Wie man es noch sagen kann von Yosephia ([Romance OS-Sammlung/ Prompt-Liste]) ================================================================================ 20. “You can borrow mine.” (Romendy) ------------------------------------ Nervös kaute Romeo auf seinem Stift herum. Vor ihm lag das Blatt mit den Matheaufgaben, die ihm vollkommen schleierhaft waren, obwohl er die Formeln dafür gestern bis in die späte Nacht hinein gepaukt hatte. Nach der Gardinenpredigt seines Vaters über Fleiß, gute Noten, die Zukunft und all solchem Kram hatte er sich Mühe geben wollen, um sich eben so was nicht noch mal anhören zu müssen. Er wusste schon längst, was er machen wollte, auch wenn es seinem Vater nicht gefiel, da brauchte er keine blöden Integrale! Als er heute Nacht um zwei jedoch das Licht ausgemacht hatte, hatte er geglaubt, das Thema so halbwegs verstanden zu haben und vielleicht nicht mit Glanznote, aber doch mit etwas Besserem als einem schnöden Bestanden aus der Sache heraus zu kommen. Auch heute Morgen noch war er wild entschlossen gewesen und hatte seinen Freunden Happy und Lector großspurig verkündet, dass er in Ichiyas Kunstunterricht eine Frage stellen würde, wenn er bei dieser Arbeit etwas Schlechteres als eine Drei einfuhr. Aber jetzt war Romeos Kopf leer, als hätte ihm jemand einen Staubsauger ins Ohr gesteckt und dann angeschaltet. Vor ihm auf dem Blatt tanzten lauter dumme Symbole, die überhaupt nichts mehr mit der Realität zu tun hatten. Denn seine Realität kreiste nur noch um das Mädchen, das neben ihm saß. Es hatte schier unendlich lange dunkelblaue Haare, die zu zwei hohen Zöpfen gebunden waren, ein hübsches stupsnasiges Gesicht mit einem spitzen, energischen Kinn, schüchtern lächelnden Lippen und den schönsten Augen, die Romeo jemals gesehen hatte. Tiefbraun und voller Sanftmut und Güte… Als vor ihm ein Zettelchen landete, schlug Romeo seine Hand darauf, ohne auch nur eine Sekunde lang darüber nachdenken zu müssen. Es war wahrlich nichts, worauf man stolz sein musste, aber wenn es darum ging, mit seinen Freunden während des Unterrichts Botschaften auszutauschen, machte ihm so schnell keiner etwas vor! Unauffällig entfaltete er den Zettel und legte zur Hälfte seinen Taschenrechner darüber, damit Mr. Yuri nichts bemerkte. Nach einem letzten vergewissernden Blick zu dem graugesichtigen Lehrer las Romeo die krakelige Schrift seines besten Freundes Happy: Frag’ sie, ob sie mit dir ausgeht :D Romeos Gesicht wurde feuerrot und er warf Happy an der Bank neben seiner einen empörten Blick zu. Doch der Blauhaarige strahlte ihn nur aufmunternd an, während Lector neben ihm amüsiert grinste. Beinahe hätte Romeo sich dazu hinreißen lassen, ihnen die passende Geste für einen derartigen Kameradendienst zu zeigen, aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass neben ihm ein Mädchen saß. Nein, falsch. Das Mädchen. Wendy Marvell war heute neu in die Klasse gekommen. Sie war früher im Cait Shelter College gewesen, dieser berühmten Schule für Hochbegabte. Warum sie jetzt an eine ganz normalen High School in Magnolia ging, hatte sie bei ihrer Vorstellung vorhin natürlich nicht breit getreten, aber sie schien sich ehrlich zu freuen, nun hier zu sein. Ihre Augen hatten gefunkelt und ihr schüchternes Lächeln war bezaubernd gewesen! Dabei hatte Romeo sich bisher nicht wirklich etwas aus Mädchen gemacht. Klar, Lectors beste Freundin Frosch war schwer in Ordnung und irgendwie so etwas wie jedermanns kleine Schwester. Man musste sie einfach gern haben. Chelia war so ein Mädchen zum Pferdestehlen, eine super Freundin, immer zu Scherzen aufgelegt und mit genug Energie für Drei. Und die elegante, reife Charle war stets die mit dem kühlen Kopf in der Gruppe – und nebenbei war es einfach lustig, wie sie Happy jedes Mal abblitzen ließ. Aber so Dates und Beziehungen und all so was… Nein, damit hatte Romeo bisher nichts am Hut gehabt. Wozu auch? Er war fünfzehn – und hatte sein übereifriger Vater ihm nicht vor zwei Jahren mal diese super peinliche Predigt gehalten, dass er die Finger von Frauen lassen sollte, bis er volljährig wäre? Was auch immer sein Vater darunter verstanden hatte. Die altklugen Zwischenrufe von Romeos Patenonkel Wakaba hatten das auch nicht besser gemacht. Doch Wendy… Himmel, sie war einfach süß! Romeo wollte ihr zu gerne mal so richtig in die Augen blicken und mit ihr reden und… Vielleicht war Happys Vorschlag doch nicht so dämlich… Wenn er nur wüsste, wie man so etwas anstellte! Mit Happy hatte er das perfekte Negativbeispiel. Lector hatte Romeos bisheriges Desinteresse an Mädchen als solchen immer eifrig geteilt. Und wie Eve Tearm, Chelias Freund, wollte er es sicher nicht angehen. Allein bei der Vorstellung, so einen schnulzigen Spruch á la „Oh Licht meines Lebens, darf ich deine Tasche tragen?“ abzusondern, versank Romeo beinahe im Boden. Warum lernte man so etwas eigentlich nicht in der Schule? Das wäre viel nützlicher als diese dämlichen Integrale! „Noch fünfzehn Minuten“, knarrte Mr. Yuris Stimme durch die arbeitsame Stille. Siedend heiß fiel Romeo ein, dass er noch keine einzige Aufgabe gelöst hatte. Verdammt noch mal, sein Vater würde ihm ewig damit in den Ohren liegen, wenn er eine Sechs einfuhr, weil er ein leeres Blatt abgegeben hatte! Krampfhaft darum bemüht, nicht mehr zu Wendy zu blicken, richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Aufgabenblatt und griff nach seinem Kugelschreiber, um sich an der erstbesten Aufgabe zu versuchen. Doch als er die Nummer auf sein kariertes Blatt schreiben wollte, stellte er fest, dass sein Kugelschreiber nicht schrieb. „Verdammte Sch…“ Hastig hielt Romeo sich die Hand vor den Mund und blickte neben sich. Wendy hatte den Blick erhoben und sah ihn mit großen Augen an, als hätte sie noch nie solche Worte gehört. Ob sie ihn jetzt für einen Gangster hielt? Er wollte kein Gangster in ihren Augen sein! Wendys Blick huschte auf Romeos Hand und in ihre Miene trat Verstehen. Sie griff nach ihrem Federmäppchen und holte einen Ersatzkugelschreiber daraus hervor, denn sie Romeo hinhielt, ihre Wangen auf einmal gerötet. Wow, war das süß! „D-du kannst meinen leihen“, flüsterte sie. Beinahe verspürte Romeo Enttäuschung darüber, dass Wendys erste Worte an ihn sich um diesen dämlichen Kugelschreiber drehten. Er hatte das Gefühl, dass er viel lieber etwas ganz anderes gehört hätte. „D-danke“, stammelte er mit heißen Wangen und nahm den Kugelschreiber an, um sich endlich an seinen Matheaufgaben zu versuchen. Wirklich etwas schaffen würde er wohl nicht mehr. Um die Predigt würde er nicht herum kommen. Aber dafür – und bei dem Gedanken grinste er dümmlich auf sein Blatt hinunter – hatte er nachher einen Grund, um noch mal mit Wendy zu reden! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)