Wortgebilde von Yosephia ([Zirkel-Aufgaben / OS-Sammlung]) ================================================================================ Kapitel 3: Valentinsgeschenk - Ein besonderer Tag ------------------------------------------------- „Ich habe Leo für nächste Woche Dienstag abzugeben. Höre ich Gebote?“ Verdattert sahen die Freunde reihum. Selbst Gajeel blickte überrascht von seinem Hamburger auf, den er sich für die Pause beim wöchentlichen Basketballmatch besorgt hatte. Es kam immerhin nicht alle Tage vor, dass Natsu Dragneel sein heißgeliebtes Töchterchen feilbot. Für gewöhnlich würde Natsu sich auch lieber eine Hand abhacken, als länger als unbedingt nötig auf seinen kleinen Augenstern zu verzichten, aber an diesem Tag hatte er etwas Besonderes vor, da mussten Opfer nun einmal gebracht werden! „Hey, verschacherst du gerade meine Nichte?!“, empörte sich Sting und bedachte seinen Fast-Schwager mit einem finsteren Blick. „Nur für einen Tag“, wiegelte Natsu ab und sah in die Runde. „Also? Wer will?“ „Ein Baby reicht mir“, seufzte Lyon. Neben ihm schnaubte Gray gehässig. „Was denn, Superdaddy? Bist du etwa überfordert?“ „Darüber macht man keine Witze“, brummte Lyon missmutig. „Koliken sind Scheiße.“ „Okay, damit ist Lyon raus, höre ich weitere Gebote?“ Gray runzelte die Stirn. „Wieso willst du Leonida überhaupt weg geben?“ „Weil halt. Was ist mit dir?“ „Ich habe eine Prüfung an dem Tag.“ „Keine Zeit“, schob Gajeel hinterher und biss wieder in seinen Hamburger, als wäre damit alles gesagt. „Kommt ihr noch mal an, dass ihr Leo halten wollt!“, klagte Natsu und deutete theatralisch auf seine Freunde. „Das ist eine einmalige Gelegenheit, so ein süßes Kind gibt es nur einmal auf der Welt!“ „Ob ich Leo halten darf oder nicht, entscheidet letztendlich Lucy, nicht du“, erwiderte Gray triumphierend. Natsu zog einen Flunsch. Da hatte sein bester Freund leider Recht. Zu dumm aber auch, dass Gray auch gleichzeitig Lucys bester Freund war. Eigentlich war das ja gut, so waren sie sich immerhin sofort einig gewesen, wer der Pate für ihre gemeinsame Tochter sein sollte, aber jetzt gerade untergrub das eindeutig Natsus Autorität! Hilfe suchend wandte Natsu sich an Loke, der jedoch mit einem ahnungsvollen Lächeln den Kopf schüttelte. „Tut mir Leid, aber ich habe an dem Tag schon etwas vor.“ „Dann nehme ich Leonida“, erklärte Sting und bedachte Natsu mit einem dieser Großer-Bruder-Blicke. „Bevor du sie noch auf dem Wochenmarkt versteigerst…“ „Fiese Unterstellung!“ „Du hast sie gerade wie ein Pferd bei einer Auktion angeboten“, mischte Gray ein. „Gar nicht wahr! Da erweise ich euch schon mal so einen Vertrauensbeweis und ihr Banausen…!“ „Ja ja“, mampfte Gajeel und stopfte sich den Rest seines Hamburgers in den noch halbvollen Mund, ehe er aufstand und wieder nach dem Basketball griff. Noch immer schmollend sprang Natsu ebenfalls auf, um sich noch mal aufzulockern. Auch wenn es nur freundschaftliche Drei-gegen-Drei-Spiele waren, die sie während der kalten Jahreszeit in der Uni-Sporthalle abhielten, waren die wöchentlichen Basketballtreffen mit seinen Freunden doch ganz schön fordernd. Genau das, was Natsu als Ausgleich zu seinem eher auf Ruhe und Sorgfalt basierenden Job brauchte, auch wenn er ihn noch so sehr liebte. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Loke sich an Sting wandte. „Bist du dir sicher, dass du Leonida an dem Tag zu dir nehmen willst?“ „Klar, warum nicht? Ich kann mir frei nehmen und Rogue wird es auch auf andere Gedanken bringen, der macht sich unnötig Sorgen, wie seine Prüfung ausgegangen ist.“ „Ich meine ja nur…“ Bevor Loke weiter reden und damit alles verderben konnte, luchste Natsu Gajeel den Ball ab und stieß diesen mit einem lauten Ruf in Stings Richtung. Wie es nicht anders zu erwarten war, reagierte der Blonde einwandfrei und fing den harten Pass problemlos auf. „Auf die Art bedankst du dich also bei mir?“, rief Sting und sprang übermütig auf die Beine. „Derjenige, der sich bei mir dafür bedanken muss, dass er auf das hübscheste Baby aller Zeiten aufpassen darf, bist ja wohl du!“, lachte Natsu triumphierend. Zwar sah er noch, wie Loke resigniert den Kopf schüttelte, aber das machte jetzt auch nichts mehr. Er hatte Sting an der Angel und damit war die wichtigste Frage für den nächsten Dienstag geklärt. Jetzt stand seinem Plan nichts mehr im Wege! *~*~*~* „Drei Könige, zwei Damen!“ Mit einem überheblichen Grinsen warf Minerva ihre Karten auf den Tisch und zog dann den Gewinn zu sich, bestehend aus Butterkeksen und Schokopralinen in Herzform, die Yukino gestiftet hatte, weil sie ihr angeblich misslungen seien. Dabei sahen sie in Rogues Augen vollkommen in Ordnung aus, aber dieses Urteil hatte seine langjährige Nachbarin mit einem ungewöhnlich wilden Funkeln in den Augen und den Worten, dass sie perfekt werden mussten, vom Tisch gewischt. Darauf hatte er lieber nichts mehr erwidert. Wer war er, dass er sich mit Yukino über die Form von Schokopralinen stritt? „So viel Glück kann man doch gar nicht haben!“, meckerte Sting, dessen Pott endgültig leer war. Auch Orga und Yukino mussten die Segel streichen und Rogue und Rufus besaßen jeder nur noch ein paar Kekse. Einzig und allein Dobengal war noch gut aufgestellt und tat sich ungerührt an einem Keks gütlich. „Pures Können“, erwiderte Minerva und schob sich eine der Schokopralinen in den Mund. „Angeberin!“ „Schlechter Verlierer.“ „Das wärst du an meiner Stelle auch bei diesem Einsatz!“ „Ich könnte euch ja noch mehr Pralinen geben?“, schlug Yukino friedensstiftend wie eh und je vor. „Meinst du nicht, dass du in den letzten Tagen schon lange genug in der Küche gestanden hast?“, hielt Minerva gedehnt dagegen und verdrehte demonstrativ die Augen. „Dass du den Anblick von Schokolade überhaupt noch ertragen kannst…“ „Es ist nun einmal wichtig!“, begehrte Yukino ungewohnt leidenschaftlich auf. „Hä? Was ist wichtig?“, mischte Sting sich ein und auch Rogue blickte verwirrt zwischen seinen Freundinnen hin und her. Prompt waren sie das Ziel von fünf teils ungläubigen, teils amüsierten Blicken. Yukino sah beinahe so aus, als hätte Sting ein Verbrechen begangen, und Minervas Grinsen wurde immer breiter. „Sagt bloß, ihr habt vergessen, was am Dienstag für ein Tag ist?“, schnaubte Dobengal und verdrehte die Augen. „Seid ihr blind? Das wird doch auf jeder zweiten Werbetafel ausgeschlachtet!“ „Ich verstehe nur Bahnhof“, schmollte Sting und Rogue neben ihm schüttelte verwirrt den Kopf. Wenn er ehrlich war, hatte er in den letzten Tagen sowieso kaum auf seine Umgebung geachtet. Seit er vor zwei Wochen sein Staatsexamen abgelegt hatte, saß er wie auf glühenden Kohlen. Es war ihm ein Rätsel, wie Minerva so entspannt durchs Leben gehen konnte, obwohl sie doch genau wie er fiebrig auf die Ergebnisse warten musste. „Valentinstag!“, rief Yukino und klatschte in die Hände. „Der Tag der Liebe! Der Tag für Romantik und Candle Light Dinner und Herzen! Gerade ihr müsstet doch daran denken!“ „Oh…“, machte Sting neben Rogue und wurde erst rot und dann plötzlich bleich. „OH!“ Nur mit Mühe konnte Rogue sich ein Augenrollen verkneifen – er fürchtete, dass Yukino ihm ansonsten den Kopf abgerissen hätte. Er hatte den Valentinstag noch nie gefeiert. Auch dann nicht, wenn er sich zu dieser Zeit in einer Beziehung befunden hatte. Für ihn war das ein Tag wie jeder andere und dieser allgegenwärtige Zwang, an diesem Tag unbedingt etwas Besonderes zu machen, war ihm vollkommen unverständlich. Ein Freund hatte darüber sogar mit ihm Schluss gemacht. Alberner ging es kaum. „Das ist doch nicht zu fassen!“ Zutiefst empört sprang Yukino auf und deutete anklagend auf Sting und Rogue. „Das ist euer erster Valentinstag als Paar! Wie könnt ihr den nur vergessen?!“ „Sehen die Beiden aus, als würden die sich etwas daraus machen?“, meinte Minerva trocken und zog Yukino zurück auf ihren Stuhl. Orga und Dobengal schnaubten im Chor und Rufus nippte an seiner Bierflasche, um sein Schmunzeln zu verbergen. „Als ob ihr besser wärt!“, schoss Sting gleich zurück. Typisch. Für ihn galt in jeder Lebenslage das Motto Angriff ist die beste Verteidigung. „Ich gehe mit Flare in den Cirque des Titans und für das Abendessen hat sie etwas vorbereitet“, erklärte Dobengal gelassen. „WAS?! DU hast ein Date?!“, rief Sting so laut, dass es in Rogues Ohren klingelte. „Soll vorkommen“, erwiderte Dobengal giftig. Bevor Sting noch etwas Dummes sagen oder tun konnte, gab Rogue ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Sicherlich war Dobengal bisher geradezu das Paradebeispiel für den Ewigen Single gewesen, aber das mit Flare war doch nun wirklich keine große Überraschung. Die rothaarige Friseuse war schon seit einigen Monaten ein Thema bei Dobengal, auch wenn er es nie zugegeben hatte. „Kagura und ich gehen ins Aquarium und danach ins Mermaid Heel, ich habe einen der Logenplätze ergattern können“, warf Rufus ein, um die Wogen zu glätten. „Oha, du lässt dich wirklich nicht lumpen“, stellte Minerva fest. „Mann muss wissen, was ihm Frau wert ist“, erwiderte Rufus galant und Yukino seufzte hingerissen. Die Worte klangen so dahin geworfen, aber Rufus musste es tatsächlich verdammt ernst mit der jungen Schwimmlehrerin meinen, wenn er sich für sie Karten im berühmtesten Wasserballett Fiores leistete. Obendrein auch noch Logenplätze. Garantiert hatte Rufus auch gleich noch die Deluxe-Variante gebucht, bei der im Anschluss an die Vorstellung in derselben Loge ein Fünf-Gänge-Menü kredenzt wurde. Rufus Lore machte keine halben Sachen. „Ich habe ein Blind Date mit einer Freundin von Kagura“, erklärte Orga stolz. „Wir gehen im Fairy Tail essen und tanzen.“ „Das klingt großartig! Du musst uns beim nächsten Pokerabend alles erzählen!“, rief Yukino begeistert und klatschte mit leuchtenden Augen in die Hände. „Sicher. Und was machst du?“, fragte Orga grinsend. „Loke will mir nichts verraten“, seufzte Yukino verträumt. Um zu verbergen, wie wenig ihm der Gedanke gefiel, griff Rogue schnell nach seinem Bier. Loke war wirklich schwer in Ordnung. Er war seit der Sache damals trocken, arbeitete fleißig und machte gleichzeitig seine schulische Ausbildung zum Grafikdesigner. Er hatte sein verkorkstes Leben auf die Reihe gekriegt und zwischen ihm und Yukino lief es bestens. Dennoch wollte Rogue nichts über das Liebesleben der Beiden wissen. Irgendwie kam er nicht darüber hinweg, dass Yukino nicht mehr das kleine Mädchen mit den Latzhosen und den dreckverschmierten Wangen von früher war, das sich nicht die Bohne für Jungs als solche interessierte. Und seit Lector und Frosch sich angewöhnt hatten, Händchen zu halten, war er erst recht nicht gut auf dieses Thema zu sprechen. „Aber du hast doch sicher nichts vor, oder?“, wandte Sting sich hoffnungsvoll an Minerva. „Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, aber Rakheid führt mich ins Pleasure Garden aus“, erwiderte Minerva mit einem anzüglichen Lächeln. Das verschlug sogar Yukino die Sprache. Dass der freischaffende Künstler mit dem zweifelhaften Ruf eines Lebemanns und Herzensbrechers Minerva schon seit einer Weile den Hof machte, war den Freunden ja bekannt, auch wenn keiner von ihnen so recht wusste, was er davon halten sollte. Aber dass Minerva sich ausgerechnet darauf einließ, sich in dieses Edelrestaurant und –hotel einladen zu lassen, war doch eine Überraschung. Rogue wollte lieber gar nicht so genau darüber nachdenken, wie dieser Abend ausklingen würde. „Also seid ihr zwei die Einzigen, die nichts am Valentinstag vorhaben“, stellte Dobengal fest und sofort richtete sich die geballte Aufmerksamkeit wieder auf Sting und Rogue. „Das müsst ihr unbedingt ändern!“, entschied Yukino leidenschaftlich. „Müssen wir?“, seufzte Rogue missmutig. „Ja! Das ist euer erster Valentinstag!“, wiederholte die Weißhaarige sich. „Das ist etwas Besonderes!“ „Das fällt ins Wasser, ich habe Natsu versprochen, auf Leonida aufzupassen“, nuschelte Sting abwesend. „Ich frage mich, was er vor hat…“ Mit großen Augen sah Yukino den Blonden an. „Natsu hat sich den Valentinstag frei geschaufelt?!“ „Das klingt dramatisch“, spöttelte Minerva, wofür Sting ihr einen giftigen Blick zuwarf. Nun doch Augen rollend lehnte Rogue sich zurück. Dass sein Freund am Valentinstag seine Nichte bei sich hatte, störte ihn nicht im Geringsten. Leonida war schon ein paar Mal bei ihnen gewesen und entgegen ihrer elterlichen Anlagen war sie ein ausgesprochen pflegeleichtes Baby mit einem sonnigen, aber ruhigen Gemüt. Rogue konnte die Kleine gut leiden und in seinen Augen gab es definitiv Schlimmeres, als sich am Valentinstag um das Mädchen zu kümmern. Aber wie er Sting kannte, würde er den ganzen Tag darüber nachdenken, was genau sein Fast-Schwager-der-noch-immer-keinen-Termin-für-die-Hochzeit-verkündet-hatte wohl vor hatte. Wie Rogue den gelernten Tischler einschätzte, würde es irgendetwas total Verrücktes werden, an dessen romantischen Gehalt man wohl eher zweifeln konnte. Gut möglich also, dass der Tag damit enden würde, dass Lucy bei Sting aufschlug, um darüber zu klagen, was für einen unromantischen Verlobten sie doch hätte. Wenn das mal keine vorfreudigen Aussichten waren… *~*~*~* Mit einem frustrierten Seufzer ließ Lucy ihre schwere Tasche zu Boden fallen und streifte sich die Winterstiefel von den Füßen. Für gewöhnlich war sie guter Dinge, wenn sie aus der Universitätsbibliothek kam, aber heute hatte sich keine Sau an die Ruheordnung der heiligen Gemäuer halten wollen. Alle Nase lang hatte Lucy in ihrer Umgebung aufgeregtes Getuschel über den Valentinstag gehört und das hatte ihr gehörig die Laune verhagelt. Nachdem sie aufgrund ihrer gezischten Ermahnungen an die Tuschler auch noch von einer Bibliotheksangestellten gebeten worden war, leise zu sein, hatte sie sich ihre Bücher geschnappt und war davon gerauscht. Sollten ihr diese albernen Weiber doch alle mal den Buckel runter rutschen! Nicht dass sie es beispielsweise Juvia missgönnte, nachher mit Gray ins Kino und danach chic essen zu gehen. Die Blauhaarige hatte sich viele Gedanken um das passende Geschenk für ihren Freund gemacht, der ausgerechnet am Valentinstag eine wichtige Prüfung hatte und deshalb wohl völlig die besondere Bedeutung des Datums verschwitzt hatte, und Lucy hatte Juvia gerne geholfen. Auch dass ihr Cousin Loke sie um Rat gefragt hatte, welche Blumen Yukino denn mochte, da er Rosen als einfallslos empfand, hatte sie sehr süß gefunden. Genauso das verlegene Herumdrucksen ihrer besten Freundin Levy, die wohl ihre eigenen Pläne mit Gajeel hatte, hatte sie aufrichtig amüsiert und gefreut. Aber ein ganz kleines bisschen hatte sie die Drei auch beneidet. Sie wusste ja, dass ihr Verlobter nicht zu den romantischsten Männern unter der Sonne zählte, aber dass er heute Morgen so getan hatte, als wäre es ein Tag wie jeder andere, enttäuschte sie dann doch. Man sollte meinen, dass nach einer Verlobung – so spontan und formlos sie auch stattgefunden hatte – und einer gemeinsamen Tochter doch zumindest ein Blumenstrauß oder eine Packung Pralinen oder etwas in der Art drin wäre. Nichts dergleichen! Sicherlich, es hatte ihr Herz erwärmt, Natsu mit Leonida zu beobachten, und bei Natsus Guten-Morgen-Kuss hatte ihr Herz wie ein junger Vogel geflattert, aber doch… es war Valentinstag, verdammt noch mal! Letztes Jahr war Natsu mit ihr chic Essen gegangen und im Jahr davor hatte er ihr eine Dauerkarte für das Historische Museum von Magnolia und eine selbst geschnitzte Drachenfigur geschenkt. Wieso um Himmels Willen hatte er dieses Mal überhaupt gar nichts vorbereitet?! Erst als Lucy ihren Wohnungsschlüssel an den dafür vorgesehenen Haken neben der Tür hängte, fiel ihr auf, wie ungewöhnlich still es in der Wohnung war. Kein Kinderlachen und keine komischen Tierlaute, mit denen Natsu seine Tochter nur allzu gerne unterhielt. Dabei war Leonida um diese Uhrzeit eigentlich immer wach. Nach diesem Kind könnte man die Uhr stellen. Halb im Scherz hatte Natsu mal gesagt, dass Leonida das von Lucy hätte, womit er gar nicht so Unrecht hatte. Lucy legte nun einmal sehr viel Wert auf Pünktlichkeit. „Natsu? Leonida?“ Keine Antwort. Mit einem Stirnrunzeln fischte Lucy ihre Tasche vom Boden und ging ins Wohnzimmer. Zu ihrer großen Verwirrung war Leonidas heißgeliebte Kuscheldecke, die immer in einer eigens für sie frei geräumten Ecke ausgebreitet war, damit sie darauf spielen konnte, verschwunden. Die Kiste mit Leonidas Spielsachen, die direkt neben der nun leeren Stelle stand, sah auch nicht so voll wie sonst aus. Und der Tragekorb, der sonst immer auf dem Wohnzimmerschrank bereit stand, damit er nicht andauernd im Weg war, war auch verschwunden. „Natsu?!“, rief Lucy und sie schämte sich beinahe, wie schrill ihre Stimme auf einmal war. Es war albern. Wahrscheinlich gab es dutzende mögliche und vollkommen harmlose Erklärungen, warum ein paar von Leonidas Sachen verschwunden waren. Dennoch bekam Lucy es mit der Angst zu tun. Sie hetzte ins Badezimmer. Eine der Windelpackungen fehlte, die sie immer auf Vorrat kauften, eine Dose Babypuder, eine Packung mit Feuchttüchern und die Tasche mit der Wickeldecke, die nie fehlen durfte, wenn sie mit Leonida außerhalb der Wohnung unterwegs waren. „Lucy, was ist denn los?“ Die junge Mutter wirbelte so schnell herum, dass sie auf dem Duschvorleger ausgerutscht wäre, wenn Natsu nicht einen schnellen Schritt nach vorn gemacht und sie aufgefangen hätte. „Wo ist Leo?!“, verlangte Lucy zu wissen und rappelte sich schnell wieder auf. „Bei Sting, er passt heute auf sie auf“, antwortete Natsu so arglos, dass Lucy ihm am liebsten eine saftige Ohrfeige verpasst hätte. Schlimm genug, dass er ihr den Valentinstag versaute, musste er ihr auch noch so einen Schreck einjagen?! „Und wieso erfahre ich das erst jetzt?!“, fauchte sie und stemmte die Hände in die Hüften. „Meinst du nicht, dass du das mit mir absprechen müsstest?!“ Wie zur Verteidigung hob Natsu die Hände, aber er sah kein bisschen reumütig aus und wagte es sogar, sie übermütig anzugrinsen. „Wenn ich das mit dir abgesprochen hätte, wäre es keine Überraschung mehr.“ „Überraschung?!“ Lucys Stimme schnappte beinahe über. Wollte Natsu sie verschaukeln? Oder wollte er, dass das hier der schlimmste Valentinstag in der Menschheitsgeschichte wurde? Wie konnte man nur so dermaßen dreist sein?! Ehe sie jedoch noch irgendetwas sagen oder tun konnte, trat Natsu näher heran, legte ihr einen Arm in die Kniekehlen und den anderen um den Rücken und hob sie mühelos hoch, um ihr dann einen stürmischen Kuss zu geben. Für einen Moment erwog Lucy, sich frei zu strampeln, einfach um ihren Verlobten zu bestrafen, aber die konsequent zärtlichen Bewegungen auf ihren Lippen ließen ihren Widerstand erlahmen. Ergeben seufzend schloss sie die Augen und schlang die Arme um Natsus Hals, während sie den Kuss erwiderte. Aller Ärger und Frust waren wie fort geblasen. Alles was noch zählte, waren Natsus starke Arme, sein warmer Körper und seine zärtlichen Lippen, die Lucy mehr und mehr zu verschlingen schienen. Immer fordernder und stürmischer wurden die Bewegungen und dann strich seine Zunge über Lucys Lippen. Der Blonden entfuhr ein Keuchen und allein das genügte ihrem Verlobten, um mit seiner Zunge in ihren Mundraum vor zu dringen. So forsch und fordernd war Natsu schon sehr lange nicht mehr geworden. Zwar hatte es nach Leonidas Geburt schon ein paar Gelegenheiten gegeben, wenn sie es gewagt hatten, miteinander zu schlafen, aber das waren meist schnelle Nummern unter der Dusche gewesen, wenn Leonida tief und fest geschlafen hatte. Wenn sie Leonida mal Sting, Gray oder ihren Eltern überantwortet hatten, dann weil sie irgendwelche wichtigen Termine gehabt hatten, aber sicher nicht für so etwas hier. Als Natsu den Kuss schließlich beendete, ging Lucys Atem stoßweise und ihre Wangen brannten. Himmel, wie sehr sie das vermisst hatte! Wenn Natsu so dominant wurde, wurde sie regelrecht zu Wachs in seinen Händen. Zum Glück hielt er sie auf den Armen, denn sie war sich nicht sicher, ob sie ihren Knien jetzt noch vertrauen könnte. „Du wirst schon sehen, was ich meine“, raunte Natsu ihr zu und seine Augen schienen dabei zu glühen. Lucy war so benommen, dass sie kaum mehr als ein schwaches Nicken zustande brachte, aber das schien Natsu zu genügen. Mit einem verwegenen Grinsen wirbelte er mit ihr herum und trug sie aus dem Badezimmer zurück in den Flur, wo er sie wieder auf ihre eigenen Beine stellte und ihr bedeutete, sich Stiefel und Mantel anzuziehen, ehe er sich selbst für die eisigen Temperaturen draußen wappnete. Mit ihren zitternden Fingern hatte Lucy einige Mühe mit den Knöpfen ihres Mantels. Immer wieder zuckte ihr Blick zu Natsu hinüber, der vor Vorfreude fast zu platzen schien. Hatte er also doch etwas für den Valentinstag vorbereitet? Jetzt fühlte Lucy sich ob ihres vorherigen Unmuts beinahe schuldig. Als Natsu schließlich die Tür wieder aufschloss und ihre Hand ergriff, um sie ins Treppenhaus zu ziehen, spürte Lucy, wie auch sie die Vorfreude packte. Sie war schon so gespannt, was Natsu vor hatte! *~*~*~* Das Baby blubberte munter in seiner Trageschale, als Sting diese vor sich durch die Wohnungstür schob. Über der linken Schulter trug er eine prall gefüllte Tasche mit so ziemlich allem, was ein Baby in einer ganzen Woche bräuchte. Dafür dass er sonst so ein Draufgänger war, war Natsu erstaunlich überkorrekt, wenn es um seine Tochter ging. Ob das einfach so ein Vaterding war? Unwillkürlich fragte Sting sich, wie das wohl bei ihm und Rogue wäre. Nach der Gartenfeier im vergangenen Sommer war das Thema Adoption nie wieder gefallen, aber Sting war der Idee schon damals nicht ganz abgeneigt gewesen, so sehr es ihn auch in Verlegenheit gestürzt hatte, weil er doch erst so kurz mit Rogue zusammen gewesen war. Er hatte Kinder schon immer geliebt und er war sich vollkommen sicher, dass Rogue der richtige Mann dafür war. Mit Rogue konnte Sting sich vorstellen, ein oder zwei Kinder zu adoptieren und groß zu ziehen! Aber natürlich war das in den letzten Monaten kein Thema gewesen. Zu neu war noch alles zwischen ihnen gewesen. Rogue hatte seinem Staatsexamen so sehr entgegen gefiebert, dass Sting sich manchmal ernsthafte Sorgen um ihn gemacht hatte, weil er gar nicht mehr auf sich geachtet hatte. Mehr als einmal hatte er sicher stellen müssen, dass sein Freund nicht die ganze Nacht hindurch irgendwelche Gesetzestexte paukte. Er konnte nur hoffen, dass bald die Prüfungsergebnisse eintrudelten – dass Rogue nicht bestanden haben könnte, kam für Sting überhaupt nicht in Frage, auch wenn er da voreingenommen war, Rogue war schon immer ein Genie gewesen! –, dann würde Rogue hoffentlich wieder besser auf sich achtgeben. Und dann konnten sie auch das Thema Zusammenziehen richtig in Angriff nehmen! Zwar war es Wochen her, dass Rogue das letzte Mal bei seiner Familie übernachtet hatte, aber streng genommen wohnte er noch bei ihnen. Und um Rogue nicht zu stören, hatte Sting es sich bisher verkniffen, für die Sachen seines Freundes Platz zu schaffen, auch wenn es ihm eigentlich schon die ganze Zeit in den Fingern gejuckt hatte, seit sie letztes Jahr an Rogues Geburtstag darüber gesprochen hatten. Als er die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ, hörte er, wie im Wohnzimmer ein Buch zusammen geklappt wurde, und er musste grinsen. In all den Jahren, die er Rogue kannte, hatte sich eines nie geändert: Sobald Rogue alleine war, griff der nach einem Buch und fing an zu lesen. Der Schwarzhaarige war schon immer eine Leseratte gewesen. Deshalb hatte Sting schon sehr früh ein paar Bücher aus Rogues Zimmer stibitzen lassen – ein Hoch auf Frosch! – und so in seinen Regalen platziert, dass sein Freund sie sicher finden konnte. „Ist alles babysicher?“, rief er halblaut, während er schnell aus Jacke und Schuhen schlüpfte, um dann seine Nichte von den Sicherheitsgurten und aus ihrem dicken Schneeanzug zu befreien. „Schon längst“, kam die Antwort. Lächelnd zog Sting die weiße Strickmütze von Leonidas Kopf und strich die pinken Haare glatt, ehe er das Mädchen aus der Trageschale hob. Quietschend klatschte es in die winzigen Händchen und strahlte seinen Onkel mit großen, braunen Augen an. Lucys Augen. Bestimmt würde das Mädchen mal eine genauso großartigen Frau wie seine Mutter werden. Sting platzte jedes Mal vor Stolz, wenn er Leonida sah! Behutsam legte er die Kleine auf der Schwelle zum Wohnzimmer ab. Kurz sah sie sich um, dann stemmte sie sich auf Hände und Knie und krabbelte los. Als sie das das erste Mal gemacht hatte, hatte Sting Panik geschoben, weil seine Nichte dabei gefühlt das Tempo eines Düsenjets an den Tag legte. Wenn Leonida so richtig wach war, krabbelte sie durch die Wohnung, als gelte es, einen Weltrekord aufzustellen. Da kamen wohl Natsus Gene durch, denn Lucy hatte zu der Sorte Babys gehört, die sich nur lustig herum gerollt hatten, das hatte Sting noch gut in Erinnerung, obwohl er damals selbst noch ein Dreikäsehoch gewesen war. Zielstrebig hielt das kleine Energiebündel auf Rogue zu, der von der Couch rutschte und dem Neuankömmling lächelnd entgegen blickte. Leonida mochte Menschen. Wann immer sie ein Gesicht sah, lachte sie glücklich, und Sting bildete sich ein, dass das Mädchen ihn und seinen Freund bereits erkennen konnte, war es doch schon mehrmals hier zu Besuch gewesen. Während Rogue sich mit dem Baby beschäftigte, deponierte Sting die Trageschale neben seiner Kommode und machte sich dann daran, die Krabbeldecke und ein paar Spielsachen auf dem Boden seines Wohnzimmers auszubreiten, den er heute Vormittag extra noch mal abgesaugt hatte, bevor er aufgebrochen war, um seine Nichte von seinem Fast-Schwager in Empfang zu nehmen. Danach ließ er die Tasche aufs Sofa fallen und setzte sich neben Rogue vor das Sofa, um seine Nichte zu beobachten, die vergnügt quietschend durch das gesamte Wohnzimmer zuckelte. Ganz automatisch lehnte er sich gegen die Schulter seines Freundes und als dieser den Arm um seine Taille schlang, um ihn näher zu ziehen, durchfuhr Sting ein wohliger Schauder. „Tut mir Leid, dass ich dich damit so überfallen habe. Ich hatte wirklich total verpeilt, dass heute Valentinstag ist.“ Rogue schnaubte leise. „Hast du mich jemals den Valentinstag feiern sehen?“ „Zählt das eine Mal, als Richard mit dir Schluss gemacht hat und wir einen trinken gegangen sind?“, feixte Sting. Zu seiner Überraschung beugte Rogue sich zu ihm runter und gab ihm einen Kuss, forsch und bestimmend, aber doch zugleich zärtlich und liebkosend. Ein Kuss, wie nur Rogue ihn zustande bringen konnte. Früher hatte Sting an einer Beziehung oft eher nur der Part in der Horizontalen interessiert, Lippengymnastik war immer nur ein kleines Extra gewesen. Aber mit Rogue war alles so anders, so vie besser und erfüllender… „Wenn du noch einmal diesen Lackaffen erwähnst, gehe ich“, drohte Rogue leise, als er den Kuss schließlich beendet hatte. „Warum bist du damals überhaupt mit diesem Lackaffen ins Bett gestiegen?“, erwiderte Sting frech, der genau wusste, dass das eine leere Drohung war. Rogue wollte sicher nicht dabei sein, wenn Lector und Frosch zusammen den Valentinstag begingen, indem sie Plätzchen buken. Schon wieder wurde er überrascht, als sein Freund verlegen vor sich hin nuschelte und seine Aufmerksamkeit wieder auf ihren kleinen Gast richtete, der gerade vor der Balkontür saß und lachend dagegen schlug. Einfach so. Auf dem Balkon war nichts weiter zu sehen. Durch Babyaugen musste die Welt wirklich abenteuerlich aussehen. „Was hast du gesagt?“, fragte Sting nun doch neugierig. „Nichts.“ „So hat sich das eben aber nicht angehört!“ „Lass’ mich.“ „Du kannst doch nicht einfach etwas andeuten und mich dann dumm sterben lassen!“, sagte Sting theatralisch und legte bettelnd den Kopf schief. Mit roten Wangen stützte Rogue das Kinn auf einer Hand ab und hielt den Blick stur auf Leonida gerichtet, während er antwortete: „Du warst damals mit Ron zusammen und das hat mir nicht gepasst.“ Sprachlos starrte Sting seinen Freund an. Richtig, Ron… Den hatte er fast vergessen, dabei war das damals tatsächlich mal etwas Festes gewesen. Zwar doch wieder nur auf Zeit, denn Ron war ein Austauschstudent aus Seven gewesen, aber es hatte doch ziemlichen Spaß mit ihm gemacht. Die Sevener hatten eine flinke Zunge, wie die Gegenprobe mit einem Touri vorletztes Jahr bestätigt hatte. Als Rons Austauschsemester vorbei gewesen war, war ein Teil von Sting aber doch irgendwie froh gewesen. Auf Dauer war es irgendwie anstrengend gewesen, weil Rons Vorlieben doch sehr fordernd gewesen waren. Dass Rogue damals eifersüchtig gewesen war, hatte Sting überhaupt nicht bemerkt. Irgendwie machte das Sting eigentümlich glücklich. Es war lächerlich, wie lange er gebraucht hatte, um so richtig zu begreifen, dass sein bester Freund für ihn noch viel mehr als nur das war, aber gleichzeitig war es aufregend, zu wissen, dass das zwischen ihnen schon lange vor diesem Ausrutscher im Vollrausch im Gange gewesen war. Selig grinsend schob Sting seine Hand in Rogues und verlegte sich darauf, Leonida weiter zu beobachten, die nun vom Fenster abgelassen hatte und in Richtung ihrer Krabbeldecke spurtete, um ihre Plüschmeerjungfrau zu ergreifen und zu herzen. Als Rogues Finger sich fest um seine schlossen, stieß Sting einen zufriedenen Seufzer aus. Auch wenn er das Datum völlig vergessen hatte, war das hier wahrscheinlich dennoch der beste Valentinstag, den er jemals gehabt hatte! *~*~*~* „Natsu, wann sind wir denn endlich da?“ „Bald“, antwortete Natsu abwesend, der sich auf den Verkehr konzentrieren musste. Zwar hatte er sich den Weg vorher extra auf dem Stadtplan und online angesehen, aber diese blöde Baustelle auf halber Strecke hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht und ließ ihn bereuen, dass er das Auto genommen hatte. Wenn er hier noch lange herum kurven musste, um einen Parkplatz zu finden, hätte er genauso gut mit Lucy zu Fuß hierher gelangen können. Ihm doch egal, wenn die Leute doof guckten, nur weil Lucys Augen verbunden waren. Die würden ja wohl kaum annehmen, dass es sich um eine Entführung handelte. Da! Endlich eine freie Parklücke! Es kostete Natsu einiges an Nerven, seinen Wagen dort vernünftig rein zu kriegen, aber schließlich stand das Gefährt. Als Lucy nach dem Tuch über ihren Augen greifen wollte, ergriff er ihre Hände und drückte auf jeden Handrücken einen Kuss. Oh Mann, jetzt auf den letzten Metern wurde er echt nervös! Aber gleichzeitig freute er sich wie verrückt! Und Lucy sah so verführerisch aussah mit den vor Überraschung leicht geöffneten Lippen. Unter ihrem halb aufgeknöpften Mantel erkannte er das Lederband mit dem Drahtring an ihrem Hals. Obwohl er Lucy ein paar Wochen nach dem improvisierten Heiratsantrag noch einen richtigen Verlobungsring an den Finger gesteckt hatte, hatte sie diesen ersten selbstgebastelten Verlobungsring als Glücksbringer behalten und legte ihn auch nie ab. Eine Geste, die Natsu ein ums andere Mal heftiges Herzklopfen bescherte. Was hatte er bloß für ein Glück gehabt, so eine Hammerfrau abzubekommen! „Gleich geschafft“, versprach er seiner Verlobten, stieg aus und beeilte sich, um den Wagen herum zu kommen und Lucy heraus zu helfen. Weil er genau wusste, was für eine Frostbeule sie war, nahm er sich die Zeit, ihren Mantel ordentlich zu schließen, ehe er sie durch die Straßen zog. Natürlich guckten einige Leute blöd, aber die konnten ihn mal kreuzweise! Weil er auf der Suche nach einer Parklücke so weite Kreise hatte ziehen müssen, war es doch ein strammer Fußmarsch von ein paar Minuten, während der Lucy zu quengeln begann. So reif sie sonst auch war, auch sie hatte ihre kindischen Momente – und Natsu liebte diese Momente. Dann zog Lucy immer diese niedliche Schnute und blies die Wangen auf, dass er am liebsten hinein kneifen würde. Am Ziel angekommen, zog er Lucy ins innere des Gebäudes und von der zugigen Tür weg. Im mit Linoleum ausgelegten Treppenhaus roch es stark nach Reinigungsmitteln, aber dafür war es hier halbwegs warm. Dennoch schlang er beide Arme um Lucy und drückte sie an sich. Es war so weit! Endlich! Darauf hatte er so lange gewartet. So oft hatte er sich das hier ausgemalt, hatte Pläne geschmiedet und zig Reden in seinem Kopf zu Recht gelegt. Aber jetzt wollte ihm kein einziges Wort mehr einfallen. Ihm klopfte das Herz bis zum Hals und er konnte nicht mehr tun, als Lucy weiter fest zu halten. Diese zog sich nach einigem Zögern von selbst das Tuch von den Augen und blinzelte zunächst verwirrt, während ihre Augen sich wieder an das Licht gewöhnen mussten. „Wo sind wir hier?“, fragte sie leise, ohne sich gegen Natsus Umarmung zu wehren. Das Mindeste, was Natsu ihr nach der bisherigen Aktion schuldig war, war wohl eine Antwort, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Ratlos sah Lucy sich weiter um. Als ihr Blick auf die Tafel neben dem Treppenaufgang fiel, schien sie zu begreifen. „Was?! Aber Natsu! Doch nicht so! Wir wollten doch mit unseren Freunden feiern und…“ Fester denn je zog Natsu die Blonde an sich und gab ihr einen stürmischen Kuss, um ihre Widerworte zu ersticken. Ihre Lippen schmeckten wie die Verheißung selbst. Hatten sie schon immer. „Wir können immer noch mit ihnen feiern“, erklärte er heiser, als er den Kuss beendet hatte. „Aber das hier… Das hätten wir schon vor Monaten machen können, aber du wolltest ja noch so viel für die Uni schaffen und dann kam Leo und dann hast du mit deiner Bachelorarbeit angefangen und… na ja, als der Valentinstag nahte…“ Verlegen löste er einen Arm von Lucy, um sich an der Nase zu kratzen, den Blick nun doch zur Seite gerichtet. Eigentlich konnte er mit diesem ganzen Valentinskitsch nichts anfangen. Während seiner vorherigen Beziehungen hatte er den immer vergessen, weshalb es so manches Mal ganz schönen Krach gegeben hatte. Diese krampfhafte Hysterie der Frauen wegen dieses einen Tags war ihm ein Rätsel. An und für sich hatte sich an dieser Meinung auch nichts geändert. All diese rosa Herzen und roten Rosen waren immer noch bescheuert. Aber Lucy war nun einmal eine Romantikerin, wie sie im Buche stand. Das gehörte einfach zu ihr, genauso wie ihr Tick mit den Büchern und ihr Lerneifer und so vieles mehr. Das machte einfach seine geliebte Lucy aus. Die Frau seiner Träume, Mutter seiner perfekten Tochter. Eigentlich glaubte er nicht an Schicksal und solchen Quatsch, aber das mit ihm und Lucy… das war wirklich Schicksal! „Natsu, das ist absolut unromantisch!“, schmollte Lucy, aber in ihren Augen erkannte er keine Enttäuschung, sondern dieses abenteuerlustige Funkeln, das ihn schon immer so angesprochen hatte. „Romantik, was ist das?“, erwiderte er keck, ermuntert von dem verräterischen Zucken ihrer Mundwinkel. „Das, was du nie haben wirst“, stellte Lucy mit einem theatralischen Kopfschütteln fest, aber das Lächeln war jetzt unübersehbar. „Vielleicht wird es so ja besser?“ Natsu ging vor Lucy in die Knie und fummelte aus der Innentasche seiner Jacke ein Samtkästchen hervor, um es seiner Angebeteten empor zu halten. Jetzt wurden Lucys Augen groß wie Unterteller. „Ringe!“, jauchzte sie und fiel Natsu so stürmisch um den Hals, dass er auf den Hintern plumpste und beinahe das Kästchen verloren hätte. „Ist das ein Ja?“ „Nur, wenn du mir versprichst, dass ich dennoch ein weißes Kleid tragen darf mit allem drum und dran!“ „Alles, was du willst“, versprach Natsu feierlich und noch nie war ihm ein Schwur so heilig gewesen wie dieser. Er wollte den Rest seines Lebens damit verbringen, Lucy glücklich zu machen. Er wollte mit ihr Leonida groß ziehen und weitere Kinder haben, am liebsten eine ganze Meute. Es könnte nauch ruhig alles Mädchen sein, er würde sie allesamt auf Händen tragen und ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen! Lucy bei ihrem Studium zu unterstützen, ihr bei der Verwirklichung ihrer Träume helfen, dabei sein, wenn sie sich weiter entwickelte. Sie pflegen, wenn sie krank war, ihr den Rücken stärken, sie trösten, wenn etwas misslang, sie lachen und weinen sehen, mit ihr alt werden... Ja! Ja zu all dem und noch viel mehr! *~*~*~* Als Sting übertrieben vorsichtig auf Zehenspitzen aus dem Schlafzimmer schlich, musste Rogue schmunzeln. Wenn es um seine Nichte ging, war der sonst so abenteuerlustige Sting geradezu überfürsorglich. Sollte dieses Mädchen sich irgendwann verlieben, würde der Glückliche nichts zu lachen haben. Allein Sting würde ihm wohl das Leben zur Hölle machen – und dann waren da ja noch ein genauso überfürsorglicher Vater, ein Pate und zwei Großväter. Und wenn Rogue mal ganz ehrlich war, würde die Versuchung, sein Amt zu missbrauchen, um den Burschen zu durchleuchten, nicht gerade gering sein. Wie könnte es ihn auch kalt lassen, wenn das doch irgendwie auch seine Nichte war? Mit dem Babyfon in der Hand setzte Sting sich neben ihn aufs Sofa und zog den blauen Quilt wieder über sich, der groß genug für sie Beide war. Kaum dass er bequem saß und sich an Rogues Schulter gekuschelt hatte, gab Sting ein behagliches Schnurren von sich. Wie eine Katze nach einer Schale Milch. „Sie ist echt süß, wenn sie versucht, wach zu bleiben, obwohl sie eigentlich müde ist“, murmelte Sting. „Du findest sie immer süß“, stellte Rogue amüsiert fest. „Sie ist ja auch immer süß!“ Schon wieder schmunzelnd gab Rogue seinem Freund einen Kuss auf die Stirn. Er würde ihm garantiert nicht widersprechen, denn er hatte absolut Recht. Unter der Zuwendung schnurrte Sting wieder und schmiegte sich noch mehr an Rogue, der ganz automatisch die Arme um seinen Freund schlang. So lagen sie mehr, als dass sie saßen, und sie mussten aufpassen, nicht vom Sofa zu rutschen, aber Rogue würde den Teufel tun, sich jetzt von Sting zu lösen. „Aber ich frage mich ja immer noch, was Natsu eigentlich vor hat“, durchbrach Sting die Stille schließlich. „Einen Heiratsantrag hat er Lucy schon längst gemacht und wenn er einfach nur mit ihr ausgehen würde, müsste er doch nicht so ein Geheimnis darum machen.“ Rogue verkniff es sich, seinen Freund auf das Offensichtliche hin zu weisen, was sich doch geradezu anbot, wenn man eben nicht auf ein Baby Rücksicht nehmen musste. Für gewöhnlich war Sting bei dem Thema sehr viel gelassener als er selbst, aber ob nun verlobt und Mutter oder nicht, die Worte Lucy und Sex in Stings Gegenwart in einem Satz zu gebrauchen, war keine gute Idee. So etwas wagte nur Minerva. „Vielleicht verrät Lucy es dir ja, wenn sie Leonida abholt“, murmelte Rogue und ertappte sich selbst dabei, wie seine Finger einen Weg unter Stings Pullover suchten. Verlegen wollte er seine Hand zurück ziehen, aber schon rollte sich Sting über ihn und küsste ihn. Was konnte dieser Mann küssen! Seine Lippen waren weich und anschmiegsam und boten sich Rogue vollkommen schamlos an. Ganz automatisch schob Rogue eine Hand in den selbst im Winter noch sonnengebräunten Nacken seines Freundes und vertiefte den Kuss. Stings hingerissenes Seufzen ließ ihn erschaudern, aber als er eine Hand an seinem Gürtel spürte, zog er den Kopf zurück, auch wenn Sting deswegen einen protestierenden Laut von sich gab. „Im Nachbarzimmer schläft deine Nichte“, erinnerte er und stellte dabei verlegen fest, dass seine Stimme heiser war. Verdrossen runzelte Sting die Stirn und legte den Kopf von einer Seite auf die andere, nahm seine Hand jedoch noch immer nicht von Rogues Gürtel. „Und wenn wir ganz leise sind?“, schlug er schließlich wispernd vor und in seine Augen trat dieses bestimmte Funkeln, das Rogue jedes Mal ganz nervös machte. „Will ich immer noch nicht Sex haben, wenn wir jederzeit durch ein Baby unterbrochen werden könnten“, erwiderte Rogue und zog Stings Hand von seinem Gürtel, bevor er doch noch in Versuchung geraten konnte. „Sie schläft tief und fest, du kennst sie doch“, winkte Sting ab und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. „Würdest du das auch sagen, wenn unser Kind dort liegen würde?“, platzte es aus Rogue heraus. Es war schwer zu sagen, wer von ihnen Beiden schneller errötete. Himmel, was hatte ihn da bloß geritten? Es war einfach aus ihm heraus gerutscht! „Unser Kind?“, krächzte Sting, das Gesicht tomatenrot, die Augen riesengroß. „Du meinst… du willst…?“ „N-nein… Ich meine ja!“ Am liebsten hätte Rogue sich eines der dicken Bücher geschnappt, die Sting für ihn hier deponiert hatte, um es sich selbst über den Kopf zu ziehen. „Also… noch nicht jetzt, aber… irgendwann?“ Das Lächeln, das daraufhin auf Stings Gesicht erstrahlte, war alle Peinlichkeiten der Welt wert. Es war wie ein Sonnenaufgang, nur tausendmal schöner und wärmer. Rogue konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Vollkommeneres als dieses Lächeln gesehen zu haben. Wenn er vorher noch irgendwelche Zweifel gehabt hatte, dann waren diese hiermit endgültig aus der Welt geschafft. Sting war in jedweder Hinsicht der Richtige. Eines Tages würde Rogue ihn heiraten und mit ihm eine Familie gründen. Vor allem aber würde er immer mit Sting zusammen sein! „Ich liebe dich!“, hauchte Sting atemlos und gab Rogue einen federleichten Kuss. „Ich liebe dich!“ Noch ein Kuss, auf den Mundwinkel verrutscht, aber nicht minder zärtlich. „Ich liebe dich…“ Um endlich mehr als diese kurzen Berührungen von den innig geliebten Lippen zu erhaschen, ergriff Rogue das Gesicht seines Freundes mit beiden Händen und zog es zu sich runter. „Ich liebe dich auch“, flüsterte er und kostete wieder die weichen Lippen. Dieses Mal hielt der Kuss eine kleine Ewigkeit lang an, war intensiv und prickelnd und doch vollkommen zärtlich. Das hätte vermutlich noch bis in den späten Nachmittag hinein so laufen können, wenn nicht auf einmal Stings Handy geklingelt hätte. Frustriert knurrend zog Sting den Kopf weg und zog sein Smartphone aus der Hosentasche. Ohne nachzusehen, wer da eigentlich im unpassendsten aller unpassenden Momente anrief, nahm er ab und blaffte ein unfreundliches „Was?“. Das Geplapper am anderen Ende der Leitung konnte Rogue nur teilweise verstehen. Zumindest erkannte er Lucys vor Aufregung beinahe hysterische Stimme, die so schnell redete, dass es wohl selbst den besten Stenotypisten der Welt um den Verstand gebracht hätte. Musste die Frau denn gar nicht atmen? „Was ist los, Lucy?“, brummte Sting. „Ich verstehe kein Wort.“ Die nächsten Worte waren auch für Rogue unmissverständlich: Wir haben geheiratet! Vor Schreck rutschte Sting von Rogues Schoß und fiel vom Sofa, wobei er sich halb im Quilt verknotete. Geschockt blickte er auf das Display seines Smartphones und unwillkürlich beugte Rogue sich vor, um ebenfalls einen Blick darauf zu erhaschen, aber auch über Kopf war unmissverständlich Lucys Name darauf zu lesen. „Ihr habt was?!“, rief Sting schließlich und stellte den Lautsprecher an, wahrscheinlich wollte er einen Zeugen haben, weil er befürchtete, dass ihn das niemand jemals glauben würde. „Geheiratet!“, jubelte Lucy. Noch immer klang sie ganz schön überdreht, aber es war doch ganz unverkennbar ihre Stimme. „Natsu hat mich ohne Erklärung zum Standesamt gebracht und da hat er die Eheringe raus geholt und ist sogar auf die Knie gegangen. Ist das nicht romantisch?!“ Sprachlos blickte Sting zu Rogue auf, das Smartphone in seiner Hand. Ein beinahe komisches Bild, aber Rogue war selbst dezent überfordert mit dieser Information. Ein spontaner Heiratsantrag, ja, klar, das war eines dieser albernen Valentinstagsklischees. Aber einfach mal eben so heiraten? So etwas konnten wohl echt nur Natsu und Lucy bringen! „Aber wolltest du nicht eine große Hochzeit in Weiß und mit all dem Kram und so?“, fragte Sting noch immer verdattert. „Ach, das machen wir doch auch noch irgendwann, aber das ist doch nicht so wichtig! Ich bin jetzt endlich Natsus Frau! Ich habe vorhin das allererste Mal mit meinem neuen Namen unterschrieben! Ist das nicht großartig?“ „Ähm… vielleicht?“ Allmählich bekam Rogue richtig Mitleid mit seinem Freund. „Lucy?“, erklang es im Hintergrund der anderen Leitung. „Ich habe Gray nicht erreicht, aber Pa will morgen seine Schwiegertochter umarmen.“ Bei Lucys Jauchzen zuckten Sting und Rogue zusammen. „Richtig! Ich muss ja auch noch Papa anrufen!“, fiel Lucy dann ein. „Sting, kannst du Leo über Nacht da behalten? Wir- Lass’ das, Natsu!“ Das Kichern war eindeutig. Rogue war versucht, sich das Smartphone zu schnappen, um die Verbindung zu unterbrechen, denn sein Freund sah aus, als stünde er kurz vor einem Schlaganfall. „Nicht da! Nein, hör’ auf! Lass’ mich noch kurz zu Ende telefonieren!“, rief Lucy atemlos und im Hintergrund erklang ein enttäuschtes Blubbern. „Also, Sting, wir holen Leo morgen ab, bevor du zur Arbeit musst, versprochen! Danke, du bist der beste Bruder der ganzen Welt!“ Und dann war die Leitung tot. Schnell beugte Rogue sich vor und nahm seinem Freund das Mobiltelefon ab. Der raufte sich mit beiden Händen die Haare und sah dann anklagend zu Rogue auf. „Habe ich ja gesagt?!“ „Ich schätze mal, das hast du, als du zugestimmt hast, auf Leonida aufzupassen“, stellte Rogue mitleidig fest und rutschte ebenfalls vom Sofa, um die Arme um seinen Freund zu schlingen. „Die können doch nicht einfach so heiraten!“, brummelte Sting. „Haben sie aber.“ „Erinnere mich daran, Natsu nie wieder einen Gefallen zu tun!“ Als ob das etwas bringen würde. „Werde ich.“ „Diese Bilder in meinem Kopf!“, jaulte Sting und vergrub das Gesicht in Rogues Pullover. Seufzend tätschelte Rogue den Kopf seines Freundes. Er hatte ja wirklich Mitleid mit seinem Freund, aber wer hatte eigentlich Mitleid mit ihm? Lucys Anruf hatte die Stimmung gründlich verdorben… *~*~*~* Der Ehering bestand aus mattiertem Weißgold mit einem dünnen, glänzenden Strang in der Mitte, in welchen ein winziger, weißer Stein eingelassen war. Edel, aber nicht protzig. Auf der glatten Innenseite war eine Gravur: N&L 14.02.XXX. Als Lucy die Gravur entdeckt hatte, war sie vor Rührung beinahe in Tränen ausgebrochen. Gemeinsam mit dem Verlobungsring – einem schlichten, in sich geflochtenen Silberreif mit einem einzigen sternförmigen Stein – trug Lucy den Ehering an ihrer linken Hand. Jetzt verstand sie auch, wo vor einigen Wochen ihr Verlobungsring abgeblieben war, als sie ihn für eine Dusche abgenommen und danach einen Tag lang nicht gefunden hatte. Natsu musste den Ring stibitzt und zum Juwelier gebracht haben, damit der die Ringgröße ermitteln und den entsprechenden Ehering bestellen konnte. Danach hatte er ihr den Ring wieder gebracht und so getan, als hätte er ihn unterm Waschbecken gefunden. Damals war sie so erleichtert gewesen, dass sie sich gar nicht darüber gewundert hatte, obwohl sie doch als allererstes unter dem Waschbecken nachgesehen hatte. Natsu hatte für den heutigen Tag aber auch wirklich an alles gedacht. Im Standesamt hatten sie sogar direkt einen Termin gehabt und Natsu hatte im Vorfeld alle Unterlagen besorgt. Wie hatte er das alles bloß schaffen können, ohne dass sie es bemerkte? Und auf dem Heimweg hatte Natsu noch am Rune Knight angehalten, um das Essen mitzunehmen, das er bestellt hatte, damit sie es Zuhause zu sich nehmen konnten – bei Kerzenschein. Natsu hatte Kerzen aufgetrieben. Vollkommen egal, dass er sich wie ein Tier über sein Essen her gemacht und die ganze Zeit verrückt gegrinst hatte, er hatte sich unendlich viel Mühe für diesen Tag gegeben, das machte alles wett! Ihre Familien anzurufen, um ihnen die frohe Botschaft zu verkünden, war Natsus Idee gewesen. Lucy hätte es ihren Eltern und ihrem Bruder viel lieber persönlich gesagt, aber als Natsu seinen Vater angerufen hatte, hatte sie mitziehen müssen. Es konnte ja wohl nicht angehen, dass ihre Eltern oder Sting über Dritte davon erfuhren! Zuerst Sting anzurufen, war vielleicht nicht die klügste Wahl gewesen. Irgendwie war Lucy selbst bewusst gewesen, wie hysterisch sie eigentlich klang, aber sie hatte sich einfach nicht mehr zurückhalten können und Sting war nun einmal ihr perfekter großer Bruder, dem sie schon immer alles anvertraut hatte. Sonderlich begeistert hatte er nicht geklungen, aber Natsus Einmischung hatte es Lucy unmöglich gemacht, auch nur ansatzweise zur Ruhe zu kommen. Sting würde es ihr schon verzeihen! Ihre Eltern hatten mit eindeutig gemischten Gefühlen auf die freudige Nachricht reagiert. Während Layla sich gefreut hatte, hatte Jude sehr steif geklungen und von seiner Tochter verlangt, dass sie das Handy an Natsu weiter reichen sollte. So wie sich das angehört hatte, hatte Natsu sich dann erst einmal eine Standpauke darüber anhören müssen, dass man gefälligst vorher den zukünftigen Schwiegervater um die Hand der Tochter bitten müsste und dass man für eine Frau wie Lucy ja wohl ein gewisses Niveau aufrecht zu erhalten hätte und dergleichen mehr. Doch ganz am Ende hatte Jude etwas anderes gesagt, was Lucy nicht verstanden hatte, aber Natsu hatte daraufhin mit feierlichem Ernst genickt und gesagt: „Das werde ich, versprochen!“ Erst danach hatte Jude seiner Tochter mit seltsam belegt klingender Stimme gratuliert, ehe er hastig aufgelegt hatte. Im Nachhinein musste Lucy sich eingestehen, dass es ganz schön unfair gewesen war, ihre Familie derartig zu überfallen. Sie hätte Natsu dazu zwingen sollen, erst einmal Stillschweigen zu bewahren. Eine Familienversammlung wäre für diesen Anlass eindeutig angemessen gewesen. Und ihren Freundinnen musste sie doch auch noch die frohe Botschaft verkünden, aber die waren heute garantiert nicht mehr zu erreichen. Levy hatte ja nur angedeutet, dass sie mit Gajeel weg fahren würde, Juvia sollte ihren Abend mit Gray genießen, Loke und Yukino hatten heute ihren ersten gemeinsamen Valentinstag und Lyon und Meredy waren wohl eher damit beschäftigt, Klein-Nathan durch die Schmerzen der Dreimonatskoliken zu helfen. Als sich muskulöse, warme Arme um sie schlangen, nahm Lucy ihren Blick von dem Ehering an ihrem linken Ringfinger und sah in die dunklen Augen ihres frischgebackenen Ehemannes. Er sah so vollkommen zufrieden und glücklich aus, dass es ihr die Kehle zuschnürte. Konnte es einen besseren Mann als ihn geben? Wie bedingungslos er sie und Leonida angenommen hatte. Mit welchem Eifer er Leonidas Wiege gezimmert hatte. All seine Aufmerksamkeiten während der Schwangerschaft und auch davor schon. Er hatte ihretwegen sogar Tanzen gelernt! Und selbst das mit dem Drachenhüten war letztendlich seinem ständigen Bestreben geschuldet, immer auf sie und die gemeinsame Tochter aufzupassen. „Hey, was soll das denn?“, fragte Natsu leicht panisch, als Lucy in Tränen ausbrach. Er stützte sich mit einem Arm auf der Matratze ab und strich mit der freien Hand zaghaft die Tränen fort. „Habe ich doch etwas falsch gemacht?“ Hektisch schüttelte Lucy den Kopf, unfähig, klare Worte zu formulieren. Gab es überhaupt Worte für all die Glücksgefühle in ihrem Inneren? Ließ sich überhaupt beschreiben, wie viel es ihr bedeutete, hier mit ihm im gemeinsamen Bett zu liegen und zu wissen, dass sie das auch noch in fünfzig und mehr Jahren tun würden? So jung sie eigentlich noch waren, Lucy war sich vollkommen sicher, dass das mit Natsu für die Ewigkeit halten würde – und das war schlichtweg ein überwältigendes Gefühl! „Es…“ Lucy musste sich räuspern und sie griff hastig nach Natsus großer, starker Hand, um einen Kuss auf die Innenfläche zu drücken. „Es war alles so… so perfekt! Das war das schönste Valentinstagsgeschenk, das ich jemals bekommen habe!“ Erleichtert rutschte Natsu näher an sie heran und schlang seinen Arm um ihren nackten Oberkörper. Der Kuss auf ihren Lippen war hauchzart, als hätte er Angst, sie zu zerbrechen. „Ich glaube aber nicht, dass ich das nächstes Jahr toppen kann“, gestand er schließlich. Kichernd nahm Lucy sein Gesicht in beide Hände und verteilte lauter Küsse auf seinen Wangen, seiner Stirn, seiner Nase und seinen Mundwinkeln. „Das musst du auch nicht. Bleib’ einfach nur immer weiter mein Natsu“, flüsterte sie zwischen den einzelnen Küssen, die sich immer mehr den halb geöffneten Lippen näherten. „Das werde ich“, murmelte er und legte den Kopf schief, um ihre Lippen mit seinen einzufangen. Die Hand an Lucys Rücken glitt langsam wieder nach unten – und so sehr Lucy ihre Tochter auch liebte, hier und jetzt war sie sehr froh, dass die süßen, unschuldigen Ohren ganz weit weg waren… *~*~*~* An den Türrahmen zur Küche gelehnt beobachtete Sting hingerissen, wie sein Freund Leonida das Fläschchen gab. Nach ihrem nachmittäglichen Schläfchen war die Kleine wieder putzmunter durch die Wohnung gekrabbelt, hatte sich von ihren Onkeln bespaßen lassen und mit lauter Gurrlauten unter Schränke gelinst. Einmal hatte sie Anstalten gemacht, das untere Fach des Bücherregals zu leeren, aber Sting hatte sie schnell wieder eingefangen und mit ihr Hoppe Hoppe Reiter gespielt, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Das funktionierte immer. Während Sting seine Nichte gebadet hatte – für den Fall, dass sie mal bei ihm übernachtete, hatte Sting sich eine faltbare Babywanne besorgt, die konnte er bei Nichtgebrauch einfach in den schmalen Spalt zwischen Badewanne und Dusche schieben, sehr praktisch! –, hatte Rogue das Abendessen zubereitet. Danach hatte Sting seinem Freund die Kleine übergeben, um in seinem Schlafzimmer die Babywiege aufzubauen. Die meisten hatten es belächelt, dass Sting sich so rundum für seine Nichte ausgerüstet hatte, aber das war ihm egal gewesen. Leonida war nun einmal ein Familienmitglied und es sollte ihr an nichts mangeln, wenn sie bei ihm war! Außerdem – das war allerdings ein neuer Gedanke und den würde er nicht so ohne Weiteres mit jemand anderem als Rogue teilen – war es ja nicht so, als müsste er die Sachen später weg werfen. In ein paar Jährchen würde er sie vielleicht für seine eigenen Kinder brauchen! Wenn Sting jetzt so seinen Freund sah, dann konnte er es kaum erwarten, selbst Vater zu werden. Das Lächeln, das Rogue dem kleinen Mädchen schenkte, war atemberaubend. Rogue würde so ein wundervoller Vater werden, ganz bestimmt. Sting könnte ihn vom Fleck weg heiraten, so sehr liebte er ihn! Aber er war ja nicht Lucy, die einfach mal eben so heiratete. Das nahm er seiner kleinen Schwester wirklich übel. Gut, es war Natsus Idee gewesen, aber seit wann ließ Lucy sich denn zu so etwas hinreißen? Sting hätte nie gedacht, dass Lucy ihre Traumhochzeit als nicht so wichtig betiteln und sich mit einem spontanen Gang zum Standesamt zufrieden geben würde. Das musste Natsus Einfluss sein. Sting hatte zwar darauf verzichtet, dem Jüngeren eine Predigt zu halten, weil er ihn von Anfang an so sympathisch gefunden hatte, aber jetzt wünschte er sich, er hätte es doch getan. So eine kleine Andeutung hier und da, dass er angehende Juristen und einen Polizisten in seinem Bekanntenrepertoire hätte und daher fast Narrenfreiheit hätte, wenn Natsu auch nur eine Dummheit machen sollte… Die Chance hatte er sich leider entgehen lassen und jetzt war das Kind in den Brunnen gefallen. Na ja, wenn es Lucy glücklich machte… „Nun hör’ schon auf, zu schmollen.“ Rogues Ermahnung ließ Sting aufblicken. In Rogues Armen blubberte Leonida schläfrig vor sich hin und rieb sich mit den kleinen Fäusten die Augen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde sie tief und fest schlummern – und da sie erfreulicherweise zu den Langschläfern unter den Babys zählte, hieß das für Sting, dass er den Rest des Abends ganz alleine für sich und Rogue hatte. „Ich schmolle nicht“, brummelte Sting trotzig. Sein Freund hob nur vielsagend die Augenbrauen an und stellte das leere Fläschchen auf dem Tisch ab, ehe er sich langsam erhob, um Leonida ins Schlafzimmer zu bringen. Lautlos folgte Sting ihm und überprüfte noch mal, ob das Babyfon auch eingestellt war. Weil es im Schlafzimmer wärmer war, stand dort die Wiege. Um das Baby nicht zu stören, übernachteten Sting und Rogue im Wohnzimmer auf der ausklappbaren Couch. Ihre Wechselsachen hatten sie bereits aus dem Kleiderschrank geholt. Als sie in die Wiege gelegt wurde, brabbelte Leonida etwas vor sich hin und kräuselte das winzige Näschen, musste aber schon im nächsten Moment herzhaft gähnen. Sorgsam deckte Rogue sie zu und schob ihr die Plüschmeerjungfrau in die Arme, während über ihrem Kopf ein großer, roter Plüschdrache und ein flauschiger Plüschlöwe wachten. Der Drache, der Löwe und die Meerjungfrau waren die Lieblingsplüschtiere des Mädchens, deshalb mussten alle immer unbedingt griffbereit sein. Geduldig warteten Sting und Rogue, bis das Baby eingeschlafen war, dann schlichen sie aus dem Zimmer. Erst als sie im Wohnzimmer waren, wandte Rogue sich wieder an Sting und schnipste diesem gegen die Stirn. „Du schmollst schon, seit Lucy angerufen hat, ich kenne dich doch.“ „Du würdest auch schmollen, wenn Frosch-“ Schnell schloss Sting den Mund, als er erkannte, wie in der Miene seines Freundes Gewitterwolken aufzogen. Er musste sich zusammen reißen, um nicht breit zu grinsen. Natürlich hatte Rogue kein Problem mit Lector – wäre ja noch schöner, wenn er etwas gegen Stings kleinen Bruder hätte! –, aber die unschuldige Romanze zwischen Frosch und Lector schien ihm immer noch nicht so wirklich zu schmecken. „Hör’ auf zu grinsen!“, drohte Rogue finster. „Komm’ schon, Rogue, Frosch wird dieses Jahr siebzehn!“, kicherte Sting, trat jedoch näher an seinen Freund heran und gab ihm einen versöhnlichen Kuss. Er wollte Rogue doch gar nicht ärgern. Zumindest nicht allzu sehr. „Wie wird das erst, wenn wir ein Mädchen adoptieren und das irgendwann mal einen Freund mit nach Hause bringt?“ „Wir schicken sie auf ein Mädcheninternat“, knurrte Rogue. Sting lachte laut auf und schlug sich hastig die Hand auf den Mund. Sein Freund schenkte ihm einen Blick der besonders finsteren Sorte. „Mach’ nur weiter so und ich werfe das Geschenk in den Müll.“ „Geschenk?!“ Sting riss die Augen weit auf. „Du hast ein Geschenk für mich?! Aber du hasst den Valentinstag!“ „Tue ich auch immer noch, aber Yukino hat mich gestern dazu genötigt, dir dennoch ein Geschenk zu besorgen.“ Das konnte Sting sich sogar lebhaft vorstellen. Seit Yukino mit Loke zusammen war, war sie noch viel energischer als früher geworden. Dagegen war kein Kraut gewachsen. „Was ist es denn?“, fragte Sting neugierig. Dass Rogue das Geschenk nur unter Zwang besorgt hatte, störte ihn nicht im Geringsten. Der Valentinstag ging ihm am Allerwertesten vorbei. Geschenke hingegen fand er toll, egal aus welchem Anlass er sie bekam. Den blauen Quilt beispielsweise, den Rogue ihm vergangenes Weihnachten geschenkt hatte, liebte er heiß und innig. „Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich es dir jetzt noch geben will“, erklärte Rogue bockig und löste sich von Sting, um in Richtung Küche zu gehen. „Rogue, warte doch! Es tut mir Leid! Ich habe es doch nicht böse gemeint. Du bist nur so unglaublich süß, wenn es um Mädchen geht, die dir wichtig sind“, plapperte Sting und überholte seinen Freund, um ihm den Weg aus dem Wohnzimmer zu versperren. „Ich ärgere dich auch nicht mit Lucys Sexleben.“ Autsch! Das hatte gesessen! Natürlich wusste Sting, dass seine Schwester eine erwachsene Frau war und verantwortungsbewusst und selbständig und alles… aber das hieß noch lange nicht, dass ihm der Gedanke gefiel, was Natsu womöglich jetzt gerade mit Lucy anstellte! „Ist ja gut, ich habe es kapiert und ich werde dich nie wieder ärgern, ich verspreche es hoch und heilig. Zufrieden?“ Ungnädig blickte Rogue auf ihn hinunter und Sting fragte sich schon, ob er den Rest des Abends mit seinem gedankenlosen Spruch versaut hatte, aber dann beugte Rogue sich doch runter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Glaube ich dir ohnehin nicht, dass du nie wieder etwas dazu sagen wirst“, murmelte Rogue und schob sich an ihm vorbei in die Küche. „Hey! Ich habe dir mein Indianerehrenwort gegeben!“ „Wie alt bist du? Fünf?“ Schmollend trottete Sting hinter seinem Freund her und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen. Dass Rogue ihm nicht glaubte, ärgerte ihn. Klar, er wusste selber, dass er nicht zu den reifsten Menschen unter der Sonne gehörte, aber traute Rogue ihm wirklich zu, dass er ein Versprechen brach? Sting war so in seine Grübeleien vertieft, dass er sich gar nichts dabei dachte, als Rogue nicht den Blumenkohlauflauf aus dem Herd holte, sondern sich streckte, um an die hinterste Ecke des Schranks mit den Konserven zu kommen. Erst als sein Freund ihm ein flaches, in Geschenkpapier eingeschlagenes Päckchen unter die Nase hielt, merkte Sting auf. Überrascht blickte er von dem Päckchen zu Rogue auf, an dessen Lippen ein amüsiertes Lächeln zupfte. „Du lässt dich wirklich leicht ärgern, weißt du das?“ „Du!“ Sting schwankte zwischen Empörung und Aufregung. „Das war gemein!“ „Ich weiß.“ Jetzt lächelte Rogue unverhohlen. „Willst du das Geschenk nun haben oder nicht?“ „Was für eine Frage!“ Sting riss seinem Freund das Päckchen aus der Hand und schüttelte es zunächst sachte, ehe er nach einem Ansatzpunkt suchte, um das Geschenkpapier abzureißen. Rogues amüsiertes Grinsen ob seiner Begeisterung für das Geschenk störte ihn nicht. Stattdessen pfriemelte er den Tesafilm ab und förderte schließlich eine flache, graue Packung zutage. Als er den Deckel abnahm, kam ein blaues Halsband zum Vorschein. Mit großen Augen blickte Sting wieder zu seinem Freund auf. „Das ist… ein Hundehalsband?“ Lächelnd nickte Rogue. „Du kannst doch nie an einem Hund vorbei gehen, ohne ihn zu streicheln, wolltest dir aber nie einen anschaffen. Ich dachte mir, wenn wir jetzt zusammen ziehen, könnten wir auch…“ „Ja!“, rief Sting enthusiastisch und beugte sich über den Tisch, um Rogues Gesicht mit beiden Händen zu umfassen und dem Schwarzhaarigen einen stürmischen Kuss zu geben. „Ja! Ein gemeinsamer Hund! Ja, ja, ja!“ Bevor er noch mehr Jubelrufe ausstoßen konnte, verschloss Rogue ihm den Mund mit den Lippen. Glücklich erwiderte Sting den Kuss und versuchte dabei, seinem Freund näher zu kommen, nur war ihnen dummerweise der Tisch im Weg. Schließlich beendete Rogue den Kuss wieder und drückte Sting zurück auf seinen Platz. „Schön, dass du dich freust, aber sei leise dabei, sonst weckst du Leonida auf.“ Trotz seiner strengen Worte lächelte Rogue nachsichtig, während er wieder aufstand, um endlich den Auflauf aus dem Herd zu holen. Doch Sting hatte noch immer das Gefühl, vor Freude zu platzen und verließ den Tisch, um seinen Freund abzufangen und wieder zu küssen. Ohne die Gefahr, gleich auf den Tisch zu fallen, ließ Rogue sich doch dazu hinreißen, den Kuss zu vertiefen und vergrub eine Hand in Stings Haaren. Noch immer mit dem Halsband in der Hand schlang Sting die Arme um die Taille seines Freundes. Schon als kleiner Junge hatte er Hunde geliebt, aber zu seinem großen Bedauern war sein Vater allergisch gegen Hundehaare. Als er von Zuhause ausgezogen war, hatte er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, sich einen Hund anzuschaffen. Die treuen Vierbeiner brauchten viel Aufmerksamkeit, das konnte Sting alleine nicht bieten. Bisher war er noch gar nicht auf die Idee gekommen, dass er ja gemeinsam mit Rogue einen Hund haben könnte. Zärtlich lief der Kuss aus und Sting öffnete die Augen wieder, als sein Freund ihn mit der Nase anstupste. „Unter der einen Bedingung, dass du mir versprichst, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit irgendwohin verreisen, wo Yukino uns mit ihrem Valentinswahnsinn nicht in den Ohren liegen kann.“ Lachend gab Sting seinem Freund noch einen Kuss. Das Versprechen war leicht einzuhalten. Ein Urlaub allein mit Rogue – wie könnte er da Nein sagen? Außerdem könnte ohnehin nichts den heutigen Valentinstag toppen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)