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte, doch sie stellte sich vor, wie er versuchte so normal wie möglich auszusehen. Sie wusste nicht, ob er Angst hatte entdeckt zu werden, doch sie vermutete, dass es ihm nicht allzu leicht viel, durch eine Stadt wie Stratos City zu gehen. Auch wenn ihm diese möglicherweise den besten Schutz bieten konnte, den er kriegen konnte. Aria nestelte an den Fesseln um ihre Handgelenke herum. Das Seil war ziemlich fest, doch sie hatte es mittlerweile so sehr lockern können, dass es rutschte. Befreien würde sie sich noch nicht können, doch wenn sie sich irgendwo festhalten musste, würde es soweit hoch rutschen können, dass sie ein wenig Bewegungsfreiheit für ihre Hände hatte. Ihr nervöser Blick galt dem Ausgang und sie zog ihre Ärmel weiter über die Fesseln, sodass Black nicht erkennen konnte, was sie tat. Stratos City war hell erleuchtet und die Werbetafeln von Eskon strahlten farbenfroh gegen den dunklen Himmel. Es war mittlerweile dunkel geworden, noch etwas, das Aria bei ihrer Flucht behilflich sein konnte. Jetzt war sie in ihrem Revier; Stratos City war ihr Zuhause seit sie fünf war und sie kannte seine Viertel so gut wie ihre eigene Wohnung. Black war ihr gegenüber hier im Nachteil. „Dann bring mich mal zu deinem Haus“, flüsterte er ihr zu und Aria musste sich ein kleines Grinsen verkneifen, auch wenn ihr Herz ihr bis zum Hals schlug. Sie würde ihm ganz sicher nicht zeigen, wo sie wohnte. Sie nickte leicht und führte ihn dann in Richtung U-Bahn-Station. Corner Street, las sie am Schild und überlegte sich schnell, wie sie am besten von Eskon nach Darebridge kam. Bei Ellis wäre sie vorerst sicher. Aria stieg langsam die Treppen hinunter, Black dicht hinter sich. Er hatte sie losgelassen, wahrscheinlich, da es komisch aussah, dass er sie ständig an der Schulter festhielt. Sie überlegte, weshalb er nicht einfach ihre Hand genommen hatte, doch dann fiel ihr ein, dass ihre Fesseln das nicht zulassen würden. Ein Vorteil für sie. Da sie sich am Eingang Stratos Citys befanden, tummelten sich eine Menge Leute auf dem U-Bahnsteig und es fiel ihr umso leichter, zwischen die vielen Geschäftsleute zu schlüpfen, die auf dem Weg nach Hause waren. Aria war bewusst, dass Black ihr dich auf den Fersen war, doch sie durfte nicht zu auffällig sein. Sie hielt ihn nicht für dumm. In einer schnellen Bewegung duckte sie sich zwischen zwei Männer in Flanellhemden und wurde schnell durch eine Frau mit Kinderwagen von Black getrennt. Als sie sich mit einem kurzen Blick über die Schulter vergewissert hatte, dass er sie in diesem Moment durch die ganzen Leute nicht sehen konnte, zog sie sich die Kapuze vom Kopf und nahm die Sonnenbrille ab. Ihre dunkelbraunen Haare, die sie vorher in einem Pferdeschwanz getragen hatte, ließ sie offen über ihre Schultern fallen. Zumindest für einen Moment würde er sie nicht erkennen können. Als Nächstes schlängelte sich Aria weiter durch die wartenden Leute hindurch und entdeckte eine Bahn, die in Richtung Harlem, einem Stadtteil von Darebridge fuhr, in dem auch Ellis wohnte. Vorsichtig schielte Aria wieder nach hinten, konnte Black zwischen den Leuten jedoch nirgends erkennen. Sie zog unauffällig ihre mit Fell besetzte Jeansjacke aus und hielt sie an ihre Brust. Aria hoffte, Black hatte sich nicht allzu viele Details ihres Pullis gemerkt. Sie hielt am Bahnsteig und achtete darauf, dass sie erst dann stehenblieb, als sie Bahn auch schon einfuhr. Bloß keine Panik und verhalte dich so normal wie möglich, wiederholte Aria in Gedanken. Sie wartete darauf, dass sich die Türen öffneten und schlüpfte dann in die Bahn. Diese fuhr an und Aria hielt sich schnell an einer Metallstange fest, um nicht umgeworfen zu werden. Ihr Blick glitt über die Personen in der U-Bahn. Sie konnte Black nirgends im Wagen erkennen und hielt sich nah an der Tür. Je schneller sie hier raus kam, desto besser. Es waren kaum Geschäftsleute in dieser Bahn, da Darebridge eher der Künstlerdistrikt von Stratos City darstellte. Dort lebten einfache Leute, Künstler, die sich selbst verwirklichen wollten und Menschen, denen das rustikale Flair der Backsteinhäuser und Feuertreppen gefiel. Die meisten, die in Darebridge lebten, arbeiteten auch dort und nur wenige verschlug es nach Eskon, das für sein reges Nachtleben bekannt war. Aria fiel in der Menge kaum auf. Sie hatte ihre Jeansjacke unauffällig unter ihren Pullover geschoben und sah nun ein wenig schwanger aus, doch es störte sie nicht und niemand sah sie komisch an. Die meisten waren in dicke Daunenjacken oder Lederjacken gehüllt und keiner kümmerte sich so recht um die Leute um sich herum. Irgendwo neben sich hörte Aria leise Musik aus Kopfhörern spielen und ein paar Menschen unterhielten sich leise. Die Fahrt kam ihr unerträglich lang vor. Sie sah aus dem Fenster, in dem sich die Bahn spiegelte und behielt jeden ganz genau im Auge. Nach wie vor nichts von einer fragwürdigen Person mit Kapuze und Sonnenbrille zu sehen. Aria stand mit dem Rücken zu den Leuten, sodass nur wenige ihr Gesicht erkennen konnten. Die U-Bahn hielt einige Male und mit jedem Mal wurde Aria aufgeregter. Gleich würden sie die Westminster Street erreichen und von da aus war es nur noch ein Katzensprung bis zu Ellis Apartment. Bei ihrer besten Freundin würde sie sicher sein, das wusste Aria. Und bisher sah es nicht so aus, als wäre Black ihr gefolgt. Vorletzte Station. Arias Finger prickelten und sie klammerte sich an die Haltestange. Gleich wäre sie frei. „Darebridge, Harlem. Westmister Street. Ausstieg links.“ Aria seufzte leise, als sie die erlösende Stimme des Bordcomputers hörte. Die Bahn hielt und die Türen öffneten sich zischend. Nach dem Südländer neben ihr und einigen anderen Leuten, stieg sie aus der U-Bahn und steuerte gleich auf die Treppe zu. Zum Glück hatte niemand den Wagen kontrolliert, denn sie war schwarzgefahren. Sie war viel zu aufgeregt gewesen, um überhaupt an ein Ticket denken zu können. Aria sah sich kurz um, als sie aus der U-Bahn-Station trat und von der regnerischen Nachtluft Darebridges empfangen wurde. Sie blieb nicht stehen und machte sich direkt auf den Weg zu Ellis. Gerade als sie in die Winston Street biegen wollte, wurde sie zur Seite gerissen und ihr wurde eine große Hand auf den Mund gepresst, die ihr keine Möglichkeit zum Schreien ließ. Sie wurde gegen eine Hausmauer gedrückt und suchte panisch in der Dunkelheit nach dem Gesicht des Angreifers. Im schwachen Licht der Straßenlaterne an der Ecke glimmten bernsteinfarbene Augen auf und Arias Gesicht verdunkelte sich. Er hatte sie tatsächlich gefunden. „Hattest du geglaubt, du könntest mir so einfach entkommen?“, Blacks Stimme hatte einen bedrohlichen Unterton. Kapitel 2: Second Move: Arrival ------------------------------- 18:56 Uhr, Fr. 22.02. Darebridge, Stratos City Ihre Augen huschten panisch zwischen Black und dem Ausgang der Seitenstraße hin und her. Wie hatte er sie so schnell wiedergefunden? Er war nicht in der U-Bahn gewesen. Er war verdammt noch mal nicht da gewesen! Aria versuchte sich einen Plan auszudenken, wie sie ihm entkommen konnte. Doch in ihrer derzeitigen Situation fiel ihr nur eines ein. Und das klappte wahrscheinlich sowieso nicht, da er sie die ganze Zeit nicht aus den Augen ließ. „Ich muss sagen, du bist echt hartnäckig“, begann Black wieder zu sprechen, doch sie ignorierte ihn. Er konnte sagen, was er wollte, sie würde nicht nachgeben. „Warum lässt du dich nicht einfach nach Hause bringen und obliviieren? Dann bist du raus aus der Sache.“ Aria hatte aufgehört zu zappeln, da es eh nichts gebracht hatte und überlegte angestrengt, wie sie ihn von sich bekommen konnte. Was faselte er da eigentlich? Raus aus der Sache, von wegen. Sie hatte ja gar nicht vor raus aus der Sache zu sein, nicht nachdem sie mitbekommen hatte, was sich hinter dem Namen „Rebellen von Einall“ verbarg und vor allem wer. Auf keinen Fall würde sie ihn einfach damit davonkommen lassen, dass Black Parker ihr ihre Erinnerungen stahl und dann weiter irgendwelche komischen Pläne schmiedete. Nicht, wenn sie es verhindern konnte. Ein Streifenwagen fuhr vorbei und lenkte sowohl ihre als auch Blacks Aufmerksamkeit für einen Moment auf sich. Sie hatte Glück. Aria schluckte. Jetzt oder nie. Ihre Idee war wahrscheinlich eher lebensmüde als hilfreich, doch sie wartete einen weiteren Moment der Unachtsamkeit von Black ab, dessen Aufmerksamkeit noch kurz dem Auto galt, dann biss sie ihm in die Hand, die immer noch über ihrem Mund lag. Gleichzeitig hob sie ihr Knie und rammte es ihm so stark sie konnte zwischen die Beine. Und dann rannte sie. Die Gassen waren rutschig vom Regen und Schnee und Aria musste aufpassen, dass sie nicht ausrutschte. Sie hörte Black hinter sich fluchen. Plötzlich war sie ihrer Turnlehrerin dankbar, dass sie sie so viel laufen ließ. Aria schlitterte um die nächste Ecke und um die danach. Wenn sie eins von ihren Verfolgungsjagden durch Stratos City an der Seite der Eastside Ravens gelernt hatte, dann zwei Dinge: nimm jede Ecke, die du kriegen kannst und blicke nicht nach hinten. Und genau das tat sie auch. Black musste unmittelbar hinter ihr sein, sie hörte seine Schritte auf dem matschigen Stein. Aria suchte verzweifelt nach einem Weg aus diesem Labyrinth aus Gassen zu entkommen und auf die größeren Straßen zu gelangen. Wenn Black sie hier fing, würde niemand etwas davon merken. Ihre Gedanken rasten, ihr Atem ging flach und sie hörte nur noch die Schritte hinter sich. Mülltonnen. Sie hechtete an ihnen vorbei und riss zwei davon im Vorbeirennen um. Aria wusste nicht, wie sie es schaffte, dass Black sie immer noch nicht eingeholt hatte, doch es musste wohl an ihrem kleinen Vorsprung und ihrer Ortskenntnis liegen. Und an dem Adrenalin, dass durch ihren Körper gepumpt wurde. Sie sah Licht am Ende der Straße und lief noch ein wenig schneller. Gleich war sie aus der Dunkelheit raus und hoffentlich waren ein paar Leute auf der Straße. Es war, als könnte sie Blacks Atem im Nacken spüren, doch sie schüttelte das Gefühl schnell wieder ab und schlitterte auf die Hauptstraße hinaus. Der breite Fahrstreifen war hell erleuchtet und Bäume säumten die Parkbuchten an den Seiten. Aria rannte über die Straße, ohne sich umzusehen. Sie hatte Glück, dass das Auto erst wenige Sekunden später um die Ecke bog und sie verfehlte. Aria rannte weiter. Harlem war nicht besonders groß und bot neben den Gassen und Seitenstraßen nicht viele Möglichkeiten sich zu verstecken. Sie blickte doch nach hinten und konnte Black erkennen, der nur wenige Meter hinter ihr über die Straße rannte. Er war so verdammt nah, dass sie einen kleinen erstickten Schrei unterdrücken musste. Konzentriere dich Aria, schalt sie sich selbst und richtete den Blick dann wieder nach vorne. Es war besser, sie würde sich nicht erwischen lassen. Warum war niemand auf den Straßen unterwegs, wenn sie ihn brauchte? Es war doch gerade mal sieben Uhr! Aria sprang über einen kleinen Zaun und verlor für einen Moment das Gleichgewicht, da sie ihre Arme nicht zum Ausbalancieren benutzen konnte, fing sich aber wieder und setzte ihren Weg fort. Sie waren in einem kleinen Park und das Gras war rutschig unter ihren Schuhen. Bloß nicht ausrutschen. Und endlich konnte sie jemanden erkennen. Es war eine Gruppe von etwa fünf Leuten, die um eine der Parkbänke herumsaßen. Durch das Licht der Laterne, die direkt daneben stand, konnte Aria deutlich den blauen Raben auf ihren Lederjacken erkennen. Die Ravens. Sie warf erneut einen Blick nach hinten. Black war so nah, dass er fast nach ihr greifen konnte und er legte noch einmal an Tempo zu. „Hilfe!“, schrie Aria und hoffte damit die Aufmerksamkeit der Gangmitglieder auf sich zu lenken, die bisher nur einmal in ihre Richtung geblickt hatten, sich dann aber wieder ihrem Kartenspiel zugewandt hatten. Keine Reaktion. Also versuchte sie es erneut und rannte direkt auf die kleine Gruppe an der Bank zu. Aria spürte, wie Blacks Finger kurz an ihrer Kapuze rissen, dann krachte sie auch schon in einen der Männer hinein, die neben der Bank standen. Aria krachte zu Boden und spürte ihre Knie über die Steine schaben. Sie saß in der Mitte des kleinen Kreises der Gangster und blickte panisch um sich. Black, der vermutlich genauso verdutzt war, wie die Gangmitglieder, war stehen geblieben und betrachtete die kleine Gruppe. „Verdammt, was soll die Aktion, Mädchen! Kümmere dich selbst um deine Angelegenheiten“, fuhr einer der Ravens Aria an. Es war ein Teenager mit kurzen, schwarzen Haaren und grimmigen Gesichtsausdruck. Sie hörte seine Worte nur halb, da sie immer noch zu sehr auf Black fixiert war, der bis jetzt noch keinen Versuch gemacht hatte, sie aus der Mitte der Gangster herauszuholen. Doch sie fühlte sich noch nicht sicher. Ein anderer Raven kniete sich zu ihr hinunter und sie erkannte den roten Bart und die silberne Kreuzkette um seinen Hals nur zu gut. Falcon. „Sei still, Babyface“, begann Falcon mit ruhiger Stimme. Aria hätte über den Spitznamen wohl gelacht, wenn sie nicht gerade um ihr Leben gerannt wäre. „Du bist doch das Mädchen, das die gute alte Ellis immer mitgebracht hat. Aria ist dein Name, oder?“ Aria nickte leicht, immer noch zu sehr außer Atem, um zu sprechen. Ihr Blick haftete noch immer auf Black. „Hey, du da!“, wandte sich Falcon dann an eben diesen. „Gibt es ein Problem, dass du jemanden aus unseren Reihen in unserem Revier jagst?“ Black schien unschlüssig, was er tun sollte. Er würde es nicht mit fünf Leuten gleichzeitig aufnehmen können, ohne seine Identität zu offenbaren. Aria robbte ein Stück zurück. Wenn die Ravens sie weiter in Schutz nahmen, hätte sie es geschafft und wäre Black entkommen. „Nein, alles gut. Ich will keinen Ärger“, antwortete Black und hob beschwichtigend die Hände. Sein wütender Blick galt dabei einzig und allein Aria. Sie konnte ihn wegen der Sonnenbrille nicht sehen, wusste aber nur zu gut, dass er sie ansah, als würde er ihr gleich den Kopf abreißen. „Gut, dann mach, dass du verschwindest“, erwiderte Falcon und Aria konnte ein Messer in der Hand des Mannes neben ihm aufblitzen sehen. Black schien mit sich zu ringen. Schließlich trat er einen Schritt zurück, drehte sich um und ging davon. Aria atmete erleichtert aus und ihr kamen fast die Tränen. Sie war Black Parker entkommen! Sie spürte immer noch die neugierigen Blicke der anderen Ravens auf sich, doch es kümmerte sie nicht. So etwas nannte man dann wohl Glück im Unglück. „Willst du uns erzählen, was der Typ da von dir wollte?“, sprach Falcon und kniete sich abermals zu Aria hinunter. Sie war ihm unendlich dankbar, dass er ihr geholfen hatte. „Keine Ahnung, wer das war. Er hat mich plötzlich angefallen, als ich aus der U-Bahn gestiegen bin und hat irgendwas von ‚jetzt hab ich dich endlich‘ oder so gefaselt“, log Aria außer Atem und blickte dabei in die Richtung, in die Black verschwunden war. Sie wusste nicht, weshalb sie die Leute, die sie gerettet hatten, nun anlog und Blacks Identität verschwieg, doch es erschien ihr besser, wenn nicht jeder um den Flüchtling Bescheid wusste. „Komischer Typ“, bemerkte die Blonde neben Falcon. Aria erkannte sie als Cherry, eine gute Freundin von Ellis. „Du wolltest bestimmt zu Ellis, oder? Ich kann dich hinbringen.“ Aria nickte dankbar und rappelte sich dann auf. Sie war schmutzig und nass und ihre Fesseln schmerzten, doch ihre Jacke war auf wundersame Weise noch da. Cherry führte sie aus dem kleinen Kreis heraus und steuerte in Richtung Hamilton Alley. Ein weiterer Raven folgte ihr, doch Aria kannte ihn nicht. Wahrscheinlich hatte Falcon ihn mitgeschickt. Sie schwiegen, während sie durch die Straßen von Harlem gingen. Aria bemerkte Cherrys besorgte Blicke, die sie ihr immer wieder zuwarf, hielt sich aber daran sie zu ignorieren. Sie wollte nicht über ihr Aufeinandertreffen mit den Rebellen reden. Es dauerte nicht lange, bis das rote Backsteinhaus mit der auffälligen grünen Feuertreppe in Sicht kam, in dem Ellis van der Wood lebte. Die beiden Ravens brachten Aria noch bis zur Tür und sie versicherte ihnen, dass alles in Ordnung war und dass sie einen Schlüssel hatte. „Okay. Grüß Ellis von mir“, verabschiedete sich Cherry und stieg dann die Treppen hinunter, die zur Haustür führten. „Werde ich. Danke noch mal und sag auch Falcon danke von mir. Ihr habt was gut bei mir“, sagte Aria und schloss die Haustür auf. Als sie in den dunklen Flur trat und die Tür hinter sich schloss, sank sie kraftlos an dieser hinunter. Ihr Herz schlug immer noch rasend schnell und sie fühlte sich, als müsste sie sich gleich übergeben. So viel Angst hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Doch was viel wichtiger war: Was würde sie jetzt tun, da sie den Rebellen für den Moment entkommen war? * Es hatte nicht lange gedauert, bis Ellis ihr aufgemacht hatte, sie entgeistert angesehen und sie dann in die Küche gescheucht hatte. Sie hatte kein Wort geredet, bis der Wasserkocher ausgegangen war und sie zwei Tassen Zitronentee aufgegossen hatte. Erst dann war sie, an den Küchentisch gelehnt, vor Aria stehen geblieben und hatte diese fordernd angesehen. Aria blickte ein wenig verunsichert in das Gesicht ihrer besten Freundin, die die Augenbrauen verärgert zusammengezogen hatte, während sie Aria deutlich musterte. „Was ist mit dir passiert, dass du plötzlich hier auftauchst und aussiehst, als wärst du durch die ganze Kanalisation gejagt worden?“, erhob Ellis dann die Stimme und der konzentrierte Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ nach. „Hast du deine Nase wieder in Dinge gesteckt, die dich nichts angehen?“ Aria wusste, worauf sie anspielte. Es war nicht selten vorgekommen, dass Aria sich auch nach Ellis „Austritt“ aus den Ravens in Gangangelegenheiten eingemischt hatte, die nicht immer nur die Eastside Ravens betrafen. Sie wollte dafür sorgen, dass New Castelia eine gangsterfreie Zone blieb, so wie es seit der Erbauung des Distrikts der Fall war. Keine der vier großen Stratos-Gangs sollte es für sich beanspruchen, da ansonsten wieder Revierkämpfe ausbrechen würden. Und somit hatte sie, wie Ellis es immer nannte, ein wenig „herumgeschnüffelt“ und hatte dabei eine kleine Menge über die Ganggeschäfte der ansässigen Gangs herausgefunden. Was sie dann der Polizei gesteckt hatte, da sie als normale Zivilistin nicht viel mehr machen konnte, ohne Stress mit den Gangstern zu bekommen. Aber das sie es im Westen mit dem Weißen Drachen, der aggressivsten Gang von Stratos City, zu tun hatte, die sich auch gerne mit der Polizei anlegten und Streit suchten, war bei ihren Versuchen, New Castelia vor ihnen zu bewahren, nur wenig herausgekommen. Trotzdem hatte sie keine Lust, dass man auch in New Castelia nicht mehr nach zehn Uhr allein auf die Straße gehen konnte, nur weil da irgendwelche Hooligans unterwegs waren. Und solche Verfolgungsjagden, ähnlich der mit Black, hatte sie sich schon mit kleineren Großstadtgangstern geliefert, die plötzlich nach Macht in New Castelia strebten. Doch dieses Mal hatte sie ein viel größeres Problem, als ein paar Typen, die sie beim sprayen an ihren Quartieren erwischt hatten. Sie hatte die Rebellen am Hals und die waren meilenweit entfernt von ungefährlich. Sie zuckte mit den Schultern. „Nur irgendein Irrer, der mich wohl entführen wollte. Die Ravens haben mir geholfen. Falcon und Cherry waren dabei.“ Ellis massierte sich den Nasenrücken. Aria wusste, dass sie es nicht guthieß, wenn sie sich in die kriminelle Szene von Stratos City einmischte, auch wenn sie selbst noch ein passives Mitglied der Ravens war. „Dann hast du noch einmal Glück gehabt. Irgendwelche Zeichen, die du erkannt hast? War er aus dem Westen?“ „Nein. Keine Ahnung, er gehörte jedenfalls zu keiner Gang, die ich kenne“, antwortete Aria. Außer seinem Gesicht hatte er kein Zeichen bei sich, fügte sie noch im Stillen hinzu. Sie wagte es nicht einmal, ihrer besten Freundin von ihrem Zusammenstoß mit den Rebellen und der darauffolgenden Entführung zu erzählen. Es war wie eine Blockade, die kein Wort über die Organisation über ihre Lippen kommen ließ. Aria schob es auf ihre erst einige Minuten zurückliegende Flucht und ihre Angst vor dem, was nun passieren würde. Stratos City war nicht mehr sicher für sie. Aria ging nicht davon aus, dass Black seine Suche einfach so aufgeben würde und wenn sie Pech hatte, würde Lauro noch mehr Rebellen nach Stratos City schicken und nach ihr suchen lassen. Sie musste die nächsten Wochen und den Rest ihres Lebens irgendwie überstehen, ohne, dass sie sie fassen konnten. Bis sie die Rebellen enthüllen konnte oder Team Plasma sich dazu entschied, endlich etwas zu unternehmen. Ellis wirkte immer noch ein wenig skeptisch, beließ es aber dabei und gab Aria eine der beiden Teetassen. „Ich würde sagen, du schläfst heute hier. Ich werde Luke Bescheid sagen, damit er sich keine Sorgen macht. Und du…geh am besten duschen. Du siehst schrecklich aus.“ Erst jetzt bemerkte Aria das Brennen in ihren Knien und die blauen Flecken an ihren Ellenbogen und Schürfwunden an ihren Händen, mit denen sie sich an den Mauern der Seitenstraßen abgefangen hatte, während sie versucht hatte, auf dem rutschigen Boden nicht auszugleiten und hinzufallen. Ihre Schuhe waren braun und matschig und ihre Hose hatte kleine Löcher an den Knien. Außerdem rieselte bei jeder Bewegung Sand aus Arias Kleidung, den sie versuchte auf dem Tisch mit den Handflächen zusammenzufegen. Sie blickte unsicher zu Ellis hoch, die ihren kleinen Sandhaufen mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. „Und die Klamotten lässt du bitte im Flur“, merkte sie an, dann ging sie aus der Küche und ließ ihren Tee nicht angerührt stehen. Aria nahm seufzend einen Schluck von ihrem und verbrannte sich die Zunge. Heute war echt nicht ihr Tag. Nach kurzem Überlegen stand sie ebenfalls auf und trottete in den Flur, um sich auszuziehen. Zuerst entledigte sie sich ihrer Schuhe, die nasse Abdrücke auf dem Parkett hinterließen, dann zog sie ihre Jeansjacke unter ihrem Pullover hervor. Sand rieselte zu Boden. Da sie nun wusste, dass die Rebellen ein Quartier – sie vermutete stark, es gab noch mehr als bloß das eine in der Wüste – im Wüstenresort hatten, was nicht sehr weit von Stratos City war, hatte sie zumindest einen Anhaltspunkt. Aria war sich sicher, dass hinter dem, was heute in der Stratos Bank geschehen war, mehr stecken musste, als bloß ein Überfall, um Geld zu beschaffen. Es musste sich etwas Wertvolles in dem Gebäude befinden, das die Rebellen unbedingt brauchten, wenn sie sich so nah an Team Plasma heranwagten. Sie musste nur noch herausfinden, was. Kurz glitten Arias Gedanken zu ihrem Zwillingsbruder, der wahrscheinlich schon zu Hause war und sich fragte, wo sie blieb. Ihr Handy. Aria wühlte in ihrer Jacke nach dem Gerät und konnte es sicher in einer der Innentaschen finden. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Zum Glück war es nicht verlorengegangen, so wie ihre Tasche, wie sie bemerkte. Darüber hatte sie gar nicht nachgedacht, doch jetzt, da sie außer Gefahr war, fiel ihr auf, dass ihr Schultasche wohl schon seit der Entführung durch die Rebellen nicht mehr bei ihr war. Sie musste sie auf dem Central Place verloren haben. Vielleicht hatte die Polizei sie ja gefunden und die wussten nun, dass sie entführt worden war. Dann wäre wenigstens eine Suchaktion gestartet worden, wenn Aria Black nicht allein entkommen wäre. Wenn die Polizei oder Team Plasma ihre Entführung bemerkt hatte, würden sie den Fall ganz sicher nicht so einfach fallen lassen, wie alles andere, was mit den Rebellen in Verbindung gebracht werden konnte. Und dann würde das Quartier in der Wüste früher oder später entdeckt werden müssen. Aria musste lächeln. Sie wäre nicht Aria Connor, wenn sie die Rebellen einfach so damit davonkommen lassen würde. Auch nicht, wenn sie innerlich vor dem Bevorstehenden zitterte. * 15:23 Uhr, Fr. 22.02. Midtown, Stratos City White runzelte die Stirn. Ihr Blick huschte immer wieder zwischen dem Bankdirektor und den Zetteln, die er ihr gegeben hatte, hin und her. Das war mehr als merkwürdig. „Sie sind sich sicher, dass wirklich nichts gestohlen wurde? Einbrecher gehen selten ohne etwas, vor allem nicht, wenn sie so professionell vorgehen, wie hier beschrieben“, bemerkte sie und deutete auf das Geschriebene. „Vielleicht gab es eine zweite Gruppe, die am Einbruch beteiligt war.“ Eine Ahnung machte sich in ihr breit. Das hier war kein normaler Einbruch gewesen, nicht, wenn sich der Dunkelstein in der Stratos Bank befand. Die Rebellen hatten ihre Chance also wirklich genutzt. „Nein, es ist alles an seinem Platz. Sowohl das Geld, als auch der Dunkelstein. Die Gruppe ist in den Tresorräumen gefunden worden, bevor sie irgendwelche Aktionen starten konnte. Dann sind sie leider geflüchtet“, antwortete der rundliche Mann und betrachtete besorgt ihren beunruhigten Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich fürchtete er irgendeine Strafe. White seufzte und ließ den Stapel Blätter sinken. „Und Sie sagen, dass ihr Spur in der Kanalisation verschwand?“ „Ja spurlos. Die Rüpel haben nichts mehr von ihnen gefunden. Wie ein Geist.“ Wieder seufzte sie leise. Zum Glück war nichts abhandengekommen und der Stein noch da. Wenigstens das konnte sie G-Cis erzählen, wenn sie sich wieder eine Standpauke anhören musste, dass die Rebellen jetzt schon in ein hochgesichertes Gebäude wie die Stratos Bank eindringen konnten. Vielleicht würde ihn der Fakt, dass alles noch an seinem Platz war, etwas milde stimmen. Sie hoffte es zumindest. Es war schlimm genug, dass sie sich jetzt damit herumschlagen musste, dass keine falschen Informationen an die Öffentlichkeit gelangten und diese ganze Rebellengeschichte nicht publik gemacht wurde. Da brauchte sie nicht auch noch G-Cis, der ihr im Nacken saß. „Gut. Ich werde das weiter untersuchen und Sie über das weitere Verfahren mit dem Dunkelstein in Kenntnis setzen. Achten Sie vorerst darauf, die Presse zu beruhigen“, sagte White, schüttelte noch einmal kurz die Hand des Bankdirektors und machte sich dann auf den Weg nach draußen. Sie verschwand im Treppenhaus und machte sich auf den Weg nach oben, wo ein Hubschrauber auf sie wartete. Der junge Mann neben ihr schwieg und hielt ihr bloß die Türen auf. White hatte es schon immer gehasst, dass die Rüpel sie begleiteten, auch wenn es manchmal hilfreich war. G-Cis sagte immer, dass es zu ihrem eigenen Schutz war, doch sie wusste, was wirklich dahintersteckte. Überwachung. Er traute ihr genauso wenig, wie sie ihm und deshalb ließ er sie auch nie allein irgendwo hin. Die Tür nach draußen machte White selbst auf, vielleicht ein wenig zu energisch und trat dann hinaus aufs Dach. Der Wind rüttelte an ihrem Mantel und sie zog ihren Schal enger um sich, bevor sie darauf wartete, dass ihr die Tür geöffnet wurde. Der schwarz gekleidete Rüpel, der zu ihrem Schutz abbestellt war, verschwand im Cockpit, sodass White allein dem sorgenvollen Blick der Muse, die auf einem der hinteren Sitze saß, ausgesetzt war. White ignorierte den Rüpel, der ihr beim Einsteigen helfen wollte und setzte sich neben Anthea. Sie zog den Gurt fest und bedeutete dem Piloten abzuheben. Dann setzte sie sich den Lärmschutz auf. Es herrschte unangenehmes Schweigen im Helikopter und White starrte aus dem Fenster. Sie hatte fliegen schon immer gehasst. „Und?“, fragte Anthea über den Lärm hinweg, die sich anscheinend nicht mehr an sich halten konnte, nachdem sie schon eine Weile in der Luft waren. Gerade zog der Weiße Wald unter ihnen vorüber und White betrachtete nachdenklich die hohen Bäume. Dann sah sie die Muse an. „Es ist alles noch da. Die Rebellen wurden erwischt, bevor sie starten konnten, was auch immer sie vorhatten“, berichtete White und wandte dann den Kopf wieder zum Fenster. „Ich wusste, dass es eine schlechte Idee war, die Gala so nah beim Stein abzuhalten...“ „Die Rebellen? Bist du dir sicher, dass sie es waren?“, hakte Anthea nach. „Wer denn sonst? Sie waren bestimmt hinter dem Dunkelstein her, warum sonst sollte jemand in die Stratos Bank einbrechen, wenn es noch zig andere Banken in Stratos City gibt?“, gab White zurück und betrachtete unzufrieden ihre Hände. Dass sie es so nah an den Stein heran geschafft hatten, gab ihr zu denken. „Du hast Recht. Aber na ja, es war nun mal das 50. Jubiläum, was sollen wir da schon machen? Und es ist ja glücklicherweise noch alles da“, stellte die Muse beschwichtigend fest, doch sie konnte White nicht beruhigen. Es war schließlich nicht sie, die dafür hätte herhalten müssen, wenn der Stein gestohlen worden wäre. „Und wie wird jetzt weiter mit dem Stein verfahren?“ „Ich werde versuchen, G-Cis davon zu überzeugen, dass er ihn ins Schloss bringen lässt. Dort ist er momentan am sichersten.“ „Das wäre für den Moment die beste Lösung, das stimmt. Aber du weißt, dass G-Cis nicht will, dass der Stein so nah bei dir ist“, warnte Anthea und strich sich eine magentafarbene Haarsträhne aus den Augen. White schnaubte kurz und drehte sich zu ihr. Sie konnte die beiden Musen, seit sie im Schloss war nicht besonders gut leiden, weil sie nichts gegen G-Cis unternahmen, wo sie doch deutlich ihr Unbehagen bei seinen Plänen spüren konnte. Der einzige Grund, weshalb sie bisher auf sie gehört und ihnen vertraut hatte, war, dass sie momentan ihre einzigen Verbündeten waren und dass sie sich in seiner Kindheit um N gekümmert und ihn vor G-Cis bewahrt hatten. Ansonsten konnten sie ihr genauso gestohlen bleiben, wie der Rest von Team Plasma. White war schließlich nicht hier, weil sie plötzlich anfangen wollte, G-Cis Ideale anzupreisen. Es kostete sie auch nach zehn Jahre immer noch einiges an Überwindung, jeden Morgen in diesem verdammten Schloss aufzuwachen. „Mir ist egal, was G-Cis will und was er nicht will. Es geht hier um die Verwirklichung seines Plans und das ist nun einmal der einzige Weg, den Stein sicherzustellen. Das wird er einsehen müssen“, sagte sie. „Außerdem ist es irrelevant, ob sich der Stein in meiner Nähe befindet oder nicht. Zekrom hat mich aberkannt, es wird nicht zu mir zurückkehren, da muss er sich keine Sorgen machen.“ Anthea schwieg. White beobachtete noch einen Moment ihren nachdenklichen Gesichtsausdruck, dann wandte sie sich ab. Unter ihnen lag schon die Siegesstraße. Das Höhlensystem war verwahrlost, nachdem nun keine Trainer mehr auf Herausforderer der Pokemonliga warteten oder zu eben jener gelangen wollten. Selten kam kaum noch jemand hier vorbei und es wimmelte von wilden Pokemon, die sehr vehement ihr Revier verteidigten. White hatte mitbekommen, dass G-Cis einen Trupp Rüpel losgeschickt hatte, vor nicht allzu langer Zeit, um das Gelände auszukundschaften und nach möglichen Stützpunkten der Rebellen zu suchen. Lediglich einer der fünf Männer kam zurück und auch er war verwundet. Er berichtete von einem Angriff eines Schwarms wilder Fermicula, die über sie herfielen. Es war schrecklich gewesen, ihn zu sehen und seine Geschichte zu hören. Aber noch schrecklicher war das, zu was Team Plasma die Pokemon gemacht hatte. Zu wilden Bestien, die Menschen hassten und sie angriffen. Natürlich war es auch schon vor der Befreiung der Pokemon dazu gekommen, dass wilde Pokemon Menschen angegriffen hatten und natürlich waren sie wild und manche den Menschen feindselig gesinnt gewesen. Doch das alles hatte niemals das Ausmaß, das es jetzt hatte. Es schien, als hätten die Pokemon endgültig ihren Glauben in die Menschen verloren. White dachte an ihren Gang durch die Siegesstraße zurück. Sie hatte sich mit allerhand Trainern und wilden Pokemon herumschlagen müssen, ihre Pokemon und sie selbst hatten fast schlapp gemacht und kurz vor dem Ausgang hatte dann auch noch Cheren auf sie gewartet und gemeint, er müsse sie nach ihrem Marsch auch noch herausfordern. Sie hätte ihn dafür köpfen können. White dachte ungern an ihre Reise zurück. Zu viel war passiert und ihre alte Gruppe war auseinandergerissen worden von den Ereignissen. Sie hatten alle einen anderen Weg gewählt. Das Schicksal hatte es einfach nicht gut mit ihnen gemeint. White riss ihren Blick von dem Höhlensystem los und starrte in den Himmel. Sie durfte nicht daran zurückdenken. Das war Vergangenheit. Und sie hatte genug Probleme, mit denen sie sich in der Gegenwart herumschlagen musste. Dazu zählten nun auch die Rebellen, die es allem Anschein nun wirklich darauf anlegten, sich mit Team Plasma anzulegen. White lehnte sich zu Anthea herüber. Sie wollte nicht, dass einer der Rüpel vorne im Cockpit ihr Gespräch mitbekam. „Irgendetwas Neues?“ Die Muse schüttelte den Kopf. „Nein. Momentan führt G-Cis die Konferenzen nur mit den Sieben Weisen. N und ich sind nur selten dabei. Na ja, es könnte auch daran liegen, dass Natural viel damit beschäftigt ist, mit Reshiram nach den Top 4 zu suchen, die vor kurzem bei ihrer Verlegung nach White Forest entkommen sind. Astor und Anissa sind noch immer auf freiem Fuß.“ „Da ist doch irgendwas faul. G-Cis und seine verdammte Heimlichtuerei. Dass er nicht einmal dich mit einbindet“, Whites Ärger auf den zynischen alten Mann verstärkte sich nur noch. Er plante doch schon wieder irgendetwas. „Ich weiß es nicht. G-Cis ist manchmal sehr eigen, was seine Planung betrifft“, verteidigte Anthea ihren Vorgesetzten und Ziehvater. White erwiderte darauf nichts mehr. Das war einer der Gründe, weshalb sie die Musen ebenfalls nicht leiden konnte. Sie standen genauso hinter G-Cis, wie N es tat und das störte sie. Sollten sie doch machen, was sie wollten. Das Schloss kam in Sicht und White konzentrierte sich darauf, wie sie G-Cis den Raubversuch beibringen sollte, ohne dass er ausflippte. Sonst würde sie ihn niemals davon überzeugen können, dass er den Dunkelstein ins Schloss bringen ließ. * 15:46 Uhr, Fr. 22.02. Stratos Central Station, Midtown, Stratos City Die Menge strömte Richtung Haupteingang und Grace hatte Mühe, den Westausgang, Jordan und ihren Koffer gleichzeitig im Blick zu behalten. Menschen in Anzügen mit Koffern und Taschen und Touristen wuselten um sie herum und ließen sie nicht selten glauben, sie hätte ihren Partner im Getümmel verloren. Doch Jordan schien immer wieder seinen Weg zu ihr zurückzufinden. Zumindest darum musste sie sich keine Gedanken machen. Viel wichtiger war ihr Koffer, ohne den sie gleich wieder nach Hause fliegen konnte. Nach vier Stunden Flug und einer zweistündigen Zugfahrt von Marea City, war ihr nach noch mehr Stress gar nicht zumute und sie war froh, als sie endlich den Westausgang erreichten, der nicht an der Stratos Street, sondern einer wesentlich ruhigeren Seitenstraße lag. Grace wollte nur raus aus dem überfüllten Bahnhof, der aus allen Nähten platzte. Ihr fragender Blick galt Jordan, der neben ihr zum Stehen kam und sich auf der Straße umsah. „Das Taxi müsste hier irgendwo sein. Guck nach einem Schild mit ‚La Grande‘“, sagte er und suchte dann weiter den Straßenrand nach besagtem Fahrzeug ab. Grace blickte sich ebenfalls um und fand das Taxi ein Stück die Straße runter am Bordstein parken. Sie tippte ihren Partner an und deutete dann wortlos in die Richtung. Dann ging sie auf das Taxi zu. Der Fahrer wartete daneben und hielt halbherzig sein Schild mit dem Schriftzug „La Grande“ hoch, ließ es jedoch sinken, als er Grace und Jordan sah. Er nahm ihnen ihre Koffer ab und verstaute sie im Kofferraum, während Grace sich auf die Rückbank sinken ließ. Sie hatte seit sie in Sonnewik losgefahren waren, kein Auge zugemacht und hoffte, dass sie das Hotel so schnell wie möglich erreichten. Jordan nahm auf dem Beifahrersitz Platz und Grace war dankbar, die gesamte Rückbank für sich zu haben. Das Taxi setzte sich in Bewegung und Grace blickte aus dem Fenster. Stratos City war eine große Stadt, eine sehr große. Größer als Jubelstadt, der größten Stadt Sinnohs. Und obwohl sie selbst in einer Großstadt aufgewachsen war, war ihr der Koloss Stratos City nicht ganz geheuer. Vor allem da sie von einigen Agenten aus Einall viel über die Kriminalität innerhalb der Metropole gehört hatte. Es herrschte Schweigen im Taxi, denn weder Grace noch Jordan schienen das Bedürfnis zum Reden zu haben und sie war glücklich über ein wenig Stille. Die Kinder im Zug hatten sie noch ihren letzten Nerv gekostet. Der Stau, in dem sie nun standen, gab Grace Zeit zum Nachdenken. Wenn sie im La Grande angekommen waren, würde sie wahrscheinlich erst einmal schlafen, da ihr Jetlag wirklich schrecklich war und dann würde sie damit beginnen, sich über ihren Fall umzuhören. LeBelle hatte ihr genug Informationen gegeben, dass sie zumindest einen Anhaltspunkt hatte, den sie mit Giovanni in Verbindung bringen konnte. Die Gangs von Stratos City. Zwischen ihnen und dem ehemaligen Team Rocket Anführer bestand irgendeine Verbindung. Das hatte Grace nach stundenlanger Recherche herausgefunden und es war endlich ein Fortschritt in ihrer jahrelangen Suche. Ihr Blick glitt über die stehenden Autos und die vorbeiziehenden Menschen und sie fragte sich, wie die Menschen hier lebten. Sie hatte, wie alle anderen, genug davon gehört, dass Einall das Trainerdasein und die Verbindung zu Pokemon aufgegeben hatte, nachdem es einen Wechsel in der Regierung gegeben hatte. Einzelheiten waren jedoch nicht bekannt und bisher hatte es Grace auch nicht gestört, so normal ihr das Leben mit Pokemon auch vorkam. Sie betrachtete ihre eigenen sechs Pokebälle an ihrem Gürtel. Wenn sie ihre Pokemon abgeben müssten, hätte sie ein ziemliches Problem. Doch da sie und Jordan undercover in Einall unterwegs waren, müsste sie wohl auf ihre Freunde verzichten. Jedenfalls solange sie in der Öffentlichkeit war. Grace blickte wieder nach vorne. Jordan Lancster war vor nicht allzu langer Zeit ihrem Ermittlungsteam im Fall Giovanni Cicalla zugeteilt worden und hatte sich bisher nur als nützlich erwiesen. Wie sie selbst stammte er aus einer Polizei-Familie, seine beiden Eltern waren ebenfalls in der Internationalen Polizei und er war ihrem Beispiel gefolgt. Das Einzige, was Grace noch mehr an ihm störte als seine Art, die Dinge spontan anzugehen, war, dass er sich ihr gegenüber irgendwie überlegen sah. Ja, sie war gerade einmal zwanzig Jahre alt und viele in der Internationalen Polizei zweifelten oft an ihr. Doch sie konnte auf sich selbst aufpassen und das hatte sie mehr als einmal bewiesen. Warum sonst, sollte LeBelle sie mit diesem Fall betrauen? Grace hatte nicht bemerkt, dass sie frustriert die Stirn gerunzelt hatte, bis sie ihr Gesicht wieder entspannte. Solange sie ihren Job machen konnte, war alles in Ordnung. Dafür war sie schließlich hergekommen. * Der Wagen hielt abrupt und riss Grace somit aus ihrem Dämmerzustand. Grace sah sich überrascht um und stellte fest, dass sie auf der Fahrt wohl eingenickt sein musste. Jetzt standen sie auf einem riesigen Platz vor einem pompösen Hotel mit weißer Außenwand. Sie blinzelte ein paar Mal gegen die untergehende Sonne, die die Straße in ein weiches Rot tauchte, richtete kurz ihren silbernen Dutt, dann stieg sie aus. Zuerst konnte sie weder den Taxifahrer, noch Jordan sehen und war unschlüssig, was sie nun tun sollte, da sie allein neben dem Taxi stand. Doch dann hörte Grace es Rumpeln und sie konnte den Fahrer sehen, der gerade ihren Koffer aus dem Kofferraum hievte. Sie blickte wieder zum Hotel, an dessen Front in großen goldenen Buchstaben der Schriftzug La Grande prangte und fragte sich unwillkürlich, warum sie noch mal in so ein dermaßen aufwendiges und teures Hotel ziehen wollten. Zum Glück wurde ihr Aufenthalt von der Internationalen Polizei bezahlt. Grace machte sich auf den Weg zum Eingang, den ein Band von vorbeieilenden Menschen von ihr trennte und quetschte sich vorsichtig durch die Menschenmenge. Direkt im Zentrum zu wohnen hatte wohl auch seine Nachteile. Sie schaffte es schließlich doch durch die große, mit Gold eingerahmte Tür und trat in die Lobby. Grace hatte ja schon vieles gesehen, doch ein so schickes Hotel noch nie. Die Decke lag einige Meter über ihrem Kopf und der Boden bestand aus poliertem Marmor. Überall waren purpurne Sitzgelegenheiten verteilt und in der Mitte des Raums stand sogar ein Springbrunnen. Den Blick von all dem Luxus losreißend, ging Grace zur Rezeption, wo sie Jordan sehen konnte, der gerade zwei Schlüssel gereicht bekam. „Miss Willows“, er reichte ihr einen davon mit einem Nicken, dann verschwand er wieder nach draußen zu den Koffern. Grace blickte ihm einen Moment nach. Er hielt sich wirklich an stark an die Decknamen und hatte sie noch kein einziges Mal mit ihrem richtigen Namen angesprochen, seit sie Einall betreten hatten. Eins musste man ihm lassen, er war wirklich sehr professionell. Sie folgte Jordan nach draußen und zog ihren Koffer ins Hotel, während ihr Partner den Taxifahrer bezahlte. In den kleinen goldenen Anhänger an ihrem Schlüssel war eine dunkle 538 eingraviert und nach einem kurzen Blick auf die Schilder neben den Fahrstühlen, wusste Grace, dass ihr Zimmer im 5. Stock lag. In diesem Hotel würden sie während ihrer Ermittlungen wenigstens ungestört sein und für die Leute hier galten sie als Geschäftsleute, die auf Geschäftsreise in Stratos City waren. Und da Giovanni in Einall nicht mehr bekannt war, als er in Kanto gesucht war, würde sich auch niemand wundern, wenn sie und ihr Partner ihn festnehmen würden, wenn die Zeit gekommen war. Doch jetzt musste sie sich erst einmal Gedanken um seinen derzeitigen Aufenthaltsort machen, bevor es dazu kommen konnte. Der Fahrstuhl kam mit einem Klingeln und Grace stieg allein ein. Sie drückte den Knopf zur 5. Etage und lauschte der Fahrstuhlmusik. Hoffentlich würde ihr Team dieses Mal erfolgreich sein und den Fall abschließen können, der schon seit über zehn Jahren bei LeBelle auf dem Schreibtisch lag. Das Zimmer war nicht weniger schick als der Rest des Hotels und Grace wunderte es auch nicht, als sie die Karte des Zimmerservices auf ihrem Bett liegen sah. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass sie direkt auf den Platz vor dem Hotel blicken konnte, den Milleniumsplatz. Grace ließ sich erschöpft aufs Bett fallen und schloss die Augen. Hoffentlich würden sie Giovanni endlich fangen. Ein Klopfen an ihrer Tür holte Grace erneut aus dem Traumland und sie versuchte nicht allzu genervt auszusehen, als sie Jordan die Tür öffnete. „Ich wollte nur sagen, dass wir uns heute Abend mal umhören sollten, was in Stratos City so vor sich geht. Ich würde sagen, wir treffen uns so um acht Uhr, wenn das für dich okay ist“, sagte Jordan, nachdem er wohl gemerkt hatte, dass sie nicht auf ein Gespräch aus war. Grace nickte. „Klingt gut.“ Dann schloss sie die Tür wieder und holte sich endlich ihren langersehnten Schlaf zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)