Käfer von Cirque_des_Reves (Setsubun) ================================================================================ Kapitel 1: Und Pferdefisch -------------------------- Die Fliege blinzelte. Emsig krabbelt sie weiter voran, Flügel schlagend, ohne aus dem Takt zu fallen. Mit großen, haarigen Beinen, Schritt um Schritt, unermüdlich, ohne Pause, ewig. Ihr großer, schwarzer Körper wippte vor und zurück, während die Uhr sich unter ihr drehte. Das Pendel schwang hin und her, von links nach rechts und wieder zurück, beinahe als befände es sich in einem Wettstreit mit der Fliege, als ginge es darum, wer die größere Ausdauer vorweisen könne. Ein Lichtblitz wand sich einmal um das Ziffernblatt, das keines war, sondern eine Anordnung von Ringen, wie ein metallischer Baum.Der vielleicht größte Witz war, dass diese Uhr keine wirkliche Auskunft über die aktuelle Zeit gab, nur über die Natur der Zeit. Tamarah hörte über den Lärm der Eingangshalle hinweg das Klacken von Lederschuhen auf dem harten Fliesenboden. Vor allem aber, dass die Person, die besagte Schuhe trug, direkt neben ihr stehen blieb. "Sie haben gerufen, Mylady", seine Stimme klang leicht spöttisch. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass er reglos da stand, aber sie stellte sich unweigerlich eine dazu passende Verbeugung vor. "Meine Granny hat sich die Hüfte gebrochen", erklärte Tamarah missmutig. "Und wir sollen ihr beim Einkaufen helfen?" Sie drehte sich zu dem älteren Mann um und stemmte die Hände in die Hüften. "Nein, wir werden den schnappen, der dafür verantwortlich ist." Pünktlich zum Tee schlugen sie bei der alten Dame auf. Tamarah wusste, dass er nur mitmachen würde, wenn er es auf seine Weise machen konnte – und das hieß, vorne anzufangen und erst aufzuhören, wenn sie das Ende erreicht hatten. Logisch vorgehen. Sich an den Plan halten. Er war einfach hoffnungslos oldschool. Würde die Erfolgsrate nicht für ihn sprechen, würde sie ihn damit aufziehen. Jeden einzelnen verdammten Tag. Ihre Großmutter hatte voll aufgefahren: Gurkensandwiches, Scones, Shortbread. Vermutlich würden die Reste als Abendessen enden, also nahm Tamarah sich einen Keks und knabberte daran, um ihre Granny nicht zu enttäuschen, ohne ihr dabei alles weg zu futtern. "Erzähl ihm von dem Geräusch, das du gehört hast!", wollte sie ihre Großmutter auffordern, aber sie spürte, dass die kleinste Kleinigkeit, das winzigste Bisschen nerven oder Unprofessionalität, dafür sorgen würde, dass sie allein hier saß und sich um die Sache kümmern musste. Also schwieg sie. Genau wie er, denn er hatte zwar gewusst, dass Tamarah offen damit umging, wie sie ihren Lebensunterhalt bestritt, aber dass ihre Großmutter locker bei Tee und Sandwiches darüber plauderte... Er trank seinen Tee mit einem spritzer Zitronensaft. Als alle versorgt waren, sie sich seufzend hatte in ihren Sessel sinken lassen, räusperte sich Granny und begann, zu erzählen. Die Dämmerung verwandelte den Winterhimmel von grau und blau, zauberte die Schatten länger, und vertrieb die Menschen von den Straßen. Es nieselte auf diese unangenehme Weise, die durch jede Kleidungsschicht kriecht und einen hundsmieserabel, wenn auch nicht nass, zurück lässt. Eigentlich war es zu warm für Glatteis, aber der Weg am Hafen entlang war von spiegelglatten Flächen gesäumt, gerade groß genug, um einen arglosen Passanten zum Stolpern zu bringen. Es war zu warm für Eis. Kalt, unangenehm, ekelig. Nur nicht kalt genug. Tamarah spürte, wie sein Missmut schrumpfte und schließlich verschwand. Ha. Gewonnen. Nebeneinander flanierten sie am Hafen entlang als würden sie das Wetter nicht spüren und hätten keine Sorge auf der Welt. Keiner von beiden konnte sich hinterher genau daran erinnern, was sie gesagt hatten – es war einfach zu belanglos. Dann geschah alles gleichzeitig: Das Wiehern, das Ziehen in Tamarahs Bauch, sie wirbelte herum und murmelte etwas, helles Leuchten, sein Ausrutschen auf einer dünnen Eisschicht, die vorher nicht dagewesen war. Hätte er nicht genau damit gerechnet, hätte er sich nicht aufrecht halten können. Hatte er aber. Die beiden Menschen drehten sich zum Wasser, in dem die Kreatur wütend schnaubte. Man hätte sie für ein Pferd halten können, wären da nicht Schuppen anstatt eines nassen Fells wesen, wäre die Mähne nicht grün gewesen. "Auf frischer Tat ertappt", stellte der Mann fest. "Wer wir sind?", antwortete er auf ein weiteres Schnauben. "Ich bin verletzt. Du hast noch nicht von meiner Schülerin und mir gehört? Wir kümmern uns darum, dass gewisse... Abmachungen eingehalten werden." Das Wesen klang beinahe verlegen, und man erwartete beinahe, dass es rot wurde. "Können wir uns darauf verlassen, dass du deinen Unfug in Zukunft nur noch unter Wasser treibst?" Tamarah spürte, wie die Kreatur kämpfte, gegen den Zauber, der sie an Ort und Stelle hielt, und dann, schließlich, wie der Widerstand erstarb. Das Pferdewesen nickte langsam, als wäre es eine ungewohnte Geste. Mit der Zustimmung löste der Zauber sich automatisch. Tamarah zog etwas kleines, weißes auf der Manteltasche – ein Stück Zucker – und warf es dem Wasserpferd hin, das aus dem Wasser sprang, den Würfel auffing, und glücklich knirschend unter Wasser platschte. Er sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. "'Tschuldigung. Ich konnt's mir nicht verkneifen." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)